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Cowboy Kisses - Hunt me

von Vivian Hall (Autor:in)
248 Seiten
Reihe: Cowboy Kisses, Band 1

Zusammenfassung

Verzweifelte Mütter ergreifen verzweifelte Maßnahmen, daher meldet Brenda Coleman ihre Söhne kurzentschlossen bei der Kuppelshow: Cowboy sucht Frau an. Sobald das TV-Team auf der Ranch auftaucht, versinkt das Leben der Männer im Chaos. Vor allem der verdammt attraktive, aber wortkarge Jesse will keine nervige Frau in seinem Leben und muss sich doch täglich mit der taffen Fernsehredakteurin Jane herumplagen. Diese Frau treibt ihn in den Wahnsinn! Sein Bruder Noah hingegen fühlt sich wie im Paradies. Ob blond oder brünett, jede Frau ist eine Göttin und er denkt, er kann sie alle haben. Bis er sein Herz verliert und sich an der Kamerafrau Rachel die Zähne ausbeißt. Zweiter Teil: Cowboy Kisses - Keep me

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

The show must go on …

Dieser von der Gesellschaft fast schon inflationär benutzte Satz passte besonders auf die derzeitige Situation an ihrem Arbeitsplatz, dem Denver Discovery Channel. Nach Jahren des Hoffens und Bangens, in denen keiner der Mitarbeiter einschätzen konnte, ob er auch im nächsten Monat noch einen Job haben würde, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, konnte Jane nach ihrem Urlaub das Gebäude wieder betreten, ohne dieses unangenehm mulmige Gefühl im Bauch. Der Denver Discovery Channel existierte mittlerweile seit fast vierzig Jahren, und in Zeiten, in denen bald schon jede größere Kleinstadt über einen eigenen Fernsehsender verfügte, wäre es ein Jammer gewesen, wenn die Pforten des Senders hätten schließen müssen. Viel hätte nicht mehr gefehlt. Der alte Besitzer war vor allem in den letzten Jahren nicht mehr in der Lage gewesen, die stetig wachsenden Ansprüche der Zuschauer zu erfüllen und auch völlig beratungsresistent, was das anging. Das trieb den Sender beinahe in den finanziellen Ruin, da nicht nur die Einschaltquoten sanken, sondern auch die Anzahl der Werbepartner. Am Ende geschah das Unvermeidliche: Der Sender wurde verkauft, an einen New Yorker Investor, der überraschenderweise seinen Lebensmittelpunkt nach Denver verlegte, um den Aufbau des Senders höchstpersönlich anzugehen.

Sie trat durch die Drehtür in das völlig neu gestaltete Foyer. Die erste von vielen Baustellen, die vom neuen Besitzer Jason Finch beseitigt worden war.

Der erste Eindruck ist es, der zählt.

So hatte er sich ausgedrückt und gleich mal den kompletten Innenbereich vom Look der späten Siebzigerjahre befreit. Alles entsprach nun den modernsten Standards. Der Boden war jetzt durchgängig mit anthrazitfarbenen Hochglanzplatten ausgelegt und mittendrin stand eine oval geformte Informationsinsel, in der sich gleich zwei Blondinen aufhielten. Beide sehr jung, beide sehr hübsch. Genau die Kragenweite des Senderschefs Jason Finch, dem der Ruf eines Womanizers anhaftete.

Ansonsten sah man entlang der Fensterseite zwei Sitzgruppen, eingerahmt von riesigen Topfpflanzen, und eine kleine Cafébar, hinter der ein Barista die Besucher mit Latte Macciato und anderen koffeinhaltigen Getränken versorgte. Auch eine Änderung von Finch, der den jungen Italiener namens Angelo aus New York mitgebracht hatte und der das Eingießen von Milchschaum zu einer Kunstform erhoben hatte. Ihre Freundin Hayley, eine der Visagistinnen des Senders, bekam stets eine Schaumkrone in Form eines Herzchens auf ihren Cappuccino. Weil sie so niedlich ist, wie Angelo immer sagte. Er versuchte schon seit einer Weile, sie zu einem Date zu überreden, doch Hayley war fürchterlich altmodisch eingestellt und weigerte sich, mit einem Mann auszugehen, der vier Jahre jünger war.

Endlich erreichte Jane die Aufzüge und drückte auf den Knopf, als sich ihr Handy vibrierend gegen die Außenseite ihres Schenkels drückte. Sie fischte es aus ihrer Hosentasche und ging ran. „Billings!“

„Wo bist du im Moment?“

„Ich stehe vor den Aufzügen“, antwortete Jane und musste grinsen. Ihre Chefin Rebecca Olson hielt nicht viel von übertriebener Freundlichkeit im Umgang mit ihren Mitarbeitern, aber daran hatte sich Jane im Laufe der Zeit schon gewöhnt. Sie fand Rebeccas unverblümte Geradlinigkeit sogar angenehm. Bei ihr wusste man immer, woran man war, und bekam keine Mogelpackung serviert. Außerdem schlug hinter der ruppigen Fassade durchaus ein menschliches Herz.

„Großartig! Dann schwing deinen Hintern in mein Büro. Wir haben etwas zu besprechen.“

Rebecca beendete das Gespräch und Jane steckte kopfschüttelnd das Handy wieder ein. Was es wohl so dringendes gab? Als Programmdirektorin fiel unter anderem die Ausarbeitung neuer Konzepte in Rebeccas Aufgabenbereich und Jane musste die Ideen anschließend in ein fernsehtaugliches Format umwandeln. Man konnte ihre momentane Arbeit wohl am ehesten mit der eines Lektors vergleichen. Vor allem in den letzten Monaten hatte sich ihr Job auf die Endkontrolle der Korrespondenten- und Journalistenbeiträge beschränkt, anstatt mit ihrem Kamerateam die Umsetzbarkeit eines redaktionellen Inhalts in laufende Bilder zu erarbeiten. Für neue Projekte hatte jahrelang das Geld gefehlt, doch Jason Finchs großzügige Finanzspritze setzte nicht nur den Grundstein für einen Neuanfang, sondern könnte auch ihre stagnierende Karriere wieder pushen, sollte Rebecca etwas Geniales ausgetüftelt haben, um dem Denver Discovery Channel wieder zu alter Form zu verhelfen. Jane war bereit, ihren Teil dazu beizutragen, indem sie Überstunden bis zum Exzess schob. Sie war ja niemandem Rechenschaft schuldig, nicht mal ihrem derzeitigen Lover Casey Bingham.

Gerade als sie im zehnten Stock der Chefetage aus dem Fahrstuhl stieg, vibrierte ihr Mobiltelefon erneut. Als hätte er es gerochen, dass sie gerade an ihn gedacht hatte, sah sie Caseys Nummer auf dem Display aufleuchten. Widerwillig nahm sie das Gespräch an. Sie hasste es, wenn man sie während der Arbeitszeit anrief.

