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High Seas - Verloren im Paradies

Romantic Thrill

von Lisa Summer (Autor:in) Eva Baumann (Autor:in)
232 Seiten
Reihe: High Seas, Band 2

Zusammenfassung

Er kann ihre Rettung sein - oder ihr Untergang

Weiße Strände, Cocktails – so stellt Katie sich Inselhopping in der Karibik vor.
Zusammen mit ihrer Freundin Jenna heuert sie als Stewardess auf einer Segelyacht an, um Geld für das nächste Semester aufzutreiben.
Ebenfalls mit an Bord: Jennas Bruder Matt, auf den sie schon als Teenager ein Auge geworfen hatte.
Bei Sonne und Cocktails sprühen die Funken zwischen ihr und dem sexy Bootsmann.
Alles könnte perfekt sein, wenn nicht ihr kontrollsüchtiger Exfreund Josh der Kapitän wäre.
Um Katie zurückzugewinnen, lässt Josh nichts unversucht, auch wenn es bedeutet, im Sturm das Leben der gesamten Besatzung aufs Spiel zu setzen ...

Alle Teile der High Seas-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.


Bisher von den Autorinnen erschienen:

Lisa Summer:
Observe - Die neue Welt
Observe - Die andere Seite
Ich kann dich verdammt gut riechen
British Love
Swedish Kisses
French Desire
Italian Feelings
High Seas - Leidenschaft auf hoher See
Die Farben meiner Hoffnung
Liebespost vom Weihnachtsmann

Eva Baumann:
Die Unsichtbaren - Elaine
Die Unsichtbaren - Simon
Waldträume
Wasserflüstern
Feuerbilder
Autismus - eine Bedienungsanleitung

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1− Katie

»So ein Mist«, fluche ich leise vor mich hin.

Jenna dreht sich zu mir um und schiebt eine blonde Haarsträhne hinter ihr Ohr, ehe sie ihren Faltenrock zurecht zupft und mich fragend ansieht. »Was ist los, Katie?«

Ich seufze. »Kannst du mir bitte aushelfen? Ich dachte, ich hätte noch einen Schein übrig. Du kriegst das Geld morgen wieder.«

Der Barkeeper trommelt genervt mit den Fingerspitzen auf die Theke. »Wird’s heute noch was?«

Ein leises Lachen stößt aus Jennas Mund, dann zückt sie ihr rosa Portemonnaie, auf dem vorne ein eingeprägtes Gucci Logo prangt, und drückt mir im nächsten Moment einen Fünfziger in die Hand. Sie zuckt dabei nicht einmal mit der Wimper. Anders als ich stammt sie aus einem wohlhabenden Haus. Zumindest ist das inzwischen der Fall, vielleicht ist sie deshalb relativ bodenständig geblieben und kaum abgehoben. Heute ist ihre Familie mehr oder weniger reich. Als wir uns kennenlernten, war das zum Glück noch anders. Wer weiß, ob wir uns sonst jemals begegnet wären.

»Dankeschön, morgen bekommst du es wieder. Versprochen«, wiederhole ich und bezahle den Cocktail.

Jenna macht eine Ist-schon-gut-Bewegung mit der Hand. »Und wenn du es erst nächste Woche schaffst, geht die Welt auch nicht unter.«

Was würde ich nur ohne sie machen? Ein breites Lächeln tritt auf mein schmales Gesicht. Ich streiche mir eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr und umarme sie. »Du bist die Beste.« Und das ist sie wirklich. Immer ehrlich, immer für mich da und sie hat stets die lustigsten Ideen.

Ihre linke Augenbraue hebt sich und sie beginnt zu grinsen.

»Und jetzt?«, frage ich und spiele mit dem Strohhalm zwischen meinen Fingerspitzen.

»Jetzt gehen wir zum Pool, tanzen eine Runde und sehen den Männern dabei zu, wie sie sich wie Teenager verhalten und sich gegenseitig ins Wasser schubsen.«

Ich sage ja, die besten Ideen. »Klingt nach einem Plan.« Ich folge ihr zum Pool, der gleich hinter der Veranda liegt und von deren Seite der Duft von frisch gegrilltem Fleisch zu uns dringt. »Möchtest du etwas essen? Jetzt hab ich ja genügend Geld.« Ich zwinkere Jenna zu, die lachend den Kopf schüttelt.

»16:8«, antwortet sie und ein breites Fragezeichen tritt vor meine Augen.

»Nein, es ist kurz nach neun.«

Jenna hebt die Schultern und lässt sich in einem der chilligen Gartenstühle nieder. »Dann hast du das Problem ja wunderbar erkannt.«

Ich verstehe langsam und verdrehe die Augen. »Wieder so eine Hollywood-Diät?«

Sie schüttelt ihren blonden Pferdeschwanz, der die Stuhllehne peitscht. »Ich mache keine Diäten, das weißt du doch. Ich reinige damit Körper und Geist. Acht Stunden essen und dann wird sechzehn Stunden gefastet, damit sich der Insulinspiegel erholen kann, oder so ...«

›Oder so‹ trifft es vermutlich ganz gut. »Und der Prosecco in deiner Hand verstößt nicht dagegen?« Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen, während ich ihr dabei zusehe, wie sie rot anläuft.

»Ach, das eine Glas wird schon nichts ausmachen«, sagt sie und nippt genüsslich am Rand, ehe sie selbst in mein Lachen einsteigt. »Also gut, Themawechsel. Semesterferien, wie sieht unser Plan aus? Ich hätte da nämlich ein wunderbares Angebot, das nur einen klitzekleinen Haken hat. Dafür bringt es uns in die Karibik und das sogar umsonst. Vielmehr werden wir sogar bezahlt. Und mein Gefühl hat mir eben zugeflüstert, dass du auf dem Trockenen liegst und eine kleine Finanzspritze ausgesprochen gut gebrauchen könntest.«

Ertappt. »Ich weiß nicht ... wo ist denn der Haken? Außer, dass ich offenbar in den Ferien arbeiten soll? Du weißt, dass das mein letztes Jahr ist, ich hab jede Menge fürs kommende Semester vorzubereiten.«

»Ach was ...«

Hmm ... Karibik in den Ferien ... Klingt zugegebenermaßen gar nicht so schlecht.

»Komm schon. Sonne, Cocktails, das Meer, du und ich und Matt. Na, wie klingt das?«

Langsam dämmert es mir, worauf das hinausläuft. Ihr Bruder Matt ist Bootsmann auf einer Segelyacht. »Also sollen wir auf Matts Schiff aushelfen?« Ich stelle mein Glas auf einem Tisch ab und schaue in ihre großen, blauen Augen, die bei der Idee zu funkeln beginnen. »Und es geht in die Karibik?«

Sie lächelt und nickt mir dabei zu, dann steht sie auf, hebt ihren Rock und dreht sich so schnell zur Musik, dass er wie ein fliegendes Tutu aussieht. Im letzten Moment packe ich sie, ehe sie in ihrem Tanzrausch über den Poolrand ins Bodenlose tritt.

Endlich bleibt sie stehen und sieht mich an. »Vielleicht tut mir der Prosecco doch nicht so gut«, sagt sie wie nebenbei und lässt sich mit blassem Gesicht auf den Stuhl sinken. »Wo waren wir? Ach ja, Karibik. Also?« Und schon ist sie wieder die Alte.

»Ach Jenna, ich weiß nicht. Wie gesagt, ich hab einiges zu tun in den Ferien. Und was ist, wenn ich seekrank werde? Ich kenne mich auch gar nicht aus mit Segelschiffen.«

Jenna legt den Kopf schief und sieht mich fast schon mitleidig an. »Du bist die beste Surferin, die ich kenne, als ob du seekrank werden könntest.«

»Surfen und Segeln sind aber zwei Paar Schuhe, das weißt du schon, oder? Außerdem ist die Hälfte der Mädels auf dieser Party besser als ich im Surfen. Was wären denn überhaupt die Aufgaben auf diesem Törn?« Ich bin mir noch nicht sicher, was ich von der Sache halten soll. Es ist nicht gelogen, dass ich viel zu tun habe. Nächstes Semester stehen einige Projekte an, die eine gewisse Vorbereitung brauchen. Auf der anderen Seite hätte ihre Frage nicht passender kommen können. Mein ganzes Erspartes ist aufgebraucht und nachdem ich letztes Jahr durch zwei Prüfungen gefallen bin, wurde mir das Stipendium gestrichen. Und anders als ihrer ist mein Vater kein Investmentbanker, der mir das Studium finanziert. Na ja, immerhin war meiner dafür regelmäßig zuhause ... zumindest bis zur Scheidung.

