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Swedish Kisses

von Lisa Summer (Autor:in) Lisa Wüllenweber (Herausgeber:in)
284 Seiten
Reihe: Wo die Liebe hinzieht ..., Band 2

Zusammenfassung

Vor ihrem Auslandssemester in Schweden reist Clara für ein paar Wochen nach Stockholm.
Dort trifft sie den gutaussehenden Thore.
Dabei ahnt sie nicht, dass sie sich bald öfter begegnen werden als gedacht.
Für sie ist die Nacht auf dem Partyschiff mit ihm eine einmalige Sache -
denn was auf dem Meer passiert, bleibt auch auf dem Meer.
Doch dann steht sie Thore nur eine Woche später erneut gegenüber -
als seine Studentin.

Jeder Teil der "Wo die Liebe hinzieht ..." Reihe kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.

Achtung: Neues Cover (2024), gleicher Inhalt!

Band 1: British Love
Band 2: Swedish Kisses
Band 3: French Desire
Band 4: Italian Feelings
Wo die Liebe hinzieht ... Sammelband

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Även den minsta hjärtklappning får mig ur rälsen på ett sådant sätt att jag hellre föredrar att titta på männens värld endast på avstånd.

Clara

 

»Und das machen wirklich alle? Bist du dir da sicher?«

»Ja, Clara. Definitiv. Komm schon, das wird bestimmt Spaß machen. Vielleicht lernen wir dort auch ein paar nette Leute kennen.« Nicole zieht ihre Schultern hoch und lächelt. Sie hat wieder ihren Hundeblick drauf und schaut mich von unten an. Das macht sie immer, wenn sie etwas will – und ich gebe immer nach. Ich habe sie einfach zu lieb, um ihr nicht fast jeden Wunsch zu erfüllen.

»Na gut.« Ich seufze. Meine Lust, den kommenden Tag auf einem Partyschiff zu verbringen, hält sich in Grenzen. Nicole hat jedoch recht. Wir sind seit zwei Wochen in Stockholm und haben außer mit den Hostelgästen noch mit niemandem groß gesprochen. Dabei wollten wir die Zeit nutzen, um das Land, die Leute und deren Gewohnheiten ein bisschen näher kennenzulernen.

»Wann geht die Fahrt morgen los?«, frage ich und räume meine Klamotten zurück in den Koffer. Den Bikini, den ich gesucht habe, habe ich immer noch nicht gefunden. Die letzten zwei Wochen war es nicht so warm wie erwartet und heute scheint die Sonne das erste Mal so, dass es sich lohnt, zum nächsten Strandbad zu fahren.

»Um 16 Uhr laut deren Webseite. Also darf ich die Tickets jetzt buchen?«

Ich nicke und sehe dabei zu, wie Nicole ihre braunen Rehaugen freudestrahlend aufreißt und hastig etwas in ihr Handy tippt. Ich kann nicht anders und muss schmunzeln. Seit wir aus dem Flugzeug ausgestiegen sind, ist sie hibbeliger als ein Wackelpudding. Vielleicht liegt es an ihrem Alter. Meine Schwester ist fünf Jahre jünger als ich und macht erst nächstes Jahr ihr Abitur. Oder es sind ihre Gene. Unsere Mutter ist immer genauso, wenn wir in den Urlaub fahren. Ich komme da eher nach meinem Vater und versuche, alles ruhig und gelassen anzugehen. Nicole hält den Daumen nach oben, dann hat mit der Buchung wohl alles geklappt.

Bevor ich jetzt ein halbes Jahr nach Karlstad an die Universität mitten in Schweden gehe, habe ich ihr versprochen, den August gemeinsam mit ihr in Stockholm zu verbringen. Das ist sozusagen ihr Geburtstagsgeschenk zum achtzehnten von mir und unseren Eltern.

»Kein Bikini mit«, stelle ich schließlich fest und klappe den Koffer zu. »Hast du ihn zufällig eingepackt?«

»Ne, ich hab’ nur meinen. Dann lass uns doch losgehen und wir kaufen dir einen. Ich brauche auch noch neue Flipflops; bin mit meinen gestern irgendwo hängen geblieben und jetzt ist die Gummisohle eingerissen.«

»Können wir gerne machen. Ich meine, kurz vorm Busbahnhof wäre ein Bademodengeschäft. Schaust du, wie wir zum Bad kommen? Dann packe ich so lange unsere Handtücher ein.«

»Ja, mache ich.« Während Nicole googelt, gehe ich ins Bad und lege alles Wichtige in meine neue Strandtasche. Nicole ist die Organisiertere von uns beiden. Sie ist es, die immer einen Weg findet und mit jedem Plan zurechtkommt. Ich bin dafür viel zu chaotisch.

Als ich wieder in unser kleines Zimmer komme, steht sie bereits mit geschultertem Rucksack da und wartet auf mich. »Hast du alles?«

»Handtücher, Shampoo, Badelatschen und Haarbürste«, zähle ich auf. »Ich denke schon.«

»Gut, ich hab’ meinen Bikini und Sonnencreme mit.«

Sonnencreme, wieder etwas, das ich vergessen hätte. »Dann mal los«, sage ich und öffne die Tür zum langen Flur. Das Hostel liegt in der untersten Preisklasse, mehr konnten wir uns für einen knapp einmonatigen Aufenthalt nicht leisten. Immerhin haben wir ein eigenes Zimmer für uns. Gestern Abend, in der Bar, haben wir uns kurz mit einem Deutschen unterhalten, der mit seinem Kumpel in einem Sechszehnbettzimmer schläft. Das müssen wir uns dann doch nicht antun. Leider sind die beiden heute früh schon wieder abgereist.

Auf der Straße ist für einen Freitagvormittag ziemlich viel los und doch wirkt alles ruhiger und geordneter als in Deutschland. Der Busbahnhof ist ganz in der Nähe und wir brauchen keine zehn Minuten, bis wir vor dem Bademodengeschäft stehen und uns das Schaufenster anschauen. Die Bikinis hier sind nicht gerade günstig. Trotzdem komme ich nach zehn Minuten aus der Umkleide und zeige Nicole das erst beste Stück Stoff an meinem Körper, das mir gefällt und mich nicht ganz arm machen würde. »Und, was sagst du?« Ich schaue an meinen kalkweißen Beinen herunter und drehe mich zur Seite.

»Mir gefallen die rosa Blüten auf dem hellblauen Stoff. Nimmst du ihn? Dann bekommen wir vielleicht sogar noch den nächsten Bus.«

Ich nicke, denn ich bezweifle, dass ich auf die Schnelle einen Besseren für kleines Geld finde. Wirklich blöd, dass ich meinen zuhause vergessen habe.

Wir bringen unsere Sachen zur Kasse: ich den Bikini und Nicole ihre neuen Flipflops, die sie bereits vor dem Laden im Schaufenster entdeckt hat, und bezahlen alles, ehe es zur Bushaltestelle geht.

Verwirrt sehe ich mich auf dem großen Platz um und schaue an den vielen roten und blauen Bussen vorbei, vor denen sich kleine Schlangen an Menschen bilden.

»Komm, wir müssen den dahinten nehmen.« Nicole zieht mich zu einem der roten Nahverkehrsbusse hin und wir reihen uns ordentlich hinter den anderen Fahrgästen ein. Der Zustieg ist hier viel geregelter als in Deutschland und es gibt kaum Gedrängel.

»Wir brauchen noch ein Ticket«, sage ich zu Nicole, als wir uns bereits hingesetzt haben und zeige nach vorne zum Fahrer.

Nicole zückt ihr Handy und wedelt mit dem Smartphone vor meinem Gesicht herum. »Hast du dich denn gar nicht mit diesem Land beschäftigt?«, fragt sie und grinst mich an, sodass ich lachen muss. Natürlich habe ich das, gefühlt habe ich nichts Anderes in den letzten Wochen gemacht. »Ich hab’ uns die Tickets in der App gekauft.«

»Danke, dafür geht dann aber nachher das Eis auf mich.«

Nicole strahlt. Ich weiß, dass sie es liebt, eingeladen zu werden, wer tut das auch nicht?

Hier im Bus ist es schön kühl, obwohl die Sonne direkt durch das Fenster neben uns knallt. Ich spiele mit meiner Pilotensonnenbrille herum und stülpe sie schließlich nach hinten über mein langes blondes Haar, das offen auf meine Schultern fällt und streiche ein paar der Haarsträhnen hinter mein Ohr. An uns zieht die Skyline Stockholms vorbei: das Stadshus, die Riddarholmskyrkan, eine imposante Kirche, die wir in unserer ersten Woche hier besichtigt haben und schließlich fahren wir durch die Altstadt von Skinnarviksberget.

»Hoffentlich ist es nachher nicht zu voll«, sage ich nachdenklich.

»Gehst du denn ins Wasser?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ja, ich denke schon. Zumindest mal kurz, um mich vom Sonnetanken abzukühlen. Hast du gesehen, wie weiß ich bin?« Ein bisschen neidisch schaue ich auf Nicoles gebräuntes Gesicht, das von hüftlangen braunen Haaren umrahmt wird. Auch das hat sie von unserer Mutter.

Nicole lacht auf und ich lache mit. Es wird wirklich Zeit, mal ein bisschen lockerer zu werden, nach allem, was in den letzten paar Wochen passiert ist.

»Du denkst gerade wieder an sie, oder?« Offenbar wurde meine Miene ernster als beabsichtig.

»Ja, mir tut das alles so leid, dass ich ausgerechnet jetzt fahren musste, als es ihrem Vater wieder so schlecht ging. Bin ich deswegen eine schlechte Freundin? Sei ehrlich.«

Nicole seufzt und lehnt ihren Kopf gegen die Scheibe. »Nein, und das weißt du auch. Linda war das letzte halbe Jahr schließlich auch weg. Außerdem dachte ich, ihrem Vater ginge es inzwischen besser.«

»Na ja, schon – ein bisschen. Trotzdem sieht es nicht so aus, als könne er noch gesundwerden.«

»Hast du denn noch einmal mit ihr telefoniert, seit wir hier sind?«

Ich senke den Blick. »Nur eine kurze Sprachnachricht, nachdem wir gelandet sind. Ich weiß auch nicht, wieso mich das alles so fertigmacht. Es ist einfach komisch, sie monatelang nicht gesehen zu haben und dann selbst gleich wieder wegzugehen. Ich weiß nicht einmal, ob sie gerade in Deutschland oder wieder in London bei ihm ist.« Seit meine beste Freundin Linda mit ihrem Chef Harvey zusammen ist, den sie auf der Suche nach ihrer Halbschwester in England kennengelernt hatte, haben wir kaum Zeit miteinander verbracht. Zwei Mal war ich mit ihr im Krankenhaus und einmal abends im Kino, das war es. Mir fehlt meine beste Freundin, gerade jetzt, wo ich so weit von Zuhause weg bin. Linda ist viel selbstbewusster als ich ein bisschen wie Nicole und meistert die Entfernung zu ihrer Familie, wenn sie bei ihrem Freund ist, immer super.

