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Wolfkisses: Ankunft der Jäger

von Katania de Groot (Autor:in)
260 Seiten
Reihe: Wolfkisses, Band 1

Zusammenfassung

In L.A. weiß jeder Wolf genau, wo er hingehört. Luke ist ganz unten, King ganz oben und sie lieben die gleiche Frau. Etwas, das King nicht auf sich sitzen lassen kann. Erst, als Sofie in tödliche Gefahr gerät, stellen sie fest, dass die Bedrohung aus einer unerwarteten Richtung kommt. In einem anderen Teil der Stadt wird aus einer Hochzeitsgesellschaft die größte Bedrohung für die Wölfe. Die Jäger sind in der Stadt und wenn sie erfahren, dass sie ausgerechnet einen Werwolf zum Personenschutz angestellt hat, gibt es nichts, was einen Krieg verhindern kann. Becca muss sich entscheiden. Kann sie dem Herz eines Jägers vertrauen oder setzt sie ihr Leben vergeblich aufs Spiel?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Katania de Groot

1. Kapitel

 

Trotz der Mittagshitze musste der Betrieb ohne störende Unterbrechungen aufrechterhalten werden. Die pingeligen Hotelgäste hatten bei den unmenschlichen Temperaturen unter der Mittagssonne von Los Angeles weit weniger Geduld als gewöhnlich. Heute schien es eine Zumutung für sie zu sein, auch nur eine Sekunde zu lange auf die Erfüllung ihrer Wünsche zu warten. Ein Umstand, der Luke jede Hoffnung auf Trinkgeld zunichtemachte. 

Er bewegte sich nur ein paar Millimeter in der vergeblichen Hoffnung, eine kühlere Brise zu erwischen. Die Hoteluniform klebte unangenehm an seinem Rücken. Wer auch immer die langen Hemdsärmel für angemessen hielt, saß garantiert in einem klimatisierten Büro. Luke zupfte an der Weste aus schwerem Anzugstoff und wünschte dem Designer insgeheim die Pest an den Hals.

Obwohl das Hotel direkt in der Bucht lag, regte sich kaum ein Luftzug. Darauf bedacht, seinen Platz im Schatten nicht einmal mit der Schuhspitze zu verlassen, verlagerte Luke sein Gewicht nur minimal, ehe er wieder zu einer Statue erstarrte. Zwei andere Laufjungen waren vor ihm an der Reihe. Bereit, loszuhetzen, um irgendein belangloses Zeug zu erledigen.

Dennoch ließ sich daran nicht ablesen, wie lange er noch in der Hitze ausharren musste. Es konnte durchaus dauern, bis Jerome ihn losschickte. Am besten, er bewegte sich bis dahin so wenig wie möglich.

 

Das Klackern von Absätzen ließ ihn aufsehen und wie erwartet erspähte er Trish durch die Seitentür des Hotels.

»Verdammt!« Der Fluch kam von Sunny, der die Blondine ebenfalls bemerkt hatte. Die beiden Runner tauschten einen flüchtigen Blick. Trish bedeutete meistens Ärger. Sie hatte schnell herausgefunden, dass weder Luke noch Sunny ihr einen Gefallen abschlugen. Da sie jedoch keine Befugnis über die Pagen hatte, bedeutete dies, dass diese unerlaubt ihren Wartebereich verlassen mussten.

Aber wenn Luke ehrlich war, hätte er jetzt liebend gerne einen Auftrag für sie erledigt. Zumindest, wenn er dafür einen klimatisierten Raum betreten konnte.

Trish hatte es zu ihrer persönlichen Aufgabe erklärt, in dem Fünf-Sterne-Hotel einen möglichst reichen Ehemann zu finden. Bis sie dieses Ziel erreicht hatte, verbrachte sie ihre Zeit liebend gerne mit den Männern anderer Frauen. Dass sie ihre Arbeit dabei sträflich vernachlässigte, kaschierte sie, indem sie die Runner einsetzte, um ihre Aufgaben zu erledigen. Im Gegensatz zu Luke war Sunny in Deckung gegangen, kaum das Trish an der offenen Tür vorbeirauschte. Erst, als sich das Klappern ihrer Absätze wieder entfernte, wagte er sich in den Schatten zurück.

Luke schmunzelte und schloss die Augen. Er genoss einen sanften Windzug, der durch seine Haare strich. Die Einheimischen ließen sich von den Temperaturen nicht im Geringsten stören. Für Luke waren sie eine Qual. Er war mit seinen Eltern unfreiwillig in die Stadt gekommen, und die Hitze erinnerte ihn jeden Tag daran, dass er seine Heimat lieber nicht verlassen hätte. Er öffnete die Augen wieder. War die Stadt der Engel direkt neben dem Höllentor gebaut worden? Wie sonst wollte man diese Temperaturen erklären?

Er selbst bevorzugte kühleres Wetter. Leider hatten seine Eltern ihn nicht gefragt, sondern waren vor zehn Jahren einfach in den Sonnenstaat gezogen. ›Eine Chance für die Familie‹ hatten sie den Umzug genannt, und in der Zeit, in der sie sich prächtig in die bestehende Gemeinschaft eingegliedert hatten, blieb Luke am unteren Ende der Rangfolge zurück.

Das Leben in Los Angeles war ein Fluch, nicht nur in beruflicher Hinsicht. Auch nach all der Zeit vermisste Luke die Berge, in denen er aufgewachsen war. Er legte den Kopf schief und blickte zum Parkplatz, die einzige Aussicht, die den Runnern blieb. Sobald seine Ersparnisse für einen Neuanfang reichten, würde er die Stadt verlassen, Richtung Kanada oder vielleicht Alaska. Hauptsache, die Hitze war nicht so drückend und er konnte hin und wieder durch den Schnee rennen.

Der Gedanke erheiterte ihn. Zahllose Menschen kamen nach Los Angeles, die Taschen gefüllt mit sterbenden Träumen, die sie verzweifelt am Leben halten wollten. Nur er wollte diesem Ort am liebsten sofort den Rücken kehren.

Sein Hemd klebte mittlerweile nicht nur an seinem Rücken, auch der Stoff der Ärmel legte sich unangenehm auf die Haut und sorgte dafür, dass seine ohnehin schon schlechte Laune noch mieser wurde.

Am kommenden Wochenende würde in der Orangerie eine Hochzeit stattfinden. Seit der erste Teil der englischen Gesellschaft eingetroffen war, gab es eine neue Regel. Den Runnern war es nun nicht mehr gestattet, in der klimatisierten Lobby auf ihre Aufträge zu warten. In den Augen der englischen Aristokratie war das ›Herumlungern der Laufburschen in der Eingangshalle‹, wie einige Gäste es bezeichnet hatten, inakzeptabel. Jerome hatte sofort reagiert und die Pagen kurzerhand auf die kleine Terrasse neben der Küche verbannt.

»Luke? Bist du startklar?«

Luke sah verwundert auf. Jerome stand vor ihm.

»Immer, aber ich glaube, Sunny ist vor mir dran.«

»Sunny hat aber noch keinen Führerschein und ich brauche jemanden, der rüber nach Pasadena fährt. Die Braut hat dort diesen kleinen Blumenladen gesehen und möchte, dass die Floristin heute zu diesem Wettbewerb herkommt, du weißt schon, der bei dem die Braut sich ihren Blumenschmuck aussucht«, ratterte der Concierge gelangweilt die Details des Auftrags herunter. 

Ein Dienstleister, der nicht einmal ein eigenes Auto unterhielt, um seine Ware in das Hotel zu bringen? Doch welcher Braut schlug man schon einen Wunsch aus, vor allem, wenn sie die Macht hatte, die ganze Gesellschaft kurzfristig ins Hilton umzubuchen?

»Die Gestecke stehen zur Abholung bereit.« Jerome warf Luke die Schlüssel zu einem SUV zu und legte eine Mappe auf den Abstelltisch neben der Tür. »Immerhin kommst du so aus der Hitze.«

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, verschwand Jerome wieder im Gebäude. Das ganze Gespräch hatte stattgefunden, ohne dass er auch nur einen Schritt aus dem gekühlten Teil des Hotels getan hatte.

Luke griff nach der Mappe, deren Leder sich glatt und kühl anfühlte. Ein kurzer Blick hinein verriet ihm die Adresse des Ladens. Blumen abholen bei einer Sofie Francis. Warum nicht?

Die Straßen nach Pasadena waren zu jeder Zeit heillos überfüllt, doch Luke hatte es nicht eilig. Mit etwas Glück kam er erst kurz vor Feierabend wieder am Hotel an. Auf dem Weg zum Parkplatz ging er in Gedanken die beste Route zur angegebenen Adresse durch. In Pasadena kannte er sich nicht gut genug aus, spätestens dort würde er das Navi einschalten müssen, um den Laden zu finden.

»Hey, pass auf, wo du hinläufst!«

Erschrocken wich Luke Becca aus, die er um ein Haar umgerannt hätte. Er stieß einen leisen Fluch aus und fügte schnell ein »Sorry« hinzu, um die Personenschützerin nicht noch mehr zu verärgern.

Doch sie winkte nur ab und wandte sich wieder der Umgebung und dem Mann zu, der neben ihr herging. Einerseits war es beruhigend, dass sie ihn nicht als Gefahr einstufte, andererseits kränkte es Luke. Selbst wenn er den Wolf meistens unterdrückte, der in ihm schlummerte. Normalerweise erkannte die Clanmacht einen fremden Wolf, sobald er sich näherte. Gerade, wenn der Gegenüber um so viel dominanter war als er selbst. Doch heute hatte die Aleashira ihn nicht wie sonst vor Becca gewarnt, sonst hätte er einen Bogen um sie gemacht. »Wozu eine Clanmacht, wenn sie zu nichts taugt?«, presste er zwischen den Lippen hindurch, leise genug, damit die beiden Personen, die ihn passierten, nichts davon hörten.

 

Den groß gewachsenen Mann in Beccas Begleitung hatte Luke schon mehrmals im Hotel gesehen. Er wohnte seit zwei Wochen dort, hielt sich aber meist außerhalb auf. Wie bei ihrem ersten Treffen jagte der Blick des Mannes Luke einen kalten Schauer über den Rücken. Der Fremde war definitiv kein Wolf, doch Lukes Instinkte sagten ihm, dass er nicht weniger gefährlich war als Becca, die Alphawölfin, die er für seinen Personenschutz angeheuert hatte. Die schulterlangen Haare hatte der Fremde zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, was im Kontrast zu seinem Dreitagebart stand. Seine raubtierhaften Bewegungen waren ebenso präzise wie die von Becca. Genau wie sie war er bereit, jederzeit vorzuschnellen, sollte es nötig sein.

