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Bauer gesucht, Traummann gefunden

von Lisa Summer (Autor:in)
200 Seiten
Reihe: Eifelliebe, Band 2

Zusammenfassung

Kühe, Hühner, Pferde und Bauer Theo –
Alles was Nina fürchtet. Und ausgerechnet auf seinem Hof soll sie einen Kindergeburtstag planen.

Ninas Leben steht Kopf. Die Event-Agentur, in der sie arbeitet, steht kurz vor der Pleite. Statt Luxus-Hochzeiten und riesigen Events soll sie nun Kindergeburtstage für die High Society der Eifel planen.
Und das ausgerechnet auf dem Bauernhof von Theo, den sie noch aus ihrer Kindheit kennt und alles andere als gute Erinnerungen an ihn hat. Doch dann stellt sich Theo nicht nur als gut aussehender Bauer, sondern auch als ziemlich sympathisch heraus. Alles könnte perfekt sein, wäre da nur nicht ihre Angst vor Tieren ...

Band 2 der Eifelliebe-Reihe spielt in Nideggen.

Alle Teile der Eifelliebe-Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden, es macht jedoch mehr Spaß, sie in Reihenfolge zu lesen.

Bisher erschienen:
Observe - Die neue Welt
Observe - Die andere Seite
Ich kann dich verdammt gut riechen
British Love
Swedish Kisses
French Desire
Italian Feelings
High Seas - Leidenschaft auf hoher See
High Seas - Verloren im Paradies
Die Farben meiner Hoffnung
Liebespost vom Weihnachtsmann

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Danke für Nichts

 

»Nina, könnten Sie kurz in mein Büro kommen? Es wartet Arbeit auf Sie.«

Ich streckte den Rücken durch und blickte in das müde Gesicht meiner Chefin, die sich gleich darauf umdrehte und zurück durch die Tür stakste. »Natürlich«, sagte ich seufzend und folgte ihr. Die letzten drei Wochen lief es ziemlich mau für die Agentur. Wir hatten uns voll darauf konzentriert, ein Musikfestival zu organisieren sowie eine Reihe von Hochzeiten für eine Fernsehshow, und dann – dann ist beides ins Wasser gefallen. Die TV-Show abgesetzt und das Festival ist dank drei Tage Dauerregen an dem Wochenende tatsächlich baden gegangen. Seitdem hatte meine Chefin ihre gute Laune verloren und ließ dies gerne mal an mir aus, als wäre es meine Schuld gewesen, dass die Hochzeitsshow aus dem Programm gestrichen wurde.

Frau Krüger saß schon wieder mit übereinandergeschlagenen Beinen hinter ihrem Schreibtisch und sah mich streng an. Doch dann lächelte sie. »Ich weiß, wir hatten es nicht leicht in den letzten Wochen und ich war oft etwas zu grantig zu Ihnen, aber nun scheint es ja wieder bergauf zu gehen.« Der Knoten ihres Haares saß fest, während sie sich nach vorne beugte und in ihren Unterlagen herumwühlte. »Ah, hier ist er ja.« Sie hielt mir eine gelbe Mappe mit dem neuen Auftrag hin. Gelb – das waren Geburtstage. Normalerweise plante ich Hochzeiten.

Ich schlug die erste Seite, auf der der Auftrag stand, auf und runzelte die Stirn. »Seit wann organisieren wir auch Kindergeburtstage? War Ihr Motto nicht immer ›Party erst ab sechzehn‹?«

Frau Krüger wackelte mit dem Kopf. »Schwierige Zeiten erfordern manchmal unangenehme Maßnahmen. Kümmern Sie sich darum. Die Eltern sind langjährige Kunden von uns, auch wenn wir bisher eher Dinnerpartys mit extra Showeinlagen für sie veranstaltet haben.« Dinnerpartys − dann konnten sie nicht arm sein.

Ich blätterte durch die Seiten. Die reichen Schnösel waren immer die kompliziertesten Kunden. Leider aber auch die, die am besten zahlen konnten. »Was genau stellen die sich für die Feier vor?«

»Steht auf Seite drei. Sie wollen die Feier gerne auf einem Bauernhof organisiert haben, die Zwillinge wünschen es sich so. Trotzdem soll auf ein wenig Prunk nicht verzichtet werden. Also denken Sie sich etwas Hübsches aus. Die Familie erwartet einen ersten Entwurf ihres Plans am Montag, dann können Sie ihnen auch die Location zeigen.«

Innerlich seufzte ich, während ich die Augenbrauen hob und zurück zu meinem Schreibtisch ging, den Auftrag weiterhin studierend. Ponnyreiten, Hüpfburg, Melken und Tiere streicheln standen ganz oben auf der Wunschliste. Außerdem sollte jemand die Kinder schminken und es musste für ein reichhaltiges Buffet gesorgt sein. Puh – was Kindergeburtstage anging, kannte ich mich null aus. Bis jetzt hatte ich nie viel mit Kindern zu tun gehabt, vielleicht lag es daran, dass ich selbst so schnell erwachsen werden musste.

Ich setzte mich an den Computer und googelte nach passenden Bauernhöfen. Tatsächlich gab es einige Erlebnisbauernhöfe in der Region, die solche Sachen anboten. Mein Blick fiel wieder auf die Unterlagen – hundertfünf Kinder plus Eltern ... wollten die die ganze Schule einladen? Wie alt waren die Kleinen überhaupt? Ich blätterte wieder ein paar Seiten zurück. Der sechste Geburtstag stand an. Dann war es vermutlich tatsächlich der ganze Kindergarten.

Ich griff zum Telefon und klingelte mich durch die einzelnen Leitungen. Ferienhof Marx war für das Wochenende ausgebucht, genauso der Victorhof. Die nächsten drei hatten keinen Platz für so viele Kinder und zwei andere arbeiteten grundsätzlich nicht mit Agenturen zusammen. Das konnte noch ein schöner Spaß werden.

Als die Uhr endlich fünf anzeigte, gab ich die Suche vorerst auf. Beinahe zwei Stunden hatte ich in den Leitungen gehangen und noch nicht eine Zusage erhalten. Der Geburtstag sollte bereits in acht Wochen stattfinden, viel zu früh, um so schnell noch etwas zu finden.

Ich kannte viele Höfe von früher. Meine Eltern waren gefühlt mit fast allen Landwirten in der Eifel befreundet gewesen, aber keiner hatte einen Eventhof, der auf solche Feierlichkeiten ausgelegt war. Theoretisch war es kein Problem, alles extra zu organisieren, solange das nötige Kleingeld stimmte.

Sachte klopfte ich an Frau Krügers Tür. Sie sah mich genervt an, als ich eintrat. »Was ist denn? Haben Sie nicht schon Feierabend?«

»Ja, ich will auch gleich gehen. Es geht um den Kindergeburtstag.« Ich wedelte mit der gelben Mappe in der Hand.

»Was ist damit?«

»Kein einziger Bauernhof in der Region hat die nötigen Kapazitäten an dem Wochenende. Meinen Sie, die Eltern wären bereit, den Termin weiter nach hinten zu verlegen? Acht Wochen sind wirklich nicht mehr lang.«

»Das bezweifle ich, sie feiern bereits zwei Wochen nach dem tatsächlichen Geburtstag, damit das Ganze vor die Sommerferien fällt. Tut mir leid, Nina, aber diese Kunden sind wichtig, also lösen Sie das Problem!«

Innerlich rollte ich mit den Augen. »Ich könnte bei den normalen landwirtschaftlichen Betrieben nachfragen, ob jemand für eine solche Veranstaltung Platz und Zeit hätte, aber das würde auch bedeuten, dass wir sehr viele Externe anmieten müssten. Sie wissen, was das kostet. Eventuell müssen wir auch an den Ställen etwas verändern, es muss alles sauber sein.«

»Nina, hören Sie auf zu reden und kommen Sie her.« Meine Chefin winkte mich ungeduldig zu sich und zeigte auf ein Feld ganz unten im Vertrag auf ihrem Bildschirm. »Sehen Sie diese Zahl? So viel ist Familie von Thunstein bereit, zu zahlen. Was sagt Ihnen das?« Eine Antwort ließ sie nicht zu. »Genau, dass wir tun können, was wir tun müssen. Die von Thunsteins sind nicht nur adlig, sondern vor allen Dingen auch Unternehmer. Die wissen, was ein gutes Event kostet. Also finden Sie gefälligst einen Bauernhof oder eröffnen Sie selbst einen, wenn es sein muss. Und nun, genießen Sie den Feierabend. Bis Freitag will ich eine Location haben.«

Ich schluckte. Freitag war in zwei Tagen. »Ich krieg das schon irgendwie hin«, murmelte ich mehr zu mir selbst als zu ihr.

