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Starting Six: Charlize und Blaine

von Kim Valentine (Autor:in)
220 Seiten
Reihe: Boston Razors Reihe, Band 3

Zusammenfassung

Charlize Jefferson, genannt Charlie, hat nach dem Medizinstudium eine Stelle in der renommierten Knight-Klink ergattert, in der alle Spieler der Boston Razors ihre Blessu-ren verarzten lassen. Charlie ist ein riesiger Fan des Teams, doch um nicht gegen die Vorschriften zu verstoßen, darf sie sich ihr privates Interesse bei der Behandlung der Eishockeyprofis nicht anmerken lassen. Den Job zu verlieren wäre für die frischgebackene Ärztin das denkbar Schlimmste, denn sie steht tief in der Schuld ihrer Eltern, woran diese sie ständig erinnern. Genau aus diesem Grund übernimmt Charlie eine Wohnungsbesichtigung für ihre Mutter und wird dafür prompt belohnt, denn der Klient ist kein geringerer als Blaine Hopkins, sei-nes Zeichens Defensivspezialist der Boston Razors. Vom ersten Moment an sprühen die Funken zwischen den beiden und die junge Frau kann der Anziehungskraft, die der Profisportler auf sie ausübt, nicht lange wider-stehen. Aber sie weiß, dass sie sich auf dünnem Eis bewegt. Bislang zählt Blaine nicht zum Patientenstamm, aber selbst eine kleine Verletzung könnte jederzeit dafür sorgen, dass er zum Tabu wird. Allerdings ist diese latent lauernde Gefahr nicht Charlies einziges Problem und schon bald ist sie gezwungen, eine Entscheidung zwischen Karriere, Familie oder Liebe zu treffen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Die ‚Boston Razors‘ sind ein fiktives Team, das in einer fiktiven Liga gegen fiktive Gegner um einen fiktiven Pokal spielt.

Kapitel 1

Die Luft war stickig und mein Kopf fühlte sich an, wie ein bis zum Rand gefülltes Fass mit Nägeln. Das hielt mein Telefon allerdings nicht davon ab, zu läuten. Die ersten vier Mal hatte ich ignoriert, aber nun klingelte es bereits zum fünften Mal. Es gab nur eine Person, die so oft nacheinander anrief und dieser schuldete ich knapp dreihundertfünfzigtausend Dollar. Das waren also dreihundertfünfzigtausend Gründe, meine Kopfschmerzen sowie mein Bedürfnis nach Schlaf zu vernachlässigen.

Mit geschlossenen Lidern tastete ich nach meinem Handy und linste auf das Display, von dem mir eine perlweiße Zahnreihe entgegengrinste. Der Rest des Anruferfotos verschwamm vor meinen Augen, weil eine bleierne Müdigkeit mich wieder in den Schlaf ziehen wollte. Ehe mir die Lider erneut zufallen konnten, hob ich ab.

„Hey, Mom. Wie schön, dass du nach dem Nachtdienst anrufst“, brummte ich mit einer Mischung aus Unverständnis, todmüde und vor allem angepisst in den Hörer. Schulden hin oder her. Ich hatte einen verantwortungsvollen Job und musste fit für die kommende Nacht sein, was in zirka acht Stunden der Fall war.

„Charlize! Es. Ist. Ein. Notfall!“, keuchte meine Mom aufgebracht.

Ich hasste es, wenn sie mich bei meinem richtigen Namen nannte und wenn sie übertrieb. Im Augenblick traf beides zu, und zu allem Übel hatte ich erst knapp drei Stunden geschlafen, was sich nicht unbedingt positiv auf meine Stimmung auswirkte. Ich rollte mit den Augen, was mir gewiss einen tadelnden Blick eingebracht hätte, wenn sie hier gewesen wäre.

„Du kennst die Nummer des Notrufs. Es geht doch nicht wirklich um Leben oder Tod?“, versuchte ich, sie herunterzubringen.

„Es ist kein medizinischer Notfall, Charlize.“

Als ob ich es nicht gewusst hätte.

„Was für ein Notfall ist es dann?“, hakte ich, begleitet von einem Seufzen, nach.

„Du musst eine Wohnungsbesichtigung für mich übernehmen!“

Okay. Nun war ich hellwach. Meine Mutter liebte ihren Job! Sie würde sich eher den rechten Arm abhacken, als einen Termin zu verpassen.

„Was ist passiert?“, erkundigte ich mich, während ich bereits die Beine über die Bettkante hievte.

„Ähm, ich erzählte dir doch von diesem kleinen Laden, in dem ich neulich eine sündhaft teure, irre gut riechende Gesichtscreme gekauft habe. Meine Haut war weich wie der Hintern eines Babys, Charlize!“

„Aber?“, bohrte ich nach, denn umsonst hätte meine Mutter nicht davon angefangen.

„Offenbar bin ich allergisch auf irgendeinen Inhaltsstoff“, murmelte sie so leise in den Hörer, dass ich sie fast nicht verstand.

„Geht das auch ein bisschen präziser?“

Das Schnauben, das sie auf der anderen Seite der Leitung ausstieß, landete als Knistern in meinem Ohr. „Ist es genau genug, wenn ich dir sage, dass mein Gesicht aussieht wie ein Streuselkuchen?“, seufzte meine Mom herzerweichend.

Oh Gott. Meine Mutter war immer auf der Suche nach der Wundercreme, die sie durch einmaliges Auftragen zehn Jahre jünger aussehen ließ. Dementsprechend experimentierfreudig war sie.

„Hast du Cortison-Creme zuhause?“

„Nein, dein Vater ist aber bereits unterwegs zur Apotheke.“

Mein Dad war unterwegs? Dann musste es wirklich schlimm sein, denn er verließ das MIT nur, um zu schlafen oder zu essen.

„Doch selbst, falls er innerhalb der nächsten Minuten zurück sein sollte, so kann ich unmöglich in einer Stunde diese Besichtigung machen. Sieht dieser Kunde mich so, rennt er schreiend davon, Charlize!“

Meiner Mutter konnte man vielleicht vorwerfen, dass sie zu Übertreibungen neigte. Allerdings wusste ich auch, dass sie ihren Beruf abgöttisch liebte und mich niemals um so einen Gefallen bitten würde, wenn sie eine andere Möglichkeit gesehen hätte.

„Okay. Wo muss ich hin?“, bat ich um die Adresse und schleppte meine müden Glieder in das kleine Badezimmer meiner Zweizimmerwohnung.

Aus dem Spiegel starrte mich eine Vogelscheuche an, die sich mein Gesicht ausgeliehen hatte.

„Ich maile dir alles Notwendige. Robert wartet an der Immobilie, um dir den Schlüssel zu geben“, verfiel meine Mom sofort in den Profi-Maklerinnen-Modus.

Apropos Robert.

„Warum kann dein Assistent diese Besichtigung nicht übernehmen?“, fragte ich, während ich sehnsüchtig zu meinem Bett blickte.

„Charlize, ich bitte dich! Robert mag für gewisse Dinge ein Händchen haben, aber bestimmt nicht, um einem jungen Mann eine Wohnung schmackhaft zu machen“, wandte meine Mutter bestürzt ein.

Man könnte glauben, ich hätte ihr vorgeschlagen, Godzilla ihren Job erledigen zu lassen.

„Schon gut, ich gehe ja!“, seufzte ich und ergab mich endgültig meinem Schicksal. Mit ein bisschen Glück war ich in etwa zwei Stunden wieder zuhause, um zumindest noch einen Teil meines versäumten Schlafs nachzuholen, ehe ich zurück in die Klinik musste.

„Dafür schreibe ich dir fünfhundert Dollar gut, Darling. Du bekommst gleich eine Mail“, trällerte Mom in den Hörer und beendete das Gespräch, ehe ich etwas erwidern konnte.

Fünfhundert Dollar weniger, die ich ihr zurückzahlen musste. Immerhin. Meine Eltern hatten mir mein Medizinstudium finanziert, worüber ich wirklich dankbar war. Viele Kommilitonen hatten dieses Privileg nicht gehabt. Sie waren gezwungen gewesen, sich mit mehreren und oftmals ziemlich erniedrigenden Jobs durchzuschlagen, während ich mich dank der familiären finanziellen Unterstützung ausschließlich auf mein Studium hatte konzentrieren können.

Seufzend legte ich das Handy auf die Ablage unter dem Badezimmerspiegel, der wie durch ein Wunder bei meinem Vogelscheuchen-Anblick nicht zerbrochen war. Dann drehte ich den Wasserhahn auf, bis das Wasser eiskalt war, ließ meine aneinandergelegten Handflächen volllaufen, ehe ich mir das kalte Nass ins Gesicht klatschte, um irgendwie wach zu werden. Trotzdem war ich kurz davor, vor dem Waschbecken einzuschlafen, als mir ein sanftes Pling verriet, dass ich eine E-Mail erhalten hatte. Ich trocknete rasch meine Hände ab und rief die angefügte Datei auf, die mir Mom geschickt hatte. Es war das Exposé einer traumhaften, neu renovierten Luxuswohnung in der besten Gegend Bostons. Der monatliche Mietpreis überstieg mein Gehalt um ein Vielfaches. Daher war es nicht verwunderlich, dass meine Mom so erpicht darauf war, diese Immobilie an den Mann zu bringen. Falls ich es schaffte, den Interessenten davon zu überzeugen, diese Wohnung zu mieten, winkte meiner Mutter eine ordentliche Provision. Ich gab die Adresse in die Navigations-App ein, und erkannte, dass ich nur noch Zeit für eine schnelle Dusche und einen Energydrink hatte, um mich irgendwie in einen Wachzustand zu versetzen.

Vier Minuten vor dem Besichtigungstermin stieg ich aus dem Taxi. Robert, Moms Assistent, wartete schon vor der Eingangstür auf mich. Schweißtropfen perlten von seiner Stirn, als er auf mich zugelaufen kam. Robert war ein netter und intelligenter Kerl, doch seine Vorliebe für atmungsinaktive Polyesterkleidung war ein offenbar unabänderlicher Zustand. Er reckte mir seine schweißfeuchte Hand entgegen, die ich zögerlich und nur so lange wie nötig schüttelte, um nicht unfreundlich oder gar arrogant zu wirken. In der Klinik riet man uns aufgrund der Keimbelastung davon ab, Patienten überhaupt die Hand zu schütteln, was mir dem Anschein nach langsam in Fleisch und Blut überging.

„Donna hat mir schon Bescheid gegeben. Dumme Sache mit der Creme. Oben ist alles bereit. Das ist eine Hammer-Bude, Charlie“, informierte mich Robert.

Er mochte ein wenig seltsam sein, aber er war verlässlich, freundlich und ihm entfiel nicht ständig, dass ich meinen richtigen Namen hasste und lieber mit Charlie angesprochen werden wollte.

„Danke, Robert“, erwiderte ich und betrachtete den Schlüssel, der nun auf meiner Handfläche lag. Auf dem Weg hierher hatte ich versucht, sämtliche Fakten, die ich dem Exposé entnehmen konnte, zu verinnerlichen. Gut vorbereitet war gewiss etwas anderes, doch in der Kürze der Zeit war einfach nicht mehr drin. Zudem war ich Ärztin und keine Maklerin.

„Ich … ich geh dann mal. Mr. Hawkins kommt vermutlich gleich.“

„Danke für alles, Robert“, rief ich ihm hinterher und wackelte mit dem Wohnungsschlüssel.

Nachdem Moms Mitarbeiter um die Ecke verschwunden war, musterte ich die Straße zu beiden Seiten, um nach dem Interessenten für die Wohnung Ausschau zu halten. Wer in der Lage war, sich eine derartige Bleibe zu leisten, kam höchstwahrscheinlich im Anzug und in einem funkelnden Neuwagen an. Hoffentlich war der Kunde kein eingebildeter Schnösel, der an allem herumnörgelte und dem nichts gut genug war.

Als zehn Minuten später immer noch kein Mr. Hawkins zu sehen war, wurde ich langsam nervös. Ich fischte mein Smartphone hervor, um die Mail meiner Mutter erneut zu kontrollieren. Hatte ich etwas falsch verstanden? Aber dann wäre Robert nicht hier gewesen! Nein. Die Daten stimmten.

„Sie müssen Mrs. Jefferson sein“, erklang plötzlich eine tiefe und ein wenig außer Atem klingende Stimme hinter mir.

Mhhh, sexy. Ich ließ das Handy zurück in die Tasche fallen, kleisterte mir ein Lächeln ins Gesicht und drehte mich um. Mein Lächeln verwandelte sich innerhalb eines Sekundenbruchteils zu einer verblüfften Miene.

Oh.

Mein.

Gott.

Das musste ein Scherz sein! War ich im Stehen eingeschlafen und träumte?

„Und Sie … Sie sind nicht Mr. Hawkins“, stammelte ich dümmlich. „Sie sind Mr. Hopkins.“

Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb und ich hatte Mühe damit, normal weiter zu atmen. Vor mir stand Blaine Hopkins, Defensivspezialist der Boston Razors, der Mannschaft, die ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr vergötterte. Als hätte das nicht ausgereicht, um mich total aus der Fassung zu bringen, sah Hopkins auch noch umwerfend aus. Umwerfender als auf jeder Player-Card, die ich sorgfältig in einem Album sammelte. Das schwarze Haar hing ihm bis knapp unterhalb seiner markanten Wangenknochen ins Gesicht und seine grauen Augen musterten mich interessiert. Als sich ein Grinsen auf seine geschwungenen Lippen legte, entblößte er eine Reihe ebenmäßiger Zähne. Es war nicht völlig auszuschließen, dass das ein oder andere Original im Lauf seiner Eishockey-Karriere hatte ersetzt werden müssen, doch wenn das der Fall war, so hatte Hopkins‘ Zahnarzt wirklich hervorragende Arbeit geleistet.

Blaine Hopkins stellte in seinen dunklen Jeans, dem aufgeknöpften schwarz-rot karierten Hemd und dem weißen T-Shirt, das er darunter trug, das komplette Gegenteil von dem dar, was ich erwartet hatte. Aufgrund der Preislage hatte ich angenommen, dass sich ein gut betuchter Anzugträger für die Immobilie interessierte, allerdings hatte ich damit vollkommen falsch gelegen, denn auch als Spieler der Razors konnte man sich die Wohnung leisten. Wie man hörte, verdienten die Rookies, wie die Liga-Neulinge genannt wurden, bereits im ersten Jahr fast eine Million pro Saison und Hopkins zählte längst zu den erfahrenen Spielern. Jedoch schien er nicht der Typ zu sein, der seinen Kontostand anhand völlig überteuerter Klamotten heraushängen ließ. Das gefiel mir.