Unbeirrt setzte Luke den Weg zu seinem Wagen fort. Ein Schwall heiße Luft traf ihn beim Öffnen der Tür. Unbarmherzig hatte die Sonne den Wagen in einen Backofen verwandelt. Luke startete den Motor im Leerlauf, um die Klimaanlage ihre Arbeit verrichten zu lassen. Statt gleich in den Wagen zu steigen, beobachtete er das auffällige Paar, das sich zielstrebig auf den Hoteleingang zubewegte. Im Moment sah es allerdings so aus, als wäre die größte Gefahr für den Fremden, dass er in seinem Designeranzug an einem Hitzschlag starb. Ein Schicksal, vor dem Becca ihn nicht würde retten können.

Als hätte er den spöttischen Gedanken gehört, drehte er sich noch einmal um. Stechend blaue Augen musterten Luke, doch offenbar kam der Fremde zu dem Ergebnis, dass von Luke keinerlei Gefahr ausging. Kleinmachen, ducken, unauffällig sein. So kam Luke am besten durchs Leben. Er gab kein Ziel ab, das sich zu bekämpfen lohnte.

 

»Fuck, ist das heiß.« Luke hatte sich in den Wagen gebeugt, um die Adresse ins Navi einzugeben. Doch auch nachdem das System den optimalen Weg berechnet hatte, zögerte er das Einsteigen hinaus. Noch immer war es unerträglich heiß in der Blechkiste. Er nutzte die Zeit, um eine andere Aufgabe zu erledigen.

Die Einteilung der Umgebung in drei Reviere brachte die ein oder andere Schwierigkeit mit sich. Luke hätte längst einen besser bezahlten Job haben können. Wenn es nicht die Regelung zwischen den Rudeln gegeben hätte. Es war ihm ausdrücklich verboten, sich für längere Zeit in einem fremden Clan-Gebiet aufzuhalten. Es ohne Ankündigung zu betreten, war ebenfalls keine gute Idee.

Mit dem Handy schickte er eine kurze Nachricht an die Nummer, die jeder Wolf kannte, um sich für seine Tour anzumelden. Wenn er das vergaß, waren ihm Knochenbrüche und Schürfwunden sicher. Mit den Clans war nicht zu spaßen. Das Handeln jedes Einzelnen hatte weitreichende Konsequenzen. Trieben sich zu viele Wölfe in einem Teil der Stadt herum, erweckten sie unweigerlich die Aufmerksamkeit der Menschen. Zwar konnten die meisten die Clanmacht, die jeden Wolf umgab, nicht benennen, aber sie reagierten instinktiv darauf. Erfuhren die falschen Personen von ihrer Anwesenheit, wurde es blutig. Ein paar Schrammen waren nichts im Vergleich zu den Toten, die es gab, sobald L. A. in das Visier der Jäger geriet.

Allein die Vorstellung von Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, seine Rasse auszurotten, verursachte ihm Übelkeit. Nicht einmal die Hitze schaffte es, der Kälte, die sich in ihm ausbreitete, etwas entgegenzusetzen.

Er selbst hatte das Glück, bisher nie einem Jäger begegnet zu sein. Doch die Geschichten der Clans, die nicht mehr existierten, wurden schon den Kleinsten erzählt. Keiner sparte dabei an blutigen Details. Jedem Welpen wurde eingebläut, was passierte, wenn die Menschen von ihrer Existenz erfuhren. Im größten der drei Clans, den Nekare, gab es einen verkrüppelten Werwolf. Duke fehlte ein Auge, und seine rechte Hand war so oft gebrochen worden und wieder zusammengewachsen, dass er sie nach jahrelanger Qual hatte abnehmen lassen. Luke hatte den Werwolf aus Schottland nur einmal an der Reviergrenze gesehen. Er war ein gebrochener Mann. Immer auf der Hut, mit Angst vor seinem eigenen Schatten. Luke seufzte. In das Gebiet der Nekare würde er nun unweigerlich kommen und der Clan war nicht für seine Gastfreundschaft bekannt.

»Na, dann mal los«, murmelte Luke und stieg in den Wagen. Er genoss die kalte Luft, die die Klimaanlage ihm ins Gesicht blies. Dieser Luxus war ihm zu Hause nicht vergönnt und für einen Augenblick war er für die Anstellung in dem Hotel besonders dankbar. Heute würde sein einziges Problem darin bestehen, ein paar Blumen durch die Stadt zu fahren. Diese Aufgabe war nicht sonderlich aufregend. Ließ man die mangelnde Gastfreundschaft der Nekare außer Acht, war dies einer der angenehmeren Jobs, die er für Jerome erledigte.

2. Kapitel

 

Angespannt blickte Becca über den Parkplatz. Sie hasste es, unübersichtliche Orte zu überqueren, vor allem, wenn sie die Verantwortung für einen Kunden übernahm.

Aus den Augenwinkeln musterte sie ihren Klienten Alex. Er hatte von Anfang an darauf bestanden, dass sie seinen Vornamen benutzte. Becca war es lieber, professionelle Distanz zu wahren, doch als Geldgeber lag die Entscheidung bei ihm.

Zusammen mit der Matriarchin der Familie war er vor zwei Wochen für die Hochzeit seines Bruders angereist. Die Braut war ebenfalls seit einigen Tagen da, ein blasses, blondes Mädchen, hübsch anzusehen und nicht halb so dämlich, wie ihre zukünftige Schwiegermutter behauptete. Nur der glückliche Bald-Ehemann ließ auf sich warten. Dringende Geschäfte, soweit Becca mitbekommen hatte.

 

Alex versuchte, der Eintönigkeit so oft wie möglich zu entkommen. Heute hatte er sie zu einem Lasertag-Duell herausgefordert. Die unübersichtliche Halle war ein Albtraum für ihren Auftrag gewesen, doch sie musste Alex neidlos zugestehen, dass er sich für einen Anzugträger ausgezeichnet schlug. Ihre generelle Abneigung gegenüber Schusswaffen hätte fast Gleichstand bedeutet, doch gegen ihre wölfischen Reflexe kam kein Mensch an.

»Wer ist der Kerl?« Alex klang misstrauisch. Ständig schien er auf den nächsten Angriff zu warten. Gerade deutete er auf den dunkelhaarigen Hotelpagen, der auf dem Weg zu einem Auto ihren Weg kreuzte.

Luke war unaufmerksam gewesen, hatte sich aber entschuldigt und sich dann zügig getrollt, typisch für einen Wolf, der so weit unten in der Rangfolge stand.

»Das war Luke. Er arbeitet seit ein paar Jahren im Hotel. Es gab noch nie Probleme mit ihm«, erklärte Becca, bevor Alex den armen Kerl ansprang.

Er nickte, zufrieden mit dieser Auskunft, und setzte seinen Weg über den Parkplatz fort.

»Wir können das nächste Mal mit dem Wagen bis vor den Eingang fahren, es gibt hier Personal, um die Autos zu parken. Dann müssen wir weder durch die Hitze noch über einen schlecht überschaubaren Parkplatz«, merkte Becca an.

Alex zuckte mit den Schultern: »Es macht kaum einen Unterschied. Im Gegenteil, ich bevorzuge es, wachsam zu bleiben.«

Mit einem Seufzen deutete Becca auf seinen Anzug: »Wir könnten dann von einem klimatisierten Auto in ein klimatisiertes Hotel wechseln.«

Ein vernichtender Blick traf sie und sie beschloss, die Mission, Alex vor der Hitze zu retten, fürs Erste aufs Eis zu legen, am besten für immer. Die meisten Menschen mit zu viel Geld hatten ihre Macken. Wie er dazu kam, im Sonnenstaat immer langärmlige Kleidung zu tragen, fragte sie nicht. Er würde seine Gründe haben.

 

Kaum hatten sie die Hotellobby betreten, bildete sich Gänsehaut auf Beccas Armen. Fast beneidete sie Alex um sein Jackett, denn nichts deutete darauf hin, dass er die Temperaturschwankung überhaupt bemerkte. Er sah sich um. Sein Verhalten wirkte, als würde er sie beschützen, nicht umgekehrt.

Etwas an ihm ließ ihr immer wieder einen Schauer über den Rücken wandern, und zwar keinen von der guten Sorte. Die Clanmacht teilte ihre Gefühle allerdings nicht. Bei ihrem ersten Treffen hatte sie sich wie ein Hundewelpe nach ihm ausgestreckt. Am Anfang hatte sie seinen Geist immer wieder angestupst, bis sie schließlich aufgab und sich schmollend in Beccas Gedanken verkrochen hatte.

Alex streckte die Hand aus und griff, ohne sich umzusehen, nach Beccas Arm. Er hielt sie auf ihrem Weg zu den Fahrstühlen an und deutete auf die Rezeption. Jerome nahm gerade zwei neue Gäste auf. Alex ließ Becca wieder los und mit schnellem Schritt bewegte er sich auf die Neuankömmlinge zu.

»Wurde auch Zeit, dass ihr kommt.«

Seine Hand landete auf der Schulter des Mannes, der mit dem Rücken zu ihnen stand. Der Angesprochene drehte sich um und fixierte Becca mit einem neugierigen Blick aus moosgrünen Augen. Sie erstarrte. Die Clanmacht in ihr wimmerte und verkroch sich schlagartig in der hintersten Ecke ihres Bewusstseins. Verwirrt sah Becca zu Boden, fing sich im nächsten Moment wieder und stellte sich aufrecht neben ihren Klienten.

