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French Desire

von Lisa Summer (Autor:in) Lisa Wüllenweber (Herausgeber:in)
170 Seiten
Reihe: Wo die Liebe hinzieht ..., Band 3

Zusammenfassung

Wenn dir das Leben Steine in den Weg legt, hebe sie auf, male Herzchen drauf und dekoriere deine Fensterbank damit.

Isabelle schaffte es schon immer, aus jeder Situation das Beste zu machen.
Statt in Liebeskummer zu verfallen, kauft sie sich nach der Trennung von ihrem Freund ein altes Landhaus in der Pariser Vorstadt.
Alles scheint perfekt zu sein, bis plötzlich der Bruder der Vorbesitzer halb nackt vor ihr steht und sein Recht am Haus ausspricht.
Julien sieht überhaupt nicht ein, auszuziehen.
Isabelle gibt ihm bis zum Weihnachtsfest Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen, wenn er ihr so lange beim Renovieren hilft.
Doch dann verkauft sie ein wertvolles Bild von ihm und die Situation eskaliert.
Plötzlich hat sie nicht nur Streit mit Julien, dem sie gerade näherkam, sondern noch ganz andere Probleme.
Ob sie bis Heiligabend alles in Ordnung bringen kann?

***Das Taschenbuch umfasst 234 Seiten***

Alle Teile der "Wo die Liebe hinzieht ..." Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden, es macht jedoch am meisten Spaß, sie in Reihenfolge zu genießen.

Band 1: British Love
Band 2: Swedish Kisses
Band 3: French Desire
Band 4: Italian Feelings
Wo die Liebe hinzieht ... Sammelband (Teil 1-3)

Außerdem von der Autorin erschienen:
Lisa Summer: Ich kann dich verdammt gut riechen (Liebeskomödie)
Lisa Summer: High Seas - Leidenschaft auf hoher See (romantic Thrill)
Lisa Summer: High Seas - Verloren im Paradies (romantic Thrill)
Lisa Summer: Liebespost vom Weihnachtsmann (Weihnachtsromanze)
Lisa Summer: Die Farben meiner Hoffnung (New Adult Dystopie)
Lisa M. Louis: Observe - Die neue Welt (YA-Dystopie)
Lisa M. Louis: Observe - Die andere Seite (YA-Dystopie)
Lisa M. Louis: Observe - Sammelband

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Isabelle

Avec son index fin, il tape sur l' annonce de la maison à Meudon, et se lèche les lèvres.1

»Nun leg doch mal die Zeitung weg, du hörst mir gar nicht zu.« Gael blickt stur zu mir herunter und verzieht seine Miene zu einem strengen Blick mit schmalen Lippen. Was wollte er gleich? Ich kann mich kaum noch konzentrieren. Immerzu der Lärm vor der Tür, sein Gejammere über meinen neuen Job und dass sich alles nur noch darum drehe. So ein Quatsch. Ihm passt es nicht, dass ich auf eigenen Beinen stehe und nicht mehr von ihm abhängig bin. Als wäre ich das je wirklich gewesen. Ich möchte nur frei sein und mein neues Leben in Paris genießen: abends gemütlich einen Wein an der Seine trinken, über den Champs-Élysées spazieren, Spieleabende mit Freunden verbringen. Eben einfach leben und abends die heimelige Ruhe zu Hause genießen. Mehr verlange ich gar nicht, doch das will Gael offenbar nicht akzeptieren und reißt mich aus meinen Gedanken.

»Hmm?« Ich tippe mit dem Bleistift gegen meinen Mund, wische rasch den hellroten Lippenstift vom Ende ab und kreise eine weitere Anzeige ein, ehe ich die heutige Ausgabe des Le Figaro vor mich auf den Küchentisch lege.

»Schaust du etwa wieder nach einem Haus? Wann schlägst du dir diese absurde Idee aus dem Kopf? Ein Haus in Paris ... man könnte meinen, das Geld läge auf der Straße. Isabelle, wie sollen wir uns das leisten? Außerdem brauchen wir so einen Firlefanz nicht, wir haben doch uns, das sollte dir genügen.«

Ich seufze. Diese Diskussion hatten wir nun so oft. Gael weiß, dass ich ab Januar mehr als genug verdienen werde, um mir ein hübsches Wohnparadies in der Vorstadt leisten zu können und dass ich mich hier allmählich eingeengt fühle. Wer kann es mir verdenken? »Du kannst mitsuchen, vielleicht finden wir dann schneller etwas, das auch dir gefällt. Ach Gael, du weißt, dass das Leben hier, mitten in Saint-Michel, nichts für mich ist. Stören dich die ganzen Touristen vor der Tür gar nicht? Man kann kaum einen Fuß nach draußen setzen, ohne von einem umgelaufen zu werden. Ich habe die letzten Jahre in Schweden verbracht, da konnte es passieren, dass das nächste Haus ein paar Kilometer entfernt stand und du stundenlang keiner Menschenseele auf den Straßen begegnet bist. Hier komme ich mir vor wie in einer Sardinenbüchse. Ich kann diese überfüllte Gegend einfach nicht ausstehen.« Paris hat so viele ruhige und wunderschöne Gegenden, doch diese hier gehört nicht dazu.

Bevor Gael mich zurückhalten kann, springe ich auf und gehe zum Fenster, schiebe die Gardine zur Seite und blicke hinab auf die belebte Pariser Straße. Es ist kaum ein Durchkommen möglich. Überall bieten sie völlig überteuerte Ware an: Wein für zwölf Euro, der im Supermarkt nur zwei kostet – Kopfschmerzen inklusive, und jede Menge Souvenirs aus China, die keiner braucht, aber jeder haben will. Es wird gefeilscht, geklaut, betrogen und gelogen. Immer wieder höre ich Sirenen, ständig habe ich Angst vor Einbrechern oder dass mir jemand beim Türaufschließen die Tasche klaut. »Ich halte es hier einfach nicht mehr aus«, flüstere ich und ziehe die Gardine wieder zurück, als ich einen Streifenwagen vor der Tür erblicke.

Gael schleicht sich von hinten an mich heran und legt seinen Kopf auf meiner Schulter ab, sodass seine kurzen schwarzen Haare an meiner Wange kitzeln und ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüre. »Aber ein Haus? Wir werden mindestens eine Million hinblättern müssen, wenn wir in Paris bleiben wollen. Das willst du doch, oder nicht?«

Will ich das? Paris ist wunderschön, keine Frage. Nur die vielen Leute machen mir zu schaffen. Ich vermisse Schweden, gestehe ich mir ein. Diese wunderbare Ruhe um einen herum und die Herzlichkeit der Menschen; dieses aufrichtige Miteinander, egal wo man hinkommt.

Seit einem halben Jahr bin ich nun hier. Wir hatten uns letzten Winter in Straßburg durch unsere Eltern bei einer Hochzeit kennengelernt. Zuerst wollte er zu mir nach Schweden ziehen, bis mir die Bank, in der ich im vorigen Sommer ein Praktikum absolvierte, eine sehr gut bezahlte Stelle anbot. Nun lebe ich seit Mai in Paris und habe langsam das Gefühl, mir fiele die Decke auf den Kopf.

Ich drehe mich zu Gael um und versuche zu lächeln. Ich liebe ihn, auch wenn er mich immer mehr einengt und mir zunehmend die Luft zum Atmen raubt. Vielleicht liegt das aber auch nur an den Dachschrägen, die mich tagtäglich zu erdrücken drohen. »Ich weiß. Trotzdem ... Denkst du nicht, wir sollten uns etwas Festes zulegen? Ab Januar werde ich immerhin in der Chefetage einer Bank sitzen, da sollte ein kleines Häuschen am Stadtrand doch drin sein. Schau mal ...« Ich wende mich von ihm ab und zeige auf die Zeitungsannonce. »Dort verkauft jemand ein Landhaus mit Garten für nicht einmal achthunderttausend Euro in Meudon. Das wäre perfekt.« Ich sehe das Haus bereits vor mir. Fenster mit Holzrahmen, braune oder rote Backsteine und ein schöner, großer Garten, in dem irgendwann einmal unsere Kinder spielen werden.

»Meudon? Dann muss ich jeden Tag quer durch Paris, wenn ich meinem Vater helfen will.« Nicht das wieder ...

