Lade Inhalt...

Lilienblüten

von Annie J. Wild (Autor:in)
208 Seiten

Zusammenfassung

Christies erste Beziehung mit ihrer Jugendliebe war lang und lieblos. Als sie endlich den Absprung schafft, muss sie sich zum ersten Mal in der Welt der Singles zurechtfinden - und diese besteht nicht nur aus edlen Rittern. Vielleicht stimmt es ja, dass die netten Kerle alle schon vergeben sind. Aber mit ihrer leicht verrückten Freundin Diane als Rückendeckung wagt sie einen Neuanfang und sucht die wahre Liebe.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

- 1 -

- 2-

- 3 -

- 4 -

- 5 -

- 6 -

- 7 -

- 8 -

- 9 -

- 10 -

- 11 -

- 12 -

- 13 -

- 14 -

- 15 -

- 16 -

- 17 -

- 18 -

- 19 -

- 20 -

- 21 -

- 22 -

- 23 -

- 24 -

- 25 -

- 26 -

- 27 -

- 28 -

- 29 -

- 30 -

- 31 -

- 32 -

- 33 -

- 34 -

- 35 -

- 36 -

- 37 -

- 38 -

- 39 -

- 40 -

- 41 -

- 42 -

- 43 -

- 44 -

- 45 -

- 46 -

- 47 -

- 48 -

- 49 -

- 50 -

- 1 -

Etwas ist anders. Das war ihr erster Gedanke beim Erwachen. Die Geräusche um sie herum waren fremd. Der Geruch, der sie umgab, war fremd. Sie spürte Bettwäsche auf ihrer Haut, die nicht ihre war. Sie trug nur ihre Unterwäsche, keinen Pyjama. Langsam schlug sie die Augen auf und sah sich um. Ein Zimmer, freundlich und modern eingerichtet, aber unpersönlich. Ein Hotelzimmer.

Nun kamen Erinnerungen in ihr hoch. Der Streit mit Marc gestern Abend. Sie wusste gar nicht so genau, was diesen Streit ausgelöst hatte. Aber sie erinnerte sich noch genau daran, was gesagt wurde. Es wurde eine Menge gesagt - und dennoch blieb so vieles ungesagt. Die Dinge, die er ihr an den Kopf geworfen hatte, waren schlimm. Doch sie hatte gekontert, da sie sich grundlos angegriffen fühlte. Das war etwas, dass sie überhaupt nicht ausstehen konnte. Dabei ging sie immer sofort auf Gegenangriff. Im Nachhinein erschien es ihr, er hätte den Streit absichtlich provoziert, indem er diese Eigenschaft von ihr ausnutzte. Er war so eiskalt gewesen. Und dann die vielen Kränkungen und Beleidigungen. Die Tränen. Der Schmerz. Sie erkannte ihn nicht wieder.

Sie fragte sich, ob auch andere Paare so mies stritten. Kleine Fehler oder Charaktereigenschaften des Anderen wurden negativ ausgelegt, als Waffe benutzt. Je treffender und schmerzvoller, desto besser. Hauptsache, es war verletzend. Danach wollte sie einfach nur weg. Weg von ihm, weg aus der gemeinsamen Wohnung. Am liebsten auch weg von sich selbst. Aber das ging nun einmal nicht. Also war sie gegangen, ohne zu wissen wohin, ohne etwas mitgenommen zu haben. Gelandet war sie in diesem Hotel.

Schon lange war in ihrer Beziehung die Luft raus. Eigentlich bereits seit Jahren. War es die Gewohnheit, die sie daran festhalten ließ? Sie kannte es nicht anders. Es war ihre erste Beziehung überhaupt. Damals hatten sie große Pläne. Sie wollten heiraten, eine Familie gründen, ein eigenes Haus... Aber jeden Tag streiten? Sich jeden Tag anschreien und zu beleidigen, nur damit man sagen kann „Ich führe eine Beziehung“?

So schlimm wie gestern, war es noch nie. Bei diesem letzten Streit war etwas in ihr zerbrochen.

Marc hatte es so aussehen lassen, als wäre er nur aus Mitleid, aus Gnade mit ihr zusammen.

„Sei froh, dass du mich hast. Ein anderer Mann würde sich sowieso nicht für dich interessieren“, waren seine Worte. Das musste sie sich nicht gefallen lassen. Oder doch? Zweifel kamen in ihr auf. War sie wirklich so unerträglich und hässlich?

Sie versuchte sich die Reaktionen von Männern, denen sie in den letzten Jahren begegnet war, in Erinnerung zu rufen. Leider ohne Erfolg. Ihr oberstes Gebot und Prinzip für eine Beziehung war Treue. Sie hatte es geschafft, ihr Interesse an anderen Männern komplett auszuschalten, diese praktisch nicht wahrzunehmen. Ein harmloser Flirt? Ausgeschlossen! In ihren Augen konnten andere Kerle ihrem Marc nicht das Wasser reichen.

Doch warum empfand sie so? Rückblickend war er nie für sie da, wenn sie ihn brauchte. Er stand nie hinter ihr, ja fiel ihr sogar ganz gerne mal in den Rücken. Er ließ sie selbst vor Freunden blöd dastehen, wenn er daraus Nutzen ziehen konnte. Und ständig bevorzugte er die Gesellschaft anderer.

Sie war so dumm, so blind die ganzen Jahre. Warum war ihr das nicht schon früher aufgefallen? Warum hat sie das mit sich machen lassen? Er hatte sie mit seinem Verhalten schon oft verletzt. Klar, es tat weh, aber sie dachte, das wäre normal, so funktionierten Beziehungen. Sie kannte es nicht anders.

Doch nun überlegte sie logisch: Ein Mann wie Marc band sich niemals nur aus Mitleid ein hässliches Entlein, das zudem auch noch unsympathisch und dämlich war, ans Bein. Er, der immer penibel darauf achtete, wie er auf andere wirkte. Der immer etwas Besonderes darstellen wollte. Wäre sie so schlimm, wie er sagte, schadete das seinem Image. Nach seinem Gerede war gerade mal ein reiches Topmodel gut genug für ihn.

Sie stand auf und stellte sich vor den großen Spiegel im Zimmer. Da sie nur ihre Unterwäsche trug, sah sie gleich die ungeschönte Wahrheit. Sie war ein wenig zu klein für ihr Gewicht, aber nicht wirklich dick. Die Beine konnten länger sein, aber im Großen und Ganzen war das, was sie sah, ganz passabel. Auch in ihrem Gesicht entdecke sie ein bis zwei Merkmale, von denen sie sogar sagen konnte, dass sie sie mochte. Da waren auf jeden Fall die Augen. Sie mochte deren Farbe. Und ihr Mund... Er war ziemlich klein und die Lippen konnten voller sein, aber die Form, der Schwung ihrer Lippen gefiel ihr. Na gut, ein Topmodel war sie nicht, aber auch nicht gerade Quasimodos Zwillingsschwester. So behandelt zu werden musste endlich vorbei sein.