»Kopf hoch, Schwesterherz. Ich werde dich heute schon noch ablenken.« Ablenken, bestimmt will sie deshalb mit mir auf dieses komische Partyboot morgen und nach Finnland fahren. Dieses Mal ist mein Lächeln nur schwach.

»Komm«, sagt sie und tippt mich an, sodass ich aus meiner Starre erwache, »wir sind gleich da.«

Ich folge ihr aus dem Bus. Hier, in der Nähe des Wassers, weht ein stärkerer Wind als in der Innenstadt. Nach wenigen Minuten kommen wir am Tanto Strandbad an. Es ist nicht wirklich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Irgendwie hatte ich mehr Badesee und weniger Isarfeeling im Kopf. Wir breiten unsere Handtücher neben einer Trauerweide aus und beobachten ein paar Jungs dabei, wie sie vom Badesteg ins Wasser springen und so die Enten verjagen.

»Ganz schön protzig die Typen«, sagt Nicole, während ich gedankenverloren vom Wasser auf und zurück zum Steg schaue.

Der jüngste der Jungs kippt gerade eine Dose Bier in sich hinein und schmeißt sie anschließend ins Wasser. So ein Idiot. Jetzt gibt ihm einer der Älteren einen Klapps auf den Hinterkopf und zeigt auf die treibende Dose. Na geht doch. Ich setze mich auf und beobachte den älteren Blonden mit der dunkelblauen Shorts, der seinen durchtrainierten Körper kopfüber ins Wasser befördert und kurz darauf die Dose in seiner Hand zerdrückt, ehe er sich am Steg raufzieht und seine nassschimmernden Muskeln im Sonnenschein aufblitzen lässt. Mit der Dose in der Hand stapft er in unsere Richtung zu einem Mülleimer.

»Der scheint doch ganz vernünftig zu sein«, gebe ich zu, lehne mich zurück und ziehe Stolz und Vorurteil aus meiner Tasche.

»Ja, sieht schon nicht schlecht aus«, murmelt Nicole neben mir.

»Ich mag ja Männer mit Bart, ein bisschen hat er was von einem Wikinger. Ein surfender Wikinger oder so, findest du nicht auch?«

Nicole zuckt mit den Schultern. »Komm«, sagt sie plötzlich und macht Anstalten, aufzustehen.

Ich greife nach ihrem Arm und halte sie fest. Ich kann mir denken, was sie vorhat. »Lass uns die Typen ansprechen, wir wollen doch Leute kennenlernen, oder nicht?«

Das Buch hoch vor die Sonne haltend schüttle ich den Kopf. »Morgen«, antworte ich. »Versprochen.« Sie weiß ganz genau, dass ich nicht der Typ Frau bin, der einfach losgeht und Männer anquatscht.

Nicole seufzt. »Dann lass mich wenigstens los, damit ich ins Wasser gehen kann. Du kannst ja nachkommen. Aber wer weiß, ob nicht einer von ihnen dein Mr. Darcy gewesen wäre.« Augenrollend senke ich den Arm und lehne mich wieder zurück. Ja, wer weiß das schon.

 

 

Clara

 

Irgendwann stehe ich auf, schnappe mir mein Portemonnaie und laufe zu dem kleinen Eiswagen, der noch nicht lange hier stehen kann. Zumindest habe ich ihn nicht gesehen, als wir ankamen.

»Eine Kugel Vanille und Stracciatella bitte«, sage ich auf Schwedisch und hoffe, dass ich die Sorten richtig ausgesprochen habe. »Und dann noch einen Becher mit Kokos und Pistazie.« Das ist Nicoles Lieblingseis.

Der junge Mann im gestreiften Shirt nickt mir zu und reicht mir das Hörnchen und den Becher.

Als ich mich umdrehe, passiert es dann. »Hey! Se dig för!« Ich starre den Dosenretter von eben an, der sich mit dem Zeigefinger mein Eis vom Shirt kratzt und ihn anschließend ableckt. »Sorry. Ähm, ursäkta«, murmle ich. Na toll, peinlicher geht es natürlich nicht. Ich fühle mich wie in einer dieser klischeehaften Lovestorys.

»Ein ganzes Eis wäre mir lieber gewesen«, antwortet er auf Englisch und zwinkert mir zu, ehe er an meinem verdatterten Gesicht vorbeigeht und an den Eiswagenfahrer herantritt. Er spricht so schnell auf Schwedisch mit ihm, dass ich kein Wort verstehe.

Als der Fahrer ihm einen Becher Eiskaffee überreicht, quetsche ich mich schnell dazwischen. »Das übernehme ich«, bestehe ich und halte dem Eismann die Kronen hin.

»Danke, doch das brauchst du wirklich nicht, es war ja keine Absicht und das Shirt ist auch schon wieder sauber.« Mein Blick fällt auf den hellen Fleck auf seinem schwarzen T-Shirt. Sauber ist relativ.

»Das ist das Mindeste«, antworte ich mit einem Lächeln auf den Lippen und winke Nicole zu, ehe ich an meinem Eis lecke, damit es nicht schmilzt. Er hat wirklich etwas von einem Wikinger. Eine Mischung aus Surferboy und Holzfäller.

»Du bist nicht von hier«, stellt er fest und folgt mir Richtung Steg, zu dem Nicole gerade schwimmt.

»Nein«, antworte ich schließlich. »Meine Schwester und ich sind nur diesen Monat im Urlaub in Stockholm.« Ich nicke zu Nicole, die sich am Steg hochzieht und gerade vor uns aufsteht, als wir sie erreichen.

»Na, wen hast du denn mitgebracht? Ich dachte, du wolltest dich bloß sonnen.« Sie kann sich das Grinsen offenbar nicht verkneifen und zwinkert mir schelmisch zu.

Ich zucke mit den Schultern und reiche ihr das Eis. »Ich habe gedacht, wir könnten beide eine Abkühlung gebrauchen.«

»Wenn das so ist ...« Sie reicht dem blonden Wikinger die Hand. »Nicole.«

»Thore«, antwortet er. Er hat tatsächlich etwas vom Donnergott. Das passt gut zu ihm.

Dann fällt mir plötzlich auf, dass ich mich selbst gar nicht vorgestellt habe. »Ich bin Clara«, sage ich schnell und proste den beiden mit meinem Eis zu, ehe ich genüsslich daran lecke.

»Wo kommt ihr her? Holland, Deutschland, England?«, fragt er auf Englisch mit seinem charmanten, schwedischen Akzent. Die schwedische Sprache hat einfach etwas Besonderes an sich. Sie klingt ein bisschen lustig und gleichzeitig oft härter und männlicher als Deutsch, vielleicht finde ich sie deshalb so anziehend.

»Deutschland«, antwortet Nicole, ehe ich etwas sagen kann, und reißt mich aus meiner Schwärmerei.

Thore fährt sich mit seinen Fingern durch sein schulterlanges Haar, sodass sein Bizeps deutlich hervortritt. Clara, ermahne ich mich, du bist doch nicht hier, um ihn anzuschmachten.

»Ich liebe Deutschland, da ist das Bier so günstig.« Ich beiße mir auf die Lippen. Sein Akzent bringt mich zum Kichern und ich schaue verlegen zur Seite. Wenn es ums Flirten geht, ist Nicole trotz ihres jungen Alters einfach viel besser als ich. Mich bringt schon das leiseste Herzklopfen so aus der Bahn, dass ich die Männerwelt lieber nur aus der Ferne betrachte.

Deswegen bin ich ganz froh, dass sie wieder einmal das Reden übernimmt. »Stellst du uns deinen Freunden vor?« Nicoles Kopf nickt zu den anderen Jungs, die sich eine Leine als provisorisches Netz an zwei Bäumen gesponnen haben und dort Volleyball spielen.

Thore pfeift und winkt seinen Kumpels zu. Einer von ihnen, der Umweltsünder, lacht hämisch. Ich kann ihn jetzt schon nicht sonderlich leiden. »Björn, Lasse, Leif, das ist Clara, meine Eislady und ihre Schwester Nicole.« Ich ziehe eine Braue fragend nach oben. Hat er mich gerade ernsthaft seine Eislady genannt?

Von den vielen neuen Namen überrumpelt, gebe ich jedem die Hand. Der protzige, junge Umweltverschmutzer ist Björn, Thores Cousin. Die anderen beiden sind nur etwas jünger als ich und auch irgendwie mit ihm verwandt. Die Jungs laden uns auf eine Partie Volleyball ein, die wir pflichtbewusst annehmen. Thore spielt bei uns mit. Er spielt gut, aber nicht so gut wie wir beide.

Nach einer knappen Stunde lassen sich die anderen drei Jungs erschöpft auf ihre Handtücher fallen. Wir haben mehr als verdient gewonnen. Ob wir ihnen sagen sollen, dass wir jahrelang im Verein gespielt haben?

»Morgen um dieselbe Zeit?«, fragt Thore uns plötzlich und wischt sich mit seinem Handtuch das verschwitze Gesicht ab.

Ich schaue flehend rüber zu Nicole, die nur den Kopf schüttelt. »Abgemacht ist abgemacht«, wirft sie mir entgegen. Ein weiteres Volleyballspiel mit Thore wäre mir tausendmal lieber als diese Sauffahrt. Wieso kann ich ihr nur nichts abschlagen? Ich seufze.

»Tut mir leid, wir fahren morgen Nachmittag mit so einem Partyschiff nach Finnland«, erkläre ich den Jungs und gebe Thore dafür meine Nummer.

