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Snow Me Love

Eine winterliche Kurzgeschichte

von Kim Valentine (Autor:in)
60 Seiten
Reihe: Pinehill-Reihe, Band 1

Zusammenfassung

Eingeschneit! Und das ausgerechnet mit ihrem unausstehlichen Boss. Dabei wollte Brooke die Weihnachtsfeiertage auf ihrem Sofa verbringen, um über ihre geplatzte Verlobung hinwegzukommen. Stattdessen sitzt sie im Haus ihrer verstorbenen Grandma fest, wo sie erkennt, dass Dr. Hart gar nicht so furchtbar ist, wie sie zunächst angenommen hat …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt

Inhalt

Zum Buch:

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Liebe Leserin, lieber Leser

 

Zum Buch:

Eingeschneit! Und das ausgerechnet mit ihrem unausstehlichen Boss. Dabei wollte Brooke die Weihnachtsfeiertage auf ihrem Sofa verbringen, um über ihre geplatzte Verlobung hinwegzukommen. Stattdessen sitzt sie im Haus ihrer verstorbenen Grandma fest, wo sie erkennt, dass Dr. Hart gar nicht so furchtbar ist, wie sie zunächst angenommen hat …

 

Kapitel 1

Ich liebte meinen Job – im Gegensatz zu meinem Boss. Er war herrisch, pedantisch, rechthaberisch, fordernd und unflexibel. Warum ich trotzdem für ihn arbeitete? Nun, selbst wenn seine Umgangsformen zu Wünschen übrig ließen, so war er zweifellos der beste Tierarzt im Umkreis von fünfzig Meilen.

„Danke, dass sie uns noch dazwischengeschoben haben, Brooke“, sagte Mrs. Mckenzie und stellte ihre Perserkatze Yasmin, die in einem Weidenkorb saß und mich durch das Gitter vorwurfsvoll anstarrte, vor mir auf den Tresen. „Wir hätten die Feiertage unmöglich überstanden, falls Dr. Hart uns nicht geholfen hätte“, erklärte sie und mir entging der sehnsuchtsvolle Blick nicht, den sie in Richtung Sprechzimmer warf.

Ich nahm die Behandlungskarte, die sie mir reichte, und las mir schnell die wenigen Zeilen durch, die darauf notiert waren. Innerlich seufzte ich, als ich feststellte, dass ich wegen einer kerngesunden Katze länger geblieben war, während sich meine Kolleginnen bereits in ihren wohlverdienten Weihnachtsurlaub verabschiedet hatten.

Als Mrs. Mckenzie vor knapp einer Stunde anrief, hatte Yasmins Zustand deutlich besorgniserregender geklungen. Die Katze hatte angeblich hohes Fieber und seit Tagen ihr Futter nicht angerührt. Tiere, die sogar ihr Lieblingsfutter verschmähten, waren für mich immer ein Grund zur Besorgnis, weshalb ich natürlich zugesagt hatte, dass sie noch in die Praxis kommen könne. Entgegen ihrer dramatischen Schilderung am Telefon war in der Karteikarte eine Temperatur von 38,6 Grad vermerkt, was für eine Katze vollkommen normal war. Da ich davon ausging, dass Dr. Hart das Frauchen seiner Patientin entsprechend aufgeklärt hatte, um sie zu beruhigen, sparte ich mir weitere Worte und erstellte rasch die Rechnung, die ich Mrs. Mckenzie mit einem Lächeln reichte. Zwar ärgerte ich mich ein wenig darüber, dass ich Überstunden machen musste, doch es war schließlich nicht so, als würde zuhause – ausgenommen meine Netflix-Serien – jemand auf mich warten.

„Schöne Festtage, Mrs. Mckenzie“, sagte ich und winkte unserer Patientin zu, obwohl ich wusste, dass von Yasmin keine Reaktion zu erwarten war. Vielmehr sah mich die Katze so durchdringend an, als wüsste sie, mal wieder dazu benutzt worden zu sein, um ihrer Besitzerin ein paar Minuten mit Dr. Hart zu verschaffen.