In diesem Moment, in diesem Hotelzimmer, fasste sie den Entschluss, ihr Leben zu ändern.

Sie würde die Beziehung noch heute beenden.

Am besten fuhr sie gleich nach Hause, stellte Marc vor vollendete Tatsachen, packte ihre Sachen und... Ja, was und? Da hinkte ihr Plan bereits. Sie bewohnten die Wohnung gemeinsam, doch den Mietvertrag hatte er allein unterschrieben. Also war es an ihr, auszuziehen, wenn sie eine Trennung wollte. Aber wo sollte sie hin? Zurück zu Mama? Nein, auf keinen Fall! Viele Freunde hatte sie nicht. Und die, die sie als solche bezeichnete, waren gemeinsame Freunde. Bei ihnen hatte sie immer das Gefühl, dass sie auf Marcs Seite standen, ihn mehr mochten. Diese Denkweise war vielleicht nur eine Folge davon, wie er sie behandelte, sie klein hielt - musste aber nicht. Sie wollte es nicht herausfinden, indem sie die Leute anrief. Sie war zu feige. Sie wollte ihrer gerade erst gewonnenen Zuversicht keinen Dämpfer verpassen. Das durfte sie sich jetzt nicht erlauben, wenn sie tatsächlich Veränderungen wollte. Auch vorübergehend noch bei Marc zu bleiben, bis sie eine neue Bleibe gefunden hatte, kam nicht in Frage. Er quatschte sie wieder zu und beeinflusste sie, dass alles beim Alten blieb. Ein Hotelzimmer konnte sie sich auf Dauer nicht leisten. Also immer noch die Frage: Wohin?

Während sie grübelte und schon kurz davor stand aufzugeben, blitzte vor ihrem inneren Auge ein Name wie ein Feuerwerk auf: Diane! Ihre beste Freundin aus Schultagen, zu der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Marc hatte dafür gesorgt, dass sie sich aus den Augen verloren. Er mochte Diane nicht. Sie war leicht durchgeknallt und immer für eine Überraschung gut. Für jemanden wie Marc, dem sein Image über alles ging, war sie ein zu großes Risiko. Mit Diane auszugehen konnte bedeuten, auch mal im Mittelpunkt zu stehen - und das nicht immer auf angenehme Weise. Sie war ein wenig laut, schrill und verrückt, aber auf eine niedliche und liebenswerte Art, wie Christie fand. Marc hatte zu große Bedenken, wegen einer verrückten Aktion von Diane auf YouTube zu landen und damit ins Gerede zu kommen. Somit fand er immer passende Ausreden, um nicht mitkommen zu müssen, wenn Christie eine Verabredung mit ihr ausgemacht hatte. Eine Zeitlang traf sie sich allein mit Diane, bis Marc auch das nicht mehr recht war. Er fand Mittel und Wege, Christie von Diane fernzuhalten, bis diese sich bald gar nicht mehr meldete.

Während Christie darüber nachdachte, dass es Marcs Schuld war, dass Diane und sie sich von einander entfernt hatten, wurde sie noch wütender - vor allem auf sich selbst. Warum hatte sie sich so manipulieren lassen?

Sie hoffte, Diane sprach überhaupt noch mit ihr. Und, was noch wichtiger war, dass sie ihre Telefonnummer nicht gewechselt hatte.

Christie holte ihr Handy aus der Tasche und wählte nervös Dianes Nummer.

„Christie-Maus?“, ertönte es erstaunt von der anderen Seite. „Was gibt es? Wie geht es dir?“, folgte es gleich darauf. Diane klang so locker und unverkrampft, als hatten sie vor ein paar Tagen erst zusammen gesprochen und nicht das letzte Mal vor Jahren.

„Äh, hi Diane. Störe ich oder hast du kurz Zeit zu reden?“

„Ich bin gerade auf dem Weg zur Arbeit, aber solange ich unterwegs bin, habe ich ja Zeit. Schieß los, was gibt’s?“

„Wir haben zwar ewig nichts voneinander gehört, aber ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden kann. Ich stecke gerade etwas in der Klemme und hoffe, du kannst mir helfen.“

„Erzähl, worum geht es?“

„Marc und ich hatten gestern einen Riesenstreit. Ich habe die Nase voll von ihm, davon wie er mich behandelt und überhaupt. Ich will mich von ihm trennen, am besten sofort.“

„Marc? Sag bloß, du bist immer noch mit diesem Pfosten zusammen? Dass du es überhaupt so lange mit ihm ausgehalten hast. Habe ich nicht schon immer gesagt, dass er ein Kotzbrocken ist?“

„Ja, das hast du. Hätte ich bloß auf dich gehört. Aber wie gesagt, jetzt bin ich endlich auch soweit und will nur noch weg von ihm. Wir wohnen zusammen und wenn ich ausziehe, weiß ich nicht, wohin. Kann ich vielleicht ein paar Tage bei dir unterschlüpfen?“

Christie hätte mit allem gerechnet, aber nicht mit der Antwort, die kam: „Christie-Maus, das wird ober-genial! Wir beide wieder vereint. Wir machen ordentlich einen drauf, damit du diesen Saubeutel aus dem Kopf bekommst. Wann bist du da? Ich muss nur noch organisieren, dass du in die Wohnung kommst, wenn ich noch nicht da sein sollte...“ Diane überschlug sich fast am Telefon, so dass Christie sofort ein Grinsen im Gesicht hatte. Ja, genau das war ihre Freundin und sie vermisste sie auf der Stelle. Diane gab Christie die Adresse, versicherte ihr nochmal, dass sie jederzeit kommen konnte und verabschiedete sich dann.

Christie fiel ein Stein vom Herzen. Nicht nur, dass sie jetzt eine Lösung für ihr Problem hatte, sie bekam auch wieder Kontakt zu ihrer Freundin. Und die schien sich sogar auf sie zu freuen.

Alles wird gut, sagte sie sich, um sich Mut für ihren nächsten Schritt zu machen. Kurz darauf verließ sie das Hotel und fuhr zu Marc.

- 2-

„Wenn es das ist, was du willst, dann geh und sieh zu, wie du zurechtkommst. Ich freue mich schon darauf, in ein paar Monaten zu hören, wie du zu einer fetten, verrückten Katzenlady mutiert bist. Ohne mich bist du doch völlig aufgeschmissen. Außer ein paar streunenden Katzen wirst du kaum jemanden finden, der dich erträgt oder Zeit mit dir verbringen will. Dann störe ich dich jetzt nicht länger beim Packen. Ich will schließlich nicht, dass du in zwei Tagen wieder vor der Tür stehst, unter dem Vorwand, etwas vergessen zu haben. Wenn du durch diese Tür gegangen bist, brauchst du nicht zu mir zurückgekrochen kommen. Bei mir stehen die Mädels schon Schlange und warten nur auf diese Gelegenheit.“ Mit diesen Worten ließ Marc sie stehen.