„Richtig, Mrs. Jefferson“, bestätigte er gedehnt und das raue Timbre seiner Stimme katapultierte mich an den Rand einer Ohnmacht.

Himmel! Das musste man sich vor Augen halten! Ich hatte Medizin studiert und war bisher mit offenen Brüchen, blutenden Wunden und so ziemlich allen Arten von Körperflüssigkeiten konfrontiert worden. Trotzdem klappte ich beinahe wie ein Teenager zusammen, weil ich einem Spieler meiner Lieblingsmannschaft leibhaftig gegenüberstand.

„Ich bin Charlie Jefferson. Sie hatten den Besichtigungstermin ursprünglich mit meiner Mutter vereinbart, doch ihr kam leider die Gesundheit dazwischen“, informierte ich ihn und überlegte, ob es inzwischen zu spät war, ihm die Hand zu geben.

Besser spät als nie, oder?

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, meinte ich und reckte meinem Gegenüber die Hand hin.

„Mich ebenfalls“, antwortete Hopkins mit einem Augenzwinkern und schüttelte mir die Hand.

Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wangen, um zu verhindern, dass ich laut nach Luft japste, als er mich berührte. Verdammt! Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, wie sehr ich vor Nervosität zitterte. Die Berührung war nur kurz gewesen, was allerdings nichts daran änderte, dass sie mir bis ins Mark reichte.

„Oh, ich hoffe, nichts Schlimmes.“ Hopkins strich sich mit einer lässigen Geste die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, die sofort wieder zurückfielen.

„Nein, nein. Keine Sorge“, versicherte ich und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, während ich in Gedanken bereits ein Dankschreiben an den Hersteller dieser Gesichtscreme verfasste. Wäre Mom nicht auf irgendeinen Inhaltsstoff allergisch, so stünde ich nun nicht hier. Und mal ehrlich? Wer benötigte schon Schlaf, wenn er einem Razor ein Appartement zeigen durfte? Oh Gott, falls er diese Wohnung wirklich nahm, so kannte ich seine Adresse! Über die ich zwar Stillschweigen bewahren musste, aber immerhin!

„Richten Sie ihr bitte aus, dass ich ihr gute Besserung wünsche“, meinte Hopkins, was meinen Puls beschleunigte.

Er hatte sich für sein Zuspätkommen entschuldigt, mir die Hand geschüttelt und mir währenddessen in die Augen statt in den Ausschnitt gesehen. Und nun gab es on top noch Genesungswünsche an meine Mutter, die er gar nicht kannte! Innerhalb einer Minute hatte Blaine Hopkins sich damit an die Spitze meiner Traummann-Liste katapultiert. Er schleppte einen Berg Sex-Appeal mit sich herum und besaß zudem Manieren.

Meine Freundin und Kollegin Kylie stand auf finstere Typen, deren Egos so groß waren, dass sie kaum in die Sportwagen passten, mit denen sie herumfuhren. Diese Kerle fand man in jeder zweiten Bar zuhauf. Für einen gewissen Zeitvertreib mochte das in Ordnung sein, doch meiner Meinung nach ging nichts über einen Mann, dem die grundlegenden Umgangsformen bekannt waren und der sich nicht scheute, diese anzuwenden. Was das betraf, teilte ich ausnahmsweise die Sichtweise meiner Mom, selbst wenn ich sonst eher die Rolle des schwarzen Schafes zugeteilt bekam. Denn fatalerweise war ich mit dreiundzwanzig nicht schon verlobt gewesen, wie meine jüngere Schwester Jessica, die zu Moms Ärger darauf bestand, Jessie genannt zu werden. Und ich war auch nicht so erfolgreich wie mein Bruder Nicolas, der mit vierundzwanzig Jahren CEO einer Softwarefirma war, die er bereits während seines Studiums am MIT gegründet hatte.

„Danke, sie wird sich bestimmt über Ihre Genesungswünsche freuen“, erwiderte ich etwas steif, was Mr. Hopkins mit einem Lächeln beantwortete.

Es gab nur eine Chance für den ersten Eindruck und meiner von Blaine Hopkins war bisher durchweg positiv. Durch meine Arbeit in der Privatklinik, wo sich der Großteil von Bostons Sportlern behandeln ließ, hatte ich des öfteren Kontakt mit dieser besonderen Spezies Patient. Manche waren – das ließ sich nicht anders ausdrücken – verzogene, überbezahlte Gören, doch dazu konnte ich Blaine Hopkins unmöglich zählen.

„Wollen wir?“, fragte ich und zeigte in Richtung Hauseingang.

„Nach Ihnen“, entschied er und folgte mir.

Nachdem ich aufgesperrt und ihn in den Aufzug geführt hatte, begann ich, die Fakten der Wohnung herunterzurattern. Ich wollte nicht in die Versuchung geraten, ihn sabbernd anzustarren oder ihn um ein Autogramm auf meinen Arm, Dekolleté, Bauch oder gar Hintern zu bitten. Irgendwie musste ich mein inneres Boston-Razors-Fangirl in den Griff bekommen. Auf der Stelle!

„Das Gebäude wurde neunzehnhundertvierundsiebzig erbaut, aber vergangenes Jahr kernsaniert. Es beherbergt insgesamt zwanzig Parteien, die sich über fünf Stockwerke verteilen. Auf ihrer potentiellen Etage gibt es zwei weitere Appartements, die bereits vermietet sind. Um die Reinigung, anfallende Wartungen oder Reparaturen kümmert sich eine Firma, sodass Sie, außer hier zu wohnen und sich wohlzufühlen, nichts tun müssen.“

Hopkins hatte noch immer dieses amüsierte Schmunzeln im Gesicht, wie zu Beginn, als er die Hände in die Hosentaschen geschoben und sich mit überkreuzten Knöcheln an die Wand der Fahrstuhlkabine gelehnt hatte.

„Klingt gut“, meinte er und sorgte mit einem Augenzwinkern fast dafür, dass ich vergaß, ob Englisch oder Suaheli meine Muttersprache war. Ich rechnete mit einer Frage zum Gebäude, doch Hopkins sah mich einfach schweigend an. Sein Blick brannte sich förmlich in meinen Blazer, unter dem ich eine weiße Bluse trug und in der mir plötzlich schrecklich warm wurde.

Als die Türen des Lifts auseinanderglitten, neigte er leicht den Kopf und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich vorgehen sollte. Klar, er wusste schließlich nicht, wo die Wohnung lag.

Auf wackeligen Knien ging ich voraus und war froh, dass Blaine Hopkins sich offenbar für das großzügige Oberlicht zu interessieren schien, welches das Treppenhaus mit Licht flutete. Mit zitternden Fingern fummelte ich den Schlüssel in das Schloss. Als die Tür endlich nachgab, schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel, dass ich mich nicht schon unwiderruflich zur Idiotin gemacht hatte! Beinahe konnte ich die verkniffene Miene und das fassungslose Kopfschütteln meiner Mutter vor meinem geistigen Auge sehen. So ein Mist! Nicht einmal offene Wunden brachten mich derart aus der Fassung, wie die Tatsache, dass sich ein eins zweiundneunzig großer und zweihundertzehn Pfund schwerer Eishockeyspieler knapp einen Meter hinter mir befand! Hoffentlich platzte mir nicht heraus, dass ich beeindruckt von seiner bisherigen Plus-Minus-Statistik war und es meiner Meinung nach im letzten Spiel auf keinen Fall ein Stockschlag gewesen war, für den ihn der Schiedsrichter auf die Strafbank geschickt hatte. Blaine Hopkins mochte ein Riese sein, doch er war einer der fairsten Spieler der Liga. Aber klar, irgendwer musste ja die unzähligen Strafminuten ausgleichen, die Jason Coltrane, der Captain der Razors, kassierte.

Erleichtert stellte ich fest, dass Robert sämtliche Lichter angeschaltet hatte, was mir die peinliche Sucherei nach den Lichtschaltern ersparte.

„Die Wohnung bietet zweihundertfünfundzwanzig Quadratmeter, verteilt auf vier Zimmer. Das Größte befindet sich gleich hier vorn“, startete ich meine Führung und ging den Flur entlang durch den großen Rundbogen, der den Zugang zum Wohn- und Essbereich darstellte.

„Die durchgehende Fensterfront garantiert bei Nacht eine spektakuläre Aussicht auf Boston. Aber seien Sie unbesorgt, es handelt sich um verspiegeltes Isolierglas, das sowohl Lärm, als auch fremde Blicke draußen hält“, pries ich den Vorzug des Zimmers an und begab mich zur Mitte des Raumes. Ich ratterte Deckenhöhe, Quadratmeteranzahl und mögliche Nutzung herunter. Da Hopkins offenbar keine Fragen hatte, ging ich direkt hinüber in die neu eingebaute Küche.

„Die Küche ist im Mietpreis enthalten“, fuhr ich fort und begann, den nagelneuen Herd, den Dampfgarer und den Kühlschrank zu öffnen, damit er sich von der Erstklassigkeit der Elektrogeräte überzeugen konnte.

Hopkins nahm alles nickend zur Kenntnis und schraubte dadurch ungeahnt meine Nervosität auf ein völlig neues Level. Ich spürte Schweißtropfen um Schweißtropfen meinen Rücken hinabwandern, während ich ihm die weiteren Räumlichkeiten zeigte. Er schwieg eisern und je länger die Besichtigung dauerte, umso sicherer war ich mir, dass ich dabei war, total zu versagen. Aber warum? Die Wohnung war ein Traum und für einen Stammspieler der Razors sollte auch die Miete von mehreren tausend Dollar kein Problem darstellen.

„Das hier könnte ein Ankleidezimmer werden“, schlug ich vor und stieß die Tür zum kleinsten und letzten Zimmer auf, das immerhin stolze zwanzig Quadratmeter maß.

Statt einzutreten und sich umzusehen, lehnte Blaine Hopkins sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und sah auf mich herab. Meine Kehle wurde staubtrocken unter seinem intensiven Blick und wie von selbst leckte ich mir über die Lippen. Hopkins folgte der Bewegung meiner Zunge, ehe er mir wieder in die Augen sah. Er beugte sich näher zu mir und raunte: „Sehe ich so aus, als ob ich ein Ankleidezimmer bräuchte?“

Perplex ließ ich den Blick an ihm hinabwandern. Verflucht, nein! Er war vermutlich eher einer der Typen, der das Gepäck für einen zweiwöchigen Urlaub in einen Minirucksack steckte. Doch das konnte ich ihm schlecht so direkt ins Gesicht sagen. Ich schluckte angestrengt, weil ich meinen Fuß bereits gefährlich tief über dem Fettnäpfchen schweben sah, in das ich zu treten drohte.

„Na ja, Sie vielleicht nicht, möglicherweise aber Ihre Freundin oder Lebensgefährtin“, presste ich hervor, während meine Wangen sekündlich wärmer wurden.

Ich bewegte mich gerade auf sehr dünnem Eis, denn ich hatte keinen blassen Schimmer, ob Hopkins in einer Beziehung war oder nicht. Mein Gegenüber stieß ein heiseres Lachen aus und sah kurz zur Seite, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich lenkte.

„Keine Freundin. Keine Lebensgefährtin. Kein Ankleidezimmer. Einen Fitnessraum könnte ich mir noch vorstellen“, begann er, womit er sogleich die Hoffnungen auf einen Abschluss in mir schürte. „Doch leider sehe ich mich hier nicht wohnen.“

Ernüchterung machte sich in mir breit. Allerdings hätte ich kein abgeschlossenes Medizinstudium, wenn ich immer sofort aufgegeben hätte.

„Im Moment ist alles natürlich ein wenig kahl. Donna Jefferson Real Estate hat jedoch eine Kooperation mit einem hervorragenden Innenausstatter. Ich kann Ihnen die Nummer zukommen lassen“, schlug ich vor.

Erwartungsvoll beobachtete ich, wie Blaine Hopkins seine Lippen aufeinanderpresste.

„Nicht einmal der Innenausstatter wird etwas daran ändern, dass das hier nicht meinem Geschmack entspricht. Die Wohnung ist schön, keine Frage. Doch sie ist nicht meine Wohnung. Der Funke sprang einfach nicht über“, erklärte er und ich bewunderte ihn für seine Aufrichtigkeit, der ich nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

In den Semesterferien hatte ich hin und wieder bei meiner Mom gejobbt und ihr währenddessen über die Schulter schauen können. Daher kannte ich einige Tricks und Kniffe, die sie gern nutzte, um einen Interessenten umzustimmen, aber ich wusste instinktiv, dass es sinnlos war, Blaine Hopkins eine Vergünstigung des Mietpreises oder einen Nachlass bei der Kaution anzubieten. Anhand des Baumwollhemdes, der Jeans und der Arbeiter-Boots hätte es mir eigentlich sofort auffallen müssen, dass das die falsche Wohnung für ihn war. In diesem Appartement war alles neu, glattpoliert, kühl und modern, sodass Hopkins hier ebenso gut reinpasste, wie ein Löwe in einen Streichelzoo. Ich nickte.

„Mein Geschmack ist eher etwas rustikaler“, fuhr er fort, woraufhin ich erneut den Blick an ihm hinabwandern ließ.

Teufelnocheins! Blaine Hopkins war wirklich ein optischer Leckerbissen! Ich könnte ihn den ganzen Tag ansehen, ohne mich dabei zu langweilen.

„Verstehe“, erwiderte ich, während ich fieberhaft überlegte, was ich nun tun sollte.

Genau genommen war meine Arbeit erledigt, allerdings sträubte sich irgendwas in mir, die Besichtigung bereits zu beenden. In der Klinik war nie Gelegenheit für private Gespräche und zudem wurde das von der Klinikleitung nicht gern gesehen. Beziehungen zwischen dem medizinischen Personal und Patienten waren sogar vertraglich untersagt.

Doch an sowas dachte ich überhaupt nicht! Ich wollte einfach die Möglichkeit nutzen, Zeit mit einem Razor unter vier Augen zu verbringen. Das kleine Detail, dass wir die gleiche Luft atmeten, brachte mein Fangirl-Herz zum Flattern. Hopkins schien völlig frei von irgendwelchen Allüren zu sein und das sorgte dafür, dass ich mich unglaublich wohl in seiner Gesellschaft fühlte. Dazu war er natürlich auch noch ganz nett anzusehen. Welche Frau mit zwei gesunden Augen im Kopf war da schon in der Lage, zu widerstehen?

Logisch betrachtet hielt uns nichts mehr in der Wohnung, aber weder Hopkins noch ich hatten uns bisher von der Stelle bewegt.

