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High Seas Sammelband - 2 in 1

Leidenschaft auf hoher See & Verloren im Paradies

von Lisa Summer (Autor:in) Eva Baumann (Autor:in)
300 Seiten
Reihe: High Seas, Band 3

Zusammenfassung

Leidenschaft auf hoher See:

Sie sieht in ihm die Rettung, doch was sieht er?

Als die Autorin Julia Perry von ihrem Agenten zur Recherche auf die Freya geschickt wird,
ahnt sie nicht, dass sie bald mehr als ein paar heiße Flirts mit den Offizieren erleben wird.
Plötzlich wird sie in Geschäfte verstrickt und erfährt Dinge, die lieber unter Deck geblieben wären.
Kann sie der heiße Chief Mate Adam vor den dunklen Machenschaften auf hoher See beschützen?


Verloren im Paradies

Er kann ihre Rettung sein - oder ihr Untergang

Weiße Strände, Cocktails – so stellt Katie sich Inselhopping in der Karibik vor.
Zusammen mit ihrer Freundin Jenna heuert sie als Stewardess auf einer Segelyacht an, um Geld für das nächste Semester aufzutreiben.
Ebenfalls mit an Bord: Jennas Bruder Matt, auf den sie schon als Teenager ein Auge geworfen hatte.
Bei Sonne und Cocktails sprühen die Funken zwischen ihr und dem sexy Bootsmann.
Alles könnte perfekt sein, wenn nicht ihr kontrollsüchtiger Exfreund Josh der Kapitän wäre.
Um Katie zurückzugewinnen, lässt Josh nichts unversucht, auch wenn es bedeutet, im Sturm das Leben der gesamten Besatzung aufs Spiel zu setzen ...

***Die Taschenbuch-Ausgaben umfassen zusammen 434 Seiten***

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

High Seas – Leidenschaft auf hoher See

Kapitel 1 – Julia

Kapitel 2 – Adam

Kapitel 3 – Julia

Kapitel 4 – Julia

Kapitel 5 – Julia

Kapitel 6 – Julia

Kapitel 7 – Julia

Kapitel 8 – Julia

Kapitel 9 – Julia

Kapitel 10 – Julia

Kapitel 11 – Adam

Kapitel 12 – Julia

Kapitel 13 – Julia

Kapitel 14 – Adam

Kapitel 15 – Adam

Kapitel 16 – Julia

Kapitel 17 – Adam

Kapitel 18 – Julia

Kapitel 19 – Adam

Kapitel 20 – Julia

Kapitel 21 – Julia

Kapitel 22 – Julia

Kapitel 23 – Adam

Kapitel 24 – Julia

High Seas – Verloren im Paradies

Kapitel 1− Katie

Kapitel 2 – Katie

Kapitel 3 − Matt

Kapitel 4 – Katie

Kapitel 5 – Matt

Kapitel 6 – Katie

Kapitel 7 – Katie

Kapitel 8 – Matt

Kapitel 9 – Katie

Kapitel 10 – Matt

Kapitel 11 − Matt

Kapitel 12 – Matt

Kapitel 13 – Katie

Kapitel 14 – Katie

Kapitel 15 – Matt

Kapitel 16 – Katie

Kapitel 17 – Katie

Kapitel 18 – Katie

Kapitel 19 – Matt

Kapitel 20 – Katie

Kapitel 21 – Matt

Kapitel 22 – Katie

Kapitel 23 – Matt

Kapitel 24 – Katie

Kapitel 25 – Matt

Kapitel 26 – Katie

Kapitel 27 – Matt

Kapitel 28 – Katie

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Impressum

High Seas – Leidenschaft auf hoher See

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Kapitel 1 – Julia

»Charlie, hast du kurz Zeit? Ich hab dir schon vor zwei Wochen das neue Exposé zugesandt und immer noch keine Rückmeldung bekommen. Gefällt es dir denn nicht?« Mein Kopf lugt durch den breiten Türspalt zu ihm hindurch. Ich musste noch nie so lange auf eine Antwort von ihm warten. Wenn er zu viel zu tun hätte, dann wüsste ich das, denn dann hätte man mich gar nicht erst zu ihm gelassen. Er hasst es, wenn man ihn während etwas Wichtigem stört, daran kann es also nicht liegen.

Charles reibt sich über die dicke Wulst unter seinem Kinn und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. Dann schlägt er die Beine zusammen und setzt sich auf. »Doch, doch«, sagt er abwinkend. »Wann warst du zuletzt auf einem Schiff?«

Meine Augenbrauen wandern nach oben. »Vor ein, zwei Jahren, wieso? Hab ich einen Logikfehler im Plot?«

»Nein, nein. Das – das ist es nicht. Hättest du Lust, in drei Wochen in See zu stechen? Als Recherche-Reise?«

Ist das sein Ernst? »Natürlich. Also gefällt dir die Idee zu Love in Paradise?« Perfekter kann es doch gar nicht mehr laufen. Ich will schon so lange noch einmal mit einem Kreuzfahrtschiff über das Meer reisen.

Was war das? Ein leichtes Grinsen huscht über sein Gesicht. Ich kenne diesen Ausdruck und seufze. »Nun rück schon raus, Charlie.« Es ist jedes Mal das Gleiche. Ich lege ihm als meinen Agenten eine Idee oder gleich ein ganzes Manuskript vor und dann beginnt sein großes Spiel.

»Ja, ja, die Idee ist ganz gut«, antwortet er endlich mit abwesender Stimme.

Nur ganz gut? Das wird die Love-Story des Jahres! »Aber?«

»Das Genre, meine Liebe. Das Genre.« Er legt seine Hände gefaltet in seinen Schoß und lehnt sich zurück. Wenn er weiter so macht, dann bleiben die Falten auf meiner Stirn irgendwann. »Julia, du weißt, ich schätze dich sehr als Klientin, aber deine Liebesromane ... hast du dir die letzten Verkaufszahlen angesehen? Die Verlage schaffen es einfach nicht, sie an den Mann zu bekommen. So springt doch nie eine gute Vorauszahlung für dich ab.« Pah, er meint wohl eher eine gute Provision für sich. »Setz dich endlich. Ich habe da eine neue Idee.« Charlie weist auf den Stuhl vor mir.

Ich ziehe ihn zurück und setze mich mit steifem Oberkörper ihm gegenüber hin. Zu gerne wüsste ich, was da gerade in seinem Oberstübchen vorgeht. Bisher konnte ich mich nicht wirklich über schlechte Zahlen beschweren, doch ich kenne Charlie schon lange. Das große Haus, die Ferien-Villa in Italien, der schicke Sportwagen, er will immer eine Null mehr auf dem Konto haben als nötig. »Gut«, sage ich schließlich und verschränke meine Arme. »Schieß los.«

»Aus Love in Paradise machen wir Lost in Paradise

»Klingt wie ein Thriller.«

Charlie strahlt und ich reiße die Augen auf. »Nein! Nein, nein und nochmals nein! Charles, ich kann keinen Thriller schreiben. Wie soll das gehen?«

Er sieht mich mitleidig an und zieht einen kleinen Stapel Dokumente aus der Schreibtischschublade seines prunkvollen Mahagonitisches hervor und legt sie zwischen uns ab. Mit dem Zeigefinger auf unseren Vertrag tippend, sieht er mich an. »Du weißt, was hier drinsteht? Und du weißt, was ich in den letzten Jahren alles für dich und deine Karriere getan habe? Gut, dann weißt du auch, dass du als nächstes einen Thriller schreiben wirst.«

Ich atme schnaubend aus. Dieser verdammte Knebelvertrag!

Charlie lächelt und sein goldener Eckzahn lugt hervor. Am liebsten würde ich ihm den jetzt ausschlagen. »Julia«, sagt er schmeichelnd und ich verdrehe die Augen, »es ist doch ganz einfach. Eine Entführung ein paar junger Mädels, die sollen mit einem Schiff nach Hong Kong geschmuggelt und dort verschachert werden. Wenn du den Leser die Liebe in deinen Büchern fühlen lassen kannst, dann sicherlich auch die Angst der jungen Frauen.« Er macht eine dramatische Pause und reibt sich den Nasenrücken. »Ich habe heute früh schon mit einem alten Schulfreund telefoniert. Er ist Agent am Hafen oder so etwas und du könntest zwei Wochen lang auf einem Containerschiff mit auf See gehen und dort recherchieren. Unter den ganzen Kerlen kommst du vielleicht mal ein bisschen aus dir heraus.«

Bis gerade wusste ich nicht, dass sich meine Augen überhaupt so extrem weiten können. Jetzt tränen sie. »Ich soll in See stechen? Ich? Auf einem Frachter? Du spinnst doch!«

»Überhaupt nicht. Bedenke, welche Erfahrungen du dort sammelt kannst. Und wenn du willst ...«, er verdreht die Augen, »… kannst du anschließend noch dein Love in Paradise schreiben. Dafür ist die Recherche ja auch ganz gut.«

»Love in Paradise spielt auf einem Kreuzfahrtschiff, nicht auf einem Containerschiff.«

Er wedelt abweisend mit seiner Hand und ich bin kurz davor, an die Decke zu gehen. Ein Frachter ... ich alleine unter Männern, das überlebe ich niemals!

»Kreuzfahrtschiff, Frachter ... Schiff ist Schiff. Ob sich deine Protagonistin nun zwischen Containern oder am Pool in den Kapitän verliebt, ist doch schnuppe. Also, was sagst du? Sind wir im Geschäft?«

Meine Augen ruhen auf seinen haarigen Fingern, die immer noch unablässig auf den Vertrag tippen. So ein Mist! Ich habe damals zugesagt, jedes Angebot anzunehmen. So sichert er sich ab, damit ich stets für den Markt schreibe. Genervt stehe ich auf und gehe im Raum auf und ab. »Ich überlege es mir bis morgen, in Ordnung? Hast du schon einen Verlag in Aussicht?«

Wieder dieses Grinsen auf seinen Lippen. »Oh ja, meine Liebe, oh ja.«

Ich hebe die Augenbrauen. »Verrätst du mir heute noch, welchen?«

Er leckt sich über seine Lippen. Ich hasse es, wenn er das macht. Ob er weiß, wie unerotisch das wirkt? »Paper-Cronwood«, spricht er es endlich aus und mit klappt der Mund auf. Paper-Cronwood ist der größte Verlag im englischsprachigen Raum und bringt einen Bestseller nach dem anderen raus.

»Das – nein ... im Ernst? Stehst du schon in Kontakt mit ihnen?« Ganz automatisch bleibe ich stehen und sinke zurück in den Stuhl.

Sein Lächeln wird immer breiter. »Ja, und sie lieben die Idee.«

In meinem Brustkorb hämmert es stark. Kann ich es wirklich schaffen, einen Fuß in die Cronwood-Welt zu setzen? Verdammt, wäre das geil! Meine Finger fahren über meine glühenden Wangen. Seit wann ist es so heiß hier drinnen? Ich kann nicht mehr anders und nicke.

»Und, lässt du dir diese Chance entgehen?«

Ich schaue über seine Glatze hinweg durch das Fenster hinter ihm und hinaus aufs weite Meer. Ich – zur See ... Julia reitet die Wellen und bezwingt das Meer, ein leichtes Lächeln huscht über mein Gesicht.

»In drei Wochen sagst du, geht es los?«

»Wenn du möchtest. Diese Erfahrung wird dir sicherlich nicht schaden.«

»Für wie lange?«

»Zwei Wochen.«

Zwei Wochen auf See und ein Thriller aus meiner Feder für einen Vertrag mit Paper-Cronwood. »Deal«, sage ich, stehe auf und schüttle Charles die Hand. Er lacht süffisant. War es die richtige Entscheidung?

 

 

Kapitel 2 – Adam

Eines ist sicher: Den Kaffee an Bord werde ich nicht vermissen. Ich nehme einen Schluck des unzumutbaren Gebräus und verziehe das Gesicht. Immerhin hält mich das bittere Getränk wach. Seit achtundzwanzig Stunden sitze ich auf diesem verdammten Stuhl in diesem verdammten Ladungsbüro. Pausen? Nicht vorgesehen. Nicht für den Chief Mate, den Ersten Offizier. Nicht, wenn immer noch – Ich konsultiere den Ladeplan – sieben Container auf ihren Platz warten. Einer davon mit einer ganz besonderen Ladung. Ladung, die nicht mehr mein Problem sein wird.

Valparaíso, das »Paradiestal«, wird mein ganz persönliches Paradies sein. Ich werde abmustern und dieses Schiff nie wiedersehen. Sobald Mario mit meiner Ablöse auftaucht, bin ich weg. Sollen die ihre schmutzigen Geschäfte doch ohne mich machen. Noch ein Schluck Kaffee – der letzte. Das letzte Mal die Ladepläne aktualisieren. Das letzte Mal den Planer zusammenpfeifen. Meine Taschen stehen gepackt in der Ecke des Büros. Meine Privatklamotten liegen bereit. Ich lasse die Finger über die obersten Hemdknöpfe gleiten. Bald werde ich sie öffnen und das Uniformhemd loswerden, das die letzten zehn Jahre mein Gefängnis war. Ich werde die dunkelblaue Hose ausziehen und meine muskulösen Beine in kurzen Shorts zur Schau stellen. Dazu ein lockeres Muscle-Shirt – umsonst quäle ich mich schließlich nicht täglich, auch nicht nach einer dreißig-Stunden-Schicht, im Gym. Der Urlaubslook ist perfekt. Urlaub – von meinem alten Leben.

In Chile wird alles neu beginnen. Die Schulden sind beglichen, ich kann endlich aussteigen. Vielleicht fange ich als Hafenarbeiter an. Scheiß auf den schlechten Lohn, ich will einfach nur leben. Sonne und hier und da eine Margarita werden schon drin sein. Vielleicht eröffne ich auch eine Bar. Dann wären zumindest die Margaritas sicher.

Ich hole mein Portemonnaie aus der Tasche und zähle die Geldscheine. Genug, um die Avenida Rio Grande 5 zu besuchen. Abgesehen von den besten Margaritas haben sie die heißesten Frauen. Esperanza wird dort auf mich warten. Sie weiß, dass ich heute abmustere. Sie hat sich den Abend freigehalten, nur für mich, da bin ich mir sicher. Mario wird das schon sichergestellt haben. Die anderen Schiffsagenten mögen Idioten sein, aber auf Mario ist Verlass. Er weiß, was ein Seemann nach einer Ozeanüberquerung braucht. Margaritas und Frauen.

Esperanza, die Hoffnung. Ich grinse in mich hinein. Diese Frau ... die glänzenden Haare, die meine Oberschenkel kitzeln, während ihre vollen Lippen sich um meinen Schwanz schließen ... Ich seufze genüsslich bei der Vorstellung und mein Glied wird hart in der engen Uniformhose. Ich sollte dringend aufs Klo gehen und Druck ablassen, sonst wird es hier einen Unfall geben, mit dem ich nicht in Erinnerung bleiben will.