»Alex!« Die Frau im Businesskostüm hauchte Alex einen Kuss auf die Wange, ehe sie sich zwischen ihn und Becca drängte, um sich bei ihm unterzuhaken. Sie war dank ihrer Absätze fast so groß wie er, und ihre blonden Haare fielen in sanften Wellen über ihre Schultern. »Ich finde es fürchterlich, was Christoph uns hiermit antut. Die Luft ist viel zu warm, der Flug war eine Katastrophe, das Taxi nicht klimatisiert. Außerdem roch es nach Erbrochenem.« Sie warf ihrem Begleiter einem bösen Blick zu. »Die Hochzeit hätte in England stattfinden sollen! Unser Anwesen wäre perfekt für eine derartige Feier!«

Die Blondine sah Alex nun zum ersten Mal direkt an und ihre Stimmung schien sich augenblicklich zu heben. Ihr Lächeln zeigte eine Reihe makellos weißer Zähne. In einem versöhnlicheren Ton fuhr sie fort: »Aber allein, dass du hier bist, ist ein Lichtblick. Das Haus war so leer ohne dich.«

»Freut mich, dass der Flug deine Laune nicht trüben konnte.« Alex strich über die Hand, die sich in den Ärmel seines Anzuges gekrallt hatte, und wandte sich an den Mann, dem in diesem Moment einige Schlüsselkarten überreicht wurden. »Es hätte euch nur einen Anruf gekostet, dann hätten wir euch vom Flughafen abgeholt. Oder zumindest einen anständigen Limousinenservice bestellt. Du weißt doch, wie deine Schwester ist.«

Der Fremde drehte sich zu Alex um. Kaum dass er seinen Blick von ihr genommen hatte, atmete Becca auf. Sein durchdringender Blick verunsicherte sie. »Danke für das Angebot, aber es war nicht nötig. Grace übertreibt wie üblich. Sie hat den ganzen Flug über geschlafen. Und über den Komfort der ersten Klasse lässt sich nun wirklich nichts Negatives sagen.«

Sein Blick streifte Becca ein weiteres Mal. Er ließ sich nicht anmerken, was er von ihr hielt, sondern übernahm ganz selbstverständlich die Führung und steuerte die Aufzüge an.

»Christoph, warte doch bitte auf uns.« Graces Stimme hallte durch die Lobby. Kurzerhand zog sie Alex hinter sich her. Becca blieb nicht anderes übrig, als der Gruppe zu folgen.

Christoph, der Bräutigam, war eingetroffen und er hatte seine reizende Schwester dabei.

Alex’ Körpersprache hatte sich seit der Begrüßung seines Bruders geändert. Er war ein wenig eingesackt und hielt den Blick gesenkt.

Becca dachte über die Art nach, wie Alex ‘deine Schwester’ gesagt hatte. Dazu kam, dass sie die Finger keine Sekunde von ihm ließ. Vermutlich waren die Verwandtschaftsverhältnisse doch nicht so klar, wie sie zuerst vermutet hatte.

Auch dem Äußeren nach sah er den beiden Neuankömmlingen nicht im Geringsten ähnlich. Es schien viel mehr so, als wären die beiden Alex’ Ziehgeschwister und keine direkten Blutsverwandten.

Der Bräutigam war es eindeutig gewohnt, den Ton anzugeben. Alex folgte ihm, ohne zu zögern.

Der Bräutigam war es eindeutig gewohnt, den Ton anzugeben. Alex folgte ihm, ohne zu zögern.

Christoph passte hervorragend in das Bild, das Becca von der englischen Gesellschaft hatte. Seine kurzen Haare waren zerzaust, nicht unordentlich, eher so, als hätte jemand viel Zeit damit verbracht, sie so zu drapieren. Kein Barthaar war auf den Wangen zu entdecken und seine grünen Augen wirkten um einiges sanfter als die blauen von Alex.

Als hätte sie Beccas Gedanken erraten, fuhr Grace mit dem Handrücken über Alex’ Wange. »Du musst dich mal wieder rasieren, der Bart steht dir nicht.«

Alex zuckte mit den Schultern. »Keine Sorge, zur Trauung werde ich frisch rasiert auftauchen und dir keine Schande bereiten.«

Die Aufzugtüren öffneten sich und, Christoph voran, betraten sie die Kabine.

»Wer ist die Frau?«, stellte der Bräutigam die Frage, die Grace sichtlich auf den Lippen brannte.

»Das ist Rebecca, sie ist mein Bodyguard. Nachdem du uns in dieses Loch schleifen musstest, gehe ich auf Nummer sicher.«

Christoph hob eine Augenbraue, sagte jedoch nichts dazu. Sein Blick glitt ein weiteres Mal über Becca. »Nichts für ungut, aber sie sieht eher aus, als bräuchte sie deinen Schutz.«

Grace kicherte. »Sie wird schon ihre Qualitäten haben.«

»Grace.« Mit einem Wort brachte Christoph seine Schwester zum Schweigen. Der Ton in seiner Stimme hätte Stahl schneiden können und sie sah betreten zu Boden.

Alex hingegen verzog keine Miene. »Ihre Referenzen sind hervorragend. Mehr muss ich nicht wissen.«

Mit seiner Schlüsselkarte schaltete Alex die Fahrt in den achten Stock frei und mit einem kleinen Ruck setzte die Mechanik sich in Gang. Die Fahrstühle waren so eingestellt, dass es keinen Zwischenstopp gab, zumindest nicht, wenn man auf dem Weg in die oberste Etage war.

Kaum hatten die Türen sich geschlossen, fiel die Anspannung von Alex ab. Grace behielt ihre bei, wobei sie Becca offen musterte.

»Wie geht es Mutter?«, fragte Christoph.

»Gut, allerdings ist sie schlecht gelaunt. Sie hasst Los Angeles. Sogar fast so sehr wie sie Irene hasst.« Becca merkte Alex an, dass er noch mehr sagen wollte, doch Christoph unterbrach ihn.

»Sie wird sich an den Gedanken gewöhnen. Das haben alle getan. Irene zu heiraten, ist das Beste, was ich tun kann. Mutter wird das mit der Zeit einsehen.«

»Es ist, als würdest du Mutter nicht kennen«, mischte Grace sich ein. »Sie würde eher tot umfallen, als dass sie deinem Püppchen auch nur einen Funken Respekt entgegenbringt.«

Christoph lächelte seine Schwester an. »Solange du das mit dem Respekt irgendwann hinbekommst, sollte es ja keine Probleme geben.«

 

Ein leises Läuten kündigte ihre Ankunft an und unterbrach so das Gespräch. Die Türen des Aufzugs glitten lautlos zur Seite. Ehe sie sich komplett geöffnet hatten, schob Christoph sich an Becca vorbei und betrat den Flur. Der Stoff seines Anzugs streifte ihre Haut und er kam ihr nahe genug, dass sie sein dezentes Aftershave riechen konnte. Sie zuckte zurück, was er mit einem Grinsen quittierte.

»Mein Zimmer ist da entlang«, stellte er fest und deutete nach rechts. »Grace, deines ebenfalls.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schlenderte er den Flur entlang. Der dicke Teppich verschluckte jedes Geräusch seiner Schritte und die Selbstsicherheit, die er ausstrahlte, zeigte, dass er im Gegensatz zu Alex nichts und niemanden fürchtete. Zumindest nicht hier oben.

Alex’ Räume lagen dem Aufzug direkt gegenüber. Becca hatte von Anfang an den Verdacht gehabt, dass es sich dabei nicht um einen Zufall handelte. Er schien gerne alles im Blick zu haben.

Grace sah ihrem Bruder unschlüssig nach, folgte dann aber Alex, der die Tür zu seiner Suite aufsperrte.

»Becca, bleib bitte hier und gib mir Bescheid, wenn jemand die Etage verlässt«, wies Alex sie an.

Graces Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln, als sie an Becca vorbei in das geräumige Zimmer schritt. »Darling, ein Drink wäre jetzt angebracht! Du weißt, was ich gerne mag, würdest du mir einen mixen, während ich mich ein wenig frisch mache?«

Die Tür fiel ins Schloss und schnitt Becca vom weiteren Gespräch ab. Nein, diese beiden waren mit Sicherheit nicht verwandt. Sie blickte den leeren Flur entlang und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Wahrscheinlich würde der Auftrag ab jetzt genauso langweilig werden, wie sie im ersten Moment vermutet hatte.

 

Die Tür schloss sich hinter Alex und das beklemmende Gefühl der Enge stieg in ihm auf. Grace zog in einer fließenden Bewegung ihren Blazer aus und warf ihn zusammen mit ihrer Handtasche aufs Sofa. Sie nutzte den Weg zum Badezimmer, um aus ihren Schuhen zu schlüpfen. Die neue Freiheit genießend, stöhnte sie auf.

»Man könnte meinen, dass man für das Geld, das ich ausgegeben habe, ein paar bequeme Schuhe bekommt. Aber nein, Frauen sollen ja vor allem schön aussehen, nicht war?«

»Solche Ansprüche habe ich an niemanden nach einem zwölfstündigen Flug.« Er hörte, wie sie den Wasserhahn im Bad aufdrehte.

»Du kannst dich schon einmal ausziehen.« Ihre Stimme klang durch das Rauschen des Wassers gedämpft. Ihre Aufforderung riss ihn aus seiner Starre und er schlenderte zu dem protzigen Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Er legte das Jackett über den Schreibtischstuhl. Knopf für Knopf öffnete er sein Hemd. Langsam, das Unumgängliche hinauszögernd. Leise Schritte näherten sich ihm von hinten. Er drehte sich zu Grace, die sich augenblicklich an den letzten Knöpfen zu schaffen machte.

»Du könntest etwas Sonne vertragen«, stellte sie fest und strich den Stoff zur Seite, bis er über Alex’ Schultern glitt.

»Du weißt, wieso ich nicht in die Sonne gehe.«

Sie presste die Lippen zu einem Strich zusammen und ersparte ihnen beiden jegliche Bemerkung.

»Willst du es hier machen?«, fragte Grace und deutete auf die Unterlagen, die sich auf der Holzfläche türmten.

Alex zögerte. Sein Blick wanderte zwischen Sofa, Schreibtisch und Schlafzimmer hin und her. »Es macht keinen Unterschied, oder?«

»Wo immer du dich wohler fühlst.« Ihr Blick glitt wieder über seinen Brustkorb.

»Schlafzimmer.« Seine Stimme zitterte.

Grace ließ ihn stehen und holte ihre Handtasche. Sie schlenderte in das Schlafzimmer und drehte sich noch einmal zu ihm um. »Wann immer du soweit bist.«

Alex zögerte. Er sah zur Eingangstür und spielte mit dem Gedanken, einfach zu gehen. Aber er kannte Grace. Sie würde nicht locker lassen, bis sie bekam, weswegen sie gekommen war.

Also ergab er sich in sein Schicksal und folgte ihr.

»Du kannst Liegestütze machen, bis ich hier fertig bin.« Akkurat breitete sie den Inhalt ihrer Handtasche auf seinem Nachttisch aus.