„Heute ist trainingsfrei, deswegen habe ich ausnahmsweise keine anderweitigen Termine mehr. Gibt es vielleicht ein zweites Appartement, das Sie mir zeigen können?“, fragte er, ohne seinen Blick von mir zu lösen.

„Da muss ich mal kurz telefonieren“, antwortete ich heiser, denn Hopkins‘ Nähe stellte seltsame Dinge mit meinem Sprachzentrum an.

Ich war keine Maklerin, ich war Ärztin und sollte mich eigentlich in meinem Bett befinden, damit ich ausreichend ausgeschlafen war, um den anstehenden Nachtdienst zu stemmen. Allerdings wollte ich mir die Chance, ein wenig Extra-Zeit mit einem Spieler meiner Lieblingsmannschaft zu verbringen, nicht entgehen lassen! Möglicherweise taute die Stimmung zwischen uns noch so weit auf, dass wir ein bisschen über die vergangenen Begegnungen sprechen konnten oder ich einen kleinen Eindruck vom privaten Blaine Hopkins bekam.

„Tun Sie das“, entgegnete er wieder mit dieser rauen Stimme, die sich als warmer Knoten in meinem Bauch festsetzte und langsam südwärts wanderte. Heilige!

„Sie können sich in der Zwischenzeit gern umsehen. Vielleicht funkt es noch“, bot ich ihm an und schickte ein Lächeln hinterher, das vermutlich genauso zittrig war, wie sich meine Knie soeben anfühlten.

Um ein vernünftiges Gespräch mit meiner Mutter führen zu können, brauchte ich Abstand von ihm, deswegen ging ich schnell hinüber in die Küche.

Mom hob nach nur einem Läuten ab.

„Und?!“, keuchte sie in den Hörer.

Ich sammelte mich und sagte dann: „Sie gefällt ihm nicht.“

„Was?!“, schlug es mir prompt entgegen. Sie klang, als ob sie mir nicht glauben würde, aber für eine nähere Ausführung der Gründe war keine Zeit. Das musste ich gegebenenfalls später nachholen.

„Hast du eine andere Wohnung, die passen könnte? Er hätte gerne etwas Rustikaleres.“

Ich hörte meine Mutter tief Luft holen und wieder ausatmen. Sie hatte sich auf die Fahne geschrieben, dass sie für jeden die passende Immobilie fand und dass Hopkins diese Traumwohnung ablehnte, weckte ihren Ehrgeiz.

„Möglicherweise habe ich da was. Du erhältst in zwei Minuten eine E-Mail von mir, Darling.“

Mit diesen Worten legte sie auf, während ich meine Lider schloss und versuchte, meine Aufregung in den Griff zu bekommen. Mit ein wenig Glück durfte ich noch etwas mehr Zeit mit Blaine Hopkins verbringen.

Kapitel 2

Der Duft seines Eau de Toilette breitete sich zwischen uns aus, während sich Blaine Hopkins einen Weg durch die verstopften Straßen von Boston bahnte. Oder besser gesagt, er probierte es. Seit etwa fünf Minuten, die ich im Geiste schon von meiner Schlafzeit abzog, standen wir an ein und derselben Stelle. Um uns herum erklang wütendes Hupen, allerdings schien Hopkins die Verkehrssituation kein bisschen zu stören. Er trommelte mit den Fingern zum Takt des Liedes, das im Radio gespielt wurde, und wippte dabei auch noch fröhlich mit dem Fuß.

Nachdem die Mail mit den Eckdaten der anderen Wohnung eingetroffen war, hatte ich ihm vorgeschlagen, ein Taxi für uns zu bestellen. Jedoch bestand Hopkins hartnäckig darauf, dass wir mit seinem Wagen dorthin fuhren, sodass ich schließlich eingewilligt hatte.

Ich hatte mit den unterschiedlichsten Fahrzeugen gerechnet. Oldtimer, Sportwagen, ein europäisches Importfahrzeug, ein riesiger Jeep, doch niemals mit dem roten Pick-up, der die besten Jahre bereits hinter sich hatte. Seltsamerweise passte dieses Auto tausendmal besser zu Blaine Hopkins, als alle, die ich erwartet hatte. Ebenso wenig hatte ich gedacht, dass er mir galant die Tür aufhalten und mir sogar seine Hand als Hilfe beim Einsteigen anbieten würde. Dieses Angebot hatte ich mir natürlich nicht entgehen lassen, auch wenn die Berührung meinen Puls in besorgniserregende Höhen katapultiert hatte.

Um ihn nicht ständig anzustarren, lernte ich die spärlichen Fakten der Wohnung auswendig. Das Objekt befand sich erst seit gestern in der Kartei meiner Mutter, daher waren bisher nur die wichtigsten Daten, wie Mietpreis, die Zugangscodes und Quadratmeteranzahl eingepflegt worden. Und der Haken, über den ich Blaine Hopkins irgendwie aufklären musste. Nachdenklich sah ich aus dem Fenster.

Neben uns stand ein dunkelblauer Kleinwagen, in dem ein Mann saß, der offenbar jeden Moment aus der Haut fahren würde. Er hupte, gestikulierte und schimpfte wie verrückt, was jedoch auch nicht dafür sorgte, dass wir schneller vorankamen.

„Heilige, falls der Kerl so weitermacht, hat er gleich einen Herzstillstand und ich muss ihn an Ort und Stelle reanimieren“, rutschte es aus mir heraus, woraufhin ich in den Genuss von Blaine Hopkins‘ Lachen kam.

Dieses Geräusch bescherte mir eine wohlige Gänsehaut und weil ich ahnte, dass es mich völlig den Verstand kosten würde, wenn ich nun zu ihm hinübersah, starrte ich stur aus der Seitenscheibe. Der Fahrer des Kleinwagens hatte inzwischen ein Handy hervorgeholt und tippte wild auf dem Display herum. Plötzlich stellten sich meine Nackenhaare auf, als ich bemerkte, wie Hopkins‘ Atem auf die Haut an meinem Hals traf. Durch die Spiegelung in der Scheibe erkannte ich, dass er sich zu mir herübergebeugt hatte. Vermutlich wollte er einen Blick auf unseren Stau-Nachbarn werfen und hatte offenbar keine Ahnung, was er mir damit antat.

„Könnest du das denn? Ihn reanimieren?“, fragte er und versetzte dabei mit seinem dunklen Timbre nicht nur mein Trommelfell in Schwung.

Seine Nähe und die Tatsache, dass er mich eben geduzt hatte, wirkten wie eine Kernschmelze auf mein Gehirn.

„Ähm, klar. Ich bin Ärztin“, brachte ich verzögert hervor, nachdem Hopkins sich wieder ein wenig zurückgezogen hatte.

Ich spürte, dass er mich musterte, fasste all meinen Mut zusammen und sah zu ihm hinüber. Oftmals wurde ich für jünger gehalten als die siebenundzwanzig Jahre, die ich ihn Wirklichkeit war, deswegen überraschte mich sein verwunderter Blick nicht.

„Ärztin, mit Nebenjob Maklerin? Dein Boss muss dich grottenschlecht bezahlen“, witzelte er und schenke mir ein hinreißendes Grinsen, das ich spontan erwiderte.

„Vielleicht sollten Sie das zur Sprache bringen, wenn Sie das nächste Mal auf der Behandlungsliege Platz nehmen“, schlug ich vor, weil ich ihm irgendwie mitteilen wollte, dass ich in der renommierten Knight-Klinik arbeitete.

Blaine Hopkins schluckte den Köder sofort. Seine Brauen bewegten sich aufeinander zu, als er fragte: „Du arbeitest in der Klinik, die die Razors betreut?“

Ich nickte.

„Zusammen mit Doc Robinson?“

Ian Robinson war einer der Sportmediziner. Genauer gesagt war er sogar der Beste, den das Krankenhaus beschäftigte, sodass er das Privileg genoss, der erste Ansprechpartner für alle Profisportler zu sein. Robinson war sozusagen der Superstar unter den Klinikärzten und ich bewunderte ihn für seine enorme Fachkenntnis. Für Robinsons Privatleben galt jedoch das Gegenteil, denn sein exorbitanter Frauenverschleiß gefiel mir überhaupt nicht. Was dies betraf, musste ich mir allerdings keine Sorgen machen. Mit meinen rotblonden Haaren und den Sommersprossen auf Nase und Wangen fiel ich nicht in sein Beuteschema.

„Indirekt. Ich bin auch in der Knight-Klinik angestellt. Doch um Ihre Frage zu beantworten: Es ist eine Ausnahme, dass ich meiner Mutter heute aushelfe.“

Hopkins‘ Grinsen verschwand.

„Wie hoch stehen die Chancen, dass ich auf deinem Behandlungstisch lande, wenn ich mich verletze?“

Mein Herz rutschte einige Stockwerke tiefer, ehe es wieder an seinen Platz katapultiert wurde. Was wollte er damit sagen? Etwa, dass er mich wiedersehen wollte? Mein Verstand weigerte sich, das zu verarbeiten. Träumte ich möglicherweise? Führten wir diese Unterhaltung gar nicht, weil ich stattdessen aufgrund des Schlafmangels mit der Wange an der Seitenscheibe klebte, während ein Speichelfaden aus meinem Mundwinkel lief? Nein. Dazu befand sich Blaine Hopkins viel zu klar und deutlich vor meinen Augen. Das konnte ich mir unmöglich herbeifantasieren.

Ich bemerkte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle breitmachte, und schaffte es schließlich, meinen Blick von ihm zu lösen. Was auch immer den Stau verursacht hatte, schien verschwunden zu sein, denn die Wagen vor uns rollten langsam an. Ich räusperte mich, ehe ich sagte: „Ihrem Team und natürlich Ihnen selbst zuliebe wäre es gut, wenn Sie sich nicht verletzen. Aktuell bin ich nämlich in der Notaufnahme eingesetzt. Da wollen Sie nicht landen, glauben Sie mir.“

Die Knight-Klinik war als Privatklinik bekannt. Diese stellte den Großteil der Einrichtung dar, doch dort wurde ebenfalls eine Notaufnahme betrieben, um ein möglichst breites Spektrum an medizinischen Leistungen anzubieten. Hopkins‘ Grinsen kehrte zurück, während wir uns endlich wieder vorwärtsbewegten.

„Bisher sah ich die Klinik nur als Besucher von innen. Ich bin seit drei Jahren verletzungsfrei und hoffe, dass das noch lange so bleibt“, verkündete Hopkins.

Kurzum: Blaine Hopkins war in den zwei Spielzeiten bei den Denver Crashers und seitdem er für die Razors spielte, nie verletzt gewesen. Das wiederum bedeutete, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach kein Patient der Knight-Klinik war. Mein Herz klopfte schneller, als mir diese Tatsache bewusstwurde.

„Das hoffe ich auch. Die Razors haben zwar dieses Jahr im Angriff aufgerüstet, aber das besagt nicht, dass man die Defensive außer Acht lassen darf“, platzte ich nun doch mit meinem Wissen heraus.

„Du kennst dich aus“, stellte er fest.

„Ein wenig“, gab ich zu. Ich musste ihm ja nicht auf die Nase binden, dass ich so gut wie jedes Spiel der Razors gebannt auf dem Bildschirm verfolgte, falls es mein Dienstplan erlaubte.

„Was denkst du über Ridley Wilde?“

„Er ist phänomenal!“, rief ich begeistert, denn der Mittelstürmer, der in der Sommerpause von den Florida Rockets zu den Razors gewechselt war, hatte sich als Torgarant entpuppt. Im Schnitt schoss er zwei Komma vier Tore, was ich mir jedoch verkniff hinzuzufügen.

Hopkins lachte und schüttelte den Kopf.

„Ich richte es ihm aus, wenn ich ihn morgen beim Training treffe.“

„Wirklich? Sie wollen ihm sagen, dass ich ihn für phänomenal halte?“

Mein Chauffeur schürzte die Lippen und setzte eine nachdenkliche Miene auf.

„Du hast Recht. Das werde ich ihm besser verschweigen. Ridleys Ego ist sowieso bereits enorm!“

Ich kicherte. In der Klinik hätte ich so etwas nie gemacht. Aber hier im Innenraum des Pick-ups befanden sich nur Blaine Hopkins und ich.

„Verstehen Sie sich gut? Sie und Ridley Wilde?“, hakte ich nach.

Wenn ich die Möglichkeit hatte, ein paar Insiderinformationen abzugreifen, musste ich das nutzen! Das hatte rein gar nichts mit meinem Job in der Klinik zu tun. Im Moment war ich keine Ärztin, lediglich Donna Jeffersons Tochter. Blaine Hopkins war im Augenblick kein Patient, sondern einfach nur ein Klient, der eine Wohnung suchte. Zudem war gar nicht endgültig geklärt, ob er überhaupt schon einmal zur Behandlung in der Knight-Klinik gewesen war.

Die Knight-Klinik besaß nur das Privileg, die Spieler bei Sportverletzungen zu behandeln. Schnupfen, Kopfschmerzen und alle anderen Wehwehchen übernahmen Ärzte, die sich die Eishockey-Profis selbst aussuchten.

Was ich hier tat, war nur ein Gefallen für meine Mom und somit konnte mir Professor Randall Knight, unser Oberboss, nicht vorwerfen, dass ich mit dieser zwanglosen Plauderei gegen meinen Arbeitsvertrag verstieß.

„Jeder mag Ridley. Er hat so eine Art an sich, die es einem unmöglich macht, ihn nicht zu mögen. Er hat immer einen Spruch auf Lager und ist für sämtlichen Mist zu begeistern. Neulich kam er vor dem Training auf die Idee, den Schläger unseres Goalies mit einem Blümchen-Tape zu versehen!“, erzählte er und lachte in sich hinein.

„Er hat Selenikovs Schläger mit Blümchen-Tape beklebt?“, fragte ich ungläubig.

Selenikov war ein ruhiger, fast stoischer Typ, den ich noch nie eine Gefühlsregung hatte zeigen sehen. Ich bezweifelte, dass ihn Blümchen-Tape aus der Reserve hatte locken können.