»Schade, aber wir werden uns bestimmt bald wiedersehen. Wie lange seid ihr noch in der Stadt?« Er sieht eigentlich nicht aus, wie der Typ Mann, der eine Frau zurückruft, aber vielleicht habe ich ja Glück.

»Eine knappe Woche«, antworte ich selbstbewusst. »Melde dich, wenn du deine Kumpels noch einmal mit uns fertigmachen willst.«

Lasse und Björn beginnen zu Grölen, während sich auf Thores Gesicht ein breites Grinsen abzeichnet.

»Das werde ich, Clara. Sollen wir euch zum Hotel fahren?«

Ich werfe Nicole einen fragenden Blick zu. Sie ist genauso wenig der Typ Frau wie ich, der einfach so bei anderen mit ins Auto einsteigt; daher möchte ich das nicht alleine entscheiden, auch wenn Thore und seine Kumpels nicht den Eindruck machen, dass sie uns irgendetwas antun wollen.

Nicole schüttelt kurz den Kopf. »Nein, danke«, sage ich und beginne langsam, meine Sachen zusammenzupacken.

Wir verabschieden uns von den Jungs und gehen zurück Richtung Bushaltestelle.

»Jetzt warst du doch nicht schwimmen«, erwidert Nicole, während sie den Fahrplan studiert.

»Nicht meine Schuld. Dafür hab’ ich gesorgt, dass wir endlich ein paar Einheimische kennenlernen.«

Lachend sieht Nicole mich an. »Dafür gesorgt? Du bist in ihn reingerammt und hast ihn mit Eis vollgeschmiert, Eislady.«

Ich zucke mit den Schultern. Also hat sie es gesehen. »Und? Dafür gesorgt, ist gesorgt«, sage ich schnippisch und wir müssen beide Lachen.

»Der hat dir gefallen, oder? Thore.«

»Sagen wir, ich fand ihn ganz attraktiv und würde ihn wohl nicht von der Bettkante stoßen. Aber dazu wird es eh niemals kommen. Also lass uns lieber über morgen sprechen, wenn du mich mit deinen Schifffahrtsplänen schon um ein Date mit meinem Wikinger bringen musstest«, scherze ich und sie hakt sich bei mir ein, während wir zur nächsten Bank schlendern und auf den Bus warten.

 

Kapitel 2

Om det fortsätter så, kommer jag aldrig att bli svärmor.

Thore

 

Der Rasierapparat gleitet über mein Kinn und hinterlässt einen gut gestutzten Bart. Mit der Hand fahre ich über die blonden Haare und lege sie mir zurecht. Auch wenn sie es noch nicht weiß, habe ich heute ein Date. In zwei Stunden legt die Fähre am Hafen ab. Heute geht nur ein Saufschiff nach Finnland und ich bin mir sicher, dass Clara und Nicole dieses nehmen werden. Und wer weiß? Vielleicht teilt Clara heute Nacht sogar eine Kabine mit mir. Grinsend rüge ich mich selbst für diesen Gedanken und packe meine Sachen für die Überfahrt zusammen, als es klopft und die Tür sich ohne Umschweife öffnet.

»Thore, bist du bereit?« Lasse steht im Türrahmen des Badezimmers und sieht mich dämlich grinsend an. So lange ich während der Semesterferien in Stockholm bin, penne ich bei seiner Familie. Nächste Woche geht es jedoch zurück nach Karlstad.

»Hast du meine Krawatte gesehen?«, frage ich ihn, ohne auf seine letzte Frage zu antworten.

Eine seiner Brauen wandert nach oben und mustert mich. »Du willst doch nicht ernsthaft einen Anzug heute Abend tragen.«

»Die Ladys stehen auf Anzüge, schon vergessen? Jede Frau steht da drauf.« Mit verdrehten Augen blicke ich auf seine viel zu tiefhängende Hose herunter. So gehe ich bestimmt nicht auf ein Schiff oder überhaupt vor die Tür.

Aus Lasses Mund ertönt ein Schnauben. »Du bist hier nicht der Herr Professor von der Uni. Es sind Ferien. Zieh dir ein ordentliches Hemd und ’ne Jeans an, wenn du nicht wie ein Lackaffe aussehen willst.«

Ich drehe mich um und gehe zu meinem Koffer. Hemd und Jeans, ob er recht hat? Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich längst aus dem Alter raus bin, in dem man eine solche Schiffsfahrt angehen sollte. Seufzend ziehe ich ein dunkelrotes Hemd hervor und halte es mir vor die Brust. »Ist das genehm, der Herr?« Jetzt ist es Lasse, der die Augen verdreht und mir dann aber ein okay gibt. Ich streife mir das alte Shirt über den Kopf und schlüpfe in das Hemd hinein. Zugegeben, es sieht gar nicht mal so schlecht aus. Es liegt eng genug an, dass man meine Bauchmuskeln erahnen kann und ist gleichzeitig weit genug, sodass ich nicht darin schwitzen dürfte. Ich schmeiße meinen Kulturbeutel sowie meine Badehose, falls es einen Pool gibt, und ein paar Klamotten für morgen früh in meinen Rucksack und stecke die beiden Fahrkarten, die ich eben erst ausgedruckt habe, in mein Portemonnaie.

»Und du? Willst du so gehen?«, kritisch begutachte ich seine Baggy und bin froh, als er den Kopf schüttelt.

»Ne, das sind bloß meine Werkstadt Klamotten, ich zieh mich noch schnell um.« Ein Glück. Er und diese alte Vespa. Ständig schraubt er an dem Teil herum. Bevor er geht, dreht er sich noch einmal zu mir um. »Du sollst so lange zu Mum kommen. Die will noch mit uns Kaffee trinken.«

Meine Tante backt die besten Kuchen, die ich je gegessen habe, also halte ich mich nicht weiter hier oben auf und gehe runter zu ihr in die Küche, während Lasse in seinem Zimmer verschwindet. Bereits auf der Treppe schlägt mir der Duft ihrer Kanelbullar in die Nase und ich lecke mir die Lippen beim Gedanken an die köstlichen Zimtschnecken. Für die Fika ist es zwar bereits zu spät, doch das hindert Ida nicht daran, sich nachmittags noch einmal in die Küche zu stellen und zu backen.

Als ich unten ankomme und mich auf die weiße Bank hinter dem großen Tisch in der Essecke niederlasse, drapiert sie bereits die kleinen Schnecken um einen gutaussehenden Zitronenkuchen herum. Da werde selbst ich bärtiger, alter Mann schwach.

»Was ist mit Lasse, kommt er gleich?«, fragt sie und stellt den Kuchenteller vor mir ab. Gleich darauf folgt ein Stapel kleiner Teller und Gabeln.

»Ja, er zieht sich noch um.« Ich stehe auf und gehe ihr zur Hand. Gemeinsam decken wir den Tisch.

»Er meinte, dass ihr heute woanders übernachtet. Also seid ihr nicht zum Abendessen wieder hier?«

»Nein Tante Ida, wir …« Ich zögere kurz. Ich glaube nicht, dass sie viel davon halten würde, dass ihr Sohn mit mir auf eine Sauffahrt geht. Auch wenn Lasse schon zwanzig ist, ist er für sie immer noch ihr kleiner Junge. »Wir treffen uns mit ein paar Freundinnen«, sage ich schließlich und gieße uns beiden Kaffee ein.

Sie beäugt mich kritisch. »Na wird ja auch mal Zeit, dass du jemanden findest. Meine Schwester würde sich im Grabe rumdrehen, wenn sie wüsste, dass du mit deinen achtundzwanzig Jahren immer noch Single bist. So werde ich doch nie Patenoma.«

»Ida!«, rufe ich empört. »Ich habe nie gesagt, dass es ein Date ist. Wir gehen bloß etwas trinken. Außerdem sind die beiden nur im Urlaub hier.«

»Das sieht doch jeder, dass du dich schick gemacht hast. Als würdest du das nur für ein paar Drinks tun. Und, ist es ein Doppeldate? Wenn das so weitergeht, komme ich nie in den Genuss, Schwiegermutter zu werden. Selbst Heddas Sohn hat inzwischen eine Frau gefunden; die beiden sind sogar schon verlobt.«

Ich beiße in die Zimtschnecke und verschlucke mich beinahe. Erwartet sie jetzt etwa, dass Lasse und ich auch heiraten? Das kann sie vergessen. »Das ist nicht mal ein richtiges Date heute«, wiederhole ich und greife nach dem Messer, um mir ein Stück Zitronenkuchen abzuschneiden.

Ich bin jetzt schon gespannt, wie die beiden Mädels nachher reagieren, wenn sie uns sehen. Hoffentlich finden wir uns auf dem großen Schiff.

Mein Blick schweift auf die Uhr über der Küchentür. Wenn sich Lasse nicht langsam beeilt, kommen wir zu spät.

»Ach, du wirst schon deinen Weg gehen. Du bist doch ein stattlicher Mann wie dein Vater früher.« Sie klopft mir auf die Schulter und setzt sich hin. Kurz danach kommt Lasse rein und lässt sich neben mich auf die hellblauen Polster der Sitzbank fallen und genehmigt sich ohne ein Wort an seine Mutter oder mich eine Zimtschnecke. Sie verwöhnt ihn einfach viel zu sehr, ich hätte ihn an ihrer Stelle längst auf eigenen Beinen stehen lassen.

»Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen«, sage ich zu ihm und nicke zur Uhr. Er greift nach einem weiteren Teilchen und schiebt sich das Zimtgebäck in den Mund.

»Also?«, hake ich nach.

»Ja, ja. Ich geh ja schon«, antwortet er mit vollem Mund und steht auf, damit auch ich von der Bank rücken kann.

Eigentlich hatte ich vor, mit dem Auto hinzufahren, doch so wie ich die Parksituation am Hafen kenne, sind wir mit dem Bus schneller.

Als wir am Hafen ankommen, ist keine Spur von Clara oder ihrer Schwester zu sehen. Hoffentlich habe ich richtig geschaut und es gibt wirklich nur diese Fähre, die heute ausläuft. Wir drängen uns vorbei an Passanten und gehen geradewegs auf das große Passagierschiff zu, das heute Nacht unsere Heimat sein wird.