»Ach komm schon, das wird lustig. Den ganzen Tag die Sonne genießen, abends ein paar Gäste bedienen und zwischendurch ein bisschen für Ordnung sorgen. Matt meinte, wir kriegen das auf jeden Fall hin. Und danach liegen wir zwei Wochen lang am Strand, ehe es wieder zurück geht.«

Ich kann mir schon vorstellen, wer die Gäste sein werden. Entweder partygeile, verwöhnte Teenies oder ein Haufen reicher, alter Säcke. So ist es doch immer auf diesen Yachten. Trotzdem klingen zwei Wochen karibischer Sandstrand verführerisch. Und ob ich nun hier im Garten oder dort am Strand lerne ...

»Und wo ist der Haken?« Gleich würde es kommen. Entweder ist die Bezahlung mies, oder ...

»Also ..., es ist eigentlich kein richtiger Haken. Nur ... wie soll ich sagen. Es ist so, der Kapitän ist ...«

»Sorry, ich bin raus«, unterbreche ich sie. Ich weiß ganz genau, wessen Name sie nennen wird. Es gibt nur einen Kapitän, den wir beide kennen, und keine zehn Pferde werden mich auf sein Schiff kriegen.

»Ach komm, Kat. Ich denke, ihr seid in Frieden auseinander gegangen.« In Frieden? Hatte er ihr das erzählt? Der Kerl ist verrückt. Ein verrückter Fremdgeher. Und unberechenbar. Um die Sache mit seiner Affäre abzuwenden und mich wiederzugewinnen, hat er mir den Ring meiner Großmutter geklaut, damit ich ihn überall suche. Und dann hat er so getan, als hätte er ihn nachmachen lassen, damit er mich damit wiedergewinnen kann. Und zwei Tage später erwische ich ihn mit meiner Zimmernachbarin im Bett ...

»Du wirst Josh wahrscheinlich eh kaum sehen. Der hat auf so einem Schiff doch ganz anderes zu tun, als sich um die Stewardessen zu kümmern. Außerdem brauchst du das Geld, ich bin doch nicht blöd und merke es, wenn du pleite bist. Die Rederei bezahlt wirklich gut und nicht zu vergessen das viele Trinkgeld an Bord.« Wenn sie von Trinkgeld spricht, dann müssen es die alten, reichen Säcke sein. »Matt würde sich auch freuen, wenn du mitkommst. Das hat er mir selbst gesagt.«

»Hat er?«, frage ich stutzig. Ich mag ihren Bruder; nach all den Jahren ist er auch für mich wie ein Familienmitglied geworden. Jenna und ich haben als Kinder nebeneinander gewohnt. Damals war ihr Vater noch nicht an der Börse. Als er dann vor ein paar Jahren ein goldenes Händchen bewies, sind sie in ein Loft in der Innenstadt gezogen. Seitdem habe ich Matt nur noch hin und wieder auf dem Campus gesehen. Inzwischen hat er sein Wirtschaftsstudium, dass er anscheinend nur seinem Vater zuliebe begonnen hat, abgebrochen. Und statt in ›Big Daddys‹ Fußstapfen zu treten, treibt er sich nun auf dem Meer rum.

»Ja, er mag dich, Katie. Nicht so sehr wie ich dich mag, aber er weiß ganz genau, dass ich nicht mitkomme, wenn du nein sagst.«

Das trifft es schon eher ... Ich seufze. »Also gut, aber nur unter zwei Bedingungen: Wenn wir ankommen, bekomme ich jeden Tag mindestens eineinhalb Stunden Lernzeit und – du hältst mir Josh vom Hals. Ich tue das für dich. Nur für dich! Verstanden. Wenn Josh mich anbaggert, bin ich weg. Und ich will einen ordentlichen Arbeitsvertrag.« Josh hat mir oft genug erzählt, wie sie die Crew manchmal über den Tisch ziehen.

Ich schlürfe den kläglichen Rest meines Cocktails aus und reibe mir die Arme. Langsam wird es kalt hier draußen. Warum tue ich mir das nur an? »Wie lange geht der Törn überhaupt?«

»Sechs Wochen. Zwei hin, zwei Urlaub, zwei zurück«, erklärt Jenna und beginnt schon wieder, zur Musik zu wippen.

Sechs Wochen ... dann bleiben mir bloß noch zwei, um alles für das kommende Semester vorzubereiten. Eigentlich sollte das reichen, auch wenn es bedeutet, dass ich es diesen Sommer nicht schaffe, meinen Vater in Oklahoma zu besuchen, wo er seit der Trennung von Mom vor sechs Jahren lebt. Es wird ihn hoffentlich trösten, dass ich dafür an Thanksgiving kommen will.

»Na gut. Du kannst mir ja morgen alles nochmal genau erklären. Ich geh mir jetzt ein paar Spareribs holen. Falls du doch schon wieder essen darfst, gib Bescheid.« Ich zwinkere Jenna zu, die mir hungrig nachsieht, seufzend aufsteht und mir schließlich folgt. Sie weiß genauso gut wie ich, dass es nirgendwo besseres Fleisch als bei Jimmy’s-BBQ-Partys gibt.

 

Kapitel 2 – Katie

»Willkommen an Bord, Ladys.«

Ich verdrehe angewidert die Augen und schaffe es nur schwer, mich nicht zu übergeben. Dieser widerliche Schleimbeutel. Wie ich Josh verachte! Warum habe ich mich nur dazu überreden lassen, ihn die nächsten Wochen zu begleiten?

Jenna streckt mir hinter seinem Rücken die Hand entgegen und ihre warmen Finger umschließen meine. Ein kleines ›Dankeschön, dass du da bist.‹ Ich weiß ihre Geste zu schätzen ... und auch ihre Schuldgefühle. Wieso muss es ausgerechnet Joshs Schiff sein, auf dem Matt anheuert? Der Hafen liegt voll von Yachten jeder Größe, und wir sind auf seiner gefangen. Ich stoße einen leisen Seufzer aus, von dem niemand etwas mitbekommt.

»Also die Damen«, erklingt erneut seine nervige, tiefe Stimme und er bleibt uns zugewandt stehen. »Ich zeige euch zuerst eure Kammer. Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn meine Ladys sich eine teilen. Wenn ihr möchtet, leiste ich euch natürlich jederzeit Gesellschaft. Ihr wisst ja, die See macht einsam.«

Selbst Jenna gibt jetzt Würgegeräusche neben mir von sich, während Josh uns ekelerregend angrinst und mit seinen Augenbrauen wackelt, als mache ihn das in irgendeiner Weise sexy. Er glaubt auch immer noch, er sei Adonis. Okay, wahrscheinlich darf ich nicht zu viel über ihn lästern, immerhin ist er mein Ex und ich war mal so etwas wie verliebt in ihn. Damit habe ich offensichtlich genauso eine Meise wie er.

Wir folgen Josh über das Deck nach vorne und dann ... Wir sollen die Leiter runterklettern?

»Hier vorne sind zwei Crewkabinen, eine für euch Stewardessen und eine für den Maschinisten. Stellt eure Reisetaschen ab, Daniel wird sie euch nachher die Leiter runtertragen. Guckt euch ruhig schonmal um.« Josh deutet die Leiter hinunter.

Jenna verschwindet ohne zu zögern in dem engen Loch, und da ich nicht mit Josh allein bleiben will, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Unten angekommen runzele ich die Stirn. Das ist alles? Hier sollen wir insgesamt vier Wochen verbringen? Vielleicht buche ich mir zurück doch lieber einen Flug.

»Ich schlafe oben«, sagt Jenna sofort und schmeißt ihren Rucksack auf das obere Bett.

»Meinetwegen, aber wehe, du schnarchst oder wälzt dich die ganze Nacht«, sage ich mit einem Lächeln. Immerhin sieht das Bett stabil aus und ist nicht aus knarzendem Metall, sondern schick poliertem Holz. Generell wirkt die ganze Einrichtung sehr hochwertig. Kein Wunder, sonst würden die reichen Schnösel hier kaum schlafen wollen.

»Du verwechselt mich wohl mit dir.« Wahrscheinlich hat Jenna damit sogar recht.

»Gut Ladys, kommt mal wieder rauf und ich zeige euch den Rest meines Babys.«

Ich schaffe es gerade so, mir das Grunzen zu verkneifen. Jetzt ist das Schiff also schon sein Baby ...

Wir gehen zurück nach hinten, wo der Steuerstand ist. Dort steht eine Art Häuschen. Das ist das Deckshaus, wie Josh erklärt. Eine kleine Treppe führt hinunter in das Zwischendeck, wo sich ein zweiter Steuerstand befindet, dazu die ganzen Instrumente und Seekarten. Weiter hinab geht es in eine Lounge. Wow! Ich hätte nie gedacht, wie riesig hier unten alles ist. Also nicht riesig-riesig, aber so viele Türen auf so kleinem Raum ... Wie viele haben hier unten Platz?

Er führt uns einen schmalen Flur entlang. »Mittschiffs schlafen die Gäste, hier hinten der Koch, ich und dein Bruder.« Josh nickt Jenna zu.