»Wie kommst du mit dem Zeug eigentlich immer durch die Sicherheitskontrollen?«, fragte Alex und kam ihrer Aufforderung nach.

»Ich bin Ärztin.« Sie testete das Desinfektionsspray an ihrer Handfläche, ehe sie es neben Tupfer und Einwegkanülen legte. »Ich habe einen Patienten hier und benötige meine Materialien.« Sie wandte sich ihm zu. »Das sollte reichen.«

Kaum stand er wieder vor ihr, drückte sie ihm das kalte Stethoskop gegen den Brustkorb. Sie lauschte einen Moment, dann nahm sie ihr Folterwerkzeug wieder ab. Es hatte ihr Haar zerzaust, der Anblick erinnerte ihn an die Zeit ihres Studiums. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, doch es war verschwunden, bevor sie es bemerkte.

Alex setzte sich auf die Bettkante. Den Ablauf dieser Untersuchungen kannte er nur zu gut. Sie waren Teil seines Lebens, so lange er denken konnte. Grace band ihm den Oberarm ab. Ihr Blick blieb kurz an einem blauen Fleck hängen, der die Haut an seinem Rippenbogen dunkel verfärbte, doch sie sagte nichts dazu. Alex ballte die Hand zu einer Faust, bis die Vene deutlich hervortrat. Er spürte den Einstich kaum.

»Du hast mir am Telefon gesagt, dass dein Herz dir wieder Schwierigkeiten macht.« Obwohl sie sich auf die Füllmenge der Ampulle konzentrierte, konnte sie die Sorge in ihrem Blick nicht verstecken.

»Seit ich in Los Angeles bin«, bestätigte er. »Ich habe die Dosis erhöht, was es verbessert hat. Aber manchmal fühlt es sich an, als würden sich Eisenbänder um meinen Brustkorb legen.«

Sie verpackte die Blutprobe und setzte sich neben ihn. »Es scheint, als wäre alles in Ordnung, aber ich würde gerne eine Sonografie durchführen. Christoph kümmert sich darum, dass wir Zugang zu einem Gerät bekommen.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Das hier ist keine komplette Untersuchung«, erinnerte sie ihn, ehe sie eine Spritze aus der Tasche holte. »Du bekommst eine stärkere Dosis und ich komme wieder, sobald meine Koffer vom Flughafen gekommen sind.«

Grace desinfizierte eine weitere Stelle auf seinem Arm. Auch diesen Einstich spürte er kaum. Das Brennen setzte erst ein, als der Inhalt der Spritze sich in seinen Adern ausbreitete. Alex keuchte und ballte die Hände zu Fäusten.

»Nicht anspannen«, ermahnte Grace ihn. Sie nahm seine Hände in ihre. »Ruhig atmen. Ich weiß, es tut weh.«

Es dauerte fast fünf Minuten, bis sein Atem sich wieder beruhigte. Er zitterte.

»Es tut mir leid. Ich suche immer noch nach einer Formel, die weniger schmerzhaft ist.«

Alex schwieg. Er bewegte sich nicht, auch nicht, als Grace ihren Kopf an seine Schulter legte. Trotz des langen Fluges roch sie nach Blumen. Im Spiegel konnte er sehen, dass sie ihre Augen schloss. Behutsam legte er einen Arm um sie.

»Wir sind alle müde, darum hat Christoph uns hierher gebracht. Er denkt, ein wenig Urlaub würde uns guttun.«

Sie lachte. »Urlaub? Als ob ihr beide irgendwann Urlaub machen würdet.«

Sie stand auf und beugte sich zu ihm herab. Ihre Lippen streiften seine Wange, als sie ihm federleicht einen Kuss aufdrückte. »Ich lege mich eine Weile hin. Gehen wir heute Abend gemeinsam Essen?«

»Gerne. Ist sechs Uhr okay für dich? Ich würde gerne vorher noch etwas trainieren, vorausgesetzt, meine Ärztin erlaubt das.«

»Wie gesagt, Urlaub kennt ihr beide doch gar nicht. Viel Spaß beim Training.« Die Betonung lag klar auf dem letzten Wort.

»Sie ist meine Personenschützerin, nicht mehr.«

»Natürlich nicht, darum bist du ja auch im Aufzug nur fast an die Decke gegangen, als Christoph sich ihr genähert hat. Glaub nicht, ich hätte das nicht bemerkt«, neckte sie ihn und verließ das Schlafzimmer.

Ein Klopfen an der Tür ließ Alex aufhorchen. Er nahm sich ein Longsleeve aus dem Schrank und zog es sich über den Kopf, ehe er Grace in das Wohnzimmer der Suite folgte.

 

Becca genoss die kühle Wand in ihrem Rücken. Sie studierte das Muster der Tapete auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges und fand schnell den minimalen Fehler, der alles asymmetrisch werden ließ.

Das Surren der Lampen war so leise, dass es einen Menschen nicht weiter gestört hätte, doch in der fast greifbaren Stille der Etage setzte das Geräusch sich in ihren Ohren fest. Sie spürte die Clanmacht kaum, ein Umstand, dem sie mit Misstrauen begegnete.

Gelangweilt löste sie ihren Blick von dem Fehler an der Wand und schlenderte vor der Tür auf und ab. Fünf Schritte in eine Richtung, fünf wieder zurück. Sie strich mit ihren Händen über ihre Jeans. Geschlossene Räume, noch dazu ohne Fenster, waren nicht ihr bevorzugter Aufenthaltsort. Für einen Moment schloss sie die Augen und stellte sich vor, durch den Wald zu laufen. Dann lehnte sie sich erneut gegen die Wand.

Gedankenverloren fuhren ihre Finger die einzelnen Perlen des Rosenkranzes entlang, der wie immer an ihrem Handgelenk baumelte. Zierrat und Waffe zugleich. Er war wesentlich stabiler als die üblichen Schmuckstücke und hatte in ihrer Familiengeschichte schon mehr als einen Einsatz beim Erwürgen von Jägern gehabt. Die Zeit schien stillzustehen.

 

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Christoph auf dem Weg zum Pool Richtung Aufzug schlenderte.

Er hatte den Anzug abgelegt und gegen Shorts getauscht, eine grelle Kombination aus Farben, die wohl nur ein englischer Tourist wählen würde. Selbst eine Leuchtreklame wäre dezenter gewesen. Ein Handtuch lag über seinen nackten Schultern.

Kaum entdeckte er Becca, hielt er kurz inne und kam dann direkt auf sie zu.

»Er lässt dich wirklich hier draußen stehen? Nur damit er sich da drinnen mit Grace vergnügen kann?« Er lehnte sich neben ihr an die Wand. Sein Ton klang spöttisch, als er weitersprach. »Dabei ist Grace hier die größte Gefahr für ihn.« Er lächelte. »Oder bist es vielleicht sogar du?«

»Es ist mein Job, hier zu stehen«, erwiderte Becca steif. Seine Aufmerksamkeit lag auf ihr wie ein nasses Tuch und sie sehnte sich augenblicklich nach der Langeweile zurück. Christoph machte sie nervös. Viel schlimmer noch: Er verunsicherte die Clanmacht.

Er bemerkte ihre abweisende Art und gab ihr etwas Raum, indem er einen Schritt zurücktrat. »Ich geh mich abkühlen. Das kannst du ihm gerne ausrichten. Allerdings solltest du anklopfen, immerhin hat er Frauenbesuch. Es würde mich übrigens wirklich interessieren, welche Referenzen du mitbringst. Alexander ist sehr wählerisch bei seinen Angestellten. Es muss ihn wahnsinnig machen, mit Fremdpersonal arbeiten zu müssen.«

»Darüber ist mir nichts bekannt.«

Ein Standardspruch, der im Normalfall jeglichen Versuch, Informationen von ihr zu bekommen, unterband. Auch dieses Mal wirkte er. Christoph lachte und drehte sich betont langsam von ihr weg, ehe er Richtung Fahrstuhl davonspazierte. Er bewegte sich, als wäre ihm bewusst, dass sie ihm hinterhersah.

In dem Anzug hatte er nicht so muskulös gewirkt. Beccas Kiefer mahlten aufeinander.

Kurz bevor er den Aufzug erreichte, verrutschte das Handtuch und zeigte eine helle Narbe auf seinem Schulterblatt. Hinter jeder attraktiven Fassade gab es düstere Geheimnisse. Sie starrte noch einen Moment auf die Narbe, dann schüttelte sie energisch den Kopf. Sie war nicht hier, um in der Schmutzwäsche einer englischen Adelsfamilie zu wühlen. Auch wenn dieses Geheimnis es wert sein konnte, den Job aufs Spiel zu setzten.

 

Becca wartete, bis Christoph im Fahrstuhl verschwand, dann drehte sie sich um und klopfte an Alex’ Tür. Die Sekunden verstrichen und als die Tür sich öffnete, stand nicht Alex vor ihr, sondern Grace. Sie hatte die Jacke zu ihrem Kostüm ausgezogen. Die Bluse war zerknittert und aus dem Rock gerutscht. Becca bemerkte den Schweißfilm auf ihrer Haut und dass sich ihr Brustkorb schneller als gewöhnlich hob und senkte. Grace strich sich das zerzauste Haar zurück und machte kein Geheimnis daraus, was sie die letzte halbe Stunde getrieben hatte.

»Was ist?«, herrschte sie Becca an.

»Alex wollte, dass ich …« Weiter kam sie nicht. Die Frau verdrehte die Augen, wandte sich von ihr weg und stolzierte zurück in den Raum, während Alex aus dem Schlafzimmer kam. Er hatte Jackett und Hemd gegen ein dünnes, langärmliges Shirt getauscht, das er gerade zurechtzog.

»Was gibt es?«

»Sie wollten Bescheid bekommen, wenn jemand die Etage verlässt. Mr. Tosny ist soeben gegangen. Er will zum Pool, um sich eine Runde abzukühlen.« Becca betonte die förmliche Anrede. Schon am ersten Tag hatte Alex ihr den vertraulichen Ton angeboten, doch die momentane Situation erschien ihr dafür nicht angemessen. Graces Anwesenheit würde ihren Job nur erschweren und es gab keinen Grund, das Revierverhalten der Engländerin anzustacheln.

 

Alex’ Augenbrauen schoben sich zusammen. »Komm rein.«

Grace verdrehte ein weiteres Mal die Augen. Sie legte Alex eine Hand auf den Oberarm. »Ich gehe mich eben frisch machen. Vergiss nicht, wo wir unterbrochen wurden.« Sie schwebte förmlich ins Badezimmer.