Im Februar hatte ich die Agentur gewechselt und langsam war ich mir nicht mehr sicher, ob das wirklich sinnvoll war. Die Bezahlung hier war zwar wesentlich besser und es gab saftige Provisionen, aber dafür hatte ich nun Frau Krüger am Hals. Sie war uns Angestellten eine Furie gegenüber, doch die Kunden liebten sie. Sie arbeitete nur mit der High Society aus NRW zusammen. Events für Unternehmen standen ganz oben auf ihrer Liste. Aber auch Hochzeiten für Prominente, die ich normalerweise mitorganisierte, gab es schon viele. Die letzten Monate waren wir vor allem mit der TV-Show beschäftigt und mussten deshalb sogar einige Aufträge ablehnen. Und nun hatten wir den Salat.

Ich stieg in meinen Mini und ließ meine rote Tasche auf den Beifahrersitz fallen. Dann schnallte ich mich an und düste los. »Siri, rufe Lena an«, sagte ich deutlich und im nächsten Moment sprang das Display meines iPhones an und Lenas Bild erschien darauf.

»Hey Süße, was gibt’s?« Es tat immer gut, ihre Stimme zu hören.

»Hey, hast du gerade Zeit, oder störe ich?«

»Ne, passt schon. Hab gerade nicht viel zu tun.« Seit Lena mit meiner alten Agentur eine neue Auftraggeberin für ihren Grafikservice eingefangen hatte, lief es relativ gut die letzten Monate für sie. Zusätzlich hatte sie sich noch ein zweites Standbein als Coverdesignerin aufgebaut, um gut über die Runden zu kommen.

»Ich wollte bloß wissen, ob für Janas Party schon alles steht. Hast du gefragt, ob wir den kleinen Raum in der End Art mieten können? Ansonsten würde noch das Festzelt bei deiner Tante gehen. Aber das ist halt ziemlich im Nichts. Da wäre Düren besser. Es kommen ja doch viele aus Köln, die dann nachts mit dem Zug zurückwollen.«

»Alles gut. End Art geht klar. Ich weiß, du bist eigentlich unsere Planerin, aber ich kriege das schon hin. Die Einladungskarten sind auch fertig. Das wird ein geiler fünfundzwanzigster Geburtstag. Warum hab ich eigentlich nicht so eine große Feier bekommen?«

»Weil deine Familie dir den Spaß nicht zum Examen geschenkt hat«, sagte ich schnippisch und wir mussten beide lachen. Jana hatte, was das liebe Geld betraf, sich tatsächlich noch nie Sorgen machen müssen.

»Stimmt auch wieder ... also von meiner Seite aus klappt alles. Was gibt es sonst Neues bei dir? Du klingst gestresst.« Gestresst war das falsche Wort. Eher genervt.

»Ich soll einen Kindergeburtstag organisieren. Verdammt, ich bin Hochzeitsplanerin und Eventmanagerin, keine Nanny. Was denkt sich die Krüger? Und, halte dich fest, der ganze Mist soll auf einem Bauernhof spielen. Du weißt, was für eine Hölle das für mich ist. Wie kann diese Familie nur freiwillig ihre Kinder dem Untergang weihen?« Ich bremste etwas zu heftig an der roten Ampel und sah die Fußgänger störrisch an. Konnten die nicht schneller machen?

»Ach Nina, sei nicht kindisch. Hast du deiner Chefin gesagt, was damals passiert ist?«

»Nein, und das geht sie auch nichts an. Wer hat schon Angst vor Tieren? Ich hoffe nur, dass es keine Ziegen dort gibt. Mit dem Rest kann ich inzwischen immerhin halbwegs leben. Aber ich habe sowieso noch keine Location. Alle Ferien-, Event- und Erlebnisbauernhöfe, oder wie sie sich sonst noch nennen, sind ausgebucht oder zu klein. Rate mal, wie viele Personen kommen sollen.«

»Keine Ahnung. Bei einem Kindergeburtstag vielleicht zwanzig. Oder vierzig mit Eltern?«

Ich schnaubte. »Häng noch eine Null hinter die zwanzig. Zweihundert! Lena, zweihundert Gäste für eine Kinderparty. Hundertfünf Kinder plus Eltern. Das ist doch krank. Und die haben ein Budget von zweihundert Euro pro Kopf angegeben. Das sind 40.000 Euro für einen Kindergeburtstag, und dann kommt unsere Provision noch oben drauf.«

»Um Himmelswillen. Sind das irgendwelche Promis und das kommt wieder im Fernsehen?«

»Dann könnte man das ja noch halbwegs verstehen, aber ne, so adlige Unternehmer aus Nideggen. Glaube Baugewerbe.«

»Aber was wollen die denn auf einem Bauernhof? Feiert man da nicht eher auf einem Schloss? Die könnten sich doch auch das Spieleland in Bubenheim mieten. Die Eltern können sich in der Burg entspannen und die Kinder auf dem Spielplatz austoben.«

Ich bog in meiner Straße ein, schaltete den Motor ab und nahm das Handy an mein Ohr. »Frag mich nicht. Wahrscheinlich haben die im Kindergarten gerade Bauernhoftiere durchgenommen oder so. Am Montag werde ich mich mit denen treffen. Zumindest, wenn ich bis dahin eine Location habe. Fällt dir denn noch eine ein?«

»Du bist die Bauernhof-Expertin, ich bin da überfragt«, gestand meine beste Freundin.

Ich knallte die Fahrertür zu, lief zum schmalen Haus, in der meine Wohnung lag und öffnete die Tür.

»Na ja, ich bin jetzt daheim. Falls dir doch ein Hof einfällt, kannst du dich ja melden. Ansonsten steht unser Date am Samstag zum Brunchen noch, oder?« Ich betrat meine Wohnung und schmiss den Schlüssel achtlos auf die Malm Kommode im Flur.

»Ja, Jana hat auch Zeit. Wo wollen wir hin?« Die nächste gute Frage.

»Ich hätte noch mal Lust auf Extrablatt, aber ich weiß nicht, ob das nicht zu weit weg ist. Ansonsten könnt ihr aber auch gerne zu mir kommen. Bei dir wird es ja bestimmt nicht gehen, oder seid ihr schon mit Renovieren des Anbaus fertig?«

»Schön wäre es. Wir hätten beinahe eine tragende Wand am Wochenende eingerissen. Zum Glück hat Flos Vater das noch rechtzeitig gemerkt. Aber wir arbeiten auch gerade beide in Vollzeit, auch wenn das für mich mit dem ganzen Baustaub nicht leicht ist. Ich geh jetzt oft runter zu seiner Mutter und setz mich dort in die Küche. Glücklicherweise soll mein Arbeitszimmer als erstes fertig werden.«

»Ich drück dir die Daumen. Dann kommt einfach zu mir am Wochenende. Ich muss jetzt Schlussmachen. Mein Magen treibt mich in den Wahnsinn. Ich hab bestimmt seit neun Stunden nichts mehr gegessen. Wir sehen uns dann«, meinte ich.

»Ja, und erzähl nächste Woche, wie es mit dem Bauernhof lief. Klappere doch mal die normalen Höfe ab. Die stehen bestimmt im Telefonbuch.«

Ich lächelte in mich hinein. Damit stand mein Plan für den morgigen Tag wohl fest. »Mach es gut.«

»Tschüss.«

Geschafft wusch ich mir die Hände und ließ mich auf meine Couch sinken. Im Fernsehen lief nichts, also machte ich Netflix an und ließ irgendeinen Film im Hintergrund laufen, während ich mir eine Pizza in den Ofen schob. Zum Kochen war ich heute zu kaputt – oder zumindest zu sehr mit den Nerven am Ende. Warum musste es ausgerechnet ein Bauernhof sein? Ich hasste diese Dinger, auch wenn ich selbst auf einem großgeworden war. Aber die kleine Nina, die sich von einer Herde Ziegen fast tottrampeln ließ, die gab es nicht mehr. Diese kleine Nina hatte ich abgelegt, als meine Eltern starben und ich endlich von diesem schrecklichen Hof und seinen Tieren wegkam. Ich hatte mir damals geschworen, niemals mehr den Fuß auf einen Hof mit Tieren, einem Tierpark oder sonst irgendetwas in dieser Art, zu setzen. Und nun sollte ich eine Feier mit Ponyreiten, Melken und Tierestreicheln organisieren. Meine persönliche Hölle wartete auf mich.

 

Theo, spann den Wagen an

 

Langsam bekam ich die Krise. Meine ganz persönliche Bauernhof-Krise, als hätte ich die nicht schon seit meiner Kindheit gehabt. Nach mehreren erfolglosen Telefonaten am Morgen hatte ich mich dazu entschieden, die nächsten Höfe persönlich zu besuchen, in der Hoffnung, dass die Besitzer mich noch aus meiner Kindheit kannten und so etwas offener für ein Gespräch waren. Bisher hatten nämlich alle gleich wegen zu hoher Auflagen abgesagt, dabei war ich mir sicher, alles so hinzubekommen, dass es passte und mir die eventuell nötigen Bescheinigungen von der Stadt zu besorgen.

Ich fuhr auf den dritten Hof in Nideggen, dessen Tor weit geöffnet stand und parkte vor dem Haupthaus. Die Mayers waren damals ziemlich eng mit meiner Mutter befreundet gewesen, mit meinem Vater kamen sie nicht so gut klar. Trotzdem waren wir oft hier zu Besuch. Vor allem die Großeltern hatten mich stets wie ihre eigenen Enkel behandelt. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie die ganze Familie auf die Beerdigung meiner Eltern kam. Seitdem hatten wir uns nicht mehr gesehen.