„Casey, was gibt’s schon wieder?“, fragte sie, bemüht darum, nicht allzu genervt zu klingen. Nebenbei klemmte sie das Handy zwischen Ohr und Schulter ein, um in ihrer Handtasche nach ihrem Lippenstift zu suchen.

„Hey Babe, ich wollte wissen, was du heute Abend machst? Ich hätte Premierenkarten für die Oper.“

„Casey, du weißt doch, dass ich dieses grauenhafte Gejaule nicht abkann“, antwortete sie und schloss die Augen.

Davon ließ er sich nicht entmutigen. „Die Musik ist doch egal. Aber du fehlst mir. Wir haben uns zwei Wochen nicht gesehen.“

Okay, es wurde langsam Zeit, diese Affäre zu beenden. Was nutzte eine unverbindliche Beziehung, wenn einer anfing, mehr darin zu sehen?

„Ich habe heute meinen ersten Arbeitstag und keine Ahnung, wann ich nach Hause komme“, meinte sie ausweichend. Sie musste ihm ja nicht gleich am Telefon den Laufpass geben. Er hatte zumindest ein persönliches Gespräch verdient. „Na gut, dann eben ein anderes Mal.“

Er klang enttäuscht und Jane bekam ein schlechtes Gewissen. Bei der nächsten Affäre würde sie besser auf die Alarmsignale achten. Wer hätte gedacht, dass es die Kerle waren, die anfingen, Gefühle zu entwickeln, während sie nichts weiter im Sinn hatte als ein bisschen Spaß. Verstanden sie denn alle nicht, dass die sogenannte große Liebe meist in Tränen und Kummer endete? Dazu musste man sich doch nur die enorme Scheidungsrate in den Vereinigten Staaten ansehen.

„Hör mal“, fing sie etwas versöhnlicher an. „Ich melde mich bei dir, sobald ich zeitlich ein bisschen flexibler bin. Frag doch eine andere Frau.“

Wie er wohl auf diese Aufforderung zum Fremdgehen reagieren würde? Sie hielt den Atem an.

„Hm, ja, vielleicht mach ich das sogar“, erwiderte er leise und Jane atmete erleichtert auf.

„Du wirst auch mit einer anderen Spaß haben!“, beteuerte sie. „Bis dann. Ich muss jetzt los.“

Jane drückte ihn weg und holte erst mal tief Luft. War sie zu gemein gewesen? Aber sie hasste nun mal diesen ganzen Beziehungskram und hatte keinen Bock auf einen Kerl, der ihr früher oder später vorschreiben würde, wie sie ihr Leben zu leben hatte. Sex war in Ordnung, doch Liebe stand ganz hinten auf ihrer persönlichen To-do-Liste. Sie wollte nicht so enden wie ihre Mutter: betrogen und alleingelassen.

Zielsicher steuerte Jane Rebeccas Büro an und blieb vor der Tür stehen, um noch einmal tief Luft zu holen. Gespräche mit ihrer Chefin waren immer anstrengend, man musste schon all seine Sinne sammeln, um ihren Ausführungen folgen zu können. Manche der Mitarbeiter waren überzeugt davon, in Rebeccas Kopf befände sich ein kleiner Computer, der in Sekundenbruchteilen Dutzende von Informationen verarbeitete und sofort wieder weitergab. Sie galt als die allumfassende Herrscherin des Senders, es gab nur eine Person, die ihr den Mund verbieten konnte und dieser Jemand war Jason Finch. Seit er den Sender gekauft hatte, vermieste er der guten Rebecca mit seinen Launen die Freude an ihrem Job. Außerdem versuchte er schon seit geraumer Zeit, sie loszuwerden. Doch ein gut dotierter, absolut wasserdichter Vertrag garantierte ihrer Chefin für die nächsten fünf Jahre ihren Arbeitsplatz. Selbst Jason und seine Anwaltsarmada konnten nichts dagegen ausrichten, und so bekämpften sich die beiden bis aufs Blut.

Jane straffte die Schultern, klopfte kurz an und trat ein, ohne das obligatorische „Herein“ abzuwarten.

Rebecca saß hinter ihrem riesigen Schreibtisch und blickte mit ironisch erhobener Braue von ihrem Bildschirm auf. „Auf mein Einverständnis zu warten, kam dir wohl nicht in den Sinn?“

„Warum Zeit verschwenden?“, antwortete Jane. „Du wolltest mich schnellstmöglich hier haben, et voilà, hier bin ich.“

Sie gab der Tür einen sanften Schubs und diese fiel mit einem dezenten Knall zu. Wie immer war sie ein wenig neidisch auf das große Büro mit den bodentiefen Fenstern, die einen tollen Blick auf Denver boten. Den ihre Chefin aber gar nicht genießen konnte, denn sie saß mit dem Rücken zum Fenster.

Janes Augen wanderten über den Rest der Einrichtung. Schwarze Hochglanzmöbel dienten als Büroschränke, eine wuchtige Ledercouch mit zwei Sesseln und einem kleinen Cocktailtisch befanden sich auf der linken Seite. Rebecca saß hinter ihrem ergonomisch geformten Arbeitsplatz und musterte Jane aus zusammengekniffenen Augen. Das hypnotische Blau stach selbst aus der Entfernung aus ihrem perfekt geschminkten Gesicht heraus. Schließlich deutete sie mit der Hand auf den Stuhl, der vor ihrem Tisch stand.

„Setz dich, ich wäre gern fertig, bevor dieser Armleuchter Finch hier aufkreuzt und mir die Laune verdirbt.“

Jane kicherte. „Stehen die Zeichen bei euch immer noch auf Sturm?“

Ihre Chefin schnaubte abfällig. „Dieser elende Drecksack. Er hält sich für ein Gottesgeschenk an die Menschheit, aber lassen wir dieses unangenehme Thema. Ich habe eine neue Aufgabe für dich.“

Jane lauschte aufmerksam. Sie hatte also recht gehabt mit ihrer Vermutung. „Leg los, worum gehts?“

Rebecca strich sich mit der Hand ihr tizianrotes Haar zurück und lächelte geheimnisvoll. „Was hältst du von einer Kuppelshow mit ein paar knackigen Rinderzüchtern oder Landwirten?“

Jane machte ein langes Gesicht. Rinderzüchter … ernsthaft? „Also ich weiß nicht“, antwortete sie ausweichend, denn sie wollte Rebecca nur ungern sagen, wie bescheuert sie die Idee fand. Wer sollte sich für so was interessieren? Rebeccas Lächeln wollte nicht weichen, es wurde nur noch breiter. „Hör mir erst mal zu, bevor du das vorschnell abschreibst. Die Idee zum Konzept kam mir beim Duschen. Ich habe überlegt, wie ich mich vor der Geschäftsreise mit Finch drücken könnte und im Zuge dessen hatte ich einen richtigen Geistesblitz.“

Jane kicherte. „Du denkst beim Duschen an Jason Finch?“
Rebeccas Gesicht erhitzte sich und sie wiegelte sofort ab. „Denk doch nicht gleich das Schlimmste“, ereiferte sie sich entrüstet, wurde aber verdächtig rot dabei.