Entgegen meinen Erwartungen, sind es nicht nur Studenten und Touristen die einchecken, sondern auch einige kleine Familien und ein paar Männer im Anzug, die offensichtlich geschäftlich überfahren. Nur meine schöne blonde Eislady ist noch nirgends zu sehen. Vielleicht sind sie schon drinnen.

Lasse und ich sind relativ spät dran und die Deutschen sollen schließlich immer so pünktlich sein. Da würde es mich nicht wundern, wenn die Zwei inzwischen an Bord sind. Spätestens heute Abend beim Buffet oder auf der Tanzfläche werde ich sie sicherlich sehen.

 

Clara

 

Die Kabine, die Nicole und ich uns heute teilen, ist ziemlich klein, aber mit dem Wichtigsten ausgestattet. Beige Möbel, die an ein Krankenhaus erinnern und hässliche rote Polster zieren unseren Schlafplatz. Ich lasse mich auf das rechte Bett fallen und schiebe meinen Rucksack unter den kleinen Tisch, der zwischen uns steht. Darüber hängt ein Spiegel aufgemacht wie ein Fenster zur eigenen Seele zwischen zwei fleischroten Vorhängen. Tageslicht wäre mir lieber gewesen und so wie Nicole schaut, ihr auch. Jetzt gerade spiegelt er jedoch nur die schmale Kabinentür und die winzige Nasszelle daneben wieder.

»Und, immer noch eine gute Idee?«, frage ich Nicole, während wir uns gegenüber auf den Betten sitzen und sich sogar unsere Knie gegenseitig berühren.

Nicole blickt sich kritisch um, hebt dann aber ihre Schultern. »Mehr können wir für fünfhundert Kronen wohl nicht erwarten.«

Stimmt wohl. »Wollen wir zum Buffet gehen?« Wenn ich schon rund fünfzig Euro für eine Überfahrt, bei der ich nicht einmal einen Fuß auf finnisches Land setzen werde, zahle, dann will ich wenigstens das All-You-Can-Eat-Buffet auskosten.

Nicole nickt und geht zur Tür.

Während wir die Kabine verlassen, beginnt es unter meinen Füßen zu rumoren. Ein leises Vibrieren geht durch das ganze Schiff und lässt mich zittern. Wir laufen aus. Ostsee wir kommen.

Die Gänge sind voll. Alle scheinen zum Deck gehen zu wollen. »Hast du schon Hunger?«, frage ich Nicole und quetsche mich an einer kleinen Familie in dem schmalen Gang vorbei.

»Ja, und wie. Ich hab’ extra viel Platz in der Hose gelassen, um mich gleich so richtig vollstopfen zu können.« Das ist so typisch meine kleine Schwester.

»Weißt du eigentlich, wo wir lang müssen?«, frage ich sie.

»Als wir angekommen sind, stand an der Treppe, dass das Restaurant rechts sei.«

»Buffet gibt’s aber erst um sechs«, ertönt plötzlich eine grelle Stimme hinter uns. Ein Rudel deutscher Mädels, bis auf die in der Mitte alle in pinken Shirts und mit weißen Cowboyhüten gekleidet, beginnt laut kichernd zu gackern. Die in der Mitte mit dem Schleier auf dem Kopf prostet uns mit ihrer Flasche Schampus zu.

»Danke, und viel Spaß noch«, sage ich, ehe die Mädels allesamt in einer Kabine schräg gegenüber der unseren verschwinden.

»Sollte ich jemals heiraten und du wirst meine Brautjungfer, dann komm ja nicht erst auf die Idee, den Junggesellenabschied auf ein solches Schiff zu verlegen. Wenn, dann planst du bitte einen Wellnessurlaub für uns und die Mädels. Verstanden?« Ich ziehe die Brauen hoch und merke, wie sich meine Stirn in Falten legt. Ich glaube, ich bin einfach zu alt für dieses Zeug.

Nicole kichert nun beinahe genauso schlimm wie die Mädels gerade eben. »Keine Bange, Schwesterherz, wenn du mal heiratest, lese ich dir eh jeden Wunsch von den Augen ab.«

»Das wollte ich hören«, antworte ich grinsend, ziehe sie zu mir und drücke ihr einen Kuss auf den braunen Haarschopf. »Wollen wir auch aufs Deck gehen, bis das Buffet öffnet? Vielleicht sehen wir den Hafen oder das Lotsenboot noch«, schlage ich vor.

»Klar, wieso nicht?« Nicole hakt sich bei mir ein und gemeinsam gehen wir die breite Treppe am Heck hoch.

An Deck kommt es mir vor, als versammle sich die gesamte Passagierschaft hier oben. Alle stehen sie dicht an die Reling gedrängt und blicken auf das Meer hinaus oder zurück zum Hafen, während Stockholms Silhouette langsam in der Ferne verschwindet.

Plötzlich hält mir jemand die Hände vor die Augen und der männliche Duft von Bergamotte dringt in meine Nase. Alles wird schwarz und ich weiß kurzzeitig nicht mehr, wie mir geschieht. Ich spüre den anderen Körper direkt hinter mir. Das herbe Parfum, das mich umgibt, kommt mir vage bekannt vor. Nicole steht immer noch an meinem Arm eingehakt neben mir. Ihre nackte Haut liegt dicht an meiner; sie ist es definitiv nicht, die sich hinter mich gedrängt hat. Ihr Kichern dringt deutlich zu mir durch. Es muss jemand sein, den sie kennt. Nur deswegen halte ich mich zurück und ramme dem Fremden nicht meine Ellbogen in die Rippen. Die Deutschen aus unserem Hotel? Ausgeschlossen, die sind bereits abgereist. Die Jungs von gestern? Möglich, sie wussten ja, dass wir heute diese Tour machen. »Nicole?«, frage ich zögerlich?

»Ja, Schwesterherz?« Sie kichert immer noch und hinter mir macht jemand deutlich »Psssst«.

Dieser Geruch … Ich sauge ihn tief in mich ein. Das kann nur Thore sein.

Langsam entziehe ich mich Nicoles Arm und drehe mich um. Seine Hände gleiten von meinen Augen und bleiben auf meiner Schulter ruhen. Noch ehe ich sein Gesicht sehe, fallen mir die breiten Schultern und die feinen blonden Haare auf seinem Unterarm auf.

»Thore,« sage ich überrascht. »Was macht ihr hier?« Ganz automatisch bin ich wieder ins Englische geswitcht. Neben ihm steht Lasse und grinst uns an, wobei sein Interesse eher Nicole zu gelten scheint.

»Ich sagte doch, wir werden uns wiedersehen.«

Ich schließe die Augen und grinse in mich hinein. Vielleicht wird dieser Ausflug doch nicht so schlecht.

 

Kapitel 3

Våra fötter snuddar under bordet och han drar dem snabbt bort. Gör jag honom förlägen? Jag är dock ändå här för att ha lite kul och för att överleva natten på något sätt.

Thore

 

Claras blondes Haar schimmert in der Sonne. Sie hat sich wieder umgedreht, steht jedoch immer noch vor mir und blickt hinaus auf die See. Offenbar hat sie nichts dagegen, dass ich sie mit meinen Armen umschließe und mich am eisernen Metall der Reling festhalte. Wir entfernen uns immer mehr von Stockholm. Das Salz in der Luft tut gut, es befreit meine Atemwege und lässt mich ihren frischen Duft nach Sommerblüten noch leichter aufnehmen. Himmel riecht diese Frau gut. Und dabei schafft sie es auch noch, all die schmutzigen Gedanken, die ich vor ein paar Stunden hegte, zu vertreiben. Jetzt möchte ich sie nur noch bei mir wissen. Na gut, die Kabine würde ich heute Nacht immer noch gerne mit ihr teilen, wer weiß schließlich, ob ich die Gelegenheit, ihr so nahe zu sein, noch einmal bekomme.

Über uns kreisen die letzten Möwen. Mit schnellen Flügelschlägen halten sie sich über dem Schiff, jederzeit bereit, den anderen Passagieren das Essen aus der Hand zu pieken.

Clara regt sich zwischen meinen Armen. Sie sagt irgendetwas auf Deutsch, dass ich nicht verstehe und sieht dabei ihre Schwester an. Dann wandert ihr Blick zu meiner goldenen Armbanduhr und bleibt an ihr heften. »Ich habe Hunger«, sagt sie schließlich auf Schwedisch.

Seit wir gestern am Eiswagen zusammengestoßen sind, habe ich sie nicht mehr schwedisch sprechen hören. Ihre Aussprache wirkt noch ziemlich holprig, und doch ist sie irgendwie niedlich.

»Das Restaurant öffnet bald. Wollen wir reingehen?« Nicole sieht uns fragend an.

»Essen«, sagt Clara deutlich. Das verstehe selbst ich. Sie duckt sich unter meinem Arm hindurch und schlängelt sich elegant durch die Menge. Ich folge ihrem hellblauen Poloshirt und der weißen Shorts übers Deck bis zum Foyer und der breiten Treppe. Nicole geht direkt hinter mir, dicht gefolgt von Lasse.

Ein mordsmäßiger Hunger breitet sich mit jedem Schritt in mir aus. Als wir vor der Flügeltür zum Restaurant ankommen, bildet sich bereits eine kleine Schlange davor und wartet auf Einlass. Wir bleiben an der weiß-goldenen Tapete stehen und warten darauf, dass die Tür aufgeht.

»Wo hast du schwedisch gelernt?«, wende ich mich an Clara und bewundere ihre klaren blauen Augen. Das Zucken in meiner Hose, das jedes Mal beginnt, wenn ich sie näher betrachte, ignoriere ich.

»In der Uni. Aber ich habe es nur zwei Semester lang gelernt.«

»Sollen wir weiter auf schwedisch sprechen, oder ist dir englisch lieber?« Man sieht ihr an, wie sie sich konzentrieren muss, um mir zu folgen. Dank der großen Auswahl an Marvelfilmen in der Originalsprache und den vielen Sprachkursen an der Uni ist mein Englisch ziemlich gut.

»Beides. Ich will deine Sprache schließlich auch lernen. Aber Nicole spricht gar kein Schwedisch. Vielleicht ist Englisch dann doch besser, wenn sie dabei ist.«

Ich muss lachen und hoffe, sie richtig verstanden zu haben. Mitten im Satz ist sie immer wieder hin und her gesprungen. Das habe ich in dieser Art auch noch nie gehört.