Etwas nervös, auch wenn ich selbst nicht genau sagen konnte, warum, stieg ich aus und sah mich um. Zweihundert Leute hätten hier locker Platz und Pferde hatte ich auf der angrenzenden Koppel ebenfalls bemerkt. Ich ging rüber zum Eingang des Haupthauses und klingelte. In der Küche brannte Licht. Als Kind war ich so oft hier. Die Mayers waren wie Familie für mich gewesen, bis sich der Kontakt irgendwann verloren hatte, als ich älter wurde.

Ich hielt meine Hand über die Augen und versuchte durch die grüngestrichenen Gitter, die vor dem Fenster hingen, an der Gardine vorbei nach drinnen zu gucken. Außer einer getigerten Katze, die auf dem Tisch lag, war niemand zu sehen. Schulterzuckend drehte ich mich um und blickte über den Hof. Rechts von mir waren zwei Ställe. Früher hatten die Mayers hier Hühner und im großen Stall ein paar Kühe stehen, mit denen sie sich nur selbstversorgt hatten. Inzwischen schien am Ende des Stalls noch angebaut worden zu sein. Auf der anderen Seite des Haupthauses war immer ein Schuppen gewesen, in dem die Traktoren gestanden hatten. Jetzt war dort ein großes, neues Schiebetor angebracht, das mir die Sicht versperrte. Gegenüber mussten heute noch mehr Ställe sein, zumindest sah es von hier aus so aus. Mir fiel auf, dass auch das Haupthaus renoviert war. Draußen erstrahlte es wie frisch gestrichen und auch die Küche sah sehr viel moderner aus, als ich sie in Erinnerung hatte.

Ich lief rüber zu den Ställen und zog die schwere Holztür auf. Vertrauter Geruch schlug mir entgegen und trieb mir Tränen in die Augen. Seit dem Autounfall hatte ich ihn nicht mehr so bewusst wahrgenommen. Ich wischte mir eine Träne mit dem Handrücken weg und rieb mir die Augen. Fast zehn Jahre war der Unfall inzwischen her und seit mindestens fünfzehn Jahren war ich nicht mehr hier gewesen.

Alles sah viel neuer aus als in meiner Erinnerung. Die Hühner hatten sich sichtlich vermehrt und ihr Gegacker drang in meine Ohren. Nach hinten hin konnten sie offenbar raus auf die angrenzende Wiese neben dem Haus. Früher hatte das Grundstück den Nachbarn gehört − falls man bei mehr als zweihundert Metern Entfernung davon sprechen konnte − offenbar hatten sie es inzwischen abgegeben.

Ich drehte mich um und starrte auf eine Melkanlage. Also hatten Mayers sich ihren Traum noch erfüllt. Ich hatte so ein Teil noch nie benutzt, bei uns ging damals alles noch per Hand. Hinter mir bemerkte ich plötzlich Schritte und einen Schatten im Fenster. Im nächsten Moment spürte ich den Windzug der sich erneut öffnenden Stalltür.

»Was machen Sie hier?« Die Stimme klang tief und viel arroganter als die des alten Herrn Mayer.

»Ich möchte zu Herrn Mayer und−«, ich brach ab, als ich mich umdrehte und in ein vertraut verhasstes Gesicht blickte. »Theo?«, fragte ich mit gerunzelter Stirn.

Theo sah mich kurz eindringlich an, stutzte dann leicht und lehnte seine Heugabel am Türrahmen an. »Nina? Was machst du hier? Mein Vater ist vor drei Jahren abgehauen, was willst du von ihm?«

Ich schüttelte überrascht den Kopf. »Wieso dein Vater? Ich wollte eigentlich zu deinem Großvater, Igor. Kannst du mich zu ihm bringen? Ich muss etwas Wichtiges mit ihm besprechen.«

Theo neigte den Kopf und starrte kurz auf seine Stiefel. »Opa ist seit sechs Jahren tot. Lebst du immer noch dermaßen in deiner eigenen kleinen Welt, dass du nichts um dich herum mitbekommst?«

Jetzt kam ich mir richtig beschissen vor. Seine Großeltern hatten so viel für mich getan, mir sogar bei der Beerdigung geholfen, und ich wusste nicht einmal, dass Igor verstorben war. »Und deine Oma?«

Theo strich sich durch sein schwarzes, verstrubbeltes Haar und griff nach der Heugabel, um sich auf ihrem Stiel abzustützen. »Ist ihm ein Jahr später gefolgt.« Bitterkeit und Trauer schwangen in seiner Stimme mit.

»Das tut mir so leid«, sagte ich und ging einen Schritt auf ihn zu.

Er richtete sich sofort wieder auf und drückte den Rücken durch. »Das muss es nicht. Ist ja nicht deine Schuld. Opa hatte Blasenkrebs und Oma ... ich glaube, sie hat die Einsamkeit umgebracht. Ich bin jetzt für den Hof zuständig. Wir hatten erst überlegt ihn zu verkaufen, aber dann hab ich meiner Mutter gesagt, dass ich das hier schon hinbekomme. Sie hilft am Wochenende und nachmittags im Hofladen. Aber deswegen bist du bestimmt nicht hier. Also, was willst du?« Theo und ich waren damals alles andere als beste Freunde gewesen, obwohl wir im gleichen Alter waren. Ständig hatte er mich mit meiner Angst aufgezogen. Kam ja auch nicht oft vor, dass ein Bauerskind Angst vor den eigenen Tieren hatte.

»Ähm, ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast«, begann ich, unschlüssig, wie ich ihm am besten die Situation erklären sollte. »Ich bin inzwischen Eventmanagerin und aktuell auf der Suche nach einem Bauernhof für eine größere Geburtstagsfeier.«

»Willst du hier nen Kindergeburtstag veranstalten, oder was?«

Ich nickte. »Sozusagen. Nur in einer etwas anderen Größenordnung als man das normalerweise tut.«

Theo hob skeptisch die Augenbrauen. »Und die wäre?«

»Puh«, machte ich und sah bereits die nächste Absage auf mich zu steuern. »So zweihundert Personen mit allem Pipapo ...«

»Ein Kindergeburtstag, für zweihundert Personen? Sind das Madonnas Kinder oder was?«

Verlegen kratze ich mich am Hals. »So ähnlich ... reiche Unternehmerfamilie. Es würde auch gut was für dich rausspringen.«

Er leckte sich über die vollen Lippen. »Wie viel?«

Ich zuckte mit den Schultern. Die Location war eigentlich immer das teuerste mit Essen und Getränken. »Zehntausend? So ungefähr?«

Ihm klappte der Mund auf. Doch dann schloss er ihn wieder und musterte mich. Ich hasste es, wenn man mich zappeln ließ. »Zehntausend ... okay. Das ist – viel. Hast du eine Karte oder so? Dann bespreche ich das mit meiner Mutter und unseren zwei Angestellten.«

Automatisch huschte ein Grinsen über mein Gesicht, das sofort erstarb, als neben mir eine Kuh muhte und mir kurz einen kleinen Schreckensschauer über den Rücken trieb. Ich zuckte zusammen, fing mich aber zum Glück wieder recht schnell. Trotzdem schien ihm meine Regung nicht entgangen zu sein.

»Immer noch Angst, was?« Theo verdrehte die Augen und mir wurde wieder bewusst, wie sehr ich seine Anwesenheit als Kind verachtet hatte.

»Glaub mir, hättest du auch, wenn du dasselbe wie ich erlebt und deine Einschulung verpasst hättest, weil du mit gebrochenen Rippen bewusstlos im Krankenhaus lagst.«

Sein Kehlkopf trat deutlich hervor, als er schluckte. »Das hast du nie erzählt.«

»Ging dich ja auch nichts an«, konterte ich und wühlte in meiner Tasche nach dem Etui, in dem meine Visitenkarten steckten. »Hier«, sagte ich, als ich es endlich gefunden hatte und ihm ein Kärtchen entgegenstreckte.

Er nahm sie entgegen und kurz berührten unsere Fingerspitzen sich. Dabei verpasste er mir einen kleinen elektrischen Schlag. Instinktiv zog ich meine Hand von ihm weg und er sah mich wieder misstrauisch an. Dann schüttelte er den Kopf, als wäre ich verrückt. »Ich melde mich bei dir, sobald ich mehr weiß.«

Ich nickte. Immerhin bestand hier die kleine Hoffnung, dass er ja sagen würde. Die Renovierungen hatten mit Sicherheit ein großes Loch in die Kasse gerissen, und von der Größe her würde es perfekt passen.

»Ich muss jetzt weitermachen. Aber du hörst von mir, versprochen.« Theo schien mich zu mustern. Es überraschte mich, dass er mich überhaupt erkannt hatte. Ich dachte, ich hätte mich sehr verändert.