Sein Vater, dieser alte Gauner, zieht die Touristen auch nur ab. Ich kann absolut nicht nachvollziehen, wieso Gael so scharf darauf ist, seinen Laden unter unserer Wohnung zu übernehmen. Es würde mich nicht wundern, wenn die Streife vor der Tür gerade seinem Vater einen Besuch abstattet, oder dem alten Emanuel von nebenan, der gefälschte Handtaschen und solchen Kram verkauft. Irgendwann werden sie auch mal unsere Wohnung durchsuchen wollen, dabei will ich mit den Gaunereien der anderen Mieter im Bezirk überhaupt nichts zu tun haben. Natürlich sind hier nicht alle so. Auch in Saint-Michel gibt es ordentliche und wirklich schöne Geschäfte, freundliche Souvenir-Verkäuferinnen und nette Cafés, leider gehen sie mehr und mehr unter.

Gael könnte so vieles aus seinem Leben machen, wenn er nur wollte. Er müsste nicht hierbleiben und in die Fußstapfen seines Vaters treten. Leider scheint er selbst wenig von seinem Können überzeugt zu sein und so verkauft er sich ständig unterm Wert. Sein Studium in Kunstgeschichte hat er mit Bravour abgeschlossen, trotzdem hangelt er sich von einem kleinen Auftrag zum nächsten. Ich versuche ihn immer wieder zu ermutigen, sich in einer der zahlreichen angesehenen Pariser Galerien zu bewerben, doch er lebt lieber von den Gaunereien seines Vaters und unterstützt ihn auch noch dabei. Wenn es um das Familienunternehmen geht, wie er es nennt, ist er unglaublich stur. Was ich möchte, ist ihm dabei völlig egal.

»Oder du suchst dir einen anständigen Job«, antworte ich schnippisch und verdrehe die Augen.

Gael reckt hochnäsig das Kinn und verschränkt die Arme wie ein Kleinkind. »Ist Madame sich sogar zu fein für einen einfachen Kaufmann?«

So hatte ich das überhaupt nicht gemeint. Wie schafft er es nur immer wieder, mir die Worte im Mund zu verdrehen und mir ein schlechtes Gewissen einzureden? »Gael, bitte veräpple dich nicht selbst. Ihr verkauft überteuerten Ramsch an Touristen, das hat nichts mit einem ehrlichen Kaufmannsleben zu tun. Außerdem denkst du wieder nur an dich. Aktuell bin ich es doch, die ab Januar jeden Tag fast eine Stunde quer durch Paris fahren muss. Von Meudon aus wäre ich in zwanzig Minuten in der Bank.«

»Also bist du dir nun auch noch zu fein für die Metro? Und bald dann wohl auch für mich? Du wirst noch sehen, was du davon hast, wenn du diesen Schnösel-Job antrittst.« Jetzt geht das wieder los ... Immer die gleiche Leier; Tag für Tag, seit ich den Arbeitsvertrag unterschrieben habe. Als wäre ich jetzt, wo ich nicht mehr studiere und eine gute Position ergattern konnte, ein anderer Mensch. Als wir uns kennenlernten, hatte ich gerade erst das Praktikum beendet gehabt. Dort störte ihn mein Auftreten überhaupt nicht und nun macht er ein solches Drama um meine neue Arbeitsstelle. Oder ist es die Position, mein zukünftiger Verdienst? Inzwischen ist es mir egal, solange er einwilligt, aus dieser schäbigen Zwei-Zimmer-Wohnung auszuziehen und das Stadtviertel zu wechseln.

Betrübt gehe ich zurück zum Tisch und sinke auf den Stuhl. »Ich habe es satt, mich ständig mit dir zu streiten. Was soll das denn? Gael, mon chéri, ich habe alles für dich aufgegeben. Du weißt ganz genau, dass ich nur deinetwegen hierherkam und diese Stelle annahm. Ich habe hier doch niemanden sonst.«

»Ma chère, das weiß ich. Und dafür liebe ich dich auch so sehr.« Jetzt ist er wieder ganz sanft. Er legt seine Arme über meine Schulter und küsst meinen Kopf, dann stellt er sich neben mich. »Aber natürlich bist du auch anderen Menschen hier wichtig. Was ist zum Beispiel mit deiner Tante? Wie hieß sie noch?«

Ich runzle die Stirn. »Colette?«

»Ja, sie hast du doch noch.«

Meine Augenbrauen wandern ganz automatisch ein Stück weiter nach oben. Wie um alles in der Welt kommt er jetzt auf Tante Colette? »Gael, also bitte. Wie oft haben wir sie gesehen, seit ich hier bin? Zwei Mal? Und das eine Mal war es purer Zufall. Nachdem, wie sie Maman zuletzt am Telefon anging, möchte ich sie so schnell auch nicht wieder besuchen.«

»Davon hast du mir gar nichts erzählt.« Gael zieht einen Stuhl hervor und setzt sich zu mir an den Tisch, dabei entgeht mir nicht, wie seine Augen immer wieder zu den Immobilien-Annoncen schielen. Er interessiert sich wahrscheinlich gar nicht für Colette und will bloß wissen, was ich dort alles eingekreist habe. Dieser Schlawiner.

Abwehrend winke ich mit der Hand. »Ach, das war so ein Unsinn. Sie haben sich wieder einmal um Großvaters Grab gestritten und zum Schluss hat sie mitten im Gespräch aufgelegt.« Natürlich weiß ich, dass meine Mutter auch nicht ganz unschuldig an diesem Gesprächsausgang gewesen sein wird. Ich habe selbst erlebt, wie aufbrausend sie sein kann, wenn ihr etwas nicht passt. Leider muss ich zugeben, dass ich diese Eigenschaft von ihr geerbt habe.

»Ach so.« Gael blickt kurz zur Seite, als müsse er überlegen. Schließlich lächelt er breit. »Also gut, ein Kompromiss.« Gael zieht die Zeitung zu sich und studiert die Anzeigen, die ich umrandet habe, genauer. Wusste ich es doch, Colette interessiert ihn kein Stück. Er tippt mit seinem schlanken Zeigefinger auf die Annonce zum Haus in Meudon und leckt sich seine schmalen Lippen. »Das hier besuchen wir, in Ordnung? Aber nur dieses.«

»Wieso nicht die anderen?«, frage ich stirnrunzelnd. Die anderen Anzeigen klingen schließlich ebenso interessant.

»Da steht kein Preis bei. Wenn sie sich nicht trauen, den hinzuschreiben, dann können wir es uns auch nicht leisten.« Grinsend wedelt er mit der eingerollten Zeitung in der Hand vor meinem Gesicht, sodass meine blondierten Haare vor meine Augen wehen. »Wieso schaust du nicht im Internet?«

»Weil«, entgegne ich, »dort alles direkt weg ist. Die wahren Schnäppchen schlägt man heute über die Zeitungen.« Die Leute sind viel zu sehr von den schönen Bildern online geblendet. Und dadurch, dass online alles viel schneller und einfacher geht, bewerben sich dort auch mehr Leute und die Konkurrenz ist viel zu groß. Nein, dieser Hektik und Verblendung gebe ich mich nicht hin. Wenn es um den Häuserkauf geht, halte ich mich an Mamans Tipp und schaue offline.

 

 

Isabelle

 

Heute ist es soweit und wir werden uns das Häuschen in Meudon anschauen. Ich bin unglaublich gespannt, wie es aussieht. Das ist auch ein Grund, wieso ich lieber in der Zeitung nach Häusern suche. So kann ich mich überraschen lassen, wie alles ausschaut. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass es nicht längst vergeben ist und wir problemlos einen Termin bekamen. Ich sage ja, heute stürzen sich alle auf die Onlineangebote und vernachlässigen total die Printanzeigen.

Wenn Gael sich nur spurten würde. Unruhig laufe ich im Hausflur auf und ab. »Gael, mon chéri, beeile dich, sonst kommen wir zu spät.« Was macht er nur wieder? Seit einer Viertelstunde ist er im Badezimmer und rührt sich nicht. Dabei ist es bereits nach zwölf und um dreizehn Uhr sollen wir dort sein.

»Un moment«, ertönt es aus dem Bad, dann höre ich das Schloss klicken und die Tür öffnet sich. Wow.

»Du hast dich schick gemacht«, stelle ich verblüfft fest. Eigentlich dachte ich, er sträube sich immer noch gegen die Besichtigung, doch nun hat er sich sogar in einen Anzug geworfen.