»Unsere Gäste kommen heute Abend gegen achtzehn Uhr an. Eure Aufgabe wird es sein, sie zu begrüßen, ihre Zimmer zu putzen und Betten zu machen, ihnen Getränke zu servieren, dem Koch in der Kombüse zu helfen und das Deck mit sauber zu halten. Wir legen morgen direkt nach dem Frühstück ab, das heißt, der Zimmerservice, den ihr normalerweise macht, während die Gäste frühstücken, muss warten. Erst Ablegen mit Drinks für die Gäste, dann Zimmer putzen. Die Gäste sollen sich wohlfühlen, das hat oberste Priorität.«

»Und ich dachte schon, es wäre, uns sicher übers Meer zu bringen«, murmele ich, sodass nur Jenna es hört und ein leises Glucksen ausstößt.

Josh räuspert sich. Vielleicht habe ich doch lauter gemurmelt als gedacht.

»Bei schlechtem Wetter kann es passieren, dass wir viel Zeit unter Deck verbringen müssen. Dafür ist die Lounge da. Auch sie muss von euch sauber gehalten werden. Ich möchte, dass ihr regelmäßig, auch wenn alle oben sind, hier unten vorbeischaut und nach dem Rechten seht. Verstanden?«

Widerwillig nicke ich. Es ist so ungewohnt, ihn als meinen Chef vor mir zu haben. Dabei hat er damals schon gerne den Dominanten raushängen lassen. Immer musste alles nach seinen Regeln spielen. Katie tu dies nicht, Katie lass das, Katie mach endlich ... Ich habe es gehasst.

»Gut, kommt mit. Dort hinten ist die Küche. Sie ist nicht sonderlich groß, aber es reicht, um zwanzig Leute zu versorgen. Sir Roberto reist erst morgen früh an. Die Gesellschaft hat gewünscht, zusätzlich zu unserem Koch Philipp ihren eigenen Koch mitzubringen. Ich weiß also selbst nicht, wie der Mann drauf sein wird. In jedem Fall werdet ihr tun, was er sagt, wenn er eure Hilfe braucht. Außer ich brauche euch gerade.« Wieder dieses Zwinkern ... Ich sollte aufhören, mich über ihn aufzuregen. Das tut meinem Gemüt nicht gut.

»Wo ist Matt?«, will Jenna wissen und schaut an Josh vorbei, als würde ihr Bruder sich irgendwo im Hintergrund verstecken.

»Unten, im Maschinenraum. Dort gehen wir als nächstes hin.« Josh streift sich durch sein kurzes, schwarzes Haar und nickt zur Treppe. Bei dem Gedanken daran, ihm die steilen Stufen hinunterfolgen zu müssen, läuten alle Alarmglocken bei mir. Ich weiß noch, wie er seine Mutter mal im Streit die Treppe runtergeschubst hat. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob es ein Versehen war. Er war so außer sich und hat das ganze Haus zusammengebrüllt. Hätte ich nicht gleich den Krankenwagen gerufen, hätte seine Mom bleibende Schäden behalten. Und wäre ich nicht ins Bad geflüchtet und hätte mich dort eingeschlossen, ich sicherlich auch. Warum habe ich mich hierauf eingelassen? So charmant dieser Mann auch hin und wieder sein kann, so unberechenbar ist er, wenn er wütend wird oder sich profilieren will. Wenn wir erst einmal auf dem Meer sind, sind wir seiner Willkür vollkommen ausgeliefert. Ich schlucke.

Jenna kennt die Geschichte mit seiner Mom und ich sehe ihr an, dass ihr genauso mulmig wie mir zumute ist. Zum Glück geht er auf der Treppe vor. Würde er es überhaupt wagen, hier auszuticken, wenn so viele Leute anwesend sind? Vielleicht haben wir auch Glück und er hat sich geändert. Immerhin ist viel Zeit vergangen, seit wir uns getrennt haben. Matt wartet bereits unten auf uns. Er würde uns nie etwas vor ihm tun, also ist meine Furcht unbegründet.

»Jenna, Katie, schön, dass es geklappt hat«, begrüßt Matt uns. Ich habe Schwierigkeiten, den Blick von seinem nackten Oberkörper loszureißen und ihm in die Augen zu sehen. Er steht vor einem breiten Kessel und grinst uns verschwitzt an. Dann streift er sich die schmutzigen Handschuhe ab und begrüßt uns richtig.

»Zieh dir was über«, bemerkt Josh rau.

Mich stört es überhaupt nicht, Jennas Bruder ohne Shirt zu sehen. Mein Blick streift die definierten Muskeln, die seinen gesamten Oberkörper zieren. Ölspuren ziehen sich über seine Wangen und seine Brust und für einen Augenblick vergesse ich, dass ich diesen Mann und sein Lächeln seit über zwanzig Jahren kenne und er daher auch für mich wie ein Bruder ist. Als Mädchen war ich eine Zeit lang wahnsinnig verknallt in ihn. Vernünftigerweise hat er mir aber nie eine Chance gegeben. Immerhin ist er fast fünf Jahre älter als ich und es wäre krank gewesen, als Teenager eine Zehnjährige zu daten.

Matt rümpft die Nase, verdreht genauso seine Augen, wie ich es bei jedem von Joshs Worten tue, und zieht sich ein Shirt über. Irgendwann muss es mal weiß gewesen sein, doch inzwischen ist es ebenso ölverschmiert wie sein sexy Körper. Katie, nicht abschweifen ..., rüge ich mich.

»Also dann, war schön euch zu sehen, aber Daniel und ich haben hier unten einiges zu tun.«

Erst jetzt fällt mir der andere Kerl auf, der hinter ihm steht und genauso verschwitzt aussieht wie Matt. Er muss der Maschinist sein, zumindest gehe ich davon aus. Matt hilft ihm als Bootsmann bestimmt nur aus. Ich kann nur hoffen, dass er sich das Öl von den Händen wäscht, ehe er unsere Taschen die steile Leiter runterbringt.

Wir gehen rauf aufs Deck und sicherheitshalber gehen Jenna und ich vor. Erst oben überlassen wir Josh wieder die Führung. Das Sonnendeck ist herrlich, zumindest an einem so warmen Tag wie heute. Am liebsten würde ich mich mit Jenna und Matt in die Liegestühle fläzen und den Nachmittag mit einem Cocktail ausklingen lassen. Ich bin so verspannt, vielleicht frage ich Matt heute Abend, ob er mich massiert. Er hatte so starke Hände eben. Das ist mir vorher noch nie aufgefallen. Wann wurde aus dem schmächtigen Jungen, den ich meine halbe Kindheit angehimmelt habe, der gutaussehende Mann mit den Muskeln, der selbst in Schmutz gesuhlt noch heiß aussieht? So eine Massage von ihm wäre jetzt wirklich das richtige ...

Jenna schnippt vor meiner Nase herum. »Nicht träumen, Süße. Hast du gar nicht mitbekommen, was Josh gerade gesagt hat?« Josh? Was, wie, wo?

»Wo ist er?«

»Ins Deckshaus. Und wir sollen das Deck schrubben. Dort vorne finden wir alles.« Sie zeigt auf den Eimer, der schon vorbereitet für uns neben der offenen Truhe mit den Sitzauflagen steht. Dann zieht sie die Brauen hoch und schüttelt den Kopf.

»Dann mal los«, murmle ich und schreite auf den Eimer zu.

 

 

Kapitel 3 − Matt

 

»Klarmachen zum Auslaufen!« Josh wedelt gebieterisch mit den Armen.

Ich muss mich zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen. Als Bootsmann stehe ich unter dem Kapitän, aber Josh braucht nicht vor den Gästen andauernd den großen Macker zu spielen. Wahrscheinlich will er den Damen imponieren. Oder er hat das Gefühl, die älteren Herren würden den gutaussehenden, jungen Mann mit den schwarzen Haaren nicht ernst nehmen, wenn er ganz ruhig seine Anweisungen gibt. Wahrscheinlich hat er eher Angst davor, dass Daniel und ich ihn nicht ernst nehmen. Was der Wahrheit entspricht. Ich grinse in mich hinein und gehe zum Bug, um den Anker klarzumachen.

»Anker los!«

Was? Jetzt schon? Er hat gerade erst den Motor gestartet, beide Achterleinen sind noch fest. Will er den Bug nur mit dem Bugstrahlruder kontrollieren? Ich spüre den Wind in meinen Haaren. Zu viel, um das Schiff sicher zu halten. Ich öffne den Mund, um vorsichtig zu widersprechen, aber ein Blick in seine dunklen Augen reicht, um mich abzuwenden und die Schultern zu zucken. Soll er doch machen. Das Schiff ist schließlich sein »Baby«. Wenn er die Santos unbedingt crashen will, bitte sehr. Ich würde sowas ja nicht unbedingt in einem US-amerikanischen Hafen machen, aber der Kapitän ist mit seinem Rang ja schlauer als ich, was er mir immer wieder unter die Nase reibt.