»Danke. Es ist wirklich nicht leicht, dermaßen kurzfristig etwas zu finden. In zwei Monaten soll es schon soweit sein.«

»Verstehe. Wie gesagt, ich melde mich.« Er ging an mir vorbei in Richtung der Kühe und ließ mich allein zurück.

Tief einatmend hielt ich draußen inne und genoss die saubere Luft. Es kam mir vor, als hätte ich drinnen den Atem angehalten. Zwar roch man auch hier noch deutlich den Stallgeruch, jedoch lange nicht so stark wie drinnen. Ich blieb vor meinem Wagen stehen und versuchte mir vorzustellen, wie alles für die Feier aussehen könnte. Eine Hüpfburg dort hinten, daneben der Stand zum Schminken. Vor dem ehemaligen Schuppen könnten wir einen Toilettenwagen stellen und vor dem Haupthaus das Buffet aufbauen. Ein Zapfwagen für die Getränke war sicherlich auch sinnvoll. Die Damen wollten bestimmt Wein und Champagner, aber für die Männer wäre ein Fass Bier sicherlich nicht schlecht. Aber das würde ich alles noch mit der Familie von Thunstein besprechen. Jetzt hoffte ich erst einmal, dass Theo schnellstmöglich zurückrufen und zusagen würde. Es war nur eine kurze Veranstaltung. Ein paar Tage Vorbereitung am Hof und das Fest selbst. Solange würde ich es hoffentlich mit ihm und seinen Sticheleien aushalten. Immerhin würde in zwei Monaten die ganze Aufregung schon wieder rum sein.

 

Der Deal ist im Sack

 

Nervös blickte ich auf mein Handy. Ich hatte Theo gestern Abend noch einmal versucht anzurufen, doch die Telefonnummer, die ich noch von damals hatte, war nicht mehr aktuell. Ob er schon mit seiner Mutter gesprochen hatte? Aber wieso meldete er sich dann nicht? War ihm nicht klar, wie wichtig dieser Auftrag für mich war, und auch für seinen Hof sein könnte?

»Haben Sie alles erledigt?«

Ich schluckte. Meine Chefin lugte durch die angelehnte Tür und sah kritisch vom Stapel Papiere in ihrer Hand auf. Ich hatte gehofft, sie wäre heute besser drauf. Meine Kollegin hatte mir erzählt, dass gestern ein weiterer großer Auftrag hereingeflattert war, also sollte es doch keinen Grund mehr für sie geben, so miesepetrig zu sein. Keinen Grund – außer meinem eventuellen Versagen. Panik machte sich in mir breit. Was sollte ich ihr erzählen? »Also ... ich warte noch auf einen Rückruf, aber wenn das klargeht, dann haben wir die perfekte Location. Ich kenne den Bauern sowie seine Familie und bin daher zuversichtlich«, fügte ich bei, auch wenn das nicht zu hundert Prozent der Wahrheit entsprach. Theo war gestern so kühl wie immer gewesen. Keine Spur davon, dass er meinetwegen mitmachen würde – außer, als ich das liebe Geld erwähnte hatte. Wenn seine Großeltern nur noch leben würde. Den ganzen gestrigen Abend hatte ich an sie gedacht – wie Igor mich als Kind auf dem Traktor mitgenommen hatte oder mit mir, vor dem Unfall, die Kühe gefüttert hatte. Ob die dicke Berta noch lebte? Sie war seine Lieblingskuh gewesen. Und wie oft hatte ich der Oma beim Kartoffelschälen geholfen oder die Milch in Krüge abgefüllt und im wöchentlich geöffneten Hofladen verkauft.

Meine Chefin musterte mich. Sie wusste nichts von meiner Vergangenheit als Landei. Bestimmt fragte sie sich, woher ich den Bauern kannte. »Kümmern Sie sich drum. Ich habe eben mit der Familie von Thunstein telefoniert und sie möchte die Location kommende Woche besichtigen, also sorgen Sie dafür, dass bis dahin alles klar geht, wenn Sie hier weiterarbeiten möchten.«

Ich riss die Augen auf. Hatte sie mir gerade gedroht? Langsam bereute ich es zunehmend, die Agentur gewechselt zu haben. Meine alte Chefin war ein Sonnenschein gegen sie und vielleicht war die Bezahlung damals doch gar nicht so schlecht gewesen.

Ich stieß einen Seufzer aus, als sie die Tür schloss und blickte ein weiteres Mal hoffnungsvoll auf mein iPhone. In dem Moment ploppte eine unbekannte Nummer auf dem Display auf. Das musste Theo sein. Ich nahm ab.

»Fuchs«, meldete ich mich.

»Nina, Theo hier. Kannst du auf einen Kaffee vorbeikommen?«

Verwundert über seine höfliche Art nickte ich erst nur, bis mir einfiel, dass ich auch etwas sagen musste. »Ja, natürlich. Ich fahre gleich los und bin dann in einer halben Stunde da.«

»Gut, ich warte auf dich. Bis gleich.«

Aufgelegt. Ich starrte aufs Handy und speicherte mir rasch seine Nummer ein. Kaffeetrinken, dass klang so gar nicht nach Theo. Trotzdem schien es mir ein gutes Zeichen zu sein. Warum sonst sollte er mich zu sich beten, wenn nicht, um über die Feier zu sprechen? Ich räumte meine Unterlagen zusammen und meldete mich bei Frau Krüger ab. Vermutlich war sie ganz froh, dass es in Sachen von Thunstein voranging.

Nideggen war nicht weit entfernt. Ich brauchte bloß etwas über eine Viertelstunde von der Arbeit aus, wenn die vielen Baustellenampeln auf den Dörfern nicht alle rot zeigten. Der Bauernhof lag vor dem Ortseingang mitten im Nichts. Immerhin, sollte hier eines der Kinder weglaufen wollen, brauchten wir bloß hinaus auf die umliegenden Felder blicken. Außer ein paar Windrädern gab es hier wenig, wohinter man sich hätte verstecken können.

Ich parkte an derselben Stelle wie gestern. Theo saß auf einer Bank, die unter dem Küchenfenster stand und beobachtete mich. Heute sah er fast schon förmlich aus. Statt in seinem Arbeitsoverall war er in Hemd und Jeans gekleidet, was ihm zugegeben wesentlich besser stand. Er winkte mich zu sich und überraschenderweise huschte mir ein Lächeln übers Gesicht, als ich sah, dass er sich die Haare gemacht hatte. Das war aber schon geschäftlich und kein Date oder so etwas? Nun kam ich mir blöd vor.

»Hey«, sagte ich und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Wann hatte ich ihn das letzte Mal in Straßenkleidung gesehen? Das war vermutlich auf der Beerdigung meiner Eltern gewesen. Sonst war er immer in Arbeitssachen herumgelaufen, wenn ich hergekommen und er auch hier war. »Also, hast du dich entschieden?«, fiel ich mit der Tür ins Haus. Ich wollte ungern mehr Zeit als nötig auf dem Hof mit all seinen Ungeheuern verbringen – geschweige denn in Theos Nähe. Seine Sticheleien am Vortag hatten mir gereicht.

»Hast du es eilig?«, fragte er ruhig. »Ich dachte mir, bei Kaffee und Kuchen lassen sich die Formalitäten besser besprechen.« Er stand auf und nickte zur Tür neben sich.

Es war bereits um drei und ich hatte seit dem Frühstück nichts gegessen. Da klangen Kaffee und Kuchen ziemlich einladend.

Er hielt mir die Tür auf und wir setzten uns an den gedeckten Tisch neben dem kleinen Ofen an der Wand. Er war vermutlich das einzige Teil, das aus der Küche in meiner Erinnerung geblieben war. »Habt ihr das ganze Haus renoviert?«

Theo schüttete mir Kaffee ein. »Nein, oben sind wir noch immer nicht fertig. Aber vielleicht lasse ich es auch so. Außer dem Bad nutzen wir die meisten Räume sowieso nicht. Die Instandhaltung hat bisher schon mehr als genug Geld gefressen, ganz zu schweigen von der neuen Melkmaschine und der Stallerweiterung.«

»Sieht aber hübsch aus«, sagte ich mit Blick auf die neuen Küchengeräte. Sicherlich hatte seine Mutter bei der Einrichtung die Finger im Spiel gehabt. Man erkannte doch einen weiblichen Touch. Außerdem konnte ich mir kaum vorstellen, dass er alleine hier für Ordnung sorgte. Oder war er inzwischen verheiratet? Doch dafür gab es keine Hinweise.

»Danke«, meinte er verlegen und schob das Service mit Zucker und Milch zu mir rüber.

Ich nahm mir etwas Milch und musste kurz überlegen, wieso ich eigentlich hier war. Seine plötzliche Fürsorge und Gastfreundschaft waren dermaßen ungewohnt, dass sie mich völlig aus dem Konzept brachten. Der Kindergeburtstag ... genau. »Hast du über mein Angebot nachgedacht?«

»Natürlich, wer würde über ein Angebot dieser Summe nicht nachdenken?« Jetzt klang er wieder so süffisant, wie ich es gewohnt war. Wenn er wüsste, wie viele Absagen ich bereits erhalten hatte.