Nachdem sie ihre Sachen im Auto verstaut hatte, hielt er es nicht einmal für nötig, sie noch zu verabschieden. So sah also das Ende von sieben Jahren Beziehung aus. Wenn sie sich das vorher jemals ausgemalt hätte, dann auf keinen Fall so.

Unterwegs zu Dianes Wohnung musste sie rechts ran fahren. Sie war zu aufgewühlt und ungewollte Tränen stiegen auf. Marcs kalte Worte gingen ihr immer und immer wieder durch den Kopf.

Wie gerne hätte sie ihm die passenden Worte ins Gesicht geschleudert. Im Nachhinein fiel ihr so viel ein, dass sie hätte erwidern können. Aber in der Wohnung war sie von seiner Kaltschnäuzigkeit so geschockt, dass sie nicht mehr denken konnte. Sie wollte nur noch weg. Nie hätte sie gedacht, dass er die gemeinsamen Jahre so einfach abtun, ja fast schon wegwerfen konnte. Sie fragte sich, warum er die Beziehung nicht schon längst beendet hatte, wenn sie ihn doch nur daran hinderte, die vielen auf ihn wartenden Mädels 'abzuarbeiten'. Sie schüttelte den Kopf, wischte sich die Tränen aus den Augen und fuhr weiter.

Diane wohnte in einem Stadtteil, in dem eine bunte Mischung von Bewohnern vertreten war. Lehrer, Ökos, Studenten und Leute der verschiedensten Nationalitäten, die mit Musik, ihren landestypischen Farben und Gerüchen nach Gewürzen und gebratenem Fleisch die Straßen belebten. Hier konnte sich niemand fremd fühlen. Es lag eine freundschaftliche Atmosphäre in der Luft, die beinahe greifbar war. Hätten sich Christie und Marc eine neue Wohnung suchen wollen, wäre dieses Viertel für ihn auf keinen Fall in Frage gekommen. Zu wenig gutbürgerlich und spießig, dachte Christie und musste schmunzeln, dass sie bereits anfing, Marc mit anderen Augen zu sehen.

Der Eingang zu Dianes Haus lag zwischen einer Bio-Bäckerei, in der es veganes und glutenfreies Gebäck gab, und einem Asia-Shop. Gegenüber befand sich ein Döner-Laden. Verhungern musste sie hier nicht.

Schon während sie auf den Eingang zusteuerte, zerbrach sie sich den Kopf, wie sie ins Haus kommen sollte. Sicherlich war die Haustür verschlossen. Doch kaum kam sie näher, sah sie einen Zettel mit ihrem Namen an der Tür hängen. Die Nachricht war mit Klebeband befestigt, das Christie nun vorsichtig löste. Die Mitteilung hatte ein Nachbar aufgehängt, der offenbar einen Schlüssel für Dianes Wohnung besaß und von ihr informiert wurde, dass Christie ankam. Sie sollte sich im Erdgeschoss bei Familie Singh melden. Dort klingelte sie. Nur einen Moment später erklang das Summen des Türöffners. Nachdem sie das Treppenhaus betreten hatte, sah sie, dass das Haus ein Altbau mit hölzernem Handlauf und Linoleum auf den Stufen war. Es roch nach Bohnerwachs und Essen. Christie kannte diesen Geruch noch aus dem Mietshaus ihrer Oma und fühlte sich gleich heimisch. Sie war auf Dianes Wohnung gespannt. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie erwartete. Möglich war bei Diane alles.

Im Erdgeschoss öffnete sich eine Wohnungstür. Eine hübsche, dunkelhaarige Frau erschien, die ein traditionelles indisches Gewand trug.

„Sie müssen Christie sein“, begrüßte sie sie. „Diane rief mich an und bat mich, sie in ihre Wohnung zu lassen. Möchten sie gleich hochgehen oder darf ich ihnen erst einen Tee anbieten? Ich bin übrigens Anjali.“

Christie nahm die Einladung gern an. Sie war froh darüber, nicht sofort mit ihren Gedanken allein sein zu müssen. Sie schickte Diane eine Nachricht aufs Handy, dass sie bei Anjali war. Den übrigen Nachmittag verbrachte Christie schwatzend bei Anjali und wunderte sich darüber, wie herzlich sie von jemand völlig fremden aufgenommen wurde. So wohl fühlte sie sich schon lange nicht mehr, vor allem nicht im Freundeskreis von Marc und ihr.

- 3 -

Gegen 17:30 Uhr kam Diane, um sie abzuholen. Da erst merkte sie, wie anstrengend es war, sich stundenlang zu unterhalten - auch wenn es schön war. Sie war solche Gespräche nicht gewohnt. Während ihrer Zeit mit Marc hatte sie niemanden gehabt, bei dem sie einfach losplaudern konnte. Er erzählte immer nur von seinem Tag und lobte sich selbst, was er wieder Tolles auf der Arbeit geleistet hatte. Wenn sie von ihrem Tag berichten wollte, waren andere Dinge immer wichtiger. Entweder seine schmalzige Seifenoper, die jeden Tag aufgezeichnet werden musste, oder Telefonate mit seiner Mutter, um noch einmal zu berichten, wie toll er war. Auch im Freundeskreis war er derjenige, der meistens sprach. Ihr wurde kurz erlaubt, zu berichten, wie es ihr ging. Dann reichte es auch schon an Aufmerksamkeit für sie und er war wieder am Zug.

Wieder ertappte sie sich dabei, über die gemeinsame Zeit mit Marc nachzudenken. Schnell schob sie die Gedanken beiseite, verabschiedete sich von Anjali und folgte Diane die Treppe hinauf. In der Wohnung angekommen stand sie in einem großen Flur, der durch offene Türen den Blick in die übrigen Zimmer freigab. Sie sah, dass die Einrichtung aus einem bunten Mix bestand. Diane hatte moderne Möbel, Retro-Style, fast schon antike Stücke und Einzelteile, die indisch sowie afrikanisch angehaucht waren, aufgestellt. Was völlig chaotisch hätte aussehen müssen, war gemütlich und sogar ein bisschen stylisch. Noch dazu passte es zu Diane wie die Faust aufs Auge. Leicht verrückt eben. Denn wie Christie in den wenigen Minuten des Wiedersehens feststellte, hatte ihre Freundin sich kein bisschen verändert - immer noch eine liebe, verrückte, schrille Nudel.

Diane warf ihre Handtasche in den Flur, hängte die Jacke an die Garderobe und zog Christie ins Wohnzimmer. Dort setzten sie sich auf das Sofa und Christie musste haarklein berichten. Kaum hatte sie beendet, platzte es aus Diane heraus: „Das ist ja unglaublich. Was erlaubt sich dieser Vollidiot? So kann er doch nicht mit dir reden! Ooohh, wenn ich den zwischen die Finger bekomme. Na warte! Süße, nimm den Knallkopp nicht ernst. Der labert nur Dünnsinn, wenn er den Mund aufmacht. Dir zu erzählen, du würdest eine alte, fette Katzenlady werden... Das darf doch wohl nicht wahr sein!“

Es gelang Christie nur schwer, Dianes Redefluss zu stoppen und sie zu beruhigen. Von dem Argument, dass Christie selbst Schuld war, weil sie so lange mitgespielt hatte, wollte Diane nichts wissen. Keine Frau sollte von einem Mann so behandelt werden. Man merkte Diane an, dass sie sich schon darauf freute, Marc mal rein zufällig über den Weg zu laufen und ihm die Meinung zu sagen.