Beccas Blick blieb an einem Schreibtisch hängen, der unter einem unordentlichen Stapel Papier verschwand. Sowohl sein Jackett als auch sein Hemd hingen über dem Stuhl. Alex folgte ihrem Blick und beobachtete ihre Reaktion.

Sie war froh, dass die Suiten im obersten Stock Vorzimmer hatten, so war es ihr erspart geblieben, direkt ins Schlafzimmer des Paares zu platzen.

»Ich will, dass du zu Christoph gehst. Er hat die Angewohnheit, seine Termine zu verpassen und es wäre nett, wenn du ihn um 14 Uhr daran erinnerst, dass er einen Termin für die Blumenauswahl hat. Ich würde ihn den ja verpassen lassen, aber ich fürchte, dann gibt es Mord und Totschlag zwischen Irene und unserer Mutter.«

Erleichtert atmete sie auf. Er schickte sie nicht zurück auf den Flur. »Sie sind der Boss. Wenn Sie wollen, dass ich am Pool rumsitze und faulenze, mache ich das.«

Er zeigte keinerlei Reaktion auf ihre flapsige Bemerkung, sondern trat an den überfüllten Schreibtisch und öffnete eine der Schubladen. »Ach, und eines noch: Halt etwas Abstand. Er hasst es, wenn ich ihn unter Beobachtung stelle.« Er reichte ihr eine Schlüsselkarte. »Damit du problemlos wieder hochkommst, und für die Getränke.«

Als sie nach der Karte griff, hielt er diese fest, bis Becca zu ihm aufsah. »Mein Verhalten gerade tut mir leid. Ich werde nur nicht gerne überrascht.«

Er ließ die Karte los und Becca nahm sie an sich.

»Es war nicht meine Absicht, euch zu unterbrechen.« Sie senkte den Blick und beeilte sich, die Suite zu verlassen, bevor Grace aus dem Badezimmer zurückkam.

Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, atmete Becca auf. Seit der Ankunft der beiden Geschwister verwandelte sich ihr Tag immer mehr in einen Spießrutenlauf. Die Leichtigkeit, die das Zusammensein mit Alex ausgemacht hatte, war verschwunden. Der ganze Mann schien wie ausgewechselt. Sie holte tief Luft.

»Nur ein Auftrag. Er ist nur ein Auftrag«, murmelte sie vor sich hin und setzte sich dann in Bewegung, um an den Pool zu kommen. Zumindest die Aussicht würde am Wasser wesentlich interessanter sein als in dem leeren Gang.

 

3. Kapitel

 

Den Blumenladen zu finden, war eine Kunst für sich. Der Eingang war winzig. Obwohl das Schaufenster kunstvoll geschmückt war, wäre Luke daran vorbeigefahren, hätte sein Navi ihn nicht rechtzeitig gewarnt. Er parkte den zu groß geratenen Geländewagen, der noch nie die Stadt verlassen hatte, direkt vor dem Eingang auf dem breiten Gehweg. Im Revier seines eigenen Clans hätte er einen Parkplatz gesucht. Hier gab es jedoch Kisten zu schleppen und Luke hatte kein Interesse daran, mit Blumen beladen durch fremdes Territorium zu stolzieren. 

Allein der Gedanke ließ ihn die Albträume der kommenden Nacht erahnen.

Es war bekannt, dass er das unterste Glied der Rangfolge war. Auf Bemerkungen darüber, dass er eher ein Lamm denn ein Wolf war und noch dazu mit Blumen spielte, wollte er zumindest von anderen Rudeln verzichten.

Noch immer waren die Clans streng getrennt. Cage, der Alpha der Nekare, wollte keine fremden Wölfe in seinem Revier. Das einzige Zugeständnis, zu dem der Alpha sich durchgerungen hatte, war die freie Passage für gelegentliche Arbeitstouren. Allein die vorher geschickte Nachricht garantierte Luke Sicherheit für die Dauer seines Auftrags.

Die Tür des Ladens war nur angelehnt. Luke öffnete, eine altmodische Klingel kündigte ihn an. Er verstand augenblicklich, wieso die Braut sich in das Geschäft verliebt hatte. Der Laden bestach mit einem Mix aus Tradition und Hippie-Chic. Der Duft der Blumen überlagerte jeden anderen Geruch und so sah er sich beim Durchqueren des Raumes umso genauer um.

»Bin gleich da!«, ertönte eine fröhliche Stimme aus dem Nebenraum. Luke blieb stumm und bahnte sich einen Weg, vorbei an Kübeln mit Schnittblumen und Regalen mit Zimmerpflanzen. Im Vorbeigehen fiel sein Blick auf einen Strauß Wolfsbane. Die Pflanze war giftig. Für Menschen, aber noch mehr für Werwölfe.

Er beeilte sich, an den Blumen vorbeizukommen. Den Drang, sich abgeschnittene Pflanzen in die Wohnung zu stellen, hatte Luke nie verstanden. Wenn die Menschen Natur wollten, konnten sie genauso gut in den nächsten Nationalpark wandern. Er schüttelte den Kopf. Aber wer hatte heutzutage schon Interesse an Spinnen, Ameisen und Sonnenbrand, wenn man stattdessen eisgekühlte Cola und Chips in Reichweite des Sofas bekam? 

Mit einem leisen Seufzen lehnte er sich an den Verkaufstresen. Dieser sah aus, als wäre er schon im vorigen Jahrhundert aus einem Museum gestohlen worden. Massiv stand er im hinteren Teil des Raumes und verschluckte mit seinem dunklen Holz das Licht.

Um sich die Zeit zu vertreiben, betrachtete Luke die verschiedenen Schmuckbänder, die unter der Glasplatte des Möbelstückes auslagen.

Der Geruch der Blumen stieg ihm zu Kopf. In der behaglichen Umgebung war es leicht, sich zu entspannen. Er verließ sich auf das Gefühl in seinem Kopf und ließ alle Vorsicht fahren.

Ein Fehler.

»So, da bin ich.« Die Besitzerin stand plötzlich hinter dem Tresen, keinen halben Meter von ihm entfernt. Luke zuckte zusammen und war sich sicher, die Clanmacht in seinen Gedanken kichern zu hören. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die Frau an.

»Hi! Ich bin Luke und soll die Gestecke abholen.«

Die Hitze in seinen Ohren verriet ihm, dass sie feuerrot angelaufen waren. Schnell senkte er den Blick wieder. Weg von ihren Augen, auf den Tresen. Der sah ihn immerhin nicht so erwartungsvoll an.

Die Brünette schüttelte den Kopf. »Da müssen Sie etwas falsch verstanden haben. Sie sind nicht hier, um die Gestecke abzuholen. Sie sind hier, um mich und die Gestecke abzuholen.« Sie lächelte ihn versöhnlich an. »Ich bin übrigens Sofie, mir gehört der Laden.«

Luke hob den Kopf und starrte der zierlichen Frau wieder ins Gesicht. Ein braunes Augenpaar funkelte ihm entgegen. Sie hatte die Lippen zu einem spöttischen Grinsen verzogen und wartete darauf, dass er sich an dem Gespräch beteiligte.

Trotz des geballten Blumenduftes konnte er ihr dezentes Parfüm riechen. Nicht einmal ein halber Meter lag zwischen ihnen, sie hatte sich über den Tresen gebeugt. Ohne dass er es gemerkt hatte, hatte er sich ihr ebenfalls entgegen gelehnt. Zum Glück war das Möbelstück stabil gebaut. Er zwang sich, den Blick auf einen Strauß mit Margeriten zu wenden und atmete einmal tief ein und aus, ehe er sich erneut seiner Gesprächspartnerin zuwandte.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nur die Gestecke abholen soll, aber wenn Sie wünschen, kann ich Sie natürlich gerne mitnehmen. Ich kann jedoch nicht dafür garantieren, dass es auch eine Rückfahrt geben wird. Das liegt nicht in meinem Ermessen.«

Hatte er gerade wirklich ›Ermessen‹ gesagt? Dass seine Hände trotz der Hitze eiskalt waren, war nur ein weiterer Hinweis, dass er sich mich seinem linkischen Verhalten total blamierte. Doch etwas an der Frau ließ ihn vollkommen die Fassung verlieren. Die Aleashira drängte ihn regelrecht dazu, ihr nahe zu sein. Ein guter Grund, sich von ihr fernzuhalten, denn bis jetzt hatte die Clanmacht ihn nur in Schwierigkeiten gebracht.

Sie standen sich schweigend gegenüber. Er musterte sie. Die braunen Haare hatte sie zu einem lockeren Knoten zurückgebunden, aus dem sich einzelne Strähnen lösten. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihre Augen erinnerten ihn an Schokolade.

»Wundervoll.« Sofie ging in den Nebenraum, um kurz darauf mit zwei schweren Körben zurückzukommen. Sie stellte sie auf den Tresen und verschwand wieder. Luke krempelte seine Hemdsärmel hoch. Er wartete keine Aufforderung ab, sondern nahm die Blumen an sich, um sie in den Wagen zu bringen. Ein willkommener Vorwand, um aus der Situation zu entkommen. Raus aus dem Laden, dessen Blumenduft seine Gedanken durcheinanderbrachte. Vermutlich war es das Wolfsbane, der dafür sorgte, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte.

Der Geruch von Abgasen und Stadt holte ihn zurück in die Realität. Das hier war das Clan-Gebiet der Nekare. Er musste auf der Hut bleiben. Bewusst sog er die heiße Luft in seine Lungen.

Schnell stellte er die Blumen in den Kofferraum, damit die Hitze den empfindlichen Blüten keinen Schaden zufügte. Er schloss die Heckklappe und überlegte, ob er in den Laden zurückkehren sollte.

Vielleicht wartete sie darauf, dass er ihr half? Vermutlich gab es noch Einiges zu tragen. Unschlüssig blieb er stehen und wartete. Augenblicklich klebte das Hemd wieder an seinem Rücken. Er hasste die Hitze und schielte zum klimatisierten Wageninnenraum. Er dachte an seinen Plan, sein Rudel zu verlassen und auf eigene Faust in ein kühleres Gebiet zu ziehen, weg aus Los Angeles. Doch plötzlich war diese Vorstellung gar nicht mehr so verführerisch.