„Entschuldige, erzähl weiter“, meinte Jane versöhnlich.

Nach einem letzten strafenden Blick sprach Rebecca weiter. „Ich stand also unter der Dusche und dachte daran, dass ich lieber mein Leben lang Ställe ausmisten würde, als drei Tage mit Jason Finch zu verbringen, und dabei kam ich auf die Idee für eine Kuppelshow mit ein paar knackigen Naturburschen. Wir suchen per Fernsehspot nach jungen Frauen, die bereit sind, für eine gewisse Zeitspanne auf die Ranch zu ziehen, um sich gegen zwei bis drei Kontrahentinnen zu behaupten. Am Ende der festgelegten Zeit entscheidet sich unser Junggeselle dann für eine der Damen, spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Und das Ganze nennen wir dann Cowboy sucht Frau und strahlen es erst mal regional aus. Mit ein bisschen Glück können wir die Show an eines der größeren Fernsehnetzwerke verkaufen und es läuft landesweit.“

Jane war verblüfft und positiv überrascht, weil die Idee, wenn man sie entsprechend verpackte, richtig gut klang. Solche Kuppelshows hatten immer das Potenzial, die Zuschauer vor den Bildschirmen zu fesseln. Ein paar Schönheiten aus der Stadt, die in eine völlig fremde Umgebung verpflanzt wurden, wo sie sich beweisen mussten und dabei das Herz eines scharfen Hinterwäldlers eroberten. Nicht übel, wirklich nicht übel …

„Ich sehe schon, du erwärmst dich langsam dafür“, sagte Rebecca zufrieden. „Sobald wir die passenden Kandidaten haben, wirst du mit deinem Team auf die Ranch fahren. Dort nehmt ihr ein oder zwei Wochen lang alles auf, was ihr an interessantem Material zusammenbekommt. Versuch, so wenig wie möglich zu planen, es soll natürlich wirken und nicht gestellt. Am Ende schneiden wir die besten Szenen für die erste Folge zusammen. Dann geht es an den nächsten Drehort.“

„Legst du wert auf Romantik?“

Rebecca schnaubte. „Lieber Gott nein, alles nur kein schmalztriefendes Gesülze. Was wir brauchen ist Zickenterror vom Feinsten und jede Menge erotische Spannung. Unsere Cowboys sollen keine dümmlichen Bauerntrampel sein, sondern vor Testosteron triefende Sexmaschinen. Das wollen unsere weiblichen Zuschauerinnen. Ein heißer Kerl, während neben ihnen im Sessel der fettbäuchige Göttergatte schnarcht und von seinem nächsten Bier und dem Sieg seiner Mannschaft beim Superbowl träumt.“

Jane grinste beifällig. „Also waschechte Machos mit Muskeln wie Baumstämme und knackigen Ärschen.“

„Genau so stelle ich mir das vor.“

Ein Hauch von Skepsis schlich sich in Janes Begeisterung. „Meinst du wirklich, du kriegst genug sexy Naturburschen zusammen für eine komplette Staffel?

Rebecca verstummte und dachte kurz nach. „Hm, lassen wir uns überraschen. Eine andere Alternative wäre es natürlich auch, die hässlichsten Typen an die Frau zu bringen. Das wäre sozusagen mein Notfallplan, sollten sich keine Männer finden, die unseren optischen Ansprüchen genügen. Eine Freakshow lässt sich auch immer gut verkaufen.“ Rebecca grinste verschlagen. „Obwohl mir persönlich die Sexvariante besser gefallen würde.“

Jane schwieg und ging in sich. Je länger sie darüber nachdachte, umso mehr begeisterte sie sich für das Konzept, welches Rebecca während ihrer feuchten Träumereien über Finch ausgetüftelt hatte. „Also ich bin auf jeden Fall dabei.“

Just in dieser Sekunde öffnete sich die Tür und Rebeccas Lächeln machte einem unendlich genervten Gesichtsausdruck Platz. Jason Finch trat ein und grinste süffisant. Sein schwarzes Haar trug er relativ kurz und Jane fand immer, dass er eine frappierende Ähnlichkeit mit dem heißen Männermodel David Gandy aufwies. Das Gesicht extrem markant, nicht auf die herkömmliche Weise attraktiv, aber mit einer harten männlichen Ausstrahlung gesegnet, die jede Frau ansprechen musste. Bis auf Rebecca natürlich.

„Ladys, welche Freude, Sie beide hier anzutreffen.“

Sein ganzes Auftreten wirkte herausfordernd lässig und selbstbewusst. Er ist schon ein gut aussehender Kerl, dachte Jane still und registrierte das beunruhigte Flackern in den Augen ihrer Chefin. Die war von Jasons Erscheinen gar nicht angetan.

„Was gibt’s, Mister Finch?“

Puh, in manch anderem Unternehmen wäre sie allein für diesen geringschätzigen Tonfall rausgeflogen, doch Finch amüsierte das nur.

„Na, na, na“, tadelte er milde. „Warum denn so unfreundlich, Rebecca? Ich wollte doch nur nachfragen, wie Ms. Billings auf Ihre Schnapsidee reagiert hat.“

„Sie ist begeistert“, antwortete Rebecca mühsam beherrscht.

„Tatsächlich!” Mit gespieltem Erstaunen warf er einen Blick zu Jane, die sich nur schwer das Grinsen verkneifen konnte. „Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass Sie darauf anspringen. Ich persönlich bin der Meinung, dass die ganze Sache floppen wird. Aber gut, wenn Ms. Olson sich diese Sendung in den Kopf gesetzt hat, will ich mal nicht so sein.“

Becca fletschte ihre blendend weißen Zähne. „Wie edelmütig von Ihnen, Jason. Wie komme ich zu der Ehre?“

Jason grinste breit, er sah unheimlich zufrieden aus. „Ganz einfach, Ms. Olson. Wenn diese ganze Sache scheitert … und das wird sie“, fügte er überzeugt hinzu, „dann wird das den Sender so viel Geld kosten, dass es kein Problem mehr für mich sein wird, Sie zu feuern.“

Empört richtete sich Rebecca in ihrem Sessel auf. Jane befürchtete schon, ihre Chefin würde Finch jeden Augenblick anspringen und sich wie ein Pitbull in seinem Gesicht festbeißen.