Christie sah zufällig auf die Uhr und stellte überrascht fest, wie spät es war. Schlagartig wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie war. Sie hatte das Gefühl, drei Tage durchschlafen zu können. Sie war mehr als froh, gerade jetzt Urlaub zu haben. Sie holte nur noch die nötigsten Sachen aus dem Auto und ließ sich von Diane zeigen, wo sie schlafen konnte. Zu Christies Überraschung hatte Diane ein Gästezimmer. Es war zwar etwas vollgestellt - ungenutzte Gästezimmer funktionierte man schließlich gerne als Abstellraum um - aber sie hatte ihr eigenes Reich und konnte sich zurückziehen. Nachdem sie das Bett bezogen hatte, fiel Christie hinein und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen.

- 4 -

Beim Aufwachen fühlte sie sich, als wäre sie nach einem Marathonlauf zusammengeschlagen worden. Auch konnte sie sich auf Anhieb wieder mal nicht erklären, wo sie war. Doch dann: Gestern. Die Trennung. Diane.

Erschöpft ließ sie ihren Kopf auf das Kissen zurücksinken und horchte in sich hinein. Überrascht stellte sie fest, dass sie zwar traurig und verletzt war, aber nicht so sehr am Boden zerstört, wie sie befürchtet hatte. Es schwang sogar ein bisschen Aufregung und Tatendrang in ihren Gefühlen mit.

„Der kann mich mal“, sagte sie laut, schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. „Dem zeige ich, wen er vergrault hat!“

Schnell schlüpfte sie in die Klamotten von gestern und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Das musste zum Ausladen ihrer Sachen reichen. Nachdem alle Koffer, Taschen und Kartons in Dianes Wohnung standen, suchte sie sich frische Wäsche und ging ausgiebig duschen.

„I want to break freehee. I want to break freeeee...“, trällerte sie, während sie das Gefühl hatte, das warme Wasser wusch Trauer, Wut und Sorgen einfach weg. Von Minute zu Minute wurde sie euphorischer und es fiel ihr immer leichter, den dicken Kloß in ihrem Hals und das gemeine Ziehen in ihrem Herzen zu ignorieren. Sie wollte nicht zulassen, dass diese Empfindungen sie herunterziehen. Nein, sie wollte jetzt durchstarten, zu einem Phönix werden. Er würde noch sehen, was ihm entging.

Sie beendete die Dusche. Diane hatte ihr große, flauschige Handtücher zurechtgelegt, mit denen sie sich nun trocken rubbelte. Da all ihre Kosmetikprodukte sich noch irgendwo in Kartons versteckten, stöberte sie im Bad nach Bodylotion und Co. Sie öffnete verschiedene Tuben, Flaschen und Tiegel, um daran zu schnuppern, bis sie auf etwas wunderbar fruchtiges stieß, wofür sie sich dann entschied. Himbeer-Vanille-Zitronengras-Lotion. Nach dem Eincremen fühlte sie sich wie ein Eisbecher, den man an heißen Sommertagen unbedingt vernaschen wollte. Sie liebte so fruchtige Düfte, konnte sie bisher nur nie benutzen. Falls sie tatsächlich einmal zu solch einer Lotion gegriffen hatte, fing Marc sofort an zu mosern: „Du riechst wie der Nachtisch in einem Kindergarten. Frauen sollten elegant riechen, nicht nach Obstsalat.“ Also benutzte sie schweren Herzens nur Produkte, die er mochte.

Schon ärgerte sie sich wieder. Nicht einmal für eine Bodylotion konnte sie sich einsetzen. Ihr wurde bewusst, wie sehr er jeden Teil ihres Lebens kontrolliert hatte. Wütend wickelte sie sich in ihr Handtuch und verließ das Bad.

Auf dem Weg ins Gästezimmer kam sie an ihren Sachen vorbei. Schnaubend riss sie die Kartons auf und fing an, darin herumzuwühlen. Im dritten fand sie ihr Duschgel und die verhasste Bodylotion, nahm beides und warf es mit einem triumphierenden 'Ha!' in den Mülleimer. Noch heute würde sie in die Drogerie gehen und sich kaufen, was sie mochte.

- 5 -

Nach dem Anziehen ging sie in die Küche. Dort lag eine Nachricht von Diane: Sorry Süße, ich habe nichts zum Frühstück im Haus außer Kaffee. Aber ein Stück rechts die Straße runter ist ein 'normaler' Bäcker, noch ein Stück weiter ein Supermarkt. Ich hoffe, du kommst zurecht. Bis heute Nachmittag. Ich knuddel Dich. D.

Christie liebte Kaffee. Schön süß, viel Milch und nicht zu stark. Wenn Kaffee nicht nach Kaffee schmeckte, dann war er perfekt. Allerdings hasste sie es, ihn zu kochen. Und sie hatte erst recht keine Lust, sich mit einer fremden Kaffeemaschine herumzuschlagen. Also beschloss sie, gleich richtig frühstücken zu gehen. Es war zwar bereits nach 11:00 Uhr, aber ein belegtes Brötchen und einen Pott Kaffee sollte sie beim Bäcker wohl jederzeit bekommen.

Auf dem Weg dahin schien ihr die Frühlingssonne warm ins Gesicht und ließ ihre Stimmung wieder steigen.

Noch bevor sie den Bäcker erreichte, kam sie an einer Drogerie vorbei. Bodylotion zu kaufen erschien ihr plötzlich wichtiger, als zu frühstücken. Also wurde das verschoben und sie ging shoppen.

Schnell wurde sie fündig. Eine Bodylotion mit Apple-Pie-Aroma wanderte in ihren Einkaufswagen. Dazu noch ein Duschgel, das so unglaublich nach Orange duftete, dass sie beim Daran-Schnuppern das Gefühl hatte, eine Apfelsine zu pellen. Lecker!

Wo sie gerade in Schwung war, schaute sie noch in der Kosmetikabteilung vorbei. Bisher hatte sie sich aus MakeUp und allem, was dazugehört, nicht viel gemacht. Klar, zu besonderen Anlässen hatte sie sich herausgeputzt. Aber im Alltag? Nö! Marc hatte es sowieso nicht interessiert. Er sah nicht einmal den Unterschied, ob sie geschminkt war oder nicht. Und geschminkt zur Arbeit gehen? Für wen? Es war ihr bisher egal, ob die Kollegen sie attraktiv fanden. Die Zeit, die sie morgens durchs Nicht-Schminken einsparte, konnte sie besser nutzen. Zum Beispiel, um sich noch einmal im Bett umzudrehen. Und abends musste das Zeug schließlich wieder runter. Einfach nur lästig - auch wenn sie sich eingestehen musste, sich mit ein wenig dezenter Farbe im Gesicht hübscher zu fühlen. Das war auch der Grund, warum sie heute vor diesem Regal stand. Sie wollte sich etwas Gutes tun.