Gerade als er sich in Bewegung setzte, um den Laden wieder zu betreten, öffnete sich die Tür. Dieses Mal war er auf den Anblick von Sofie vorbereitet. Eine weitere Locke hatte sich aus dem nachlässigen Knoten gelöst. Der Blazer, den sie sich übergeworfen hatte, täuschte nicht über ihre fleckige Jeans hinweg. Sie hatte einen weiteren Korb in den Armen und Luke beeilte sich, ihn ihr abzunehmen.

Neben Sofie erschien eine jüngere Ausgabe von ihr. Ein Mädchen, vielleicht gerade volljährig geworden. Sie war zu alt, um Sofies Tochter zu sein. Der größte Unterschied zwischen den beiden bestand in den manikürten Fingernägeln der Jüngeren, die darauf hindeuteten, dass sie eher Mode- als Pflanzentyp war.

»Er starrt dich an.« Und offensichtlich nahm sie kein Blatt vor den Mund.

»Jane, das ist unhöflich!«

»Das ist Starren auch.«

Die Ladenbesitzerin verpasste ihrer jüngeren Ausgabe einen Stoß mit dem Ellenbogen und ging zur Beifahrertür.

»Sofie!«, rief Jane ihr nach, worauf diese stehenblieb und sich zu ihr umdrehte. »Er ist süß!«

Sofie schnitt eine Grimasse und Lukes Blick wanderte unsicher zwischen den beiden hin und her.

Mit rotem Kopf öffnete er ihr die Tür. Ihr Blick blieb an einem kleinen Tattoo auf seinem Arm hängen. Für einen Moment zögerte sie, dann stieg sie ein.

Obwohl der Wagen nur kurz in der Sonne gestanden hatte, war die Temperatur im Inneren deutlich gestiegen. Luke beeilte sich, den Motor zu starten, um die Klimaanlage wieder in Betrieb zu nehmen.

»Sind Sie sicher, dass Sie mich begleiten wollen? Ich kann die Gestecke auch ausliefern.«

Nicht unbedingt der beste Einstieg in ein Gespräch. Insgeheim hoffte Luke, sie würde zustimmen. Das hätte es ihm um einiges vereinfacht. Sofie nickte tatsächlich und legte den Sicherheitsgurt an.

»Sind Sie sicher, dass Sie diese alberne Höflichkeit aufrechterhalten wollen?«

Er erwiderte nichts, sondern setzte den Wagen zurück.

Sie verdrehte die Augen. »Na, dann. Danke, dass Sie mich abholen.« Sofie klang amüsiert, dennoch wagte er es nicht, sie anzusehen, und starrte auf die Straße. Jetzt, wo der alles überlagernde Geruch des Blumenladens nicht mehr zwischen ihnen stand, war es fast unmöglich, sich auf die Fahrt zu konzentrieren.

»Warum nimmst du überhaupt an dieser Ausschreibung teil? Soweit ich das beurteilen kann, sind die Kunden fürchterlich«, sagte er nach einer Weile, ohne den Blick vom Wagen vor ihnen abzuwenden.

»Ach, jetzt doch nicht mehr so förmlich? Soweit ich es beurteilen kann, sind alle Bräute fürchterlich. Natürlich würde ich lieber weiter auf dem Wochenmarkt stehen oder in meinem kleinen Laden arbeiten, aber mein Auto ist kaputt und ich kann momentan jeden Dollar gebrauchen. Warum also nicht Neukundengewinnung im Black Diamonds, wenn sie mir diese Möglichkeit schon bieten?«

Luke gab keine Antwort. Während sie schweigend weiterfuhren, setzte sich der Geruch von Jasmin in seiner Nase fest und er riskierte einen kurzen Blick zur Beifahrerseite. Sofie sah aus dem Fenster und schien die Umgebung in sich aufzusaugen. Ihre Begeisterung steckte an. Ein Lächeln schlich sich auf Lukes Gesicht.

4. Kapitel

 

Becca trat in die Mittagssonne. Sie hatte ihre dunklen Locken zu einem Zopf gebunden, dennoch klebten einzelne Strähnen sofort an der Haut in ihrem Nacken.

Sie sah sich suchend um und entdeckte Christoph an einer der drei Poolbars. Er hatte einen bunten Drink mit Schirmchen in der Hand und ein Lächeln auf den Lippen. Kaum, dass er sich umdrehte, um zu seiner Liege zurückzugehen, stieß er mit Trish zusammen. Sie wartete direkt hinter ihm auf ihren Cocktail. Ihr erschrockener Aufschrei zog die Aufmerksamkeit aller auf die Blondine, während sie versuchte, mit einem Handtuch die Reste von Christophs klebrigem Getränk aus ihrem Dekolleté zu wischen.

In dem knappen Bikini und mit der nahtlos gebräunten Haut hätte niemand sie für eine Angestellte gehalten. Der leuchtend bunte Schal, der sich um ihre Hüfte schmiegte, schaffte es nicht, eine Illusion von Anstand zu erzeugen, passte farblich jedoch ausgezeichnet zu Christophs Shorts. Ihre Verärgerung hielt nicht lange an. Kaum hatte sie den Schreck verdaut, lachte sie und legte vertraulich ihre Hand auf Christophs nackte Brust.

Für Becca war es auf die Entfernung unmöglich, zu hören, was sie sagte, es war jedoch gar nicht nötig. Ihre Absichten waren offensichtlich.

Becca rechnete nicht mit Erfolg. Christophs Verlobte war nur ein paar Räume weiter damit beschäftigt, die letzten Handgriffe für ihre Hochzeit zu delegieren, und so dreist waren die wenigsten Männer. Trish würde unweigerlich eine Abfuhr kassieren und sich nach dem nächsten Opfer umsehen.

Die Personenschützerin bedeutete einem Kellner, ihr eine Cola zu bringen, und setzte sich auf einen Stuhl in den Schatten. In dem hellen Tank-Top und der langen Jeans fühlte sie sich hier vollkommen fehl am Platz.

Unterdessen hatte Christoph zwei neue Getränke entgegengenommen und reichte eines davon in diesem Moment Trish. Die beiden schlenderten zu seiner Liege und setzten sich nebeneinander. Augenblicklich waren sie in ein Gespräch vertieft. Sie schienen sich gut zu verstehen.

Der Kellner brachte Beccas Cola, sie nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Die kühle Flüssigkeit rann ihre Kehle hinunter und erst jetzt bemerkte sie, wie ausgetrocknet sie gewesen war. Sie trank einen weiteren Schluck von dem gefärbten Zuckerwasser, als Trish abrupt aufstand. Doch statt zu ihrer Arbeit zurückzukehren, drehte sie sich zu Christoph um und reichte ihm die Hand. Langsam stand er auf und folgte Trish wie ein zahmes Hündchen.

Becca verschluckte sich und hustete. Von Trish hatte sie nichts anderes erwartet. Da Christoph keinen Ring trug, konnte sie es nicht besser wissen. Von ihm hatte sie allerdings mehr erwartet. Warum auch immer.

Schlagartig wurde ihr klar, warum Christoph keinen Bodyguard um sich haben wollte. Es konnte nicht in seinem Interesse sein, wenn zu viele Personen von seinen Freizeitaktivitäten wussten. Becca leerte die Flasche mit einem Zug.

Ihre Aufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass Christoph rechtzeitig beim Treffen mit den Floristen war. Sie war nicht gebeten worden, ihn von fremden Frauen fernzuhalten.

Sie ließ die Flasche neben dem unangetasteten Glas stehen und schlenderte in die Lobby. Es gab keinen Grund mehr, in der Hitze auszuharren. Von den bequemen Sesseln in der Vorhalle hatte sie einen perfekten Blick auf den Fahrstuhl. Falls Christoph früher zurückkam, konnte sie ihm die Peinlichkeit ersparen, ihn aus Trishs Bett holen zu müssen.

5. Kapitel

 

Sofie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und lehnte sich in den weichen Ledersitz. Der Blick aus dem Fenster hielt sie davon ab, den Mann auf dem Fahrersitz unverhohlen anzustarren. Zumindest für eine Weile.

Sie versuchte, sich auf ihren Auftrag zu konzentrieren, doch kaum achtete sie nicht mehr auf ihre Umgebung, ertappte sie sich dabei, Luke zu beobachten. Ihr Blick blieb an seinen dunklen Locken hängen, die kurz genug waren, um ihm nicht in die Augen zu fallen. Möglicherweise fuhr er nicht sehr oft, da er die Straße fixierte, als wollte er den Verkehr mit dem Blick festpinnen. Trotz der spürbaren Unsicherheit steuerte er den Wagen souverän durch den Verkehr. Er war die Art von Kerl, die man bat, einem bei einer Reifenpanne zu helfen. Jemand, der einem ungefragt die Blumenkästen zum Kofferraum trug.

Sie ließ zu, dass Janes Aussage sich wieder in ihr Bewusstsein drängte. Ja, Luke hatte sie angestarrt, momentan ignorierte er sie jedoch.

Sofie ließ ihren Kopf gegen die Scheibe sinken, nur um sich gleich darauf wieder gerade hinzusetzen. Fahrig strich sie sich durch die Haare und sah sich in dem Wagen um.

Im Gegensatz zu ihrem Truck hatte sie das Gefühl, in einem Shuttle zu sitzen. Die Technik des Hotelwagens schien nicht ohne unzählige Knöpfe auszukommen. Ihr Blick blieb wieder an Luke hängen. Er hatte die Ärmel seines Hemdes vorhin hochgekrempelt. Das kleine Tattoo, das ihr schon vorher aufgefallen war, blitzte unter dem Rand des Stoffes hervor.

Es hatte höchstens den Durchmesser einer Münze. Neugierig sah sie es sich näher an. Die Linien verblassten bereits, trotzdem konnte sie den Wolf darin noch vage erkennen. Wie eine Erinnerung aus einer anderen Zeit.

Sie öffnete den Mund, um danach zu fragen, schloss ihn aber wieder. Es war besser, sich nicht mit einem von ihnen einzulassen. Nicht einmal oberflächlich.

Ihre Schwester hätte sich vor Lachen vermutlich nicht mehr auf dem Sitz halten können. Zurückhaltung war für sie ein Fremdwort, sie sprach aus, was sie dachte. Doch Jane war nicht hier und so würde Sofies Neugierde unbefriedigt bleiben.