»Also?«, hakte ich nach.

»Meine Mutter hat ehrlich gesagt noch Zweifel, aber letztendlich ist es natürlich mein Hof. Mutter hatte das Erbe ausgeschlagen, und so habe ich es angenommen. Also kann ich auch über solche Dinge bestimmen, auch wenn ich ihre Zweifel verstehe. Was genau hast du denn alles geplant? Wie lange muss ich damit rechnen, dass der reguläre Betrieb unterbrochen wird?«

Und ich hatte schon befürchtet, das hier könnte so etwas wie ein Date werden ... Ich zückte meine Unterlagen und die Skizze, die ich heute Morgen vom Hof entworfen hatte. Ich hatte alles eingezeichnet, was ich mir für die Feier vorstellte. Bei dem Budget, das Familie von Thunstein uns zur Verfügung stellte, sollten sie selbstverständlich das volle Programm bekommen. Ich erklärte ihm alle Punkte und wann wir voraussichtlich was aufbauen mussten. Den Kinderschminkstand und die Hüpfburg brauchten wir erst am Morgen aufzustellen, das Gatter fürs Ponyreiten, das große Zelt und die vielen Tische dagegen schon am Vortag. Vielleicht sollten wir für das Zelt und die ganze Deko sogar zwei Tage einplanen. Für den nächsten Tag würde dann eine Firma kommen und alles abbauen, aufräumen und mitnehmen. Wenn alles nach Plan verlief, wäre es schnell verdientes Geld für ihn.

»Und die Genehmigungen?«, fragte Theo.

»Darum kümmere ich mich. Das sind bloß kleine Formalitäten. Was noch wichtig wäre, ist, dass der Hof sauber und sicher ist. Keine Mistgabeln, die herumliegen, keine Generatoren, die offen rumstehen. Die Ställe müssen gut verschlossen sein. Du kannst dir vorstellen, wie es hier mit hundert Kindern zugehen wird. Wahrscheinlich werde ich die Kids in Gruppen einteilen. Natürlich wird es extra Personal geben, das sie betreut. Dann kann eine Gruppe zum Schminken, eine auf die Hüpfburg, eine in den Stall zum Melken ...«

»Ich kann keine hundert Kinder an meine Kühe lassen«, warf er ein.

»Es werden bestimmt nicht alle melken wollen. Die sind wahrscheinlich eh total verwöhnt und finden das eklig.«

»Mehr als du werden sie sich kaum anstellen«, sagte er grinsend und mir verging das Lachen.

»Ich dachte, wir wären inzwischen mit dem Thema durch«, wurde ich ernst und sein Lachen erstarb sofort.

»Schon gut. Du bietest einem aber auch immer wieder Steilvorlagen. Möchtest du etwas Kuchen? Meine Mutter hat Bienenstich vom Cafè Herpertz mitgebracht.«

»Ich dachte schon, du fragst nie. Wo ist Ulrike eigentlich?«

»Arbeiten. Sie ist Erzieherin in Nideggen.«

»Ja, sie konnte immer gut mit Kindern. Und sie hält nichts von der Feier bei euch?«

Er schüttelte den Kopf und holte den Kuchen aus dem Kühlschrank. »Zu viel Stress für die Tiere. Vermutlich hat sie damit recht. Viele der Tiere sind fast so alt wie wir, die können so viel Wirbel um sie nicht gebrauchen. Aber wir benötigen das Geld. Eines unserer Pferde muss operiert werden und der Hof wirft einfach zu wenig Geld ab. Für die großen Ketten produzieren wir viel zu wenig, um attraktive Preise für sie anbieten zu können und gleichzeitig gibt es immer weniger kleine Regionalläden, mit denen wir zusammenarbeiten können. Lediglich die Felder werfen ein paar Euro ab. Die Hühner haben sich auch ein wenig gelohnt, seit wir den Eierautomaten haben. Der Hofladen hat ja nur selten auf, da können die Leute jetzt dort ihre Sachen kaufen. Ansonsten dient vieles nur noch der Selbstversorgung. Aber du kennst das ja, bei euch war es doch ganz ähnlich damals.«

Ich zuckte mit den Schultern und nahm genüsslich die Gabel in den Mund. Ich hatte mich aus dem Finanziellen meiner Eltern immer rausgehalten. Schließlich war ich noch ein Teenager gewesen. Woher hätte ich wissen sollen, was wieviel Geld bei uns abwarf? Ich war froh gewesen, wenn meine Eltern mich in Ruhe gelassen hatten.

Der Kuchen war köstlich und so nahm ich mir noch ein Stück nach. »Kannst du mir deine Mailadresse geben? Dann schicke ich dir den Vertrag heute Abend zu. Und die Familie würde kommende Woche gerne die Location, also deinen Hof, sehen. Ginge das?«

Theo zog eine Augenbraue hoch, was ihn irgendwie jünger wirken ließ und fuhr sich durchs Haar. »Dann muss es hier ordentlich aussehen, oder? Und kindertauglich.«

Ich nickte und wusste gleich, worauf er hinauswollte. »Das wäre nicht schlecht.«

Er tippte sich mit dem Finger gegen die Lippen und sah an mir vorbei aufs Fenster. »Wann wollen sie kommen?«

»Montag, schätze ich.«

»Hmm, ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Meine Mutter ist am Wochenende zelten mit den Kindern, die den Kindergarten nach den Ferien verlassen. Sonst wäre es kein Problem. Aber alleine ... Meine Hilfsarbeiter haben genug auf den Feldern zu tun.«

Allmählich bestätigte sich meine Vermutung, worauf er hinauswollte. »Soll ich dir helfen?«, fragte ich seufzend. Was musste ich noch alles für diesen Auftrag erledigen? Erst verbündete ich mich mit dem Feind und nun sollte ich auch noch seinen Hof auf Vordermann bringen? Aber was blieb mir anderes übrig? Wenn die Familie den Hof ablehnte, würde die ganze Suche wieder von vorne beginnen. Das konnte ich mir nicht leisten.

»Wie früher – Nina und Theo, das Zweigespann.«

»Wann hatten wir denn mal groß zusammen auf dem Hof gearbeitet?«, fragte ich kopfschüttelnd.

»Ständig, also, bevor du ... du weißt schon ... jedes Mal durchgedreht bist, wenn du in den Stall solltest.«

Fragend warf meine Stirn Falten. »Wieso erinnere ich mich nicht daran?«

Theo zuckte mit den Schultern und mir fiel auf, dass ein Knopf seines Hemds sich gelöst hatte. Instinktiv griff ich nach vorne, ehe er sich ganz lösen und herunterfallen konnte und hielt ihn zwischen meinen Fingerspitzen fest.

»Der löst sich ständig«, flüsterte er und riss das letzte Stück hängenden Faden ab.

Meine Hand zuckte zurück und ich wendete meinen Blick von seiner freigelegten Brust ab. Offenbar rasierte er sich den Oberkörper. Vielleicht war er doch gepflegter, als ich angenommen hatte.

Theo lächelte. »Also sehen wir uns am Wochenende?«

»Nur am Sonntag, Samstag treffe ich meine Mädels. Und ich brauche Stiefel, Größe 39.«

Er blickte unter den Tisch, auch wenn ich bezweifelte, dass er meine Stilettos, die ich stets während der Arbeit trug, im Dunklen erkennen konnte. Trotzdem nickte er. »Meine Mutter hat bestimmt etwas Passendes für dich im Schrank.«

Damit war das abgemacht. Ich half ihm noch beim Abräumen, dann brachte er mich vor zu meinem Wagen, den er anerkennend musterte, so wie er es schon bei mir getan hatte. »Um sechs beginnt die Arbeit auf dem Hof, auch sonntags«, sagte er.

»Ich komme um acht und bringe Brötchen mit«, konterte ich. Niemand würde mich sonntags so früh aus dem Haus kriegen.

»Dann sei wenigstens pünktlich.« Er zwinkerte mir zu und ich stieg ein. Was hatte ich mir hier angetan? Arbeiten, am Sonntag, auf einem Bauernhof, mit Tieren – Ich? Das konnte doch nur in die Hose gehen.

 

Montags leider Ruhetag

 

Mein Handy vibrierte. Frau Krüger prangerte auf dem Display. So ein Mist! Ich hätte mich gestern noch bei ihr melden sollen und hatte es völlig vergessen. Mit zusammengepressten Lippen nahm ich den Anruf an und schloss die Augen.

»Wurde auch Zeit, dass Sie rangehen«, fuhr sie mich an, noch ehe ich auch nur Hallo sagen konnte.