Ich eile zum Bug und löse die Kette, um den Druck rauszunehmen. Einen festgefahrenen Anker kriegt man nicht einfach so hoch, was jeder Süßwassersegler weiß, dazu braucht es keine zwei Jahre Erfahrung als Kapitän. Dann hole ich den Anker. Die Fluken, die sich in den Hafenboden eingegraben haben, ächzen unter dem Druck des Motors, der die Kette einholt. Der Motor ächzt mit. Hoffentlich hält er durch. Ich werfe einen kurzen Blick zurück nach achtern, zu Josh, dem die Motorengeräusche genauso viel Unbehagen wie mir bereiten müssten. Er bellt Befehle, die ich nicht hören kann. Wahrscheinlich ist er zur Vernunft gekommen und weist Daniel an, die Achterleinen hinten am Schiff zu lösen.

Die Santos treibt langsam nach vorne, der Anker kommt lose. Zu früh. Es weht nur eine leichte Brise, aber sie reicht, um die Yacht zur linken Seite, nach backbord, abzutreiben.

Scheiße, wir werden die Nachbaryacht rammen! Ich springe zur Steuerbordseite und mit fliegenden Fingern löse ich den Knoten eines Fenders. Wenn ich schon den Crash nicht verhindern kann, wird dieser aufgeblasene Gummiballon wenigstens größere Schäden abfangen. Ich renne nach backbord und klemme den Fender zwischen beide Bootswände. Das Gummi quietscht und auf die Leine in meinen Händen entsteht ein ungeheurer Zug, ich kann den Fender nicht mehr halten. Ein wenig noch, nur ein wenig ...

Die Santos nimmt Fahrt auf und das Ruder greift. Josh steuert unter lautem Fluchen leicht nach steuerbord. Ich lasse die Leine des Fenders los, die mir schon die raue Handinnenfläche aufgescheuert hat. Der Fender ist verloren. Sicher zieht mir Josh die hundert Dollar vom Lohn ab. Verdammt. Ich brauche jeden Cent für die Seefahrtschule – das verlorene Geld ist schlimmer als die brennende Wunde auf meiner Handfläche. Offene Wunden vertragen sich nicht mit Seewasser und Öl − aber was macht das schon? Schnell einen Putzlappen drumgewickelt, das muss reichen, um den verpatzten Ableger halbwegs ordentlich zu Ende zu führen.

Ich sammele die anderen Fender ein und verstaue sie. Ein kurzer Blick an die Backbordseite zeigt mir, dass Josh wie immer mehr Glück als Verstand hatte. Mein Eingreifen hat die schlimmsten Kratzer ferngehalten, und bis auf einen zweiten Fender, der dieser Last nicht standgehalten hatte und abgerissen ist – was natürlich meine Schuld sein wird und damit weitere hundert Dollar aus meiner Kasse spült – und einer leicht verbogenen Reling, die ich reparieren kann, hat die Santos keine weiteren Schäden davongetragen.

Daniel und ich sind noch dabei, die Leinen zu verstauen, da schreit Josh »Segel setzen!« unter dem immer noch andauernden Ablege-Applaus der Gäste. Na, die scheinen ja leicht zu beeindrucken zu sein, und die Aussicht auf gesetzte Segel in der Hafeneinfahrt lässt die Stimmung steigen. Ich tausche einen genervten Blick mit Daniel und wir verstauen erstmal in Ruhe die Leinen. Erstens hasse ich es, auf einem unaufgeräumten Schiff zu arbeiten, denn die Gefahr zu stolpern und über Bord zu gehen ist einfach zu groß. Zweitens ... im Hafen Segel setzen? Das kostet uns mindestens einen Wochenlohn an Ordnungsgeld. Josh mag sich ja daran aufgeilen, wie sein ›Baby‹ unter vollen Segeln durch die Hafeneinfahrt braust − die Behörden finden das bestimmt weniger sexy.

Kaum denke ich an ›sexy‹, taucht Katie mit meiner Schwester auf. Die beiden servieren den Gästen die ersten Drinks. Ihr Lächeln strahlt mit der Sonne um die Wette, das wird sicher die Trinkgeldkasse zum Klingeln bringen. Ich grinse vor mich hin, während ich Katie auf den Hintern schaue, der in den knappen Hotpants wirklich gut zur Geltung kommt.

»Segel?«, knurrt es hinter mir. »Heute noch?« Joshs dunkle Augen blicken hasserfüllt auf mich. »Konzentrier dich auf deine Arbeit, du wirst nicht bezahlt, meinem Mädchen hinterherzustarren.«

Sein Mädchen, ja? Meine Güte. Nur, weil Katie mal unter kurzfristiger Geschmacksverirrung litt und mit dem Kapitän zusammen war. Normalerweise sind knackige Hintern in knackigen Hotpants das einzige Thema, bei dem Josh und ich uns einig sind. Und mit Stewardessen, die alle paar Wochen wechseln, gibt es damit wenigstens ein Gesprächsthema, bei dem wir uns nicht in die Haare kriegen. Aber offenbar hat er immer noch nicht verkraftet, dass Katie ihn abgeschossen hat.

»Ist gut«, murmele ich. Ein Blick von ihm und ich schiebe ein pseudo-begeistertes »Jawohl, Kapitän!« hinterher.

Seine angespannten Schultern fallen relaxt herunter. Anscheinend hört er die triefende Ironie in meiner Stimme nicht, genauso wenig wie die Gäste, die ihn bewundernd mustern.

Daniel kneift die Lippen zusammen und wendet sich ab. Ich höre leises Prusten und stoße ihm meinen Ellenbogen in die Seite.

Josh stolziert jetzt übers Deck und lässt sich hier und da zu einem Gespräch herab. Die Schiffsführung scheint ihn nicht zu kümmern. Kein Wunder, wir haben den Hafen verlassen und nun teilen Daniel und ich uns in die Wachen rein. Ursprünglich war das klassische Drei-Wachen-System angedacht, jeder acht Stunden, inklusive Josh – aber sein Schiff, seine Regeln. Zwei Wachen, mit der Begründung, dass wir ja nachts vor Anker liegen und die Wachzeit nicht wirklich als Arbeitszeit zu rechnen ist.

Zu zweit setzen wir die Segel, dann übernimmt Daniel offiziell seine Wache. Ich helfe ihm noch dabei, die letzten Leinen und die Gangway ordentlich zu verstauen und husche dann unter Deck. Hier gehen mir weder Josh noch die Schickeria auf den Sack, und der zusätzliche Koch, den die Gäste mitgebracht haben, braucht sicher noch eine Einweisung in das Müllsystem an Bord. Unser Koch Philipp meinte, der Neue hätte noch nie auf einem Schiff gekocht. Und dann gleich eine Sechs-Wochen-Tour. Sehr schlau. Wahrscheinlich erwartet er, auf jeder Insel eine Recyclinganlage vorzufinden. Er hat bestimmt keine Ahnung davon, dass wir die Abfälle zur Not sechs Wochen lang durch die Gegend schippern und entsprechend säubern und trennen müssen.

»Ordentlich ausspülen.« Ich höre Philipps Stimme schon, als ich mich der Kombüse nähere. Sehr gut, er weist den Neuen schon in die Mülltrennung ein. »Sonst macht dich der Bootsmann zur Schnecke. Muffelnde Milchkartons im Schiff zu lagern ist nicht so nach seinem Geschmack.«

»Stimmt.« Ich setze ein gespielt strenges Gesicht auf und stecke den Kopf durch die Tür.

Der Neue – weiß eigentlich irgendwer, wie der Typ heißt? – guckt mich von oben herab an, auch wenn er einen Kopf kleiner ist als ich. »Ich bin Koch«, sagt er näselnd. »Für Müll sammeln bin ich nicht zuständig.«

Na wunderbar. Ich runzele die Stirn und muss nicht mehr schauspielern. Noch so eine Diva. Gäste mit eigenem Personal sind generell nicht gerade pflegeleicht, aber ein Koch, der sich für was Besseres hält als den Rest der Crew ist jetzt schon zum Kotzen. »Halt dich an die Regeln, Kollege. Fürs Personal brate ich keine Extrawurst, dass das klar ist.«

Ich lasse die beiden stehen. Philipp wird ihm alles erklären, und wenn der Neue Ärger macht, kriegt er´s mit mir zu tun. Immerhin kann ich mich eine Runde aufs Ohr hauen. Daniel hat noch mehr als fünf Stunden Wache, und bevor ich die beschädigte Reling repariere, kann ich schnell ein bisschen Schlaf nachholen.