Mit einem Mal weht uns der köstliche Duft nach Braten, Eintöpfen, Fisch und allerlei Anderem entgegen und lässt mich über ihre Schulter hinweg zum Restauranteingang schauen. Ein junger Mann in Uniform öffnet die Türen zum Saal und befestigt sie an den Seiten, sodass sie offenbleiben. In gemächlichem Tempo treten die Leute vor uns ein. Auch hinter uns hat sich inzwischen eine lange Schlange gebildet. Nach und nach schlendern wir ins Restaurant und bestaunen das reichhaltige Buffet unter dem großen, gläsernen Kronleuchter, der durch die anderen Deckenleuchten zu glitzern scheint.

Wir suchen uns einen Tisch für vier. Während Clara und ich für alle die Getränke bestellen, gehen Lasse und Nicole zum Buffet. Wer weiß, vielleicht hat Tante Ida Glück. Dann fällt mir ein, dass es für uns alle eh nicht mehr als ein Urlaubsflirt sein wird. Clara scheint mir zu dem nicht die Frau zu sein, die mich einfach so an sich heranlassen wird. Auf der anderen Seite hat sie weitaus gelassener reagiert als erwartet, als ich ihr auf dem Deck die Augen zuhielt. Das hätte für mich auch ganz schön in die Hose gehen können.

»Wusstest du, dass ich es auf dem Deck war, der hinter dir stand?«

»Was glaubst du denn?«

Sie will spielen. »Dass dich mein herb männlicher Duft und mein muskulöser Körper so betört haben, dass du nur noch an mich denken konntest.«

Ihre Lippen pressen sich aufeinander und kurz habe ich Angst, dass die Weinschorle, die der Kellner ihr eben erst brachte, aus ihrer Nase herausschießt. Doch dann fasst sie sich offenbar und beginnt ohne Umschweife laut los zu lachen. »Herb männlicher Duft? Tut mir leid. Ist das dein Ernst? Du bist echt süß.« Als ob ich das nicht wüsste.

Clara

 

Thore läuft rot an und ich muss mich in die Stuhllehne krallen, um nicht noch lauter loszuprusten. Die Ernsthaftigkeit, mit der er gerade sprach, geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

»Wir kennen doch niemanden hier außer euch. Und wäre es ein Fremder gewesen, dann hätte Nicole wohl kaum so ruhig neben mir gestanden. Woher wusstet ihr eigentlich, dass wir hier sind?« So ganz kann ich es immer noch nicht glauben, dass die beiden da sind. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass sie sich diese Fahrt auch nur unseretwegen antun.

Nicole und Lasse kommen gut gelaunt miteinander quatschend wieder. Mir fällt auf, dass Nicole, seit wir in Schweden sind, durchgehend fröhlich ist. Ganz anders als ich. Mir fehlen alle einfach so sehr und der Gedanke daran, ab Ende nächster Woche auf mich allein gestellt zu sein, ängstigt mich.

Thore und ich stehen auf und gehen gemeinsam zu den Vorspeisen. »Also?«, hake ich noch einmal nach.

»Es gab nur diese eine Sauffahrt.«

»Und wieso wolltet ihr unbedingt mit?«, frage ich so unschuldig dreinblickend, wie ich kann und verschränke meine Hände hinter dem Rücken.

Thore grinst und reibt sich über den kurzen Bart. Ich glaube, dass er heute viel gepflegter aussieht als gestern. Ob er ihn extra für uns gestutzt hat?

»Zwei hübsche Mädels wie euch können wir doch nicht alleine über die Ostsee schippern lassen.« Er zwinkert mir zu und lädt sich ein paar gefüllte Tärtchen auf seinen Teller.

Ich nehme mir ebenfalls eines mit einer Gemüsecremefüllung und dazu etwas Salat. Der Abend ist noch lang, da möchte ich mich nicht vollstopfen – im Gegensatz zu Nicole und Lasse, die ihre Teller bereits leergeputzt haben, als wir zurück zum Tisch kommen.

»Oh, die Gemüsetärtchen sind mega lecker«, sagt Nicole mit einem Blick auf meinen Teller. Kurz danach steht sie auf und bedient sich für den nächsten Gang.

»Wir können also nicht auf uns selbst aufpassen?«, frage ich und ziehe eine Augenbraue theatralisch in die Höhe. Dieses Mal bin ich sogar wieder ins schwedische gewechselt. Meine Hände sind vor meinem Kinn gefaltet und ich stütze die Ellbogen auf dem runden Tisch ab. Aufmerksam mustere ich Thore, der wieder rot wird.

»Bestimmt könnt ihr das«, antwortet er knapp. Lasse presst neben ihm die Lippen zusammen. Dann steht er schließlich auf und geht zu Nicole.

Als er weg ist, sieht Thore mir endlich wieder in die Augen. Jetzt erst fällt mir auf, dass seine genauso blau sind wie meine – vielleicht eine Nuance dunkler. Unsere Füße berühren sich unter dem Tisch und er zieht sie rasch wieder weg. Mache ich ihn etwa verlegen? Dabei bin ich doch auch nur hier, um ein bisschen Spaß zu haben und irgendwie die Nacht durchzustehen.

Ich schaue, wo Nicole und Lasse bleiben. Sie stehen beide immer noch am Buffettisch und unterhalten sich. Ich ahne es schon, bestimmt darf ich mir morgen ihre Schwärmereien für Lasse anhören. Aber wieso auch nicht? Sie dürften in etwa gleich alt sein, vielleicht ist er zwei, drei Jahre älter als sie, doch im Gegensatz du diesem Björn scheint er mir ganz vernünftig zu sein.

»Soll ich ehrlich sein?«, frage ich ganz ruhig und wende meinen Blick wieder Thore zu, der mich interessiert mustert. »Eigentlich bin ich ganz froh, dass ihr hier seid. Ich mache diese Fahrt heute nur für Nicole mit. Sie wollte unbedingt mit diesem Schiff fahren.« Ich muss zugeben, bis jetzt ist es, abgesehen von unserer winzigen Kabine, eigentlich ganz schön hier. Schließlich sind sogar einige Familien mitgereist, da wird es hoffentlich nicht zu schlimm werden.

Thore schaut mich schmunzelnd an. Kurz sieht es aus, als würde er über den Tisch hinweg meine Hand greifen wollen, doch dann steht er stattdessen auf. Im Gegensatz zu mir hat er seine Tärtchen bereits aufgegessen, während ich noch im Salat herumstochere.

Als er zum Buffet geht, schaue ich ihm hinterher und muss mir eingestehen, dass er tatsächlich ganz gut in mein Beuteschema passt.

Bevor Lasse und Nicole wiederkommen, schaufle ich schnell ein paar Gabeln Salat in mich hinein und beiße in das Gemüsetärtchen. Nicole hatte recht, es schmeckt wirklich köstlich. Jetzt muss ich bloß noch überlegen, ob ich mir gleich ein weiteres hole, oder doch lieber den Auflauf probiere, den Lasse sich aufgetan hat. Am Ende entscheide ich mich für den Kartoffelauflauf und im Anschluss daran gibt es ein Stück Mandeltorte. Verdammt ist die lecker.

Als wir mit dem Essen fertig sind, gehen wir zurück in unsere Kabinen – die Kabine der Jungs liegt zwei Etagen unter unserer – und machen uns ein bisschen frisch, ehe wir uns in einer Stunde auf dem Deck treffen wollen.

 

Clara

 

»Du stehst doch auf ihn«, stellt Nicole fest, als wir wieder unter uns sind und ich mir für heute Abend ein schwarzes Top anziehe.

»Ich sagte doch schon, dass ich ihn nicht von der Bettkante stoßen würde«, erwidere ich und schlinge einen weißen Gürtel um meine schwarz gefärbte Jeans.

»Und, wird da etwas zwischen euch gehen?«

Ich seufze und lasse den Klappverschluss des Gürtels zuschnallen. »Nicole, du weißt, dass ich nicht für eine Urlaubsnacht zu haben bin. Ein bisschen Flirten und Spaß haben schön und gut. In einer Woche bin ich in Karlstad und du wieder zu Hause. Also wieso sich jetzt einen Kopf darum machen? Da wird eh nicht mehr draus. Und als deine große Schwester bitte ich dich, ganz egal wie süß du diesen La-«

Plötzlich wedelt sie abwehrend mit den Händen und weicht einen Schritt zurück, bis sie gegen die Tür stößt.

»Also bitte«, sage ich, ehe sie mir widersprechen kann. »Jeder Blinde sieht doch, dass du auf den stehst – und er ganz offensichtlich auch auf dich. Also erzähl mir nicht, dass du nicht bereits daran gedacht hättest. Aber wie gesagt, versprich mir einfach, dass du nicht gleich mit ihm ins Bett steigst. Ich will nicht, dass du mit Liebeskummer oder so zurück nach Deutschland kehrst. Außerdem würde Mum mir den Hals umdrehen.«

Nicole sieht mich mit verschränkten Armen an. »Was denkst du eigentlich von mir?«

Mein Blick wandert von ihren Stilettos hoch zu ihrem kleinen Schwarzen, vorbei an der mit Pailletten besetzten Handtasche und bleibt an ihren rot geschminkten Lippen kleben. »Das du verdammt sexy aussiehst. Viel zu sexy. Noch bevor du dein erstes Wort auf Schwedisch sagen kannst, wird Lasse versuchen, dich ins Bett zu bekommen. Da wette ich mit dir.«

Mit verschränkten Armen gibt sie ein leises Schnauben von sich. »Und du glaubst, Thore wäre da anders?«

»Nein«, sage ich ehrlich. »Aber ich weiß, dass ich mich beherrschen kann.« Zumindest hoffe ich das.

»Das kann ich auch.«

»Pass einfach auf dich auf«, erwidere ich ruhig und will sie in die Arme nehmen, so wie wir das immer machen, wenn wir einen kleinen Disput hatten. Doch dieses Mal weist sie mich ab und zeigt mir die kalte Schulter. Dann eben nicht. »Komm«, sage ich. »Lass und schon mal hochgehen. Die frische Luft wird uns sicherlich guttun.«

Wir verlassen stumm unsere Kabine auch auf dem Weg nach oben sprechen wir nicht miteinander. Erst auf dem Deck brechen wir das Schweigen. »Du denkst doch nicht wirklich so von mir, oder?«, fragt sie mich.