„Ihnen ebenfalls, Brooke!“, trällerte Mrs. Mckenzie, die mit leichten Schritten aus der Praxis trippelte. Die automatischen Schiebetüren öffneten sich, woraufhin durch einen Schwall kalter Luft einige besorgniserregend dicke Schneeflocken hereingeweht wurden. Es schneite seit heute Mittag und ich freute mich seitdem darauf, mich zuhause einzuigeln. Mein Kühlschrank war prall gefüllt und dank der unerschöpflichen Auswahl meines Streaming-Dienstleisters konnte ich kaum abwarten, es mir in eine Decke gehüllt auf meinem Sofa bequem zu machen.

Ich warf noch einen Blick auf Mrs. Mckenzie, die auf ihren hohen Absätzen geschickt wie eine Primaballerina den Schneewehen auswich, die der Wind über den Bürgersteig trieb. Vermutlich war ihr leichtfüßiger Gang meinem Chef zu verdanken, denn im Gegensatz zu mir behandelte er Patienten und deren Besitzer wie Könige. Sobald sich die Tür des Behandlungszimmers schloss, knipste Dr. Hart seinen Charme und seinen tierischen Verstand an.

Selbst Snooker, der extrem misstrauische Boxerrüde, der von seinem Herrchen aus schlechter Haltung befreit worden war, fraß Dr. Hart bereits am ersten Tag aus der Hand. Etwas, das Dr. Westwick, dem die Praxis zuvor gehört hatte und der mich mitsamt Patientenstamm und Mobiliar an Dr. Hart übergeben hatte, nie gelungen war.

Die Fähigkeiten meines aktuellen Bosses waren gewiss nicht in Frage zu stellen, doch das war nicht der Hauptgrund, warum sich der Großteil der Single-Frauen aus Pinehill seit seiner Praxisübernahme ein Haustier angeschafft hatten. Nachdem ein Bild von ihm in einem Artikel über die baldige Praxis-Neueröffnung in der örtlichen Zeitung abgedruckt worden war, berichteten die Tierheime der Umgebung wenige Tage später von einem sprunghaften Anstieg ihrer Adoptionsquote.

Und das war kein kosmischer Zufall – eher ein optischer, denn Dr. Hart sah leider selbst nach einer mehrstündigen OP bei ausgefallener Klimaanlage aus, als wäre er unmittelbar von einem Shooting für die GQ in die Praxis gekommen. Sein dunkles Haar, das er meist sehr kurz trug, lenkte die Aufmerksamkeit aller, die ihm gegenüberstanden direkt auf seine flaschengrünen Augen und die waren – ich sagte das wirklich nicht gerne – einfach spektakulär.

Aber so gut er auch aussah – er konnte ein richtiges Ekel sein und ich freute mich auf die bevorstehenden freien Tage. Dr. Hart war ein Perfektionist, was es manchmal schwer machte, für oder mit ihm zu arbeiten. Warum ich trotz all der Widrigkeiten bisher nicht gekündigt hatte, war schnell erklärt – Jobs wuchsen in unserer Kleinstadt nicht gerade auf Bäumen und ich schätze Dr. Harts Fingerspitzengefühl, das besonders bei misstrauischen Patienten enorm wertvoll war.

Ehe ich jedoch in meinen wohlverdienten Urlaub gehen konnte, gab es noch einiges zu erledigen. Also stand ich auf, schloss die Tür ab und hängte das Schild ins Fenster, das ich schon vor zwei Wochen voller Vorfreude vorbereitet hatte. Auf dem Schild waren eine getigerte Katze und ein Golden Retriever Welpe abgebildet, die Weihnachtsmützen trugen und unseren Patienten besinnliche Festtage wünschten. Der Goldhamster, der am unteren Bildrand saß, informierte die Leute, dass wir nach Neujahr wieder für sie da sein würden und verwies in Notfällen auf die etwa zwanzig Meilen entfernte Tierklinik. Die Telefonnummer besagter Klinik war in einem leuchtenden Rot gedruckt, doch ich bezweifelte, dass sich viele unserer Patienten die Mühe machen würden, diese im Notfall tatsächlich zu wählen. Die meisten kannten Dr. Harts Handynummer und Pinehill war zu klein, als dass zu verhindern gewesen wäre, dass sich bereits in der ersten Woche herumgesprochen hatte, wo der neue Tierarzt wohnte.