Am Niedergang kommt mir Katie entgegen. »Katie? Du warst an Deck? Solltet ihr nicht inzwischen die Zimmer putzen?«

Sie streicht sich eine braune Locke aus der Stirn. »Wir sind dabei. Aber es gibt da ... Probleme.«

Einer der Gäste kommt nach unten. Ich ziehe Katie von der Treppe runter auf die Seite, damit sie nicht im Weg steht. Oberstes Trinkgeldgebot. »Probleme? Was ist los?«

Sie sieht mich zerknirscht an. »Das Klo in einer Gästekabine ist verstopft.«

Jetzt schon? Am ersten Seetag? »Daniel wird sich darum kümmern. Ist nicht das erste Mal, dass sowas vorkommt, mach dir keinen Kopf. Die Seetoiletten verkraften nicht ganz so viel wie die normalen Dinger zuhause.«

»Daniel ist auf Wache, der kann nicht.«

Ich ahne Übles. Der Maschinist ist für die Technik und alles, was mit Rohrleitungen zu tun hat, zuständig, und Daniel ist niemand, der sich vor der Arbeit drückt. Also muss ihn etwas anderes davon abhalten, runterzukommen. »Dann muss der Kapitän ihn ablösen und Daniel repariert den Kram.«

Katie rollt mit den Augen. »Josh bespaßt die Gäste. Wir sollen eigentlich Kabinen putzen, aber ich mach das alleine, Jenna muss ständig Drinks holen. Daniel sagt, er lässt keinen ans Ruder, der schon das dritte Glas Sekt intus hat. Die Strömungen sind zu stark an der Küste.«

Unser Dilemma in einem Satz zusammengefasst: Der Maschinist ist ein besserer Navigator als der Kapitän. Zusammen mit dem Koch, dessen keifende Stimme aus der Kombüse tönt, verhagelt mir das meine Siesta.

»Welche Kabine?«, knurre ich.

Katie atmet erleichtert auf. »Die zwölf.«

»Gut, komm mit.« Sie folgt mir den Gang zum Vorschiff entlang. An Steuerbordseite schlägt mir schon ein eindeutiger Geruch entgegen. Lecker, mit den Handschuhen alleine komme ich hier nicht weiter. Wie haben die feinen Herrschaften das nur hinbekommen? Ich strecke die Hand aus. »Müllbeutel? Einen der dicken, wenn’s geht.«

Katie drückt mir einen Müllbeutel in die Hand. Ich krempele meinen Ärmel hoch und ziehe den Müllbeutel über.«

»Du willst doch nicht etwa ... Habt ihr keinen Rohrreiniger oder sowas?«

»Das Zeug zerfrisst uns die Leitungen, und bevor ich den Inhalt der Klos im ganzen Schiff zusammenwischen muss, mach ich das lieber so.« Ich knie mich vor die Kloschüssel, halte den Atem an und schiebe meinen Arm in den Abfluss. Nicht dran denken, was ich hier mache. Nicht dran denken ...

Katie erledigt das für mich. Sie stürzt aus der Kabine in die gegenüberliegende und ich höre sie kotzen. Hoffentlich hat sie das Klo getroffen, sonst darf sie mehr putzen, als ihr lieb ist. Ich muss mich konzentrieren, sonst verbringe ich den ganzen Vormittag mit dem Arm in der Scheiße.

Da, ein Widerstand. Normalerweise verstopfen die Klos durch zu viel Klopapier und das lässt sich leicht durchdrücken, aber das hier ... Das ist was anderes. Jemand hat einen Gegenstand runtergespült – oder es wenigstens versucht. Ich ziehe daran, und ...

»Nicht im Ernst, oder?« Während das Wasser plötzlich problemlos abläuft, ziehe ich den Gegenstand aus dem Klo und starre ungläubig darauf.

»Sorry«, murmelt Katie, die blass im Türrahmen erscheint. »Ich wollte nicht ... hoffentlich hast du das nicht gehört – Ist das dein Ernst?« Die letzten Worte schreit sie beinahe.

»Nicht meiner, aber anscheinend der unserer Gäste.« Ich halte die Banane hoch, über die ein Kondom gestülpt ist, und betätige mit der anderen Hand die Spülung, die wieder einwandfrei funktioniert.

Katie starrt mit aufgerissenen Augen auf die Banane, dann zu mir, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Ich kann nicht mehr und muss losprusten. Sie sieht wieder zur Banane, als hätte sie noch nie eine gesehen, dann zieht sie sich Gummihandschuhe über und befreit mich von meinem Behelfshandschuh samt Banane. Alles landet im Müll.

Ich knie immer noch vor der Kloschüssel und versuche, meine Fassung wiederzugewinnen, als Katie mich am Handgelenk packt und hochzieht. »Wird das jetzt unser Alltag die nächsten Wochen?«, fragt sie sich sichtlich Mühe gebend, die Panik aus ihrer Stimme rauszuhalten.

»Kommt drauf an, wie deine Erziehungsmaßnahmen bei den Gästen anschlagen«, sage ich grinsend.

Sie schaut mich verwirrt an.

»Pack Chilipulver in die Handtücher. Das ist das einfachste. Da vergeht denen die Lust auf Spielereien. Du kannst aber auch einfach ...«, ich ziehe die Nachttischschubladen auf und hole ein kleines Päckchen heraus, »... ihnen die Kondome wegnehmen.«

»Wir können die Gäste doch nicht beklauen!«

»Das, oder morgen wieder freche Früchtchen aus dem Klo fischen, was dir lieber ist. Außerdem sind die Dinger bei uns besser aufgehoben.«

Sie schaut mich an und zieht langsam eine Augenbraue hoch. Verdammt, das war wohl der dämlichste Anmachspruch seit Joshs Gesäusel: »Die See macht einsam.«

Katie starrt die Kloschüssel an, dann mich ... und scheint mir aufgrund meiner Heldentat zu vergeben. Ich muss einfach mal lernen, die Klappe zu halten. Nicht gerade leicht, wenn eine Packung Kondome in meiner Hand und die Aussicht auf sechs Wochen zusammen auf diesem Schiff ausreichen, die Freundin meiner Schwester anzugraben.

 

Kapitel 4 – Katie

 

Ich bin so erledigt. »Jenna, bitte sag mir, dass wir morgen ausschlafen können. Ich brauche Schlaf. Ganz, ganz viel. Und eine Fußmassage.« Ich blicke müde zu meiner Freundin nach oben. Ihr blondes Haar hängt genauso schlaff, wie ich mich fühle, über ihre Schultern hinweg an der Bettkannte herunter.

»Matt hat gesagt, dass es anstrengend wird«, sagt sie lustlos. »Mir tut auch alles weh. Aber hey, dreißig Dollar Trinkgeld am ersten Tag. Nicht schlecht, oder?«

»Ja, und der Hinterngrabscher mit dem komischen Scheitel hat mir gleich einen Zwanziger zugesteckt. Eklig, der Kerl. Und wie die Frau neben ihm dabei geschaut hat ...«

Jenna dreht sich um und klettert zu mir runter.

Irgendwie lief der erste Tag auf der Santos ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Josh hat uns den ganzen Tag quer übers Deck geschickt, als wären wir seine persönlichen Dienstmädchen. Und wenn er uns nicht herumscheuchte, mussten wir die feinen Herrschaften bedienen. Letzteres war unsere Aufgabe, das war in Ordnung. Ich erinnere mich jedoch nicht daran, dass in unserem Arbeitsvertrag irgendetwas davon stand, Josh auf seinem hohen Ross Cocktails zu servieren und Komplimente zu machen, während wir uns abschufteten. Wenn Matt wenigstens dagewesen und uns Beistand geleistet hätte, dann wäre es ja noch gegangen. Aber gefühlt war er gleich nach dem Ablege-Manöver verschwunden und außer bei unserem Toiletten-Desaster hatte ich ihn nicht mehr gesehen. »Sag mal, was war eigentlich mit deinem Bruder los, als wir abgelegt haben? Der sah aus, als stünde er kurz vor einer Panikattacke«, fiel mir ein. Eigentlich wollte ich ihn das heute Mittag schon gefragt haben, nur schien mir das keine brillante Idee zu sein, während er mit dem Arm im Klo nach Bananen fischte.

Jenna lässt sich neben mich fallen, winkelt die Beine an und sinkt nach hinten gegen die kühle Wand. »Frag ihn doch selbst«, sagt sie und nickt Richtung Tür, die im nächsten Moment aufgeht.

»Wie machst du das?«

Sie zuckt mit den Achseln und wirft den Pferdeschwanz elegant nach hinten. »Wir sind zusammen aufgewachsen. Ich kenne seine Schritte.«

Matt schließt die Tür hinter sich und lehnt sich gegen sie. Er sieht noch erschöpfter aus, als ich mich fühle. Draußen ist es längst dunkel und das Schiff schwangt einsam auf dem Meer hin und her. Wir gehen jede Nacht vor Anker, damit wir uns ausruhen können. Und Matt hat Schlaf dringend nötig.

»Wie lief deine Wache?«, fragt Jenna ihn und schaut von meinem Bett hervor.

Matt stößt einen tiefen Seufzer aus. Er hat jetzt schon Augenringe, dabei ist gerade mal ein Tag von vielen rum.

