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Nachtjäger

Detektiv Gummimann: Roman

von Tino Keller (Autor:in)
300 Seiten

Zusammenfassung

Ein Hilferuf aus dem fernen Land, bringt Detektiv Gummimann in das Land, dass er vor einem Jahr besucht hatte. Der Beschützer der Länder ist verstummt und das Tal des Lichtes dunkel. Die Herrin der Ländereien spürt, dass sich eine Gefahr anbahnt. Krankheiten, Streit, Diebstähle und Missgunst nehmen zu. Sie bittet Gummimann ihr zu helfen. Mit seiner Fähigkeit die Körpergrösse zu verändern, hatte er ihr schon einmal geholfen. Sie machen sich auf eine Reise, um die Gefahr aufzuhalten und kommen in ein Gebiet, in der dauernde Dunkelheit herrscht. Als sie die Gefahr entdecken, merken sie, dass sie schlimmer ist, als alles, was sie sich vorstellen konnten. Detektiv Gummimann hört sich wie eine Kindergeschichte an, ist es aber nicht. Es sind spannende Erzählungen, die sich in Basel und Umgebung, sowie in Ländern auf der Welt und an Orten, die nicht auf der Landkarte zu finden sind. Sie sind eine Mischung aus Fantasy, Mystik und realen Begebenheiten. Sie sind so spannend, dass man Mühe hat, das Buch oder den Tolino wegzulegen. Es gibt keine wirklichen Helden, und trotzdem hat man als Leser das Gefühl einer zu sein. Nadja S. aus E schreibt: Das Buch ist wirklich spannend, fantasievoll und so super, dass ich es jeweils kaum zur Seite legen konnte. Ich freue mich schon auf die nächsten Abenteuer von Detektiv Gummimann.....meinem neuen Schwarm! Barbara S. aus T schreibt: Kann ich sehr empfehlen, sind so spannend dass ich immer weiterlesen musste

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Teil 1

Es war ziemlich dunkel, nur eine schwache Deckenlampe brannte. Gummimann versteckte sich hinter einem Gestell. Seit zwei Stunden wartete er schon, es war extrem langweilig. Vielleicht kam heute niemand, dann war das ganze Warten für nichts und wieder nichts. Es war nicht einer seiner spannendsten Aufträge, aber als Detektiv konnte man sich diese nicht immer aussuchen. Mehrmals war hier schon gestohlen worden, man hatte aber keine Spuren gefunden, die auf ein gewaltsames Eindringen hinwiesen. Es musste also jemand sein, der Zugang zu den Lagerräumen hat, ein Angestellter, oder jemand der einen Schlüssel bekommen oder gestohlen hatte. In den Gestellen standen Computer, Bildschirme, Fernsehgeräte, Handys und viele andere Multimediageräte, schön verpackt und gesichert. Doch die Sicherung war nur im Laden aktiv, hier im Lager war sie nutzlos. Es gab zwar eine Kameraüberwachung, aber man konnte nie etwas Hilfreiches erkennen. Der oder die Einbrecher machten es geschickt, sie trugen Mützen, die ihr Gesicht verdeckten, man konnte sie so nicht erkennen. Dann packten sie die Geräte aus und stellten die leere Verpackung wieder zurück ins Gestell, so dass man erst nach Tagen den Diebstahl entdeckte. Hinter dem Gestell zu warten war mühsam. Aber würde er seinen Platz verlassen, begänne die Überwachungskamera ihn aufzunehmen, und das wollte er nicht. Er schaute auf die Uhr, es war 2.30 Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann konnte er nach Hause gehen. Die Vorstellung, ins Bett zu steigen und zu schlafen, stellte ihn auf, gab ihm wieder neue Energie. Sein Auftrag lautete herauszufinden, wer der oder die Diebe waren, und wo sie das Diebesgut hinbrachten. Er musste sich, sollte heute noch was geschehen, an sie heften. Wie, das wusste er noch nicht. Es war die dritte Nacht, die er in diesem Lagerraum verbrachte. Die Firma hatte ihn angestellt, nachdem mehrere Male für mehrere tausend Franken Waren gestohlen worden waren und man niemanden auf den Überwachungsvideos hatte erkennen können. Nun stand er da hinter dem Gestell, das ihm längst bis zur Genüge vertraut war und wartete. Gummimann schaute wieder auf seine Uhr, 2.45 Uhr. Später als 3.00 Uhr waren die Gauner nie gekommen, man konnte das auf den Videos sehen, dann wurde jeweils die Kameralinse abgedeckt. Mehrmals hatte man sie an einem anderen Ort aufgestellt, versteckt in Schachteln, aber die Diebe hatten sie zielsicher gefunden. Es musste ein Insider sein, jemand der über alles informiert war. Deshalb wurde sein Einsatz hier geheimgehalten, das Personal hatte keine Informationen darüber. Wieder schaute Gummimann auf die Uhr, es war 3.05 Uhr, sein Einsatz war vorbei, er konnte nach Hause gehen. Er ging zwischen den Gestellreihen dem Ausgang zu, sorgfältig darauf achtend, dass sich die Kamera nicht einschaltete. Fast bei der Ausgangstüre hörte er, wie sich jemand auf der anderen Seite an der Tür zu schaffen machte. Verlassen konnte man den Raum, indem man einfach die Türfalle herunterdrückte. Zum Eintreten aber braucht man einen Batch, eine kleine runde, ungefähr fünffrankengrosse Plastikscheibe, die man an das Lesegerät hielt, das vor der Tür angebracht war. Dieses gab den Eingang frei und die Anlage zeichnete genau auf, wer um welche Zeit den Raum betreten hatte. Der Dieb wusste das und musste die Tür auf andere Weise öffnen. Sehr schwer war das nicht, zum Beispiel mit einer Kreditkarte, die man am richtigen Ort in den Türschlitz schob, um die Türfalle aufzustossen, liess sich das problemlos bewerkstelligen. Schon eine Minute später war die Tür tatsächlich offen und der Dieb konnte, ohne dass er registriert wurde, den Raum betreten.

Gummimann machte sich kleiner und versteckte sich unter dem nächsten Gestell. Der Typ, der hereinkam, war komplett schwarz angezogen, hatte eine Mütze auf, bei der nur die Augen und die Nase ausgelassen waren, und trug Gummihandschuhe. Sein Gesicht konnte Gummimann also nicht sehen. Was ihm auffiel, war seine Art, den rechten Arm zu bewegen, vielleicht eine schwache Behinderung. Ohne gross zu suchen, warf der Typ ein Tuch über die gut versteckte Kamera. Die Mütze behielt er an, wahrscheinlich vermutete er noch weitere Kameras im Raum. Gummimann kam aus seinem Versteck, und versteckte sich neu hinter einer Schachtel, damit er das Treiben besser beobachten konnte. Er sah, wie der Dieb ein Notebook auspackte und das Gerät, den Akku und das Netzteil in einem Sack versorgte, die Verpackung wieder fachmännisch zumachte und in das Gestell zurückstellte. Er holte ein weiteres Gerät, dann zwei Handys, die er aber mit der ganzen Schachtel einpackte. Danach verschwand er aus Gummimanns Sichtfeld. Den Sack liess er am Boden stehen. Gummimann hörte wie er sich an den Fotoapparaten zu schaffen machte. Langsam kam Gummimann aus seinem Versteck und schlich, immer noch klein, so leise wie möglich zum Sack mit der gestohlenen Ware. Von dort konnte er den Dieb von hinten sehen, wie er vor einem Gestell einen Fotoapparat auspackte. Gummimann nutzte die Gelegenheit, kletterte in den Sack und machte sich dort so klein wie möglich. Er hörte wie ein zweiter Fotoapparat ausgepackt wurde und dann wie der Dieb zurückkam, und er sah, wie er das Diebesgut, über seinem Kopf im Sack versorgte. Zwischen einem Handy und einem Notebook versuchte er sich einigermassen einzurichten, dann spürte er wie die Person den Sack vom Boden aufnahm und über ihre Schulter warf.

So zu reisen, liebte Gummimann überhaupt nicht. Er sah nichts und das Schütteln liess ihn jedesmal fast seekrank werden. Doch seine Arbeit und seine Fähigkeit, sich gross und klein, dick und dünn zu machen, brachten mit sich, dass er das oft erleiden musste. Nun, er hatte seinen Beruf als Detektiv gewählt und das gehörte dazu. Er kannte die Grenzen seiner Möglichkeiten, wusste wie klein und wie gross er sich machen konnte, kannte seine Stärken und Schwächen und wusste auch, dass er Hilfe bekam, wenn er sie brauchen würde, das hoffte er zumindest.

Gummimann hörte wie der Dieb die Eingangstüre öffnete und das Lager verliess. Im Sack war es extrem unbequem, ein Notebook schob sich in seinen Rücken, das zweite streifte ihn knapp am Kopf. Obwohl es ein kleines Gerät war, war es für Gummimann in seiner jetzigen Grösse, gross und schwer. Ein bisschen Licht drang durch den weissen Stoff.