Ich schiebe hastig den Stuhl zurück und eile zur Tür. Beim Gehen knöpfe ich mir die Hose auf, um meinem anschwellenden Schwanz den Platz zu geben, der ihm gebührt. Ich reiße die Tür auf, springe auf den Gang und -

»Puta madre!« Mario hat mir seine knochige Schulter in die Brust gerammt. Mein frisches Tattoo bricht auf und durchtränkt das Hemd mit Blut. Stöhnend gehe ich zu Boden. »Chico, que pasa?« Mario reicht mir die Hand. »Mierda, dein Hemd, alles voll mit Blut!«

»Ja, weil du Arschloch mich umgerannt hast«, knurre ich und ziehe mich an seiner Hand hoch. Verdammt, das Hemd ist hin. Meine Erektion auch. Aber egal, Esperanza wartet. Ich werde dieses beschissene Schiff verlassen und kein Uniformhemd mehr brauchen. Ein Ruck am Stoff und die billigen Knöpfe reißen aus. Ich knülle das Hemd zusammen und tupfe das Blut ab, bevor es auf meinen Brustmuskeln trocknet.

»Hast du Liam mitgebracht?« Blöde Frage meinerseits. Natürlich hat er meine Ablöse mitgebracht. Der neue Erste Offizier, der mir meinen wohlverdienten Ausstieg ermöglicht. Ich schaue an Mario vorbei und sehe ... Das darf doch nicht wahr sein: kein Liam. Eine Frau steht dort. Na ja, eher ein Mädchen. Sie sieht ein bisschen aus wie Esperanza. Langes schwarzes Haar, schlanke Beine ... nur der Busen fehlt. Also, da ist schon was zu erkennen unter dem dünnen, weißen T-Shirt: zwei Mückenstiche. Ich grinse. »An den Nutten sparen sie auch schon, was? Für wen hast du denn diese Sparversion von Esperanza mitgebracht? Für mich hoffentlich nicht. Ich werde nicht lange genug bleiben.«

Ich trete zurück ins Schiffsbüro, schnappe mir mein T-Shirt und ziehe es über. Dann schlüpfe ich aus der Uniformhose – aufgeknöpft ist sie ja schon – und wühle im Rucksack nach meiner Jeans. Wenn man seit acht Jahren mit zwanzig Männern zur See fährt, bleibt kein Schamgefühl zurück. Und die Nutten sehen nichts, was sie nicht schon kennen. Okay, vielleicht ist es unhöflich, dem besten Schiffsagenten der Welt den Arsch hinzustrecken.

Ich richte mich auf, mit der Jeans in der Hand und ziehe sie an. »Was ist jetzt mit Liam? Kommt wohl erst morgen?« Ich habe eigentlich keine Lust, weitere Stunden auf dem Schiff verbringen zu müssen, aber was sind schon ein paar Stunden gegen ein Leben in Freiheit?

Mario tritt von einem Bein aufs andere. Mir schwant Übles. Ich knöpfe die Jeans zu und betrachte die Frau genauer. »Das ist meine Ablöse? Wusste nicht, dass der alte Johnson auch Frauen einstellt.«

»Tut er nicht«, antwortet Mario. »Jedenfalls nicht auf der Freya

Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

Mario räuspert sich. »Darf ich vorstellen? Julia Perry. Sie fährt die nächste Reise als Passagierin bei euch mit.«

»Nicht bei mir«, murmele ich. »Ich bleibe nicht hier, schon vergessen? Ich lade die Freya ordentlich, übergebe an Liam, und dann können mich alle mal kreuzweise. Spätestens morgen Abend saufen wir uns in einer Bar das letzte bisschen Verstand weg, Amigo.«

Mario fixiert seine polierten Stiefelspitzen.

Ich kneife die Augen zusammen. Eine üble Ahnung steigt in mir auf. »Wann kommt Liam?«

Keine Antwort.

»Mario!«

Er zuckt zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. Am liebsten würde ich das. Sein Schweigen kann nur eines bedeuten. »Mario.« Ich zwinge mich zur Ruhe. »Wann. Kommt. Liam?«

»In zwei Wochen. Nach Hongkong. Du fährst noch die Überquerung, und dann –«

»Fuck!« Ich ramme meine Faust in die Wand. Stahl und Knochen – keine gute Kombination. Ich brülle vor Schmerzen auf. Die Frau zuckt zusammen und starrt mich an, als hätte sie noch nie einen wütenden Kerl gesehen. Aber auf sie kann ich keine Rücksicht nehmen. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Zwei Wochen! »Das geht nicht! Zwei Wochen. Mario, das mach ich nicht! Da werden vier Wochen draus, und dann vier Monate, ich kenn doch den Mist! Was ist denn mit Liam?«

»Ist halt krank geworden«, murmelt Mario. »Zac meint, es sei das Vernünftigste, wenn du die paar Tage noch mitfährst, dann braucht er nicht extra einen neuen Offizier anheuern.«

»Zac steht unter mir im Rang! Der hat so etwas nicht zu entscheiden!«

Mario zuckt mit den Schultern. »Ist halt der Sohn vom Boss, was willst du machen?« Mr. Zachary Johnson, nur Zweiter Offizier, aber Daddy lässt ihn die Personalentscheidungen treffen. Wie ich ihn inzwischen hasse!

»Hab ich da meinen Namen gehört?« Bitte nicht! Die Tür öffnet sich und ein gelber Schutzhelm wird sichtbar. Zac schiebt sich ins Zimmer. Er lässt seinen Blick über die Frau schweifen und sein Stirnrunzeln glättet sich. Er lächelt sein charmantestes Surferboy-Lächeln, nimmt den Helm ab und schüttelt sein langes, blondes Haar. Wie aus einem verdammten Werbefilm für Shampoo. Ich verdrehe die Augen.

Die Frau – wie hieß sie gleich nochmal? – blickt ihn an wie ein erschrockenes Bambi im Scheinwerferlicht. Ihre Pupillen weiten sich. Ja, Zac ist eben echtes Wichsvorlagenmaterial. Die zwei werden noch vor dem Auslaufen zusammen in der Kiste landen, das ist sowas von offensichtlich.

Zwei Wochen, mindestens. Verfickte Scheiße.

 

Kapitel 3 – Julia

»Zachary Johnson, Zweiter Offizier, aber nenn mich ruhig Zac«, sagt der hübsche Mann vor mir mit einem sonnigen Lächeln und reicht mir seine Hand. Sie ist warm und rau – männlich.

»Ju- Julia«, stotterte ich. »Julia Perry. Ich bin Autorin und fahre mit Ihnen, um etwas zu recherchieren.«

Zac zwinkert mir zu. »Autorin. Sexy ... klingt aufregend.«

Der andere schnaubt. »Und, sollte man etwas von Ihnen kennen?« Er steht immer noch in Unterhose da, und ich weiß langsam nicht mehr, wo ich hinschauen soll. Augen, Julia, schau in seine Augen. Nicht auf die feinen Blutstropfen, die jetzt sein frisches Shirt benetzen, und auch nicht tiefer. »Barfuß durch San-Francisco hat sich ganz gut verkauft«, krächze ich. Wo ist nur meine Stimme hin? Das muss die salzige Hafenluft sein. Ich räuspere mich. »Aber ich glaube nicht, dass Sie es gelesen haben. Ich schreibe eher für Frauen.« Langsam wird meine Stimme wieder gefasster.

Der Kerl knurrt: »Klingt nach Liebesschnulze. Dann sind Sie bei unserem Surfer-Boy ja richtig.« Er wedelt mit seiner Uniformhose in Zacs Richtung.

Der lacht übers ganze Gesicht. »Ist das die neue Art, Damen an Bord zu begrüßen? Los, zieh dir deine Uniform wieder an. Außerdem hast du da was.«

Zac zeigt auf den roten Fleck auf weißem Stoff und sein Kollege gibt ein eigenartiges Knurren von sich.

»Wer hat denn Liam abbestellt, hm?« Er knöpft die Jeans wieder auf und schmeißt sie in die Ecke, ehe er wieder seine zerknitterte Uniformhose anzieht. »Hongkong, Zac, und keine Meile weiter.«

»Wenn Liam bis dahin wieder fit ist.« Zac grinst.

Oh Gott, reize ihn doch nicht noch mehr! Der tätowierte Typ sieht aus, als würde er hier gleich alles kurz und klein schlagen! Ich kralle mich an den Gurt meines Rucksackes, während sich Zac meine Reisetasche schnappt. »Viktor hat meine Ladungswache übernommen, ich zeige Julia ihre Kammer.«

Bloß raus hier. Ich husche auf den Gang und höre noch, wie uns der andere Kerl hinterherruft: »Dann kannst du gleich der Kleinen das Schiff zeigen und die Sicherheitseinweisung machen.«

Zac dreht sich zu mir um, rollt mit den Augen und geht die drei Schritte zum Schiffsbüro zurück. »Miss Perry, wenn ich bitten darf!«, sagt er mit scharfer Stimme. »Sie ist unser Gast an Bord, und du wirst sie entsprechend behandeln.«

»Dein Gast vielleicht«, knurrt er. »Meiner ganz sicher nicht.«

Irgendwo beginnt ein Funkgerät zu rauschen. Nach einem kurzen Knacken ertönt eine tiefe Stimme. »Bay zweiundzwanzig, dritte Tier

Zac kommt auf den Gang zurück und zieht die Tür hinter sich zu. »Lassen wir ihn mal in Ruhe seine Ladung machen. Der Chief ist ganz in Ordnung, wenn er nicht grad frustriert ist. Lass dich nicht ärgern.«

»Wer?«

»Der Chief. Chief-Mate, Erster Offizier.«

Ich bin so schlau wie vorher.

»Adam, der Stinkstiefel dort drinnen.« Er zeigt in Richtung des Schiffsbüros. »Er ist unser Erster Offizier, bald Kapitän – wenn er sein Patent ausfährt. Er redet immer davon, dass er aufhören will, aber das geht schon seit zwei Jahren so. Immer, wenn etwas nicht nach Plan läuft, will er hinschmeißen. Wäre schade drum. Ich gestehe es nicht gerne, doch er ist einer unserer Besten.«

»Oh, ich dachte, Sie sind ...«

»Wie gesagt, ich bin aktuell noch der Zweite Offizier. Ich brauche noch ein Jahr oder so bis zum Kapitänspatent. Kürzer, wenn Adam wirklich hinschmeißt, dann rücke ich nach. Erst Erster Offizier, dann Kapitän.«

Er sieht nicht glücklich aus bei dem Gedanken.

»Keine Lust aufs Kapitän-Dasein?«

»Geht so. Mehr Kohle, das ist nett, aber nur Bürokram. Keine Zeit mehr an Deck, keine an Land. Siehst du ja bei Adam. Dreißig Stunden hockt er jetzt schon am Stück über den Ladeplänen. Es gibt eben nur einen Ladungsoffizier. Viktor, das ist der Dritte Offizier, und ich, wir wechseln uns an Deck ab. Jetzt wäre eigentlich Zeit für eine Pause gewesen – oder eben die Sicherheitseinweisung.«

Ich blicke ihn überrascht an. »Tut mir leid, ich wollte dir nicht die Pause stehlen.«

Zac schüttelt den Kopf und seine blonde Mähne schwingt um sein hübsches Gesicht. »Ach Quatsch. Bei einer schönen Frau wie dir verzichte ich gerne auf meine Pause. Noch ein Deck, dann sind wir da.«

Wir sind mittlerweile im vierten Stock – viertes Deck, schwirrt mir Zacs Stimme im Kopf herum – angekommen. Dort sind die Kammern der Zweiten und Dritten Offiziere und der Ingenieure. Es geht weiter aufs fünfte Deck und so langsam tun mir meine Waden von den vielen Stufen weh. Die Kapitänskammer, die Kammer des Chief-Mate, die Lotsenkammer und die Eignerkammer: mein Zuhause auf Zeit, fährt es mir durch den Kopf und ich frage mich, wie lange das alles gut gehen soll. Was ist, wenn die restliche Mannschaft mich genauso wenig hier haben will wie dieser Chief-Mate? Mein Blick geht hilfesuchend zu Zac, der eine Tür aufschließt und meine Reisetasche ins Zimmer trägt. Zac bemerkt mich gar nicht richtig. Er lässt einen prüfenden Blick herumschweifen, rückt den Stuhl am kleinen Schreibtisch gerade und zieht das Bettzeug glatt. Normalerweise wäre mein erster Gedanke, dass er sich doch bitte vorher die Hände waschen sollte, bevor er mein sauberes Bettzeug anfasst, aber heute ist mir alles egal. Dass aus Love in Paradise Lost in Paradise werden soll, wird mir erst jetzt richtig bewusst. Containerschiff, kein Kreuzfahrtschiff. Ein Thriller, keine Romantik. Mir steigen die Tränen auf.

»Ich möchte mich kurz frisch machen«, murmele ich.

Zac blickt mich mitleidig an. In seinen grünen Augen könnte ich versinken, wenn ich nicht gerade meine Tränen unterdrücken müsste. »Ich hol dich in einer halben Stunde ab, okay?«, fragt er mitfühlend. Er lächelt mir noch einmal kurz zu und schließt die Kabinentür hinter sich.

Ich lasse mich aufs Bett fallen, das Zac eben noch berührt hat. Ich bin froh, alleine zu sein, und wünsche mir gleichzeitig, dass dieser umwerfend aussehende, blonde Offizier in meine Kabine zurückkehrt und mir Gesellschaft leistet. Er würde wissen, was man gegen die aufquellende Einsamkeit tun kann.

Es reicht. Ich springe auf und gehe ins Bad. Kaltes Wasser spritzt in mein Gesicht, dann beuge ich mich runter und starre auf das Waschbecken. Kaum eine Stunde an Bord und meine Fantasien gleiten zu Love in Paradise ab! Das muss aufhören. Hier ist kein Platz für Romantik. Nur ein Haufen ungewaschener Männer. So sehr das bei Typen wie Zac meine Fantasie anregt, so sehr wird sie bei Gedanken an die anderen Kerle an Bord wieder erstickt. Dieser dämliche Kerl mit seinem blutigen Oberkörper hat mich vollkommen aus der Rolle gebracht. Hoffentlich muss ich nicht mehr Zeit als nötig mit ihm verbringen. Wenn so einer es auf einen abgesehen hat, hilft auch die Fürsorge anderer heißer Typen nicht mehr.