„Ich schwöre Ihnen, diese Show wird ein Riesenerfolg werden“, fauchte sie, „und wenn ich Kuhmist fressen müsste, um das zu erreichen. Sie werden mich nicht los, da können Sie sich noch so sehr anstrengen. Ich war vor Ihnen da und ich lasse mich nicht verjagen.“

„Wir werden sehen“, grinste Jason siegessicher. Er zwinkerte Rebecca noch frech zu, nickte freundlich in Janes Richtung und schlenderte selbstzufrieden aus dem Büro.

Rebecca schloss gepeinigt die Augen. „Gott, ich hasse ihn, ich hasse ihn so sehr“, flüsterte sie.

Jane wartete, bis ihre Chefin sich ein wenig beruhigt hatte, ehe sie sich erhob. „Hör zu, wir lassen uns die Sache von Finch nicht vermiesen. Ich finde das Konzept großartig und sobald die Gelder dafür freigegeben sind, werde ich alles Notwendige in die Wege leiten.“

Rebecca lächelte. „So lob ich mir das. Und du hast recht, ich lasse mir die Idee von diesem eingebildeten Affen nicht schlechtreden. Die Auswahl der Kandidaten werde ich höchstpersönlich übernehmen. Was das angeht, überlasse ich nichts dem Zufall, sonst behält dieser Pavianarsch am Ende noch recht.“

Jane kicherte, obwohl sie diese ständigen Beleidigungen gegen den Oberboss nicht wirklich guthieß. „Beiß nicht in die Hand, die dich füttert. So etwas kann auch nach hinten losgehen.“

„Ich kann nichts dagegen machen“, beschwerte sich Rebecca etwas kleinlauter. „Jedes Mal, wenn er mich anspricht, würde ich am liebsten meine Hände um seinen Hals legen und zudrücken, bis es knackt. Wie kann man nur so dermaßen unangenehm und eingebildet sein“, ereiferte sie sich weiter.

Jane schüttelte lachend den Kopf, mutmaßte aber insgeheim, dass Rebecca Jason Finch längst nicht so schrecklich fand, wie sie es alle Welt glauben machen wollte. Ob sie scharf auf ihn war und es einfach nicht wahrhaben wollte?

„Ihr solltet euch irgendwann zusammenraufen, sonst landet einer von euch noch im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses.“

Rebecca rieb sich müde die Stirn. „Das werde dann wohl ich sein“, meinte sie nur und erhob sich. Sie reckte und streckte sich, bis sich die hauchdünne weiße Bluse über ihren Brüsten spannte. Dann wandte sie sich wieder an Jane. „Du weißt ja, was du zu tun hast. Triff alle nötigen Vorbereitungen und informier dich auch über die günstigsten Wetterbedingungen in den jeweiligen Bundesstaaten. Wir können uns Ausfälle nicht erlauben. Finch wird keinen Dollar mehr als nötig freigeben.“

Jane salutierte scherzhaft. „Alles klar, Chefin.“

Zufrieden und voller Erwartungsdrang verließ sie das Büro. Dieser Job könnte ihr in der hart umkämpften Fernsehbranche zum Durchbruch verhelfen. Nicht, dass sie den Denver Discovery Channel verlassen wollte, aber sie wollte sich unbedingt einen Namen machen, um sich im Fall der Fälle die Jobs aussuchen zu können, anstatt sich wie ein Bittsteller zu fühlen. Mit einem fröhlichen Summen auf den Lippen machte sie sich auf den Weg in ihr eigenes Büro und hoffte, dass diese Show ihr Leben verändern würde.

Kapitel 2

 

„Mom! Wo steckst du? Mooom …“

Brenda Coleman befand sich in ihrem Vorratsraum und räumte die Gläser mit der eingemachten Blaubeermarmelade in die Regale, als sie der lang gezogene Schrei ihres Sohnes Jesse zusammenzucken ließ. Vor lauter Aufregung hätte sie um ein Haar das Glas mit der Blaubeermarmelade fallen lassen, das sie zwischen den Händen hielt. Sie war gerade dabei, die Regale ihres Vorratshauses aufzufüllen, das sich direkt neben dem Hauptgebäude befand. Hier lagerte sie die Lebensmittel, meist aus eigenem Anbau. Maismehl, ihre allseits beliebte Blaubeermarmelade und natürlich das Fleisch ihrer Rinder.

Ihr Ehemann Ben hatte vor etlichen Jahren mit der Aufzucht von Bio-Gallowayrindern begonnen und nun verkauften sie das Fleisch an diverse Feinkostgeschäfte und Restaurants. Brenda konnte sich noch lebhaft daran erinnern, wie er von den anderen Züchtern in der Umgebung belächelt worden war, weil sie der Meinung waren, mit rein biologisch gezüchteten Tieren wäre er als Einzelner nicht konkurrenzfähig im von Feedlots dominierten Colorado. Doch Ben hatte sich von dem Gespött nicht beirren lassen. Er wollte niemals Inhaber eines supereffektiven Hochleistungszuchtbetriebs werden, der die Tiere dauerhaft einsperrte und mästete, bis sie vor lauter Muskeln aussahen wie Karikaturen. Und wie sich herausstellte, war er den anderen weit voraus gewesen, denn die meisten seiner Kollegen mussten aufgeben und verkauften ihre Tierbestände an ein riesiges Lebensmittelunternehmen. Ben hingegen musste sich keine Sorgen machen, da er mit seinen Biorindern eine Marktlücke füllte. Nebenbei hatte er mit ihr gemeinsam zwei Söhne aufgezogen. Jesse und Noah waren ihr ganzer Stolz, junge Männer, die mit beiden Beinen fest im Leben standen und auch den Betrieb übernehmen wollten. Nur eines fehlte noch, um ihrer aller Glück perfekt zu machen: ein paar niedliche Enkelkinder.

Leider erwiesen sich Jesse und Noah nicht als sonderlich kooperativ, was die Familienplanung anging. Jesse hatte aufgrund seines Problems eine regelrechte Phobie gegen Frauen entwickelt und flüchtete, sobald sich ihm ein hübsches Mädchen näherte. Noah war das komplette Gegenteil. Ihr Jüngster galt als Draufgänger und konnte das Flirten nicht sein lassen. Kurzum: Ihre Jungs wollten partout nicht heiraten.

Das nagte an ihr, schließlich wollte sie nur, dass die beiden glücklich waren, und sie war fest davon überzeugt, dass dies nur mit einer netten Frau an ihrer Seite funktionieren konnte. Als sie dann eines Tages zufällig beim Fernsehen den Werbespot für Cowboy sucht Frau gesehen hatte, kam ihr das vor wie ein Wink des Himmels. Wenn das keine Möglichkeit war, um ihre Söhne für einige Zeit mit ein paar hübschen jungen Frauen zusammenzubringen!