»Tut mir leid, Frau Krüger. Ich hatte völlig vergessen, mich zu melden. Aber das mit dem Bauernhof geht in Ordnung. Ich war gestern noch dort und werde morgen alles mit vorbereiten, damit wir der Familie von Thunstein am Montag den Hof zeigen können. Es bleibt doch bei Montag, oder?«

»Natürlich bleibt es bei Montag«, keifte sie. »Aber dann bin ich nun wenigstens etwas beruhigt. Eine Tragödie wäre es geworden, wenn Sie es immer noch nicht geschafft hätten, Ihren Job zu erledigen. Schicken Sie mir umgehend die Adresse. Und wir brauchen noch ein Restaurant. Sie können sich nicht gleich auf dem Hof mit ihnen treffen. Reservieren Sie etwas.«

Ein Restaurant das Montag mittags aufhatte zu finden, war wie ein Sechser im Lotto. Ich konnte schließlich schlecht in die nächste Dönerbuden mit ihnen gehen. »Wir könnten das Essen doch auch auf abends verlegen, es wird schwer, überhaupt ein offenes Restaurant zu finden.«

»Und den Hof wollen Sie ihnen dann nachts zeigen? Stellen Sie sich nicht so an, Nina. Ihnen wird schon etwas einfallen. Schreiben Sie mir, sobald Sie etwas haben, damit ich der Familie Ort und Zeit nennen kann.«

»Selbstverständlich, Frau Krüger. Sonst noch etwas?« Falls meine Stimme genervt klang, war dies Absicht.

»Nein, auf Wiederhören.«

Mit rollenden Augen legte ich auf und ließ meine Schultern hängen. Ich hasste sie! Ich hasste sie einfach nur noch. Dieser Auftrag noch, und dann konnte sie mich mal. Ich würde zurück zu meiner alten Agentur gehen – oder ich machte mich selbstständig. Hauptsache weg von ihr.

Ich schüttelte den Kopf und stand auf. Lena und Jana wollten in einer halben Stunde hier sein und bis dahin gab es noch einiges zu tun. Im Eildurchlauf räumte ich die Spülmaschine aus, spurtete in den Keller, um die Waschmaschine einzuschalten und deckte schließlich den Tisch. Zum Glück brachten die beiden Brötchen und frische Eier mit. Dieses Mal hätte ich mich sogar um die frischen Eier kümmern können. Immerhin war ich gestern an der Quelle gewesen. Aber da Lena eh an ihrem Stammbauernladen vorbeikam, kümmerte sie sich stets drum und Jana brachte die Teigwaren mit.

Es klingelte und ich schaute gerade noch rechtzeitig in den Spiegel, um zu sehen, dass mein Pferdeschwanz nicht mehr richtig saß, und zupfte meine Frisur zurecht.

»Hey Mädels«, sagte ich grinsend, als ich die Tür öffnete.

»Na, du bist ja gut gelaunt«, meinte Lena und drückte mich. Jana sah ich nirgends. Sonst kamen sie immer zusammen, wenn auch mit zwei Autos und aus verschiedenen Richtungen. Als würde immer eine warten, damit sie gemeinsam klingeln konnten. »Sie muss noch tanken, hat sie gesimst.« Lena hatte die besondere Gabe, fast immer an meinem Gesicht ablesen zu können, was ich dachte.

»Gut, dann komm rein. Ist vielleicht ganz praktisch so. Hast du schon den Vertrag mit der End Art unterschrieben?«

Sie legte den Kopf schief. »Natürlich. Auch wenn wir echt Glück hatten. An allen anderen Wochenenden waren sie schon ausgebucht.« Immerhin das waren doch mal gute Nachrichten. »Und wie lief es bei dir? Hast du einen Bauernhof gefunden?«

»Ja, in Nideggen. Ich war als Kind oft dort. Freunde meiner Eltern und so. Dafür tat sich eben das nächste Problem auf. Montag wollen sie den Hof sehen und meine Chefin besteht darauf, dass ich vorher mit der Familie essen gehe. Vorher! Montags ist fast überall Ruhetag und wenn ist nur abends auf. Wie stellt die Frau sich das vor?«

Lena zuckte mit den Schultern. Ich wusste, dass sie der Meinung war, dass ich nie hätte wechseln sollen und inzwischen wünschte ich mir, ich hätte auf sie gehört. Aber die Vorstellung, Traumhochzeiten fürs Fernsehen und Großevents planen zu dürfen, war zu verführerisch gewesen. »Frag Jana nachher mal. Ich weiß, dass ihr Onkel ein gutes Restaurant führt. Vielleicht bekommt ihr ja ein exklusives Mittagsmahl.«

»Das wäre eine Idee. Wenn das Essen gut ist, könnten wir ihn womöglich auch für das Buffet einspannen. Ich werde sie nachher fragen. Oder jetzt gleich«, fügte ich hinzu, als ich das Dach ihres Smarts durchs Hausflurfenster blitzen sah.

Wir setzten uns ins Wohnzimmer und jede erzählte von ihrer Woche. Lenas bestand vor allem aus renovieren und Janas aus der Examensvorbereitung. Noch ein paar Monate, und sie war keine Studentin mehr.

»Also Mädels, irgendeine Idee?«, fragte ich, nachdem ich ausführlich von meiner Woche berichtet hatte.

»Für das Ruhetags-Problem oder wie du den Bauern rumkriegen kannst?« Jana grinste süffisant.

»Wie bitte? Ich will Theo nicht rumkriegen. Ich hab doch jetzt, was ich brauche. Eine Location, mehr wollte ich nie von ihm!« Wie kam sie bitte darauf?

Jana zog lachend ihre hellbraunen Augenbrauen hoch und riss die Augen auf. »Also so, wie du gerade von ihm erzählt hast, klang das ganz anders. Und du weißt doch, was sich neckt ...«

»So ein Blödsinn!«, unterbrach ich sie. Völlig absurd und kindisch waren die beiden.

Hilfesuchend wanderte mein Blick zu Lena, die meine Hand nahm und fest drückte. »Na ja«, sagte sie, »Jana hat schon recht. Du klingst tatsächlich ein bisschen verknallt und die Tatsache, dass du es abstreitest, macht es nicht besser.«

»Ich bin überhaupt nicht verknallt! Der Kerl ist ein arrogantes Arschloch, das mich früher immer fertiggemacht hat.«

»Eben war er noch ein arrogantes Arschloch, das überraschend gut aussah, gepflegt war, bereit war, dir seinen Hof anzubieten ...«

»Für Geld! Viel Geld!« Ich schrie beinah.

Lena ignorierte es einfach. »Und mit dem du morgen ein Date hast!«

»Das ist kein Date.« Verdammt, was war das hier für ein Verhör? Hatte ich ihn wirklich als attraktiv bezeichnet? Ein Abbild von ihm schoss durch meinen Kopf, wie er auf die Mistgabel gelehnt vor mir stand. Ja gut, hässlich war er nicht. Okay ... er war ein sexy Bauer. So einer, der bei Bauer sucht Frau vermutlich alle Mädelsherzen zum Höherschlagen bringen würde.

Lena und Jana brachen zeitgleich in schallendes Lachen aus. Oh Gott, sie hatten recht! Das war so was von ein Date morgen und ich stand tatsächlich auf ihn. Gleichzeitig widerte mich der Gedanke so sehr an, dass es mir kalt den Rücken runterlief.

»Themenwechsel!«, befahl ich. »Das Restaurant. Lena meinte eben schon, dass du einen Onkel hast, der eins besitzt. Hat der montags offen oder würde er aufmachen?«

»Ja, Peter ist Koch. Ihm gehört ein kleines Restaurant in Schmidt. Du kannst ihn ja googeln und anrufen. Restaurant Steiner. Sag ihm ruhig, dass wir beste Freundinnen sind.«

»Steiner«, flüsterte ich, um mir den Namen einzuprägen.

Die beiden lächelten mich an und ich spürte, wie ich rot anlief. Ich wusste genau, was sie wollten. Mehr über meinen Bauer erfahren.

 

Plötzlich war ich Nutzvieh

 

Völlig verschlafen starrte ich auf mein Handy und stellte den Wecker ein drittes Mal auf snooze. Es war Sonntag! Wie konnte man mir das nur antun? Ich raffte mich auf und ging ins Bad. Sollte ich mich wirklich schminken? Ein ganz leichtes Tages-Make-Up würde sicherlich nicht schaden. Meine Augenringe konnte ich wirklich niemandem antun. Ich hatte sowas von keine Lust auf heute. Die Mädels hatten unrecht, beschloss ich. Klar war Theo niedlich, aber er war Theo! Er war der Mann, der mich meine halbe Kindheit mit seinen Worten gequält hatte und seine Sticheleien selbst jetzt nicht lassen konnte. Hatte er überhaupt eine Ahnung, welche Kraft es mich bei unserem ersten Treffen gekostet hatte, in den Stall zu gehen? Wie schwer es für mich gewesen war, dermaßen vielen Tieren so nah zu kommen? Und dass das heute alles andere als leicht für mich werden würde. Er wusste überhaupt nicht, was Angst war. Was es bedeutete, wegen ein paar Ziegen beinahe zu sterben, weil ihr schwerer Rumpf dir die Rippen bricht und die Lunge zudrückt.

Ich schüttelte mich, um die Erinnerungen loszuwerden und schaufelte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Ich war kein Kind mehr. So etwas würde nie wieder passieren. Alleine schon deshalb nicht, weil ich den Tieren erst gar nicht so nah kommen würde. Bis zum Gatter und keinen Schritt weiter – ganz egal, was Theo nachher von mir verlangen würde.