Ich krame eine dunkelblaue Shorts und ein weißes Poloshirt aus meiner Reisetasche. Wenn ich schon nicht auf einem Kreuzfahrtschiff mitfahren darf, kann doch wenigstens mein Outfit etwas hermachen, oder? Aus meinem Kulturbeutel ziehe ich ein Haarband und drapiere es geschickt in meiner schwarzen Mähne. Zufrieden betrachte ich mich im Spiegel. Julia Perry, Thrillerautorin bei Paper-Cronwood. Ich setze eine ernste Miene auf. Vielleicht wird mir meine neue Rolle doch nicht so schwerfallen, wie ich befürchtet habe. Ich muss nur selbstbewusster auftreten, um nicht zwischen den Männern unterzugehen. Wie sollen sie mich akzeptieren, wenn ich es nicht kann und nur rumjammere?

Es klopft. Ohne eine Antwort abzuwarten, geht die Tür auf. Zac steht im Türrahmen. Die blonden Locken sind nass und er trägt eine frische Uniform. Gewaschene Männer sind mir die Liebsten. Ein frischer Duft nach einem sportlichen Duschgel weht zu mir herüber und ich sauge ihn genüsslich ein. Ich muss schnell meinen Mund schließen, damit er nicht auf genauso dumme Gedanken kommt wie ich noch vor wenigen Minuten.

»Schick siehst du aus!« Er hält mir die Tür auf. »Darf ich bitten?« Also ist er nicht nur gutaussehend, sondern auch ein Gentleman.

Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht steigt, als ich mich ihm nähere. Luft holen, Julia!

»Hast du deine Papiere dabei?« Sein warmer Atem streift meine Wange, als ich mich an ihm vorbei auf den Gang schieben will.

»Was?«, frage ich völlig konfus.

»Deine Papiere? Wir müssen nochmal runter zu Adam, der macht für den Kapitän heute die Dokumente.«

Nicht schon wieder der. »Ähm ... klar. Reisepass, Impfpass ... was noch?« Ich habe mich bereits wieder umgedreht und wühle in meiner Reisetasche nach der Mappe mit den Unterlagen.

»Basic Safety, das Sicherheitstraining – den Schein hast du doch hoffentlich, oder?«

Beim Gedanken an den einwöchigen Kurs in London, bei dem Feuerlöschen und Rettungsbootfahren auf dem Programm standen, wird mir wieder schlecht. Ja, den Schein habe ich, aber er soll bloß nicht fragen, wie viele Anläufe ich gebraucht habe, um die praktische Prüfung zu schaffen. Ich nicke nur und zeige ihm die Mappe. Also nochmal zu Mr. Aggressiv rein, na toll.

»Hey Chief, Julia hat ihre Papiere mitgebracht.« Zac schiebt mich mit seinen starken Händen ins Schiffsbüro.

Der Chief hat mir den Rücken zugewandt und starrt auf irgendwelche Unterlagen. Wahrscheinlich die Ladepläne. »Legen Sie die Papiere drüben auf den Tisch.« Er deutet, ohne mich anzusehen, auf die andere Seite des Büros. Ungehobelter Klotz.

»Ach, Zac, vergiss nicht, die Musterliste neu zu schreiben, ja? Mit der Kleinen ... mit Miss Perry, meine ich.« Endlich dreht er sich um. Er betrachtet mich von Kopf bis Fuß und zieht die Augenbrauen hoch. »Wollen Sie schon wieder abmustern?«

»Wie bitte?«

»Wollen Sie Valparaíso besichtigen? Dann hätte ich Mario nicht gehen lassen.« Er spannt die breiten Schultern an und greift zum Telefon. »Ich rufe ihn an, er wird Sie abholen.«

»Was? Nein!«, winke ich völlig verwirrt ab. Wie kommt er darauf? »Ich gehe nicht von Bord. Ich habe ...« Meine Stimme versagt. Gar nicht so einfach, selbstbewusst zu bleiben, wenn ein Kerl wie der Chief einen anstarrt. »Ich habe zu arbeiten«, sage ich würdevoll. Von Bord gehen, als ob! Ich werde mit Zac an meiner Seite die Sicherheitseinweisung überstehen und dann recherchieren und schreiben, was das Zeug hält. Paper-Cronwood präsentiert: Julia Perry! Ich lächele überlegen auf den Kerl herunter, der mit frischem Hemd am Schreibtisch sitzt. Ein Verband blitzt leicht durch den dünnen Stoff durch.

Zac unterbricht unseren kleinen Machtkampf. »Wir machen jetzt die Sicherheitseinweisung.«

»In den Klamotten?«, fragt er stirnrunzelnd. »Wie sollen sich denn da die Männer auf ihren Job konzentrieren, wenn die Kleine ...« Er seufzt. »... wenn Miss Perry an Deck rumläuft wie in der Avenida Rio Grande 5?«

Verständnislos blicke ich zwischen ihm und Zac hin und her.

»Ein Bordell«, raunt er mir zu.

Ich schnappe nach Luft.

»Ist das Ihr Ernst? Sie wollen mir sagen, ich sehe aus wie eine ...« Das Wort kommt mir nur schwer über die Lippen. »Wie eine Prostituierte?« Ich trage ein verdammtes Poloshirt und keine Strapse und Korsage! Was glaubt der Kerl eigentlich, wer er ist?

»Regen Sie sich nicht auf.« Der Chief wendet sich wieder seinen Ladeplänen zu. »Meinetwegen können Sie anziehen, was Sie wollen, Miss Perry. Beschweren Sie sich nur hinterher nicht über meine Jungs.« Mir klappt die Kinnlade runter. Ist das sein Ernst?

Die Stimme des Chiefs klingt müde. Beinahe könnte er mir leidtun, doch nicht nach so einem Vergleich. Ich spüre, wie meine Ohren brennen, als ich Zac auf den Gang hinaus folge und er mich zu sich zieht. Er schüttelt den Kopf. Das soll wohl so viel wie »mach dir keine Sorgen deshalb« heißen.

»Soll ich mich umziehen?« Ich blicke ihn fragend an.

»Mir gefällst du so.« Er grinst, wird aber gleich darauf wieder ernst. »Wahrscheinlich den anderen auch, also ja, lieber umziehen.«

 

 

 

 

Kapitel 4 – Julia

 

»Brücke: sechstes Deck. Kapitän, Lotse, Eigner: fünftes Deck«, zitiere ich.

Er nickt beinahe stolz. »Weiter?«

»Der Dritte Offizier ... wie heißt er doch gleich? Viktor? Du, der Erste und Viktor – und die Ingenieure – auf dem vierten Deck. Der Bootsmann, Koch, Elektriker, ... und der Gehilfe vom Koch ...«

»Ginto, der Steward.«

»Genau. Die alle auf dem dritten Deck. Auf dem zweiten die Essens- und Aufenthaltsräume – Messen, meine ich. Und die Küche ist im ersten Deck. Außerdem der Pool, und das Gym, ... was noch?« Ich blicke ihn hilfesuchend an.

»Kühlräume und der Bonded Store. Zum Schießen, dass du dir den Store nicht merkst. Wo es Alkohol und Zigaretten gibt, weiß normalerweise jeder Neuankömmling zuerst. Die suchen noch am dritten Tag ihre Kammer, aber wo die Kippen weggeschlossen sind, merken die sich.«

»Na ja, ich rauche nicht ... und trinke sehr selten.«

Er lacht laut los. »Spätestens beim ersten Karaoke-Abend werde ich dich dran erinnern.«

»Karaoke?« Nach zwei Stunden Rundgang übers Deck und den Maschinenraum dachte ich, ich wüsste so langsam über die Gegebenheiten an Bord Bescheid.

»Die Philippino-Matrosen veranstalten jeden See-Samstag Karaoke. Irgendwie musst du dich ja unterwegs beschäftigen. Wir haben selten so hübsche Frauen dabei.« Er zwinkert mir zu, und meine Wangen fangen schon wieder an zu glühen.

Zac grinst. »Keine Angst, ich pass schon auf, dass keiner übergriffig wird. An die Komplimente allerdings wirst du dich gewöhnen müssen. Nicht jeder der Jungs hat Zeit für einen Landbesuch, da ist es ganz normal, wenn man Frauen an Bord besonders wahrnimmt.« Ich kann mir schon denken, wie diese Komplimente aussehen werden ...

Ich stapfe nach ihm die hintere Außentreppe hoch zum Freifallboot; die letzte Station der Sicherheitseinweisung. »Das ist doch ein Klischee, oder? Dass alle im Hafen sofort ins ... ins Bordell gehen?«

Er grinst und zuckt mit den Schultern.

»Das kaufen mir meine Leser niemals ab«, antworte ich entrüstet.

»Es ist die Wahrheit. Die haben alle Frau und Kind zuhause, aber sobald der Dampfer irgendwo festmacht, sind sie von Bord. Als Sicherheitsoffizier hast du dann immer die große Freude, Kondome auszuteilen. Tja, die Alternative: Wenn die Jungs sich was einfangen, Hosen runterlassen und die Spritze dahin, wo’s wehtut.«

Ich starre ihn mit großen Augen an. »Du verteilst Kondome?« Ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen. »Wie stell ich mir das denn vor – ihr habt eine Großpackung auf Vorrat, oder wie?«

»Genau.« Er nickt ungerührt und steigt die letzten Stufen zu einem, beinahe frei hängendem, orangefarbenem, Boot hinauf. Es baumelt in einem Winkel von etwa 45 Grad hinten über dem Wasser und ist rundum geschlossen.

»Und du?« Himmel, wie soll ich die Frage stellen, die mich am Meisten interessiert? »Wenn du auf Landgang bist – gehst du dann auch ...? Und weiß deine Frau davon?« Während ich ihn das frage, kann ich ihn einfach nicht anschauen und starre stattdessen aufs Meer hinaus.

Zac hängt die Kette aus, die die Treppe vom Bootseinstieg trennt und öffnet die Tür. Stickige Luft schlägt uns entgegen. Er klettert auf den Einstieg und reicht mir die Hand. Hier gibt es keine Sicherungskette mehr. Ich blicke auf beiden Seiten des Einstiegs mindestens fünfzehn Meter in die Tiefe. Immerhin sind wir im Hafen und nicht auf hoher See. Ich verdränge meine Angst, nehme seine Hand und lasse mich auf den schmalen Einstieg ziehen. »Zuhause wartet niemand auf mich«, flüstert er in mein Ohr und meine Nackenhärchen stellen sich auf. Oh.

Ich bin ihm so nahe wie nie zuvor. Seine grünen Augen ruhen auf mir und ich schaffe es nicht, meine von ihm abzuwenden. Denn wenn ich an ihm vorbeisehe, öffnet sich die Sicht auf einen irrsinnig steilen Boden. Die Sitze des Bootes sind ebenfalls stark geneigt. Dort sollen wir im Notfall reinklettern? Ich schaue kurz über seine Schulter, bis mir ganz flau im Magen wird und konzentriere mich wieder auf seine vollen Lippen, seinen Duft nach frischem Duschgel, seine Arme, die mich stützen und mich weiter ins Boot hineinziehen ...

»Das hier vorne ist dein Sitz.« Er deutet auf die zweite Reihe. »Jetzt üben wir das Anschnallen.« Zac drängt sich an mir vorbei – es ist mir ein Rätsel, wie er sich derart leichtfüßig in diesem Boot bewegen kann – und klettert auf den mittleren Sitz. »Keine Angst, Julia. Lass dich einfach in die Sitzschale fallen.«

Ich kralle mich an den Sitzlehnen fest und quetsche mich in den engen Sitz. Zacs Hände sind scheinbar überall, als er die Gurte zusammensucht und mich festschnallt. »Fest genug?«

Ich nicke krampfhaft.

»Im Notfall wird das Boot einfach gelöst und stürzt im freien Fall ins Wasser. Wenn du nicht richtig festgeschnallt bist, besteht die Gefahr, schwerste Verletzungen davonzutragen, verstanden?«

Wieder nicke ich.

»Probiere es mal selbst. Ich sitze im Ernstfall nicht neben dir, sondern dort oben.« Er deutet auf einen einzelnen Sitz. »Ich steuere das Boot. Das heißt, du musst dich selbst festschnallen.«

Weiß er, wie sehr mich seine Anwesenheit gerade einschüchtert? Bestimmt würde ich das besser hinbekommen, wenn er mich nicht die ganze Zeit beobachten würde. Ich greife mit zitternden Händen nach den Gurten. Zac lächelt mich an und sieht mir eine Weile zu, wie ich mich abmühe. Mit ernstem Gesicht schüttelt er schließlich den Kopf und greift meine Hände. Er löst meine steifen Finger von den Gurten und massiert sie mit seinen warmen, rauen Händen. »Entspann dich. Ich wollte dich nicht nervös machen, aber das hier ist wichtig.«. Sein heißer Atem streift mein Ohr und lässt eine prickelnde Welle wie einen Schauder über meinen Rücken schwappen. Die feinen Härchen auf meinen Armen stellen sich auf und mein Herz setzt eine Sekunde lang aus. Ich hole tief Luft und fahre mir mit der Zunge über die trockenen Lippen. Ich kriege das hin. Schließlich muss ich nichts tun, als die beiden Gurte ineinander zu klicken.

Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Metall rutscht klirrend über Metall. Meine Finger verkrampfen schon wieder und ein Schweißtropfen läuft mir über die Stirn, an der Wange herunter und über den Hals bis in mein Dekolleté. Ich spüre, wie Zacs Blick an dem Tropfen hängen bleibt. Meine Augen streifen seinen Mund, der wie meiner leicht geöffnet ist. Sein Gesicht nähert sich meinem und unsere Blicke versinken ineinander. Gerade, als sich unsere Lippen berühren, rastet der Gurt ein und ich atme erleichtert aus, was mehr wie ein Stöhnen klingt.

Zac scheint es als Aufforderung zu verstehen. Er tastet nach meinem Gurtverschluss und öffnet ihn mit geübten Fingern. Dann wandern seine Hände tiefer. Er nestelt an meinem Hosenknopf, während seine Lippen meinen Hals küssen und seine Zunge mein Schlüsselbein streift.

Ich ringe nach Atem. »Nein«, wispere ich. »Nicht ... Noch nicht ...«

Er hält inne. Seine Augen nehmen meinen Willen gefangen. Er küsst mich auf die Lippen, lange, zärtlich. Dann zieht er hastig sein Hemd über den Kopf und beginnt, seine Hose aufzuknöpfen. Das geht mir alles viel zu schnell. Ich will nicht als das Flittchen an Bord bekannt werden.

»Nicht, Zac, lass das!« Ich versuche ihn wegzustoßen. Unter uns poltert es plötzlich – ihm ist wohl etwas aus der Tasche gefallen.

»Komm schon«, stöhnt er. Seine blonden Locken hängen verschwitzt in sein Gesicht. »Das hast du doch von Anfang an gewollt!«

»Mr Johnson!« In einem verzweifelten Anfall von Förmlichkeit winde ich mich an ihm vorbei aus meinem Sitz. Ich setze einen Fuß auf die steilen Stufen und rutsche auf dem Funkgerät aus, das aus seiner Tasche gefallen ist. Gerade noch schaffe ich es, mich an der Sitzlehne festzukrallen und mich so davon abzuhalten, es dem Funkgerät gleichzutun und die gesamten Stufen hinabzustürzen.