So würde man es erleben, dachte Gummimann, wenn man vom Nikolaus im Sack in den Schwarzwald mitgenommen wird.

Als kleines Kind drohte man ihm, er würde am Tag von St. Niklaus am 6. Dezember von diesem, wenn man nicht brav sei, im Sack in den Schwarzwald gebracht. Dort gäbe es nur Tannennadelsuppe zum Essen. Alle hatten höllisch Angst davor. Er glaubte daran, bis er in den Kindergarten kam, dann erklärte ihm ein Mitschüler, dass das wahrscheinlich nicht stimme. Trotzdem, noch heute hatte er Respekt vor St. Nikolaus. Der Gedanke brachte ihn zum Schmunzeln.

Das Untergeschoss des Geschäftes kannte Gummimann und wusste, dass sie bald den Lift erreichen würden. Auch der Dieb musste sich gut auskennen, das merkte man daran, dass er nicht den Lift, sondern die Treppe in den oberen Stock nahm. Über die Treppe kam man in einen Zwischenstock, der schneller zum Ausgang führte. Lediglich eine abgeschlossene Tür versperrte den Durchgang, aber der Typ hatte offenbar einen Schlüssel, um diese zu öffnen. Gummimann war sich nun sicher: das musste ein höherer Angestellter des Geschäfts sein. Denn nur sie besassen einen solchen Schlüssel. Auch die Ausgangstüre, sie war für das Personal, öffnete er damit. Das Geschäft war um diese Zeit Alarm gesichert und nur durch diese Tür zugänglich, ohne ihn auszulösen.

Gummimann merkte, dass sie jetzt auf der Strasse waren, es war dunkler geworden. Nur die Schritte des Diebes auf dem Teerboden waren zu hören, sonst war es ruhig. Um diese Zeit hatte es praktisch keinen Verkehr auf dieser sonst sehr belebten Strasse. Von weit entfernt vernahm er eine Kirchturmuhr die halbe Stunde schlagen. Dann blieb der Typ stehen, Gummimann registrierte das Piepsen einer Autotürenfernbedienung und ein paar Sekunden später das Drücken eines Türknopfs. Es musste der Kofferraum sein, deutlich hörte er, wie sich der Kofferraumdeckel nach oben schob, und spürte, wie er unsanft mit dem Sack hineingelegt und der Kofferraum wieder geschlossen wurde. Das Auto wurde gestartet, sogar der Radio lief und berieselte die beiden mit sanfter Musik. Viel hörte Gummimann nicht davon, die Motoren- und Fahrgeräusche waren im Kofferraum zu laut. Der Lärm kam ihm aber gelegen, er hoffte mit seinem Kollegen, Kommisär Meierhans von der Polizei, telefonieren zu können, ohne dass der Dieb etwas mitbekam. Es war mitten in der Nacht, aber er hatte Meierhans vorgewarnt, ihn wenn nötig zu wecken.

Er kletterte aus dem Sack. Telefonieren konnte er nur in normaler Grösse. Seine Erfahrung zeigte ihm, dass das Handy am Ohr oft wieder seine ursprüngliche Grösse annahm und für ihn in klein kaum mehr zu bedienen war. Auch wollte er es, wenn er sich wieder klein machte, mitnehmen und das ging nur, wenn er es in normaler Grösse nahe an seinen Körper hielt.

Langsam versuchte er sich in dem engen Kofferraum grösser zu machen, aber da waren noch eine Kiste und viel Abfall, die im Weg lagen. Auf dem Rücken liegend schob er die Beine über die Kiste und mit der Hand schaufelte er den Abfall auf die Seite. Obwohl das Auto gefedert war, spürte er jede Bodenunebenheit, es war höchst unbequem, aber zum Telefonieren musste er auch etwas leiden. Es gelang ihm, nach einigen Versuchen das Handy aus der Manteltasche zu bekommen. Verrenkt und einen Hammer oder was Ähnliches unter seinem Rücken auf die Seite drückend, begann er die Nummer von Meierhans einzugeben.

Es läutete mehrmals, eine verschlafene Stimme meldete sich: »Meierhans.«

»Ich bin's, Gummimann.«

Der Wagen stoppte, es wurde leiser, der Motor lief im Leerlauf und man hörte die Musik aus dem Radio.

»Moment«, sagte Gummimann flüsternd.

Nach ein paar Minuten fuhr der Wagen weiter, der Motor wurde wieder laut und die Fahrgeräusche nahmen zu.

»Sind sie noch dran, Herr Meierhans? Jetzt kann ich wieder sprechen.«

»Ist jemand gekommen?«

»Nein, das Auto ist stillgestanden.«

»Das Auto?«

»Ja, ich bin im Auto des Diebes, im Kofferraum. Sobald ich weiss, wo wir hinfahren, werde ich mich wieder melden. Rufen Sie mich bitte nicht an.«

»Ah, darum der Lärm! Gut ich warte auf Ihren Anruf und stelle Bereitschaft her. Kennen Sie den Dieb?«

»Nein, ich muss abbrechen«, und damit beendete er das Gespräch.

Der Wagen fuhr wieder langsamer. Gummimann versorgte das Handy in seiner Manteltasche, machte sich kleiner und kletterte zurück in den Sack. Doch sie fuhren erneut schneller, mehrere Kurven folgten, eine Steigung, dann wieder Kurven, die ihn hin und her warfen, eine weitere Steigung und dann, nach mehreren Minuten, hörte das Schütteln endlich auf. Sie wurden langsamer. Gerade noch rechtzeitig, bevor sein Magen zu revoltieren anfing, hielt der Wagen an. Der Typ schaltete den Motor aus und wartete. Gummimann hörte wie jemand beim Fahrer an das Fenster klopfte, und dieser es herunterliess.

»Hast du alles?«, hörte er eine Stimme vor dem Auto sagen.

»Klar, es ist im Kofferraum«, war die kurze Antwort.

»Ich nehme es heraus. Treffen wir uns heute am Mittag?«

»Ja, ich habe zwei Stunden Zeit, ich komme dann zur Zivilschutzanlage.«

»Bestens.«

Dann hörte er, wie der Dieb das Fenster wieder schloss und wie der andere zum Heck des Wagens kam. Gummimann überlegte noch ob er den Sack verlassen sollte, aber es war schon zu spät, die Kofferraumtüre glitt nach oben. Der Sack mit ihm wurde herausgenommen und mit Schwung über die Schultern geworfen.

Es wurde eine lange Wanderung, mindestens kam es Gummimann so vor, es schwankte stark, schlimmer als ein Schiff bei Sturm. Der Weg ging einer gesplitterten Strasse entlang, es schien bergauf zu gehen, er hörte das schwere Atmen seines Trägers. Gummimann hoffte, sie kämen bald an, doch er musste noch lange ausharren, bis sich dieser Wunsch erfüllte. Dann wurde der Sack auf den Boden gestellt und eine Metalltüre aufgemacht. Erneut landete er auf den Schultern, die Tür wurde geschlossen und weiter ging das Geschaukel. Die Schritte widerhallten jetzt an den Wänden, auch ihr Klang hatte sich geändert, es musste ein Stein- oder Betonboden sein, und dazu war es kühler geworden. In gleichmässigen Abständen schwankte die Helligkeit – sie waren wohl in der Zivilschutzanlage.

Der Mann öffnete eine weitere Metalltüre, knipste das Licht an und stellte den Sack ab. Jetzt kam der schwierigste Teil: Gummimann musste versuchen, aus dem Sack zu verschwinden, ohne dass der Typ ihn entdeckte. Sollte dieser sofort mit Auspacken beginnen, musste er sich etwas einfallen lassen. Er vermutete, dass er jetzt mit dem Sack auf einem Tisch lag. Er wartete. Ein Feuerzeug klickte, dann tiefes Ein- und Ausatmen, ein Stuhl wurde gerückt, dann war wieder Pause. Vorsichtig machte sich Gummimann etwas grösser und schob langsam seinen Kopf durch die Sacköffnung. Wie er erwartet hatte, war er auf einem Tisch. Ein eher dicker Mann mit langen fettigen Haaren, den er nur von hinten sehen konnte, sass an einem anderen Tisch und rauchte. Gummimann sah sich vorsichtig um, um ein Versteck zu finden. Sie waren offenbar in einer Kantine mit mehreren Tischen mit Stühlen und einer Theke weiter hinten. Zwei Türen und eine grosse, geschlossene Durchreiche führten vermutlich in die Küche. An der Wand standen weitere Tische, auf denen Computer, Fotoapparate und Handys, vermutlich aus früheren Einbrüchen, lagen. Am Boden neben der Theke lag ein grosser Stapel Wolldecken. Der Mann rauchte nur kurz, drückte seine Zigarette auf dem Tisch aus, stand auf und kam wieder zurück. Gummimann duckte sich sofort, machte sich etwas kleiner und versteckte sich erneut im Sack. Eine Hand griff hinein, um ein Handy herauszuholen. Gummimann kam ins Schwitzen, er musste sich etwas einfallen lassen. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte er sich und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Dann machte er sich etwas grösser und schob das verpackte Handy, das auf einem Notebook stand, auf die Seite und der Langhaarige griff ins Leere. Jetzt machte der Mann die Sacköffnung etwas grösser, blickte kurz hinein und machte, schon etwas nervöser, den zweiten Versuch, aber Gummimann schob die Schachtel wieder aus seinem Griff.