Heimlich schoss sie möglichst vorteilhafte Bilder von den beiden und schickte sie zusammen mit einer etwas ausgeschmückten charakterlichen Beschreibung der beiden an die Redaktion des Denver Discovery Channel. Der unverhohlene Ärger, der in der Stimme ihres Erstgeborenen mitschwang, konnte nur eines bedeuten: Der Sender hatte zurückgeschrieben.

Endlich!

Sie konnte kaum glauben, dass sich diese großstädtischen Fernsehmenschen tatsächlich gemeldet hatten. Mit klopfendem Herzen wartete sie darauf, dass Jesse durch die Tür gestürmt kam und sie zur Rede stellte. Normalerweise war er ja eher der stille, grimmige Typ. Jesse redete nie viel und blieb gern für sich, aber wenn er mal Vertrauen zu jemandem fasste, dann verwandelte er sich in den herzlichsten und liebevollsten Menschen, den man sich vorstellen konnte. Sie seufzte. Jemand wie er brauchte einfach eine süße Frau, die ihm half, ein wenig aus sich rauszugehen, vor allem was sein vermeintliches Handicap anging, und wenn sie seinen Schrei richtig interpretierte, dann waren die Weichen dafür gestellt. Jetzt musste sie nur noch das Kunststück vollbringen und ihre Söhne dazu überreden, bei der ganzen Sache mitzumachen. Das war ihr eigentliches Problem, und Jesses wutentbrannter Aufschrei eben hörte sich nicht gerade ermutigend an.

Schwere Schritte erschütterten den Boden, als Jesse durch die Tür trat und ein sehr repräsentativ aussehendes Kuvert zwischen seinen Händen hielt. Brenda schluckte. Er sah wirklich sehr, sehr wütend aus. Die Augenbrauen bildeten eine zusammengezogene Linie und seine Nasenflügel bebten wie bei einem gereizten Bullen. Ob es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, über seinen und Noahs Kopf hinweg zu entscheiden? Andererseits meinte sie es nur gut, und das würden sie früher oder später auch einsehen.

Sie lächelte ihren Ältesten freundlich an. „Kann ich dir irgendwie helfen, Jesse?“

„Ich will eine Erklärung“, zischte er wütend, hielt das Schreiben hoch und wedelte aufgebracht vor Brendas Gesicht damit herum.

„Jesse …“ Sie legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Oberarm. „Es stimmt. Ich habe dich und deinen Bruder dort angemeldet.“

„Und wie kommst du dazu? Ohne uns überhaupt zu fragen!“

Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihren zwanzig Zentimeter größeren Sohn angriffslustig an.

 „Jesse Coleman, sprich nicht in diesem Ton mit mir. Ich bin immer noch deine Mutter“, schimpfte sie und holte tief Luft, um an sein schlechtes Gewissen zu appellieren. Das funktionierte eigentlich immer. „Du und dein Bruder, ihr seid selbst schuld, dass ich zu solchen Mitteln greifen musste. Ihr bemüht euch ja nicht mal, eine nette junge Frau kennenzulernen. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr dein Dad und ich geschuftet haben, um euch die Ranch in schuldenfreiem Zustand zu übergeben? Oder kannst du auch nur ansatzweise erahnen, was für Entbehrungen wir dafür hinnehmen mussten?“

„Mom, ich bitte dich, nicht schon wieder diese Masche“, beschwerte er sich und verdrehte die Augen.

„Doch, genau die Masche und keine andere“, beharrte sie und hob eigensinnig das Kinn. „Dein Dad und ich haben eine Menge Zeit und Arbeit in die Ranch investiert, damit du“, sie pikte mit ihrem Zeigefinger gegen seinen Brustkorb, „und dein Bruder eine gesicherte Zukunft habt. Und natürlich auch eure Kinder. Doch ohne eine Ehefrau wird daraus nichts, Jesse. Das ist unser Lebenswerk und wenn ihr nicht bald in die Gänge kommt, heiratet und ein paar Kinder in die Welt setzt, wird die Ranch verrotten, sobald ihr zu alt und tattrig seid, um euch anständig darum zu kümmern.“

Erleichtert sah sie, dass seine Wut verrauchte und dass er über ihre Worte nachdachte. Sie wusste, dass er ihre Sorgen nachvollziehen konnte, aber er spekulierte sicher darauf, dass Noah eines Tages heiratete und für Nachkommenschaft sorgte. Doch darauf wollte sie sich nicht verlassen. Noahs Ruf in Bezug auf Frauen war wirklich fürchterlich und schreckte die heiratswilligen Frauen in der Gegend eher ab. Sie wollten alle mit ihm eine Runde im Heu schieben, aber langfristig suchten sie einen zuverlässigen und treuen Partner. Und niemand in Cherry Springs glaubte daran, dass Noah sich jemals auf eine einzige Frau beschränken würde.

Nein, sie wollte kein Risiko eingehen, und so legte sie all ihre Sehnsucht in ihre Stimme, als sie flehte: „Jesse, bitte … es ist doch nur zu eurem Besten.“

Er stieß einen lang gezogenen Seufzer aus und schien intensiv über ihre Bitte nachzudenken. Seine grünen Augen, die denen seines Vaters so sehr ähnelten, sahen resigniert auf sie nieder.

„Also gut, ich bin einverstanden, ich werde mitmachen“, erklärte er schließlich und Brenda fiel die Kinnlade runter.

„Echt jetzt?“ Sie sah ihn an, als wären ihm zwei Hörner gewachsen.

Jesse sah sie unschuldig an. „Sonst würde ich es doch nicht sagen, oder?“

Grinsend streckte sie die Hand aus. „Schlag ein und schwöre mir, dass du dir Mühe geben wirst“, verlangte sie.

„Aber nur unter einer Bedingung.“

Skeptisch verzog sie den Mund. „Ich wusste doch, dass es da einen Haken gibt. Spuck’s aus!“

Ihr hübscher Sohn lächelte großspurig. „Ich werde diesen Vertrag unterschreiben, aber nur, wenn du mir versprichst, dass du nach dieser Geschichte nie wieder versuchst, mich an die Frau zu bringen.“

So war das also. Er glaubte wohl, wenn er sich breitschlagen ließ, würde er um die Gründung einer Familie herumkommen. Dass er sich tatsächlich verlieben könnte, kalkulierte er offenbar gar nicht ein. Sie lächelte gelassen. „Du scheinst ja sehr überzeugt davon zu sein, dass du dich nicht verliebst.“

 „Versprich es mir!“, beharrte er hartnäckig und sie seufzte.