»Ach, Scheiße!« Zac rappelt sich auf, zieht das Hemd wieder über und klettert schimpfend dem Funkgerät hinterher. »Wenn das Ding kaputt ist, zieht mir das der Alte vom Bonus ab!« Er sammelt die Einzelteile auf, baut sie zusammen und schaltet es an. Während ich weiter nach oben kraxle, höre ich aus dem Rücken ein Rauschen und Knarzen ... Als ich mich gerade wieder zu ihm umdrehe, wechselt das rote Licht des Lämpchens am Funkgerät zurück auf grün – anscheinend funktioniert es wieder.

»Zac, hier Adam! Zac, hier Adam.« Stille.

Zac rollt mit den Augen. »Was will der denn schon wieder?«

»Zac, hier Adam! Zac, hier Adam.«

Zac drückt mit mehr Kraft auf den Knopf, als wahrscheinlich nötig ist. »Was?«

»Alles okay?«

»Klar, wieso nicht?« Er lässt den Knopf los und knurrt: »Der hat ja wieder ein Gespür für Timing.«

»Kanal 72.« Vom seltsam besorgten Tonfall von eben ist nichts mehr übrig. Was ich nun höre, ist der klassische Befehlston, mit dem der Chief Mate anscheinend seine Crew herumkommandiert. Zac dreht am Funkgerät.

»Second Mate – hier ist der Chief Mate«, erklingt die Stimme des arroganten ersten Offiziers.

Man wechselt in den offiziellen Ton.

»Ja, Chief, hier spricht der Second Mate.«

»Lotse um 1400. Nimm unseren Gast mit zum Mittagessen.«

Ich bin mir nicht sicher, ob ich von meinem sicheren Platz am Bootseingang alles richtig verstanden habe. Irgendetwas mit einem Lotsen?

»Lotse 1400. Verstanden, ich bin achtern.«

Zac klettert zu mir nach oben. »Der Lotse kommt um zwei, dann laufen wir aus. Höchste Zeit für ein Mittagessen.« Er lächelt mich charmant an und bietet mir seinen Arm dar.

Zu verwirrt von allem, was sich eben abgespielt hat, ergreife ich seinen Unterarm und gehe an seiner Seite zur Messe.

 

 

 

 

 

Kapitel 5 – Julia

 

Das schrille Klingeln des Telefons reißt mich aus meinem Schlaf. Verwirrt blicke ich mich um. Eine karge Kammer, mein Gepäck in der Ecke ... Ich liege auf einem schmalen Bett, das so viel unkomfortabler ist als mein King-Size-Bett daheim ... hässlich gestreifte Bettwäsche ... Wo bin ich hier?

Das Telefon klingelt weiter. Ich stolpere zum Schreibtisch, an dem die Holzoptik-Folie abblättert, und greife den Hörer. »Miss Perry?« Die Stimme des Chiefs klingt gelangweilt am Telefon. Richtig, ich bin auf diesem Himmelfahrtskommando, auf das mich mein Verleger geschickt hat. Mein Gehirn kommt mit den ganzen Eindrücken nicht hinterher. Ich wollte mich nur kurz ausruhen und muss dabei wohl eingeschlafen sein. »Ähm ... ja?«, stottere ich.

»Der Lotse ist da. Wenn Sie das Auslaufen beobachten wollen, kommen Sie am besten auf die Brücke.«

»Ist gut«, murmele ich schnell. Es wird spannend. Ich hätte es mir nie träumen lassen, jemals wieder auf einem Schiff zu reisen, und wenn, dann in einer luxuriösen Passagierkabine. Dort hätte ich allerdings kaum das Auslaufen aus der ersten Reihe miterleben dürfen.

Ich tausche meine Shorts gegen lange Hosen, packe Notizbuch und Handy ein und erklimme die Stufen zur Brücke. Dort herrscht geschäftiges Treiben. Der Kapitän kontrolliert etwas, das wie ein GPS-Navigationssystem im Auto aussieht. Viktor, der Navigationsoffizier, wie er sich mir vorstellt, steht mit einer Kaffeetasse in der Hand neben ihm und erklärt in leisen Tönen die Route. Ein Matrose setzt Kaffee auf, und ein belebender Duft zieht durch den Raum. Nur der Chief Mate ist nirgendwo zu sehen. Ich atme auf. Anscheinend werden Viktor und der Kapitän das Schiff steuern, und ich muss keine komischen Blicke von dem Mann ertragen, den hier alles nur noch nervt – ich inklusive.

Wenn man vom Teufel denkt. Hinter mir öffnet sich die Tür und Mr. Macho rempelt mich an. »Pass auf! Oh, Miss Perry ...« Er knirscht mit den Zähnen, als würde es ihm schwerfallen, einen Rest an Höflichkeit zu bewahren. »Seien Sie doch so gut und gehen Sie mal einen Schritt zur Seite.« Verdattert starre ich ihn an. Offenbar reagiere ich nicht schnell genug, denn schon im nächsten Moment schiebt er mich beiseite und wendet sich dem Mann zu, den er mitgebracht hat.

Der Wachmatrose drückt sich mit zwei Tassen Kaffee an mir vorbei und bringt sie dem Chief Mate und dem anderen Mann. Unschlüssig, wo ich am wenigsten im Weg stehe, trete ich noch einen Schritt zur Seite. Fantastisch, ich werde nun überhaupt nichts mitbekommen.

»Kaffee, Miss Perry?« Der Wachmatrose ist der Einzige, der mich wahrzunehmen scheint.

»Nein, danke. Sag mal –« bevor der Matrose mich auch stehenlässt, muss ich einfach ein paar Fragen loswerden. »Kannst du mir sagen, was hier passiert? Ich habe noch nie richtig erlebt, wie so ein Schiff ausläuft.« Ich lächle entschuldigend.

»Der Chief Mate hat den Lotsen eben abgeholt«, erklärt der Matrose bereitwillig. »Und jetzt bereiten sie das Auslaufen vor. Der Dritte ...« Er deutet auf Viktor »… hat die Route geplant und geht sie nun mit dem Kapitän und dem Chief durch.« Mittlerweile haben sich alle um das Navi geschart, nur der Lotse starrt noch auf sein Tablet, auf dem eine ähnliche Anzeige blinkt. »Der Lotse kennt sich in den Küstengewässern aus. Er führt uns raus und geht dann von Bord.«

»Auf See?« Ich blicke ihn erstaunt an.

Er lacht leise. »Ja, das Lotsenboot kommt längsseits und der Lotse steigt über eine Strickleiter über.«

Ich mache eifrig Notizen in das kleine, mit Glitzerpailletten bestickte Buch, dass ich immer mit mir rumschleppe, während dem Matrosen ein leises Glucksen entweicht. Das alles klingt abenteuerlicher, als ich es mir vorgestellt habe, dabei haben wir den Hafen noch nicht einmal verlassen. »Und warum –« Ich sehe auf und blicke direkt in das finstere Gesicht des Chief Mates.

»Lassen Sie meine Männer arbeiten.« Er drückt dem Matrosen ein Funkgerät in die Hand. »Vordere Muringstation, Joseph, mit Viktor.«

Der dritte Offizier huscht an uns vorbei und nimmt Joseph mit. Ich schaue den beiden auch noch hinterher, als sich die Tür zur Brücke längst geschlossen hatte. Alles war besser, als dem Chief Mate erneut in die Augen zu sehen. Wahrscheinlich wäre ich besser in meiner Kabine geblieben.

Er räuspert sich. Verdammt, nun habe ich keinen Grund mehr, ihn zu ignorieren. »Miss Perry, kommen Sie lieber mit auf die Backbord-Nock, dort sehen Sie besser. Außerdem kann ich Ihnen dann leichter erklären, wie das Manöver abläuft. Deswegen sind Sie doch hier, oder?«

Bitte? Ich muss mich sehr zusammenreißen, um nicht meine Augenbrauen hochzuziehen. Ich trotte ihm hinterher auf den seltsamen kleinen Balkon an der Schiffseite, den er als »Nock« bezeichnet hat. Von hier aus wird das Schiff anscheinend gesteuert, zumindest beim Ablegen, wie der Chief erklärt. Er betätigt den Steuerknüppel und gibt gleichzeitig Anweisungen über Funk. An Deck bei den hinteren Seilen sehe ich Zac, der drei Matrosen wild gestikulierend durch die Gegend scheucht.

Ich habe kaum Zeit, ihn mir genauer anzuschauen, da ertönt die heisere Stimme des Chiefs: »Achterliche Muringstation.« Dann blickt er mich wieder an. »Vorne ist Viktor. Das ist die ständige Aufteilung. Der Kapitän fährt meistens das Ablegemanöver, aber heute bin ich an der Reihe.« Er spricht erneut etwas ins Funkgerät hinein.

»So, Miss Perry, ich muss mich konzentrieren.« Er unterdrückt ein Gähnen und reibt sich mit der Hand über die Augen. »Gehen Sie mal rüber auf die Nock an der Steuerbordseite ..., ähm rechts«, sagt er. »Dort können Sie die Schlepper beobachten.«

Damit bin ich entlassen. Er blinzelt hastig, als könnte er damit seine Müdigkeit vertreiben, und ignoriert mich vollständig. Seine Aufmerksamkeit gilt lediglich der Steuerung und seinem Funkgerät.

Erst, als ich mich umdrehe, sehe ich den Kapitän hinter uns stehen, der den Chief mustert. Ist das so etwas wie eine Prüfung hier?

Ich gehe auf den Balkon an der anderen Seite und schaue zwei Booten zu, die an unserer Freya angebunden wurden. Sie ziehen uns von der Pier weg. Ein flüchtiger Blick quer durch die leere Brücke zeigt mir den Chief Mate, der immer noch konzentriert auf das Geschehen schaut. Sein dunkles Haar hat er etwas zurückgekämmt. Er wirkt hochkonzentriert, während er die Stirn kräuselt und auf seiner Lippe herumkaut.

Als die Tür laut zuschlägt, zucke ich zusammen. Der Matrose, Joseph, ist wieder da und reißt mich aus meiner Starre. Er nickt mir grüßend zu und stellt sich ans Steuer auf der Brücke. Einen Moment später kommt der Lotse von der Nock herein, gefolgt vom Kapitän und dem Chief Mate. Die Falten auf seiner Stirn sind wieder geglättet, dann gab es wohl keine Probleme beim Ablegen. Ich folge ihnen auf die Brücke, bleibe aber an der Tür stehen. Ich will mir nicht wieder vorwerfen lassen, ich stünde im Weg herum.

Der Chief macht hinten an einem Schreibtisch Eintragungen in ein Buch und dreht sich dann zu mir um. Seine Hand schießt ihn die Höhe und ich meine, den Anflug eines Lächelns zu sehen, als er mich zu sich winkt.

Ich lächle verlegen zurück und gehe zu ihm.

»Joseph steuert jetzt und der Lotse gibt Anweisungen. Wenn wir draußen auf See sind, können Sie auch mal steuern.« Ein kurzes Lächeln huscht erneut über sein Gesicht. Trotz der Müdigkeit, die auf seinen Zügen lastet, schimmern seine Augen in einem warmen Goldbraun, das direkt in mein Herz zu blicken scheint und die Nervosität wahrnimmt, die allein der Gedanke daran, ein solches Schiff zu steuern, in mir hervorruft.

Sein Blick wandert von meinen Augen zurück zum Schreibtisch und ich erkenne das Logbuch vor ihm, in dass er etwas einträgt. »Positionen«, sagt er. »Die schreiben wir unter Land alle sechs Minuten auf.« Er blickt mich abschätzend an. »Haben Sie schon einmal GPS-Positionen gelesen? Länge, Breite und so?«

Ich denke an den Plot zu Love in Paradise, für den ich eine Karibik-Route recherchiert und versucht habe, die GPS-Positionen auf der Karte wiederzufinden. »Ähm ...«, mache ich unbeholfen. Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf steigt.

Er schmunzelt wieder und gegen meinen Willen werden meine Knie weich. Das ist bestimmt nur der Aufregung des ersten Tages zuzuschreiben, ermahne ich mich. Der Chief tut nur so nett, weil der Kapitän mit im Raum ist. Wären wir alleine, hätte er sicher –

»Sie können das eintragen, bis wir auf See sind. Alle sechs Minuten, nicht vergessen.« Er drückt mir den Kugelschreiber in die Hand und deutet auf die GPS-Positionen, die auf dem Navigationsgerät durchlaufen. »Längengrade dreistellig, Breitengrade zweistellig, kriegen Sie das hin?«

»Bestimmt«, murmle ich und starre ihm hinterher. Er lässt mich mit dem Stift in der Hand vor dem Logbuch stehen und setzt sich vorne auf einen der beiden gepolsterten Sessel mit Ausblick nach draußen. Der Lotse hat in dem anderen Sessel Platz genommen und quatscht ihn voll. Joseph am Steuer muss stehen, genau wie ich. Ich grummele in mich hinein. Ganz klar, wer hier welchen Status hat.

Die Tür schlägt auf und ich fahre herum. Der Kapitän betritt die Brücke – mir ist gar nicht aufgefallen, dass er verschwunden war. Er geht nach vorne zum Chief. »Gute Leistung. Sauberes Ablegemanöver. Schon das fünfte in Folge. Noch ein paar davon, Chief, und Sie werden mich ablösen können.« Er grinst und scheint sich schon im wohlverdienten Ruhestand zu sehen. Zu gern würde ich die Reaktion des Chief Mates sehen, der mir seinen durchtrainierten Rücken zeigt. Ob er stolz auf seine Leistungen ist?

»Holen Sie mir mal Viktor auf die Brücke, der soll übernehmen. Sie legen sich hin, ich passe auf, dass der Dritte keinen Unfug baut. Ihr Tag war lang genug«, befiehlt der Kapitän.

Lang genug – was hatte Zac beim Mittagessen erzählt? Der Chief war seit dreißig Stunden auf den Beinen? Ich schüttelte den Kopf. Ausbeutung. Keiner kann dreißig Stunden am Stück arbeiten und dann noch ein Schiff ordentlich ablegen.

Gegen meinen Willen kommt Respekt für den Mann auf, der ein »Danke« murmelt, sich durch seine schwarzen Locken fährt und dem Kapitän seinen Platz überlässt. Als er zur Tür geht, zuckt ein erleichtertes Lächeln für den Bruchteil einer Sekunde über sein Gesicht. Dann schließt sich die Tür hinter ihm.

Leise seufzend wende ich mich schnell wieder den Positionen zu. Die sechs Minuten sind soeben vorbei, und wenn ich mich selbst nach nur zehn Stunden auf den Beinen nicht mehr auf meine winzige Aufgabe konzentrieren kann, werde ich wohl bald keine mehr übertragen bekommen, und das wäre meiner Arbeit nicht besonders zuträglich.