»Was soll das?«, rief der Mann erschrocken, und zog die Hand schnell zurück, »da drin bewegt sich etwas, da ist etwas.«

Nun stemmte Gummimann die Schachtel in die Luft, es war anstrengend, da sie jetzt gross und schwer für ihn war und liess sie am Sackrand erscheinen. Der Mann stiess einen Schrei aus. Gummimann liess sie erschöpft wieder sinken. Dann machte er sich grösser und dicker, so dass der Sack plötzlich seine Form veränderte und sich aufzublähen schien. Der Mann schrie jetzt noch lauter und entfernte sich schnell vom Sack.

»Der Sack bewegt sich, was soll das, ein Geist oder ein Tier muss da drin sein«, hörte er die kreischende Stimme, »das gibt es nicht, nein, ich bin sicher, das bilde ich mir nur ein. Vielleicht war etwas in der Zigarette, oder es ist vom Joint von gestern. Ich trinke nie mehr. Ich habe das nicht gesehen, nein, ich bilde mir das nur ein!«

Aber Gummimann bewegte sich im Sack weiter und machte dazu sogar noch unheimliche Geräusche.

»Nein, nein, das sehe ich nicht, nein, das bewegt sich nicht«, flüsterte der arme Mann total verängstigt und verliess dann fluchtartig den Raum.

Gummimann hörte, wie er versuchte die Tür abzuschliessen, dazu murmelte er dauernd etwas. Erst nach mehreren Versuchen gelang es ihm, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen und umzudrehen. Endlich konnte Gummimann sein unbequemes Transportmittel verlassen. Er machte sich normal gross und hüpfte vom Tisch. Sein Rücken knackste als er sich streckte. Der Blick durch den Raum bestätigte ihm, dass er jetzt alleine war. Zuerst musste er sich etwas von den Anstrengungen erholen, dann fischte er sein Handy aus der Jackentasche. Der Empfang war schlecht, das Display zeigte einen Strich an und auch der verschwand ab und zu. Trotzdem versuchte er, Meierhans zu erreichen und entfernte sich möglichst weit von der Türe. Da er nicht wissen konnte, ob der Langhaarige nicht hinter ihr horchte. Er setzte sich an einen Tisch und wählte. Der Klingelton war nur abgehcakt hörbar.

»Meier...ns.«

»Gummimann, ich bin hier in einer Zivilschutzanlage, aber wo, das weiss ich nicht.«

»Ich ...che da... dy zu ort...«, dann brach die Verbindung ab.

Gummimann schaute das Handy vorwurfsvoll an, als ob es etwas für den schlechten Empfang konnte und steckte es frustriert zurück in seine Tasche. Die Eingangstüre hatte der Typ abgeschlossen, das hatte er gehört, jetzt blieben noch die anderen Türen zur Küche. Fenster gab es keine, vielleicht waren die Räume sogar unter der Erde.

Doch weder die Türen noch die Durchreiche konnte er öffnen. Gummimann war gefangen. Er setzte sich auf eine Tischkante und seine Blicke wanderten durch den Raum, in der Hoffnung einen Ausgang zu finden. Aber wie er sich auch anstrengte, den gab es nicht. Warten war nicht unbedingt seine Stärke und warten bis jemand zurückkam, und er sich vielleicht zu erkennen geben musste, überhaupt nicht. Da sah er unter dem Tisch in der Ecke zur Küche ein Loch in der Wand. Es musste der Grösse nach ein Mauseloch sein. Sofort versorgte er sein Handy in der Tasche. Der Blick unter den Tisch bestätigte ihm, es war gross genug, er passte hinein. Vielleicht war das der Weg in die Freiheit. Es war nicht seine Lieblingstätigkeit in Mauselöchern herumzuklettern, doch um das Zimmer zu verlassen, nahm er auch Unangenehmes in Kauf. Er machte sich so klein wie möglich. Als er vor dem Loch stand, war er sich nicht mehr so sicher, ob es sich wirklich um ein Mauseloch handelt. Es sah mehr wie ein Riss in der Ecke der Betonwand aus, der sich nach unten verbreiterte und nach oben als feine Ritze fortsetzte. Gummimann musste es trotzdem versuchen. Am Anfang war die Öffnung noch gross, er konnte zwar nicht stehen, aber gut auf allen Vieren vorwärts kriechen. Doch schon bald wurde es enger, er konnte nur noch auf dem unebenen Boden liegend weiter robben. Seine kleine Taschenlampe, die er um den Hals trug, war jetzt eine grosse Hilfe. Auch wenn die Lampe in ihre ursprüngliche Grösse zurückfallen würde, wäre sie noch klein genug, um sie tragen zu können. Damit leuchtete er den Spalt aus. Lange war er nicht, aber er wurde immer schmaler. Gummimann zwang sich weiterzukommen, aber es ging nicht, es war unmöglich, hier hörte sein Vorwärtskommen auf. Er sah zwar das Ende der Wand, aber es war so eng, dass er sich kaum bewegen konnte. Leichte Panik stieg in ihm auf, Klaustrophobie, Angst in geschlossenen Räumen, kannte er bis jetzt nicht, aber hier schien sie aufzukommen. Er rutschte zurück, wenden konnte er nicht. Der Spalt wurde wieder etwas breiter und er konnte sich auf den Rücken drehen. Zwischen seinen Füssen durch sah er den Ausgang. Fast schon erleichtert versuchte er zurück zu rutschen. Dazu suchte er Vertiefungen in der Wand, um damit die Füsse fixieren zu können und sich durch vorsichtiges Anwinkeln der Beine, soweit es möglich war, zum Ausgang zu ziehen. So gelang es ihm, langsam weiterzukommen. Plötzlich ein lautes Rumpeln, zugleich spürte er, wie etwas Schweres auf seine Brust und Beine fiel, dann wurde es dunkel. Mit der einen freien Hand suchte er seine Taschenlampe. Er fand sie, aber sie gab kein Licht. Seine Angst, sie wäre defekt, bewahrheitete sich zu Glück nicht, er musste sie nur wieder neu einschalten. Mit einiger Anstrengung gelang ihm seine zweite Hand auszugraben. Es mussten sich Teile des Spaltes durch das Festklemmen gelöst haben, und der Schutt lag nun auf seinem Körper und auf dem Weg zum Ausgang. Gummimann fluchte, er war erschrocken und er wusste auch nicht, ob an ihm noch alles heil war. Schmerzen hatte er zwar im Moment keine, aber sie konnten noch kommen. Vorsichtig begann er sich auszugraben. Zuerst versuchte er, seine Beine zu bewegen, dann tastete er den restlichen Körper ab. Alles schien unverletzt zu sein, ausser ein paar kleinen Abschürfungen, die er im Schein der Taschenlampe sehen konnte. Der Spalt war jetzt höher, er konnte aufsitzen. Der Ausgang war zugeschüttet, aber ein bisschen Licht vom Raum drang oberhalb des Gerölls in sein momentanes Gefängnis. Der viele Staub machte das Atmen schwer, er musste immer wieder husten. Mit den Füssen versuchte er nun den Durchgang frei zu bekommen. Er stemmte sich gegen den Schuttberg, ein paar Steine rutschten zum Ausgang, aber der Durchgang war noch zu eng, um durchzukommen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich frei zu graben. Jedes Betonstück musste an seinem Kopf vorbei, dann schmiss er es über seine Schultern in den hinteren Spaltteil. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Nach längerer Arbeit hatte er es geschafft. Der Durchgang war jetzt gross genug, um mit Drücken und Quetschen, hindurch kriechen zu können. Total erschöpft und weiss vom Staub kletterte er ins Freie und machte sich normal gross. Für einen Moment blieb er, um sich zu erholen, am Boden liegen. Alles tat ihm weh. Er hatte blaue Flecken und Kratzer. Das Leben als Detektiv war hart. Würde ihm nicht alles weh tun, könnte er vermutlich über diese Erkenntnis lachen, so blieb ihm nur ein leises Schmunzeln.

Im Film Indiana Jones, ging es Gummimann durch den Kopf, bekam Jones von seiner Freundin einen Kuss auf das Augenlid, weil es ihm überall sonst weh tat, so eine Aufmunterung könnte er jetzt auch brauchen.

Nun, so schlimm war es nicht. Es ging ihm schon wieder besser. Durch das Grossmachen war er auch nicht mehr so staubig und das, was mit ihm gross wurde, fiel von selbst von seinen Kleidern und schrumpfte zurück in die ursprüngliche Grösse. Dann stand er auf, klopfte noch den restlichen Dreck aus den Kleidern und den Haaren, ging den mit Diebesgut vollgestellten Tischen entlang und inspizierte die Ware. Da gab es Notebooks, Tablet-PC's, Mobiltelefone, verschiedene Fotoapparate, Filmkameras und Zubehör, wie Lautsprecher, SIM- und Speicherkarten, einen halben Elektronikladen. Vieles war ohne Verpackung, es war also dadurch schwer herauszufinden, wo sie geklaut worden waren. Das, was diese Nacht gestohlen wurde, lag noch im Sack auf dem Tisch. Gummimann musste wieder lachen, weil sich der Typ vor Angst fast in die Hosen gemacht hatte.