„Also schön, ich verspreche es.“

„Was genau? Ich will, dass du es Wort für Wort aussprichst, damit ich dich später immer daran erinnern kann.“

Das wurde langsam lächerlich. „Also wirklich, Jesse, du tust ja gerade so, als würde ich es darauf anlegen, dich auszutricksen. Aber bitte, wenn es dich glücklich macht, dann hier noch einmal: Solltest du diese Dreharbeiten bis zum Ende durchziehen und dich danach immer noch nicht verliebt haben, werde ich nie wieder versuchen, dich mit jemandem zu verkuppeln. Zufrieden?“

„Das hört sich nach einem guten Deal an.“

Sie schüttelten einander die Hände, danach verschwand er und hatte dermaßen gute Laune, dass Brenda ein ungutes Gefühl beschlich. Sie kannte ihren Sohn. Sein schnelles Einverständnis passte nicht zu ihm und sie war sich sicher, dass er noch ein Ass im Ärmel hatte. Achselzuckend widmete sie sich wieder ihrer Arbeit. Wenn die Frauen erst mal auf der Ranch waren, dann würden die Dinge ihren natürlichen Lauf nehmen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

 

Drei Monate später

 

Es war erst acht Uhr morgens und Jane saß schon an ihrem Schreibtisch und arbeitete. Sie war gerade dabei, sich auf ihrem Monitor einen Bericht über die High Society in Denver anzusehen, bevor sie ihn endgültig freigab. Eine Schadensersatzklage wegen angeblicher Verleumdung konnte sich der Sender nicht erlauben, und so musste alles, was im Reich der Mutmaßungen angesiedelt war, genau überprüft und bei Bedarf rausgeschnitten werden. Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, griff sie zum Hörer. „Billings“, meldete sie sich.

„Jane, ich bin es, Rebecca. Ich will dich und dein Team in einer halben Stunde in meinem Büro sehen. Wir haben endlich den Standort für den ersten Dreh festgelegt.“

„Was lange währt …“, feixte Jane grinsend. Seit einem Monat tat Rebecca nichts anderes, als sich von einer Bewerbungsunterlage zur nächsten zu kämpfen. Jane hatte die Show schon fast abgehakt, doch jetzt sah es so aus, als würde endlich etwas Bewegung in die Sache kommen.

„Hör auf, Witze zu reißen, und komm hoch!“

Meine Güte, Rebeccas Laune befand sich seit Tagen im Sturzflug. Genau genommen, seit sie wusste, dass sie Finch nach New York begleiten sollte, um ihn bei Vertragsverhandlungen zu unterstützen. Das fiel eigentlich gar nicht in ihren Aufgabenbereich, er bestand aber darauf und lief seit Tagen mit einem breiten Dauergrinsen durch die Gegend. Wahrscheinlich malte er sich in den schönsten Farben aus, wie er Rebecca am besten auf die Nerven gehen konnte. Jane kicherte. Entweder würden die beiden sich auf dieser Reise gegenseitig umbringen oder zusammen im Bett landen. Auf die eine oder andere Art würden sie ihre Aggressionen ausleben.

„Bin schon unterwegs“, brummte Jane gutmütig. Sie informierte noch Hayley und Rachel über das kurzfristig anberaumte Meeting und fuhr dann nach oben. Auf dem Flur zu Rebecca Olsons Büro kamen ihr die beiden auch schon entgegen. Jane fing an zu grinsen. Rachel sah aus wie eine wandelnde Schnapsleiche. Die goldenen Locken hingen fahl und strähnig an ihr herunter, unter den Augen zeigten sich dunkle Schatten. Offenbar hatte sie es gestern ein wenig mit dem Feiern übertrieben. So ein Kater konnte einem wirklich den Tag versauen und Jane bekam Mitleid mit Rachel. Hayley hingegen strahlte, als hätte man sie mit Zuckerguss überzogen. Bei ihrem Anblick musste Jane immer an hübsch bestickte Schürzen, rosa Cupcakes und die heile Welt der Fünfzigerjahre denken. Fehlte nur noch, dass sie anfing, eine Schleife im dunklen Haar zu tragen, und sich als menschliches Hello-Kitty-Double bewarb.

„Sag mir bitte, dass du ein Aspirin dabei hast, sonst übersteh ich dieses Meeting nicht“, stöhnte Rachel anstatt einer Begrüßung. Dabei hielt sie sich den schmerzenden Kopf und schien furchtbare Qualen zu leiden.

„Dir auch einen schönen Morgen“, meinte Jane grinsend, kramte aber bereits in ihrer Handtasche herum, bis sie ein Päckchen Aspirin hervorzog. Grinsend warf sie Rachel die kleine Schachtel zu. „Hier, nimm dir zwei von denen. Du wirst sie brauchen, wenn Rebecca erst mal in Fahrt kommt.“

„Danke! Ich hab es gestern ziemlich krachen lassen und irgendwie den Zeitpunkt zum Aufhören verpasst.“ Rachel grinste schwach und schluckte gleich zwei Pillen trocken hinunter. Danach deutete sie auf Rebeccas Bürotür. „Was will sie denn? Geht es um diese Kuppelshow?“

Hayley und Rachel hatten recht unterschiedlich auf das Konzept von Cowboy sucht Frau reagiert. Während Hayley sich vor Begeisterung kaum bremsen konnte und schon davon träumte, im Mondschein Schafe zu zählen, konnte sich Rachel so gar nicht damit anfreunden, die Brautschau von ein paar Cowboys zu filmen. Sie wollte höher hinaus, und da sie das Filmstudium an der University of Southern California mit Auszeichnung absolviert hatte, besaß sie durchaus die nötigen Fähigkeiten dazu. Jane lächelte und versuchte, Optimismus zu versprühen.

„Rebecca hat endlich einen Kandidaten für die Show ausgesucht. Es könnte jetzt unter Umständen recht schnell gehen. An eurer Stelle würde ich private Planungen erst mal auf Eis legen.“

Rachel grinste schwach. „Das habe ich mir schon fast gedacht. Sie will bestimmt alles in trockenen Tüchern haben, bevor Finch ihr so kurz vor dem Start doch noch die Gelder streicht.“

Jane wollte diese Schwarzmalerei nicht unterstützen. „Er ist in erster Linie Geschäftsmann“, erklärte sie aufgeräumt. „Er wird sich das ansehen und wenn die Sendung gut ankommt, wird er Rebecca unterstützen, wo er nur kann. Er ist zu sehr Profi, um aufgrund persönlicher Antipathie ein Projekt zu boykottieren.“

„Also, meinetwegen kann er die Sache einstampfen“, murrte Rachel.