 

Kapitel 6 – Julia

 

Ein bisschen fühlt es sich nach Klassenfahrt an. Im Speiseraum, der Messe, lärmen beim Frühstück alle durcheinander. Es ist halb acht Uhr morgens und am Nachbartisch findet wildes Stühlerücken statt. »Die machen sich bereit für ihre Wache. Umziehen und so, das dauert«, erklärt der Kapitän, als er den Steward herbeiwinkt. »Mach mir mal noch zwei Rühreier, Ginto.«

Der Steward nickt und huscht wieder in die Küche.

»Um acht geht es an Deck los, und wenn der Chief Mate runterkommt, müssen die parat stehen.«

»Der Chief Mate ... aber hat er nicht jetzt gerade Wache? Hat er dann nicht Feierabend?« Ich konsultiere mein Notizbuch, das ich überall mit hinnehme. »Hier, Erster Offizier, vier bis acht. Auf See.« Ich darf gar nicht daran denke, wie sie ihn im Hafen ausbeuten, was die Arbeitszeit angeht. Auf See sind es wenigstens nur die zweimal vier Stunden Wache.

»Na, und dann die Ladungsrunde an Deck, die Tagelöhner einweisen –«

»Tagelöhner?«

Er grinst. »So nennen wir die Männer, die eine normale Tagschicht arbeiten. Wir haben in den Wachen je einen Wachmatrosen, und dann einen Haufen Leute im Tagbetrieb. Zum Beispiel da drüben am Nachbartisch, das waren der Elektriker, der Schiffsmechaniker und Bootsmann. Hier bei uns die Offiziere.«

»Und meine Maschinenoffiziere auch.« Ein bärtiger, älterer Mann setzt sich zu uns. »Morgen, Kapitän.«

»Morgen, Chief.«

»Chief? Noch einer?« Ich bin verwirrt. Die beiden Männer brechen in Lachen aus, und der Mann, der neu dazugekommen ist, klopft sich auf die Schenkel.

Er wendet sich an den Kapitän. »Ist das die Praktikantin? Warum sitzt die nicht am Nachbartisch?«

Hat denn keiner hier was mitgekriegt? Ich bin doch schon seit gestern an Bord.

»Gast vom Eigner«, murmelt der Kapitän zwischen zwei Gabeln Rührei. »Landei und Autorin. Braucht ein paar Infos für einen Roman.«

»Ach? Was schreiben Sie denn? Meine Töchter sind ganz wild auf Romantasy, und gegen eine gute High-Fantasy-Geschichte hab ich nix einzuwenden.«

Was?

»Ähm ... Eigentlich Liebesgeschichten, aber jetzt einen Thriller, der auf See spielt.« Ich nehme einen Schluck Tee und verziehe das Gesicht. Hätte ich doch nur meinen Darjeeling mitgebracht, das Zeug hier muss irgendeine Ostfriesenmischung sein. Immerhin dürfte es bitter genug sein, um mich wach zu kriegen.

»Wenn Sie mal ins Fantasy-Genre wechseln, lassen Sie es mich wissen.«

Ich nicke verdattert.

»Ich lass euch Bücherleute mal alleine.« Der Kapitän verzieht das Gesicht und steht auf. »Ich löse den Chief Mate ab, damit der noch ein Frühstück abkriegt, bevor er an Deck muss.« Er verlässt den Speiseraum – die Messe, korrigiere ich mich in Gedanken. Bis auf den Steward, der den Nachbartisch abräumt, sind der andere Chief und ich jetzt alleine.

»So, zu den Formalitäten.« Er zwinkert mir zu. »Der andere ist der Chief Mate, ich bin der Chief Engineer. Chef der Maschinisten, deswegen haben wir uns noch nicht kennengelernt. Die Maschinenleute kommen selten aus der ›Zeche‹ raus. Wir pflegen unsere vornehme Kellerbräune. « Er lacht lauthals. »Und Sie? Wie heißen Sie? Wir haben's ja nicht so mit Namen hier, dazu wechseln die Leute zu oft, aber bei Ihnen lohnt sich das.« Er grinst mich an, und irgendwie macht es mir bei ihm nichts aus, wenn er flirtet. Ich lache zurück.

»Julia Perry, Gast vom Eigner.« Die dunkle Stimme lässt mich zusammenfahren. Der Chief steht in der Tür. »Ginto, zwei Rühreier bitte.«

»Und extra starken Kaffee, weiß Bescheid, Chief!«

Der Chief kommt zu uns an den Tisch. »Morgen, Chief.«

Der Chief Engineer und ich schauen uns an und prusten los. »Verwirre mal unsere Autorin nicht noch weiter, Adam. Ich habe gerade den Unterschied zwischen uns zwei ›Chiefs‹ erklärt.«

»Autorin, ja klar.« Adam, also der Chief Mate – mein Gott, sind meine Gedanken wirr. Adam, Chief, Chief Mate? Wie soll ich mir das alles merken? – Mr. Dauermüde und Schlechtgelaunt setzt sich zu uns an den Tisch und Ginto bringt den Kaffee. Adam reibt sich die müden Augen, umklammert seine Tasse mit beiden Händen und nimmt einen langen Schluck. »Seichte Liebesromane, wohl kaum dein Genre. Liest du nicht Fantasy?«

In mir fahren die Gefühle Achterbahn. Empörung über seine Vorurteile, Erstaunen darüber, dass er sein Genre kennt, Schrecken über seine Stalkerqualitäten und ein ganz kleines bisschen Atemlosigkeit darüber, dass – und vor allem wie – ich ihn zum ersten Mal meinen Vornamen habe aussprechen hören, kämpfen in mir um die Oberhand. Die Empörung siegt. »Seichte Liebesromane? Na und? Leute lesen so etwas zur Entspannung von ihrem stressigen Leben! Würde Ihnen vielleicht auch mal ganz guttun, dann wären Sie nicht so ein arroganter ...« Mir wird bewusst, was ich da gerade gesagt habe, und ich presse die Lippen zusammen.

In der atemlosen Stille bringt der Steward Adam die Rühreier und huscht schnell wieder in die Küche. Adam blickt ihm hinterher.

»Na wunderbar. Jetzt haben die Jungs was zu tratschen bis zum Ende der Reise. Zum Glück steige ich in Hongkong aus.« Er schüttelt den Kopf, lässt sich neben mich auf den Sitzplatz fallen und beginnt zu essen.

Am liebsten würde ich gar nicht darauf eingehen, sondern einfach so tun, als wäre nichts passiert. Aber die Neugier lässt mich nicht stillhalten. »Tratschen? Die Männer? Männer tratschen nicht, oder?«

Der Ingenieur lacht los und auch Adam kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Wir sind auf See, Miss Perry«, sagt der Ingenieur. »Da haben die Männer nix zu tun und es wird getratscht, was das Zeug hält.«

»Ich mach meinen Jungs schon Beine«, knurrt Adam, aber irgendwie wirkt er nicht mehr so grimmig wie vorhin. Wenn er von »seinen Jungs« spricht, schwingt immer ein gutmütiger Ton in seiner rauen Stimme, was ihn leider Gottes äußerst anziehend wirken lässt. Zumindest, bis er wieder in seine alte, hochnäsige Überlegenheit verfällt. »Sicherheitsschuhe haben Sie dabei, Miss Perry, richtig? Sie kriegen nachher noch einen Overall von mir und dann begleiten Sie mich an Deck zur Ladungsrunde. Fünf vor acht im Schiffsbüro.«

Sein Ton lässt keinen Widerspruch zu. Damit bin ich wohl entlassen. Ich stehe auf, nicke dem Ingenieur noch einmal kurz zu und kann nicht ignorieren, wie mich Adam von Kopf bis Fuß mustert. Bevor mir eine entsprechende Bemerkung entfährt und ich damit den Matrosen weiteres Gesprächsmaterial liefere, murmelt er: »Eine 52 dürfte passen. Miss Perry, ich denke, ich habe noch ein paar passende Overalls da. Glauben Sie mir, in dieser engen Jeans wollen Sie nicht an Deck rumstolpern.«

Meine Ohren fangen an zu glühen und ich verschwinde, bevor es richtig peinlich wird. Enge Jeans, Frechheit. Da habe ich nun extra eine lange Hose angezogen, nachdem er mich mit einer Prostituierten verglichen hat, und nun sollen selbst die noch zu sexy sein? In meinem Zimmer ziehe ich die ausgebeulte Jogginghose an, die ich als Schlafanzughose mitgebracht habe. Dazu ein altes T-Shirt und die klobigen Sicherheitsschuhe. Haare zurückbinden, fertig. Ich kann auch unsexy, das wird der Kerl schon sehen.

Unsexy, wie wahr. Als ich kurz vor acht ins Schiffsbüro komme, hält mir der Chief schon einen Overall hin, der den Namen »Sack« besser vertragen würde. Ich ziehe den Overall über meine Kleidung und brauche keinen Spiegel, um zu wissen, wie ich aussehe. Dass mir der Schritt fast in den Knien hängt, ist Wissen genug. Grummelnd krempele ich Ärmel und Beine um, damit wenigstens meine Hände rausschauen und ich nicht über eine Schleppe aus Hosenbeinen stolpere.

Der Chief sieht mir ungerührt zu und hält mir auch noch einen Helm hin. Na wunderbar, mein Clownsoutfit ist vollständig. Adam sieht nicht besser aus, er hat zusätzlich noch ein Klemmbrett in der Hand, was bei seinem smarten Grinsen vollkommen fehl am Platz wirkt. Ich stolpere hinter ihm her an Deck und mühe mich vergeblich mit dem Helm ab, während er etwas von Schanzkleid, achterne Muringstation, Leinen und was-weiß-ich erzählt. Ich falle zurück. Soll er doch vorgehen, ich finde ihn schon. Und wenn nicht, morgen ist auch noch ein Tag. Und übermorgen. Wie lange geht gleich noch einmal diese dämliche Reise? Zwei Wochen? Himmel.

Sein Gemurmel, das ich nur noch aus der Ferne höre, bricht ab. Er bleibt stehen, dreht sich um, sieht mich immer noch an der Tür stehen und an dem Verschluss meines Helms herumprobieren. Ein Seufzen entfährt ihm, als er auf mich zukommt. »Wir haben nicht ewig Zeit.« Er beugt sich zu mir herunter, kontrolliert den Verschluss, nimmt mir den Helm vom Kopf und stellt die Zugbänder auf die richtige Länge ein. Während er mir den Helm wieder aufsetzt und den Verschluss schließt, fahren seine rauen Fingerkuppen über meinen Hals, und mein Atem setzt kurz aus.

Sein ungeduldiger Blick trifft meinen. Ich hatte nicht bemerkt, wie dunkel seine Augen sind: ein warmes Braun, doch so tief, dass man darin versinken möchte. Auch er schaut eine Sekunde zu lange, bevor er den Blick abwendet und weiterstapft. Er winkt mir, ihm zu folgen.

Ungefähr auf halber Strecke zum Bug bleiben wir stehen. Hier sind schon die Matrosen versammelt. Ein einzelner Philippino kommt auf den Chief zu. »Die Jungs sind schon bereit zum Rost klopfen, Chief. Ich denke, in zwei Tagen sind wir durch, und wenn das schöne Wetter anhält, malern wir noch, wie Sie gesagt haben.«

Adam nickt. »Sehr gut, Samuel. Ich komme später noch einmal schauen, ob alles klappt.«

»Brauchen Sie nicht, wir kommen klar. Ich krieg die Jungs schon zum Arbeiten, Sie können sich ruhig mal ne Runde aufs Ohr hauen.«

Ich kann nicht anders, als Samuel insgeheim beizupflichten. Wenn der Chief mal richtig ausschlafen würde, wäre er vielleicht nicht mehr so ein Ekelpaket.

»Danke, Sam. Dann sehen wir uns heute Nachmittag, ja.«

»Sehr wohl, Chief.«

Er winkt mir wieder und setzt sich in Bewegung. »Kommen Sie, Miss Perry.«

Wir gehen an Deck weiter nach vorne. Zum Glück sind an den Seiten Gehwege. Es ist sicherlich keine Freude, zwischen den Containern umherzuklettern. Kaum habe ich das gedacht, biegt Adam in die erste Querreihe zwischen den Containern ein. Die Freya hat über achttausend Container geladen, die neben uns in die Höhe ragen, teilweise an die sechs Stück übereinander. Die Zahlen kenne ich aus den Postern, die überall in den Gängen hängen, aber erst mitten zwischen den Reihen merke ich, welche Bedeutung eine solche Zahl haben kann. Wir schlängeln uns durch die schmalen Gänge hindurch, bis Adam stehen bleibt und nach oben zeigt. »Kühlcontainer ablesen. Das wird von jetzt an Ihre Aufgabe sein.«

Da soll ich hoch?

Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagt er beinahe schüchtern: »Also ... wenn Sie wollen. Sie recherchieren ja für einen Roman. Und am besten lernen Sie, wenn Sie selber mit anpacken. Aber wenn Sie nicht möchten, ist das kein –«

»Das geht schon, ich bin nicht aus Zucker.«

Er schmunzelt. »Na dann ...« Er drückt mir sein Klemmbrett in die Hand. »Sie notieren die Temperaturen der Container – die Nummern stehen hier – und vergleichen das mit den Sollvorgaben, hier, da stehen auch die Toleranzen dabei. Wenn ein Container zu warm oder zu kalt ist, melden Sie mir das umgehend. Auch, wenn Sie mich dafür aus dem Bett klingeln müssen, okay? Das ist verdammt wichtig. Wenn die Temperaturen nicht passen, verdirbt der Inhalt und wir kriegen die Ladung nicht bezahlt. Klar?«

Ich nicke. Ist er wirklich der Meinung, mir das anzuvertrauen sei eine gute Idee?

Meine Knie fühlen sich durch das ständige Wackeln des Schiffes schon ganz schlaksig an und ich muss mich an einem der Stahlkolosse festhalten. »Die Anzeige«, murmele ich ... »Die ist da oben, die kann ich nicht erkennen.«

»Einfach hochklettern. Sie können sich hier auf die Lashings stellen, dann ein bisschen zwischen die beiden schrägen Lashings einklemmen und vorsichtig nach oben ... warten Sie, ich zeige es Ihnen« Er klettert in ein V aus Stangen, mit denen die Container festgezurrt sind, und klemmt sich breitbeinig in die Verstrebung. »Sehen Sie, mit Festhalten passiert da nichts. Ich habe beim Laden schon aufgepasst, dass die meisten Kühlcontainer an Deck stehen, damit keiner klettern muss. Das ist nur etwa ne Handvoll, die in der zweiten Tier – also ›Etage‹ – stehen.«

Er klettert wieder runter. »Probieren Sie mal.« Adam schiebt mich vor sich, legt seine kräftigen Hände an meine Hüften und hält mich fest, während ich versuche, auf den metallenen Stangen Halt zu finden. Ein Kribbeln zieht sich dabei von meinen Hüften bis zu den Zehen, als seine Daumen über den Overall streicheln, um seinen Händen einen besseren Halt zu geben.