Geräusche von draussen waren zu hören, jemand machte sich an der Tür zu schaffen. Gummimann suchte ein Versteck. An der Wand stand ein Abfalleimer, er packte ihn und stellte ihn neben die Eingangstüre, machte sich kleiner und versteckte sich dahinter. Die Tür wurde aufgeschlossen und zwei Männer traten in den Raum. Der eine war der Typ, den er verscheucht hatte, der andere vermutlich der Dieb vom Geschäft. Nun konnte er beide zum ersten Mal richtig sehen. Der Dieb vom Geschäft hatte eine Glatze und trug einen Anzug. Er schien Mitte fünfzig zu sein. Er machte einen sportlichen, seriösen Eindruck, was man von seinem eher zu Übergewicht neigendem Kollegen nicht sagen konnte. Der trug verwaschene Jeans und einen zu grossen Wollpullover, und wirkte mit seinen langen, ungewaschenen Haaren und seinem Schnauzer eher wie ein Junkie. Sein Alter war schwierig zu schätzen, vielleicht um die vierzig, aber er war vermutlich jünger, als er aussah.

»Ich hab ein komisches Gefühl, glaub mir, der Sack wurde plötzlich dicker und das Smartphone, welches du mitgenommen hast, erschien oben am Rand«, erklärte der Langhaarige unsicher.

»Ich warne dich, wenn du mich verarschen willst, dann kommst du dran. Du hast sicher zuviel gekifft oder bist noch besoffen«, sagte der Gutangezogene mit Nachdruck.

»Nein, ich habe heute nicht gekifft und ich bin vollkommen nüchtern, es war so, wie ich es gesagt habe«, wehrte sich der Langhaarige mit flatternder Stimme.

Sie standen nun vor dem Sack, Gummimann konnte nur noch ihre Rücken sehen. Lange standen sie einfach nur da. Dann öffnete der Gutangezogene vorsichtig den Sack und schaute hinein. Der Langhaarige nahm etwas Abstand, er schien Angst zu haben. Der Gutangezogene griff nun mit der Hand hinein, untersuchte den Inhalt und drehte sich zu seinem Kollegen um.

»Da ist nichts!«, schrie er, »du hast sie nicht alle, wegen nichts und wieder nichts musste ich herkommen! Ich sollte dich schlagen, erwürgen, zerstückeln!«

»Aber glaub mir, es war so«, sagte der Langhaarige immer leiser, er machte ein verzweifeltes Gesicht und schüttelte den Kopf, »ich begreife das nicht. Es war so.«

Eigentlich tat er Gummimann leid, aber die Situation amüsierte ihn auch. Während die beiden stritten, war für ihn der Zeitpunkt ideal, den Raum zu verlassen. Die Tür stand einen Spalt offen. Vorsichtig kam er hinter dem Abfalleimer hervor und schlich zum Ausgang.

»Da!«, schrie der Langhaarige, «eine Ratte oder eine Maus beim Eingang!«

Er zeigte auf Gummimann. Der machte sich kurz etwas grösser, drückte sich dann durch den Türspalt und stellte sich schwer schnaufend an die Wand. Der Langhaarige hatte ihn entdeckt.

»Hör auf mit dem Unsinn«, hörte er jetzt den Gutangezogene sagen, «du siehst überall Gespenster, hier gibt es keine Viecher. Hast du das begriffen?«

»Aber sie ist sogar gewachsen, sie wurde immer grösser und ist dann durch die Tür abgehauen.«

»Ja, ja, klar. Eine wachsende Ratte, ich glaub's nicht«, brummelte der Gutangezogene genervt. »Hilf mir lieber, die Sachen auszupacken. Ich muss bald wieder zur Arbeit.«

Gummimann blieb noch ein paar Sekunden stehen und machte sich dabei langsam normal gross. Die Gefahr entdeckt zu werden schien im Moment vorbei zu sein. Er befand sich in einem Korridor mit rohen Betonwänden und Neonlampen an der Wand, wobei nur jede zweite brannte. Weiter vorne sah er eine Tür, die nach Ausgang aussah. Noch waren die Männer mit ihrer Arbeit beschäftigt, aber lange konnte das nicht mehr dauern. So schnell er konnte rannte er Richtung Ausgang. Bevor er die Metalltür öffnete, blickte er nochmals zurück, um sicher zu gehen, nicht entdeckt worden zu sein, dann schlüpfte er ins Freie.

Es war Morgen und schon ziemlich hell, seine Uhr zeigte 6.05 Uhr. Die Zivilschutzanlage war unter einem Wald verborgen. Den ziemlich grossen Bäumen und dem vielen Unterholz nach, war es eine alte Anlage. Vor dem Ausgang, der sich auf beiden Seiten mit nach vorne abfallenden Mauern gegen die wilde Umgebung schützte, stand ein eleganter Wagen, und ein paar Meter dahinter führte eine Strasse vorbei, vor einer Wiese mit schönen Apfelbäumen. Sofort suchte Gummimann sein Handy, der Empfang war gut. Auf der Strasse beim Waldrand wählte er die Nummer von Meierhans, seinen Blick immer auf den Eingang gerichtet. Sollten die Männer herauskommen, konnte er sie sehen und sich wenn nötig verstecken.

»Herr Gummimann ist alles in Ordnung?«, begrüsste ihn Meierhans.

»Ja, Herr Meierhans, alles bestens. Ich stehe jetzt ausserhalb einer Zivilschutzanlage. Sie scheint ziemlich alt und unbenützt zu sein. Ich weiss aber immer noch nicht, wo ich überhaupt bin. Ein dunkelblauer Mercedes steht da, gehört höchstwahrscheinlich dem Dieb vom Geschäft, mit einer Basler Nummer.« Er gab die Nummer durch. »Die haben hier ein ganzes Lager von vermutlich gestohlener Ware. Heute Mittag haben sie abgemacht wieder hierherzukommen. Was soll ich tun?«

»Unternehmen Sie noch nichts, wir passen den Dieben heute Mittag ab. Mit der Autonummer wissen wir schon mal, um wen es sich handelt. Stellen Sie aber fest, wo die Zivilschutzanlage steht.«

Die Tür der Anlage ging auf.

»Ich hänge auf, sie kommen heraus.«

Gummimann unterbrach die Verbindung und versorgte das Handy in seiner Tasche. Geduckt stand er hinter hohen Brennnesseln. Er musste nur aufpassen, diese nicht zu berühren. Die beiden Männer kamen heraus, der Langhaarige schloss ab.

»Also wir treffen uns heute Mittag, dann weiss ich, was wir wohin liefern müssen. Sei pünktlich, 12.30 Uhr.« Damit stieg er ins Auto.

Der Langhaarige nickte nur und winkte kurz, als der Wagen davon fuhr. Er schien noch immer beleidigt und frustriert zu sein. Ein solcher Zusammenschiss war nicht einfach hinzunehmen, zumal er überzeugt war, es genau so erlebt zu haben. Mit einem Gang, der an eine Ente erinnerte, watschelte der Langhaarige den Weg hinunter.

Noch einen kurzen Moment wartete Gummimann, dann folgte er ihm. Angst entdeckt zu werden hatte er nicht, da die beiden keine Ahnung von ihrem geisterhaften Beobachter hatten.

»Entschuldigung, wo sind wir hier?«, fragte Gummimann den Langhaarigen nachdem er ihn eingeholt hatte.

»In Singen. Haben Sie sich verlaufen?«

»Ja, es scheint so, ich wollte eigentlich nach Nuglar, wir hatten ein Fest im Wald, und ich wollte im Dorf den Bus erreichen. Ich muss im Wald falsch abgebogen sein. Aber hier in Singen gibt es sicher auch einen Bus, nehme ich an.«

»Ja, bei der Post«, antwortete der Langhaarige, wandte sich demonstrativ von ihm ab und würdigte ihn keines Blickes mehr. Die Unterhaltung war damit beendet. Gummimann konnte damit leben, er liess ihn ziehen, nicht aber aus den Augen. In kleinerem Abstand beobachtete er, wie der Typ in eine kleine Seitengasse abbog und im ersten Hauseingang verschwand. Gummimann wartete einen Moment und ging auch zum Eingang. Er wollte wissen wer dort wohnte. Es hatte nur eine Klingel und ein Namensschild: Roger Saladin. Die Information genügte ihm schon, und er ging zurück auf die Hauptstrasse. Diese machte nach ein paar Häusern einen Bogen und wurde dann etwas breiter. Ein neueres Gebäude auf der rechten Seite war mit Post angeschrieben. Der Eingang wurde mit der Gemeindeverwaltung geteilt. Vor dem Haus stand eine Sitzbank. Gummimann liess sich ziemlich müde darauf nieder. Der Morgenbus hielt auf der gegenüberliegenden Strassenseite, eine Frau stieg aus und ging auf Restaurant zu. Es war jetzt ungefähr halb sieben. Er würde also noch mindestens anderthalb Stunden warten müssen, bis die Gemeindeverwaltung öffnete.