»Kannst du mir bei der Krawatte helfen?«

Ein Schmunzeln huscht über meine Lippen. Ich habe ihn noch nie so gutaussehend gesehen. Wieso macht er sich sonst nie schick? Ich wusste nicht einmal, dass er einen Anzug besitzt, wo er doch immer nur seine Standardhemden anzieht.

»Naturellement«, antworte ich und greife an den seidenen Stoff. Einen anständigen Krawattenknoten zu binden lernte ich bereits in der Grundschule. Mein Vater legte immer viel Wert auf die Sonntagskleidung, sodass dies kein Problem für mich ist. Ich lege Gael die Krawatte um und binde sie zurecht.

»So«, sage ich, klopfe ihm sachte auf die Brust und zupfe sein Hemd zurecht. Seufzend schaue ich ihn an und gebe ihm einen raschen Kuss auf die Wange, ehe wir die Wohnung verlassen und nach unten laufen.

Beim Gang durch den Flur fällt mir beim Blick in den Spiegel vorm Hinausgehen mein rötlicher Haaransatz auf und ich greife rasch zu meiner blauen Baskenmütze, die an der Garderobe hängt. Ich bin immer noch hin und her gerissen, ob ich meine Haare erneut blondieren soll, oder ob ich die Farbe herauswachsen lasse.

»Hast du die Adresse?«, fragt Gael und steigt ins Auto, dass eine Querstraße von unserer Wohnung entfernt steht. Vor der Tür findet man eigentlich nie einen Parkplatz. Ich setze mich auf den Beifahrersitz und krame den kleinen Notizzettel aus meiner Tasche, während Gael sich anschnallt. Wenn ich kann, vermeide ich es, im belebten Paris selbst zu fahren. Daher bin ich immer erleichtert, wenn er sich ans Steuer setzt.

Ich gebe alles ins Navi ein, während er sich gekonnt durch die Passanten schlängelt, bis wir auf der Hauptstraße ankommen und uns in den Stadtverkehr einreihen können. Mein Blick schweift über die Kopfsteinpflaster entlang der Seine, die nun immer mehr von den herabfallenden Blättern der schmalen Bäume am Ufer bedeckt werden. Der rot-gelbe Boden gibt ein wunderschönes Bild der herbstlichen Uferpromenade ab. Nun dauert es nicht mehr lange, und der Winter bricht ein. Ich bin unglaublich gespannt, wie der französische Winter sein wird. Wird so viel Schnee wie in Karlstad liegen oder muss ich mich mit ein paar wenigen Flocken zufriedengeben? In Schweden gab es Tage, da war es um halb drei stockfinster oder es lag so viel Schnee, dass man nur mit dem Schlitten vorankam. Auch wenn letzteres nur selten vorkam.

Ein einzelnes, rotbraunes Ahornblatt fliegt an meiner Fensterscheibe vorbei und tänzelt in der Luft, während wir im Stau stehen und uns das Hupkonzert der einfädelnden Autos anhören. Noch ein weiterer Grund für mich, endlich raus aus der Innenstadt zu ziehen.

 

Als wir in Meudon ankommen, sind beinahe fünfzig Minuten vergangen. Dabei haben wir bloß vierzehn Kilometer zurückgelegt. Das alte Landhaus liegt nicht weit von der Seine entfernt. Wir parken in der großzügigen Einfahrt und steigen aus. Die Sonne scheint und es sind kaum Wolken am Himmel zu entdecken. Offenbar haben wir einen ausgesprochen guten Oktobertag für die Besichtigung erwischt. »Was für eine Idylle«, flüstere ich und blicke auf die Trauerweide, die vor der hauseigenen Garage steht und beobachte die Vögel auf den Ästen. Es ist wunderschön und ich kann es kaum erwarten, das Haus von innen zu sehen. Von außen erinnert es mich ein bisschen an ein altes Cottage. Wir waren vor Jahren, da war ich zehn oder elf, mal für ein paar Wochen in Schottland zu Besuch, dort standen viele solcher Häuser. Mein Blick wandert zu meinem Mann. Selbst Gael sieht überrascht aus, als er über den großen Vorgarten bis zur Garage blickt und auf den Eingang des Landhauses zusteuert.

»Schau, hier könnten unsere Kinder mit Kreide malen oder seilspringen. Gael, wäre es nicht schön, wenn sie hier aufwachsen würden?«

Die Seitenstraße ist so ruhig, dass man kaum Autos hört. So weit auseinanderstehende Häuser wie hier habe ich inmitten von Paris nie gesehen. Hier hat noch jeder sein eigenes Reich.

»Ja«, antwortet Gael und sieht plötzlich mürrisch drein. Sein rechtes Auge zuckt leicht. Das tat es zuletzt, als wir uns gestritten haben. Was habe ich Falsches gesagt? Gaels Laune ist auch eine tickende Zeitbombe. Wie schafft er es nur, so mürrisch und zerknirscht auszusehen, wo die Sonne scheint und wir gleich unser Traumhaus begehen werden? Selbst nach all der Zeit werde ich nicht schlau aus ihm.

Um uns bläst ein kühler Wind, der die Sonnenwärme ein wenig trübt und mir meine langen blonden Haare ins Gesicht weht. Ich halte meine Mütze fest und raffe meinen kobaltblauen Mantel näher an meine schlanke Taille. »Komm«, sage ich und reiche ihm meine Hand, um gemeinsam zur Tür zu gehen, neben der ein Schild mit der Aufschrift Roux Unternehmensberatung hängt.

Ich klopfe erst an, dann entscheide ich mich doch für die Klingel und sogleich öffnet sich die weiß gebeizte Tür.

»Bonjour«, begrüßt uns eine junge Frau, die nur wenige Jahre älter als ich sein dürfte. »Sie müssen Madame Moreau sein.« Sie reicht uns abwechselnd die Hand und sieht uns mit steifem Gesichtsausdruck an, ehe sie die filigranen Hände zurück in ihre Hüfte, über die weiße Bluse, die in ihrem grauen Bleistiftrock steckt, stemmt.

»Genau, und das ist mein Partner Monsieur Bertrand.« Nachdem ich die letzten Jahre in Schweden alle Menschen um mich herum geduzt habe, ist es eine ziemliche Umstellung für mich, nun jeden zu siezen.

Gael nickt der Frau zu, ohne groß eine Miene zu verziehen und sie bittet uns herein.

»Kommen Sie. Ich bin Lenè Roux, meine Schwester Florine ist noch in der Küche. Sie setzt uns einen Tee auf, während ich Ihnen die unteren Räumlichkeiten zeige. Folgen Sie mir bitte.« Mann, wirkt die Frau steif, denke ich mir, während ihr strenger Dutt vor mir auf und ab wippt. Mit der ist sicherlich nicht gut Kirschen essen. Auf der anderen Seite passt sie gerade wunderbar zu der Laune, die Gael nun, wo wir hier sind, an den Tag legt. Wo ist der gut gelaunte Mann, der noch vor einer Stunde aus dem Badezimmer kam, plötzlich hin? Manchmal frage ich mich, ob er irgendwie an Stimmungsschwankungen leidet. Das ist nämlich nicht das erste Mal, dass er sich so verhält. Oft genug hat er mir dadurch den Tag vermiest, doch heute lasse ich nichts an mich herankommen. Heute wird mein Tag. Wenn das Haus von innen nur annähernd so toll aussieht wie von außen, dann muss ich es haben. Und was ich haben möchte, bekomme ich auch. Es gibt Sachen, für die lohnt es sich zu kämpfen, und eine Bleibe in Meudon gehört dazu.

Wir betreten das wärmende Wohnzimmer, in dessen Kamin ein leises Feuer knistert, dass sogleich die angespannte Stimmung von gerade auflockert. »Der Ofen wurde erst kürzlich ausgetauscht. Im Garten befindet sich noch ein großer Unterstand mit Holz. Wenn Sie möchten, können sie das übrige Holz gerne mit übernehmen, es sollte für diesen Winter noch ausreichen«, erklärt Madame Roux und zeigt auf den schönen, freistehenden Kachelofen.

Ich nicke geistesabwesend und gleite mit meiner Hand über das ledernde Sofa und den dunklen Holztisch, an dem meine ganze Familie, wenn sie zu Besuch käme, Platz hätte. Ich liebe diese alten schweren Echtholzmöbel. »Wie gefällt es dir?«, frage ich Gael leise, während Madame Roux uns mit verschränkten Armen ansieht. Kann ihr bitte jemand den Stock aus dem Allerwertesten ziehen?