Es geht überraschend gut, und wäre ich nicht so konzentriert darauf, nicht abzustürzen, würde ich mich über seine Hilfestellung vielleicht sogar freuen. Immerhin hat er seine Hände weitestgehend unter Kontrolle und wird nicht gleich übergriffig wie Zac. Der hätte mir mit Sicherheit gleich in den Schritt gefasst und dafür meine Schuhsohle in seinem süßen Gesicht gespürt.

Trotzdem bin ich froh, als ich wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stehe. »Denken Sie, Sie bekommen das hin? Einfach messen und eintragen. Kommen Sie, beim nächsten probieren Sie das mal alleine.«

Adam erklärt mir die Standortbezeichnungen der Container: Bay, Row, Tier, also Querreihe, Längsreihe, Etage. Beim nächsten Container hilft er mir noch mit dem Finden, ablesen kann ich dann alleine. Den Container danach finde ich selbst, und auch das raufklettern klappt ohne große Probleme. Das ist ein Klacks. Ich krieg das hin. Kein Problem. Es ist nur ein Blatt auf dem Klemmbrett, also sind es vielleicht zehn Container.

»Wie viele Kühlcontainer sind es denn?«, hake ich dennoch sicherheitshalber nach.

Schon wieder dieses Grinsen in seinem Gesicht. Mir schwant nichts Gutes.

Er blättert um. »Vierzig.«

Ich stöhne auf. Na super! Das mit dem Blätterzählen muss ich wohl noch lernen. Also vierzig Mal am Tag Container suchen und hochklettern. Das stand definitiv nicht in meiner Jobbeschreibung. Charlie wird was zu hören kriegen.

»Schaffen Sie das? Ich geh eine Runde pennen. Wenn sie das nicht hinkriegen, klingeln Sie mich einfach raus. Ich schlafe ein Deck unter Ihnen.« Er nickt mir noch einmal zu und geht nach hinten. Als ob ich ihn aus dem Bett klingele. Das wäre ja noch schöner. Ab zum nächsten Container. Immerhin, wenn das vorbei ist, habe ich solche Armmuskeln, dass mir die Bodybuilder-Karriere sicher ist, falls der Thriller doch floppt.

 

Kapitel 7 – Julia

 

»Miss Perry?« Der Chief steht klopfend an meiner Kabinentür. Seine tiefe Stimme würde ich überall erkennen. Ob er mir wieder Modetipps geben will? Ich sollte nicht so fies sein, zumindest auf der Brücke war er wirklich nett.

»Ja bitte?«

Er tritt ein und sein Blick streift flüchtig meine Shorts, die im Schneidersitz hochgerutscht sind. Er blinzelt und sieht mir in die Augen. »Ihr Agent versucht, Sie zu erreichen. Sie können ihn von der Brücke oder dem Büro aus anrufen. Halten Sie sich bitte kurz.«

»Danke, Chief Mate.« Als ich von meinem Bett aus dem Schneidersitz aufstehe und meine Notizen sowie den dicken Nautik-Wälzer vom Kapitän zur Seite lege, hat sich der Chief bereits mit einem stummen Nicken verabschiedet. Durch die geöffnete Tür höre ich seine Schritte durchs Treppenhaus hallen. Wenn er nach oben zur Brücke geht, dann mache ich mich auf den Weg nach unten zum Schiffsbüro. Auf ein Gespräch mit Charlie unter seiner Obacht kann ich gut verzichten. Seine dummen Sprüche haben mir deutlich gemacht, was er von Schriftstellern hält. Hat der Kerl überhaupt jemals freiwillig ein Buch in die Hand genommen?

Ich packe meine Notizen zusammen und laufe nach unten. Inzwischen habe ich mich an die vielen Stufen gewöhnt, die ich gleich mehrmals täglich rauf und runter laufe. Vor dem Schiffsbüro bleibe ich abrupt stehen. Von drinnen ertönt ein leises Murmeln. Meine Hand gleitet bereits über die Klinke, als ich innehalte und doch erst anklopfe.

»Ja?«

Ich öffne die Tür einen Spalt und schaue rein. Zac steht alleine über den Schreibtisch gebeugt und brütet über irgendwelchen Sachen. Sein enges Hemd spannt sich über seinen Rücken und legt das Stück über seiner Hose frei. Am liebsten würde ich mit meinen Fingern über die nackte Hautstelle gleiten, ihn einfach berühren. Meine Güte, bin ich schon so auf Entzug? Was denke ich bloß? Dabei habe ich mir kürzlich noch vorgestellt, wie ich ihm meine Schuhsohle ins Gesicht drücke, wenn er mich noch einmal anpackt.

Als ich nichts sage, dreht er sich schließlich um. »Julia. Entschuldige bitte, ich muss ein paar Sachen kontrollieren. Irgendjemand hat wieder geschludert, du kennst das ja.«

Nicht wirklich. »Der Chief war bei mir und meinte, mein Agent wolle mich erreichen.«

»Oh, ja. Ein Charles hatte über Satellit angerufen. Soll ich dir einen Kontakt herstellen?«

Ich nicke, ohne meinen Blick von seinen zarten Lippen abzuwenden. Er ist viel zurückhaltender, als gestern auf dem Boot. Anscheinend ist ihm bewusst, dass er zu weit gegangen war, und das ist seine Version einer Entschuldigung. Ich beschließe, das Friedensangebot anzunehmen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. »Kann ich nicht einfach wählen? Das ist doch ein normales Telefon, oder?«

Er lächelt, und meine Knie werden weich. »Nicht ganz, wir gehen hier über Satellit rein. Ich muss mich erst über Funk in die Satelliten einwählen, dann geht es per Festnetzverbindung weiter.« Er tippt ein paar Knöpfe und ein Wählton erklingt. Dann drückt er mir den altmodischen Telefonhörer in die Hand. Dabei streifen seine Finger meine Hand und ich zucke kurz zurück. Wieso macht der Kerl mich immer so nervös?

Zac lächelt und zeigt mir seine weißen Zähne. Gott hat der einen Kussmund ... Am liebsten würde ich ... aber nein. Konzentrier dich!

Charlies Stimme ertönt im Hörer und ich drehe Zac den Rücken zu, der mich immer noch anlächelt.

»Hey Charlie, du wolltest mich sprechen?«

»Ja, ja. Ich muss doch wissen ob meine neue Star-Autorin noch lebt oder schon abgesoffen ist.«

Ich verdrehe die Augen und stütze mich mit einer Hand an der Tischplatte ab, während Zac hinter mir weiter herumraschelt. »Ha ha, sehr witzig. Bis jetzt läuft alles gut. Ich bin praktisch die sexy Praktikantin an Bord.«

Zac hält kurz inne und muss husten. Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen.

»Das klingt doch ganz vernünftig. Wie behandeln dich die Männer?« Ich bin erstaunt, dass Charlie offenbar Interesse an meinem Wohlbefinden zeigt, sonst interessiert ihn doch nur die Kohle.

»Gut. Wie gesagt, sie behandeln mich im Grunde wie einen Praktikanten: zeigen mir alles, erklären viel.« Ich halte inne. »Hat sich der Verlag noch einmal gemeldet? Bleibt alles wie besprochen?«

»Ja, alles beim Alten. Meld dich, wenn du Probleme hast und gib Bescheid, wenn ihr wieder am Hafen seid.«

»Klar, mache ich. Bis dann.« Stirnrunzelnd reiche ich Zac das Telefon und er legt auf. Ich erinnere mich wirklich nicht, dass Charlie sich jemals Sorgen um irgendetwas außer seinem Bankkonto gemacht hat. Vielleicht hat er Schuldgefühle, weil er mich hierher verfrachtet hat und mich etwas schreiben lässt, auf das ich eigentlich keine Lust habe.

Ich starre auf die vielen Dokumente vor mir, als ich plötzlich Zacs heißen Atem im Nacken spüre. »Hmm, meine sexy Praktikantin. Soll ich dich noch ein bisschen ins Schifffahrtsleben einführen?«

Ich kann mir das Kichern nicht verkneifen und löse mich aus seinem Bann. So ganz habe ich nicht vergessen, was während der Sicherheitsanweisung passiert ist. »Heute nicht, ich muss meine Notizen fertig schreiben.«

Zac zuckt unschuldig mit den Schultern und wendet sich wieder den Dokumenten zu. Erst als ich schon in der Tür stehe, erhebt er abermals seine Stimme. »Überleg’s dir, lange gilt mein Angebot nicht mehr.«

»Playboy«, flüstere ich und meine, ihn glucksen zu hören, als ich das Büro verlasse und zurück auf mein Zimmer gehe.

 

 

 

 

Kapitel 8 – Julia

 

»Julia?«

Ich schrecke hoch und nehme den Blick von der weiten See. Es ist so herrlich auf dem Deck, dass ich jedes Mal alles um mich herum vergesse, wenn ich auf die See hinaus starre. »Ja?«

Ginto, der Steward, sieht mich entschuldigend an. »Ich wollte dich nicht stören. Heute Abend ist Karaoke im Aufenthaltsraum angesagt, kommst du auch?«

Was hatte Zac gesagt? Spätestens beim ersten Karaoke-Abend würde sich mein Alkoholkonsum ändern? »Solange ich nicht gezwungen werde, mich zu besaufen«, antworte ich und blicke wieder aufs Wasser. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir hoch. Wahrscheinlich wird mir ein bisschen Spaß am Abend nach all der Schufterei ganz guttun. Ich hab jetzt schon totalen Muskelkater in den Beinen vom ständigen Hin- und Herlaufen, Treppensteigen, Kühlcontainer hochkraxeln und dem ganzen Zeug. »Also ja, warum nicht.«

»Das ist wirklich immer lustig. Und warte ab, bis du den Chief-Mate singen hörst. Da ist Freddie Mercury nichts gegen.«

Ein Glucksen entweicht mir. »Meinst du Adam? Nicht dein Ernst!«

»Aber Hallo!« Er schaut etwas verlegen drein und seine braungebrannten Wangen erröten leicht, als hätte er das lieber nicht erwähnen sollen. »Meine Pause ist gleich rum. Kommst du mit zur Küche? Ich hab den Tee gefunden, den du heute früh wolltest.« Okay, vielleicht wurde er auch deswegen rot.

Ich folge ihm zur Küche und genieße ein paar Minuten später meinen Darjeeling in der Messe, während Ginto wieder in der Kombüse werkelt. Es dauert nicht mehr lange, bis das Abendessen ansteht und sich der Saal füllt. Eigentlich bin ich noch nicht wirklich hungrig. Ich meine, wer isst denn schon um fünf zu Abend?

Während ich auf die anderen Matrosen warte, kritzle ich ein paar weitere Notizen in mein Büchlein. Heute früh ist mir eine neue Idee für einen Wendepunkt im Roman gekommen, die ich dringend noch ausbauen muss.

 

Um halb acht treffe ich mich mit Ginto vor dem Kiosk – nein, Bonded Store, so hieß das Ding.

»Hat dir der Tee geschmeckt?«

»Ja, danke. Was willst du trinken? Ich lade dich ein.« Ginto versorgt mich nicht nur mit Tee, sondern erfüllt auch sonst immer meine Sonderwünsche. Da wird es Zeit, dass ich mich mal revanchiere.

»Nichts da, ich bin hier der Gentleman. Also, du hast die Wahl zwischen Bier und Bier. Etwas anderes habe ich nicht vorbestellt.« Der junge Philippino zwinkert mir zu und zeigt sein Goldzähnchen. Bitte lass ihn jetzt nicht auch noch mit mir flirten.

»Lass das nicht zur Gewohnheit werden«, appelliere ich. »Also kriege ich kein Wasser? Cola, Fanta?«

Ginto schüttelt den Kopf und ich seufze. Na gut, dann Bier. Hätte mir ruhig vorher jemand sagen können, dass ich für den Bonded Store alles vorbestellen muss, was ich will.

»Eine Kiste Bier für mich.« bestellt er beim Kapitän, der die Ausgabe übernommen hat. Ginto öffnet seinen Karton und drückt mir im nächsten Moment eine Flasche mexikanisches Gesöff in die Hand.

»Ich vertrage keinen Alkohol«, gestehe ich trocken, als er die Flasche öffnet. Zaghaft nippe ich an ihr. Man schmeckt das eklig. Trotzdem schaffe ich es irgendwie, mich auf dem Weg vom Kiosk bis zum Aufenthaltsraum daran zu gewöhnen.

»Wenn du Wasser beim Karaoke säufst, akzeptieren die dich nie«, raunt Ginto mir zu. Na dann ...

Der Aufenthaltsraum ist brechend voll. Gefühlt hat sich die ganze Crew hier versammelt. Hinter mir drängelt sich der Kapitän an mir vorbei. Mit ihm habe ich hier noch weniger als eben bei der Ausgabe gerechnet. »Der bleibt nicht lange«, erklärt Ginto prompt auf mein fragendes Gesicht hin.

»Viel Spaß euch und trinkt einen für mich mit, der geht auf mich«, sagt der alte Mann und klatscht eine Kiste Bier auf den Tisch.

Die Matrosen applaudieren johlend. Als der Kapitän an mir vorbeigeht, nickt er mir zu. »Passen Sie mir gut auf meine Jungs auf«, sagt er ernst, lächelt dann aber wieder.

Beinahe wäre mir ein ›Aye Aye‹ rausgerutscht, doch das schaffe ich mir gerade noch so zu verkneifen. »Jawohl, Kapitän«, antworte ich stattdessen und drehe mich wieder rum zu den anderen.

Vor uns hat jemand eine alte Karaokemaschine aufgebaut und ehe ich mich versehe, greift auch schon der erste Matrose das Mikro und – eine Victoria’s-Secret-Show flimmert über den Kasten?

»Ist das euer Ernst?«, flüstere ich Ginto zu, der kichert.

»Klar, manchmal hast du aber auch ein paar hübsche Unterwasserbilder. «

Im nächsten Moment beginnt die Textzeile sich zu verfärben und die unnatürlich hohe Stimme eines Philipinos erklingt. Wow, kann der singen. Da kommt selbst Madonna nicht ran.

Ein Bier und fünf Runden später muss ich ran. Wieso wollen die sich nur selbst so quälen? Mir wird gerade das Mikro in die Hand gedrückt, als Adam reinkommt.

»Chief, Lust auf ein Ständchen?«, fragt ihn einer der Matrosen bei der Tür.

Der Chief schaut sich unschlüssig im Raum um und kurz denke ich, dass wir gleich alle Anschiss bekommen, weil wir hier herumlungern.