Er nahm sein Handy hervor und drükte die Wiederholtaste.

»Gummimann, das ist gut, dass Sie telefonieren, wissen Sie jetzt, wo sie sind?«

»Hallo Herr Meierhans, ja, ich bin hier in Singen, das liegt zwischen Nuglar und Liestal. Der eine Typ wohnt hier, der heisst Roger Saladin. Die wollen sich heute um 12.30 Uhr in der Zivilschutzanlage treffen. Dann wissen sie anscheinend, was sie wohin bringen müssen. Es scheint mir, da sind noch mehr Personen an den Diebstählen beteiligt.«

»Sehr gut Gummimann, eine gute Nachricht. Ich habe leider eine schlechte Nachricht: Die Autonummer, die Sie mir durchgegeben haben, gibt es nicht, das Nummernschild muss gefälscht sein.«

»Haben Sie auch die anderen Kantone abgefragt, Baselland und Bern?«

»Haben wir, aber die Nummer gibt es nicht.«

»Das ist nicht gut. Nun, sobald die Gemeindeverwaltung öffnet, werde ich mich dort wegen der Zivilschutzanlage erkundigen.«

»Ja, machen Sie das. Laut Google, ich sehe das jetzt auf dem Bildschirm, gibt es in dieser Gegend nähmlich gar keine Zivilschutzanlage. Ich komme mit mehreren Männern zu ihnen und werde Sie, sobald wir da sind, kontaktieren.«

Damit unterbrachen sie das Gespräch. Gummimann war müde, er versuchte etwas zu dösen.

Lange konnte er die Ruhe des frühen Morgens nicht geniessen, bald kamen immer mehr Leute, die auf den Bus warteten, der sie in die Stadt nach Liestal brachte. War der abgefahren, dann war für ein paar Minuten Ruhe, bis sich die Haltestelle mit den nächsten Wartenden füllte. So geschah es alle fünfzehn Minuten. Gummimann merkte bald: zum Schlafen war das ein ungeeigneter Ort.

Um 7.30 Uhr öffnete die Post. Er war der Erste und im Moment noch Einzige vor dem Schalter. Ein älterer Herr mit schneeweissem Haar und einer eher wilden Frisur, erschien dahinter und begrüsste ihn.

»Guten Morgen, womit kann ich ihnen helfen?«

»Guten Morgen. Ich wollte Sie eigentlich nur fragen, wann die Gemeindeverwaltung öffnet.«

»Heute ist Dienstag, da öffnet sie erst um zehn Uhr.«

»Was, erst so spät? Das heisst ich muss noch lange warten. Aber vielleicht wissen Sie Bescheid. Ich möchte eigentlich wissen, wer für die Zivilschutzanlage verantwortlich ist.«

»Die Zivilschutzanlage, ist eigentlich keine Zivilschutzanlage. Wir haben uns überlegt, ob wir sie modernisieren sollen. Ich bin Mitglied des Gemeinderates. Aber es ist zu teuer und die Anlage in einem schlechten Zustand. Wir wollten dort Flüchtlinge unterbringen, aber es ist viel zu feucht. Das Militär baute die Anlage als Militärunterkunft im zweiten Weltkrieg, dann wurde sie nicht mehr gebraucht und steht seitdem leer. Roger Saladin kümmert sich um sie, doch leider ist er nicht sehr zuverlässig und eher schlampig. Das Militär hat ihn angestellt, wir haben nichts damit zu tun. Sehr lange wird das nicht mehr so bleiben. Jetzt muss das Militär sparen und kann sich so eine Anlage nicht mehr leisten.«

Ein alter Mann betrat den Schalterraum. Er schien es eilig zu haben und schaute ziemlich ungeduldig.

»Ich sehe, die kommt für uns nicht in Frage. Vielen Dank, Sie haben mir geholfen.«

Gummimann winkte nochmals kurz und liess den ungeduldigen Alten an den Schalter treten. Er hörte noch wie dieser sich lautstark über Hundekot in seinem Briefkasten beschwerte, dann trat er kopfschüttelnd vor das Haus. Was es nicht alles gibt. Um sich ein bisschen ausruhen zu können ging er zurück in den oberen Dorfteil und suchte sich ein ruhiges Plätzchen, dort wollte er nochmals Meierhans anrufen.

Noch bevor er das Bänkchen am Waldrand nahe bei der Militäranlage am Dorfende erreichte, meldete sich sein Handy, es war Meierhans.

»Ja, Herr Meierhans«, sagte er beim Gehen, »sind Sie schon da?«

»Nein, Gummimann. Es sieht so aus, dass ich nicht kommen kann, in der Bijouterie Metzger an der Streitgasse in Basel war ein Überfall, am helllichten Tag. Schmuck und Uhren in Millionenhöhe wurden erbeutet. Ich muss dorthin. Verfolgen Sie den Typen. Steigen Sie in sein Auto, diesen Roger Dings ...«

»Saladin«, ergänzte Gummimann.

»Ja, Saladin, werden wir schnappen.«

»Das ist übrigens keine Zivilschutzanlage.«

»Ich weiss«, meinte Meierhans etwas gehetzt, »eine alte Militärunterkunft. Ich muss, viel Glück«, und hängte auf.

In der Zwischenzeit hatte Gummimann die Bank erreicht. Es war ein schöner Morgen, wolkenlos und angenehm warm, aber der half ihm nicht über sein Unbehagen hinweg. Leise fluchend setzte er sich. Reisen auf der Stossstange eines Autos war das, was Meierhans mit verfolgen meinte, und das war anstrengend und höchst unbequem. Er wollte es, wenn immer möglich, vermeiden. Eigentlich hatte er gehofft, sein Auftrag wäre mit der Festnahme der beiden abgeschlossen, aber es schien, als wäre das jetzt nicht der Fall. Er wollte noch mit Sir Clearwater reden.

Sir Clearwater war ein älterer Herr, arbeitete als hohes Tier beim Schweizer Geheimdienst und war ein guter Berater und Freund Gummimanns. Sie hatten schon viel zusammen erlebt und Gummimann wusste, auf ihn konnte er sich immer verlassen.

»Hallo Sir Clearwater, ich bin's, Gummimann«, sagte er nachdem er ihn am Telefon hatte, »ich brauche einen Zuhörer.«

»Guten Tag Herr Gummimann, Sie klingen nicht so glücklich. Wir haben auch schon lange nicht mehr miteinander gesprochen. Was ist los?«

Gummimann erzählte ihm die ganze Geschichte und Clearwater hörte ihm zu.

»Aber das scheint doch eine spannende Sache zu sein, warum sind Sie nicht zufrieden?«, meinte Clearwater als Gummimann geendet hatte.

»Ja, spannend ist es schon, aber ich dachte, ich könnte heute den Auftrag beenden, jetzt will aber Meierhans, dass ich ihn weiterverfolge. Das heisst, ich muss irgendwie mit dem Dieb mitfahren, entweder auf der Stossstange oder dem Ersatzrad oder vielleicht noch auf eine andere Weise. Und dazu habe ich überhaupt keine Lust.«

»Ich sehe Ihr Problem, aber Sie sind doch Detektiv, und dazu noch ein sehr guter, das gehört zu Ihren Aufgaben. Sie werden das machen, und am Schluss sind Sie stolz auf Ihre Arbeit.«

»Vermutlich haben Sie recht. Aber glücklich bin ich darüber nicht. Vielen Dank, dass Sie mich angehört haben, ich werde Sie auf den Laufenden halten.«

Sie verabschiedeten sich und Gummimann unterbrach die Verbindung. Mit geschlossenen Augen genoss er die Sonne, und sogar der Lärm von der nahen Strasse störte ihn nicht.

 

 

 

Es war kurz nach elf, als sich Gummimann auf den Weg zur Militäranlage machte. Noch immer machten ihm der Gedanken an die kommende Verfolgung Bauchschmerzen. Er stellte sich nochmals alle möglichen Szenarien vor, wusste aber, die Wirklichkeit konnte ganz anders aussehen, frei nach dem Motto: Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Wie das letzte Mal versteckte er sich hinter den Brennnesseln am Strassenrand oberhalb des Eingangs. Keine fünf Minuten später fuhr ein Traktor die Strasse hinauf. Der hielt direkt vor ihm an, gefahren wurde er von Roger Saladin. Gummimann staunte. Was hatte der vor? Erst jetzt bemerkte er den PKW-Anhänger, der daran angehängt war. Saladin setzte zurück, steuerte den Anhänger geschickt rückwärts in die Einfahrt vor den Eingang. Dann stieg er aus, liess das Stützrad vom Anhänger herunter, hängte ihn ab und fuhr wieder zurück zum Dorf.