Somit wanderten auch noch MakeUp, Puder, Rouge, Eyeliner, Mascara und Lidschatten in ihren Einkaufswagen. Im Vorbeigehen noch eine Haarkur gegriffen. Ach, ein neues Shampoo und einen Nagellack nicht zu vergessen.

Drogeriemärkte waren für sie gefährlich. Wenn sie sich schlecht fühlte, kaufte sie gern Haarkuren oder Conditioner - auch wenn das Regal zu Hause bereits voll damit war. In guter Stimmung sollte sie Drogerien aber auch nicht zu nahe kommen. Das Ergebnis davon konnte man heute sehen.

Christie schaute in ihren Einkaufswagen und zuckte mit den Schultern. Ist doch egal, dachte sie sich. Andere Frauen kaufen Schuhe. Das kann noch viel mehr ins Geld gehen.

- 6 -

Mit vollen Einkaufstaschen ging es nun zum Bäcker. Es gab Zeiten, da hatte sie sich kaum getraut, ein solches Geschäft zu betreten. Immer nachdem Marc sie runtergemacht und ihr eingeredet hatte, wie unmöglich ihre Figur aussah und wie wenig sie wert war.

Sie hatte ihm jedes Wort geglaubt. Wem sollte man glauben und vertrauen, wenn nicht dem eigenen Verlobten? Zeitweise hatte sie dieses Minderwertigkeitsgefühl so verinnerlicht, dass allein der Gedanke, beim Bäcker ein Brötchen zu kaufen, bei ihr eine Panikattacke auslöste.

Sie sollte fremde Menschen ansprechen? Sollte etwas von ihnen verlangen, ihre Zeit in Anspruch nehmen und sie dadurch stören? Außerdem bestellte sie etwas zu essen - wo sie genau das am wenigsten nötig hatte, wie Marc ihr immer zu verstehen gab.

Sie schüttelte den Kopf und vertrieb die trüben Gedanken. Der Tag hatte so gut angefangen, das musste sie sich jetzt nicht antun.

Die Dame hinter der Verkaufstheke lächelte sie beim Hereinkommen so offen und freundlich an, dass es auch noch den letzten Rest der schlechten Gedanken vertrieb.

Christie bestellte einen Milchkaffee und ein belegtes Brötchen mit Tomate und Mozzarella. Sie setzte sich mit Teller und Tasse an einen der kleinen, runden Bistrotische, die in dem Geschäft aufgestellt waren. Sie holte ihren Ebook-Reader, den sie immer dabei hatte, aus der Handtasche und fing an, sich Kaffee und Brötchen schmecken zu lassen.

Normalerweise liebte sie es, in Ruhe dazusitzen, einen Kaffee zu trinken und dabei zu lesen. Heute klappte es irgendwie nicht. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Schade, hatte sie doch gehofft, das Gedankenkarussell durch Lesen stoppen zu können. Seufzend schaltete sie das Gerät aus und betrachtete statt dessen die Leute, die vor dem Schaufenster vorbeigingen. Es war wirklich eine bunte Mischung hier, aber es gefiel ihr. So hatte sie das Gefühl, dass hier alles erlaubt war, was einem gefällt. Niemand fiel unangenehm auf, nur weil er etwas zu bunt gekleidet war - oder vielleicht fruchtig roch.

Sie fing an zu überlegen, was Marc wohl in diesem Moment tat. Immerhin hatte auch er Urlaub. Wahrscheinlich saß er gerade vor dem Fernseher und schaute seine geliebte Serie. Eine kitschige Eigenproduktion des Senders mit unglaublich schlechten Schauspielern. Um diese Zeit wurde sie immer ausgestrahlt, wie Christie die letzten Jahre an gemeinsamen freien Tagen schmerzlich mitbekommen musste.

Als ihr bewusst wurde, dass sie in Gedanken schon wieder bei ihrem Ex war - sie zwang sich dazu, ihn auch als diesen zu bezeichnen - suchte sie schnell Ablenkung von diesem Thema.

Lieber überlegte sie, wie sie den Nachmittag gestalten konnte, bis Diane nach Hause kam. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, für heute Abend etwas für Diane und sich zu kochen, verwarf ihn aber schnell wieder. Sie hatte jetzt lange genug das Hausmütterchen gespielt. Und was hatte es ihr gebracht...?

Sie machte gerade eine schwere Zeit durch und hatte dazu noch Urlaub. Wenn nicht jetzt, wann sollte sonst ein guter Zeitpunkt sein, sich etwas zu gönnen? Sie würde heute Abend mit Diane Essen gehen - natürlich auf Christies Rechnung. Allein schon als kleines Dankeschön dafür, dass Diane sie aufgenommen hatte. Dass das nicht selbstverständlich war, vor allem nach so langer Funkstille zwischen ihnen, war ihr mehr als klar.

In diesem Viertel gab es vielleicht ein indisches Restaurant!? Sie liebte indisches Essen. Sie könnte Anjali danach fragen. Gleich schrieb sie diesen Punkt auf ihre innere To-Do-Liste und biss noch einmal herzhaft von dem Brötchen ab.

- 7 -

Vom Frühstück gestärkt, ging sie in Dianes Wohnung zurück. Sie setzte sich an den Küchentisch, klappte den Laptop auf und begann, nach Wohnungen zu suchen. Schnell fing sie an, zu verzweifeln. Sie hatte sich noch nie mit Wohnungsanzeigen auseinandersetzen müssen. Die Wohnung, in der sie zusammen mit Marc wohnte, gehörte seinen Großeltern. Sie zog damals, nachdem Marc bereits ein paar Jahre dort lebte, direkt von ihrer Mutter zu ihm. Sie hatte noch nie allein gewohnt und fühlte sich von der Situation überfordert.

Ihre Laune wanderte deswegen gerade in Richtung Keller. Sie klappte den Laptop zu und beschloss, die Wohnungsanzeigen später mit Diane durchzusehen. Oder morgen. Vielleicht auch erst am Wochenende. Immerhin wollte Christie Diane nachher zum Essen ausführen. Und Nahrungsaufnahme war auf jeden Fall wichtiger als eine Wohnung. Das war es doch, oder?

- 8 -

Aus Angst, sich die Stimmung durchs Alleinsein noch mehr zu verderben, zog sie sich Schuhe an, um das Haus noch einmal zu verlassen. Dieses Mal stand der Supermarkt als Ziel fest. Sie hatte vor, Pralinen für Anjali zu kaufen, nachdem sie sich gestern so herzlich und unkompliziert um Christie gekümmert hatte. Außerdem wollte sie bei einem erneuten Besuch nicht mit leeren Händen dastehen, wenn sie ihr wieder den Tee wegtrank.