»Klar«, sagt er plötzlich und knöpft sich den obersten Hemdknopf auf. »Miss Perry, wie wäre es mit einem Duett?«

»Ein Du- Duett?«, stottere ich und lasse beinahe das Mikro fallen.

»Ja, wir beide.«

»Ich weiß, was ein Duett ist«, wispere ich unbeabsichtigt. Der Kerl bringt mich wieder völlig von der Rolle. Und er hat sich rasiert. Seine Haut wirkt plötzlich so wunderschön glatt, dass ich sie am liebsten berüh- reiß dich zusammen!

»Sehr gut, dass Sie das wissen. Hat wohl jemand aufgepasst im Musikunterricht.« Dieser arrogante Mistkerl!

Ich räuspere mich. »Welches Lied schwebt Ihnen vor?«

Adam zuckt mit seinen breiten Schultern. »Suchen Sie sich was aus. Aber bitte etwas mit Stil, nicht so einen Weiberscheiß.«

Was ist denn bitte Weiberscheiß? Na gut. »Gib mal die Liste«, sage ich zu dem Matrosen, der die Maschine bedient und er reicht mir den Zettel mit den Songs. Wirklich viel für zwei finde ich nicht. ›Dance me to the End of Love‹ von The Civil Wars gäbe ein tolles Duett, aber das ist bestimmt so etwas, was er als Weiberscheiß abtun würde, nur weil das Wort Love drin vorkommt. »Wie wäre es mit ›Summer Wine‹«, frage ich schließlich.

»Das Original?«

Ich schaue noch einmal auf die Liste. »Ja, Nancy Sinatra und Lee Hazlewood.«

Wieder dieses lässige Schulterzucken. »Meinetwegen. Gib mal ein Mikro her.«

Der Philippino rechts von mir steht auf und reicht dem Chief Mate das Mikrofon. »Dann mal los«, sagt der und nickt zur Karaokemaschine.

Oh Gott, was tu ich mir hier nur an? Langsam rutscht mein Herz Richtung Hose und ich spüre einen fetten Kloß im Hals. Ob ich gleich überhaupt einen Ton rauskriege? Das wird so peinlich!

Die Melodie setzt ein und ich wippe automatisch locker mit dem Fuß mit. Meine Stimme klingt total ungewohnt durch das Mikro. Trotzdem, niemand lacht, als ich lossinge. Im Gegenteil, sie sehen mich alle aufmerksam an. Langsam macht es sogar Spaß, offenbar treffe ich doch ein paar Töne.

Als der Chief Mate langsam auf mich zukommt und das Mikro spielend zwischen seinen Händen dreht, verhasple ich mich kurz.

Dann steht er neben mir und mein Herz setzt für ein paar Schläge aus. Diese Stimme. Ich muss die Augen schließen, ich kann nicht anders. Die Haare auf meinen Armen – auf meinem ganzen Körper – stellen sich auf. Er singt viel tiefer als er spricht.

Und dann vergesse ich meinen Einsatz und starre ihn nur noch an. Wieso singt er so gut?

»Miss Perry, ist alles in Ordnung?«

Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen schießt. Im Hintergrund läuft die Musik weiter und die Textzeilen flimmern über den Bildschirm. »Ja, ja ...« stotterte ich und schaue schnell auf den Bildschirm. Eines der halbnackten Models ist gerade umgeknickt und die Fotografen um den Laufsteg zucken fast alle gleichzeitig zusammen. Das bringt mich zurück ins Hier und Jetzt und ich finde endlich meine Stimme wieder. Mitten in der Liedzeile setze ich schließlich wieder ein und nur wenige Sekunden später erklingt seine Stimme erneut nach meiner.

Als der letzte Vers über den Bildschirm flimmert, johlen die Matrosen und der Chief Mate nickt mir anerkennend zu. »War doch ganz gut, nur an Ihrem Timing müssen Sie noch arbeiten.«

»Noch eins«, brüllt Ginto von hinten.

Adam lacht und lässt seine Grübchen sprechen. Wenn er lacht, sieht er wirklich gut aus. »Sorry Jungs, ich muss gleich wieder los.« Er sieht mich an. »Es war mir ein Vergnügen, Miss Perry. Aber jetzt brauche ich noch eine Mütze Schlaf, ehe in ein paar Stunden meine Wache beginnt. Wir sehen uns morgen früh in aller Frische. Seien Sie pünktlich.«

»Ja, Chief«, stammle ich und folge ihm Richtung Tür, wo er sich ein Bier aus dem Kasten nimmt und den Raum verlässt. Ich setze mich zurück zum Steward, der mich anlächelt und mir meine Flasche hinhält. Die brauche ich jetzt wirklich.

»Du warst klasse«, sagt Ginto. »Wenn du willst, können wir gleich auch eins singen. Dann blamiere ich mich wenigstens nicht total.«

»Meinetwegen«, antworte ich, ohne richtig zugehört zu haben und checke erste jetzt, wozu ich gerade »Ja« gesagt habe.

»Meine Stimme ist aber nicht so gut wie die vom Chief, der singt uns hier jedes Mal alle in den Boden. Der Typ ist wirklich spitze. Gibt keinen besseren Chief, sag ich dir.«

Überrascht schaue ich Ginto an, der wippend neben mir sitzt und nach vorne auf den Monitor starrt. Offenbar behandelt er die Crew besser als mich. Vielleicht ist er ja wirklich nur mit dem falschen Fuß aufgestanden, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Eigentlich ist er auch gar nicht mehr so schlimm; die letzten Tage war er sogar ganz nett.

 

»Scheiße«, lalle ich, als wir die Kiste endlich ausschalten. »Is es wirklich schon zwei?”

»Jo, bin nur froh, dass ich wenigstens eine Stunde länger pennen kann als du. Du hast Wache mit dem Chief, oder?« Wieso klingt der Steward nur so nüchtern? Der hat mindestens genau so viel gesoffen wie ich.

»Hm.« Ich drücke mich von meinem Stuhl hoch und muss mich sofort an der Wand abstützen. Gott ist mir schlecht. »Stürmt es?«, frage ich. Anders kann ich mir das Schwanken des Schiffes nicht erklären.

»Nee, alles ruhig auf See, Süße«, sagt eine fremde Stimme hinter mir. Irgend ein Matrose. »Pack mal mit an, Ginto. Wir bringen sie besser zusammen hoch.«

Ohne, dass ich mich wehren kann, krallt sich jeder der beiden einen Arm von mir und ich stolpere mit ihnen raus.

»Scheiße, ich glaub’, die muss kotzen. Lass sie uns raus auf die Treppe bringen, dann kann Joseph das morgen früh wegwischen.«

»He?«, murmle ich.

Der andere Matrose reißt die Tür zum Treppenaufgang auf und kühler Wind schlägt mir entgegen. Tut das gut, denke ich noch und hänge ein paar Sekunden später neben der Tür und übergebe mich. »Sorry«, murmle ich und bemerke, dass die Jungs sich umgedreht haben. Jetzt geht es mir besser. Ich lasse den Blick übers Deck schweifen und runzle die Stirn, als ich Licht zwischen den Containern entdecke. Ich dachte, nachts hat da niemand etwas zu suchen? Gerade, als ich die Jungs fragen will, erlischt die Lampe und mir kommt erneut der eklige Biergeschmack hoch.

 

 

Kapitel 9 – Julia

 

Arghhhh, kann das Gebimmel nicht endlich aufhören? Ich drehe mich zur Seite und drücke zum vierten Mal die Snooze-Taste auf meinem Handy. Es ist doch noch mitten in der Nacht. Mein Kopf brummt. Ich greife nach der Wasserflasche neben meinem Bett und trinke den Rest in einem Zug aus. Langsam werde ich wach und greife zu meinem Handy. Was? Schon kurz vor vier? So ein Mist! Der Chief wollte, dass ich pünktlich bin. Kacke. Der hat es doch sowieso schon auf mich abgesehen.

Ich springe auf, torkle ums Bett herum auf den Schreibtisch zu und greife nach meiner Hose, die ich gestern unachtsam über den Stuhl geschmissen habe. Ich will sie gerade anziehen, als mir die braunen Flecken am Saum auffallen. Klasse, ich habe mich vollgekotzt. Oh Gott, was ist, wenn der Chief Mate die Brühe auf der Treppe findet? Joseph hat bestimmt noch nicht saubergemacht. Vielleicht sollte ich das einfach erledigen, bevor die anderen etwas mitbekommen. Wie konnte ich mich nur so betrinken? Das ist doch sonst nicht meine Art. An allem ist der Chief Mate und sein dummes Duett schuld. Ich wäre dem Alkohol nie so verfallen, wenn er mich mit seiner Stimme nicht vorher so in Verlegenheit gebracht hätte.

Ich krame ein paar frische Sachen heraus und ziehe mich an, dann geht es kurz ins Bad, mich frisch machen. Bestimmt haben sie bei der Küche irgendwo Putzzeug, dass ich den Mist rasch wegwischen kann. Mr. Superstar wird bestimmt schon überpünktlich auf der Brücke sein, sodass ich solange ungesehen saubermachen kann.

Als ich mit meinem Wischer und einem Eimer Wasser auf das dunkle Treppenkonstrukt hinaustrete, das nur von ein paar Scheinwerfern beleuchtet wird, stapfe ich beinahe in meine eigene Brühe, die inzwischen schon relativ festgepappt aussieht. Ich wische gerade los, als der Chief plötzlich hinter mir steht. »Miss Perry, was tun Sie da? Das ist nicht Ihre Aufgabe!« In seiner Hand baumelt eine Taschenlampe an einer Schlaufe.

»Chief, das ... ich ... ich wische nur weg, was ich verursacht habe«, gestehe ich.

Der Mistkerl fängt an zu lachen. »War wohl ein langer Abend gestern.«

»Ich habe die Uhrzeit vergessen«, entschuldige ich mich.

»Das habe ich gemerkt ... Sie sehen blass aus, geht es Ihnen nicht gut?« Ein fast schon besorgter Gesichtsausdruck tritt in Adams Gesicht.

»Ich werde es überleben. Dürfte ich bitte weiterwischen?«

Adam spannt die Schultern und reibt sich über die dünnen Hemdsärmel. »Beeilen Sie sich aber.«

Als er die Taschenlampe wieder einschaltet und auf die Pfütze vor uns leuchtet, fällt mir das Licht gestern Abend wieder ein. »Chief?«

»Hm?«

»Können Sie mich nachts mal mit auf Patrouille nehmen?«

»Was für Patrouillen?«, schnauzt er mich an und ich zucke zusammen. »Entschuldigen Sie. Aber hier patrouilliert niemand nachts. Das Deck ist in der Nacht zu gefährlich. Niemand würde es mitbekommen, wenn jemand über Bord geht. Bis es hell ist, schicke ich höchstens einen Wachmatrosen auf Feuerrunde in die Aufbauten.«

Ihm muss mein verständnisloser Blick auffallen.

»Die gucken, ob es irgendwo brennt, und das ist in den Aufbauten wahrscheinlicher als an Deck. Sie haben doch die Männer gesehen, wenn sie betrunken sind. Bei der Feuerrunde wird geschaut, dass niemand mit der Kippe im Mund eingepennt ist oder eine Maschine unten heißläuft.«

Stirnrunzelnd blicke ich zu ihm auf und tunke den Wischmopp in den Eimer, sodass etwas Wasser überschwappt. Er sieht kritisch von mir zum Boden.

»Da war aber heute Nacht jemand bei den Containern. Ich bin mir absolut sicher, dass ich dort eine Taschenlampe gesehen habe.«

»Sie reden Unsinn, Miss Perry. Und jetzt schauen Sie, dass der Boden trocken wird, sonst rutscht noch jemand aus.«

Ich kauf ihm das nicht ab. Der Chief schaltet seine Taschenlampe ein und leuchtet nach unten zu den Containern, dann hält er kurz inne und zieht ein nachdenkliches Gesicht. »Wo genau haben Sie das Licht gesehen?«, fragt er ruhig. Ha, also ist wohl doch etwas dran.

»Dort«, antworte ich und zeige zwischen zwei der Containerstapel. »Zwischen Bay 46 und 48 etwa.« Na, wenn er von meinen Fachausdrücken jetzt nicht beeindruckt ist, weiß ich auch nicht weiter.

Er nickt, als kenne er den Grund, dann dreht er sich zu mir und sieht mich ernst an. »Da ist nichts. Sie waren offenbar betrunkener, als ich angenommen hatte. Räumen Sie ihr Zeug weg und legen Sie sich zurück ins Bett. Sie sehen krank und müde aus. Und ich will nicht noch mehr Kotze auf meinem Schiff haben. Sie sind für heute von der Wache befreit. Wir sehen uns morgen um vier Uhr früh – pünktlich und nüchtern diesmal.« Mit diesen Worten dreht sich der Chief Mate um und nimmt die Treppe nach oben. Na klasse.

Ich wringe das Wischtuch aus und gehe noch einmal trocken über die Pfütze, dann bringe ich das Zeug nach unten in die Küche und nehme die Treppen zurück hoch auf mein Deck.

Der Chief hat recht. Mir geht es beschissen. Mein Schädel brummt und mit jeder Stufe nach oben beginnt sich alles noch mehr zu drehen. Was soll der Blödsinn jetzt? Das kann mir mein Körper nicht antun. Es ist nur noch ein Stockwerk, dann habe ich es geschafft. Ich ziehe mich Stufe für Stufe am Geländer hoch, während das Schiff unter mir immer stärker schwankt. Meine Blicke werden mit jedem Schritt verschleierter. Ein feiner Nebel legt sich vor meine Augen und ein unangenehmes Kribbeln macht sich in meinen Gliedern breit, die mich nicht mehr tragen wollen.

Ohne noch etwas ändern zu können, gleite ich mitten auf den Treppen zu Boden. Mit meiner letzten Kraft kralle ich mich am Geländer fest, um nicht einfach wie ein Medizinball nach unten zu poltern.

»Miss Perry, Miss Perry«, erklingt eine dumpfe Stimme von irgendwoher. In meinen Ohren rauscht es nur noch. Plötzlich schwebe ich. Mein Körper wird leicht, während meine Gliedmaßen leblos herunterhängen. Was passiert gerade?

»Keine Angst, ich bringe Sie auf Ihr Zimmer. Ruhen Sie sich aus.«

»Adam?«, frage ich mit letzter Kraft.

»Ja, Julia. Offenbar haben Sie gestern mehr über die Stränge geschlagen, als ihnen guttat. Schlafen Sie Ihren Rausch aus und trinken Sie viel. Aber bitte nur noch Wasser.«

»Ja, Chief«, murmle ich und kuschle mich an seine Brust. Er riecht nach Rasierwasser. So guuut ... Ich schließe die Augen und genieße seinen Duft.