»Ganz nett, aber findest du es nicht zu dunkel?« »Hmm«, antworte ich nichtssagend und hebe die Schultern. Dunkel ist es tatsächlich. Die Trauerweide vor dem Fenster schluckt einiges an Licht, ebenso der grüne Vorhang, der offenbar den Zugang zur Treppe nach oben versperrt. Der kommt auf jeden Fall weg, beschließe ich, während Madame Roux uns ins separate Esszimmer führt, das an Küche und Wohnzimmer grenzt. Vielleicht stelle ich die lange Tafel aus dem Wohn- ins Esszimmer und entsorge den Tisch, der hier steht, falls ich die Möbel übernehmen darf.

Während sie vor dem Ofen stehen bleibt und ihren Bleistiftrock glättet, lugt ihre Schwester (die ihr sehr ähnlich sieht, aber älter sein dürfte und noch nicht verlernt hat, zu lächeln) aus der Küchentür und begrüßt uns mit einem freundlichen Gesicht und einem Bise auf die rechte und linke Wange, als würden wir uns ewig kennen.

Ich stelle uns vor, dann eilt sie zurück in die Küche, während ihre Schwester uns weiter durch das Haus führt. Ans Esszimmer grenzt ein wohnlicher Wintergarten mit vielen schönen Pflanzen, dessen Fensterscheiben jedoch zum Teil ausgetauscht werden müssen und auch das Bad muss unbedingt saniert werden. Ich schätze, die Fliesen an den Wänden stammen noch aus den Sechzigern und auch der Rest des Bades bedarf dringend einer Generalüberholung. Das größte Problem wird aber die Heizung sein, die gibt es nämlich nicht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich ausschließlich mit den beiden Öfen in Wohn- und Esszimmer das ganze Haus warm bekommen soll. So, wie ich Madame Roux verstanden habe, sind auch oben keine Heizungen angelegt und es kann lediglich mit einem Heizlüfter gewärmt werden. Ebenso sind die Leitungen ziemlich alt und die Fenster nur einfach verglast. Hoffentlich kostet der ganze Spaß nicht mehr, als mein Budget hergibt. Gael sieht jedenfalls wenig begeistert aus, als er das heruntergekommene Badezimmer sieht und ich muss gestehen, dass ich ihn verstehen kann. Trotzdem lasse ich mir das schöne restliche Ambiente so schnell nicht madigmachen.

In der Küche, die im Gegensatz zum Badezimmer relativ neu zu sein scheint, setzen wir uns bei einer Tasse Tee an den Tisch und die Ältere der Schwestern reicht mir einen Stapel Papiere. »Schauen Sie«, sie tippt mit ihrem Kugelschreiber auf die oberste Zeile, »das Haus hat insgesamt hundertachtundsechzig Quadratmeter, ist teilweise unterkellert und hat im oberen Geschoss ein paar Dachschrägen. Dazu kommt das große Grundstück mit knapp eintausend Quadratmetern. Der Ofen im Wohnzimmer wurde erst letztes Jahr erneuert, ebenso die Küchenzeile.« Sie zeigt auf die weiße Landhausküche, die mich an meine schwedische Heimat erinnert. »Wenn Sie möchten, können Sie die Einrichtung kostenlos übernehmen. Im Obergeschoss gibt es«, sie zieht ein anderes Blatt mit einem Grundriss drauf hervor, »weitere vier vollwertige Zimmer und zwei kleine Badezimmer. Hier mit Dusche und dieses hier ist mehr eine Gästetoilette. Diesen Raum«, sie zeigt auf jenen in der Mitte, von dem fast alle anderen Räume abgehen, »können Sie als Salon oder Ähnliches nutzen. Früher hatten wir dort eine kleine Küche für uns Kinder drin, heute steht da ein Billardtisch. Außerdem hat unser Bruder hier oben seine Geschäftsräume.«

Meine Augen gleiten über den Plan und ich beginne, alles gedanklich einzurichten. Gael lehnt neben der jüngeren Madame an der Küchenzeile und unterhält sich indes leise mit ihr. Sie schauen gemeinsam mürrisch drein, als hätten wir Frauen am Tisch uns gegen sie verschworen, und schlürfen ihren Tee.

»Und ab wann wäre das Haus bezugsfertig, wenn Ihr Bruder noch hier lebt?«, frage ich und erinnere mich an das Schild an der Tür.

Madame Roux macht eine abwehrende Geste und lächelt leicht hinterlistig. »Der wird bis Ende des Monats raus sein, machen Sie sich keine Gedanken. Sie können ab dem ersten Dezember einziehen.« Keine Gedanken machen, das sagt sich immer so leicht ...

»Und der Preis bleibt wie in der Anzeige beschrieben?«, hake ich nach. Das klingt immer noch zu traumhaft.

»Genau, 769.000 Euro, inklusive der zum Teil neuen Einrichtung, mit Ausnahme der Besitztürmer meines Bruders natürlich.«

Ich nicke verträumt. Für diese Lage und die Größe des Anwesens ist das ein wahres Schnäppchen. Trotzdem ist es viel Geld, vor allem, wenn man bedenkt, was noch zu tun ist.

»Sehe ich das richtig, dass die Fenster noch getauscht und neue Leitungen verlegt werden müssen? Da kommt einiges auf uns zu. Und das Badezimmer bedarf auch einer Sanierung, meinen Sie nicht?«

Die ältere Madame reibt sich das Kinn. »Eventuell kann ich Ihnen noch ein kleines bisschen entgegenkommen.«

Ich atme erleichtert aus. Doch dann ertönt hinter mir ein keuchendes Husten und Räuspern, als hätte sich jemand verschluckt. Die jüngere Schwester sieht ihre ältere mahnend an.

»Jedoch maximal um zehntausend Euro. Sie wissen ja, wie der Markt hier ist und wenn Sie nicht bereit sind, den Kaufpreis zu zahlen ...«

»Doch, doch, das bin ich«, unterbreche ich sie rasch, während ich die eisigen Augen der jüngeren Schwester im Nacken spüre.

Nur eines verstehe ich nicht ... »Darf ich fragen, wieso Sie dieses Haus verkaufen möchten, wenn es scheinbar Ihrem Bruder gehört?«

»Selbstverständlich«, meldet sich die jüngere Schwester, als seien wir ganz in ihrem Element angekommen und schlängelt sich grazil wie eine Gazelle um den Tisch herum. »Dies ist das Haus unserer Mutter gewesen. Sie verstarb im letzten Jahr an einem Herzfehler.«

»Mein Beileid«, sage ich aufrichtig. Sie scheint es nicht wirklich wahrgenommen zu haben oder es interessiert sie nicht, denn sie spricht sofort weiter.

»Ja ... Jedenfalls ist unser Bruder nicht bereit, uns auszubezahlen, also müssen wir es leider verkaufen. So ist das nun mal. Beim Erben hört der Familiensinn auf.« Was für ein schrecklicher Gedanke.

Madame geht an ihrer Schwester, die sie ebenso entsetzt, wie ich mich fühle, ansieht, vorbei und auf das Esszimmer zu. »Möchten Sie die oberen Stockwerke noch sehen?«

»Unbedingt«, entgegne ich so freundlich wie möglich und schleife den mürrisch dreinblickenden Gael hinter mir her aus der Küche, durch Ess- und Wohnzimmer und zur Treppe hin.

»Was hat es mit diesem Vorhang auf sich?«, frage ich, als die ältere Madame Roux ihn zur Seite schiebt und ein hölzern getäfelter Aufstieg zum Vorschein kommt.

»Ach, dahinter hat Mutter immer allerlei Kram abgestellt. Ich bin überrascht, dass Julien ihn nicht längst entsorgt hat, er bewahrt aber auch jeden Mist auf.« Julien muss der Bruder sein. Komisch, ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie er hier seine Kunden empfangen will. Das Teil ist scheußlich!