»Nein«, sage ich seufzend. »Aber ich war auch mal in deinem Alter. Außerdem wirst du heute sicherlich etwas trinken genauso wie Lasse. Wie gesagt, pass einfach auf dich auf. Ich vertraue dir.«

»Du klingst schlimmer als Mum.«

»Solange du hier bist, bin ich für dich verantwortlich.« Dieses Mal lässt sie es zu, dass ich sie an mich drücke und ihr einen Kuss auf den Schopf gebe.

»Mir ist kalt«, murrt sie plötzlich und reibt sich an den Armen.

»Ja, mir auch. Die Jungs dürften bald da sein, dann gehen wir am besten gleich runter.« Ich schlinge meine Arme um sie und blicke über ihre Schulter hinweg raus aufs offene Meer. Stockholm haben wir längst hinter uns gelassen. Bisher ist der Himmel wunderbar klar und ich kann es kaum erwarten, ihn ohne das grelle Licht der nächtlichen Großstadt im Nacken zu bestaunen.

»Vacker« wunderschön , sagt eine tiefe Stimme hinter uns und Thore stellt sich neben mich und Nicole.

»Ja, das ist es.« Ich drehe mich um. »Wo ist Lasse?«

»Der kommt gleich.« Wer weiß, vielleicht bekommt ihn ja die See nicht so gut. Selbst auf einem großen Schiff wie diesem spürt man den Seegang; vor allem jetzt, wo der Wind zugenommen hat und die Wellen hart gegen das kalte Metall der Schiffswand prallen.

»Ihr friert ja«, stellt Thore fest und zieht die Jeans Jacke, die er sich übergeworfen hat, aus und legt sie über meine Schulter, sodass die Ärmel auch über Nicole fallen. Meine Brust drückt noch immer an ihre Schulterblätter und wir spenden uns gegenseitig Wärme.

Hinter uns ertönt ein tiefer Pfiff; Lasse hebt winkend die Hand und kommt auf uns zu. Jetzt, wo wir vollständig sind, können wir endlich wieder rein ins Warme gehen.

 

Kapitel 4

Hennes hand smeker mina bröst över skjortan och glider sedan långsamt upp till min nacke tills hon lutar sig mot dem.

Thore

 

Als wir die Tür zur Disco öffnen, schlägt uns gleich warme, stickige Luft entgegen. Während man durch die schwere Eisentür kaum einen Laut gehört hat, werden wir nun von lauten Basstönen begrüßt, die einem bis tief ins Mark gehen.

»Dahinten«, sage ich zu den dreien und zeige zur Bar. Das wirkliche Highlight dieser Fahrt ist nicht das Buffet oder die Atmosphäre des Schiffs. Es sind die kostenlosen Getränke. Selbst der teure Wodka ist hier im Preis für die Überfahrt enthalten. Nirgendwo sonst kann man sich in Schweden so günstig besaufen, wie auf einem der Partyschiffe und nur deswegen sind sie bei den Studenten so beliebt und daher war auch Lasse ganz scharf darauf, heute mitzukommen, wobei ich mir inzwischen nicht mehr ganz sicher bin, ob das der einzige Grund war. Ohne Scham beginnt er neben Nicole zu tanzen und rückt ihr dabei immer mehr auf die Pelle.

Ich lehne mich zu Clara rüber. »Pass auf deine Schwester auf«, sage ich mit einem Zwinkern und nicke zu den jungen Turteltauben hin.

»Hab’ ihr schon eine Standpauke gehalten«, erwidert sie und zwinkert zurück.

»Was möchtest du trinken?«

»Ich weiß nicht.« Ihr Blick fällt auf die große Karte über der Theke vor der Bar. »Irgendeinen Cocktail, was Süßes.« Ihre Stimme ist laut, trotzdem verstehe ich sie kaum. Ich bezweifle, dass wir uns bei der Musik heute viel unterhalten werden.

»Sweet Baya?«, frage ich fast schon brüllend.

»Was ist da drin?«

»Johannisbeere, Pfirsich, Mango, Rum, sowas halt.« Ganz genau weiß ich es auch nicht, aber süß ist es allemal. »Wird dir bestimmt schmecken.«

Sie nickt und ich gehe vor zur Bar und bestelle für uns. Für mich gibt es einen Cubra-Libre, danach jedoch nur noch Bier. Ich will den Abend schließlich genießen.

Mit den Gläsern in der Hand gehe ich zu ihr zurück. Inzwischen steht sie bei ihrer Schwester und Lasse; im Gegensatz zu den beiden tanzt sie jedoch nicht, sondern wippt nur mit dem Fuß.

»Das ist wirklich nicht deins, oder?« Ich gebe ihr den Drink und sie folgt mir abseits zu ein paar quadratischen Blöcken aus Schaumstoff, die überall verteilt am Rand stehen, und wir setzen uns.

»Überhaupt nicht«, antwortet sie schließlich und schlürft an ihrem Strohhalm.

Hier an der Wand, etwas entfernt von den Boxen, die von der Decke hängen, ist es ein paar Dezibel leiser und ich kann ihre Mischung aus Englisch und Schwedisch schon wieder besser verstehen. »Was ist dann dein Ding?«, frage ich sie.

Sie wirft ihre Haare nach hinten und bindet sie rasch zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen, während sie ihr Glas zwischen die Beine geklemmt hält. »Reiten«, antwortet sie, als sie fertig ist und den Strohhalm erneut zu ihren verführerischen Lippen führt.

»Auf Pferden?«, frage ich mit einem Zwinkern.

Sie kichert. »Ja, natürlich. Ich habe eine Hannoveraner-Stute. Freya.« Sie zückt ihr Handy und zeigt mir ein Bild des schwarzen Pferdes.

»Schönes Tier. Sie sieht sehr edel aus. Machst du auch bei Turnieren mit?«

Clara schüttelt den Kopf und ihr Zopf wedelt auffällig hin und her. Mit offenen Haaren ist sie mir trotzdem lieber. »Früher habe ich an Voltigier-Wettkämpfen teilgenommen. Seit ich studiere, fehlt mir da aber die Zeit zu. Jetzt mache ich höchstens mal ein paar Voltigier-Übungen mit Nicole aus Spaß, um nicht ganz aus der Übung zu kommen.«

Eine meiner Brauen wandert nach oben. »Gesundheit«, sage ich trocken und sie lacht laut auf. Sie lacht wie ein Engel, hell und klar. Selbst bei der lauten Musik ist es ansteckend. »Nein im Ernst«, sage ich schließlich, »bitte was hast du gemacht?«

»Voltigiert? Ich turne dann sozusagen auf meinem Pferd und mache kleine Kunststücke beim Reiten. Aber wie gesagt, inzwischen ist das Reiten mehr ein Hobby geworden, meine Freya mag ich aber dennoch nicht mehr hergeben.«

Ein alter Schulkamerad hat einen Reiterhof, da hätte sie bestimmt Spaß … ach nein. So lange wird sie ja gar nicht mehr hier sein. »Wann reist ihr ab?«

»Am neunzehnten, wieso?« Das ist in vier Tagen. Schade.

Ich schüttle kurz den Kopf. »Nur so«, murmle ich. »Wollen wir morgen ausgehen?« Nur wir beide, füge ich gedanklich hinzu und blicke zu meinem Cousin auf die Tanzfläche, der sein bestes Stück gerade geschickt an Nicoles Hintern reibt.

»Ich glaube nicht, dass ich nach dieser Fahrt dazu in der Lage sein werde.« Sie greift nach meinem Arm und blickt auf meine Uhr. »Die Nacht ist schließlich noch lang«, fügt sie hinzu und lässt mich wieder los. Eine innere Leere krabbelt von meinen Fingerspitzen den Arm hinauf und bis zu meinem Herzen. Sie hätte ruhig länger auf die Uhr schauen können.

Unsere Getränke neigen sich langsam dem Ende. »Tanzen?«, frage ich und halte ihr meine Hand hin. Wenn ich auf Schwedisch mit ihr spreche, versuche ich mich so kurz und deutlich wie möglich auszudrücken. Es scheint zu klappen, denn sie springt gleich auf und legt ihre geschmeidigen Finger in meine. Hoffentlich merkt sie nicht, dass ich alles andere als ein guter Tänzer bin. Meine Hand fährt über ihren Rücken, runter bis zum Steißbein und bleibt dort, knapp über ihrem Po, ruhen. Kurz bin ich versucht, sie noch ein Stück weiter runter gleiten zu lassen, doch dies verbieten mir meine guten Manieren und der strenge Blick ihrer Schwester, die gerade zu mir gewandt hinter ihr steht. Jetzt wird Nicole wieder von Lasse herumgewirbelt, ehe er sich erneut hinter sie drängt.

Clara und ich gehen es langsamer an. Ihre freie Hand streichelt über das Hemd an meiner Brust und gleitet langsam rauf zu meinem Nacken, bis sie sich daran niederlegt.

Ich lasse ihre sanften Finger los und greife sie an der Hüfte. Langsam, im Rhythmus der Musik, ziehe ich sie zu mir und wir tanzen dicht aneinandergedrängt, während sich die Menge um uns herum verdichtet. Ihre Hand zieht dabei sanfte Kreise auf meinem Rücken, vom Schulterblatt übers Schlüsselbein, die Wirbelsäule entlang und wieder zurück zu meiner Hüfte. Am liebsten würde ich sie jetzt einfach küssen. Alles in mir schreit laut ›Los, tu es doch‹, aber ich kann nicht. Ich traue mich nicht und ich will es mit ihr nicht verscherzen, ehe ich sie auch nur annähernd kennengelernt habe.

Claras blaue Augen reflektieren das glitzernde Funkeln der Lichter um uns herum, bis sie sie schließt. Das Lied wechselt und nach dem lauten Techno Gedöns läuft nun ein ruhigerer Sommerhit. Ihr Kopf gleitet nach vorne und bettet sich auf meiner Brust. Trotz der Musik kann ich sie unter meinem Kinn atmen hören. Soll ich sie doch küssen?