Einen Traktor steuern konnte Saladin, das musste Gummimann ihm lassen, auch wenn er ihm sonst nicht sehr viel zutraute. Im Moment war er hier alleine, er nutzte die Gelegenheit sich den Anhänger näher anzusehen. Es war ein kleiner, einachsiger PKW-Anhänger, mit aussen angebrachten Rädern, einem circa fünfzig Zentimeter hohen Alu-Rahmen, zugedeckt mit einer blauen Plane. Er sah noch wie neu aus, wenig gebraucht. Gummimann schaute unter die Plane: der Anhänger war leer. Seine Idee, sich jetzt schon darunter zu verstecken, verwarf er im gleichen Moment wieder, es wäre immerhin möglich, dass sie die Plane zum Beladen ganz entfernten. Nein, er musste warten, bis sie alles aufgeladen hatten und dann irgendwie versuchen hineinzuklettern. Keine einfache Sache und äusserst riskant. Zum Warten wählte er ein Gebüsch unterhalb des Eingangs. Vermutlich, so spekulierte er, fährt er nach dem Aufladen zurück zum Dorf, also an ihm vorbei. Fährt er in die andere Richtung nach Nuglar, dann hatte er Pech. Das machte ihn unsicher, es musste doch eine Stelle geben, die für beide Richtungen ideal war. Beim Blick durch die Gegend entdeckte er auf der anderen Strassenseite einen Stromkasten. Kurz entschlossen überquerte er die Strasse und versteckte sich dahinter. Da er relativ gross war, musste Gummimann sich nicht einmal kleiner machen. Mehrere Autos und ein Fahrrad fuhren an ihm vorbei, dann war wieder Ruhe. Ein paar Minuten vor halb zwölf tauchte Saladin zu Fuss auf, er schaute sich kurz um und verschwand dann in der Unterkunft. Gummimann blieb versteckt, der blaue Mercedes mit dem gutgekleideten Dieb sollte nächstens kommen. Es ging aber noch weitere zehn Minuten bis dieser erschien. Der Wagen stoppte oberhalb des Eingangs und fuhr rückwärts in die Einfahrt vor den Anhänger. Gummimann sah wie der Gutgekleidete ihn anhängte und dann auch in der Unterkunft verschwand. Die Autos, die auf der Strasse daran vorbeifuhren, kümmerte das nicht. Sogar eine Wandergruppe, die von Nuglar herkam, würdigte den Mercedes mit dem Anhänger keines Blickes und ging laut schwatzend weiter nach Singen. Das Geklapper der Wanderstöcke war noch lange zu hören.

Das Läuten einer Kuhglocke liess Gummimann herumfahren, hinter ihm, nur durch einen elektrischen Kuhzaun getrennt, begann sich eine Kuh für ihn zu interessieren, und schaute ihn neugierig an. Bald waren weitere auf dem Weg in seine Richtung, er schien für sie sehr spannend zu sein. Normalerweise hatte er Kühe gern, aber hier und jetzt konnte er sie überhaupt nicht brauchen. Mit lauten Geräuschen und wilden Bewegungen versuchte er die Tiere zu verscheuchen, aber ihr Interesse an ihm wurde dadurch noch grösser. Die Tür der Unterkunft öffnete sich, die beiden Männer kamen heraus, mit stapelweisen Wolldecken auf den Armen. Gummimann beobachtete, wie Saladin die Plane zurückschlug und sein Kollege und er die Wolldeckenbündel vorsichtig auf die Ladefläche stellten – vermutlich das Diebesgut. Die Kühe begannen in der Zwischenzeit seine Ohren abzuschlecken und an seinen Kleidern zu zupfen. Mit den Händen versuchte er die Kühe wegzustossen. Aber sie blieben hartnäckig. Da machte er sich blitzartig klein, die Kühe erschraken und wichen fluchtartig zurück. Aus grösserem Abstand schauten sie weiter zur Strasse und muhten laut, kamen aber nicht zurück, auch nicht als er sich wieder gross gemacht hatte.

»Was ist mit den Kühen los, hast du ihnen Angst gemacht?«, hörte Gummimann den Gutgekeideten fragen.

»Nein, die haben mich gern«, antwortete Saladin leicht beleidigt.

Ein Auto fuhr vorbei, Gummimann konnte nicht alles verstehen, nur noch wie der Gutgekleidete meinte, dass er mit den Kühen immerhin jemanden habe, der den gleichen IQ besitze. Die Reaktion von Saladin konnte er nicht mehr sehen, sie verschwanden wieder in der Unterkunft.

Jetzt hätte er auf den Anhänger klettern können, aber er wartete eine weitere Ladung ab. Es dauerte nicht lange und die beiden Diebe erschienen wieder mit neuen Wolldecken, stellten sie auf die Ladefläche und verdeckten sie grob mit der Plane. Sie sprachen nicht, machten nur ihre Arbeit und verschwanden erneut in der Unterkunft.

Der Anhänger stand wieder alleine da, die beiden hatten so viel aufgeladen, dass Gummimann es wagen konnte, sich unter der Plane zu verstecken. Er wollte gerade los, als ein Traktor die Strasse hinauffuhr, er musste warten. Doch der Traktor hielt direkt vor dem Elektrokasten, der Fahrer stieg aus und kletterte über den Kuhzaun. Die Kühe rannten ihm aufgeregt entgegen. Gummimann sah, der einzige Weg zum Anhänger zu kommen, war sich am Traktor vorbeizudrücken. Auf der anderen Kastenseite führte der Weg durch Brennnesseln und Gebüsche und war somit fast undurchdringlich. Er wartete, bis der Bauer etwas weiter unten auf der Wiese mit den Kühen beschäftigt war, dann schlich er am Traktor vorbei und überquerte so schnell er konnte, die Strasse. Noch während er zum Anhänger rannte, sah er wie sich die Eingangstüre zur Anlage öffnete. Die letzten Meter nahm er fast fliegend, er musste den Anhänger erreichen, ohne gesehen zu werden. Sich am Alurahmen festhaltend, machte er sich blitzschnell klein, zog sich über den Rand und schlüpfte unter die Plane.

»Da ist jemand in den Anhänger geklettert«, hörte er Saladin rufen, »er ist plötzlich geschrumpft.«

»Klar, sicher, geschrumpft, in unseren Anhänger. Ich glaub's nicht.« Gummimann hörte, wie der Vornehme etwas murmelte und fluchte. »Gut, sehen wir nach, aber wenn du mich wieder verarscht, dann... Geschrumpft.« Er schüttelte ungläubig den Kopf.

Dann wurden die Plane zurückgezogen und die restlichen Wolldecken hineingelegt. Gummimann versteckte sich hinter einer Wolldecke und hoffte, sie würden nicht jede untersuchen.

»Also wo siehst du etwas, wo soll der Schrumpfling sein? Da ist nichts, nothing, rien, nada, nur unser Zeugs.« Er war hörbar aufgebracht.

Saladin schwieg, Gummimann war froh darüber. Er hörte auch, wie der Traktor davonfuhr, zum Glück konnten die Kühe nicht sprechen.

Eine Person befestigte die Plane. Dann hörte er eine Autotüre und wie jemand einstieg. Ein Fenster wurde heruntergelassen.

»Also, wenn ich zurückkomme, bekommst du dein Geld. Aber ich komme erst am Abend wieder, nach der Arbeit«, das war die Stimme des Gutgekleideten.

»Okay, ich warte«, antwortete Saladin.

Das Autofenster schloss sich elektrisch, und der Wagen fuhr aus der Einfahrt. Noch einmal hielt er kurz an und dann fuhr er weiter die Strasse hinauf Richtung Nuglar. Gummimann schälte sich aus der Wolldecke. Der Anhänger war schlecht oder gar nicht gefedert, es wurde eine holprige Fahrt. Nachdem er sich normal gross gemacht hatte, was nicht einfach war, weil er nur wenig Platz hatte, fischte er sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Meierhans. Er musste ziemlich lange läuten lassen, bis abgenommen wurde.

»Gummimann, ich bin ziemlich im Stress, um was geht's?«

»Ich liege auf einem Anhänger hinten am Mercedes und wir fahren Richtung Nuglar. Saladin sollte jetzt wieder zu Hause sein.«

»Gut, Sie sagen mir genau, wo Sie hinfahren, wenn Sie es wissen. Ich kümmere mich um Saladin, sobald ich hier fertig bin.« Damit unterbrach er die Verbindung.

Das Liegen im Anhänger war äusserst unbequem, die Autoabgase stanken und das Holpern bekam ihm nicht. Es war zum Glück nicht komplett dunkel unter der Plane, im hinteren Teil drang etwas Licht hinein. Er machte sich wieder kleiner und kletterte auf die helle Stelle zu. Tatsächlich war die Plane dort schlecht verschnürt worden. Er schob sie etwas in die Höhe, damit er die Strasse sehen und frische Luft tanken konnte. Hier stank es auch nicht mehr und er konnte die weitere Fahrt verfolgen, ohne dass ihm schlecht wurde. Der Typ fuhr ziemlich vorsichtig, vermutlich hatte er Angst, die Computer und Kameras zu beschädigen. Die Fahrt ging von Nuglar- St. Pantaleon nach Gempen und dann die kurvenreiche Stecke nach Dornach. Die vielen Kurven liebte Gummimann nicht, sein Magen meldete sich wieder unangenehm. Gegessen hatte er auch noch nichts, es war schon nach Mittag. Aber im Moment war ihm der Hunger vergangen. Der Weg von Dornach nach Reinach, Therwil und Ettingen war angenehmer. Gummimann überlegte, wo er wohl hinfahren würde: weiter nach Hofstetten oder sogar nach Leymen im Elsass?