„Untersteh dich, so was laut auszusprechen“, schimpfte Jane, auch wenn sie die Gründe für diese Einstellung kannte. Ihre Freundin hatte ihre Kindheit und Jugend auf einer Farm verbracht und es hatte sie viele Tränen und Durchhaltevermögen gekostet, diesem Leben zu entfliehen. Statt, wie von ihren Eltern ersehnt, einen netten und tüchtigen Rancher zu heiraten und einen Stall voll Kinder zu gebären, hatte sie sich mit ihrer Familie überworfen, um an die Uni zu gehen. Zwar hatte sie sich mittlerweile mit ihren Leuten versöhnt, doch die vielen Kämpfe und die schlaflosen Nächte, die sie dafür hatte ertragen müssen, waren immer noch tief in ihrem Gedächtnis verankert. Seither wollte sie mit dem Landleben nichts mehr zu tun haben.

„Lass uns einfach reingehen.“ Energisch drückte Rachel die Tür auf und schob die anderen einfach durch.

„Hey, jetzt sei doch nicht so grob“, beschwerte sich Jane eingeschnappt und rieb sich den Oberarm.

„Jetzt stell dich nicht so an“, murrte Rachel unfreundlich zurück. Dass sie demnächst wieder das Landleben genießen durfte, schien nicht unbedingt ihre positivsten Eigenschaften zu fördern. Jane, die weder dumm noch schwer von Begriff war, konnte ihrer Freundin an der Nasenspitze ablesen, wie sehr sie die Aussicht darauf ankotzte, und kniff warnend die Augen zusammen. Sie konnte es gar nicht ab, wenn man sich bei der Arbeit von persönlichen Gefühlen leiten ließ. Eine Einstellung, die Rachel eigentlich teilte, doch in diesem Fall schien sie das einfach zu vergessen.

„Ladys, wenn ihr damit fertig seid, euch anzugiften, dann wäre es reizend von euch, wenn ihr endlich reinkommen würdet. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Rebeccas süffisante Bemerkung sorgte dafür, dass sie sich alle drei blitzartig auf die Couch setzten, während diese hinter ihrem Schreibtisch hervorkam. In ihrem schwarzen Hosenanzug und der dazu passenden weißen Bluse sah sie wie der Prototyp einer erfolgreichen Karrierefrau aus. Sie machte es sich in einem Sessel bequem und legte los.

„Okay, ihr könnt euch sicher denken, worum es geht. Ich habe die Kandidatensuche für die erste Mini-Staffel abgeschlossen. Finch wird allerdings erst nach der Ausstrahlung der Pilotfolge entscheiden, ob es weitergehen wird oder nicht.“ Sie seufzte. „Ich schwöre euch, wenn die Einschaltquoten nicht stimmen, wird er mich ratzfatz gegen einen schleimbeutelproduzierenden Arschkriecher mit Schlips und Krawatte austauschen.“

„Oh nein, alles, nur das nicht. Wir möchten dich gerne behalten“, warf Hayley ein und wirkte dermaßen entsetzt über Rebeccas nicht allzu rosige Zukunftsvisionen, dass Jane und Rachel nur schwer ein Lachen unterdrücken konnten.

„Tja, das hängt davon ab, ob wir erfolgreich sind. Ich habe euch hierhergerufen, um euch die ersten Infos über den Drehort zukommen zu lassen. Es wird euch sicher freuen, dass die Ranch nur anderthalb Autostunden entfernt von Denver liegt.“

Jane hob überrascht die Augenbraue. „Wie kommts?“

Rebecca lächelte. „Es hat sich so ergeben. Außerdem haben die beiden Jungs wirklich prachtvolle Ärsche“, scherzte sie.

Oha, das war ja eine interessante Information. Gleich zwei?

„Hab ich das gerade richtig verstanden? Wir reden hier von einem Doppelpack?“, fragte sie sicherheitshalber nach.

Rebeccas Augen begannen zu leuchten, als hätte sie den Jackpot in der Lotterie geknackt. „Exakt. Ist das nicht großartig? Wir haben zwei Brüder für die Pilotfolge, und die beiden sind so verdammt sexy, dass die Ladys reihenweise feuchte Schlüpfer haben werden.“

Jane blieb ein wenig skeptisch, bevor sie diese Wunderknaben nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. „Und wohin genau schickst du uns?“

„In ein kleines Kaff namens Cherry Springs, östlich von Castle Rock. Dort werdet ihr euch im Hotel einmieten. Die Blueberry Ranch der Colemans ist circa eine halbe Stunde entfernt und gut erreichbar.“

Jane nickte. Ihr persönlich war es völlig egal, wohin es sie verschlug. Eine Ranch sah doch aus wie die andere. Sie hatte sogar den Vorschlag gemacht, eine einzige zu mieten und die Kandidaten für die Dreharbeiten dorthin zu karren, doch Rebecca wollte absolut authentische Drehorte. Mal ganz abgesehen davon, dass es den Männern gar nicht möglich war, für eine längere Zeitspanne ihre Ranch zu verlassen.

„Hast du ein paar Bilder von diesen Wunderknaben?“

Bedauernd schüttelte ihre Vorgesetzte den Kopf. „Sorry. Aber die hat Finch gerade zur Ansicht auf seinem Schreibtisch liegen. Du kannst dir vorstellen, dass ich keinen Schritt in das Büro dieses dämlichen Proleten machen werde. Aber kommen wir endlich zu den wichtigen Punkten“, ordnete Rebecca an und wechselte das Thema, doch Finch hatte anscheinend einen Riecher dafür, wann über ihn gesprochen wurde, und stand auf einmal in Rebeccas Büro. Jane war sich nicht sicher, ob sie das Klopfen überhört hatten oder ob er einfach so reingekommen war. Mit ausdrucksloser Miene trug er einen Stapel mit Akten zu Rebeccas Schreibtisch und ließ diese mit einem Knall drauffallen. „Hier, für Sie“, meinte er ungerührt. „Damit Ihnen abends nicht langweilig wird. Lesen Sie sich die Projektvorschläge durch und dann fassen Sie mir die interessantesten Sachen in einem Dossier zusammen.“

Rebeccas saß gespannt wie eine Bogensehne auf ihrem Sessel und schien kurz davor, ihn an seiner Krawatte zu packen und ihn daran aufzuhängen. Jane griff ablenkend ein, bevor ihre Chefin explodierte.

„Mr. Finch, haben Sie zufällig die Bilder unserer Kandidaten bei sich? Rebecca erwähnte, Sie hätten sie bei sich auf dem Schreibtisch liegen.“

Er nahm keine Sekunde den Blick von Rebecca, nicht mal, als er ein knappes „Nein“ herauspresste. Dann entspannte sich seine Mimik ein wenig und er grinste frech.