Die Stufen knarzen leicht, als wir nach oben gehen. Auf der Treppe ist es trotz des kleinen Fensters neben der Eingangstür ausgesprochen dunkel, wodurch ich kurz die Augen zusammenkneifen muss, als Madame Roux die Tür zum Salon öffnet und mir die Strahlen der Mittagssonne entgegen scheinen. Überrascht stelle ich fest, dass der Salon viel moderner eingerichtet ist, als der Aufstieg es vermuten lässt. Dieser Raum ist wesentlich heller und eleganter als jene im Untergeschoss. Ganz offensichtlich wurde er erst kürzlich weiß gestrichen und auch der Billardtisch muss neu sein. Rechts hängt eine schlichte schwarze Garderobe und auf der anderen Seite, wo den Anschlüssen nach zu urteilen früher die Küche war, steht jetzt ein großes Aquarium mit zwei eleganten, weißen Drehstühlen davor. Leider merkt man hier oben sofort die fehlende Heizung, sodass ich mir über die Arme, deren Haare sich beim ersten Windzug aufrichteten, streichen muss, um nicht das Gefühl zu haben, zu erfrieren.

»Auf dieser Seite«, Madame vor mir zeigt nach rechts, »befindet sich das Büro meines Bruders.« Sie öffnet die Tür und mein Blick gleitet über den schlichten Raum dahinter, der durch einen großen, weißen, halbrunden Tisch dominiert wird.

Gael beugt sich zu mir vor und flüstert in mein Ohr: »Der Miro dort an der Wand ist nicht echt, falls du das dachtest. Dennoch scheint mir der Mann einen guten Geschmack zu haben, im Gegensatz zu seiner Mutter.« Bestimmt spielt er auf das scheußliche Gemälde, das unten im Wohnzimmer über dem Kamin hängt, an.

Wir folgen Lenè Roux durch das großzügige Büro, vorbei an einem langen Bücherregal und sie zeigt uns das kleine, aber sehr saubere Badezimmer mit Dusche am Ende des Raumes. Danach besichtigen wir die beiden Schlafzimmer, die schon eher zur Einrichtung des Untergeschosses passen, und eine Art Sportraum, der meinetwegen bleiben kann.

»Schau mal«, sage ich zu Gael, als wir nach unten gehen. »Du könntest das Büro zu einer Art Galerie umbauen. Das Sportzimmer könnten wir lassen und aus dem Salon machen wir eine kleine Bibliothek. Eines der Schlafzimmer bleibt unseres und das andere können wir als Gästezimmer oder später als Kinderzimmer nehmen.«

Gael reibt sich die Hände. »Ich weiß nicht, lass uns nachher alles durchgehen«, schlägt er unruhig vor. Was ist bloß los mit ihm?

Ich nicke stumm und wir gehen zurück in die Küche.

»Kindergarten, Schule, Einkaufsmöglichkeiten und so weiter finden Sie in der Nähe. Auch die Anbindung an den Nahverkehr ist wirklich ausgezeichnet«, erklärt die ältere Schwester, als wir wieder am Tisch sitzen, doch ich höre kaum hin. Was hat Gael nur? Mit strengem Blick trottete er hinter uns her, als wären wir in einem Haus voller Verbrecher. Heute Morgen schien es noch, als freue er sich geradezu auf die Besichtigung und nun sieht er aus, als könne er das Haus gar nicht schnell genug verlassen.

»Hätten Sie Interesse?«, fragt die Jüngere uns nun und ich schaue auf.

»Ja«, antworte ich prompt, während Gael ein deutliches »Nein« ausspuckt. Ich blicke fragend zu ihm rüber. Wieso nein? Sagte er nicht eben erst, er wolle nachher noch mit mir darüber sprechen?

»Es ist zu alt, zu teuer und es gibt viel zu viel zu tun. Und was willst du überhaupt mit diesem riesigen Garten? Du hast doch überhaupt keine Zeit, ihn zu pflegen.«

Mir klappt der Mund auf. Ich dachte, wir hätten das längst durchgekaut, außerdem ist das Haus nicht wirklich alt. Natürlich muss vieles gemacht werden, doch das war bei diesem Preis zu erwarten. Immerhin ist Madame Roux mir um zehntausend Euro entgegengekommen. »Gael ...«, stammle ich. Mir fehlen die Worte.

Die Schwestern sehen uns unsicher an. Das kann man ihnen nicht verdenken. Habe ich nach seinem Verhalten überhaupt noch die Chance, das Haus zu bekommen? »Wir schlafen eine Nacht darüber und dann melde ich mich. Ich hätte es wirklich gerne«, betone ich, ohne auf Gaels Miene, nach der er mir am liebsten einen Dolch in den Rücken stoßen würde, zu achten und raffe betrübt meine Sachen zusammen. Wieso ist er so ein Sturkopf?

Als wir uns verabschieden, zieht die Sonne bereits gen Westen. Wir steigen ins Auto, niemand sagt etwas oder schaut den anderen auch nur an, doch ich ahne schon, dass sich das spätestens zu Hause, wenn wir uns im Notfall aus dem Weg und einfach rausgehen können, ändern wird.

 

Kapitel 2

Isabelle

Prêts, assurances, impôts, expertises, mon Dieu, tout ce-que je veux, c’est ma maison. Stupide bureaucratie.2

 

»Gael, was ist los mit dir?« Kaum haben wir unsere Wohnung betreten, kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich muss es einfach wissen.

Gael reißt sich den Schlips vom Hals und beginnt, mit zittrigen Fingern sein Hemd aufzuknöpfen. »Mit mir? Was sollte das denn, dass du einfach zusagst? Habe ich gar kein Mitspracherecht? Du vergisst wohl, wer hier der Herr im Haus ist!«

»Ich habe überhaupt nichts zugesagt, sondern lediglich mein Interesse bekundet. Außerdem war Monsieur Herr im Haus schon beim Reingehen missgelaunt. Wofür wirfst du dich in Schale, wenn du dann wie ein Kleinkind rumbockst?« Ich merke, wie meine Stimme lauter wird, bis sie bricht und ich zu Schniefen anfange. Wie kann er mir diesen tollen Tag nur so versauen? »Gefällt dir das Haus überhaupt nicht?«, frage ich ruhiger und wische mir mit einem Stück Küchenrolle über die Augen.

»Nein«, sagt er deutlich und dreht sich mit verschränkten Armen von mir weg.

»Aber wieso nicht? Ich meine, natürlich müssen wir noch einiges machen, tapezieren, eine Heizung einbauen lassen, vielleicht sollten wir auch die Böden und Fenster tauschen. Aber hast du nicht diesen wunderschönen Garten draußen gesehen. Der wäre perfekt für unsere Kinder ...«

Gael schlägt einmal heftig mit der flachen Hand auf den Küchentisch, sodass die Vase darauf zu kippen droht und ich sie gerade noch auffangen kann. »Ich sagte Nein und damit basta! Du wirst dieses Haus nicht kaufen!«

Mit geweiteten und feuchten Augen schaue ich ihn an. Er hat mir überhaupt nichts zu sagen. »Ich kaufe, was ich will. Das ist mein Geld, Gael. Meins!«, antworte ich so ruhig wie möglich.

»Solange du mit mir zusammen bist, hast du mir zu gehorchen, Mademoiselle.« In diesem Moment sehe ich schwarz. Das ist nicht mehr der Mann, in den ich mich verliebt habe.

»Du kannst mich mal«, schreie ich und greife nach meiner Tasche. Ich will nur noch weg von ihm.

Seine zusammengekniffenen Augen glühen, als er mich an den Haaren packt und ins Schlafzimmer schleift, gegen den Schrank stößt und mich auf das Bett wirft. Dieses verfickte Arschloch! Meine Kopfhaut brennt und der Nacken schmerzt. Ich schließe die Augen und reibe mir den Hinterkopf. Wie konnte das nur so eskalieren? Er hatte schon immer diese Stimmungsschwankungen, aber er ist noch nie handgreiflich geworden. In meinen Ohren surrt es, als die Tür zuknallt und ich alleine bin. Er hat mich eingeschlossen.

Ich gehe zur Tür und lehne meine Stirn gegen den kalten Türrahmen und versuche, irgendwie das heftige Pochen zu ignorieren.

»Gael«, rufe ich begleitend von heftigen Schluchzern und klopfe gegen die Tür. Nichts. »Ich ... ich wollte das nicht.« Ich heule laut auf und sacke vor der Tür zusammen. Wie kann er mir das nur antun? Er war sonst nie so.