Kurz vor dem Ende der steilen Strasse durch den Wald vor Hofstetten wurde das Auto langsamer und blinkte. Gummimann kannte die Gegend von seinen Fahrradtouren. Er wusste, das Auto bog zum Steinbruch ab. Auf der holprigen Fahrt, die jetzt folgte, rief er nochmals Meierhans an. Der versprach, sofort zu kommen. Dann hielt der Wagen an. Jetzt musste alles schnell gehen, Gummimann musste mit einer Überprüfung der Ladung durch die Empfänger rechnen, vielleicht sogar mit einem Umladen auf ein anderes Fahrzeug. Noch während er sich überlegte, wo er sich verstecken könnte, hörte er, wie der Gutgekleidete ausstieg und von einem Mann begrüsst wurde.

»Haben Sie alles?«, hörte er den Fremden fragen.

»Ja, es ist alles im Anhänger. Wie gewünscht: 15 Laptops und iMacs, zehn Kameras und fünf Filmkameras dazu zehn Smartphones...«

»Ja, ja ich weiss, was ich bestellt habe«, sagte der Andere abweisend. Der schien nicht sehr freundlich zu sein.

»Wo soll ich die Sachen hinstellen? Geben Sie mir das Geld und ich gebe Ihnen die Ware.«

»Ich nehme den ganzen Anhänger«, meinte der Fremde, mit einem sonderbaren Unterton.

Gummimann versuchte etwas zu erkennen, aber ausser einer gelben Steinwand und ein paar Gebüschen sah er nichts, aber es war zu riskant, die Plane an einer anderen Stelle nach oben zu schieben.

»Aber das kostet Sie zusätzlich, ich...«

Jemand musste ihm den Mund zugehalten haben, Gummimann hörte nur noch ein leises, dumpfes Stöhnen.

»Das kostet mich gar nichts.« Der Fremde lachte. «Fesselt ihn, bringt ihn zu den Gebüschen und hängt den Anhänger um.«

Gummimann sah, wie zwei Männer den Gutgekleideten über den Platz schleiften. Er war an Händen und Füssen gefesselt, sein Mund war mit einem breiten Klebeband zugeklebt und seine Glatze glänzte schweissnass in der Sonne. Irgendwann würde Meierhans kommen und ihn finden, vielleicht kam er sogar noch, während die andern Ganoven hier waren, aber er hatte so seine Zweifel.

Jemand machte sich an der Plane zu schaffen. Gummimann machte sich sofort so klein wie möglich und versuchte sich nahe dem gegenüberliegenden Rand bei einem Fotoapparat zu verstecken. Doch zuerst musste er den seitlichen Zugang zur Wolldecke finden, was nicht einfach war, die Diebe hatten die Ware gut verpackt. Er sah noch wie jemand die Plane hochhob, dann fand er endlich den Zugang und schlüpfte in letzter Sekunde hinein. Sein Herz klopfte so stark, dass er Angst hatte, sie würden es hören.

»Wir machen nur ein paar Stichproben«, sagte die Stimme, »ich denke, der Trottel hat alles wunschgemäss gebracht.« Ein gemeines Lachen war zu hören.

Gummimann war etwas beruhigt, seine Chancen nicht entdeckt zu werden, stiegen. Er hörte, wie sie die Geräte aus den Wolldecken wickelten. Noch waren sie mit denen vorne beschäftigt, aber sie kamen näher. Bald war das Gerät auf seiner Rechten an der Reihe, er hörte, wie es weggenommen und nach kurzer Zeit wieder zurückgestellt wurde. Dann spürte er, wie er hochgehoben wurde. Jemand drehte nun die Kamera mit der Wolldecke auf die Seite, um sie anzusehen, ohne sie ganz auszupacken. Gummimann konnte sich im letzten Moment an einem Kartonschild, das mit einem Plastikfaden an der Kamera festgemacht war, festhalten. Würde das reissen, dann könnte er durch die Wolldecke rutschen und auf dem Boden oder im Anhänger unsanft landen. Ob er dann noch im Stand war, sich neu zu verstecken, daran zweifelte er. Er hing jetzt fast in der Luft, einzig die Wolldecke, die der Betrachter hielt, gab ihm einen gewissen Halt. Deswegen durfte er sich nicht bewegen, jede Bewegung könnte ihn verraten. Der Typ machte aber keine Anstalten, die Kamera ganz auszupacken, er schaute bloss in die nach hinten geschobene Decke.

»Eine Canon EOS 6d, nicht schlecht, die würde ich auch nehmen.«

»Stell sie zurück, die ist schon verkauft!«, hörte Gummimann eine strenge, etwas nervöse Stimme.

»Ja, ja, ist klar, war nicht so gemeint«, noch während der Typ das sagte, stellte er die Kamera zurück auf den Anhänger.

Gummimann war froh, aber eigentlich wollte er nicht länger versteckt auf dem Anhänger bleiben, doch so wie es aussah, war das heute seine Reiseart: hungrig, klein und höchst unbequem. Eigentlich hoffte er immer noch auf Meierhans, vielleicht würde er noch rechtzeitig eintreffen. Er hörte, wie die Männer eine weitere Plane über die schon vorhandene zogen, diesmal in Weiss, damit sie, sollte der Gutgekleidete reden, nicht entdeckt wurden. Um sich grösser zu machen, wartete Gummimann bis sie wieder unterwegs waren, um dann erneut zu versuchen, Meierhans zu erreichen. Der Anhänger wurde abgehängt und an einem anderen Fahrzeug wieder angehängt. Aus den Gesprächen der Typen konnte er weder erfahren, was das für ein neues Fahrzeug war, noch, wo sie hinfahren wollten. Er kletterte aus der Wolldecke und schlich zu seinem vorigen Ausguck. Aber da sah er nur noch die zweite, weisse Plane und ein bisschen Boden.

Als das Fahrzeug mit dem Anhänger weiterfuhr, machte er sich normal gross, fischte sein Handy aus der Tasche und wählte. Es läutete zwar, aber Meierhans nahm nicht ab. Ein paar Minuten später versuchte er es nochmals, aber wieder ohne Erfolg. Gummimann fluchte, was ist nur los mit diesem Meierhans. Immer wenn man ihn braucht, kann man ihn nicht erreichen, oder er hat noch was Wichtigeres zu tun. Frustriert lehnte er den Kopf an den Rahmen und dachte dabei ans Essen: ein grosses, gebratenes Steak mit einer heissen Kartoffel, dazu ein kaltes Schweppes. Auch dachte er an eine Badewanne mit warmem Wasser einfach ein bisschen entspannen. Eine grosse Unebenheit auf der Strasse holte ihn aus seinen Träumen zurück. Er hatte seinen Kopf am Rahmen angeschlagen und fuhr sich mit der Hand über die leicht schmerzende Stelle. Dann versuchte er nochmals, Meierhans zu erreichen, mit dem gleichen Resultat wie die vorigen Male. Etwas verärgert beschloss er mit Clearwater zu sprechen. Schon nach zweimal klingeln nahm dieser ab.

»Clearwater, Herr Gummimann womit kann ich Ihnen helfen?«

»Ich bin in einem Anhänger und fahre an ein mir unbekanntes Ziel und kann Meierhans nicht erreichen.«

Er erzählte ihm kurz, was geschehen war.

»Ich wäre froh, Sie könnten versuchen Meierhans zu erreichen«, ein Signalton am Handy der das Ende der Akkuladung anzeigte, ertönte, »ich muss aufhängen, mein Handy-Akku ist fast leer.«

Gummimann spürte seine Wut auf Meierhans, die immer grösser wurde, der leere Akku und das Holpern des schlecht gefederten Anhängers trugen ihren Teil dazu bei. Am liebsten wäre er ausgestiegen und hätte alles liegen und stehen lassen. Aber er wusste, es war nicht möglich. Er schätzte, dass der Akku noch für ein, vielleicht zwei kurze Gespräche reichen würde. Also hiess es genau zu überlegen, wann er wieder telefonieren sollte. Auf einer Wolldecke machte er sich kleiner, legte sich hin und hielt sich am Stoff fest. Es war nicht sonderlich bequem, aber er konnte sich etwas abreagieren und entspannen. Auch versuchte er herauszufinden, wo sie hinfuhren. Doch nach der vierten oder fünften Kurve hatte er die Orientierung verloren und musste kapitulieren.