»Erinnere mich nicht dran. Wenn Josh weiter sein eigenes Ding durchzieht, kommen wir nie heil an. Und dann hat er mir gerade noch einen Vortrag wegen dem dämlichen Fender gehalten. Was kann ich denn dafür, wenn er das Ablege-Manöver dermaßen verkackt?«

Ich schaue fragend von Jenna zu Matt. »Josh spielt Gitarre?«

Jetzt schaut Matt mich verdutzt dann, als hätte ich nicht mehr alle Schrauben beisammen. »Wieso Gitarre?«

»Oh, du meinst wohl nicht die Gitarren-Marke?« Ich spüre geradezu, wie ich rot werde.

Matts durchdringender Blick macht es nicht besser. Jetzt hält er mich vermutlich für genauso verrückt wie Josh. »Nein«, sagt er kopfschüttelnd. »Das ist so ... so eine Art Polster, wie ein überteuerter Ball, der das Schiff vor Kratzern beim An- und Ablegen schützen soll.«

»Eine Stoßstange aus Bällen?« Ich merke selbst, dass meine Worte es nicht besser machen.

»So ähnlich«, sagt er nur, setzt sich auf den Boden und lehnt sich gegen die Wand. Immerhin lacht er über meine dumme Fragerei nicht. Josh hat sich immer gleich lustig gemacht, wenn ich etwas nicht auf Anhieb verstanden habe. Hauptsache, er kam sich besonders schlau vor.

»Was ist denn jetzt passiert beim Ablegen?«, hakt Jenna nach.

Matts helle Augen beginnen zu funkeln und sein Kiefer spannt sich an. »Hast du doch gesehen. Josh wollte einen auf großen Macker machen und hätte die andere Yacht gerammt, wenn ich nicht schnell genug gewesen wäre. Ein Wunder, dass wir es überhaupt heil aus dem Hafen geschafft haben.« Er schnaubt kurz, dann wird seine Atmung flacher und ein leichtes Lächeln schleicht sich auf seine schönen Lippen. »Und wie lief euer Tag so?«

»Über fünfzig Dollar Trinkgeld für uns beide. Also ganz gut, würde ich sagen. Aber ich bin fix und fertig.« Jenna lässt ihren Nacken knacken und stößt ein lautes Gähnen aus − wie eine Löwin.

»Fünfzig, nicht schlecht. Ich hab heute mehr Miese gemacht, als ich in zwei Tagen verdiene. Scheiß Fender.«

»Josh lässt dich das Ding bezahlen?«, frage ich entrüstet. Mein Ex hat sie wirklich nicht mehr alle.

»Jap, so ist der Gute eben. Er glaubt, so würden wir vorsichtiger mit seinen Sachen umgehen. Dabei gehört ihm das Schiff ja nicht mal. Aber wen interessiert das schon? Irgendwann hab ich mein eigenes Schiff, dann kann der Kerl mich mal. Soll er doch wen anderes anheuern.«

Jenna und ich werfen uns überraschte Blicke zu. Sein eigenes Schiff? Haben wir irgendetwas verpasst?

»Wann müssen wir morgen raus?«, frage ich und massiere mir selbst den Nacken ein wenig. So verspannt war ich schon lange nicht mehr. Matt mustert mich dabei. Am liebsten würde ich ihn bitten, die Massage zu übernehmen. Aber er ist Jennas Bruder. Das käme bestimmt komisch.

»Um halb acht gibt es Frühstück. Bis dahin müsst ihr fit sein und gut aussehen.«

»Hey, wir sehen immer gut aus!«, wirft Jenna ein und entlockt Matt ein Grinsen. Ich mag es, wenn er seine Grübchen spielen lässt.

»Stimmt«, sagt er und zwinkert ihr zu. Oder galt das Zwinkern mir? »Ruht euch jetzt aus, bevor uns der Kapitän wieder tyran-« Matt hält inne. Automatisch spannen sich auch meine Muskeln an und meine Nackenhaare stellen sich auf.

»Was ist?«, fragt Jenna.

»Nichts, ich dachte nur, ich hätte Schritte vor der Tür gehört.«

Ich schlucke, auch wenn ich nichts mitbekommen habe. Ich kann mir denken, was Matt wirklich dachte und zuzutrauen wäre es Josh. Aber darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Vielleicht war es wirklich nur ein Gast, auch wenn die sich wohl kaum hierher verirren, oder er hat sich einfach verhört. Schließlich liegt Joshs Kabine am anderen Ende des Schiffs. Warum sollte er sich die Mühe machen und herkommen, um uns zu belauschen? Die Zeit, wo er dermaßen besessen von mir war, ist zum Glück vorbei.

»Also, schlaft gut ihr beiden. Und schöne Träume. Wenn was ist, ich schlafe in Kabine zwei.« Kam es mir nur so vor, oder hat er mich gerade die ganze Zeit angeschaut?

Wir schweigen uns alle an, während ich Matt genau beobachte. »Bis morgen und schlaf du auch gut«, sage ich schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen und löse meinen Zopf, sodass mir die langen, braunen Haare über meine Schultern fallen. Er sieht mich noch immer an. Seine graublauen Augen ruhen auf meinen braunen.

»Nachti, Bruderherz«, sagt Jenna plötzlich viel zu laut und Matts Blick entgleitet mir.

»Bis Morgen.« Damit schließt sich die Tür hinter ihm.

Jenna richtet sich neben mir auf und sieht mich neugierig an. »Stehst du auf meinen Bruder? Oder was war das gerade? Ihr habt euch eine halbe Minute angestarrt. Das war unheimlich.«

»Was? Nein!« Er ist ihr Bruder und ich kenne ihn fast mein ganzes Leben lang. Wie kommt sie auf diesen Quatsch? »Ich bin müde. Matt hat recht, wir sollten schlafen. Gute Nacht«, sage ich trocken.

Jenna wirkt noch immer verwirrt. Sie löst ihren Zopf und schüttelt den Kopf, sodass ihre blonde Mähne wild umherfliegt, dann klettert sie die Sprossen zu ihrem Bett hoch und schaltet das Licht mit dem Fuß aus.

Ich und auf Matt stehen ... so etwas Absurdes.

 

Kapitel 5 – Matt

 

Die Santos braust mit vollen Segeln unter einem sternübersäten Himmel dahin. Ein kräftiger Wind schiebt von achtern und trägt das Lärmen der Gäste davon, bevor es hier hinten an meine Ohren dringt. Es ist fast schon romantisch. Aber solche Gedanken muss ich wegschieben und mich auf die praktischen Vorteile der Gegebenheiten konzentrieren: Endlich Ruhe.

Ich kann vor Müdigkeit kaum die Augen offenhalten, aber eine so gute Gelegenheit wird sich so schnell nicht mehr bieten. Während meiner Wache zu den Büchern zu greifen klappt nur, wenn der Wind günstig steht, keine Hindernisse auf der Route liegen und die Gäste Josh genug in Beschlag nehmen, dass er nicht herausfindet, was ich hier treibe.

Denn eins ist klar: Wenn er erfährt, dass ich nebenbei für mein Kapitänspatent lerne und bald nicht mehr unter seiner Fuchtel stehe, wird er alles tun, um meine Ziele zu sabotieren. Nicht, dass er mir noch mehr Arbeit aufbrummen und ich noch weniger Schlaf bekommen könnte – aber versuchen wird er es. Und von diesem Idioten lasse ich mir meinen Traum nicht kaputtmachen. Mein Vater hat es nicht geschafft, obwohl er mir jegliche Unterstützung für die Seefahrtschule gestrichen hat – »Investmentbanker, sonst kommt für meinen Sohn nichts in Frage« – da wird es dieser aufgeblasene Schönling auch nicht schaffen.

Zurück zu den Aufgaben: Sterne schießen, zehn insgesamt. Zwei oder drei kann ich heute erledigen, wenn Josh zuverlässig ... Ich gehe aufs Vorschiff, wo der kluge Herr Kapitän den Gästen erklärt, welche Sterne sie sehen. Dass er auf die falschen zeigt, merkt niemand, zumindest sagt keiner etwas. Alle sind gebührend beeindruckt. Das sollte Joshs Laune weit genug heben, dass er mich achtern nicht stören wird.

Unauffällig mache ich mich auf den Rückweg. Vergeblich. »He! Matt!«

»Na toll«, seufze ich und mache auf dem Absatz kehrt.

Josh grinst über beide Ohren und winkt mich zu sich. »Bring uns mal frische Cocktails.« Ehe ich mich wehren kann, drückt er mir drei Gläser in die Hand.

Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht »Ich habe Wache« zu murmeln. Ob er überhaupt mitkriegen wird, wenn ich seinen Wunsch ignoriere? So, wie er gelallt hat ...