 

Clara

 

Alles dreht sich und ich schlinge mich fester um Thore. Obwohl der Cocktail ziemlich süß war, habe ich vor allem eines geschmeckt: Rum – und zwar jede Menge. Das war der erste härtere Alkohol seit – ich weiß nicht wie vielen Monaten. In meinen Beinen kribbelt es und mein Kopf tanzt Tango. Es ist nicht das erste Mal, dass ich deswegen zusammenklappe. Eine Freundin meinte mal, dass ich möglicherweise eine Alkoholunverträglichkeit habe.

Mit geschlossenen Augen stehe ich an Thores Brust gebettet da und kann mich kaum bewegen, mich kaum auf den Beinen halten. Das letzte Mal, dass ich nach nur einem Cocktail so weg war, war bei der Kneipentour während der Einführungswoche im ersten Semester – und davor war es während der Abifahrt. Dennoch dachte ich, dass es inzwischen ginge.

Mein Ohr liegt direkt über seinem Herzen. Ich spüre es deutlich durch seinen Brustkorb schlagen. Noch fünf Minuten, dann geht es bestimmt wieder. Mein Fuß wippt langsam im Takt mit. Zumindest versuche ich, den Takt halbwegs zu halten. Was Thore wohl gerade denkt?

Das Kribbeln in den Beinen wird stärker wenn ich mich nicht bald hinlege, dann kippe ich um, wird mir klar. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen. »Draußen«, murmle ich und lasse ihn kurz los, um auf die Tür zu zeigen.

Er sieht mich fragend an und greift nach meiner Hand. Jedoch lässt er mich auch genau in diesem Moment los. Der Schwindel überwältigt mich und ich sehe nichts mehr. Alles ist wie ein verschwommener Film, als hätte ein Kind mit matschigen Fingern auf der Kameralinse herum getatscht.

»Clara?« In meinen Ohren rauscht es. Plötzlich sind da starke Hände, die nach mir greifen und mich hochziehen. Ich bin wohl doch zusammengebrochen. Ich habe keine Ahnung, was passiert, doch plötzlich schwebe ich. Nur noch der Bass der Musik dringt deutlich zu mir durch, dennoch könnte ich nicht einmal sagen, was gerade läuft. Jemand hält meine Hand und meine Fingerspitzen beginnen zu kribbeln. Ich drehe den Kopf und sehe jemand Kleines neben mir herlaufen. Braune Haare fallen über mein Gesicht. Nicole, schießt es mir durch den Kopf. Dann wird es kalt und Thore legt mich ab. Die Beine winkle ich instinktiv an und versuche, mich zu entspannen.

»Dieser verdammte Blutdruck«, fluche ich leise. Thore hat sich über mich gebeugt und streicht mir die Strähnen, die aus meinem Zopf gerutscht sind, aus dem Gesicht.

»Ich geh schnell rein und hole ihr ein Glas Wasser«, sagt Lasse auf Schwedisch und Thore nickt.

»Water«, sagt er zu Nicole, die nun auch zu verstehen scheint, dann wendet er sich wieder mir zu. »Alles in Ordnung?«

Ich nicke. Zu mehr bin ich nicht in der Lage. Mein Blick klärt sich allmählich auf und ich greife nach Thores Gesicht. Ich kann nicht einmal sagen wieso. Aus irgendeinem Grund habe ich das Bedürfnis, ihn zu berühren – über seinen blonden Bart zu streicheln. »Danke«, flüstere ich.

Er ergreift meine Hand und umschließt sie mit seiner, ehe ich sein Gesicht berühren kann. Seine Hände sind warm, aber nicht feucht.

Nicole kniet sich neben mich und fühlt nach meinem Puls. »Ganz schön schwach«, bestätigt sie und greift nach meiner Stirn. Bestimmt ist sie kalt und verschwitzt. »Du hättest mehr essen und trinken sollen«, sagt sie schließlich und sieht mich ernst an. »Und viel geschlafen hast du auch nicht. Bleib jetzt besser bei etwas Alkoholfreiem.«

»Ja, Mutti«, necke ich sie und kann sogar schon wieder lachen.

Als Lasse zurückkommt, hilft Nicole mir, mich aufzurichten und Thore reicht mir das Glas Wasser. Hastig trinke ich es aus und lege mich wieder zurück auf den Rücken. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Nicole sich die Arme reibt. Mir ist komischerweise überhaupt nicht kalt. »Du kannst ruhig reingehen, meinetwegen brauchst du nicht zu frieren. Ich möchte bloß sicherheitshalber noch ein bisschen draußen bleiben.«

Sie steht auf und blickt fragend zu Thore runter, der noch immer bei mir kniet. »Ich bleibe bei ihr«, sagt er ruhig. »Geht rein. Wenn etwas sein sollte, finde ich euch schon.«

»Macht es dir wirklich nichts aus?« Sie zittert. Das sehe ich selbst vom Boden aus.

»Nein. Na los, geh dich aufwärmen. Es reicht doch, wenn ich wie ein Frack hier liege, da brauchst du dich jetzt nicht auch noch zu erkälten.«

Ich kenne ihren Blick. Sie ist unentschlossen. Doch dann siegt offenbar die Sehnsucht nach Wärme. »Pass auf sie auf«, raunt sie Thore zu und drückt seine Schulter.

Thore setzt sich in den Schneidersitz, ohne meine Hand loszulassen.

»Passiert dir das öfters?«

»Hin und wieder. Ich trinke nur selten etwas Härteres als ein Mixbier«, gestehe ich. »Das letzte Mal, dass es mich so stark umgehauen hat, ist über drei Jahre her. Aber hin und wieder kam es schon vor.«

Seine rauen Fingerkuppen streifen gefühlvoll über meinen Handrücken. Wie er wohl darüber denkt, dass ich von ein paar Tropfen Alkohol schon zusammenbreche?

Er lässt mich los und stützt sich nach hinten gelehnt auf seinen Handballen ab. Den Kopf in den Nacken gelegt, wandert sein Blick nach oben. »Es ist wunderschön.«

»Ja, das ist es«, erwidere ich und drehe mich zur Seite. »Komm, leg dich hin.«

Thore nickt und streckt die Beine aus. Eine Hand schiebt er unter seinen Kopf, die andere unter meinen. Weich gebettet liege ich in seinem Arm, dicht an seine Brust gedrückt. Sein oberster Hemdknopf ist offen. Kurz überrumpelt mich das Verlangen, auch die restlichen zu öffnen, doch dann siegt die Vernunft. Also drehe ich mich zurück auf den Rücken und blicke erneut gen Himmel. Es ist so unglaublich schön. Der Himmel erstrahlt in tausend roten Tönen, jetzt wo die Sonne fast untergegangen ist.

Thores Finger kreisen über meine Schulter, während seine weiche Haut mich wärmt und mir die Sicherheit gibt, die ich nach dem Zusammenbruch eben brauche.

»Das ist das Schönste, das ich jemals gesehen habe«, gestehe ich und sehe aus dem Augenwinkel, wie er lächelt.

»Ja, es ist atemraubend.«

»Gibt es hier auf dem Meer auch die Mitternachtssonne?«, frage ich, ohne den Blick vom rotschimmernden Himmel abzuwenden.

»Nein, dafür sind wir zu weit südlich. Vielleicht können wir einen hellblauen Schweif heute Nacht sehen.« Ich stelle es mir ganz komisch vor, wenn es in manchen Gebieten des Landes selbst um Mitternacht noch hell ist, doch diesen blauen Schweif würde ich gerne sehen.

Langsam wende ich meine Augen vom Himmel ab und blicke über das Deck. Es ist fast leer. Bestimmt sind die meisten Leute inzwischen im Discosaal, schließlich kommen sie deswegen hierher. Kurz überlege ich, Thore zu fragen, ob er wieder rein möchte, doch dann überlege ich es mir anders. Hier draußen ist es viel zu schön. Ich schmiege mich noch näher an seinen warmen Körper und sauge seinen Duft nach Bergamotte ein. Wieder erwische ich mich dabei, wie meine Hand unter sein Hemd kriechen will und wieder halte ich sie davon ab. Es ist viel zu früh dafür. Oder nicht? Wahrscheinlich werden wir uns sowieso nie wiedersehen. Ich gehe in ein paar Tagen nach Karlstad und er wird hierbleiben.

Was habe ich denn zu verlieren? Mir fällt ein, wie ich Nicole erst vor ein paar Stunden ermahnt habe, mit Lasse nicht zu weit zu gehen. Doch wo ist die Grenze? Ist sie schon erreicht?

 

Thore

 

Es ist wunderschön. Der Himmel fasziniert uns, sie fasziniert mich. Ihre Hand liegt warm und weich über meinem Hemd auf meiner Brust. Kurz dachte ich, sie will es aufknöpfen, doch dann hielt sie inne. Ob sie nicht weiß, was sie will?

Sie soll mich wollen – auf jeden Fall will ich sie.

Langsam drückt das kalte Metall des Bodens an meinen Rücken. Sie berührt es kaum noch, so eng hat sie sich an mich geschmiegt, und fährt mit ihrer Fingerspitze kreisend über meinen Bauch. »Kannst du schon aufstehen?«, frage ich leise.

»Ich möchte noch nicht rein.« Frauen, denke ich grinsend.

»Ich auch nicht, aber der Boden ist kalt und ich … ich dachte, wir könnten ein bisschen spazieren gehen. Übers Deck. Titanic spielen?«

Ihre Lippen lächeln und sie drückt sich vorsichtig nach oben. Ohne sie aus den Augen zu lassen stehe ich auf und helfe ihr hoch. Sie sieht immer noch ein wenig blass aus. Nach dem Schrecken, den sie mir eben eingejagt hat, ich sicherlich auch. Ohne großes Tam Tam verschließen sich unsere Hände wie selbstverständlich ineinander und wir gehen rüber zur Reling.

»Also, Lust auf Titanic?«, raune ich in ihr Ohr und spüre, wie sie leicht erschaudert und sich die winzigen Härchen an ihrem Hals aufstellen. Mit der Nasenspitze fahre ich über sie und schließe die Augen. Meine Hände gleiten an Claras schlanker Taille entlang und bleiben an ihrer Hüfte liegen.