Ich schminkte mich. Noch ein bisschen Puder, und man würde mir nicht mehr ansehen, wie gepeinigt und verschlafen ich vor ein paar Minuten noch ausgesehen hatte. Ich zog mich an und packte mir ein paar Handschuhe ein, obwohl es fast Sommer war. Doch jetzt am Morgen und in den Ställen, wo keine Sonne rein schien, war es sicherlich noch kalt. Dann stieg ich ins Auto und fuhr los. Es war zwar ein totaler Umweg, trotzdem fuhr ich heute über Schmidt zu ihm, um mir das Restaurant von Janas Onkel anzusehen. Vielleicht hatte ich ja Glück und es war bereits jemand vor Ort, und sei es nur im Büro. Gestern hatte ich jedenfalls niemanden mehr erreichen können und langsam lief mir wieder einmal die Zeit davon.

Am Rursee vorbeifahrend, hielt ich an einer kleinen Bäckerei und kaufte schnell ein paar Brötchen für unser Frühstück gleich. War es wirklich ein Date? Für mich war es nur Arbeit. Ein Job, der erledigt werden musste, damit mit dem anderen Job alles klar ging. Mehr nicht. Hach, einreden konnte ich mir wirklich viel. Während ich durch die Serpentinen kurvte, versuchte ich mich daran zu erinnern, ob er mir mal irgendwelche Zeichen gegeben hatte. Klar, er hatte sich für unser letztes Treffen eindeutig schick gemacht. Und es gab Kuchen, Kuchen war immer gut. Aber hatte er mit mir geflirtet? Der Gedanke war absurd. Besser schüttelte ich ihn ab, bevor ich gleich dort war. Doch zuerst musste ich zum Restaurant. Es war kurz nach sieben, vermutlich schliefen alle noch – vielleicht hatte ich jedoch Glück und es arbeitete bereits jemand.

Ich hielt vor dem alten Fachwerkhaus, das trotz seiner in die Jahre gekommenen Fassade einen soliden und sauberen Eindruck vermittelte. Auch die Online-Bewertungen sahen ganz gut aus. Die Autotür meines Minis knallte für diese Uhrzeit etwas zu laut zu. Ich lief vor zur Tür und klopfte. Eine Klingel gab es nicht, doch aus zwei der Fenster drang schwaches Licht.

Erneut hämmerte ich gegen die Tür und wartete schon fast darauf, dass sich gleich irgendjemand beschweren würde, als sie von innen aufgerissen wurde. Der Kerl war mit Sicherheit schon länger wach. Zumindest sah er wesentlich ausgeschlafener aus, als ich mich fühlte, und sein Anzug saß ebenfalls stramm. »Peter Steiner?«, fragte ich und der Mann nickte. »Nina Fuchs. Ich hatte ihnen gestern auf den Anrufbeantworter gesprochen. Es ist wirklich wichtig.«

Er seufzte. »Ja, ich habe ihn gerade eben abgehört, empfand es nur als unhöflich, Sie in dieser Frühe bereits zurückzurufen.« Das war mal ein Wink mit dem Zaunpfahl ...

Ich schluckte. »Tut mir leid, ich kam nur gerade sowieso hier vorbei und dachte mir, ich probiere es kurz.«

Er nickte nach hinten. »Dann kommen Sie kurz rein und erklären mir, was Sie genau wollen. Sonntags, um sieben, was nicht auch bis heute Nachmittag hätte warten können.«

Vielleicht war er doch noch nicht so lange wach ... Aber dann würde er bestimmt nicht so gestriegelt vor mir stehen. Wir setzten uns an einen der Tische und ich erklärte ihm meine Situation.

»Sie möchten also, dass ich für Sie morgen öffne? Wissen Sie, was mich das kostet? Meine Leute haben morgen frei.«

»Wenn es uns schmeckt, würden wir Sie als Caterer für die Feier engagieren. Oh, und da fällt mir ein, ich soll Ihnen ganz liebe Grüße von meiner besten Freundin Jana bestellen.«

Peter Steiner fing schallend an zu lachen. »Daher weht also der Wind. Na gut, für Jana, weil sie noch etwas bei mir gut hat. Sie können um halb eins kommen. Es wird aber nur eine kleine Auswahl geben. Die Lieferung für die kommende Woche kommt erst frisch Dienstag früh an.«

»Haben Sie vielen Dank. Bis morgen dann.« Ich sah auf meine Uhr. Jetzt wurde es Zeit, Gas zu geben, wenn ich es noch pünktlich auf den Hof schaffen wollte. Ich düste los.

***

»Nina, da bist du ja.« Theo sah kritisch auf meine weißen Turnschuhe. Dabei war das schon mein legerstes Paar.

Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, dass ich es nicht mehr pünktlich geschafft hatte, aber was waren schon fünf Minuten für einen ganzen Tag unbezahlter Arbeit. »Tut mir leid, ich musste noch kurz etwas wegen morgen erledigen.«

»Wollen die feinen Herrschaften mit einer Limousine her kutschiert werden, oder was muss so dringend noch Sonntagmorgen vonstattengehen?«, fragte er kritisch und zog eine Braue hoch.

Ich schnaubte. »So ähnlich. Meine Chefin besteht darauf, dass ich vorher mit ihnen Essen gehe. Also finde mal ein Restaurant, das Montagmittag geöffnet hat, wo die meisten Ruhetag haben. Aber du, das mit dem Kutschieren ... habt ihr eine Kutsche? So eine Kutschfahrt käme bestimmt auch gut an.«

Nun verdrehte er die Augen und strich sich mit seinen langen Fingern durch sein verwuscheltes Haar. Von seiner alltagstauglichen, gepflegten Kleidung von gestern war nichts mehr zu sehen. Heute stand er wieder im üblichen Arbeitsoverall vor mir. Die dreckigen Handschuhe lugten aus seiner Gürtelschlaufe und seine Knie sahen aus, als hätte er bis eben im feuchten Heu gesessen. »Wir sind ein Bauernhof, kein Ponyhof«, sagte er und schüttelte den Kopf. Dann ging er voraus und nickte Richtung Haustür. »Hast du an die Brötchen gedacht? Ich hab Kohldampf, sag ich dir. Hab extra auf dich gewartet mit dem Frühstück. Und das mag was heißen, bin immerhin schon seit drei Stunden auf den Beinen.« Er gähnte.

Ich öffnete die Beifahrerseite und wedelte im nächsten Moment mit der Bäckerstüte in der Hand. »Na klar. Ich wusste nicht, was du magst, also hab ich von allem etwas mitgebracht.«

Jetzt grinste er wieder. »Sehr gut. Dann mal rein. Ich schau bloß schnell bei den Hühnern vorbei, frischer gehen Eier nicht.«

Lächelnd ging ich in die Küche und wusch mir die Hände. Auf dem Tisch stand bereits ein Korb für die Brötchen bereit und ich legte sie hinein. Es war so ungewohnt, wieder hier zu sein, wo ich so oft in meiner Kindheit gewesen war. Alles hatte sich verändert. Vor fünfzehn Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich einmal freiwillig und alleine mit Theo an diesem Tisch sitzen und frühstücken würde. Alles sah anders aus. Aber vor allem fehlten die wichtigsten Leute in diesem Raum – seine Großeltern. Eine eigenartige Kälte zog sich durch meinen Körper, während ich auf das Familienfoto, das über dem Kamin hing, starrte. Ich hatte mich nie bedankt, nie bei ihnen verabschiedet. Mich einfach nicht mehr gemeldet, obwohl sie wie eine Familie für mich waren. Nach dem Tod meiner Eltern wollte ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben – nicht ihretwegen, nie! Sondern einzig und allein, weil ich mein altes Leben zurücklassen wollte. Dieses Leben voller Ängste und Schmerz. Ich wollte meine Eltern und unseren Hof vergessen, um endlich nach vorne blicken zu können. Und dabei habe ich auch sie vergessen, die gar nichts für all das konnten. Mit dem Ärmel wischte ich mir ein paar Tränen von den Wangen, ehe ich die Tür aufgehen hörte und mich umdrehte.

»Alles in Ordnung?«

»Geht schon«, japste ich und nickte zum gedeckten Tisch. »Hast du noch Eier gefunden?«

Theo nickte und ging rüber zum Herd, um ihn anzuschalten und Wasser aufzusetzen. »Drei. Wie viele willst du?«

»Eins reicht.« Ich setzte mich auf die Bank vors Fenster und beobachtete ihn dabei, wie er die Eier anpikste und schließlich behutsam ins kochende Wasser legte. Er war schon immer bei allem so vorsichtig gewesen, auch zu den Tieren. Das hatte ich schon früher an ihm bewundert, wahrscheinlich, weil meine Eltern immer eher grob mit allem umgingen. Sie hatten den Tieren nie wehgetan, das nicht, aber wirklich freundlich waren sie auch nicht zu ihnen. Sie waren nur Nutzvieh für sie, Essen und Arbeitskraft ... Vielleicht waren unsere Tiere deshalb so aggressiv gewesen.