»Du wirst darin bleiben, bis du verstanden hast, dass du mir gehörst und ich deinen Ungehorsam keineswegs dulde«, sagt er mit rauer, aber fester, Stimme. Ich ihm gehöre? Habe ich das richtig verstanden? Das muss ein schlechter Scherz sein! Kopfschüttelnd versuche ich, einen klaren Kopf zu bekommen. Ich muss hier weg, ehe er völlig den Verstand verliert.

»Gael, mon chéri, ich verstehe das nicht.«

Eine kurze Stille bricht ein und ich stehe auf, setze mich auf das Bett und blicke zur Tür. Mit einem Mal klickt das Schloss und sie wird aufgerissen. Gael sieht mich mit bebenden Nasenflügeln an. »Wir werden weder dieses Haus kaufen, noch uns irgendwelche Bälger anschaffen, die unseren Garten besudeln.«

Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Was meint er mit Bälger? »Du willst keine Kinder?«, frage ich stirnrunzelnd und wische mir ein paar Tränen aus den Augen.

»Nein, keine Kinder, kein Haus, nur dich.«

Ich schluchze, so hatte ich mir mein Leben mit ihm nicht vorgestellt. »Aber ... aber heute Morgen wolltest du noch zu der Besichtigung.«

Er scharrt mit den Füßen und sieht mich stur an. »Nur weil ich mich von dir habe breitschlagen lassen, heißt das nicht, dass ich wirklich mitwollte.«

»Breitschlagen?« Ich ziehe meine Brauen nach oben und verschränke die Arme. Langsam reicht es mir. »Was darf ich überhaupt noch? Du willst kein Haus und keine Kinder, hier ausziehen wahrscheinlich auch nicht. Willst du mir nun auch noch den neuen Job verbieten?«

»Wenn es sein muss.« Mir klappt der Mund auf. Jetzt reicht es! Es wird Zeit, dass ich meine Komfortzone verlasse. Mit einem Satz springe ich auf und stehe vor ihm, den Zeigefinger auf meine Stirn tippend. Bei ihm tickt es offensichtlich nicht mehr ganz richtig.

»Wenn es sein muss?! Du hast sie nicht mehr alle. Weißt du was, stirb einfach alleine. Ich werde dieses Haus kaufen, und wie ich das werde. Ich sehe es gar nicht ein, mich so von dir bevormunden zu lassen. Du behandelst mich wie eine Sklavin. Darf ich keine Entscheidung mehr ohne deinen Zuspruch fällen? Weißt du was, es ist aus. Ich gehe!«

»Das wirst du nicht!« Er packt mich erneut am Arm und versucht, mich zurück ins Schlafzimmer zu zwängen, doch nicht mit mir! Gerade noch schaffe ich es, mich seinem Griff zu entwinden, Tasche und Mantel zu greifen und ihm die Wohnungstür vor der Nase zuzuknallen. Mit tränenden Augen stürme ich nach unten und rausche durch den kleinen Souvenirladen seines Vaters hinaus auf die Straße und verschwinde in der Menge. Ich ducke mich unter Regenschirmen hindurch und versuche, mir im Laufschritt den Mantel überzuziehen, ohne allzu nass vom aufkommenden Regen zu werden.

 

 

Isabelle

 

Nur mit dem Wichtigsten an mich gepresst, das ich heute Morgen zusammenpacken konnte, während Gael beim Augenarzt war, schwinge ich mich auf mein Rad und fahre zu der kleinen privaten Pension in der Rue la Fontaine zurück. Den ganzen Vormittag hatte ich im kleinen Café am Ende der Straße darauf gewartet, dass sein Vater mit ihm den Laden verlässt. Eigentlich sollte ich ihn heute zum Arzt fahren, da er nach den Augentropfen jedes Mal fast blind ist und nicht mehr alleine nach Hause kann. Nun hat Monsieur Bertrand ihn begleitet und ich konnte unbemerkt mit meinem Schlüssel in die Wohnung, meinen Reiserucksack aus dem Keller holen und meine Unterlagen und Habseligkeiten einpacken. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er sie weggeschmissen hätte – dafür hat er definitiv in ihnen herumgeschnüffelt. Seinen Schlüssel und einen kurzen Brief habe ich ihm dagelassen. Ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben und bin froh, dass er mir rechtzeitig sein wahres Ich gezeigt hat. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn wir ein gemeinsames Haus und womöglich eine Familie gehabt hätten.

Ich stelle das Fahrrad im Hof ab, sammle mein Zeug zusammen und laufe die steinernen Treppenstufen, vorbei an Weinranken, zum Eingang der Pension hoch und gehe auf mein Zimmer. Erschöpft lasse ich den schweren Rucksack auf den Boden sinken und setze mich auf das Bett, um mein Zeug auszupacken.

So kann es nicht weitergehen! Ich bin hierhergekommen, um mit Gael ein schönes Leben zu haben. Nicht, um plötzlich von ihm zu erfahren, dass ich ihm gehöre, dass er nun über mich bestimme. Ganz bestimmt nicht – nicht mit mir! Er war immer etwas herrisch oder dominant, aber nicht so! Das geht zu weit, ganz egal, was meine Familie dazu sagt.

Nachdem ich abhaute, rief ich meine Mutter an. Sie klang ganz und gar nicht glücklich, als ich ihr alles erzählte. Ich weiß, was sie dachte – dass ich übertrieb. Aber das tat ich nicht. Ich spüre sogar noch seine kräftige Hand, wie sie meinen Kopf packte und mich ins Zimmer schliff. Nein, ich übertreibe ganz und gar nicht. Mutter verstehe die ganze Aufregung nicht so ganz, meinte sie. Aber gut, sie kennt seine Familie lange und hatte auch nie etwas Schlechtes über seinen Vater gesagt. Sie meinte sogar, sie könne ihn ein bisschen verstehen. In dem Moment schwand meine Lust, weiter mit ihr zu telefonieren. Wie konnte sie sich in so einer Situation nur auf seine Seite schlagen? Sie würde eine so schwerwiegende Entscheidung, wie ein Haus zu kaufen, auch nicht ohne Vaters Zuspruch treffen, erklärte sie. Anders als wir sind die beiden jedoch verheiratet. Vor allem aber verdient Vater das Geld und unterhält sie, während ich auf meinen eigenen Beinen stehe. Gestern Abend rief sie mich noch einmal an und entschuldigte sich bei mir. Wahrscheinlich lag sie nach dem Gespräch nächtelang wach, weil ihr Gewissen sie plagte. Das ist bei mir auch oft so. Sie riet mir, schnellstmöglich meine Sachen zurückzuholen, ehe er etwas Dummes damit anstellen könne und genau das tat ich eben. Von meinen Zeugnissen bis hin zu meinem Arbeitsvertrag lag noch alles bei ihm, ganz zu schweigen von jeder Menge Klamotten. Ein Glück passte fast alles in den großen Rucksack; den Rest packte ich in meinen Fahrradkorb und die Gepäckträgertaschen.

Während ich meine Ordner in die kleine Kommode des Fremdenzimmers, das ich für den ganzen Monat angemietet habe, einräume, bleibt mein Blick am Zettel mit der Nummer der Roux-Schwestern hängen, der mir eben aus der Tasche gefallen sein muss und nun auf dem Boden liegt. Ich knie mich hin und hebe das Stück Papier, auf das ich damals hastig die Daten der Schwestern aufschrieb, auf und setze mich vor den kleinen Tisch neben dem Fenster. Sollte ich es tun? Die Schwestern anrufen und ihnen sagen, dass ich das Haus kaufe? Ich muss an das alte Badezimmer und die vielen Kleinigkeiten denken, die noch gemacht werden müssen. Kann ich das überhaupt alleine bewältigen? Spätestens ab Januar 2018, wenn ich meine neue Stelle antrete, werde ich kaum Zeit haben, um den Tag auf einer Baustelle zu verbringen.

Nur wenn ich mich jetzt nicht entscheide, wird das Haus sicherlich bald vergeben sein. Ich ziehe einen Block und Stift aus der Schublade unter dem Tisch und zeichne einen langen Strich über die Mitte des vorderen Blattes. Dann beginne ich, die Vor- und Nachteile aufzuschreiben und versuche, die noch anfallenden Kosten grob zu überschlagen. Doch am Ende bin ich mir sicher, dass ich das Haus haben will.