„Ja! Ist das zu fassen? Rosa Blümchen-Tape! Ich habe keine Ahnung, wo Ridley das Tape überhaupt bekommen hat! Selenikov hat sich geweigert, auf das Eis zu gehen, ehe der Zeugwart seinen Schläger nicht neu getaped hatte. Der Coach kochte vor Wut, doch die meisten fanden es ziemlich witzig. Sowas ist typisch für Ridley.“

Ich hörte Blaine Hopkins fasziniert zu, als er zu beinahe jedem seiner Teamkameraden eine Anekdote hervorbrachte. Mir fiel auf, dass er über niemanden etwas Negatives ausplauderte, sondern nur die positiven Seiten hervorhob. Sei es die Passgenauigkeit, den besten Musikgeschmack oder einfach das Talent, die leckerste Lasagne zu kochen. War ich am Anfang noch vor Nervosität umgekommen, so entspannte ich mich immer mehr und saugte jede Information wie ein trockener Schwamm auf.

Schließlich parkten wir vor der Wohnung, die in der Nähe des Hafens lag.

„Das Gebäude war früher eine Lagerhalle und wurde kürzlich zu einem Wohnkomplex umfunktioniert. Die Architekten haben hier ein richtiges Juwel geschaffen“, versprach ich Blaine Hopkins, während ich zum Bedienfeld neben der Haustür ging. „Das Haus ist alt, aber es wurde mit der modernsten Technik ausgestattet“, pries ich die Immobilie weiter an und tippte den sechsstelligen Code ein, woraufhin die Tür entriegelt wurde.

„Nett“, kommentierte mein Begleiter, der über mich hinweglangte und mir die Tür aufhielt.

Himmel, der Kerl hatte tatsächlich eine hervorragende Erziehung genossen. Die Frau, die ihn mal abbekam, konnte sich glücklich schätzen. Er war groß, sportlich, attraktiv, humorvoll und ein echter Gentleman. Ich hatte keine Ahnung, wann mir zuletzt von einem Mann die Tür aufgehalten geworden war! Mein letztes Date war mit einem Typen gewesen, der sich am liebsten selbst beweihräuchert hatte. Den ganzen Abend hatte er mich mit Carla angesprochen, obwohl ich ihn mindestens ein dutzend Mal berichtigt hatte. Doch ich machte im Moment allgemein einen Bogen um Dates, damit meine Mutter nicht daran erinnert wurde, dass sie mir eine Verabredung mit Chester Knight, dem Sohn von Professor Randall Knight verschaffen wollte. Bisher war es mir gelungen, mich galant aus der Affäre zu ziehen und die Arbeit vorzuschieben, aber auf Dauer ließ sich Mom damit nicht hinhalten. Zu meinem Leidwesen verkörperte Chester so ziemlich alles, was ich an einem Mann unattraktiv fand. Im Gegensatz zu Blaine Hopkins, der mal wieder viel zu nahe bei mir stand, während ich den Code an der Wohnungstür eingab.

„Die Codes können über den Sicherheitsdienst selbstverständlich geändert werden. Eine Änderung pro Quartal ist jedoch Pflicht“, informierte ich Hopkins über das System, das ich vom Appartement meines Bruders kannte.

„Wie lautet der Code, damit du mich duzt?“, bohrte er nach, ehe ich in die Wohnung schlüpfen konnte.

Sofort begann alles in mir zu prickeln. Ein Spieler meiner Lieblingsmannschaft bot mir das Du an?! Das war wohl ein Traum! Hing ich also doch sabbernd und im Tiefschlaf irgendwo fest?!

„Oh, ähm. Soll ich?“

„Würde ich sonst darum bitten?“

Blaine senkte das Kinn in Richtung Brust und sah mir tief in die Augen. Wie sollte ich da bitteschön nein sagen? Mit dem Ausdruck im Gesicht hätte er mich bitten können, so ein ekliges Fleischkleid anzuziehen, wie Lady Gaga es einmal getan hatte und ich hätte zugestimmt! Das Lächeln, das sich auf meine Züge schlich, wurde immer breiter, bis ich schließlich antwortete: „In Ordnung, dann zeige ich dir nun deine möglicherweise neue Wohnung.“

Es fühlte sich seltsam an, ihn zu duzen und etwas in mir meckerte weiterhin herum, dass ich das besser bleiben lassen sollte. Diese Stimme wurde allerdings schnell von dem Hochgefühl überlagert, dass mir Blaines Angebot und seine Anwesenheit bescherte.

Als ich mit ihm im Schlepptau durch die Tür ging, entwich mir ein „Wow“.

Diese Immobilie war der Wahnsinn! Der Eingangs-, Wohn- und Essbereich sowie die Küche bildeten einen riesigen Raum. Rund um den Wohnbereich spannte sich eine offene Galerie, die zu den oberen Zimmern, einem Schlafzimmer, einem Ankleideraum und einem großen Badezimmer führte, wie ich aus der stichpunktartigen Beschreibung entnommen hatte. Die knapp sieben Meter hohe Decke bestand aus dunklen Eichendielen, die einen Kontrast zum Fußboden aus poliertem Beton darstellte. In den meisten Wohnungen hätte das fehl am Platz gewirkt, aber hier sorgte es für den gewissen Charme. Im Gegensatz zu dem spiegelglatten Boden standen die groben freigelegten Backsteine der Wände und die schwarz gestrichenen, mit allerhand Schnörkeln verzierten, Metallträger, die die Galerie trugen. Die Träger glänzten in neuem Anstrich und es roch schwach nach Farbe. Die bodentiefen Sprossenfenster, die im Abstand von jeweils etwa einem Meter die gesamte Südseite einnahmen, waren sogar noch mit Folie verklebt, weil die Rahmen offenbar ebenfalls kürzlich gestrichen worden waren. Blaine Hopkins sah sich um und stieß einen leisen Pfiff aus, der meine Hoffnung auf einen Vertragsabschluss weckte. Meine Mom würde ausflippen vor Freude, wenn ich diese Wohnung vermittelte!

„Okay“, begann ich, nachdem ich mich wieder halbwegs im Griff hatte. „Die Immobilie erstreckt sich über zwei Etagen und hat einhundertachtzig Quadratmeter. Das ist zwar weniger als bei der Ersten, doch ich denke, Platzangst musst du deswegen nicht bekommen“, streute ich einen Witz ein, um die Stimmung ein bisschen aufzulockern.

„Platzangst? Ich habe eher Angst, mich zu verlaufen“, stellte Blaine schmunzelnd klar, was für meinen Magen allem Anschein nach das Zeichen für einen doppelten Überschlag war.

Ohne Zweifel fand ich ihn anziehend, aber im Augenblick konnte ich schwer sagen, ob das an meiner Verehrung für die Razors lag, oder ob tatsächlich er zu einhundert Prozent die Ursache war.

„Dann führe ich dich besser schnell herum“, bot ich an und lief in die Mitte des Wohnzimmers. „Der untere Teil misst etwa einhundertzehn Quadratmeter. Die Immobilie kam erst ganz frisch herein, daher wurde sie bislang nicht genau vermessen. Ein entsprechendes Exposé schickt dir meine Mutter gewiss gerne zu, solltest du Interesse haben.“

„Das heißt, oben bleiben ungefähr siebzig Quadratmeter für Schlaf-, Ankleide- und Badezimmer?“

Der Schlafmangel machte sich langsam bemerkbar, deshalb brauchte ich einen Moment, um diese simple Rechenaufgabe zu lösen.

„Korrekt“, stieß ich schließlich hervor. „Der einzige abgetrennte Raum im Untergeschoss ist ein kleines Badezimmer, das mit einer Toilette, einem Waschbecken und einer ebenerdigen Dusche ausgestattet ist.“

Blaine hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und schlenderte auf mich zu. Statt die – wirklich beeindruckende – Wohnung anzusehen, war sein Blick ausschließlich auf mich gerichtet. Einen Meter vor mir blieb er stehen. Ich musste den Kopf leicht in den Nacken legen, um ihm nicht geradewegs auf seine breite Brust zu starren, die äußerst ansehnlich war! Am liebsten hätte ich geseufzt. So musste ein Mann gebaut sein, nicht wie Chester, das Professorensöhnchen, an dessen Seite mich meine Mutter unbedingt sehen wollte. Chester war ein blasser, schlaksiger Typ. Er war für die Abrechnungen der Klinik zuständig, weshalb er den ganzen Tag vor dem Computer saß. Dass er sich seine Kurzsichtigkeit nicht eingestand, sorgte dafür, dass er mit der Nase fast am Bildschirm klebte. Das wiederum hatte ihm eine grauenhafte, gebeugte Körperhaltung beschert, die ihn über kurz oder lang zum Dauergast in der Orthopädie und der Physiotherapie machen würde. Genauer gesagt: Chester Knight war das komplette Gegenteil von Blaine Hopkins, der vor Vitalität nur so strotzte.

„Ich habe also zwei Badezimmer?“, hakte Blaine nach, ohne mich dabei auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen.

„Richtig“, bestätigte ich heiser und schluckte gegen den Kloß in meiner Kehle an, der sich sekündlich vergrößerte.

„Purer Luxus“, raunte er mir entgegen, wandte sich ab und ging zu einem der großen Fenster hinüber.

So leise wie möglich atmete ich die Luft aus, die ich angehalten hatte, und sah Blaine hinterher. Er war vor dem Fenster stehengeblieben und hatte die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans geschoben, was seinen Po exzellent zur Geltung brachte.

„Wie meinst du das? Ist das gut oder schlecht?“, fragte ich und starrte auf seinen Hinterkopf, ehe ich wegen seiner Kehrseite noch die Fassung verlor und mir ein verträumtes Seufzen über die Lippen kam. Die breiten Schultern zuckten.

„Es ist überflüssig, findest du nicht?“

Ich zog die Brauen in die Höhe. Bisher hatte ich nie davon gehört, dass sich ein Interessent bei meiner Mutter beklagt hatte, weil ein Objekt zu viele Badzimmer gehabt hatte.

„Nun, wenn man alleine wohnt, könnte das durchaus etwas überflüssig sein, doch …“, setzte ich an, aber Blaine fiel mir ins Wort.

„Wohnst du denn alleine?“

Mein Herz klopfte prompt schneller. Ich glaubte, zu erahnen, was Blaine mit dieser Frage bezweckte.

„Ja, ich habe eine kleine Wohnung mit zwei Zimmern in Mission Hill.“

„Das war keine Antwort auf meine Frage.“

Damit bestätigte er meine Vermutung. Er wollte auskundschaften, ob ich in festen Händen war.

„Ich lebe allein dort. Dank meiner unregelmäßigen Arbeitszeiten bleibt ohnehin keine Zeit für einen Freund“, plapperte ich ohne nachzudenken heraus. Blaines Ausdruck veränderte sich, was dafür sorgte, dass mir klar wurde, dass ich ihm soeben indirekt einen Korb gegeben hatte. Mist! „Zumindest für keinen, der einen normalen Nine-to-Five-Job hat“, fügte ich rasch hinzu.

Ein wissendes Lächeln umspielte nun seine Mundwinkel und sein Blick ruhte weiterhin auf mir. Ich hatte keine Ahnung, was ich noch sagen sollte und sein Schweigen brachte meine Nervosität auf ein neues Level.

„Sind da nicht die ganzen Krankenhäuser?“, hakte Blaine nach und steuerte auf die Treppe zum Obergeschoss zu. Ich tat es ihm gleich, doch da ich mich näher am Aufgang zum zweiten Stock befand, erreichte ich sie früher, sodass ich vorweggehen musste.

„Richtig. Weil ich da arbeite, war es für mich die optimale Lösung“, antwortete ich, während ich die Stufen nach oben ging.

Was ich verschwieg, war, dass ich ebenso gut in Back Bay im Haus meiner Eltern hätte wohnen bleiben können. Der Weg zur Knight-Klinik wäre nahezu derselbe gewesen. Allerdings hatte ich nach dem Abschluss des Studiums Abstand gebraucht. Mom und Dad hatten das Backsteinhaus, in dem bereits die Großeltern meines Vaters gelebt hatten, inzwischen für sich. Meiner Meinung nach war es für zwei Personen viel zu groß, aber für Einladungen zum Dinner machte es einen guten Eindruck, wenn man die Gäste zu einer Adresse in einer der teuersten Gegenden Bostons bestellte.

„Das heißt, dass ich, falls ich diese Wohnung nehme, durch ganz Boston fahren muss, um dich zu einem Date abzuholen?“

Abrupt blieb ich stehen, drehte mich herum und sah direkt in Blaines silbergraue Augen. Er stand zwei Stufen unter mir, wodurch sich unsere Gesichter auf einer Höhe befanden.

„Ein Date?“, keuchte ich atemlos, während ich Blaines Miene nach einem Hinweis für einen Scherz absuchte. Nein, da war nichts. Alles, was ich erkannte, war eine leichte Röte auf seinen Wangen.

Verlegen rieb er sich den Nacken. „Du musst nicht gleich antworten. Ich kann dir meine Handynummer geben …“

Ich sah, wie sich Blaines Lippen bewegten, hörte aber nicht, was er sagte. Die einzigen Worte, die mein Verstand registrierte, waren ‚Date‘ und ‚Handynummer‘. Noch nie hatte ich eine private Unterhaltung mit einem Spieler der Razors gehabt und nun lud Blaine Hopkins mich zu einem Date ein und bot mir zudem seine Handynummer an! Ein brennender Schmerz schoß über meine Nervenbahnen, als ich die Nägel meiner linken Hand in die empfindliche Unterseite meines rechten Handgelenks grub. Ich träumte also nicht!

Blaine sah mich aufmerksam an, während er auf eine Reaktion wartete. Niemals hätte ich mit so einer Frage gerechnet, deswegen war ich entsprechend unvorbereitet. Wollte ich ein Date mit ihm?

Heiliger Himmel, ja!

Der Mann übte eine Anziehung auf mich aus, von der ich mir inzwischen sicher war, dass sie nichts mit seinem Status als Eishockeyspieler zu tun hatte. Er hätte mich auch nervös gemacht, falls er sich als Investmentbanker vorgestellt hätte. Oder Trucker oder Holzfäller, was rein vom Äußerlichen her definitiv besser zu ihm passen würde, als ein Schreibtischjob.

Ich sah, wie Blaine schluckte und zur Seite sah. „Sorry, es war nicht meine Absicht, dir zu nahe zu treten.“

„Nein, nein, nein, nein, nein!“, rief ich aufgeregt. Er hatte mein Schweigen sowas von missinterpretiert! „Ich würde sehr gern mit dir ausgehen.“

In meiner Brust flatterte etwas, als Blaine wieder zu mir sah und mich anlächelte.

„Wirklich? Wow, das ist super. Freut mich. Gott, ich höre mich an wie ein Trottel!“, meinte er und lachte, was ihn ein wenig verlegen wirken ließ.