»Jenna!« Zum Glück kommt sie gerade den Niedergang hoch. »Holst du neue Cocktails für Josh und die beiden Gäste?«

»Schon wieder?« Jenna schüttelt den Kopf, nimmt mir aber trotzdem die Gläser ab. »Ist das normal, dass die Besatzung angeschickert ist? Dürfen Katie und ich auch?« Sie grinst. »Ärgere dich nicht, Bruderherz. Ich hole ihnen neue Getränke, in Ordnung? Sehen wir uns vor dem Schlafengehen noch?«

Sie kennt mich einfach am besten. »Danke dir. Ich schau mal.« Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange, dann laufe ich zum Deckshaus und hole den Peilaufsatz für den Kompass. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht wenigstens zwei Sterne erwische.

Der Nautische Almanach und die Hefte mit den Aufgaben liegen aufgeschlagen auf der Ruderbank neben mir ... mehr als ein paar Notizen brauche ich nicht. Den Rest kann ich zur Not in meiner Kabine zusammenschreiben, wo keine Gefahr besteht, dass Josh meinen Kram entdeckt.

Schritte nähern sich. Hastig reiße ich den Peilaufsatz vom Kompass und stecke ihn in meine Jacke, klappe die Hefte zu und lege den Almanach drüber. Puh, es sind nur Gäste, die ins Bett gehen. Beruhigt packe ich wieder alles aus. Ich habe erst einen Stern, also muss ich weitermachen und zum nächsten Stern. Bei dem Funzellicht am Steuerstand kann ich kaum meine Notizen erkennen. Ich zucke zusammen, als die nächsten Gäste an mir vorbei zu ihren Kabinen gehen. Josh ist nicht dabei. Ich sollte endlich aufhören, mich wie ein Einbrecher in einer belebten Straße zu benehmen. Der dritte Stern ...

Plötzlich reißt mich etwas aus meinen Beobachtungen. Ein Schrei ertönt auf dem Vordeck. Ich blicke auf und lausche in die Dunkelheit hinein. »Was fällt Ihnen ein? Finger weg!« Das ist Katies Stimme. Wieder ein Schrei ... ihr Schrei. Er ist lauter dieses Mal. Ich fege meine Sachen von der Bank, sodass sie hinters Steuerrad fallen und hoffentlich außer Sicht sind, falls Josh kommt, und hetze nach vorne.

Josh steht an der Seite und beobachtet nur dümmlich grinsend die Szene. Einer der Gäste hat Katie gepackt und begrapscht sie. Sie windet sich, anstatt dem Typen einfach mal ein paar zu verpassen – traut sie sich nicht?

Ich springe zu ihr, reiße sie los und gehe auf den Gast los, der zur Seite stolpert und über seine eigenen Füße fällt. Ich muss mich sehr zusammenreißen, um den am Boden liegenden Mann nicht zu treten. »Hände weg von den Stewardessen«, knurre ich. »Verziehen Sie sich auf ihre Kabine, aber zackig!« Ich zerre ihn vom Boden hoch und schubse ihn in Richtung Niedergang.

Geschafft. Der Gast zieht ab, jedoch nicht ohne Katie noch einen Blick zuzuwerfen, der mich meine guten Vorsätze fast vergessen lässt.

Katie lächelt ihm gezwungen hinterher. Kaum ist der Typ außer Sichtweite, zischt sie mich an: »Hast du noch alle Tassen im Schrank? Du kannst doch nicht auf einen Passagier losgehen!«

Bitte? Mir klappt die Kinnlade runter. »Er hat dich begrapscht! Soll ich ihn etwa ... Hätte ich etwa ...«

»Ich habe mich auf seinen Schoß gesetzt, natürlich grabscht er da. Das war doch vollkommen harmlos. Der gibt mega viel Trinkgeld und ich brauch die Kohle!«

»Harmlos nennst du das? Spinnst du? Wenn du da nicht zeigst, wo die Grenzen sind, hast du beim nächsten Mal vielleicht nicht so viel Glück. Und warum hast du dann überhaupt so rumgeschrien?«

»Ich habe nicht geschrien, sondern gelacht. Das machen Menschen nun mal, wenn sie sich amüsieren.«

»Entschuldigung?«, kommt Joshs süffisante Stimme. »Meine Katie ist erwachsen genug, um das selbst zu entscheiden. Und was die Sicherheit angeht: Es ist immer noch mein Schiff und ich habe hier das Sagen, klar? Wenn ich es anweise, werden die Gäste Katie in Ruhe lassen. Das Trinkgeld wird dann zwar dünn ausfallen ...«

»Ich bin nicht mehr deine Katie«, knurrt sie. »Ihr beide spinnt doch! Es wird Zeit für mich, Feierabend zu machen. Also lasst uns den Mist einfach vergessen, okay? Josh, du solltest schlafen gehen. Matt, du hast doch noch Wache, oder? Gute Nacht und gute Wache.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, geht sie und dreht weiter ihre abendliche Aufräum-Runde übers Deck. Da will ich ihr nur helfen und sie lässt mich eiskalt hier stehen. Vielleicht war es wirklich nur ein Lachen. Ein sehr schrilles Lachen ...

Doch für den Moment hat sie recht. Ich muss dringend unsere Position ins Logbuch eintragen und der Funk könnte auch mal leiser gestellt werden, wo doch die meisten Gäste schlafen und nicht von quäkenden Stimmen aus dem Deckshaus wachgehalten werden wollen.

 

Kapitel 6 – Katie

 

Am liebsten würde ich Matt erwürgen. Vielleicht tue ich genau das noch. Seine kleine, dumme Aktion gerade hat mich bestimmt zwanzig Dollar Trinkgeld gekostet, wenn nicht mehr. Dabei war unser Plan so gut. Jenna schnappt sich die drei jungen Kerle und ich mir die zwei alten Säcke und deren eingebildeten Cousin mit der Föhnfrisur. Jetzt flirtet wahrscheinlich keiner mehr von denen mit uns.

Ich werfe einen wütenden Blick über die Schulter, während der Wind mein Haar nach hinten wehen lässt. Matt und Josh scheinen noch zu diskutieren. Jetzt geht Matt kopfschüttelnd weg. Geschieht ihm recht, dass er eine Ansage vom Kapitän kassiert hat.

Verdammt, ist das plötzlich kalt hier draußen geworden. Der Wind wird immer stärker und ich muss mich festhalten, weil das Schiff zu wackeln beginnt. Wird Zeit, dass ich hier draußen fertig werde. Außerdem habe ich Hunger. Die Gäste konnten schon vor zwei Stunden zu Abend essen, während wir wieder mal warten müssen, bis alle in ihren Kabinen sind.

Eine Welle schwappt gegen das Schiff und ich lande mitten auf den Polstern, die ich gerade aufsammeln wollte. Unwirsch rapple ich mich auf und klemme die vielen Kissen unter meine Arme. Sobald die in ihrer Kiste sind, habe ich Feierabend. Hoffe ich zumindest.

Ich drehe mich gerade um, als mir Bücher auf dem Boden auffallen. Bestimmt hab ich sie runtergeworfen. Hoffentlich ist nichts kaputt gegangen. Josh lässt aber auch überall seinen Kram liegen. Wo ist er überhaupt hin? Von hier aus sieht das Deck wie ausgestorben aus. Ich mag es überhaupt nicht, bei dem Wind in der Dunkelheit alleine hier draußen zu sein.

Rasch verstaue ich die Polster und schließe die Truhe gut zu, nur um morgen früh wieder alles auszuräumen, damit die Gesellschaft und der Kapitän ihren Spaß haben können. Wie Josh mich jedes Mal aufregt ... Wann versteht er endlich, dass ich nicht mehr seine Katie bin? Der Kerl spinnt doch total. Wahrscheinlich hätte ich Matt eben nicht so anschnauzen sollen. Es reicht doch, wenn Josh diesen Part ständig bei uns allen übernimmt. Und Matt hat es ja wirklich nur gut gemeint, auch wenn er mir die Tour versaut hat. Sobald die Crew gleich isst, werde ich mich entschuldigen. Das bin ich ihm schuldig. Und im Grunde hatte er ja recht. Ganz wohl habe ich mich bei dem alten Sack tatsächlich nicht gefühlt. Aber er würde mir hier auf dem Schiff doch nichts antun. Dafür sind hier viel zu viele Leute.

Ich schnappe mir die Bücher. Es sieht nach Regen aus. Ein Glück habe ich die Sachen gefunden, sonst hätte Josh mir bestimmt die Hölle heiß gemacht, wenn die nass würden. Den Gästen die Sachen hinterherzuräumen, gehört zu unseren täglichen Aufgaben, auch wenn wir eigentlich nicht fürs Babysitten bezahlt werden.

»Josh? Kapitän?«, rufe ich übers Außendeck, doch von ihm ist mal wieder nichts zu sehen. Dann ist er bestimmt schon auf seiner Kammer. Das passt mir gar nicht, aber ich kann das Zeug schlecht hier liegenlassen. Der Wind wird auch immer stärker und bläst mir eine ordentliche Brise ins Gesicht. Dabei hatte Josh vor einer Stunde noch zu den Gästen gesagt, dass es eine relativ ruhige Nacht werden soll.