Sie schüttelte den Kopf. Alles hing von diesem einen Auftrag ab. Seit ihr Pick-up nicht mehr ansprang, fehlte ihr der Markt als Einnahmequelle. In ihrem Laden herrschte an den Wochenenden gähnende Leere und ohne die Einnahmen war es unmöglich, Jane zu unterstützen. Es würde Sofie das Herz brechen, ihrer Schwester zu sagen, dass sie ihr Traumstudium nicht antreten konnte. Falls sie diesen Auftrag nicht bekam, würde sie einen zweiten Job annehmen müssen. Wahrscheinlich bei dieser Immobilienfirma am Empfang. Die Bezahlung war gut und beinhaltete sogar eine Krankenversicherung, doch bereits der Gedanke daran, nicht mehr täglich von ihren Blumen umgeben zu sein, ließ sie schaudern. Entweder die Hochzeit oder der Bürojob.

Die Blumendeko bei dieser Hochzeit zu arrangieren, würde die Reparaturkosten ihres Autos decken, wodurch sie wieder auf dem Markt arbeiten konnte. Vermutlich blieb sogar ein wenig Geld für eine Rücklage übrig, denn die nächste Panne würde kommen. Du könntest King fragen … Mit Sicherheit würde er ihr das Geld sofort leihen, allerdings wollte sie so viel Abstand wie möglich zwischen sich und ihren Ex-Freund bringen. Ihn um ein Darlehen zu bitten, war in der Hinsicht eher kontraproduktiv.

Er starrt dich an. Wieder schossen Janes Worte durch Sofies Kopf. Sie erinnerten sie an einen anderen Satz, den ihre kleine Schwester ihr einmal unverblümt ins Gesicht gesagt hatte: Er ist nicht gut für dich.

In Kings Schuld zu stehen, war keine Lösung. Davon abgesehen, dass Jane diese Hilfe nicht angenommen hätte.

Sie atmete tief durch und versuchte, sich auf die vor ihr liegende Aufgabe zu konzentrieren. Es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass die Braut sich ausgerechnet in ihren Laden verirrt hatte.

Schon für das Probegesteck hatte sie ein Honorar erhalten, das die Reise ans andere Ende der Stadt mehr als bezahlt machte. Für das getrocknete Wolfsbane zahlte die Frau ebenfalls einen stolzen Preis. Hoffentlich hatte sie nicht vor, ihren Zukünftigen zu vergiften.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis Luke endlich auf einen Parkplatz bog. Sofie streckte sich, um einen Blick auf das Hotel zu erhaschen. Ein Glaskomplex türmte sich vor ihr auf, elegant und protzig. Genau so hatte sie sich die Location vorgestellt. Jetzt zählte nur noch eine makellose Präsentation, um die Braut zu überzeugen. Gelang ihr das, würden sich all ihre Probleme in Luft auflösen. Sofie sackte seufzend in den Sitz zurück, plötzlich war ihr übel. Das war doch alles bloß Wunschdenken. Luke hatte recht. Die Kunden der Luxushotels waren fürchterlich, Erfolg so gut wie ausgeschlossen.

Kaum war der Motor verstummt, sprang Luke aus dem Wagen und eilte um die Motorhaube herum. Er öffnete die Beifahrertür, wartete jedoch nicht darauf, dass Sofie ausstieg, sondern wandte sich sogleich dem Kofferraum zu. Sie verließ den SUV und schloss die Beifahrertür hinter sich. Sie beobachtete, wie Luke alle drei Kästen auf einmal nahm und den Kofferraum über einen Sensor schloss, ehe er sich zu ihr umdrehte.

»Wir sollten uns beeilen, damit die Blumen nicht leiden.« Damit schien für ihn alles gesagt zu sein. Er stürmte mit den gestapelten Körben auf den Nebeneingang des Hotels zu. Sofie blieb einen Moment stehen und legte den Kopf in den Nacken. Das Gebäude hatte mindestens acht Stockwerke.

Sie fragte sich, wie wohl die Aussicht auf das Meer von dort oben war. Dann beeilte sie sich, um Luke nicht aus den Augen zu verlieren.

 

»Hast du Trish gesehen?« Jerome kam Luke entgegen, als dieser die Lobby betrat. Einen Moment war Luke versucht, sich umzusehen, doch stattdessen zuckte er mit den Schultern.

»Ich komme gerade von meinem Auftrag zurück, hast du sie am Pool gesucht? Um diese Zeit ist sie doch häufig dort.«

Jerome verdrehte genervt die Augen. »Natürlich habe ich das. Ich habe sie sogar zuallererst am Pool gesucht, dann an der Bar und im Spa, aber sie ist nirgendwo aufzufinden. Und in einer halben Stunde müssen die Blumengestecke stehen und vorzeigbar sein!«

Luke blickte auf die Körbe in seinen Händen. »Sofie ist die Floristin, die ich abgeholt habe. Vielleicht kann sie aushelfen und den Job für Trish übernehmen.«

Hitze stieg Luke ins Gesicht und auch sein Nacken schien zu brennen, als in diesem Moment Sofie neben ihn trat.

Jerome betrachtete die zierliche Brünette neugierig. »Das wäre großartig! Sie würden für den Mehraufwand natürlich angemessen entschädigt.«

»Natürlich. Ich freue mich, wenn ich helfen kann.«

»Perfekt! Luke, du begleitest sie und sorgst dafür, dass sie alles hat, was sie braucht.«

»Brauchst du mich nicht woanders? Ich könnte Trish suchen.« Es war nicht Lukes Art, Jerome zu widersprechen, aber Sofie verwirrte ihn und seine einzige Möglichkeit, aus der Situation zu entkommen, war Flucht. Weg von diesen Augen, weg von diesem Geruch, weg von dieser Frau.

»Nein, ich brauche dich hier. Also los, zeig ihr den Raum und sorg bitte dafür, dass sie alles hat.«

Die Aleashira jubelte in seinen Gedanken. Luke schluckte und ergab sich in sein Schicksal. Schweigend ging er voraus. Sein Herz schlug schneller, als Sofie zu ihm aufschloss.

»Ist die Vorstellung, mit mir zu arbeiten, tatsächlich so schlimm? Ich bin eigentlich ganz umgänglich.«

Der Vorwurf traf ihn wie ein Peitschenhieb.

»Nein! Nein, gar nicht! Aber ich bin normalerweise nicht für Dekorationen zuständig.«

Ihr Lachen sorgte dafür, dass er sich weiter entspannte.

»Ich dachte schon, ich hätte dich irgendwie beleidigt oder dir irgendwas anderes getan.«

»Wir haben uns doch noch nie getroffen, wie also könntest du mir etwas getan haben?«

»Vielleicht haben wir uns schon einmal gesehen, vielleicht habe ich dir irgendwann die Vorfahrt genommen oder beim Bäcker den letzten Bagel vor der Nase weggeschnappt?«

»Hätten wir uns schon einmal getroffen, wäre mir das mit Sicherheit in Erinnerung geblieben.« Mit dem Ellbogen drückte er eine der beiden Klinken zu dem Hochzeitssaal herunter. Durch die Tür zu gehen, war wie eine Flucht nach vorne. Wahrscheinlich würde sie nur noch Augen für den Saal haben. Luke sollte recht behalten.

Die Hälfte des Saals bestand aus einer Orangerie, die von filigranen, gusseisernen Säulen gehalten wurde. Große Flügeltüren aus Glas ermöglichten es, den Raum in eine luftige Terrasse zu verwandeln.

Luke drehte sich zu Sofie und sah, wie sie staunend all die kleinen Details in sich aufnahm.

»Wunderschön!«, hauchte sie. »Was man hier alles draus machen kann!«

Sie drehte sich langsam um ihre eigene Achse und nahm jedes noch so kleine Detail in sich auf. Luke hingegen hatte keinen Blick für den Raum übrig.

»Selbst wenn es mit dem Auftrag nichts wird: Allein für diesen Anblick bin ich froh, hergekommen zu sein.«

»Ich auch.« Luke flüsterte bloß, zu leise, als dass sie ihn hätte hören können. Ihre Begeisterung berührte ihn.

Er stellte die Kisten auf einem Tisch ab und zog die Weste seiner Uniform aus. »Wir sollten alles für die Präsentation herrichten. Wenn du gewinnst, kannst du den ganzen Saal dekorieren. Das wird dann vermutlich Trish mit dir machen. Eigentlich ist das ihre Aufgabe. Vielleicht hilft euch auch Sunny. Er ist ein lieber Junge, du wirst ihn mögen.«

Unverwandt musterte sie ihn. »Wer weiß, vielleicht gefällt es mir ja, mit dir zu arbeiten?« Ihr Blick war so intensiv, dass Lukes Mund ihm plötzlich wie ausgetrocknet vorkam. Er wollte etwas erwidern, doch seine Zunge klebte am Gaumen. Dann war der Moment vorbei und Sofie deutete in den Saal: »Zuerst sollten wir die Tische für die Arrangements zurechtrücken. Wie viele Aussteller kommen denn?«

Er suchte auf dem Plan, den Jerome ihm auf die Körbe gelegt hatte, nach der Antwort.

»Fünf. Also, mit dir.« Triumphierend deutete er auf den Vermerk. Gemeinsam trugen sie den ersten Tisch an den vorgesehenen Platz. Innerhalb kürzester Zeit standen alle an den gewünschten Stellen. Das Ausrichten der Lichtstrahler übernahm Sofie, während Luke aus der Wäscherei die Tischdecken holte, die für einen neutralen Untergrund sorgen sollten.

Sie arbeiteten Hand in Hand, ohne viele Worte zu wechseln. Kaum hatten sie die letzte Tischdecke platziert, griff Sofie nach Lukes Unterarm. Sie drehte ihn so, dass sein Tattoo deutlich zu sehen war.

»Das ist ein interessantes Motiv.« Sie deutete auf das verblasste Symbol, das kaum noch zu erkennen war.

»Ja, man könnte es wohl eine Jugendsünde nennen.« Er krempelte die Hemdsärmel herunter.

»Hat es keine Bedeutung für dich?«

Luke beschlich das Gefühl, sie enttäuscht zu haben, als hätte er einen Test nicht bestanden. »Ich denke, dass jede Tätowierung eine tiefere Bedeutung hat«, erwiderte er leise. »Vielleicht ist der Träger nur nicht immer sofort bereit, sie zu teilen.«

Als hätte sie sich verbrannt, ließ sie seinen Arm los. »Entschuldige, wenn ich eine Grenze überschritten habe.«

Ehe Luke antworten konnte, öffnete sich die Tür. Jerome kam mit vier schwer beladenen Runnern und ebenso vielen Floristen in den Saal. Er sah sich um, nickte zufrieden, dann wandte er sich an Sofies Konkurrenz.