Ich kann es kaum erwarten, den Schwestern meine Entscheidung mitzuteilen. Seit der Besichtigung ist eine halbe Woche vergangen. Mit zittrigen Händen tippe ich ihre Nummer ein, bis die freundlichere Madame Roux abhebt. Ich erkenne sie sofort an ihrer lieblichen Stimme und schildere ihr die Sachlage. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, als sie mir bestätigt, dass es zwar noch andere Interessenten gäbe, sollte ich jedoch bis zum Wochenende das Okay meiner Bank bekommen, ich das Haus bekäme. Also mache ich gleich darauf einen Termin mit meiner Bank für die Kreditaufnahme. Immerhin hier lohnt es sich, bald in einer solch guten Position zu sein.

 

Ein paar Tage später sitze ich mit Lenè und Florine Roux vor meiner zukünftigen Kollegin Madame Bourbon in der Bank und unterschreibe den Kaufvertrag und die Kreditunterlagen. Am ersten Dezember werde ich in mein neues Haus ziehen, ob es dem Herrn Bertrand nun passt oder nicht. Mit zittrigen Fingern unterschreibe ich ein Dokument nach dem anderen: Kredite, Versicherungen, Steuerzeug, Gutachten, mein Gott, ich will doch nur mein Eigenheim haben. Blöde Bürokratie. Die Roux-Schwestern verabschieden sich von mir, nachdem wir einen Termin für die Schlüsselübergabe ausgemacht haben und ich quatsche noch kurz mit meiner zukünftigen Kollegin und meinem Vorgesetzten, der mich damals während des Praktikums betreute. Es wird bestimmt toll sein, wieder in dieser familiären Filiale zu arbeiten.

Als ich mich auf den Weg zurück zur Pension mache, dämmert es bereits. Ich muss noch ein paar Dinge vom Markt besorgen und einen Stopp beim Postamt einlegen, ehe ich runter zur Metro laufe und mich in die Bahn setze. Obwohl in Paris eigentlich immer viel los ist, ist meine Metro heute relativ leer. Nur sechs Leute sehe ich um mich herum sitzen, als mein Handy vibriert und eine unbekannte Nummer mich anruft.

»Bon jour«, sage ich freundlich und ein eigenartiges Rauschen ertönt. »Allo, hören sie mich? Ich bin in der Metro.«

Ich halte mir mit dem Finger das andere Ohr zu, während wir durch den Tunnel rattern und das Licht über mir flackert. Vielleicht sind es die Roux Schwestern, eventuell habe ich ein wichtiges Dokument vergessen.

»Madame Roux?« Das Rauschen erstirbt, dann höre ich ein lautes, rasselndes Atmen. »Allo?«, wiederhole ich, plötzlich herrscht Stille in der Leitung. Blöder Empfang. Ich lege verdutzt auf und stecke mein Handy zurück in die Tasche. Wahrscheinlich wird es Zeit, dass ich mir ein neues Handy zulege.

An meiner Station steige ich aus und schaue, dass ich schnellstmöglich nach Hause komme. Im Dunklen ist Paris kein sicheres Pflaster für eine alleinstehende Frau.

 

Kapitel 3

Isabelle

Tout d’un coup, je me redresse dans mon lit, droit comme une bougie, et fixe la jolie blonde et les deux hommes qui se tiennent devant moi. «Qui êtes-vous?»3

 

Hibbelig schaue ich die Straße auf und ab, bis ich die ältere Madame Roux entdecke, die ihre Haare heute braun gelockt trägt und leger gekleidet aus ihrem kleinen roten Porsche steigt und sich den Rock zurechtzupft. Ich winke ihr und sie eilt zu mir herüber.

»Bonjour, Madame«, begrüße ich Florine Roux und küsse sie rechts und links auf die kalten Wangen.

»Bonjour, meine Liebe. Haben Sie alle Unterlagen zusammen?«, fragt sie mich und geleitet mich am Haus vorbei zum Hintereingang.

»Évidemment!« Natürlich habe ich sie mit. Ich mag manchmal etwas schusselig sein, doch etwas so Wichtiges würde ich nie vergessen.

Sie schließt die Hintertür auf, die ein leichtes Quietschen von sich gibt und wir setzen uns in den warmen Wintergarten, geschützt vor der bitteren Kälte draußen, die der erste Dezember mit sich bringt. Es sieht genauso heimelig aus wie damals bei der Besichtigung, selbst die kleinen Blumenarrangements stehen noch da und ich frage mich unweigerlich, ob die Blumen wirklich alle echt sind. Sie weist zu dem alten Sofa mit Blümchenmuster und wir setzen uns.

»Bitteschön.« Ich reiche ihr lächelnd die Papiere und schnuppere unbemerkt an der weißen Orchidee, die auf der schmalen Fensterbank zum Wohnzimmer hin hinter der Couch steht – scheint echt zu sein.

Madame Roux setzt sich ihre schmale Brille auf und sichtet Blatt für Blatt, dann lächelt sie. Mit der Brille erinnert sie mich glatt ein bisschen an eine junge Professor McGonagall.

»Conclue, ich darf Sie zu ihrem neuen Haus beglückwünschen.« Sie reicht mir die Hand und ich schüttle sie. Oh Gott, ich habe ein Haus gekauft, wird es mir schlagartig bewusst und mein Herz beginnt mit einem Mal laut und schnell zu hämmern. »Hier habe ich die Schlüssel für Sie. Diese sind für die Eingangstür, diese beiden für den Wintergarten und dieser für die Garage und hier haben wir noch einen für den Briefkasten. Mein Bruder hat ebenfalls noch einen Satz Schlüssel, diese wird er Ihnen spätestens übermorgen in den Briefkasten werfen. Die Möbel sind, so wie wir es besprochen haben, noch da. Was sie nicht brauchen, können sie entsorgen oder verkaufen.« Mein Blick wandert automatisch unter mich auf das geblümte Sofa und ich sage gedanklich Adieu.

»In Ordnung«, antworte ich und nehme ihr den Schlüsselbund ab. Für mehr Gesprächsstoff bin ich gerade nicht zu haben. Ich habe ein Haus gekauft!

»Wenn Sie noch etwas benötigen, dann melden Sie sich. Meine Schwester und ich sind lediglich ab heute Abend für ein paar Tage weg. Nach all dem Stress der letzten Zeit wollen wir uns einen kleinen Wellnessurlaub in Cannes gönnen.«

Ich nicke, ohne wirklich hin zu hören. Verdammt, ein Haus! »Merci. Da wünsche ich Ihnen viel Spaß«, bringe ich gerade so heraus, ohne den Blick von dem schweren Schlüsselbund in meiner Hand abzuwenden.

»Ich habe zu danken. Sollte etwas sein, zögern Sie nicht, anzurufen.« Wieder nicke ich nur, folge ihr zur Gartentür und blicke nach draußen. Das ist jetzt alles meins! Der Pavillon aus Holz, der kleine Teich, das Gewächshaus und die vielen Obstbäume. Ich werde definitiv einen Gärtner brauchen.

Ich begleite sie um mein Haus herum und wir verabschieden uns vor der Einfahrt. Ich kann es gar nicht erwarten, nachher die Möbelspedition zu empfangen und alles einzurichten. Nervös gehe ich zurück und auf mein neues Heim zu. Es sieht noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung habe, selbst das alte Klingelschild hängt hier noch. Das werde ich als erstes austauschen.

Zaghaft öffne ich die weiß gestrichene Tür am Vordereingang und blicke ins Wohnzimmer hinein. Die Möbel, der Kachelofen und das hässliche Bild darüber stehen noch immer an Ort und Stelle, als wäre das Haus wie eh und je bewohnt. Selbst der Fernseher wurde nicht mitgenommen. Mir kommt das sehr gelegen, da ich mir nur das nötigste neu gekauft habe. Soll Gael seine ranzigen Möbel behalten.

Ich streife durch die unteren Räume und kann mich nicht genug sattsehen. Auf dem neuen Gasherd in der Küche koche ich mir eine Kanne Tee. Der Kessel stößt pfeifend einen Laut aus, als das Wasser fertig ist und ich die Teebeutel einhängen kann. Alles meins. Wirklich nett vom Bruder, dass er mir sogar ein paar Lebensmittel dagelassen hat.