Ich langte in meine Handtasche und fischte eine der Visitenkarten meiner Mutter hervor, die ich noch mit mir herumtrug, weil sie mich ständig dazu anhielt, sie in der Klinik und innerhalb meines Freundeskreises zu verteilen. Um mein Gewissen zu beruhigen, hatte ich einige davon am schwarzen Brett der Klinik angeheftet und den Rest im Müll für vertrauliche Patientendaten entsorgt, damit meine Mom mir nicht auf die Schliche kam. Mit zitternden Fingern kritzelte ich meine Handynummer auf die Rückseite und reichte sie Blaine.

„Den Rest der Woche habe ich Nachtdienst. Ab Montag bin ich für den Tagdienst eingeteilt.“

„Ich habe den Trainingsplan nicht im Kopf, aber ich melde mich. Versprochen.“

Mit diesen Worten steckte Blaine die Karte in seine Gesäßtasche und deutete anschließend mit dem Kinn in Richtung Obergeschoss.

„Wollen wir?“

„Oh, klar.“

Unter dem Blick aus seinen faszinierenden grauen Augen hatte ich bereits völlig vergessen, weshalb wir eigentlich hergekommen waren. Ich zeigte ihm rasch die beiden Zimmer und das Bad, ehe ich ihn wieder nach unten führte.

„Gefällt dir die Wohnung?“, fragte ich und sah zu Blaine, der erneut sehr dicht vor mir stand. In mir wuchs das seltsame Verlangen, mich in seine Arme zu werfen.

„Sie ist toll. Das ist schon eher nach meinem Geschmack.“

Mir fiel sein kleiner Kritikpunkt aus den ersten Minuten der Besichtigung ein. „Trotz des total überflüssigen zweiten Badezimmers?“ Allmählich taute ich auf.

„Darüber kann ich gerade so hinwegsehen“, erwiderte Blaine und grinste mich an.

„Die Wohnung hat jedoch einen winzigen Haken“, klärte ich ihn mit meiner verständnisvollen Arzt-Stimme auf, die ich benutzte, wenn ich Patienten beruhigen musste.

„Der da wäre?“, wollte er wissen und hob eine seiner dunklen Augenbrauen.

„Der Eigentümer würde die Immobilie lieber verkaufen, statt vermieten. Das heißt im Klartext, dass, falls jemand kommt und eine Kaufzusage macht, derjenige automatisch den Vorzug bekommt.“

Blaine schürzte die Lippen und setzte eine nachdenkliche Miene auf. „Ich möchte keine Immobilie kaufen. Mir ist vollkommen klar, dass ich nicht ewig Eishockey spielen kann. Sobald es an der Zeit ist, die Schlittschuhe an den Nagel zu hängen, werde ich meine Zelte in Boston abbrechen und in die Nähe meiner Familie ziehen.“

Ich nickte. Blaine kam aus Pennsylvania. Er hatte eine klassische College-Laufbahn hinter sich und war im Lauf der letzten Saison zu den Razors geholt worden. Wenn man eher ländlich aufgewachsen war, konnte man sich vermutlich nur bedingt mit dem Großstadtleben anfreunden.

„Okay, dann gebe ich meiner Mom Bescheid. Sie soll demnach weiter Ausschau halten, sollte es mit dieser Wohnung nichts werden?“, versicherte ich mich.

Blaine nickte und fischte seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche seiner Jeans. „Soll ich dich nach Hause bringen?“

Ein Lächeln breitete sich auf meinen Zügen aus. Meine Mom würde mir den Hals umdrehen, falls sie erfuhr, dass ich tatsächlich so unprofessionell gewesen war, mich von einem Kunden herumfahren zu lassen. Das war ein absolutes No-Go! Aber meine Mutter war nicht hier und meine Müdigkeit kaum mehr auszuhalten. Wenn man bedachte, dass ich in fünf Stunden – bestenfalls ausgeschlafen, was bereits völlig utopisch war – meinen Dienst antreten sollte, musste ich schleunigst nach Hause.

„Das wäre nett.“

Blaine erwiderte mein Lächeln und deutete mit einer ausladenden Armbewegung in Richtung Tür. „Nach Ihnen, Mylady“, wies er mich mit einem Augenzwinkern an und ich musste mich beherrschen, nicht wie ein Schulmädchen loszukichern, als ich an ihm vorbeiging.

Kapitel 3

Der Zeiger kroch im Zeitlupentempo auf die Vier zu. Es galt, drei weitere zähe Stunden zu überstehen, bis ich endlich meinen Kittel in den Spind hängen konnte. Zum dritten Mal überflog ich die Unfallschilderung des Patienten aus der Eins, ohne jedoch wirklich zu registrieren, was dort stand. Im Augenblick hatten wir nichts zu tun, denn besagter Patient befand sich derzeit bei Dr. Malloy zum Ultraschall, was wegen dessen penibler Gründlichkeit eine Weile dauern würde.

„Was ist heute Nacht nur los? Sonst rennen sie uns die Bude mit allerhand Kleinkram ein. Haben die uns versehentlich abgemeldet?“, murmelte Kylie, meine Lieblingskrankenschwester und Freundin, deren Anwesenheit mir den Dienst versüßte.

Kylie meinte damit, dass man in der Rettungsleitstelle gemeldet hatte, dass das Knights vorübergehend nicht in der Lage war, Patienten aufzunehmen. Der Grund hierfür konnte beispielsweise Überfüllung oder fehlendes Personal sein. Heute war beides nicht der Fall.

„Unwahrscheinlich. Einer ist ja schließlich hier“, antwortete ich und deutete in Richtung des ersten Behandlungszimmers, wo ich vor wenigen Minuten einen jungen Mann mit einem stumpfen Bauchtrauma untersucht hatte. Er hatte nach drei Flaschen Bier gedacht, dass er problemlos einen Skateboard-Stunt machen könne, und war dabei bäuchlings auf einen Pfeiler gefallen. Meiner Ansicht nach war er glimpflich davongekommen, doch um keine innere Verletzung zu übersehen, hatte ich ihn zum Ultraschall geschickt. Sollte sich dadurch eine Blutung nicht eindeutig ausschließen lassen, blieb mir noch die Möglichkeit, ein MRT anfertigen zu lassen.

„Ich bin so müde, dass ich gleich im Stehen einschlafe“, jammerte ich und griff über die Theke zu meiner Kaffeetasse. Mist, sie war leer. Aber der Gang zur Kaffeemaschine erschien mir viel zu anstrengend, sodass ich einfach die Stirn auf meine verschränkten Arme sinken ließ, um meinen brennenden Augen drei Sekunden Ruhe zu gönnen. Die Rollen des Bürostuhls schabten über den Linoleumboden, als Kylie zu mir herüberschlitterte.

„Der Grund für das Strahlen in deinen Augen und deine Müdigkeit ist nicht rein zufällig derselbe?“, flüsterte sie mir zu, woraufhin ich ruckartig den Kopf hob.

„Was?“, fragte ich verblüfft und richtete mich wieder auf.

„Charlie, wir kennen uns nun schon eine Weile und dieses seltsame Funkeln sah ich bislang noch nie an dir“, setzte sie nach und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. „Also raus mit der Sprache: Wem habe ich das zu verdanken?“

Bisher hatte ich niemandem von der unerwarteten Begegnung mit Blaine Hopkins erzählt. Im Anschluss an die Besichtigung hatte er mich wie versprochen nach Hause gefahren, wo wir uns in seinem Wagen etwa eine halbe Stunde lang unterhalten hatten. Die Themen, wie das Wetter und die Parade zum St. Patricks Day, die Blaine leider verpasst hatte, waren eher belanglos gewesen, aber ich hatte trotzdem jede Minute genossen. In der Zeit rief meine Mom ungefähr ein dutzend Mal an, jedoch hatte ich ihre Anrufe immer rasch abgewiesen. Ihrer Inquisition musste ich mich ohnehin früher stellen, als mir lieb war, doch nach dem heutigen Nachtdienst würde ich schlau genug sein, mein Smartphone komplett auszustellen.

Trotz der bleiernen Müdigkeit war an Schlaf nicht zu denken gewesen. Blaines tiefe Stimme und die Erinnerung daran, wie er mich mit seinen faszinierenden grauen Augen angesehen hatte, hatten mich wachgehalten.

„Ich kann dir seinen Namen nicht verraten, denn es könnte sein, dass er ein Patient des Knights ist.“

Kylies erwartungsvolles Lächeln verblasste sofort. Sie kannte die Klausel in den Arbeitsverträgen, dass das Personal sich von den Patienten fernzuhalten hatte. Schließlich war das hier ein Krankenhaus und keine Speed-Dating-Veranstaltung. O-Ton Professor Knight.

„Und du bist bisher nicht auf die Idee gekommen, einfach nachzusehen?“, hakte sie nach und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung PC.

„Natürlich. Aber ich weiß, dass die IT sämtliche Sucheingaben überwacht. Was, wenn jemand petzt?“

Der Schutz der Privatsphäre seiner häufig prominenten Patienten war bei Professor Knight oberstes Gebot, weshalb ein eigenes Team ein Auge auf die Datenbank hatte. Ein einziger Zugriff, der nichts mit einem Behandlungsfall zu tun hatte, konnte einen schneller auf die Straße befördern, als man ‚Sorry‘ sagen konnte. Mein Job war mir wichtig. Ich hatte mich bei meinen Eltern verschuldet und viel zu hart gearbeitet, um nun alles wegen einer Schwärmerei aufs Spiel zu setzen. Kylie rollte wieder zurück, verschränkte die Arme vor ihrer Brust und bedachte mich mit einem Blick, der mich wohl fragen sollte, ob ich wirklich ernst meinte, was ich da soeben von mir gab.

„Was ist?“, fragte ich, nachdem sie mich einige Sekunden hatte schmoren lassen.

„Wie kann jemand, der so schlau ist, gleichzeitig so …“, sie unterbrach sich selbst. Dann sah sie nachdenklich zu der weiß getünchten Zimmerdecke hinauf und wedelte dabei mit einer Hand vor meiner Nase herum.

„So?“, drängte ich sie zum Weitersprechen.

Kylie seufzte und stemmte die Hände in die Taille, die ansonsten dank des grauenhaften Schnittes ihrer Schwesternkluft quasi nicht existent war. „Du weißt, was ich meine. Zwing mich nicht, es auszusprechen, Charlie!“

Ich atmete tief ein und schwieg. Nach nur drei Stunden Schlaf funktionierte mein Gehirn einfach nicht richtig, um derartige Andeutungen zielgenau entschlüsseln zu können.

„Sieh mal“, lenkte Kylie endlich ein und winkte mich zu sich hinter den Tresen. „Du gibst den ersten Buchstaben seines Vornamens sowie den seines Nachnamens ein und versetzt sie jeweils mit einem Sternchen dahinter. Der PC spuckt dir innerhalb einer Sekunde alle Patienten mit diesen Initialen aus“, erklärte sie, als ich neben ihr stand.

„Und das scheucht die IT nicht auf?“

„Die IT-Abteilung wird nur zwei Buchstaben haben. Nicht genug, um dir an den Karren zu fahren. Dein Herzbube wird schon nicht Quentin Yacobi oder so heißen“, murmelte Kylie und schubste die Tastatur zu mir herüber.

„Wer ist Quentin Yacobi?“

Sie lachte. „Q und Y sind sehr seltene Anfangsbuchstaben. Das war nur ein Beispiel, Charlie.“

Oh Mann. Vor dem nächsten Dienst musste ich dringend Schlaf nachholen, sonst würde mir zuletzt noch ein Fehler unterlaufen, für den ein Patient teuer bezahlte.

„Okay“, murmelte ich und rieb mir über die Wangen.

Sollte es tatsächlich so einfach sein? Ein B, ein H, zwei Sternchen und ich hatte Gewissheit? Wie gebannt starrte ich auf die einzelnen Tasten.

Was, wenn gleich wirklich Blaines Name auf dem Bildschirm auftauchte? Er hatte gesagt, dass er bisher nur als Besucher hier gewesen war, aber die endgültige Bestätigung für diese Aussage schlummerte auf den Servern der Klinik, auf die ich mit nur wenigen Klicks zugreifen konnte.

Die Befürchtung, dass er sich getäuscht hatte, wurde immer stärker, allerdings war er mir nicht wie jemand erschienen, der ein lückenhaftes Erinnerungsvermögen hatte. Meine Finger zitterten, als ich sie in der Grundstellung auf die Tastatur legte. Aus dem Augenwinkel heraus linste ich zu Kylie, deren neugieriger Blick mir fast ein Loch in den Arztkittel brannte. Ahnte sie, dass sie der Grund für mein Zögern war?

„Das Suchergebnis wird in einem Extra-Fenster angezeigt. Falls er dabei ist, klick um Himmels willen nicht seinen Namen an! Denn dann hat dich definitiv die IT am Wickel“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Ich bin in zwei Minuten zurück.“

Mit diesen Worten verschwand sie um eine Ecke, vermutlich, um zur Toilette zu gehen. Vielleicht hatte sie bemerkt, dass ich bei dieser Recherche lieber allein war. Um mich abzusichern, dass ich das auch tatsächlich war, sah ich über meine Schulter. Der Gang war leer und außer dem leisen Brummen der Leuchtstoffröhren war kein Geräusch zu hören. Rasch gab ich den Suchbefehl in die Maske ein und drückte auf Enter, bevor mich mein Mut wieder verlassen konnte. Ein kleines Rad erschien und nur eine Sekunde später wurden mir satte einhundertsiebenundzwanzig Namen mit der Kombination aus einem Vornamen mit dem Anfangsbuchstaben B und einem Nachnamen mit dem Anfangsbuchstaben H angezeigt. Hopkins müsste rein theoretisch ziemlich weit unten in der Liste auftauchen, doch ich wollte kein Risiko eingehen, etwas zu übersehen. Deswegen sah ich mir alle Ergebnisse der Reihe nach an. Nicht einmal die als weiblich ausgewiesenen Patienten übersprang ich, während ich Namen für Namen im Geiste abhakte.

Meine Handflächen waren schweißnass, als ich bei ‚Bronwyn Huzley‘, dem letzten Eintrag ankam. Kein Blaine Hopkins, aber um ganz sicher zu gehen, kontrollierte ich die Liste ein zweites Mal. Als sich Schritte von hinten näherten, versicherte ich mich gerade zum dritten Mal, dass der Mann, dessen Lächeln mir nicht mehr aus dem Kopf ging, nicht zu unseren Patienten zählte.

„Na?“, vernahm ich Kylies Stimme und schloss rasch das Suchfenster.

Ich war nicht in der Lage, mein breites Grinsen zu verhindern, was meiner Kollegin Antwort genug war.