Christie kannte es nicht, dass jemand etwas uneigennützig für sie tat. Sie war es gewohnt, für alles eine Gegenleistung zu erbringen oder sich mit kleinen Geschenken zu bedanken.

Im Supermarkt angekommen, steuerte sie gleich die Regale mit den Süßigkeiten an. Da waren sie wieder: Erinnerungen und schlechte Gefühle. Eine leichte Panik überkamen sie. Sie sollte keine Schokolade kaufen. Auch das Argument, dass diese für jemand anderen war, machte es für sie nicht einfacher. In solchen Situationen stellte sie sich die Gedanken fremder Menschen wie Sprechblasen in einem Comic vor:

„Klar, die hat es gerade nötig, diese Kalorienbomben zu kaufen.“

„Von irgendwas muss so ein dicker Hintern ja kommen.“

„Hey Baby, nimm doch gleich noch eine Tüte Chips zu der Schokolade mit. Es ist dir doch anzusehen, dass das praktisch deine Grundnahrung ist.“

So und ähnlich sahen für sie die Gedanken der Leute aus. Ob es nun darum ging, im Supermarkt etwas Süßes zu kaufen, oder auf der Straße etwas zu essen. Beides versuchte sie zu vermeiden. Schließlich wurde sie doch lange darauf konditioniert, sich dabei schlecht zu fühlen.

Sie war kurz davor, sich einfach umzudrehen und rauszurennen, konnte sich aber gerade noch zusammenreißen.

Du hast dich erst gestern im Spiegel betrachtet, sagte sie sich. Du bist nicht fett. Du bist nicht häßlich. Das wiederholte sie ein paar Mal, ließ es fast zu einem Mantra werden. Dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle und war in der Lage, die Pralinen auszusuchen.

Auf dem Weg zur Kasse kam sie am Weinregal vorbei. Auch hier blieb sie kurz stehen, um für Diane und sich eine Flasche auszusuchen. Sie wusste nicht, ob sich Dianes Geschmack in den letzten Jahren geändert hatte. Damals mochten sie beide süßen Rotwein, für den sie sich jetzt auch entschied.

Sie bezahlte und machte sich auf den Rückweg. Dabei kamen die nächsten Sorgen. Was, wenn Anjali gar nicht zu Hause war? Wie sollte sie die Zeit bis zu Dianes Rückkehr rumbringen?

Aber Anjali war zu Hause und öffnete ihr mit einem strahlenden Lächeln die Tür. Sie schien sich aufrichtig zu freuen, dass Christie sie besuchte. Als Christie ihr die Pralinen überreichte, wurde sie verlegen und wollte sie nicht annehmen. Anjali fiel kein Grund ein, der dieses Geschenk rechtfertigte. Auch nach Christies Erklärung schaute sie etwas verwirrt. Dann nahm sie die Schachtel doch an - nur, um sie sofort geöffnet auf den Tisch zu stellen.

Wieder einmal war es ein schöner Nachmittag in Anjalis Gesellschaft. Dafür, dass sie sich erst den zweiten Tag kannten, hatten sie sich unglaublich viel zu erzählen. Nie kamen sie in die Situation, dass eine peinliche Gesprächspause entstand. Christie fühlte sich pudelwohl. Dazu kam noch die gute Nachricht von Anjali, dass sich in der Gegend tatsächlich ein indisches Restaurant befand. Sogar so nah, dass sie es zu Fuß erreichen konnten. Auf Nachfrage, ob Anjali die beiden Mädels begleiten wollte, lehnte diese allerdings ab. Sie wollte zu Hause sein, wenn ihr Mann von der Arbeit kam. Sie bat Christie aber, bei nächster Gelegenheit wieder an sie zu denken.

- 9 -

Nach ihrem Feierabend holte Diane Christie wieder bei Anjali ab. Christie hatte sie, wie gestern, per Handy informiert, wo sie zu finden war.

Während Christie Diane von ihrer Idee berichtete, Essen zu gehen, gingen sie in Dianes Wohnung.

Diane fand den Vorschlag fantastisch und sie begannen, sich für den Abend zurechtzumachen. Die passende Gelegenheit für Christie, ihre neu erworbenen Produkte auszuprobieren. Während sie pinselnd vor dem Spiegel stand, erzählten sie sich gegenseitig von ihrem Tag.

Da platzte Diane damit heraus, dass sie morgen ausschlafen konnte. Sie hatte sich spontan Urlaub genommen.

„Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du deine freie Zeit allein totschlagen musst“, sagte Diane mit einem Augenzwinkern.

Christie fiel ihr um den Hals. Sie wusste zwar nicht, wie Diane ihren Chef so schnell überzeugen konnte, dass sie frei bekommen hatte, aber sie war froh, nun Beschäftigung und Ablenkung zu haben. Schließlich konnte man nicht jeden Tag eine halbe Drogerie leerkaufen. Außerdem freute sie sich auf die gemeinsame Zeit mit Diane. Es gab so viel nachzuholen.

- 10 -

Im Restaurant bestellten sie sich unterschiedliche Gerichte, die sie sich wir früher teilten.

Sie quatschten ununterbrochen, lachten viel und schmiedeten Pläne für die nächsten Tage.

Als Christie das Thema Wohnungssuche ansprach, tat Diane es mit einer Handbewegung ab. „Ach quatsch“, sagte sie fast schon empört, „du wirst deine freien Tage doch wohl nicht damit verschwenden, dir bei Wohnungsbesichtigungen die Beine in den Bauch zu stehen. Ich habe das Zimmer übrig und nutze es sowieso nicht. Wenn es dir bei mir gefällt, kannst du so lange bleiben, wie du willst. Wir sind ab jetzt eine Mädels-WG. Wie findest du das? Hast du noch irgendwelche Möbel bei Marc? Die könnten wir holen und du richtest dir das Zimmer ein, wie es dir gefällt.“

Wieder war Diane kaum zu stoppen. Erst als sie sah, dass Christie betrübt den Kopf schüttelte, brach ihr Redefluss ab. „Was ist denn los, Süße?“, fragte sie besorgt. „Möchtest du nicht bei mir wohnen? Kein Problem.“

„Nein. Das ist es nicht. Ich nehme dein Angebot liebend gern an. Danke, Didi. Mir fiel nur gerade auf, dass ich nichts besitze, außer der paar Sachen, die ich mitgebracht habe. Na gut, da wäre noch mein altes Jugendzimmer bei meiner Mutter - aber sich damit als Erwachsene einzurichten, wäre dann doch irgendwie armselig. Alles in Marcs Wohnung gehörte ihm. Ich habe lediglich das eine oder andere Dekostück angeschleppt. Aber die Sachen kann er sich gern sonst wo hinschieben.“

Diane nahm sie in den Arm. „Ich mache dir einen Vorschlag: Wir gehen davon aus, dass du ab jetzt fest bei mir wohnst. Morgen früh fahren wir zu IKEA, frühstücken gemütlich und shoppen danach ausgiebig. Was hälst du davon? Da findest du sicher das eine oder andere Teil für dein Zimmer. Tolle Bettwäsche vielleicht? Ich habe eigentlich genug für eine Großfamilie. Aber ich denke, du könntest dich in etwas Eigenem wohler fühlen. Dann noch ein paar hübsche Pflanzen und Bilder. Oh, und Kerzen. Kerzen sind immer gut.“ Diane hatte schon wieder Fahrt aufgenommen und redete ohne Unterlass. Christie schmunzelte. Wenn es Diane erstmal gepackt hatte, sollte man sie lassen. Irgendwie war sie auch ein bisschen froh darüber, nicht allein planen zu müssen. Vor allem aber, dass das Thema Wohnungssuche vom Tisch war. Sie hatte Angst vorm Alleinsein. Schließlich war sie das bisher nicht gewohnt - nur mal in wenigen Ausnahmefällen, wenn Marc zu mehrtägigen Fortbildungen fahren musste.