»Jeder von Ihnen bekommt einen Tisch für seine Präsentation. Sie haben fünfzehn Minuten Zeit, länger kann ich weder die Braut noch deren zukünftige Schwiegermutter davon abhalten, diesen Raum zu betreten.«

Sofort stimmten die Dienstleister in sein Lachen ein, als läge es in Jeromes Macht, zu entscheiden, wer von ihnen den Job bekam. Luke brachte ihre Kisten zu dem Tisch, den er für sie ausgesucht hatte. Sofies stand direkt an der Glasfront. Das Sonnenlicht sorgte für ein natürliches Strahlen der Blüten.

Die Betriebsamkeit, die an den Tischen entstand, erinnerte an einen Bienenstock. Bis auf Luke waren alle Runner gegangen, nur er drückte sich in der Nähe der großen Flügeltür herum. Er würde Sofie wieder in ihren Laden fahren. Zwar war es von seinem Chef noch nicht bestätigt, aber das war wohl das Mindeste, nachdem sie spontan einen Job für das Hotel übernommen hatte. Er beobachtete, wie sie die obere Kiste ungeöffnet unter den Tisch stellte und mit dem Auspacken der Zweiten begann. Ihre Arbeitsabläufe waren dabei ebenso präzise wie schon in der vergangenen halben Stunde.

Exakt fünfzehn Minuten, nachdem der Concierge den Raum verlassen hatte, öffneten die Türen sich wieder. Die Floristen hatten nur auf diesen Moment gewartet und nahmen die Hände von ihren Tischen. Zügig traten sie einen Schritt zurück, um ihr Werk wirken zu lassen.

Jeder Tisch hatte seinen eigenen Stil. Drei von ihnen waren modern gestaltet. Sofie und ein zweiter Florist hatten ein rustikaleres Ambiente gewählt, trotzdem sahen die Arrangements sich nicht ähnlich. Das zarte Pink der Rosen auf Sofies Tisch bildete einen sanften Kontrast zu dem Schleierkraut und den weißen Callas. Sie hatte die Sträuße in kleinen, kupferfarbenen Vasen auf verschieden hohen Baumstämmen drapiert. Wie auch die anderen Floristen hatte sie Teller und Gläser aus der Küche bekommen, um die Dekoration möglichst getreu darstellen zu können. Kerzen in filigranen Haltern rundeten das Bild ab. Zufrieden trat Sofie von ihrem Tisch zurück.

Luke erstarrte, als die Braut an ihm vorbeiging. Die Clanmacht in ihm zitterte und verschwand in seinen Gedanken. Doch noch etwas anderes streifte neugierig sein Bewusstsein. Die rothaarige Freundin der Braut musterte ihn angespannt und er stolperte einen Schritt zurück. Ihre Frisur wirkte unordentlich und nachlässig, ihre Kleidung abgetragen. Sie passte optisch nicht in die Gesellschaft, mit der sie sich umgab.

Jerome räusperte sich vernehmbar und deutete auf die Weste, die er trug. Erst jetzt fiel Luke auf, dass seine eigene vergessen über einer Stuhllehne hing. Mit einem verärgerten Wink scheuchte der Concierge ihn aus dem Raum. Luke brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass die Blicke der fremden Frau ihm folgten. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete er erleichtert auf.

 

Ungeduldig drehte Luke kleine Runden auf dem Flur und wartete auf das Urteil der Engländer. Sein Instinkt riet ihm, sich in eine andere Ecke des Hotels zu verziehen, doch mindestens ebenso stark war das Verlangen, in Sofies Nähe zu bleiben. Er wartete noch nicht lange, als sich hastige Schritte näherten, der Geruch von Moschus stieg ihm in die Nase. Er brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, wer den Flur entlang eilte. Trish.

»Fuck, ich habe diese scheiß Hochzeit total vergessen!« Im Laufen fuhr sie sich mit den Fingern durch ihr Haar, um die Frisur notdürftig zu ordnen. »Jerome hat vier Mal versucht, mich zu erreichen, aber ich habe mein verdammtes Handy nicht gehört. Dabei war das hier so wichtig für mich.« Sie blieb vor Luke stehen, zog einen Schmollmund und sah ihn mit großen Augen an. »Kannst du ihm vielleicht sagen, dass ich dir bei irgendetwas helfen musste?«

Sie trat an ihn heran, dicht genug, dass er den fremden Mann an ihr riechen konnte. Luke wich zur Seite aus.

»Würde ich gerne, aber Jerome weiß, dass ich gerade geholfen habe, den Saal vorzubereiten.« Er zögerte kurz, sah Trish dann direkt an. »Was ja eigentlich deine Aufgabe gewesen wäre.«

Der freundlichbittende Ausdruck in Trishs Gesicht verschwand. Ihre Lippen wurden schmal. »Hast du das auch Jerome gesagt? Dass es meine Aufgabe gewesen wäre? Nur weil ich einmal zu spät komme, fällst du mir gleich in den Rücken!«

Luke machte einen weiteren Schritt nach hinten, weg von ihr. »Ich habe Jerome gar nichts über dich gesagt. Er war auf der Suche nach dir, als ich mit Sofie zurückgekommen bin. Es war seine Idee, dass ich mit anpacken sollte, damit alles noch rechtzeitig fertig wird.«

Sie musterte ihn einen Augenblick, dann entspannten sich ihre Schultern. Sie strich eine blonde Strähne zurück und wechselte das Thema, als wäre nicht passiert. »Gehen wir nachher zusammen essen?«

»Ich kann nicht. Ich muss diese Floristin wieder nach Hause fahren.« Luke war selten so froh darüber gewesen, einen Fahrdienst als Ausrede nutzen zu können. Zwar würde der Ausflug ihm bloß unbezahlte Überstunden und kein Trinkgeld einbringen, dafür aber Sofies Gesellschaft.

Trish rümpfte die Nase. »Soll sie sich ein Taxi nehmen.«

»Nach Pasadena? Trish, ich kann Jeromes Anweisungen nicht einfach ignorieren.«

In diesem Moment machte es ihm wenig aus, dass er ihr direkt ins Gesicht log. Sie zuckte mit den Schultern.

»Warum nicht? Ich mache das ständig.«

6. Kapitel

 

Es war mittlerweile fast zwei Uhr nachmittags. An Becca war der seltsame Zug aus Floristen, Runnern und dem Concierge vorbeigezogen. Sie hasteten zu dem Saal, in dem die Blumenauswahl stattfand. Seufzend erhob die Personenschützerin sich. Sie hatte gehofft, dass Christoph den Termin nicht vergessen würde. Genau hierfür hatte Alex sie nach unten geschickt. Babysitting für einen erwachsenen Mann, der seine Hose nicht anbehalten konnte. Anscheinend hatte sie Alex falsch eingeschätzt. Er war nicht krankhaft neugierig, er wusste nur, wie seine Familie funktionierte.

Sie sah sich nach einem möglichen Informanten um und bemerkte zu spät, dass sie einer Frau in den Weg trat, die nicht mehr ausweichen konnte und gegen sie prallte.

»Oh, Verzeihung!« Becca lächelte die Fremde entschuldigend an. Etwas streifte ihre Gedanken, und auf dem Gesicht der Rothaarigen breitete sich ein Grinsen aus. Es schien, als würde der Zusammenstoß sie erheitern.

»Kein Problem, ich hätte ja auch ausweichen können.« Das Lachen in ihrer Stimme verunsicherte Becca. Genauso wie der Wolf, der sich vorsichtig in ihr regte.

»Ich bin Mila, du musst Becca sein. Irene hat mir von dir erzählt.«

Mit dem Namen konnte Becca tatsächlich etwas anfangen. Im Gegensatz zu Alex hatte Irene ihren eigenen Bodyguard mitgebracht. Irgendetwas Vertrautes ging von der Frau aus, etwas, das Becca nicht benennen konnte.

»Ja, genau. Entschuldige, ich bin auf dem Sprung. Wir sehen uns sicherlich noch.«

Mila nickte grinsend und ging in Richtung der Aufzüge davon.

Ein Junge in Hoteluniform kam aus der Orangerie, schien es jedoch nicht eilig zu haben. Bevor er zu seinem nächsten Auftrag geschickt wurde, versuchte er offenbar, so viel Kühle wie möglich aus der Lobby mitzunehmen. Die Clanmacht erkannte den Werwolf vor ihr. Becca packte Sunny im Vorbeigehen am Arm und zog ihn zur Seite, an die nächste Wand.

»Wenn Trish sich einen Kerl geschnappt hat, wohin verschwindet sie dann?«

Der Junge wurde blass. Aus Angst vor ihr oder aus Angst vor der Dekorateurin?

»Ich … ich habe keine Ahnung.«

Becca sah ihm in die Augen. Er war gerade siebzehn Jahre alt und hatte noch die schlaksige Figur eines jungen Tieres. Ihre Finger umschlossen seinen Arm problemlos. Sie hatte nicht vor, ihn ohne Antwort gehen zu lassen.

»Sunny, lass die Spielchen. Du weißt, wer ich bin. Der Kerl, mit dem sie unterwegs ist, fällt in meine Verantwortung. Also sag mir, was ich wissen will. Oder muss ich erst Tyson anrufen, damit er es dir befiehlt?«

Die Drohung, seinen Alpha zu verständigen, wirkte. Der Junge wurde noch blasser. Dennoch zögerte er das Unvermeidbare hinaus und versuchte, sich loszureißen, ehe er schließlich klein beigab. »Sie nutzt einen der Bungalows. Sie hat irgendwie dafür gesorgt, dass der unbelegt bleibt«, stammelte er.

»Welchen?« Beccas Kiefer mahlten aufeinander. Ihre Geduld war langsam aber sicher am Ende.

»Nummer Zwölf. Der, der am weitesten vom Hotel weg ist.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739475462
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Wandler Romance Werwölfe Liebe Wolfkisses Fantasy düster dark Urban Fantasy Liebesroman

Autor

  • Katania de Groot (Autor:in)

Katania de Groot liest seit zwanzig Jahren Fantasy. Zwischen Hund und alltäglichem Chaos, schreibt sie an ihrer Dark-Romantasy-Reihe Wolfkisses. Romantisch, düster und manchmal darf gelacht werden.
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Titel: Wolfkisses: Ankunft der Jäger