»Hast du gut geschlafen? Es gibt viel zu tun heute, da musst du fit sein.«

»Ja, auch wenn mir diese lästige Restaurantsuche einige Kopfschmerzen bereitet hat. Na ja, im Grunde tut der ganze Auftrag das. Und du?«

»Immer doch. Ich hab mir nur Sorgen gemacht, dass du ...«

»Ja?«, hakte ich nach.

»Vielleicht einen Rückzieher machst. Aber ich bin froh, dass du hier bist. Ich kann jede Hilfe gebrauchen. Traust du dich denn ...?«

»In den Stall? Ja. Direkt durch die Gatter? Auf keinen Fall! Und falls du mich nur hierher zitiert hast, um dich über mich lustig zu machen, vergiss es.« Ich hätte es wissen sollen. Aber dafür war ich nicht bereit. Solange ein Gitter mich und die Tiere trennte, war alles in Ordnung, aber sonst – niemals.

»Beruhig dich«, sagte er und legte seine warme Hand auf meine. Diese Berührung war so ungewohnt, dass ich automatisch zusammenzuckte, was mir sofort leidtat, als er seine Hand wieder wegzog. »Ich will dich nicht aufziehen. Ich muss bloß wissen, was du heute schaffen kannst und was nicht. Und unsere Tiere sind zahm, das weißt du. Willst du mir nicht endlich erzählen, was damals genau passiert ist? Ich hatte immer einfach gedacht, du hättest plötzlich Angst vor den Tieren gehabt. Weiß du noch die Übernachtungsfeier an meinem Geburtstag, als mein Onkel uns diese Gruselgeschichte vom teuflischen Pferd erzählt hatte? Du warst fünf oder sechs. Ich dachte, du hättest deswegen so Angst gehabt. Dabei war das doch nur eine Geschichte. Aber es steckt mehr dahinter, oder? Du hast letztes Mal so etwas erwähnt ...« Er blickte mich neugierig an und irgendwie wirkte er dabei wahnsinnig traurig, als bedauerte er es, mich jahrelang damit aufgezogen zu haben.

Ich sah ihn nachdenklich an. Ich hasste es, über diesen Tag zu reden. Kaum jemandem hatte ich alles erzählt. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, kamen die Erinnerungen, der Schmerz, die Ängste wieder hoch. Also versuchte ich, dem Thema stets aus dem Weg zu gehen. Aber Theo hatte recht, wenn wir zusammenarbeiten wolltet, war es besser, wenn er Bescheid wusste. »Es war kurz vor meiner ersten Schulwoche gewesen«, flüsterte ich. Theo blieb ganz ruhig, während ich sprach. »Es waren Ferien und ich sollte morgens die Tiere füttern. Es hatte geregnet und ich war ganz nass, als ich in den Stall kam. Das Dach war kaputt und im Ziegenstall hatte sich eine Pfütze gebildet.« Ich schloss die Augen und spürte plötzlich, wie Theos Hand auf meiner lag. Dieses Mal zog niemand von uns seine weg. »Der Eimer mit dem Futter hing an der Wand. Mein Vater hatte ihn immer schon abends für den nächsten Tag gefüllt, weil er nicht wollte, dass ich alleine ans Silo ging. Die Ziegen waren so aufgebracht an dem Morgen. Vielleicht lag es an dem Regen, der durch die Decke auf sie herabprasselte oder am Gewitter, das in der Nacht getobt hatte. Als ich ...«, ich hielt inne und schluckte, »... ich ihr Gatter öffnete, kamen sie auf mich zugelaufen. Dann ging alles so schnell. Plötzlich lag ich auf dem Boden, direkt in dieser Pfütze. Pauls Hufe drückten auf meine Brust, ich bekam kaum Luft und habe um Hilfe geschrien. Ich wollte ihn wegdrücken, aber er bewegte sich nicht. Er war so schwer und ging einfach nicht von mir runter. Ich versuchte, mich wegzudrehen, aber da war überall Wasser. Dann bin ich im Krankenhaus aufgewacht. Drei Wochen lag ich im Koma. Paul hatte mir mehrere Rippen gebrochen, ich musste intubiert und stundenlang operiert werden. Der Bock hatte zu lange auf meiner kleinen Lunge gestanden.« Ich knöpfte den obersten Knopf meiner Bluse auf und zeigte ihm die verblichene Spitze der Narbe, die quer über meinen Brustkorb ging.

Theo schluckte. »Jetzt verstehe ich, warum Oma mir nichts erzählen wollte, als ich klein war. Vermutlich hätte ich mich danach auch geweigert, in den Stall zu gehen.«

Ich nickte. »Und trotzdem haben meine Eltern mich, kaum dass ich aus dem Krankenhaus raus war, genau dazu Tag für Tag gezwungen. Ihrer Meinung nach war die Gefahr gebannt, nachdem sie Paul verkauft hatten. Aber ich war erst sechs. Für mich wurden an diesem Morgen alle Tiere zu Monstern. Inzwischen geht es zum Glück. Die Eltern meiner besten Freundin haben zwei Hunde. Die beiden kann ich sogar schon streicheln und auf den Schoß nehmen.« Ich versuchte zu lächeln, doch so ganz gelang mir das nicht. Was hatte ich erwartet? Dass meine Angst verschwand, wenn ich mit ihm darüber sprach? Ich sah immer noch die spitzen Hörner und den kalten Huf des Bocks vor mir.

Theo drückte meine Hand, dann ließ er sie los und ich umklammerte meine Kaffeetasse, auch wenn sie noch ziemlich heiß war. Der Schmerz an den Fingern lenkte mich vom Schmerz in meinem Herzen ab. Es war nicht nur die Angst vor den Tieren, die mich die letzten Jahre begleitet hatte, sondern auch die Tatsache, dass meine eigenen Eltern sie nie ernst genommen hatten. Sie zwangen mich jeden Tag, mich um die Tiere zu kümmern und gaben mir nicht einmal die Chance, das Erlebte zu verarbeiten. Für sie musste ich immer nur funktionieren, ich war genauso Nutzvieh wie unsere Ziegen.

Er atmete schwer aus. »Das tut mir so leid. Möchtest du versuchen, dich der Angst zu stellen?«

Mich ihr zu stellen? Tat ich das nicht schon jedes Mal, wenn eine Katze auf mich zu getigert kam? Ich wusste natürlich, was er meinte. »Ich weiß es nicht«, sagte ich und musterte seine braunen Augen.

»Du musst hier nichts machen, was du nicht willst. Aber wenn du es probieren möchtest, bin ich für dich da.«

Für mich da sein − Wie lange hatte das niemand mehr zu mir gesagt? Vor allem in diesem Zusammenhang? Ich nickte stumm und trank einen Schluck. Der Schmerz in meinen Fingern hatte nachgelassen, obwohl die Tasse noch immer heiß war. Ich spürte ihn bloß nicht mehr. So wie ich nichts mehr zu spüren glaubte.

»Können wir das Thema wechseln?«, fragte ich nun.

»Natürlich. Tut mir leid, dass ich dich so gedrängt habe, darüber zu sprechen. Ich wollte nur verstehen-«

»Ist schon gut«, unterbrach ich ihn und begann endlich, mein Brötchen zu schmieren. »Also, eine Kutschfahrt. Wäre das möglich?«

Er sah mich überrascht an, als hätte er dieses Thema von vorhin längst vergessen. Dann zuckte er mit den Schultern. »Wir haben keine Kutschpferde. Unsere drei Stuten und die Ponys gehören meiner Mutter. Das Reiten ist ein Hobby von ihr. Aber ich könnte mal herumfragen, irgendjemand kann uns bestimmt einen Kutschwagen und die passenden Pferde leihen.«

Ich nickte. »Das wäre lieb. Dann zum nächsten Tagespunkt. Was muss denn heute alles getan werden?« Vor diesem Wissen graute es mir zugegeben am meisten.

»Gefüttert sind alle. Der Hühnerstall muss jedoch ausgemistet werden. Dann müssen zwei Strohballen vom Feld hergeholt werden und wir müssen die Kühe melken. Das kann ich machen. Außerdem kommt Frank gegen drei.«

»Der Hufschmied?«, fragte ich. Einen anderen Frank kannte ich nicht.

Theo nickte.

»Ist der nicht schon um die hundert?«

Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Dreiundachtzig. Er macht das auch nicht mehr offiziell, aber immer noch mit Leidenschaft. Möchtest du dabei sein und das Pferd halten. Am Zaumzeug, meine ich. Nicht das Bein.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752126792
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Liebesroman Eifel Bauernhof Nideggen Liebeskomödie Humor

Autor

  • Lisa Summer (Autor:in)

Lisa Summer schreibt und liest am liebsten Bücher für Jugendliche und junge Erwachsene, die gerne der Wirklichkeit entfliehen. Ihre Leidenschaft steckt sie dabei vor allem in das Schreiben von spannenden und humorvollen Liebes- und Alltagsgeschichten, sowie Dystopien.
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Titel: Bauer gesucht, Traummann gefunden