„Und? Was sagst du zu meinem Plan?“

„Hmh, was?“ Irritiert blinzelte Christie ihre Freundin an. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht mehr mitbekommen hatte, was Diane erzählte. „Tut mir leid, Didi. Was hast du gesagt?“

„Ich hatte vorgeschlagen, dass wir am Samstag ordentlich einen drauf machen. Deine neue Freiheit, dein neues Leben feiern und darauf anstoßen. Wie findest du das? In der Stadt gibt es da diesen schnuckeligen Club. Das Amaze. Kennst du den?“

Diane schüttelte den Kopf.

„Ist ja auch egal. Auf jeden Fall spielen die da echt geniale Musik. Die Cocktails sind super-lecker und Typen laufen da rum... Ich sage dir, vom Feinsten.“ Zur Unterstreichung ihrer Worte tat Diane, als leckte sie sich die Finger ab.

„Didi, hör zu“, begann Christie, „das ist ja alles ganz schön und gut. Aber nach Feiern ist mir gerade nicht zumute. Ich habe erst gestern meine Beziehung beendet. Es ist nicht einfach für mich, klar zu kommen. Und was ich jetzt am wenigsten will, ist, einen neuen Typen kennenzulernen.“

„Ach was, wer sagt denn, dass du dich gleich in die nächste Beziehung stürzen sollst? Einfach ein bisschen flirten, nur so aus Spaß. Du wirst sehen, das ist absolutes Balsam für dein Ego. Und wenn ich mich nicht täusche, ist das genau das, was du momentan gebrauchen kannst - und davon eine Extraportion.“

Diane ließ sich von ihrer Idee nicht abbringen. Um nicht lange diskutieren zu müssen, stimmte Christie einfach zu. Heute war erst Donnerstag. Bis Samstag Abend hatte sie also noch ein wenig Zeit, um Diane umzustimmen.

Satt, müde und ein bisschen beschwipst machten sie sich auf den Heimweg. Diane sprach zum Glück schon wieder über den morgigen Tag. Sie selbst wollte auch nach ein, zwei Dingen schauen. Christe freute sich auf die Shoppingtour. Sie mochte IKEA. Es war ihr noch nie passiert, dass sie dort rausgegangen war, ohne auch nur eine Kleinigkeit gefunden zu haben. Außerdem gefiel ihr der Gedanke, sich Möbel zuzulegen, die nur für sie selbst waren.

Zu Hause angekommen fiel Christie auf, wie müde sie war. Daher verschwand sie gleich im Bad, schminkte sie sich ab und zog sich für das Bett um. Bevor sie in ihr Zimmer ging, nahm sie Diane noch einmal fest in den Arm.

„Gute Nacht, Mitbewohnerin“, strahlte Diane sie an.

„Gute Nacht!“ Christie drehte sich um und schloss mit einem Lächeln im Gesicht ihre Tür. Sie ließ noch kurz den Blick durch den Raum schweifen. Dabei überlegte sie sich, was sie am nächsten Tag kaufen wollte, um es zu ihrem Zimmer zu machen. Dann ließ sie sich ins Bett fallen und schlief zufrieden ein.

- 11 -

„Guten Morgen, Schlafmütze“, kam Diane in ihr Zimmer gepoltert. „Aufstehen!“

„Wie spät ist es denn?“ Christie rieb sich verschlafen die Augen und versuchte, wach zu werden. Sie brauchte eine Uhr. Diese setzte sie fix auf ihre innere Einkaufsliste.

„Na, schon fast acht. Wenn wir nicht bald losfahren, gibt es keinen Lachs mehr.“

„Was? Nicht einmal acht? Oooh Didi, wie kannst du so früh so munter sein? Und du schmeißt mich so früh aus dem Bett, nur damit du Lachs frühstücken kannst? Ernsthaft jetzt? Lass mich noch schlafen. Ich kaufe dir nachher Lachs im Supermarkt.“ Christie wusste, dass ihre Nörgelei sowieso zu nichts führte. Zumindest habe ich es versucht, dachte sie sich.

Wie, um ihre Gedanken zu bestätigen, schoss Diane los: „Nee, nee, nee. Nix ist mit noch schlafen. Du stehst jetzt auf, machst dich fertig und dann fahren wir Lachs essen. Ohne das Zeug frühstücke ich da nicht. Also los, raus aus den Federn!“ Diane zog ihr gnadenlos die Decke weg, drehte sich um und verlies den Raum. Christie ergab sich ihrem Schicksal und schwang die Beine aus dem Bett - um mit nackten Füßen auf dem kalten Fußboden zu landen.

„Ich brauche einen Bettvorleger“, murmelte sie vor sich hin, und setzte ihn auf ihre Liste.

Im Bad überlegte sie, ob sie sich schminken sollte, oder ob das übertrieben war. Nach einem Blick in den Spiegel, der sie mit dunklen Augenringen zeigte, hatte sich diese Überlegung erübrigt.

Als sie fertig war, gefiel ihr, was sie im Spiegel sah. Innerlich dankte sie der Kosmetikindustrie für die vielen kleinen Helferlein, die einen weniger fertig aussehen ließen.

Sie ging zu Diane in die Küche, die schon wie auf heißen Kohlen dasaß.

Nach einem Blick auf Christie stieß sie einen leisen Pfiff aus. „Man Süße, hast du heute noch etwas Besonderes vor? Gut siehst du aus.“

Christie lächelte. „Danke. Ich brauche das zur Zeit einfach. Und jetzt? Wollen wir los?“

„Na auf jeden Fall!“

Im Möbelhaus angekommen, stürmte Diane sofort in Richtung Restaurant und da auf die Selbstbedienungstheken zu. Ihre Sorge um den Lachs verflüchtigte sich, als sie sah, dass noch genügend für eine halbe Kompanie vorrätig war.

Sie stellten sich ihr Tablett zusammen, suchten sich einen gemütlichen Platz im Restaurant und genossen ihr Frühstück. Sie hatten beide freie Sicht auf die Getränkeautomaten und konnten sich immer mal wieder über die Geschehnisse dort amüsieren. Leute ließen ihre Becher überlaufen, drückten wie wild auf den Tasten herum, ohne zu wissen, was sie taten oder rempelten sich mit vollen Tassen gegenseitig an.