Ehe ich zurück zu meinem Arbeitsplatz ging, räumte ich das Wartezimmer auf und versorgte die wenigen Grünpflanzen, die sich dort befanden, mit ausreichend Wasser. Da ich über die Feiertage nichts vorhatte, außer fernzusehen und mich mit Junkfood vollzustopfen, könnte ich zwar zum Gießen herkommen, aber ich würde vermutlich zu beschäftigt sein, in Selbstmitleid zu zerfließen.

Vor acht Monaten war ich verlobt gewesen und hatte darüber nachgedacht, welches Papier für die Einladungskarten am geeignetsten wäre. Nun würde die schwerwiegendste Entscheidung schätzungsweise die sein, ob ich mich in der Einsamkeit meines Appartements dafür schämen musste, den Sprühkäse direkt aus der Dose zu essen oder ob es mir egal sein konnte. Ich sollte nun nicht alleine vor meinem bisher nicht existenten Weihnachtsbaum sitzen, sondern zusammen mit meinem Ehemann. Wir sollten uns kleine Geschenke überreichen und uns sagen, wie sehr wir uns liebten, statt über Nachrichten zu klären, ob er den Teppich entsorgen könne, den ich in seiner Wohnung zurückgelassen hatte.

Beim Gedanken an meine geplatzten Zukunftsträume stieg eine Mischung Bitterkeit und Wut in mir auf.

Aber wie hätte ich an den Hochzeitsplänen festhalten sollen, wenn hinter den Überstunden meines Ex-Verlobten in Wahrheit kein ehrgeiziges Tüfteln an seiner Kochkarriere gesteckt hatte, sondern vielmehr ein ehrgeiziges Tüfteln, wie er seiner Sous-Chefin möglichst viele Orgasmen verschaffen konnte?

Die Wut verdrängte die Bitterkeit und ich klatschte den Stapel Zeitschriften, den ich soeben in Ordnung gebracht hatte, heftiger als nötig auf den Tisch. Es verschaffte mir ein wenig Erleichterung, mir vorzustellen wie sie in Josephs Gesicht, statt auf der Tischplatte landeten.

In den ersten Tagen nach der Trennung hatte ich viel Zeit bei meinen Eltern verbracht, aber diese hatten sich im Sommer ihren langgehegten Traum einer Weltreise erfüllt und würden Weihnachten in Europa verbringen. Sie meinten es gut, indem sie mir Unmengen Fotos schickten, allerdings fühlte sich jedes an, wie ein Nadelstich. Der Eiffelturm, das Brandenburger Tor, Big Ben, die Akropolis. Ich gönnte ihnen ihr Glück, doch meine Eltern vor den berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Welt zu sehen, verstärkte in mir das Gefühl, eine Versagerin zu sein.

Bevor mich der Betrug und meine Einsamkeit zu sehr hinunterzog, schob ich die Gedanken zur Seite und begann, den restlichen Papierkram an der Anmeldung abzuarbeiten. Nichts davon war dringend, daher hätte ich alles auch nach der kleinen Auszeit erledigen können, jedoch mochte ich Unordnung nicht.

Ich sortierte gerade Yasmins Karteikarte in einer der untersten Schubladen ein, als sich die Tür von Dr. Harts Behandlungsraum öffnete. Automatisch stieg meine Anspannung, denn ehrlich gesagt, machte mich seine Anwesenheit immer unglaublich nervös. Jedes Mal, wenn wir uns gegenüberstanden, scannte er mich mit diesen intensiven grünen Augen und ich musste keine Expertin sein, um zu wissen, dass er massenweise Fehler entdeckte.