 

 

 

Zum dritten Mal versuchte Sir Anthony Clearwater, Meierhans zu erreichen, aber es gelang ihm nicht. Immer kam nach mehrmaligem Läuten der Telefonbeantworter. Im Kommissariat hatte man ihm gesagt, Meierhans sei bei einem Einsatz, und sie wüssten nicht mehr, oder wollten oder durften nicht mehr sagen. Clearwater schaute zum Fenster hinaus, er hatte ein schlechtes Gefühl. Sicher, es war nicht die Aufgabe des Geheimdienstes der Sache nachzugehen, aber es liess ihm keine Ruhe, warum meldete sich dieser Meierhans nicht?

Er ging zum Telefon: »Clearwater, Herr Gerber machen Sie sich bereit, wir machen einen kleinen Ausflug. Nehmen Sie Ihre Dienstwaffe mit.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, hängte er auf, zog seine weisse Weste an und natürlich seinen weissen Bogart-Panamahut.

Clearwater trug immer einen weissen Anzug. Er war schon etwas älter, viele schätzen ihn auf gegen sechzig, aber so genau wusste das niemand, und er sprach nicht darüber. Seine grau melierten kurzen Haare und sein wacher Blick liessen ihn würdevoll aussehen. Er strahlte Selbstsicherheit und Autorität aus, ohne eingebildet zu wirken. Alle schätzten ihn.

Gerber wartete schon im Gang. Er war um die dreissig, aber schon mit sehr schütterem, braunem Haar, das er sehr kurz geschnitten hatte, und trug wie meistens, schwarze Jeans und ein weisses Hemd unter seiner grauen Jacke. Gerber war ein sportlicher Typ, machte verschiedene Kampfsportarten und Langlauf, spielte Fussball, und, wenn er Zeit hatte, und das hatte er selten, spielte er Golf.

»Wohin geht es, oder ist das geheim?«, fragte Gerber leicht ironisch.

»Geheim, nein. Wir fahren nach Hofstetten, dort soll jemand gefesselt sein.« Clearwater schmunzelte, sagte aber weiter nichts, er sagte oft nur so viel wie nötig.

»Ich sehe schon«, meinte Gerber und lachte Clearwater an, »es geht wieder um Ihren Freund Gummimann, das wird spannend.«

»Ja, da haben Sie recht.«

Sie nahmen den Lift, der sie vom dritten Stock ins Parterre brachte und verliessen durch den Hintereingang an den Wachen vorbei, die Clearwater ehrfürchtig grüssten, das Gebäude.

Auf der Fahrt nach Hofstetten erzählte er Gerber, was genau geschehen war, das heisst das, was ihm Gummimann erzählt hatte. Und da Gummimann immer sehr zuverlässig war, glaubte er seiner Aussage.

Sie hatten die Einfahrt zum Steinbruch fast verpasst, Clearwater musste etwas zurückfahren. Von der Strasse aus war sie schlecht zu erkennen. Der Steinbruch war nicht mehr in Betrieb, er wurde nur noch zum Abstellen von Autos, Materialwagen von der Gemeinde und gelegentlich von Fahrenden benützt. Langsam fuhren sie an einem grossen Gebäude vorbei und bogen dann in einen von Wald umgebenen, schmalen Weg ab. Dieser brachte sie auf einen grossen Kiesplatz, mit hohen Steinwänden auf der einen Seite und dichten Bäumen auf der anderen. In der Mitte stand ein Auto, ein dunkelblauer Mercedes. Aber es war niemand zu sehen. Clearwater hielt an und die beiden stiegen aus. Gerber hielt seine Hand griffbereit an der Pistole. Clearwater ging zum Auto, blickte zuerst durch die Fenster und öffnete dann die nicht abgeschlossene Fahrertüre. Ein Gemisch aus Duftbäumchen und Zigarettenrauch strömte ihm entgegen und liess ihn erschaudern, er hasste das. Auf dem Beifahrersitz lagen ein paar Prospekte von einer Elektronikfirma und eine Strassenkarte. Im Ablagefach fand er den Führerschein, lautend auf Antonio, Massimo Scarpa.

»Da liegt jemand, Sir Clearwater!«, hörte er Gerber rufen, »im Gebüsch, ich sehe seine Füsse!«

Clearwater schlug die Autotüre etwas zu hart zu und rannte zu Gerber, der zeigte auf die Stelle. Gerber hatte die Pistole gezogen und beide gingen langsam näher.

Clearwater hielt ihn zurück. »Ich glaube, die Pistole brauchen wir nicht. Die anderen Diebe sind schon weiter und das ist der gefesselte, von dem Gummimann gesprochen hatte. Er wird uns kaum angreifen können, der stirbt eher vor Angst, wenn er die Pistole sieht.«

Gerber nickte und schob die Waffe zurück in das Halfter. Trotzdem vorsichtig, näherten sie sich dem im Busch liegenden Mann. Sie sahen seine Angst, als er sie erblickte, der Mann wusste nicht, wen er da vor sich hatte.

»Ganz ruhig, wir sind von der Polizei«, was natürlich nicht ganz stimmte, aber es war einfacher. Clearwater musste keine weiteren Erklärungen abgeben, «das ist Herr Gerber und mein Name ist Clearwater, wir wollen Ihnen helfen.«

Kaum hatten sie das Klebeband von seinem Mund entfernt, begann der Typ loszulegen: »Ich wurde überfallen, ich wollte mich hier nur etwas umsehen, da kamen drei Typen und haben mich niedergeschlagen. Ich weiss nicht, warum die mich einfach so überfallen haben.«

»Sie sind Antonio, Massimo Scarpa, arbeiten in einem Elektronikgeschäft, stimmt's?«, Clearwater sprach ruhig, er wusste, die Geschichte die Scarpa erzählte war erlogen, aber er liess sich nichts anmerken.

»Ja, das stimmt«, sagte Scarpa erstaunt, »woher wissen Sie das?«

»Wir haben da unsere Quellen«, lachte Clearwater, »Herr Gerber, binden Sie ihn los, aber nicht seine Hände.«

»Was soll das? Warum nicht meine Hände? Sie wollen mich wohl verarschen. Sie sind gar nicht von der Polizei, sie sind Gauner oder so was!«

Scarpa zappelte wie ein Wilder und warf Clearwater und Gerber einen vernichtenden Blick zu.

»Wenn Sie nicht ruhig und anständig sind, lasse ich sie einfach gefesselt. Ich kann Ihnen auch das Klebeband wieder auf den Mund kleben«, lachte Gerber und Scarpa wurde ruhiger und fluchte nur noch leise vor sich hin.

Clearwaters Handy begann zu läuten. Überrascht fischte er es aus seiner Jackentasche, es war ihm nicht bekannt, dass er jemandem die Nummer gegeben hatte.

»Clearwater«, sagte er erstaunt nachdem er abgenommen hatte.

»Ich bin's, Meierhans, Ihre Sekretärin hat mich mit Ihnen verbunden. Sir Clearwater, ich bin auf dem Weg nach Hofstetten, ich nehme an, Sie sind mit Gummimann dort, werde Ihnen alles erklären, wenn ich in ungefähr fünf Minuten bei ihnen bin.«

»Ja, ich bin hier mit Gerber einem Kollegen im Steinbruch, aber Gummimann ist schon weiter. So wie es aussieht, wurde dem Dieb der ganze Anhänger, mit Gummimann als Mitfahrer, gestohlen. Wir warten hier auf Sie, bin ja gespannt was Sie mir berichten. Wir haben auch noch ein Geschenk für Sie.« Damit unterbrach er die Verbindung.

Aus den fünf Minuten, wie Meierhans versprach, wurden zwanzig Minuten, bis er mit einem Polizeiwagen eintraf. Scarpa sass am Boden, immer noch an den Händen gefesselt, lehnte sich an einen grossen Stein und schmollte. Gerber stand neben ihm, bereit einzugreifen.

Clearwater ging Meierhans entgegen. Ein älterer Herr, in schwarzen, etwas zerknitterten Hosen, einem weissen Hemd und einer schon etwas aus der Mode gekommenen braunen Jacke. Seine kurzen Haare waren leicht angegraut, er wirkte seriös und hatte ein Lächeln, was ihn vertrauenswürdig machte.

»Sie sind Sir Clearwater, nehme ich an, ich bin Kommissär Meierhans«, sagte Meierhans lächelnd, aber sichtlich gestresst und begrüsste Clearwater mit einem Händedruck. »Es ist vieles schiefgelaufen, ich werde Ihnen alles erklären.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739360218
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Schlagworte
Schweiz Tiere Basel Thriller Fantasy Mystik Kriminalfälle Roman Abenteuer

Autor

  • Tino Keller (Autor:in)

Jahrgang 1951, wohne in der Schweiz in der Nähe von Basel. Ich arbeitete lange als Jugendarbeiter und dabei begann ich Geschichten zu erzählen. In der Zwischenzeit bin ich pensioniert und habe Zeit die Geschichten aufzuschreiben. Sie entwickelten sich zu spannenden Geschichten jeden Alters. Dieser Detektiv hat viele Eigenschaften von mir. Eigentlich schreibe ich für mich, wenn es auch den Lesern gefällt, freut es mich um so mehr.
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Titel: Nachtjäger