Lange nachdem sie längst aufgegessen hatten, verließen sie das Restaurant und begaben sich in Richtung der Verkaufsausstellung. Hier hielten sie sich genau an die eingezeichneten Laufwege, um auch nicht die winzigste Ecke einer Abteilung auszulassen. Sie machten sich gegenseitig auf einzelne Stücke aufmerksam, die sie entweder besonders hübsch oder auch absolut hässlich fanden. Doch bei allem, was sie sich anschaute, hatte Christie ihr Zimmer vor Augen.

Nach etwa fünf Stunden Einkaufsmarathon kamen sie erschöpft und mit einem voll beladenen Einkaufswagen zur Kasse. Bevor sie zum Auto gingen, aß jeder noch den obligatorischen Hot Dog. Dann machten sich auf den Weg nach Hause. Jetzt, wo sie eigene Sachen hatte, wollte Christie sie auch aufstellen und ihr Zimmer für sich einrichten. Sie freute sich wie ein kleines Kind. Und das Beste war: Ihr fiel auf, dass sie den ganzen Tag noch nicht einen Gedanken an Marc verschwendet hatte.

Zum Aufbauen der Möbel, es waren nur ein Nachtschrank und ein Sideboard, öffneten sie die Flasche Wein, die Christie gekauft hatte. Er schmeckte köstlich und trug erheblich dazu bei, die Stimmung noch ausgelassener und alberner werden zu lassen, als sie ohnehin schon war.

Später ließen die beiden sich Pizza kommen und verdrückten diese in Christies Zimmer. Es gab noch eine Menge zu tun, bis der Raum fertig war. Beide fanden den Raum aber schon so gelungen und gemütlich, dass es schade gewesen wäre, den restlichen Abend woanders zu verbringen.

- 12 -

Den nächsten Vormittag verbrachte Christie damit, ihre Taschen und Kartons auszupacken. Alles, was sie aktuell nicht brauchte, wanderte in den Keller. Dazu gehörten auch Dinge, dessen Anblick momentan zu schmerzhaft für sie war, wie zum Beispiel gemeinsame Fotos von ihr und Marc oder auch ihr Verlobungsring. Gut verpackt, so dass er nicht verloren gehen konnte, wanderte dieser ganz nach unten auf den Boden eines Kartons.

Als nichts mehr herumstand, ohne einen festen Platz zu haben, und auch jedes Bild an der Wand befestigt war, setzte sich Christie auf ihr Bett und sah sich um. Sie seufzte. Sie fühlte sich hier wirklich wohl und war froh darüber, wie schnell alles gut geworden war. Wenn sie nur daran dachte, wie sie vor wenigen Tagen im Hotelzimmer aufgewacht war und es schien, als hätte sie keine Perspektive.

So glücklich, wie sie jetzt war, etwas lastete noch auf ihrer Seele: der heutige Abend. Sie hatte mehrfach versucht, Diane von ihrem Vorhaben, heute Abend mit ihr zusammen in den Club zu gehen, abzubringen. Es schien, als hätte Diane einen besonderen Riecher dafür. Sie hatte sie in verschiedenen Situationen abgepasst und die unterschiedlichesten Herangehensweisen versucht. Jeder von Christies Versuchen wurde bereits im Keim erstickt. Keine Argumente, keine Ausreden wurden akzeptiert. Für Diane stand fest, dass Christie nichts dringender brauchte, als den Abend im Club. Also fügte sie sich in ihr Schicksal.

Christie stellte sich vor den Schrank und begutachtete die Kleidungsstücke, die darin hingen. Nichts, was danach aussah, nur annähernd in eine Cocktailbar zu passen - oder was auch immer dieses Amaze war.

Seit Jahren war sie nicht mehr ausgegangen, und wenn, dann nur zu Freunden, vielleicht mal ins Kino oder zum Bowling. Aber einen Club hatte sie seit Jahren nicht mehr von innen gesehen. Für sie hießen die Dinger auch noch Disco und nicht Club.

„Diaaaannnnne!“ Ihre Freundin war jetzt die letzte Rettung. Man, langsam wurde das zur Gewohnheit. Christie fand sie völlig entspannt auf dem Sofa vor. Eine Tasse Kaffee und eine Zeitschrift vor sich.

„Diane, ich habe nichts zum Anziehen.“ Leichte Panik schwang in ihrer Stimme mit.

„Ach was. Das sagen Frauen immer.“ Sie stand auf und zog Christie hinter sich her in ihr Zimmer. „Lass mich mal sehen.“ Eine Weile wühlte Diane stumm in Christies Schrank, bevor sie nüchtern sagte: „Süße, du hast nichts zum Anziehen.“

„Dann können wir wohl doch nicht weggehen.“

„Nun mal langsam. So schnell kommst du mir nicht davon. Das soll jetzt aber kein Plan sein, um den heutigen Abend doch noch abblasen zu können? Lass mich mal unter dein Bett schauen, ob du da nicht ein paar akzeptable Klamotten versteckt hast.“ Lachend warf sich Diane auf den Boden und steckte den Kopf unter Christies Bett. Dann rief sie etwas gepresst: „Nein, hier ist nichts. Du hast tatsächlich nichts anzuziehen.“ Ächzend kam sie wieder auf die Füße. „Gut, dann zu Plan B.“

„Was ist Plan B?“, wollte Christie wissen?

„Na, wir nehmen uns meinen Schrank vor, und du ziehst etwas von mir an.“

Zweifelnd musterte Christie ihre Freundin. Diese war größer und schlanker. Wie sollte sie in ihre Klamotten passen, ohne hinterher wie eine Presswurst auszusehen. Als ob Diane ihre Gedanken erriet, sagte sie schnell: „Warte, warte, warte. Bevor du jetzt voreilig etwas sagst, lass mich erstmal machen. Du darfst hinterher deine Meinung zum Outfit abgeben. Vorher nicht. Ich gehe mal fix in mein Schlafzimmer und suche etwas raus. Du wartest hier und rührst dich nicht vom Fleck.“ Damit ließ sie Christie stehen. Diese setzte sich auf ihr Bett und wartete, war aber nicht sehr zuversichtlich, was das Ergebnis von Dianes Suche anging. Sie hörte ihre Freundin fröhlich summend rumoren. Ab und zu ertönte ein leiser Fluch oder anderes Gemurmel, dass Christie nicht verstehen konnte. Sie wollte ihr gerade etwas zurufen, da stand Diane auch schon wieder im Zimmer.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739383873
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (April)
Schlagworte
Unterhaltung Liebesroman Neuanfang Trennung Romantik Liebe Romanze Urlaubslektüre

Autor

  • Annie J. Wild (Autor:in)

Annie J. Wild ist eine deutsche Autorin, geboren und aufgewachsen in Hannover. Sie lebt zurückgezogen, zusammen mit ihrem Mann, Hund und Kater, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können.
Zurück

Titel: Lilienblüten