An meinem ersten Tag mit ihm hatte ich mich kurz nach dem Arbeitsbeginn versehentlich mit Kaffee bekleckert und dummerweise nicht daran gedacht, Wechselkleidung mitzunehmen. Der Vorfall lag mehr als ein Jahr zurück, aber Dr. Hart sah die Flecken vermutlich nach wie vor, obwohl meine Kleidung heute tadellos war. Im Augenwinkel erkannte ich, wie mein Boss in den Durchgang zur Rezeption trat, wodurch ich hinter dem Tresen, der meinen Arbeitsplatz darstelle, quasi eingeschlossen war. Um ihn nicht ansehen zu müssen, gab ich vor, verzweifelt eine Karteikarte zu suchen.

„Brooke, gut, dass Sie noch hier sind“, sagte Dr. Hart.

Ich war so verwundert über diese vergleichsweise netten Worte, dass ich mich viel zu schnell aufrichtete, woraufhin sofort Sterne vor meinen Augen erschienen. In dem Versuch, den Schwindel damit zu vertreiben, blinzelte ich. Dr. Hart tat allerdings so, als hätte er nichts davon bemerkt.

Dabei entgeht den Flaschengrünen für gewöhnlich nichts, dachte ich im Stillen und setzte eine professionelle, jedoch distanzierte Miene auf.

Da er nach dem Vorfall mit dem Kaffee auf eine Kündigung verzichtet hatte, schien mein Boss meine fachlichen Fähigkeiten zu schätzen. Natürlich hatte er mir das in der Zeit, in der ich bisher für ihn arbeitete, nie gesagt. Doch einen Grund musste es schließlich haben, dass weiterhin jeden Monat überpünktlich mein Gehalt auf meinem Konto landete, er freiwillig Boni zahlte und ich noch nicht ersetzt worden war.

„Dr. Hart, was kann ich für Sie tun?“, fragte ich in der gewohnten kompetenten Höflichkeit und strich meinen blonden Zopf glatt, der über meine Schulter hing.

Ich erwischte ihn dabei, wie er meiner Handbewegung eine Sekunde lang mit den Augen folgte, und konnte meine Verwunderung darüber kaum verbergen. Dr. Hart sah mich nie länger als unbedingt nötig an. Womöglich war ihm aufgefallen, dass meine Haare mal wieder einen Schnitt vertragen konnten, allerdings war mir seine Meinung im Bezug auf meine Privatangelegenheiten herzlich egal. Mir war klar, dass ich im Augenblick in einem Tief steckte, aber ich hatte eine geplatzte Verlobung zu verkraften und erlaubte mir, alles außerhalb der Praxis ein bisschen schleifen zu lassen. Es war sozusagen meine kleine private Auszeit. Im Job erledigte ich meine Aufgaben gewissenhaft, also konnte es ihm gleichgültig sein, dass ich mich jedes Wochenende in eine Eremitin verwandelte und sämtliche Sozialkontakte, einschließlich eines Friseurbesuchs vermied.

„Mr. Creekmore hat eben angerufen. Eine seiner Kühe hat Probleme beim Kalben. Ich sagte, dass ich mir das gleich noch ansehen werde.“

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach sechs und draußen nahm das Schneetreiben immer heftigere Ausmaße an. Obwohl die Räumfahrzeuge den ganzen Tag auf und ab gefahren waren, krochen die wenigen Autos, die bei dem Wetter unterwegs waren, im Schneckentempo über die Hauptstraße, die an der Praxis vorbeiführte. Ich würde Dr. Hart keine Vorschriften machen, was er zu tun oder zu lassen hatte. Schließlich war er ein erwachsener Mann, der über ausreichend Intelligenz verfügte, um solche Dinge selbst zu entscheiden. Trotzdem konnte ich mir eine Bemerkung bezüglich des Wetters nicht verkneifen.

„Bei dem Chaos sollten Sie Schneeketten aufziehen“, riet ich ihm, zeigte in Richtung Tür und holte den Koffer hinter der Tür hervor, den Dr. Hart bei Außenterminen benötigte. Den Großteil seiner Utensilien lagerte er im Kofferraum seines riesigen Jeeps, doch viele Medikamente würden bei den eisigen Temperaturen, die die Stadt seit Wochen im Griff hatten, kaputt gehen. Schwungvoll hievte ich die mehrere Kilo schwere und äußerst unhandliche Tasche auf den Tresen und erwartete, dass Dr. Hart sie sich schnappte, um sich damit auf den Weg zu machen. Stattdessen blieb er stehen und sah mich an.