„Dann steht euch offenbar nichts im Weg, oder?“

Ich zögerte. Faktisch war das zwar so, aber ich bezweifelte, dass die Klinikleitung das genauso sah. Ihnen war sicherlich bereits ein Dorn im Auge, dass ich mich mit einem potentiellen Patienten traf. Der Exklusivvertrag, den das Knights mit den Razors hatte, sorgte dafür, dass die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch war, dass der ‚Worst Case‘ eintrat.

„Nur weil er kein Patient ist, bedeutet das nicht, dass aus uns nun das Traumpaar des Jahrtausends wird, Kylie“, gab ich zu bedenken und bemerkte dabei ein dumpfes Ziehen in meiner Magengegend. Meine nüchterne Erwiderung auf Kylies Frage spiegelte in keiner Weise meine wahren Gefühle wider. Ich wollte, dass aus Blaine und mir etwas wurde! Trotzdem verhinderte mein Drang zum rationalen Denken, dass die Schmetterlinge in meinen Bauch wirklich losflatterten.

Wir hatten uns zwar am Nachmittag wunderbar verstanden und ich glaubte, ein aufregendes Knistern gespürt zu haben, aber das war keine Garantie auf ein Happy End. Was, wenn Blaine sich als Kontrollfreak entpuppte? Was, wenn die Razors beschlossen, dass Blaine bei einem anderen Team besser aufgehoben war? Was, wenn wir plötzlich feststellten, dass wir so gegensätzliche Interessen und Auffassungen von bestimmten Dingen hatten, dass die Kluft unüberwindbar war? Was, wenn das heutige Knistern alles gewesen war?

Nicht zu vergessen meine Mutter, die einen Tobsuchtsanfall bekommen würde, sollte sie erfahren, dass ich einen Sportler datete, statt mich ihrem Wunsch zu fügen, mit Chester Knight auszugehen. Ich stand bei meinen Eltern mit mehreren hunderttausend Dollar in der Kreide, was ihnen leider Gottes eine gewisse Macht über mich verlieh. Mom fiel vermutlich schon beim Anblick von Blaines rotem Pick-up in Ohnmacht. Schließlich entsprach der so gar nicht den Luxuskarossen, in denen sie mich gern sehen würde.

Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Einer meiner Charakterzüge war ein Hang zu rationalem Denken. Daher wusste ich auch, dass es sinnlos war, weiter darüber nachzudenken, was sein oder werden könnte. Bisher hatte Blaine sich noch nicht einmal mit einer simplen Nachricht zum Nummerntausch gemeldet. Er besaß meine Nummer, ich aber nicht seine, was mich zu Passivität verdammte. Das Klingeln des Telefons riss mich endgültig aus meiner Grübelei.

„Der Rettungswagen ist mit einer Frau auf dem Weg hierher, die sich bei einem Sturz aus dem Fenster schwere Schnittverletzungen zugezogen hat“, informierte mich Kylie nach dem kurzen Telefonat.

„In Ordnung. Bereite in der Drei alles vor. Ich piepe Dr. Holloway zur Verstärkung an und rufe in der Blutbank an, um uns zwei Beutel Null Negativ reservieren zu lassen“, schaltete ich in den Profimodus, womit jeder Gedanken an Blaine vorübergehend nebensächlich wurde.

Die Frau mit den Schnittverletzungen zu verarzten dauerte bis zum Schichtwechsel. Ich hatte die Stiche nicht gezählt, mit denen ich sie versorgt hatte, aber es mussten weit über hundert gewesen sein. Sie hatte Glück im Unglück gehabt, denn ein Schnitt am Hals hatte ihre Hauptschlagader nur um Millimeter verfehlt. Als Kylie noch damit beschäftigt war, die Unterarme zu bandagieren, hatte ich mich völlig erledigt auf den Weg nach Hause gemacht. Glücklicherweise war das von der Knight-Klinik aus nur ein Katzensprung. Um den Geruch nach Desinfektionsmittel loszuwerden, gönnte ich mir eine rasche Dusche, föhnte anschließend meine Haare grob trocken und flocht sie zu einem Zopf zusammen, ehe ich mich ins Bett fallen ließ. Das Risiko, nach dem Aufstehen wie ein explodiertes Schaf auszusehen, konnte ich trotz der bleischweren Müdigkeit nicht eingehen. Ich warf einen letzten Blick auf das Display meines Smartphones und checkte die Anrufliste sowie meine Mitteilungs-App, um sicherzugehen, dass ich nicht versehentlich einen Anruf oder eine Nachricht von Blaine verpasst hatte.

Fehlanzeige. Obwohl wir uns erst einmal getroffen hatten und rein theoretisch gar nichts waren, machte sich ein dumpfes Gefühl in meiner Herzgegend breit. Himmel, war ich armselig! Aber er war ein Razor und ich ein riesiger Fan! Da durfte man doch mal ein bisschen schwärmen, nicht wahr? Tief in mir wusste ich jedoch, dass es nicht nur daran lag, dass er ein Mitglied meines Lieblingsteams war, was mir Schmetterlinge im Magen bescherte. Blaine war einfach hinreißend gewesen!

Allein der Gedanke an seine Stimme, seine faszinierenden Augen und das raue Lachen bereitete mir weiche Knie! Ich ließ mich auf mein Bett fallen, zog die Decke über meine müden Glieder und hoffte, nach dem Aufwachen ein Lebenszeichen von ihm vorzufinden.

Um nicht ständig nachzusehen und um einem weiteren Weckanruf meiner Mutter zu entgehen, schaltete ich mein Smartphone aus und kuschelte mich in die Kissen. Der Schlaf zerrte meine Augenlider herab und kaum, dass sie sich geschlossen hatten, war ich eingeschlafen.

Kapitel 4

Ich hatte endlich den letzten Nachtdienst hinter mich gebracht und verließ erleichtert die Klinik, als mein Handy zu klingeln begann. Wie immer seit meinem Treffen mit Blaine jagte der Ton meinen Puls in die Höhe und ich kramte hektisch in den Tiefen der Handtasche nach dem Gerät. Gleich würde sich die Mailbox einschalten, deswegen achtete ich nicht groß darauf, wer mich anrief und hob einfach ab.

„Ja?“, keuchte ich dem Anrufer entgegen und drückte mir im Geiste selbst die Daumen, dass ich in ein oder zwei Sekunden seine Stimme zu hören bekam. Inzwischen waren vier Tage vergangen, seit ich ihm meine Nummer gegeben hatte und im Prinzip wusste ich, dass die Chance, dass er sich tatsächlich meldete, gegen null tendierte. Mein Herz mochte die Hoffnung jedoch noch nicht aufgeben.

„Charlize? Kannst du dich nicht mit deinem Namen melden?“, tadelte mich Mom und ich verdrehte die Augen, wohl wissend, dass sie mich nicht sehen konnte. In Gedanken schrieb ich mir eine Notiz, ihr nie beizubringen, wie ein Videoanruf funktionierte. Eigentlich wäre mein Dad, der als Dozent am bekannten MIT arbeitete, prädestiniert dafür, aber für Derartiges würde er seine wertvolle Zeit gewiss nicht vergeuden.

„Hey, Mom! Was gibt es?“, erkundigte ich mich, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen.

„Ich wollte dich an das Essen heute Abend erinnern. Dein Vater und ich erwarten dich um sieben Uhr im ‚Alden & Harlow‘. Nicolas und Jessica haben auch zugesagt.“

Das durfte nicht wahr sein! Was war nur in mich gefahren, diesem Essen zuzustimmen? Ich wusste bereits jetzt, dass ich mir den gesamten Abend über anhören musste, wie stolz sie auf den Erfolg meines Bruders waren und wie faszinierend sie die Karriere von Jessies Ehemann als Rechtsanwalt in New York fanden.

Früher waren meine Schwester und ich gut miteinander ausgekommen. Wir hatten Geheimnisse geteilt, uns gegenseitig geschminkt oder die Haare geflochten. Seit ich denken konnte, bewunderte ich sie für ihr enormes Zeichentalent und ich war mir sicher, dass ihr eine tolle Karriere bevorstand. Doch dann hatte ihr Martin kurz vor ihrem Abschluss einen Ring an den Finger gesteckt, woraufhin Jessie alles hingeworfen und mit ihm nach New York gezogen war. Seitdem hatte sie keine einzige Arbeit mehr fertiggestellt und beschäftigte sich nun mit weltbewegenden Themen wie den schönsten Tischgestecken oder welche Duftrichtung für die Flüssigseife in der Besuchertoilette ihres völlig überteuerten Upper Eastside Appartements am passendsten war. Beim Umzug hatte sie sogar ihre geliebten Zeichenutensilien zurückgelassen, die nun in ihrem alten Zimmer verstaubten. Es war für mich das traurige Symbol dafür, dass sie weder ihr Talent ausschöpfen, noch ihr Grafikdesignstudium abschließen würde. Hätte ich mein Studium unmittelbar vor dem Abschluss an den Nagel gehängt, hätten mir Mom und Dad die Hölle heißgemacht. Aber da Jessie sich einen der Top-Harvard-Absolventen geschnappt hatte, bekam sie lediglich ein schwermütiges Seufzen zu hören.

Ich vermisste meine Schwester schrecklich, und wenn sie extra aus dem Big Apple hierherkam, konnte ich einfach nicht absagen.

„Danke, Mom. Das wäre nicht nötig gewesen. Der Termin steht dick in meinem Kalender“, log ich ungeniert.

Sieben aufeinanderfolgende Nachtdienste steckten in meinen Knochen und ich hatte nun wirklich nicht die Energie, mit meiner Mutter zu diskutieren.

„Gut. Dann bis später. Zieh was Schickes an.“

„Mache ich“, versprach ich, wobei ich wusste, dass ich ohnehin wieder bei dem schwarzen Kleid mit den Flügelärmeln landen würde.

Mom wartete eine Weile und ich rechnete schon damit, dass sie noch etwas sagen wollte, aber sie schwieg und schließlich war die Verbindung beendet.

Obwohl sich meine Schwester angekündigt hatte, trug das nicht dazu bei, dass ich mich darauf freute, den Abend bei diesem Familienessen festzusitzen. Ich hatte vorgehabt, auszuschlafen, ein paar Einkäufe zu erledigen und mir anschließend bei einer Pizza mit extra viel Käse die Aufzeichnung des Razors-Spiels anzusehen. Mein Lieblingsteam hatte gestern in Dallas gespielt und ich mied seitdem konsequent sämtliche News-Ticker und Nachrichten, um nicht gespoilert zu werden, was das Ergebnis betraf. Ich wagte es nicht einmal, meinen Instagram-Account zu öffnen! Eine letzte Hürde stellte der Zeitungskiosk an der Ecke dar. Ich zog den Kopf ein und konzentrierte mich mit gesenktem Blick auf meine Schuhspitzen, bis ich meine Wohnung erreicht hatte.

Die Neugier, wie die Begegnung der Razors mit den Dallas Barons ausgegangen war, war groß, aber mein Schlafbedürfnis war größer. Also schlüpfte ich nach einer raschen Dusche in mein Bett und nahm mir vor, das Match eben nach unserem Familienessen anzusehen. Ich machte mir nicht die Illusion, dass das ein angenehmer Abend werden würde. Demnach tat mir etwas Aufmunterung in Form von meinen bestenfalls siegreichen Lieblingssportlern bestimmt gut. Nebenbei konnte ich hoffentlich Blaine ein bisschen anschmachten. Mit dem tröstenden Gedanken, dass möglicherweise das Auswärtsspiel der Grund war, weshalb er sich nicht gemeldet hatte, schlief ich ein.

Der tadelnde Blick meiner Mutter traf mich sofort, als ich zehn Minuten zu spät an unseren Tisch im ‚Alden & Harlow‘ kam. Den restlichen Mitgliedern meiner Familie schien hingegen nicht aufzufallen, dass ich unpünktlich war. Nicolas war in ein Gespräch mit Dad vertieft, in dem es vermutlich um irgendwelche Mikrochips, Binärcodes oder anderen Kram ging, den ich nie kapieren würde. Ich hatte Medizin studiert und wusste, dass unser Körper ein Wunderwerk war. Er war weit komplizierter aufgebaut als ein PC, doch trotzdem verstand ich den menschlichen Organismus weitaus besser als die Funktionsweise einer Firewall oder einer Suchmaschine. Jessie war damit beschäftigt, ihrem Ehemann Martin lächelnd zuzunicken, der meiner Mom wild gestikulierend irgendetwas erzählte.

Als ich mich dem Tisch näherte, wunderte ich mich über das siebte Gedeck. Meine Eltern hatten noch jemanden eingeladen? Ich dachte, das sollte ein Familienessen sein? Dass mein Bruder ein Date mitbrachte, hielt ich für ausgeschlossen, denn Nicolas war mit seiner Firma verheiratet und diese Diva duldete keine Nebenbuhlerinnen. Er hatte ja noch nicht einmal einen Freundeskreis. Meine Mutter bemerkte meinen irritierten Blick, nippte an ihrem Weinglas und schenkte mir anschließend ein gewinnendes Lächeln, das mir aus irgendeinem Grund eine Gänsehaut bescherte.

Ehe ich mich bewegen konnte, legten sich kühle Hände auf meine nackten Schultern und ein schweres Aftershave stieg mir in die Nase. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wuchs die Gänsehaut zu einem Schauer heran. Ich kannte diesen Geruch. Er hatte dieselbe Wirkung auf mich wie die einer bestimmten Sorte Whiskey, von der ich mal zu viel getrunken und es einen Tag später bitter bereut hatte.

„Charlize, schön, dass du es endlich geschafft hast. Ich hatte bereits Angst, du würdest mich versetzen“, säuselte mir Chester mit seiner Fistelstimme ins Ohr und ich war mir sicher, dass dabei ein Speicheltropfen auf meiner Wange landete. Er war mir zu nah, doch ich zwang mich dazu, seine Hände nicht angewidert abzuschütteln oder mittels eines Hechtsprunges Abstand zwischen uns zu bringen. Aber kein noch so beherzter Sprung hätte dafür gesorgt, dass ich mich in seiner Anwesenheit wohl gefühlt hätte. Damit das der Fall war, musste sich mindestens eine solide Wand zwischen dem Sohn meines Bosses und mir befinden!

„Hallo Chester“, rang ich hervor und befreite mich mit einer galanten Drehung von ihm. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du kommst.“

Chesters Blick klebte auf meinem Dekolleté und ich war froh um die beiden silbernen Modeschmuckketten, die ich umgelegt hatte, um mein Outfit ein bisschen aufzuwerten. Dadurch fühlte ich mich weniger nackt.