 

 

 

 

 

Kapitel 10 – Julia

 

Es ist mitten in der Nacht und ich kriege kein Auge zu. Den ganzen Tag habe ich geschlafen, und immer wieder muss ich daran denken, wie Adam mich am Morgen auf mein Zimmer getragen und ins Bett gebracht hat. Anschließend hat er sogar regelmäßig nach mir geschaut. Zumindest bin ich immer wieder mal aufgewacht, wenn die Tür kurz auf oder zu ging. Einmal hat er mir sogar ein neues Glas Wasser hingestellt, während ich geschlafen habe. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass er es war.

Langsam reicht es mir. Wenn ich eh nicht einschlafen kann, kann ich auch arbeiten. Ich setze mich an den Schreibtisch, klappe den Laptop auf und öffne die Schreibsoftware. Der Plot ist fast fertig und es wird Zeit, dass ich mit der eigentlichen Arbeit beginne. Ein Thriller aus meiner Hand ... dass ich das noch erlebe. Es fühlt sich an, als würde ich gerade mein Debüt in den Laptop tippen. Dabei ist das schon mein zweiundzwanzigstes Buch – ein paar Heftromane, an denen ich mitgeschrieben habe, ausgenommen.

Der kleine Zeiger springt auf die drei. Ich hätte unbedingt schlafen sollen, wenn ich nachher nicht wieder so verkatert vor Adam treten will. Trotz allem ist er immer noch der Chief und ich glaube nicht, dass er mir so etwas noch einmal durchgehen lässt.

Ich speichere die paar Wörter, die ich getippt habe, ab und klappe den Laptop zu. Ginto hat mir gezeigt, wo Tee und Kaffee lagern. Vielleicht haben die irgendetwas Starkes, damit ich nicht gleich wieder einschlafe, wenn ich nachher hoch zur Brücke gehe.

Der Flur liegt ganz ruhig da. Alle scheinen zu schlafen. Ich glaube, ich werde die Außentreppe nehmen. Etwas frische Luft tut meinen Gedanken sicher gut.

Als ich die Tür zur Außentreppe öffne, schlägt mir kalter Wind entgegen. Ich vergesse jedes Mal, wo wir hier sind. Die Tür schließe ich rasch wieder und laufe zurück auf meine Kammer, um mir eine Jacke überzuziehen.

Warm eingepackt trete ich auf das Stahlkonstrukt, das außen an den Aufbauten langläuft. Bis runter zum zweiten Deck in der Dunkelheit und bei dem Wind zu laufen, fühlt sich an wie ein kleiner Marathon. Die See rauscht heute Nacht ordentlich und immer wieder hört man die Wellen gegen den Schiffsrumpf knallen. Bei dem Gedanken, wie es sich wohl anfühlt, während eines richtigen Sturms auf See zu sein, werden meine Knie ganz weich.

Ich will gerade die Treppe zum dritten Deck nehmen, als ich Licht zwischen den Containern aufblitzen sehe. Also doch. Heute Nacht bin ich definitiv nicht betrunken! Da läuft doch etwas! Irgendetwas verheimlicht der Chief Mate mir.

Ich weiß, dass es absolut unvernünftig ist, was ich jetzt tue. Ich lasse die Tür zum zweiten Deck hinter mir und gehe schnurstracks auf die Container zu. Das Schiff wackelt zwar bedächtig, aber ich bezweifle, dass mir heute Nacht wirklich mehr Gefahr als tagsüber auf dem Deck droht.

Ich schleiche mich runter zu den Containern. Das Licht kam irgendwo aus den vorderen Reihen. Jetzt gerade habe ich mehr Angst, dass ich zwischen den Bays und Rows aus Containern, oder wie die Dinger heißen, nicht mehr zurückfinde, als dass mich eine Welle über Bord spült.

Während ich zwischen den Stahltürmen umherschleiche, wird es vor mir plötzlich heller. Ein Lichtkegel erscheint nur zwei Reihen weiter. Ich drücke mich an den Container und bete, dass ich nicht entdeckt werde.

Zac müsste gerade Wache schieben, glaube ich zumindest. Das heißt, er kann es nicht sein. Während der Wache sollen die Offiziere die Brücke nicht verlassen. Mein Herz pocht gewaltig, als ich Stimmen hinter mir vernehme. Ich beuge mich ganz leicht vor und schaue an der Containerwand vorbei. Jemand pocht gegen eine der Containertüren und sagt irgendetwas, doch es ist zu laut und dunkel, um zu erkennen, wer es ist. Als sich der Kerl plötzlich bewegt, mache ich, dass ich hier wegkomme. Ich sehe die Aufbauten vor mir aufragen und oben die Brücke, unter der meine Kammer liegt. Auf dem schnellsten Weg laufe ich zurück zur Treppe und rutsche dabei beinahe aus. Erst jetzt fällt mir auf, dass das Schiff viel mehr schwankt als eben noch. Den Wind spüre ich durch die hohen Containertürme um mich herum kaum, meine aufkommende Seekrankheit dafür umso mehr. Ich schaffe es gerade noch bis zur Messe, ohne mich zu übergeben.

Ein starker Kaffee wird meinen Nerven jetzt guttun. Wer war das da unten bloß und noch viel wichtiger, woher kamen die Stimmen? Ich bin mir sicher, dass da nur einer zwischen den Containern war. Aber dieses Geflüster ... und hat nicht auch jemand geweint?

Ich trete gerade mit meiner heißen Tasse in der Hand aufs Treppenhaus in den Aufbauten hinaus, als ich über mir Adams Stimme höre. Er kann mich nicht sehen, doch ich erkenne ihn sofort. Das neben ihm muss einer der Nachtwachen sein, die hier immer herumschleichen. Vielleicht war er es auch eben an Deck.

»Danke, Kaibigan, ich bin nur froh, wenn die Sache durchgezogen ist. Meine Frau ist wieder schwanger, hoffentlich wird es dieses Mal nicht wieder ein Mädchen.«

»Alles Gute. Und wenns ein Mädel wird, alterst du halt schneller.« Adam klopft dem Matrosen auf den Rücken, der einen Schritt nach vorne tritt. Von oben rieselt etwas alte Farbe von der Treppe auf mich herunter.

»Du sagst es, Kaibigan. Ich hab jetzt schon graue Haare. Samira hatte letzten Monat ihr erstes Date. Tja, und ich hab es verpasst und konnte mir den Burschen nicht mal richtig vornehmen. Hoffentlich lässt mich Johnson endlich abmustern, wenn wir ankommen. Das ist wie Sklaverei auf diesem Schiff. Und dann stellt sich die Frage, ob ich überhaupt auf einem anderen Schiff unterkomme. Es heißt, der alte Johnson besticht die Crewing Agencies. Weißt du da mehr drüber?«

Adams Antwort geht in einem Knarzen von unten her unter, das mich kurz zusammenzucken lässt. Gerade noch rechtzeitig schaue ich wieder hoch und sehe die beiden auf mich zukommen. »Wird Zeit, die Ladung zu checken, ehe das Deck gleich wieder voller Leute ist«, sagt Adam, ehe ich die Tür der Messe wieder hinter mir schließe.

Ich setze mich an einen der Tische und schlürfe meinen Kaffee, als wäre nichts gewesen, doch in mir brodelt es. Anschließend stelle ich die Tasse in die Spüle, damit sie bei starkem Seegang nicht durch die Kombüse fliegt. Nur wenige Tage auf See, und die Handgriffe fühlen sich so vertraut an, als würde ich schon ewig mitfahren.

Draußen ist alles still. Die beiden Männer scheinen geradewegs zum Deck gegangen zu sein, denn als ich wieder nach draußen trete, ist nichts mehr von ihnen zu hören. Mit schweren Schritten laufe ich hoch und sinke auf den Stuhl in meiner Kammer. Keine Ahnung, wie ich die neuen Infos verarbeiten soll. Was geht hier vor? Wieso besticht die Reederei diese Agentur? Sind das die, die die Matrosen vermitteln?

Ich schnappe mir mein Notizbuch vom Tisch und kritzle alles hinein, was ich eben erfahren habe. Langsam glaube ich, ich hätte mir gar keinen Thriller-Plot zusammenschustern müssen – ich bin mitten in einem.

 

 

Kapitel 11 – Adam

 

Als ich wie gewohnt um fünf vor vier die Brücke betrete, ist Julia schon da. Verdammt, was macht sie hier? Sie ist sonst nie pünktlich. Normalerweise habe ich Zeit, in Ruhe mit Zac die Übergabe zu machen und neue Anweisungen zu geben, was unsere besondere Ware angeht. Heute Nacht ist das anders.

Im Halbdunklen auf der Brücke kann ich ihr Gesicht zwar nicht erkennen, aber ihre Figur dafür umso besser, die sich gegen die schummrige Hintergrundbeleuchtung abzeichnet. Verdammt, ich bin plötzlich gar nicht mehr so scharf auf die Übergabe. Zac soll einfach verschwinden und mich mit der Frau allein lassen, die seit dem Karaokeabend meine Gedanken beschäftigt. Ihr Körper, der trotz ihrer Rundungen überraschend leicht war ... wie sie ihr Gesicht an meine Brust gelehnt hat ... wie ich sie – angezogen – ins Bett gelegt habe ... Normalerweise würden betrunkene Frauen bei mir nicht so einfach davonkommen, und schon gar nicht voll bekleidet ins Bett. Bei Julia ist das anders.

Ich schüttele den Kopf, als könnte ich damit die Gedanken vertreiben. Auf die Sache konzentrieren, Adam. Die Ladung. Uns dürfen keine Fehler unterlaufen. Ich habe keinen Bock darauf, auf meiner letzten Reise geschnappt zu werden, nur weil wir ein paar illegale Passagiere schmuggeln. Das wäre ein beschissenes Ende einer beschissenen Reise.

Zac kommt in meine Richtung. Er zwinkert Julia zu und grinst sie dämlich an, als wäre ich nicht da. Am liebsten würde ich ihm dafür eine pfeffern, auch wenn ich es wirklich nicht nötig habe, auf einen milchgesichtigen Surferboy eifersüchtig zu sein.

»Zur Sache, Zac«, knurre ich. »Die Ladung. Ich habe keine ganze Kontrollrunde geschafft, also schau du bitte nach, bevor du schlafen gehst, ja?«

»Ist gut, Chief.«

»Und nimm meinen Wachmatrosen mit, er kann helfen, wenn was sein sollte.«

Allein mit Julia Perry. Nachts. Besser könnte es nicht laufen. Ich bin fest entschlossen, das »Gespräch« von jenem Morgen, als sie wehrlos in meinen Armen lag, fortzuführen. Wir könnten uns den Sonnenaufgang zusammen ansehen oder ...

»Ich kann mitgehen, wenn du möchtest, Zac. Da habe ich gleich neues Material für meinen Roman.«

Auf keinen Fall geht sie mit dem geföhnten Schnösel mit. »Sie bleiben hier.« Meine Stimme klingt rauer, als ich wollte. So wird das nichts mit dem Rumkriegen. Ich nähere mich ihr und höre, wie sie tief Luft holt. Unwillkürlich lächle ich und senke meine Stimme in ein tiefes Raunen. »Sie können später die Feuerrunde gehen. Drinnen, wohlgemerkt. Draußen an Deck ist es zu gefährlich für Sie.« Und dann, leiser, an ihrem Ohr. »Ich will nicht, dass ihnen was passiert.«

Ich merke, wie sich ihr Körper versteift. Sie atmet wieder tief ein. Na also. Zac dürfte abgeschrieben sein. Zumindest für heute Nacht.

»Gute Nacht, Zac.« Damit ist er entlassen.

»Gute Wache, Chief. Komm, Joseph.«

Die beiden verlassen die Brücke.

Ich beobachte Julia, die sich ans Fenster stellt und hinausblickt. Ob ihr bewusst ist, dass wir alleine sind? Nur wir beide, auf einer dunklen Brücke? Ich lasse mich in den gepolsterten Sitz am Radar fallen. Sehr bequem. Und sehr groß. Groß genug für zwei. Da der Kapitän verbietet, Frauen aus dem Hafen mit an Bord zu bringen, waren die Gedanken daran, wie es sich wohl zu zweit auf diesem Stuhl sitzt, bisher nur das: Gedanken.

»Adam?« Wie sie meinen Namen ausspricht ... Sonst nennt sie mich meistens nur ›Chief‹ wie die anderen aus der Besatzung.

»Ähm ... ich meine ... Chief? Ich habe ein paar Fragen, die ... also ...« Sie seufzt leise. Wenn sie wüsste, wie sehr mich das antörnt.

Ich setze mich gerade hin, als könnte die veränderte Sitzposition das Anschwellen meines Schwanzes verbergen. Verdammt, die Kleine bringt mich nur auf dumme Gedanken, die hier nichts zu suchen haben! Wenn wir beide in Hongkong abmustern und in einem Hotel auf den Flieger warten, ja, dann vielleicht ... Nicht hier. Nicht, wenn ich dafür sorgen muss, dass die Ladung heil ankommt, ohne dass uns die Behörden auf die Schliche kommen.

Ich räuspere mich. »Schießen Sie los. Was wollen Sie wissen?«

»Mit der Crew. Wie läuft das eigentlich mit deren Verträgen? Sind Sie alle angestellt, oder ...«

Okay. Einfache Frage. Die ist kein Grund, eine belegte Stimme zu haben. Sicherheitshalber räuspere ich mich nochmal. Konzentrier dich, Adam! Lass dich doch nicht von einer kleinen Liebesroman-Autorin so aus der Fassung bringen!

»Wir Offiziere sind bei der Reederei angestellt, immer nur für den aktuellen Einsatz. Danach ist im Prinzip unbezahlter Urlaub. Die Einsätze gehen meistens fünf bis sechs Monate, zumindest auf großer Fahrt. Bei den Küstendampfern sind die Touren kürzer. Sie haben ja gesehen, was im Hafen so los ist. Wenn man alle zwei Tage im Hafen ist, hält man das keine sechs Monate durch.«

»Oh ja, das habe ich mitgekriegt. Ihre Schicht ging ... was, dreißig Stunden? Das ist unmenschlich.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752124668
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Dezember)
Schlagworte
Liebesroman romantische Thriller Seefahrt Urlaubsroman Spannung auf hoher See Karibikroman new adult Cosy Crime Whodunnit Dark Romance Roman Abenteuer

Autoren

  • Lisa Summer (Autor:in)

  • Eva Baumann (Autor:in)

Mit Lisa Summer und Eva Baumann hat sich ein Autoren-Duo gefunden, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Eva, die ihr halbes Leben auf See verbracht hat und schon Containerschiffe und Yachten durch Stürme manövrierte und die leidenschaftliche Liebesromanschreiberin Lisa, die ganz froh ist, ihr Leben bisher sicher an Land verbracht zu haben.
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Titel: High Seas Sammelband - 2 in 1