„Sollte der Fall inzwischen kritischer geworden sein, als er am Telefon geklungen hat, brauche ich eine zweite Hand“, sagte er sachlich.

Eine ungute Vorahnung machte sich in mir breit, aber ich weigerte mich, die versteckte Aufforderung zu registrieren.

„Mr. Creekmore ist ein erfahrener Farmer. Gewiss unterstützt er Sie, weitaus besser, als ich es je könnte.“

Innerlich klopfte ich mir für meine galante Erwiderung auf die Schulter, doch Dr. Hart wirkte alles andere als beeindruckt. Eine Gänsehaut überkam mich, als sich seine Brauen zusammenschoben und sein zuvor bereits forschender Blick stechend wurde. Schlagartig fühlte ich mich unwohl in meiner Haut und widerstand nur Dank all meiner Willenskraft dem Drang, mir über die Arme zu reiben, um das Frösteln, das mich erfasst hatte zu vertreiben.

„Mr. Creekmore ist zweifellos ein erfahrener Farmer, aber er ist mindestens ebenso erfahren, wenn es darum geht, möglichst schnell eine Whiskeyflasche zu leeren“, erklärte mein Boss mit ernster Stimme und hob eine Augenbraue, was mir das Gefühl gab, dass er mich gerade herausforderte. Mir war nur nicht klar, zu was. „Und wie es klang, hat er heute fleißig dafür gesorgt, nicht aus der Übung zu kommen.“

„Oh“, entwischte es mir und bei dem spöttischen Zug, der sich daraufhin in Dr. Harts Mundwinkeln zeigte, war ich für einen Moment versucht, ihm die Zunge herauszustrecken.

Ich hasste es, dass er seinen Wissensvorsprung, den er durch das Telefonat erlangt hatte, gnadenlos gegen mich ausgenutzt hatte, obwohl ich Mr. Creekmore schon seit Jahren kannte und daher auch von seinem Hang zu bernsteinfarbenen Flüssigkeiten in eckigen Flaschen wusste. Er war der Nachbar meiner verstorbenen Grandma, wobei Nachbarschaft hier ein sehr großzügiger Begriff war.

Um Pinehill, das auf einer Anhöhe lag, verlief ein sogenanntes grünes Band, in dem drei große und mehrere kleine Farmen lagen. Meine Grandma hatte in einem winzigen Haus gelebt, das an der Grundstücksgrenze einer der großen Farmen lag. Früher war es eine Unterkunft für Erntehelfer gewesen, bis sie es schließlich gekauft und aufwendig renoviert hatte. Es lag etwa fünfzehn Meilen von der Creekmore-Farm entfernt, deswegen war nur bedingt von Nachbarschaft zu sprechen. Seit ihrem Tod im Frühjahr stand das Gebäude leer, weil ich es einfach nicht übers Herz brachte, es zu verkaufen. Ich sagte mir immer wieder, dass ich es als Wochenendhaus nutzen würde, doch bislang war bereits der Gedanke, durch die Tür zu treten, ohne sofort von dem vertrauten Duft ihres Apple-Pies empfangen zu werden, zu schmerzhaft.

„Ziehen Sie sich um. Wir brechen in zehn Minuten auf.“

Mein Unterkiefer klappte bei seinem harschen Tonfall hinab, was Dr. Hart jedoch nicht kümmerte. Er schnappte sich den Koffer vom Tresen, griff nach seiner Jacke, die an der Garderobe hing und sah mich erwartungsvoll an.

„Zuvor muss ich nach Hause. Ich habe nicht die richtigen Schuhe für einen Außeneinsatz dabei“, warf ich ein und hoffte insgeheim, dass Dr. Hart diese Verzögerung so sehr missfiel, um ohne mich zu Mr. Creekmore zu fahren.