„Wie könnte ich eine Einladung deiner bezaubernden Mutter jemals ausschlagen?“, schleimte er, wobei er darauf achtete, dass meine Mom das auch hörte.

Chester wollte nach meiner Hand greifen, aber ich wandte mich schnell ab und setzte mich auf den freien Stuhl neben Jessie. Zwar befand sich jetzt der Tisch zwischen mir und Chester, doch der Nachteil war, dass ich ihn nun die ganze Zeit direkt vor der Nase hatte. Dabei war er mit seinem rundlichen Kopf, den Geheimratsecken und seinen Augen, die viel zu klein für sein feistes Gesicht waren, beileibe kein sehenswerter Anblick!

„Charlize! Ich habe mir schon Sorgen gemacht! Gab es noch einen Notfall in der Klinik?“, flötete Mom und klimperte übertrieben mit den Wimpern.

Sie wurde nie müde, mich gegenüber Chester wie eine verdammte Heilige darzustellen!

„Nein, Mom. Ich habe schlicht und einfach verschlafen“, gab ich zu und schenkte ihr ein entschuldigendes, falsches Lächeln.

„Oh, arme Charlize! So enorme Verantwortung auf so zarten Schultern“, schaltete sich Chester dazwischen, wobei er es irgendwie schaffte, die letzten beiden Worte obszön klingen zu lassen. Am liebsten würde ich ihm unter dem Tisch einmal saftig gegen das Schienbein treten!

„Ja, so ist das eben als Ärztin, nicht wahr, Schatz?“, riss Mom wieder das Ruder an sich.

Hilfesuchend sah ich zu Jessie, die sich jedoch von mir abgewandt hatte und sich von Martin etwas ins Ohr flüstern ließ. Vermutlich ging es um das Muster der Schlafzimmervorhänge.

„Korrekt“, stieß ich hervor und griff resigniert nach der Speisekarte, die mir im Moment wie ein Schutzschild erschien.

Um Chesters anzügliches Grinsen nicht länger ertragen zu müssen, hielt ich die Karte direkt vor mein Gesicht. Es mochte kindisch sein, doch die sieben Tage Nachtdienst sorgten dafür, dass ich keinerlei Geduld für solche Spielchen übrig hatte. Als der Kellner kam, um meine Getränkebestellung aufzunehmen, bat ich darum, dass er mir den Sommelier schickte, damit dieser mir half, den richtigen Wein auszusuchen. Ich tat das zwar, um einige Minuten weniger mit Chester oder meiner Mutter reden zu müssen, aber der Schuss ging leider nach hinten los.

Nachdem ich mich nach eingehender Beratung für einen fruchtigen Weißwein entschieden hatte, lehnte Chester sich zu mir. Bedauernswerterweise war ich zu langsam, um die Hand zurückzuziehen, deswegen musste ich ertragen, dass er mit seinen schweißfeuchten Fingern meine umschlang.

„Charlize! Schön zu sehen, dass du eine Weinliebhaberin bist!“, gurrte er und leckte sich dabei mit seiner glitschigen Zunge über seine fleischigen Lippen.

Ich kleistere mir ein unverbindliches Lächeln ins Gesicht, das Chester hoffentlich nicht auf falsche Ideen brachte, und wartete, was als Nächstes kam.

„Oh! Unsere Charlize liebt Wein!“, schaltete sich meine Mutter euphorisch dazwischen, obwohl sie ganz genau wusste, dass ich, wenn überhaupt, nur bei diesen Familienessen ein, maximal zwei Gläser trank. Aber anders waren die Treffen nicht auszuhalten! Moms begeistertes Grinsen wurde immer zittriger und ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, sie auflaufen zu lassen. Doch in Anbetracht des Schuldenberges bei meinen Eltern und der Tatsache, dass Chester der Sohn meines Bosses war, konnte ich das nicht tun. Das wäre einem Selbstmord nahegekommen.

„Nun, hin und wieder genieße ich ein Glas“, gestand ich und hoffte, dass das vage genug gewesen war, um Chester nicht zu ermutigen, mit mir ein Gespräch über Wein zu beginnen.

„Wie herrlich!“, rief mein Gegenüber und drückte meine Hand fester. „Mein Vater besitzt ein Ferienhaus in Oregon. Wenige Meilen entfernt wird ein hervorragender Pinot Noir gezogen. Wenn du möchtest, nehme ich dich beim nächsten Mal mit. So haben wir die Möglichkeit, uns näher kennenzulernen.“

Chester und ich allein in einem Ferienhaus irgendwo in Oregon?!

Nur über meine Leiche!

Schon, um mich dazu zu bringen, mit ihm quer durchs Land zu reisen, würde er ein gutes Narkotikum, reißfeste Fesseln und einen zuverlässigen Knebel brauchen!

Als ich den Sohn des Professors nur ungläubig anstarrte, spürte ich, wie jemand gegen mein Bein trat. Selbst ohne es gesehen zu haben, wusste ich, dass es der Pumps meiner Mutter gewesen war, denn ihr Blick sprach Bände! Sie erwartete eine Antwort, aber trotz ihrer Warnung presste ich die Kiefer aufeinander und schwieg beharrlich. Nicht einmal unter der Androhung von Peitschenhieben würde ich mich dazu bewegen lassen, Chester in irgendeiner Art und Weise zu diesem Trip nach Oregon zu ermutigen! Glücklicherweise erschien Sekunden später der Kellner, der meinen Wein brachte. Er rettete mich und sorgte zudem dafür, dass Chester mich loslassen musste. Sobald es möglich war, wich ich zurück und wischte meine Hand unauffällig an der Tischdecke ab.

„Auf ein tolles Familienessen!“, gab Mom kund, wobei auch endlich Martin, Nicolas, Jessie und mein Dad ihre Gespräche unterbrachen und mit uns anstießen.

Als der kühle Wein meine Lippen berührte, trank ich gierig einen Schluck. Unwissentlich hatte Mom mir eine Schlinge um den Hals gelegt, indem sie Chester eingeladen hatte und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie loswerden sollte.

„Ihr Lieben, das ist nicht nur ein Familienessen“, begann Martin und warf seiner Frau einen zärtlichen Blick zu. Eine Vorahnung machte sich in mir breit, als ich bemerkte, wie Jessie sich vorsichtig eine Hand auf den Bauch legte. Sie sah zu ihrem Mann, der ihr kaum merklich zunickte.

„Wir sind schwanger“, ließ sie die Bombe platzen und strahlte dabei über das ganze Gesicht.

Ich war versucht, ihr zu erklären, dass ein wir nicht schwanger sein konnte, sondern nur sie, aber ich schluckte die Worte hinunter und zog meine jüngere Schwester in eine innige Umarmung.

„Herzlichen Glückwunsch, Jessie“, murmelte ich in ihr Haar und merkte, wie mir eine Träne die Wange hinab lief.

Martin hatte nie wirklich meine Sympathie gewinnen können. Jedoch schien es, als wuchsen er und Jessie nun zu einer richtigen kleinen Familie zusammen. Das vernichtete meine heimliche Hoffnung, dass Jessica aus dem selbstauferlegten Hausfrauentrott ausbrechen würde, völlig. Doch was wäre ich für ein Mensch, mich nicht darüber zu freuen, dass meine Schwester bald Mutter wurde? Jessie besaß ein riesiges Herz und ich war mir sicher, dass sie dem Baby eine fantastische Mom sein würde!

Nachdem reihum alle gratuliert hatten, kam der Kellner erneut an den Tisch, um die Essenswünsche entgegenzunehmen. Ich bestellte die geräucherte Entenbrust, die ich bereits beim letzten Familienessen genossen hatte. Als wir wieder unter uns waren, hob meine Mutter ihr Champagnerglas, das sie sich zwischenzeitlich geordert hatte, in die Höhe und verkündete: „Auf unser ungeborenes erstes Enkelkind! Nun muss nur noch Charlize endlich unter die Haube. Schließlich braucht Jessicas Kind einen Spielgefährten, sobald sie uns besuchen kommt.“

Sie lachte und versuchte dadurch, diesen Toast als Scherz darzustellen. Allerdings kannte ich meine Mom seit inzwischen siebenundzwanzig Jahren und verstand sehr wohl, was sie durch die Blume ausdrücken wollte. Als sie den Blick zwischen Chester und mir hin und her schweifen ließ, riss mir der Geduldsfaden.

Ich zimmerte mir ein zuckersüßes Lächeln auf die Lippen und erwiderte: „Aber Mom! Warum denn über dreihunderttausend Dollar in ein Medizinstudium investieren, wenn ich nur zwei Jahre praktiziere? Was ist mit all den Kranken, die ärztliche Hilfe brauchen? Es war kein Kinderspiel, eine Anstellung in der renommierten Knight-Klinik zu bekommen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viele andere Bewerber es auf diese Stelle gab. Es wäre ihnen gegenüber unfair, nach so kurzer Zeit hinzuwerfen, habe ich recht?“

Chester räusperte sich und ich fürchtete schon, er würde eine Anmerkung abgeben, dass es schließlich Tagesmütter und Betreuungseinrichtungen gab. Doch zu meiner Überraschung stärkte er mir den Rücken.

„Um genau zu sein, waren es einundfünfzig Konkurrenten, die Charlize ausgestochen hat. Allesamt erstklassige Absolventen“, informierte er die Runde.

Ob ich wollte oder nicht – das brachte Chester einen kleinen Pluspunkt ein. Was jedoch längst nicht bedeutete, dass ich ihn als den Mann an meiner Seite sah.

„Natürlich geht mit dem hippokratischen Eid eine gewisse Verpflichtung einher, aber ab und zu muss ich meine Tochter daran erinnern, dass das Leben nicht nur aus Arbeiten besteht. Sie muss auch an ihre Zukunft denken. Oder möchtest du irgendwann mal allein dasitzen?“, drängte mich Mom weiter in die Enge, was sie mit einem besorgten Blick tarnte.

Kapierte sie es denn nicht? Bevor ich mein Leben mit Chester verbrachte, würde ich lieber auf eine einsame Insel fernab der Zivilisation ziehen!

„Ich bin siebenundzwanzig, Mom. Ich kann dir versichern, dass meine biologische Uhr noch nicht so laut tickt, dass ich deshalb in Panik verfallen müsste.“

Und selbst wenn es eine Sekunde vor zwölf war, würde ich mich ganz bestimmt nicht mit Chester Knight zusammentun! Doch das verschwieg ich und nahm stattdessen einen großen Schluck von meinem Wein, was sich langsam bemerkbar machte. Nach dem Aufstehen hatte ich nur eine Scheibe Erdnussbuttertoast gegessen, was keine gute Grundlage für Alkohol darstellte.

„Charlize, ich habe dir …“, setzte meine Mutter zu einer Erwiderung an, aber ich unterbrach sie mit einer Handbewegung, als ich hörte, wie mein Telefon in meiner Handtasche zu vibrieren begann.

Sofort war die Aufregung zurück, die ich seit meinem Treffen mit Blaine jedes Mal verspürte, sobald mich jemand anrief. Als ich auf das Display sah, wo mir eine unbekannte Nummer angezeigt wurde, sackte mein Herz eine Etage tiefer.

„Ihr entschuldigt mich“, presste ich hervor, stand auf und eilte hinaus, um in Ruhe telefonieren zu können.

Ich hob ab und hauchte ein „Ja?“ in den Hörer, weil mir die Nervosität die Stimme raubte.

„Charlie?“

Mein Herz, das nun wieder in meinem Brustkorb saß, hämmerte heftig gegen meine Rippen, als ich erkannte, dass sich Blaine am anderen Ende der Leitung befand.

„Blaine?“, vergewisserte ich mich trotzdem.

„Richtig. Störe ich dich?“, fragte er, während sich eine seltsame Wärme in mir ausbreitete.

Allein der Klang seiner Stimme sorgte dafür, dass die Eisenkugel namens ‚Heirate und vermehre dich mit Chester Knight‘, welche mir meine Mutter in dem kurzen Gespräch am Tisch ans Bein gebunden hatte, kaum mehr als ein Luftballon wog. Ich blickte über die Schulter, um sicherzugehen, dass mir niemand aus dem Lokal gefolgt war.

„Im Gegenteil. Ich glaube, du rettest mich“, gab ich ehrlich zu.

„Ist alles in Ordnung bei dir?“ Blaine wirkte besorgt.

„Jein“, hielt ich mich vage. Der Eingang des ‚Alden & Harlow‘ lag in einer Seitengasse und um zu vermeiden, dass mich meine Eltern oder Chester beobachteten, ging ich ein paar Schritte weiter in Richtung Straße, um ungestört reden zu können. „Ich bin mit meiner Familie beim monatlichen Essen und meine Mutter versucht, mich zu verkuppeln!“

„Und du möchtest nicht verkuppelt werden?“, versicherte sich Blaine.

„Nein!“, gab ich energisch zurück, was mir die Aufmerksamkeit eines Pärchens bescherte, das auf dem Weg zum ‚Alden & Harlow‘ war. Ich senkte die Stimme und fügte hinzu: „Schon gar nicht mit dem Sohn meines Bosses.“

„Ich würde auch nicht mit dem Sohn meines Bosses verkuppelt werden wollen. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass Smith nur eine Tochter hat.“

Ich musste lächeln, als ich seinen belustigten Unterton wahrnahm.

„Machst du dich etwa über meine desolate Lage lustig?“, neckte ich ihn.

„Niemals!“, rief er rasch und sandte anschließend ein langgezogenes „Hmmm“, hinterher.

Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn entspannt auf einem Sofa lümmeln und dabei grinsend telefonieren.

„Hmmm?“, bohrte ich nach, da Blaine weiter schwieg.

Es raschelte in der Leitung und kurz darauf hörte ich, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde.

„Klingt, als könntest du jemanden brauchen, der dich rettet, Charlie“, stellte er völlig richtig fest.

Seine Stimme hallte nun deutlich. So als ob er den Raum gewechselt und nun in einer Halle stand, während er mit mir sprach.

„Würdest du mich denn retten?“, wisperte ich in den Hörer und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, er möge bitte ja sagen.

„Bin schon auf dem Weg. Schick mir die Adresse. Ich hole dich ab, egal wo du bist“, versprach er ernst.

Sein Tonfall, gekoppelt mit dem Angebot, mich zu retten, ließ mein Herz förmlich schmelzen.

„Okay“, brachte ich heiser hervor.

„Ich steige nun in den Aufzug und bin vermutlich jeden Moment weg. Bis gleich, Charlie.“

„Bis gleich“, kam es als Hauch über meine Lippen, doch Blaine oder der fehlende Empfang hatte unser Gespräch bereits beendet.