Wir befinden uns am Heck des Schiffes, der weiten See zugewandt. Sie steht auf einer kleinen Erhebung, sodass wir fast gleich groß sind. Während ich ihre Hüfte umschließe, hebt sie wie im Film die Arme und bettet ihren Hinterkopf an meiner Schulter. Ihre Haare duften nach Kokosnuss. Einzelne Strähnen wehen mir entgegen es stört mich überhaupt nicht. Die salzige Meeresluft, der Duft ihrer Haare, ihr blumiges Parfum, es ist himmlisch. Erneut fahre ich mit der Nasenspitze über ihren Hals, bis hin zu ihrer Wange und wieder zurück. Sie streckt mir ihre freie Haut willig entgegen. Ich kann nicht mehr anders, und muss sie mit meinen Lippen berühren.

Ihre Augen schließen sich, als ich sanft über ihren Hals streiche, an ihren Ohrläppchen knabbere und sich ihr Gesicht immer weiter zu mir hinwendet. Sie öffnet die Lider. Ihre Augen sind so rein – unergründlich nehmen sie mich gefangen und ziehen mich in ihren Bann.

Ganz langsam, als wolle sie nichts falsch machen, dreht sie sich zu mir um, ohne den Blick von mir abzuwenden. Die Arme zurück an ihren Körper genommen, hebt sie eine Hand und streichelt mir zärtlich über das Gesicht. Es fühlt sich an, als würden wir seit Stunden hier stehen und uns einfach nur anschauen. Ich kann mich kaum an ihr satt sehen.

Ganz leicht öffnet sie den Mund und ich weiß, ich darf endlich das tun, wonach ich mich schon den ganzen Abend gesehnt habe. Meine Hand greift ihren Nacken und ich ziehe sie näher an mich. Der Wind umspielt uns und jagt mir einen Schauer über den Rücken. Wie in Zeitlupe kommen wir uns näher, bis ihre Lippen schließlich meine berühren. Ganz sanft und sachte streift mein Mund ihren und ich knabbere vorsichtig an ihrer Lippe, dann werden wir stürmischer: Ihr Körper drängt sich dichter an meinen. Mit der einen Hand fahre ich durch ihr glattes, seidenes Haar und ziehe ihr Haargummi heraus. Mit offenen Haaren ist sie noch viel schöner. Mit der anderen Hand ziehe ich sie dichter an mich, bis sich fast jede Faser der Kleidung zwischen uns berührt Wie gerne würde ich sie loswerden: uns die Klamotten vom Leib reißen und mit ihr ins kühle Nass springen, um nackt eine Runde im Abendrot zu schwimmen.

Claras Zunge spielt listig mit meiner sie weiß, was sie tut – und ich konzentriere mich wieder ganz aufs Hier und Jetzt – auf sie. Am liebsten würde ich sie in meine Kabine mitnehmen. Sie einfach hochheben und unters Deck tragen doch sie löst sich bereits wieder von mir. Mit erröteten Wangen und leicht geschwollenen Lippen sieht sie mich an – so wunderschön zierlich und unschuldig.

»Wollen … wollen wir wieder reingehen? Noch ein bisschen Tanzen und etwas trinken?«

Ich ziehe eine Braue nach oben.

»Kein Alkohol«, beteuert sie. »Eine Cola oder so.«

»Okay«, sage ich nur und wirble sie einmal herum, bis sie wieder in meinen Armen liegt. »Dann lass uns tanzen.«

Mit einem Zwinkern lasse ich sie los und folge ihr dicht an ihrer Seite zurück unters Deck und in die stickige Disco hinein, die gerade von jeder Menge Nebel durchzogen wird. Wenn man von draußen kommt, erschlägt einen die Luft hier drinnen förmlich. Ich sehe Clara hilfesuchend an, in der Hoffnung, dass sie der Nebelmaschine genauso abgeneigt gegenüber ist wie ich, doch sie scheint bereits Nicole und Lasse in der verrauchten Menge ausgemacht zu haben und zieht mich durch die tanzende Schar hindurch zu ihnen.

In jedem Fall geht es ihr wieder sichtlich besser, stelle ich fest und tanze mich mit ihr durch die Menge zu meinem Cousin hin.

Lasse und Nicole haben beide ein Bier in der Hand und winken uns zu. Nicole fragt Clara etwas auf Deutsch, die daraufhin nickt.

»Ich lass euch kurz alleine und hole uns eine Coke«, sage ich und wende mich von ihnen ab.

 

Clara

 

Langsam kehrt Leben in mich zurück. Nicole tanzt mich an, während ich Tore nachsehe, der uns etwas zu trinken besorgt – dieses Mal ohne Alkohol. Davon habe ich für die nächsten Wochen erst einmal genug. Meine Schwester greift nach meiner Hand und zieht mich näher an sich. »Ist wirklich alles in Ordnung? Du siehst immer noch ziemlich blass aus.« Ihr Lippenstift ist leicht verschmiert, also war auch sie in der letzten halben Stunde nicht ganz unschuldig.

»Ja, es ist alles okay. Wenn mir wieder schwindlig wird, weiß ich ja, was zu tun ist«, rufe ich über die Musik hinweg. Hinter uns wird der Raum erneut in Nebel gehüllt. Ich hasse diesen verbrannten Geruch und bin froh, als Thore zurückkommt und mir die Cola unter die Nase hält.

»Eine Cola für meine Clara«, sagt er auf Schwedisch und löst mich von Nicole ab. Er stellt sich hinter mich und schwingt seine Hüften mit mir im Takt der Latino-Musik, die gerade läuft. Seine Hand gleitet zu meinem Top und an meinem Bauch entlang. Gleichzeitig schmiegt sich mein Po dicht an seinen Körper. Während seine eine Hand sich an meiner Hüfte niederlegt, hält er in der anderen seine Flasche.

Rhythmisch zur Musik hebe ich die Hände und lasse sie durch die Luft gleiten: Einfach die Augen schließen und den Bass spüren. Sein Kuss hat mich beflügelt und ins hier und jetzt zurückgeholt. Für einen Moment vergesse ich alles. Gedanklich packe ich alle Ängste und Sorgen in eine kleine Schachtel und verschließe sie tief in meinem Geist. Dann verschränke ich meine Arme hinter dem Kopf, umfasse seinen Nacken und ziehe ihn über meine Schulter zu mir runter. Seine Barthaare kitzeln an meiner Wange, als er sich zu mir beugt und unsere Lippen sich berühren. Die Augen geschlossen, drehe ich mich zu ihm um und lasse die tanzende Meute hinter mir. Jetzt gibt es nur noch ihn und mich. Sein Atem brennt heiß auf meiner Haut, während seine Lippen meinen Hals entlanggleiten und immer wieder zu meinem Mund zurückkehren.

Die Arme um seine Schulter gelegt tanzen wir dicht an einander gedrängt im stickigen Club. Nicole und Lasse stehen ähnlich eng umschlungen nur wenige Meter von uns entfernt. Lasses Kopf ragt deutlich über den anderen hervor. Erst jetzt fällt mir auf, wie groß er ist.

Als ich gerade meinen Arm mit der Cola in der Hand runternehme und die Flasche an meine Lippen setze, rempelt mich irgendein Idiot von hinten an. Der gläserne Rand der Flasche rammt gegen meine Lippen, sodass ich vor Schmerz die Zähne zusammenbeiße.

Verdammter Mist, können die Leute nicht aufpassen? Erst, als ich an mir herunterschaue, bemerke ich einen feuchten Fleck auf meinem Top. Mit der freien Hand streiche ich über den Stoff, er ist klitschnass. Na super.

Thore greift nach meinem Kinn und dreht meinen Kopf ins Licht eines bläulichen Scheinwerfers. Sein Daumen streift meine Lippe. »Du blutest«, sagt er laut und nickt zum Ausgang.

Mit der Zunge fahre ich über meine Unterlippe und schmecke sofort den eisernen Geschmack von frischem Blut. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Seufzend dränge ich mich an Thore vorbei und tippe Nicole an, die von allem nichts mitbekommen zu haben scheint. Statt mir in die Augen zu sehen, geht ihr Blick jedoch über meine Schulter. Was passiert dahinten?

Ich drehe mich um und ergreife instinktiv Thores Hand. Hinter uns hat sich ein Halbkreis gebildet und ein paar halbstarke Jungs pogen oder moschen in der Mitte. Ich habe den Unterschied nie so wirklich verstanden. Dann ist sicherlich auch einer von denen für meine blutige Lippe und das versaute Top verantwortlich.

Als einer der Typen auf uns zu stolpert, reicht es mir. »Ich habe keine Lust mehr«, sage ich deutlich zu Nicole und zeige auf mein nasses Oberteil.

Offenbar hin- und hergerissen schaut sie von mir zu Lasse, der hinter ihr steht und die Finger nicht von ihr lassen kann.

»Wenn du willst, kannst du ruhig bleiben. Ich ziehe mich um und dann … mal schauen.«

Nicole nickt. »Okay, pass auf dich auf«, erwidert sie laut und zwinkert mir, mit schielendem Blick auf Thore, zu.

»Du aber auch. Bis nachher.«

Lasse winkt uns kommentarlos, ehe er weiter an Nicoles Hals herumschlabbert. Wenn Mum davon erfährt, killt sie uns.

Thore zieht mich an seiner Hand aus der Menge heraus. Als wir die breite Flügeltür zum Clubeingang passiert haben, bleibe ich stehen und atme erst einmal tief durch. Erst jetzt wird mir bewusst, wie widerlich die Luft dort drinnen war. Zum Schluss roch es nur noch nach Qualm, Schweiß und Alkohol. Ein Grund mehr, sich umzuziehen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739477145
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
Liebesroman Schweden Romance Liebeskomödie New Adult Humor

Autoren

  • Lisa Summer (Autor:in)

  • Lisa Wüllenweber (Herausgeber:in)

Lisa Summer, Jahrgang 92' liest und schreibt im schönen Bayern. Ihre Bücher sind dabei so authentisch wie sie. Lisa liebt das Reisen, die Kunst und zu trashiger 90erjahre-Musik abzutanzen. Ihre Karriere begann sie als Lisa M. Louis, unter diesem Namen schreibt sie heute noch Dystopien.
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Titel: Swedish Kisses