„Na schön. Aber beeilen Sie sich“, brummte mein Boss und zerschlug somit meine Hoffnung.

Als mir klar wurde, dass ich mich meinem Schicksal offenbar nicht entziehen konnte, betete ich, dass sich dieser Hausbesuch nicht zu einer Katastrophe entwickeln würde.

 

Kapitel 2

Nach nur sieben Minuten verließ ich fertig umgezogen die Praxis und trotzdem stand Dr. Hart neben seinem Jeep und blickte begleitet von einem genervten Seufzen auf seine Armbanduhr. Ich war versucht, ihn daran zu erinnern, dass er mir zehn Minuten gegeben hatte, und die Vorstellung, zu meinem Boss zu gehen, ihm die Hände um den Hals zu legen und zuzudrücken, erschien mir plötzlich extrem verlockend. Allerdings rief ich mir rechtzeitig ins Gedächtnis, dass es irgendwo in etwa dreißig Meilen Entfernung eine Kuh und ein Kalb gab, die seine Hilfe brauchten.

Wortlos ging ich zur Beifahrerseite, nahm Platz und schnallte mich an. Dr. Hart stieg ebenfalls ein, schaltete das Navi an und sah zu mir herüber.

„Ihre Adresse?“, wollte er wissen und tippte, während ich sie ihm mitteile.

Meine Wohnung befand sich in der Nähe der Praxis, deswegen konnte ich das Weihnachtslied, das im Radio gespielt wurde, nicht zu Ende hören, bis Dr. Hart seinen Jeep vor der Eingangstür zu meinem Wohnblock stoppte. Trotzdem kam es mir vor, als hätte sich die Zeit ins Unendliche ausgedehnt, sodass ich überlegte, ob er mich feuern würde, wenn ich einfach ausstieg, loslief und nie wieder kam. Der Schnee, der inzwischen etwa einen halben Meter hoch lag, wie ich anhand der Parkbank erkannte, die am Zugangsweg stand, würde dieses Vorhaben zwar erheblich erschweren, aber wie hatte meine Grandma so schön gesagt: Wo ein Wille war, war auch ein Weg. Allerdings dachte ich erneut an die Kuh und ihr Kalb, also löste ich den Anschnallgurt, ohne meinen Fluchtplan genauer zu verfolgen.

„Ich bin gleich zurück“, informierte ich meinen Boss und ergab mich meinem Schicksal.

Ich hoffte, dass ich dafür, dass ich mich beinahe widerstandslos darauf eingelassen hatte, mindestens zwei zusätzliche Stunden mit meinem Chef zu verbringen, ein ordentliches Plus auf mein Karmakonto gutgeschrieben bekam. Meine Wohnung empfing mich wie eine warme Umarmung und um nicht doch der Versuchung zu erliegen, mich auf meiner Couch zu verkrümeln, musste ein weiteres Mal das Bild der leidenden Kuh herhalten. Sie stand irgendwo dort draußen in einem Stall und benötigte unsere Hilfe. Hoffentlich lebte das Kalb noch, denn obwohl ich seit Jahren in meinem Job arbeitete und auch gut darin war, zerriss es mir jedes Mal aufs Neue das Herz, wenn es ein Tier nicht schaffte.

Weil es nicht die erste Geburt war, bei der ich assistierte, lief ich in mein Schlafzimmer und packte Wechselkleidung in einen Rucksack, um auf alles vorbereitet zu sein. Da die Fahrt mit Dr. Hart ohnehin schon unangenehm werden würde, konnte ich getrost darauf verzichten, die Heimreise in schmutziger oder nasser Kleidung zurückzulegen. Zudem steckte ich ein Ladekabel für mein Handy und ein paar Müsliriegel ein.