Ich stapfe die Treppen zu den Kabinen runter und gehe geradewegs auf seine zu. Hoffentlich schläft er noch nicht. Aber wahrscheinlich zieht er sich noch irgendeinen Film auf seinem Laptop rein. Das hat er schon früher immer so gemacht, wenn ich schlafen war.

Ich klopfe sachte an seine Tür und ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Ich hätte nicht alleine gehen sollen. Seine Kabine liegt am anderen Ende des Schiffes gegenüber Matts, und der ist oben Wache schieben.

»Wer ist da?«

»Ich bin’s, Katie«, sage ich verlegen.

Josh reißt die Tür auf und grinst mich dämlich an. Wie ich diesen Blick hasse. »Meine Schöne, du möchtest mir wohl heute Nacht Gesellschaft leisten?« Ich könnte kotzen bei seinen Worten.

»Spinn nicht rum«, antworte ich kühl. »Du hast deine Bücher oben vergessen und es sieht nach Regen aus. Hast du nicht gesagt, es wird eine ruhige Nacht? Dafür ist es ganz schön windig.«

»Ja ja ... Aber was für ...?« Josh starrt auf meine Hände und nimmt mir die Sachen ab. So zusammengezogen habe ich seine Stirn schon lange nicht mehr gesehen. Es wirkt beinahe so, als würde er ausnahmsweise mal nachdenken. Er blättert die Seiten durch und hält plötzlich inne.

»Was ist? Sind das nicht deine?«

»Dieser dreckige, kleine Mistkerl! Wenn ich den zwischen die Finger bekomme. Das kann der mal sowas von vergessen! Als ob er das packt!«

Ich bleibe wie angewurzelt vor Josh stehen und beobachte seine Halsschlagader dabei, wie sie langsam anschwillt. »Josh, was ist los? Stimmt etwas mit den Sachen nicht? Sie sind mir auf den Boden gerutscht, aber es sah nicht so aus, als wäre etwas kaputt gegangen.«

Josh sieht mich auf verstörende Weise an. Seine Wangen haben sich dunkel rot gefärbt, während der Rest seines Gesichts kreidebleich ist und seine Augen vor Wut hervortreten. Ich muss hier weg, und zwar schleunigst, bevor der Kerl explodiert.

»Ich geh jetzt, Josh«, murmele ich und taste mich rückwärts an der Flurwand entlang.

Josh beachtet mich überhaupt nicht mehr. Er knallt die Tür zu und ein dumpfer Schlag ertönt aus seiner Kabine. Hat er etwas zerschlagen? Sein Gesichtsausdruck erinnert mich an damals, an die Sache mit seiner Mom. Die Bücher sahen doch aus wie neu. Ich verstehe das nicht! Hoffentlich brummt er mir jetzt nicht irgendeine Rechnung für die Sachen auf, wie bei Matt und dem Fender. Aber eigentlich klang er gar nicht wütend auf mich. Wahrscheinlich hat sich einer der Männer sein Zeug ausgeliehen. Vielleicht war er so sauer, weil Matt oder Daniel es draußen liegen haben lassen. Aber deswegen so austicken? So etwas kann man doch in Ruhe klären.

Kopfschüttelnd laufe ich durch die Lounge und zurück zu meiner Kammer, um mich umzuziehen. Für heute habe ich frei. Zum Glück. Ich sterbe vor Hunger. Bis es Abendessen gibt, dauert es jedoch noch eine halbe Stunde.

 

Kapitel 7 – Katie

 

»Hey, kommst du auch in die Küche?« Jenna steht im Türrahmen und schaut zu mir runter. Ich hab mich gerade erst umgezogen und wollte mir fünf Minuten Entspannung gönnen, ehe ich zu den anderen zurückkehre und mir den Bauch vollschlage.

»Ich dachte, es gibt erst in einer viertel Stunde zu Essen.«

»Tja, Planänderung. Draußen geht ein ganz schöner Wind, der immer heftiger wird. Eigentlich sollten wir den Rest Suppe der Gäste bekommen, aber das ist nichts, wenn das Schiff so schwankt. Außerdem ist wohl kaum etwas übriggeblieben. Jetzt sind wir beide zum Sandwich-Schmieren für den Mitternachtssnack der Gäste verdonnert. Und für die Crew, wenn was übrigbleibt.«

»Kommt Josh auch?«, frage ich Jenna. Für ihn habe ich nach meiner kurzen Entspannungsphase überhaupt keine Nerven. Was ist nur los mit den Jungs heute?

»Keine Ahnung. Ich meine, der hätte mit den Gästen gegessen. Wenn es wirklich noch stürmen soll, schiebt er vielleicht mit Wache.«

»Das wird deinem Bruder gar nicht passen.«

Jenna zuckt mit den Schultern. »Matt passt eigentlich gar nichts, was dein Ex macht. Also kommst du? Daniel meinte, wir sollen uns beeilen. Wenn der Sturm losgeht, will er was im Magen haben.«

»Ja, na klar«, sage ich und rapple mich auf. So, wie das Schiff inzwischen schwankt, kommt mir der Weg übers Deck bis zur Küche wie eine Ewigkeit vor. Wenn das so weiter geht, werde ich noch seekrank.

»Wo ist der Koch?«, frage ich, als wir die Küche betreten.

Jennas Schultern zucken. »Vermutlich Zutaten holen, sich um den Müll kümmern ... Auf geht’s, ich hab Hunger.«

»Nicht nur du«, murmele ich und setze mich an den Tisch, packe mir einen Laib Brot und beginne damit, es in Scheiben zu schneiden, während Jenna sich die Gurken und Tomaten vornimmt. Heute haben wir uns kaum gesehen. Jenna war den halben Nachmittag mit Putzen beschäftig, während ich Schirmchen in Cocktails gesteckt habe. Kein Wunder, dass sie so mies drauf wirkt. Mit tut immer der Rücken nach dem Putzen höllisch weh.

»Reichst du mir mal bitte Schinken und Käse aus dem Kühlschrank?«

»Kommt sofort«, sagt Jenna, dreht sich um und zieht die Box mit den Aufschnittpackungen aus dem Kühlkasten. »Bitte.«

»Danke dir«, sage ich und will gerade nach dem Schinken greifen, als das Schiff heftig schaukelt und die Packung vom Tisch rutscht.

In dem Moment kommt Matt rein und starrt mich an, während ich auf dem Boden hocke und unterm Tisch nach der Verpackung taste. »Was machst du da?« Er klingt irritiert.

»Wo nach sieht es denn aus?«, frage ich patzig. Dabei wollte ich doch freundlich zu ihm sein. Endlich kriege ich die Packung gefasst und kann mich hochziehen. In dem Moment geht ein weiterer Ruck durchs Schiff und ich lande geradewegs in Matts Armen, die mich behutsam auffangen.

»Dafür muss ich dir jetzt aber kein Trinkgeld geben, oder?« Seine Stimme trieft nur so vor Sarkasmus, als er mich wieder loslässt.

»Sorry wegen eben. Ich hätte dich nicht anschnauzen sollen. Du hast es ja nur gut gemeint ...«

Matt nickt. Dann ist hoffentlich wieder alles in Ordnung zwischen uns.

»Alles klar bei euch Turteltauben? Ich denke, du hast Wache, Bruderherz?« Jenna blickt fragend von mir zu ihm.

»Äh, ja. Eine von euch muss die Liegestühle reinholen.«

»Wieso? Josh meinte, es wird eine ruhige Nacht? Wegen des bisschen Windes? Daniel hat gesagt, wir müssen zuerst die Sandwiches fertig schmieren. Außerdem haben wir Hunger. Ich hab den ganzen Nachmittag den verdammten Wischmopp geschwungen.«

»Ja, und das wäre eigentlich schon heute Morgen deine Aufgabe gewesen«, kontert Matt und zieht die dunklen Brauen hoch. »Also Abmarsch.« Er greift sich das Sandwich, dass wir gerade fertig belegt haben, und beißt rein. Dann dreht er sich um und geht Richtung Tür.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752119947
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
romantisch spannung auf hoher see thriller seefahrt Seeabenteuer liebesroman new adult Dark Romance Liebesroman Roman Abenteuer

Autoren

  • Lisa Summer (Autor:in)

  • Eva Baumann (Autor:in)

Mit Lisa Summer und Eva Baumann hat sich ein Autoren-Duo gefunden, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Eva, die ihr halbes Leben auf See verbracht hat und schon Containerschiffe und Yachten durch Stürme manövrierte und die leidenschaftliche Liebesromanschreiberin Lisa, die ganz froh ist, ihr Leben bisher sicher an Land verbracht zu haben.
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Titel: High Seas - Verloren im Paradies