Mit zitternden Fingern speicherte ich rasch seine Nummer ein und schickte ihm meinen Standort. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er brauchen würde, aber selbst zwölf Stunden auf ihn zu warten, war verlockender, als zu meiner Mutter und Chester an den Tisch zurückzukehren. Dort musste ich mich nur weiterhin ihren Kupplungsversuchen und seinen gierigen Blicken aussetzen. Für kein Geld der Welt würde ich das einem Treffen mit Blaine Hopkins vorziehen!

Ich ging zurück ins Restaurant und bemühte mich auf dem Weg dahin um eine betroffene Miene.

„Es tut mir schrecklich leid“, teilte ich meiner Familie und Chester mit, ohne mich zu setzen. „Das war eine der Krankenschwestern. Ein Kollege wurde auf dem Weg zur Arbeit in einen Unfall verwickelt und ich wurde gebeten, einzuspringen, bis er da ist. Die Notaufnahme ist sonst unterbesetzt und muss abgemeldet werden. Es wäre ein enormer Imageschaden für die Klinik. Das versteht ihr doch bestimmt.“

Um sie endgültig zu überzeugen, schickte ich einen bedauernden Blick hinterher.

„Ach Charlie, jammerschade, dass du schon gehen musst, wo wir noch gar keine Chance hatten, uns zu unterhalten“, meldete Jessie sich zu Wort.

Ich zog die Mundwinkel herab, denn dass mir diese Möglichkeit entging, war wirklich schade. Ich liebte meine Schwester.

„Lass uns kommende Woche telefonieren“, schlug ich vor und machte drei Schritte zurück, ehe Chester noch einfiel, mich zu umarmen oder schlimmer: mich in die Klinik zu fahren!

„Mein Taxi ist bereits unterwegs“, behauptete ich, um zu verhindern, dass diese Befürchtung wahr wurde, und winkte ein letztes Mal in die Runde. Ich erkannte, wie Jessie den Daumen und den kleinen Finger abspreizte und ihre Hand wie einen Telefonhörer ans Ohr hielt, was vermutlich die Bestätigung war, dass ich sie anrufen sollte. Ich nickte ihr zu und verließ nahezu fluchtartig das Restaurant.

Da es gewiss keine gute Idee war, direkt vor dem Lokal auf Blaine zu warten, entschied ich, bis zur Kreuzung zu gehen. Auf dem Weg schickte ich ihm eine weitere Nachricht, in der ich ihm mitteilte, dass er mich an der Fahrradmietstation am Brattle Square finden würde. Als ich die Station erreichte, stellte ich fest, dass ich meine Jacke im ‚Alden & Harlow‘ hatte liegen lassen. Aber ich würde mir lieber Frostbeulen holen, als nochmal zurückzugehen. Während ich auf Blaine wartete, wanderten meine Gedanken in alle möglichen Richtungen. Dabei fiel mir auf, dass der Vorwand, den ich benutzt hatte, um das Familienessen vorzeitig verlassen zu können, nicht wirklich durchdacht gewesen war. Was, wenn Chester seinen Vater darauf ansprach oder er das klinikinterne Netzwerk nach einem entsprechenden Vermerk durchsuchte?

Mist! Da ich ihm unmöglich die Wahrheit sagen konnte, blieb mir nur, das Ganze als Missverständnis darzustellen, falls er mich danach fragte. Mit etwas Glück hatte Chester den Vorfall vergessen, bis wir uns das nächste Mal sahen, denn inzwischen hatte ich Übung darin, ihm aus dem Weg zu gehen.

Kapitel 5

Endlich hielt ein roter Pick-up vor meiner Nase und allein das Wissen, dass Blaine hier war, zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Statt mich selbst die Tür öffnen zu lassen, stieg er aus, kam zu mir herüber und schenkte mir dieses hinreißende Grinsen, das mir den Atem raubte.

„Hey“, begrüßte ich ihn, unfähig, einen ganzen Satz zu formulieren.

„Hey, schöne Frau“, erwiderte er und einige Sekunden standen wir einfach da und lächelten uns an.

Wie bereits bei unserem ersten Treffen trug er Jeans, T-Shirt und ein Hemd, das heute nicht kariert, sondern einheitlich hellblau war. Die Farbe brachte seine Augen förmlich zum Leuchten und bildete einen Kontrast zu seinem schwarzen Haar, von dem der Hauptteil unter einer Wollmütze verborgen lag. Lächelnd nahm ich zur Kenntnis, dass ein Hemdzipfel im Bund seiner Jeans steckte, während der andere heraushing. Es war nur ein winziges Detail, aber ich fand es wunderbar, dass Blaine kein aalglatter Lackaffe war, wie Chester. Er schien nicht der Typ Mann zu sein, der eine Ewigkeit vor dem Kleiderschrank stand und überlegte, was er anziehen sollte und dennoch oder gerade deshalb wirkte er auf mich enorm sexy.

„Wollen wir?“, fragte er nach einem Moment und deutete auf seinen Wagen.

„Gern. Schnell weg hier“, antwortete ich und atmete einmal tief durch, um die restliche Anspannung loszuwerden.

Blaine öffnete die Beifahrertür und bot mir erneut seine Hand an, um mir beim Einsteigen zu helfen. Ein Stromstoß jagte durch meine Glieder, als sich unsere Finger berührten und ich musste mich schwer beherrschen, um nicht verträumt aufzuseufzen. Als ich saß, schloss Blaine die Tür und durch die Windschutzscheibe beobachtete ich, wie er zur Fahrerseite joggte. Nun entwich mir doch ein leises Seufzen.

„Irgendwelche Wünsche?“, erkundigte er sich, nachdem er hinter dem Steuer Platz genommen hatte.

Exakt diesen Moment suchte sich mein Magen aus, um laut und deutlich wahrnehmbar zu knurren.

„Ups“, murmelte ich und sank verlegen tiefer in den Sitz.

Mein Retter ließ seinen Blick über mich hinwegwandern. Chester hatte mich ähnlich gemustert, aber Blaine schaffte es, damit mein Blut in Lava zu verwandeln, statt in Eiswürfel. Langsam schlich sich ein wissendes Lächeln auf seine Züge.

„Ich schätze, das heißt, dass wir etwas essen gehen?“

Allein die Erwähnung von Essen sorgte dafür, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief und mein Magen sich erneut bemerkbar machte.

„Außer einem mitternächtlichen Sandwich aus dem Automaten und einem Erdnussbuttertoast hatte ich heute noch nichts. Ich glaube, ich könnte eine halbe Kuh verdrücken“, gab ich zu.

Blaines Lächeln war längst zu einem Grinsen geworden, als er schließlich mit dem Finger auf mich zeigte. „Dann habe ich genau die richtige Adresse für uns!“

Mit diesen Worten legte er den Gang ein und fädelte das Fahrzeug in den Verkehr ein. Wir bogen auf die Mt. Auburn Street, als er fragte: „Was hat es mit diesem Familienessen auf sich? Ist das eine Art Tradition?“

Eigentlich war ich nicht besonders erpicht darauf, über meine Familie zu sprechen. Doch da Blaine hierher gefahren war, um mich zu retten, war ich ihm eine Erklärung schuldig.

„Meine Mom hat diese Treffen ins Leben gerufen, nachdem meine große Schwester nach New York gezogen war und mein Bruder sich immer mehr in seiner Arbeit vergraben hatte. Sie wollte die Familie zusammenhalten. Wenn jemand allerdings meine Meinung hören möchte, ist das nur ein Vorwand, damit wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand bringen, was unsere Erfolge betrifft.“

Blaine warf mir einen Seitenblick zu.

„Und wie schneidest du dabei ab?“ Ein amüsiertes Schmunzeln lag auf seinen Lippen.

Die Frage hatte ich mir nie gestellt, aber auch so kannte ich die Antwort. Da Jessie nun bald Mutter wurde, lief sie sozusagen außer Konkurrenz, also blieben nur mein jüngerer Bruder und ich.

„Eine Ärztin im zweiten Jahr, die hauptsächlich die unbeliebten Nachtdienste in der Notaufnahme abbekommt gegen Nicolas, den vierundzwanzig Jahre alten CEO einer millionenschweren Softwarefirma. Was denkst du?“

Blaine schürzte die Lippen und dachte einen Moment nach, ehe er antwortete. „Wenn es nach meinem Ranking geht, würdest du immer an der Spitze landen.“

Hitze schoss in meine Wangen, als ich dieses Kompliment hörte. Warum sagte er so nette Sachen? Er wusste doch bestimmt, dass man mit sowas fette Pluspunkte bei einer Frau sammelte.

„Danke“, wisperte ich verlegen. „Ich bin eigentlich nur hingegangen, weil meine Schwester deswegen aus New York gekommen ist. Meine Tagesplanung für heute sah ganz anders aus“, sprang ich rasch zum ursprünglichen Thema zurück.

Wir mussten an einer roten Ampel anhalten. Blaine legte den Leerlauf ein und wandte sich zu mir. „Wie, falls ich fragen darf?“

„Ich wollte mir die Aufzeichnung eures gestrigen Spiels ansehen und mir eine Pizza mit extra viel Käse gönnen“, verriet ich.

„Weißt du, wie das Spiel endete?“, erkundigte er sich und zog eine seiner dunklen Brauen in die Höhe.

„Bedauerlicherweise nicht. Ich hatte Nachtdienst.“

Blaine biss sich auf die Unterlippe und nickte langsam. „Dann bist du entschuldigt.“ Er zwinkerte mir zu. „Willst du, dass ich dir das Ergebnis verrate?“

„Nein!“, rief ich erschrocken. „Ich meide bereits den ganzen Tag die Nachrichten, damit die Spannung erhalten bleibt!“

Er lachte. „Schon gut, schon gut. Wenn das so ist, habe ich einen Vorschlag für dich: Wir holen uns eine Pizza mit extra viel Käse und sehen uns das Spiel gemeinsam an.“

Mein Unterkiefer klappte herab und erneut begann mein Herz schneller zu schlagen. Blaine Hopkins, ein äußerst charmantes und verflucht attraktives Mitglied meiner Lieblingsmannschaft, wollte zusammen mit mir das Spiel ansehen? Ich musste träumen!

Die Ampel wechselte auf Grün, Blaine fuhr an, blickte jedoch immer wieder zu mir, während er auf eine Antwort wartete.

„Du … du meinst das ernst. Das ist kein Scherz, oder?“, stammelte ich.

Ich sah aus dem Fenster, um mich zu versichern, dass nicht gleich jemand mit einer Kamera auf der Schulter vor das Auto sprang und ‚Hereingelegt‘ rief. Statt eines Kamerateams sah ich, dass wir inzwischen gut die Hälfte der Massachusetts Avenue hinter uns hatten. Wo wollte er hin?

„Nein, ist es nicht. Ich würde gern das Spiel mit dir ansehen. Obwohl ich weiß, wie es ausgeht“, entgegnete er und zwinkerte mir ein weiteres Mal zu. Ein Grinsen breitete sich auf meinen Lippen aus.

„Logisch, du warst ja auch dabei“, gab ich neckend zurück.

„Dann sind wir uns einig. Bleibt nur zu klären, ob wir zu dir oder zu mir gehen und welchen Belag du auf die Pizza haben möchtest.“

Ich dachte kurz nach. Meine kleine, leicht chaotische Wohnung war gewiss nicht das, was Blaine gewohnt war. Zudem war ich wegen des Nachtdienstes mit der Hausarbeit in Verzug, weil mich die Arbeitszeiten regelrecht räderten, sodass ich es oftmals nicht einmal schaffte, mein schmutziges Geschirr abzuwaschen. Meine Neugier, wie er lebte, war riesig. Allerdings sah ich ihn heute zum zweiten Mal. Was, falls er sich plötzlich als Psychopath entpuppte?

Ich musterte ihn nachdenklich, um abzuwägen, ob ich ein Risiko einging, sollte ich ihm in seine Wohnung folgen. Doch egal, wie lange ich ihn ansah: Die Alarmglocken schwiegen beharrlich.

„Hast du denn eine Aufnahme der Partie?“ Verneinte er, mussten wir zu mir fahren, damit ich das Spiel sehen konnte.

„Ich habe Aufzeichnungen von allen unseren Begegnungen. Wenn du willst, können wir sämtliche Spiele dieser und der vergangenen Saison ansehen“, antwortete er lächelnd.

Himmel! Mit ihm zusammen würde ich mir so ziemlich alles ansehen!

„Okay, dann zu dir, aber du suchst den Belag aus. Artischocken kann ich nicht leiden. Der Rest ist mir egal“, entschied ich.

Blaine fischte sein Handy aus der Hosentasche und scrollte kurz durch das Telefonbuch, bis er den entsprechenden Eintrag gefunden hatte.

„Wie wäre es mit Salami, Peperoni und extra Käse?“, schlug er vor und warf mir ein weiteres Mal diesen Blick zu, bei dem mir warm ums Herz wurde.

Mit einem entschlossenen Nicken stimmte ich zu.

Eine halbe Stunde später saß ich im Schneidersitz auf einer cognacfarbenen Ledercouch und aß die vermutlich beste Pizza meines Lebens. Blaine hatte sie von einer kleinen, unscheinbaren Pizzeria geholt, die wohl eine Art Geheimtipp war.

„Mhhh, fantastisch“, murmelte ich kauend und schnappte mir noch ein Stück. Blaine saß in einigem Abstand neben mir und durchsuchte mittels der Fernbedienung den Speicher des Receivers nach der entsprechenden Aufnahme.

„Da ist es“, murmelte er schließlich und startete die Aufzeichnung mitten in den Vorberichten. Ich bekam eine Gänsehaut, als die Kamera Blaine in den Fokus nahm. Es war einfach kaum zu glauben, dass ich wirklich in seiner Wohnung war und direkt neben ihm saß! In diesem Moment kam das Razors-Fangirl in mir wieder einmal durch.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783962042851
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
USA Hockey Stars Sportler Eishockey Eis

Autor

  • Kim Valentine (Autor:in)

Kim Valentine wurde 1982 geboren und wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Augsburg. Nach der Schule absolvierte sie eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten und verpflichtete sich im Anschluss daran vier Jahre als Zeitsoldatin. Sie war im Sanitätsdienst eingesetzt, was ihr sehr viel Spaß bereitet hat. Nach ihrem Debütroman, der 2011 erschien, erfolgte eine fünfjährige Pause, bis sie der Leidenschaft, zu schreiben endgültig verfiel.
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Titel: Starting Six: Charlize und Blaine