Auf dem Weg hinaus sah ich sehnsuchtsvoll zu meinem Fernseher, vor dem ich längst sitzen wollte, und ließ mich dazu hinreißen, mit dem Blick über die zusammengewürfelten Möbel zu schweifen. Das meiste hatte ich in Second Hand Läden ergattert, denn nach der geplatzten Verlobung stand ich quasi vor dem Nichts. Manches meines Mobiliars hätte ich mir unter anderen Umständen vermutlich niemals zugelegt, aber inzwischen wusste ich jedes Stück und die Geschichte, die es mit sich brachte, zu schätzen. Ich fühlte mich diesen vier Wänden viel verbundener, als ich es in der schicken Neubauwohnung je getan hatte, in die ich, nachdem ich Josephs Antrag angenommen hatte, gezogen war.

Um den Eindruck zu erwecken, ich wäre zuhause, knipste ich die Stehlampe in der Ecke an und steckte die Lichterkette ein, die ich vergangene Woche ins Fenster geklebt hatte. Früher hatte ich die Abstände der einzelnen Lampen mit dem Lineal ausgemessen, daher schämte ich mich ein wenig wegen der lieblosen Art, mit der ich die Kette dieses Mal angebracht hatte. Mit viel gutem Willen oder einer ordentlichen Portion Eggnog konnte man sie möglicherweise als kreative Lichtinstallation betrachten, aber ich hatte weder guten Willen, noch war ich betrunken.

Bisher war Weihnachten für mich das schönste Fest des Jahres gewesen. Oftmals musste ich mich regelrecht zurückhalten, um nicht bereits vor Thanksgiving mit Dekorieren, Plätzchenbacken und dem Hören von Weihnachtsliedern anzufangen. Doch seit der Trennung, Grandmas Tod und aufgrund der Weltreise meiner Eltern war dieses Jahr alles anders und es schien, als hätte Weihnachten seinen Glanz für mich verloren. Was war das Fest der Liebe schon wert, wenn man niemanden hatte, mit dem man es feiern konnte?

Bislang hatte ich mich erfolgreich selbst belogen, indem ich mir eingeredet hatte, nur eine ordentliche Portion meiner Lieblingsserien, genügend Weißwein und massenweise Junkfood zu benötigen, um die Feiertage einigermaßen zu überstehen. Aber tief in mir hatte ich immer gewusst, dass all die in Zellophan verpackten Kalorienbomben, die in meiner Küche lagerten, das Gefühl der Leere niemals würden füllen können.

Ehe Dr. Hart noch eine Vermisstenmeldung aufgab, oder schlimmer – persönlich nach mir suchte – nahm ich meine Winterstiefel, verließ die Wohnung und ging wieder hinab. Ich wartete bereits auf einen tadelnden Kommentar, als ich einstieg, doch der blieb zu meiner Überraschung aus.

„Wir sollten uns beeilen. Der Wetterbericht meldete eben, dass sich der Schneefall in den kommenden Stunden verstärken wird“, informierte mich mein Boss, während er langsam anfuhr.

Ich spähte in das Schneetreiben, das von den beiden Kegeln der Scheinwerfer bestens ausgeleuchtet wurde und musste bald die Augen schließen, weil ich mich fühlte, als würde ich in einen defekten Fernseher blicken. Die Fahrt zu der dreißig Meilen entfernten Farm würde zweifellos eine Strapaze werden.

„Sofern wir uns bei diesen Witterungsverhältnissen überhaupt beeilen können“, erwiderte ich und bereitete mich mental auf eine sehr lange und sehr schweigsame Fahrt vor.

Dr. Hart sprach so gut wie nie über Privates und auch über Dinge, die die Praxis betrafen, tauschte er sich nur äußerst selten mit seinen Angestellten aus. Da wir das Wetter bereits abgehakt hatten, blieben mir kaum Alternativen, weshalb ich beschloss, einfach den Mund zu halten. Schließlich hatte Dr. Hart mich nicht mitgenommen, um ihn zu unterhalten, sondern damit ich ihm notfalls assistieren konnte.