Während ich auf die Möbelpacker warte, schreibe ich mir eine kleine Liste, was ich noch besorgen muss. Es gibt weder einen Toaster, noch eine Kaffeemaschine hier unten. Dafür einen Schrank voller Tee, der teilweise bereits abgelaufen ist. Ein wenig wundert es mich doch, dass er wirklich alles zurückgelassen hat. Als ich unterschrieb, die Möbel zu übernehmen, hatte ich nicht damit gerechnet, dass vom Teekessel bis zur Tasse und der Klobürste alles hierbleiben würde. Nun muss ich mehr aussortieren, als mir lieb ist. Keine Ahnung, wie sonst meine restlichen Habseligkeiten, die ich aus Schweden mitgebracht habe und die bisher in einem Mietcontainer lagen, Platz finden sollen.

Während ich mit übereinandergeschlagenen Beinen in der Küche sitze, sehe ich, wie draußen vor dem Fenster ein weißer Transporter in die Einfahrt rollt. Wunderbar, das müssen die Möbelpacker sein, die mein bestelltes Bett und die Sachen aus dem Container bringen. In ein paar Stunden kann ich mich hier ganz wie zuhause fühlen. Zuhause, ein Wort, dass ich dank Gael beinahe verlernt hätte. Natürlich hatten wir auch viele schöne Momente miteinander, sonst hätte ich es niemals solange bei ihm ausgehalten, doch in letzter Zeit überwiegte immer öfter der Streit. Inzwischen frage ich mich, was in mich gefahren ist, dass ich auf die absurde Idee kam, dieses wunderbare Heim mit ihm teilen zu wollen. So ein Blödsinn! Auch wenn wir uns hier hätten aus dem Weg gehen können, wäre es niemals gut gegangen.

Ich öffne den Möbelpackern die Tür und sie beginnen sofort, die ersten Sachen reinzutragen. »Das Bett muss nach oben, den Rest können Sie hier unten abstellen«, informiere ich sie und beginne selbst, ein paar Dinge aus dem Wohnzimmer auszusortieren. Hier liegt so viel Müll in den Schränken rum.

Der Mann nickt mir zu und weist seinen Kollegen an, erst die Sachen fürs Wohnzimmer und zum Schluss das Bett reinzutragen.

Nach einer halben Stunde sieht es in der Wohnstube aus wie auf einem Flohmarkt und ich folge den beiden Männern in die obere Etage. »Das hier wird mein Schlafzimmer«, sage ich und zeige auf die Tür, hinter der früher einmal der Bruder geschlafen haben muss. Mit einem Stoß öffne ich sie und trete rückwärts ein. Puh, hier muss unbedingt gelüftet werden. Was schauen die so? Die Männer bleiben abrupt vor mir stehen und sehen mich stirnrunzelnd an. Worauf warten die? Hier soll gleich ein neues Schlafzimmer entstehen. Ich drehe mich verwundert um, um das Fenster zu kippen und ... Was zur Hölle?

 

Julien

 

Wer macht so einen Krach am frühen Morgen? Wie ich Menschen hasse. Was machen die da? Mit einem Mal sitze ich kerzengerade im Bett und starre auf die hübsche Blondine und die zwei Männer vor mir. »Wer sind Sie?«, frage ich kopfschüttelnd und blicke auf den Wecker neben meinem Bett. Niemand hat mich zu dieser unchristlichen Zeit zu stören, es ist noch nicht einmal zehn Uhr. »Was machen Sie in meinem Haus?« Völlig konfus springe ich auf und raffe die Bettdecke um meine sportliche Hüfte, den Sixpack lasse ich dabei frei, auch wenn die Leute nicht wie einzuschüchternde Diebe aussehen. Mit zwei Schritten bin ich an meinem Kleiderschrank angelangt und ziehe mir meinen Morgenmantel über, ohne die drei Lerchen aus den Augen zu lassen. Die Blondine bläst plötzlich die Backen auf und sieht mich entgeistert an; hat wohl noch nie einen halbnackten Mann gesehen ...

»Ihr Haus? Das ist mein Haus. Was machen Sie hier?«

Ich gähne laut und trete vor sie. Was will die? »He?« Ich hätte gestern weniger trinken sollen. Ich verstehe nur noch Bahnhof. Will die mich veräppeln? Habe ich sie vielleicht gestern mit heimgebracht und es dann vergessen? Nur wer sind die beiden Trantüten hinter ihr dann? »Wer sind Sie überhaupt?« Die Männer hinter ihr fangen allmählich an genervt zu ächzen.

»Mein Gott, nun legen Sie doch bitte die Bretter ab«, erwidert die blonde Schönheit zickig, ehe sie sich wieder mir zuwendet. »Noch einmal. Was machen Sie in meinem Haus?« Mann, kann die schnell gereizt sein.

Ich kratze mich am Hinterkopf und verwurschtle mein kurzes, braunes Haar noch mehr. »Pardon, Madame, aber dies ist mein Haus. Ich wohne hier seit meiner Geburt.« Komische Frau. Vielleicht sollte ich besser die Polizei oder einen Arzt rufen. »Sie müssen ziemlich verwirrt sein. Und wer sind Sie überhaupt? Kann ich Ihnen irgendwie hinaushelfen?«

Offenbar geht der schönen Zicke ein Licht auf, denn sie tippt sich an die Nase und sieht mich plötzlich wissend an. »Sie müssen Monsieur Roux sein.«

»Nein, was? Wie haben Sie das nur herausgefunden? Doch nicht etwa, weil mein Name an der Tür steht?«

Die Blondine setzt einen halten Sie mich etwa für dumm? –Blick auf und sieht mich entrüstet an. Mit ihr ist wahrscheinlich nicht gut Kirschen essen. Und ich dachte immer, meine Schwestern wären zickig. »Ihre Schwestern meinten, Sie seien längst ausgezogen.« Wo ich gerade an den Teufel und seine Dienerin dachte ... »Also noch einmal, was machen Sie hier? Dies ist mein Haus. Ich habe vor drei Wochen den Kaufvertrag unterschrieben und heute die Schlüssel erhalten.«

Wie bitte? Das haben diese zwei Biester nicht gewagt. Nein! Das kann nicht wahr sein. »Raus«, befehle ich kurz angebunden und klatsche der Blondine die Tür vor der Nase zu und schließe sie ab. Wie konnten die es wagen? Wenn ich diese Furien in die Finger kriege ...

Ein lautes Klopfen und Hämmern dringt zu mir durch. »Lassen Sie mich sofort rein oder ich rufe die Polizei!«

Mein Kopf dröhnt und ich packe mir an den Schädel. Wie konnten sie ihre Drohungen wahrmachen? Ich hielt es für einen schlechten Scherz, als sie sagten, sie hätten es verkauft. Diese Biester!

Völlig verwirrt drehe ich den Schlüssel um und schaue abermals in die eisigen Augen der Blonden. Die beiden Männer hinter ihr starren in die Luft, als könnten sie der Diskussion so entgehen. »Und Sie sind?«, frage ich so ruhig wie möglich.

»Isabelle Moreau«, antwortet sie eine Spur sanfter. Doch dann gewinnt sie ihre kühle Strenge zurück. »Und nun bitte ich Sie, tunlichst dieses – mein Haus – zu verlassen.«

»Und wo soll ich bitteschön hin?«

»Ich denke nicht, dass das mein Problem ist. Was machen Sie überhaupt noch hier?« Man sieht förmlich, wie ihr Puls auf hundert ansteigt und ihre Wangen rot glühen. Irgendwie sexy.

»Sagen wir, ich wurde in gewisser Weise im Dunklen gelassen. Und noch etwas, ich werde ganz sicherlich nicht gehen.« Erneut schlage ich die Tür zu, gieße mir einen Schluck Brandy ein und lasse mich auf mein Bett fallen, während die Furie draußen gegen die Tür hämmert. »Ich ersetze Ihnen die aber nicht«, brülle ich laut, ehe ich mein Handy greife und versuche, irgendwie die beiden Biester zu erreichen, die natürlich nicht drangehen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739475554
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Liebesroman Adventsgeschichte liebeskomödie romantic suspence Romantic thrill Weihnachtsromanze Weihnachtsgeschichte Humor

Autoren

  • Lisa Summer (Autor:in)

  • Lisa Wüllenweber (Herausgeber:in)

Lisa Summer, Jahrgang 92' liest und schreibt im schönen Bayern. Ihre Bücher sind dabei so authentisch wie sie. Lisa liebt das Reisen, die Kunst und zu trashiger 90erjahre-Musik abzutanzen. Ihre Karriere begann sie als Lisa M. Louis, unter diesem Namen schreibt sie heute noch Young-Adult Dystopien.
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Titel: French Desire