Wir hatten eben das Schild, das die Besucher von Pinehill willkommen hieß hinter uns gelassen, als Dr. Hart sagte: „Ich hoffe, ich verderbe Ihnen nicht den Abend, indem ich Sie schuften lasse. Mir ist klar, dass Sie lieber zuhause sein würden, und Sie sich die Vorbereitung auf die Feiertage gewiss anders vorgestellt haben, als mit mir in einem Auto zu sitzen.“

„Nein, nein. Das ist schon in Ordnung“, widersprach ich rasch. „Es geht um ein Tier in Not und außerdem wartet niemand auf mich.“

Ich verfluchte mich innerlich, weil besonders der letzte Teil meines Satzes viel bitterer geklungen hatte, als ich beabsichtigt hatte. Dr. Hart wirkte irgendwie überrascht, während er den Wagen weiterhin sicher durch das Schneegestöber steuerte. Mir lag auf der Zunge, zu fragen, ob es jemanden gab, der auf ihn wartete, aber da ich damit definitiv eine Grenze überschreiten würde, schwieg ich.

Zwar wusste ich, dass er allein lebte, doch das bedeutete nicht automatisch, dass es Niemanden in seinem Leben gab. Ein so gutaussehender Mann wie er war vermutlich mit einem erfolgreichen Model verheiratet, das ständig um die Welt jettete, was auch begründen würde, warum man ihn noch nie mit einer Frau an seiner Seite gesehen hatte. Es gab deshalb sogar Gerüchte, er sei homosexuell. Da mich der private Dr. Hart bisher kaum interessiert hatte, hatte ich dem Gerede bislang keinerlei Beachtung geschenkt. Allerdings erwischte ich mich, wie ich seine Hände musterte, die das Lenkrad festhielten.

Ich entdeckte keinen Ehering, was jedoch praktische Gründe haben könnte, die mit seiner Arbeit zu tun hatten. Wir hatten einige Angstpatienten, die aus Furcht schon mal kratzten. Geriet eine Kralle dabei unter den Ring, konnte das sowohl für das Tier als auch für den Finger, an dem der Ring steckte, unschöne Konsequenzen nach sich ziehen.

„Ich dachte, ich hätte mal etwas von einer Verlobung gehört“, sprach mein Boss weiter und ich fuhr vor Verwunderung auf meinem Sitz herum, um ihn besser ansehen zu können. Er hatte nie den Eindruck gemacht, als würde er sich über meine Arbeit hinaus für mich interessieren, deswegen überraschte mich, wie er den Finger so punktgenau in meine schmerzhafteste Wunde legen konnte. Oder war das nur ein Zufallstreffer?

„Die habe ich gelöst“, erwiderte ich, wobei mir egal war, wie schroff meine Worte klangen.

Josephs Verrat saß mir nach wie vor in den Knochen und die Angst, dass mich der Mensch, mit dem ich bis ans Ende meiner Tage zusammen sein wollte, für immer negativ geprägt hatte, war riesig. Im Moment hatte ich noch nicht mal eine Ahnung, ob ich jemals wieder einen Mann so nahe an mich heranlassen konnte, denn ich wollte gewiss kein zweites Mal so verletzt werden. Es hatte eine kleine Ewigkeit gedauert, bis ich mich nach der Trennung aufgerappelt hatte und ich wusste, dass ich derzeit keine Energie hatte, um dies zu wiederholen.

Wir fuhren einige Meilen schweigend, was ich nur anhand der Entfernungsanzeige auf dem Display des Navigationsgerätes erkannte. Die Welt, die im Radius der Scheinwerfer zu sehen war, war weiß, wohingegen alles hinterhalb der dicken Schneeflocken in Schwärze versank.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752144987
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Schnee Geheimnise Eingeschneit Chef Erkenntnisse Angestellte Humor

Autor

  • Kim Valentine (Autor:in)

Kim Valentine wurde 1982 geboren und wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Augsburg. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten verpflichtete sie sich vier Jahre als Zeitsoldatin. Nach ihrem Debütroman erfolgte eine Pause, bis sie der Leidenschaft, zu schreiben endgültig verfiel. Sie liest unheimlich gerne zuckersüße, kariesverursachende Romanzen und liebt Eishockey. Wann immer sie Zeit findet, widmet sie sich ihren Geschichten, die sie rund um die Uhr begleiten.
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Titel: Snow Me Love