„Eines muss man Ihnen lassen, Rebecca. Die Kerle haben Potenzial und es könnte tatsächlich sein, dass die Sendung kein völliges Fiasko wird. Aber um kein Risiko einzugehen, werde ich die Dreharbeiten nach unserer Rückkehr aus New York besuchen. Apropos New York … haben Sie schon gepackt?“

„Nein , das habe ich nicht“, antwortete die. „Ich hoffe immer noch, dass mich der Blitz trifft und mich vom drohenden Übel erlöst.“

Sein Lächeln wurde etwas sparsamer. „Und dieses Übel bin dann wohl ich, oder wie soll ich das verstehen?“

Sie streifte ihn mit einem gleichgültigen Blick. „Wenn Sie sich den Schuh anziehen wollen …“

Finch schüttelte tadelnd den Kopf und ließ sich davon nicht provozieren. „Meine liebe Rebecca, an Ihrer Stelle wäre ich vorsichtiger. Ich könnte in Versuchung kommen und Sie wegen Beleidigung feuern lassen.“

„Versuchen Sie es und wir sehen uns vor Gericht wieder“, schnauzte sie zurück.

Er lächelte gelassen, nur seine Wangenmuskeln zuckten verräterisch, was sich bei Rebeccas nächstem Vorschlag noch verstärkte. „Wenn Sie sonst nichts mehr zu sagen haben, wäre es dann nicht an der Zeit zu verschwinden?“

„Sie scheinen sich Ihrer Sache sehr sicher zu sein, aber freuen Sie sich nicht zu früh, Rebecca. Es wäre ein Fehler mich zu unterschätzen, den haben schon andere gemacht und es bitter bereut.“

Er strich sich mit einem genüsslichen Lächeln übers Kinn, als würde ihm bei diesem Streitgespräch einer abgehen. Dass Jane, Rachel und Hayley diese kleine Auseinandersetzung mitbekamen, interessierte ihn scheinbar nicht. Hayley murmelte irgendwas Unverständliches vor sich hin und sah aus, als würde sie jeden Augenblick anfangen zu weinen. Sie hasste Streitereien jeglicher Art, und Rachel bescherte dieser Schlagabtausch offenbar eine Neuauflage ihrer Kopfschmerzen. Mit den Fingerspitzen massierte sie sich die Schläfen und wirkte unendlich genervt. Nur Jane lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verfolgte das Schauspiel fasziniert. Sie liebte es, wenn die beiden sich fetzten und wartete gespannt auf Rebeccas Reaktion. Die natürlich nicht lange auf sich warten ließ.

„Wissen Sie, Jason“, fing sie an und lächelte lieblich, „ich passe mich einfach Ihrem niedrigen Niveau an. Zugegeben, es fällt mir wirklich schwer, aber wie Sie sehen, bemühe ich mich redlich.“

Er zog nur eine Augenbraue hoch und flüsterte ein leises „Touché, meine Liebe“, ehe er lässig aus dem Büro schlenderte. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Anzugshose vergraben und der Anblick seines sensationellen Hinterns löste nicht nur bei Rebecca akute Atemnot aus. Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch mal um. „Ach ja, ehe ich es vergesse: Das Dossier liegt spätestens morgen früh auf meinem Schreibtisch.“

„Leck mich“, rief Rebecca, nachdem er den Raum verlassen hatte, und zeigte ihm den Mittelfinger. Eine Geste, die völlig wirkungslos verpuffte, da er es ja nicht sehen konnte.

Jane fühlte sich trotzdem dazu berufen, ihre Chefin zu warnen. „Sei froh, dass er das weder gehört noch gesehen hat. Er hat nicht ganz unrecht, für Beleidigungen kannst du fliegen.“

Janes Einwand interessierte Rebecca herzlich wenig. „Er hat es aber nicht mitbekommen“, meinte sie ungerührt und atmete dann tief durch. „Lasst uns weitermachen. Wir sind noch längst nicht am Ende.“

Punkt für Punkt besprachen sie die Vorgehensweise und es vergingen mehr als drei Stunden, ehe sie mit einer Flut an Informationen das Büro verließen. Janes Zuversicht wuchs und sie fing tatsächlich an, sich auf diesen Auftrag zu freuen

Kapitel 3

 

Ungefähr einen Monat später stand sie mit ihrem Koffer am Straßenrand und wartete auf Rachels Ankunft. Nach einigem Hin und Her hatten sie sich darauf geeinigt, sich für den Zeitraum der Dreharbeiten einen geräumigen Van zu mieten. Statt einzeln anzureisen, würden sie sich gemeinsam auf den Weg nach Cherry Springs machen und Rachel fiel die Rolle des Chauffeurs zu. Die toughe Blondine hegte, abgesehen von ihrer Film-und Kameraleidenschaft, auch ein ausgesprochenes Faible für Autos und hatte, wie man so schön sagte, Benzin im Blut. Jane reichte schon die tägliche Fahrt zum Sender, um ihren Bedarf an Motorgeräuschen zu decken. Deswegen war sie dankbar dafür, dass Rachel die Rolle des Fahrers übernahm. Und was Hayley anging … die ließ man lieber gar nicht erst in die Nähe eines Steuers, wenn man vorhatte, noch das Rentenalter zu erreichen.

Ungeduldig sah Jane auf ihre Uhr, da sie bisher vergeblich auf die Ankunft ihrer Freundin wartete.

„Wo bleibst du nur?“, murmelte sie verstimmt und setzte sich auf ihren stabilen Hartschalenkoffer, der ihre knapp fünfzig Kilo Körpergewicht problemlos aushielt. Frustriert zog sie ihren locker gewordenen Pferdeschwanz am Hinterkopf zusammen, weil die dunkelbraunen Haarspitzen sie am Nacken kitzelten. Nach einer Weile tauchte am Horizont ein kleiner roter Punkt auf, der sich beim Näherkommen als klappriger alter Transporter herausstellte. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, wenn es nicht die fröhlich winkende Rachel gewesen wäre, die hinter dem Steuer dieses hässlichen Ungetüms saß. Das durfte doch nicht wahr sein!

Jane knirschte mit den Zähnen. Das war keineswegs ein mit allerlei Schnickschnack ausgerüsteter Van, sondern ein altersschwacher Schrottkübel, an dessen Anhängerkupplung ein nicht weniger reparaturbedürftiger Trailer hing. Sobald Rachel neben ihr am Straßenrand hielt und grinsend aus dem Fahrerhäuschen sprang, platzte Jane der Kragen.

„Kannst du mir verraten, was das hier soll? Du wolltest einen Mietwagen besorgen, einen Van“, ergänzte sie betonend und deutete dann, vor Empörung zitternd, auf den Transporter. „Von einer vorsintflutlichen Benzinkutsche war nie die Rede. Was hast du dir nur dabei gedacht und warum in Dreiteufelsnamen hast du diesen hässlichen Trailer im Schlepptau?“

Sie musste aufhören, weil sie Luft holen musste. Wenigstens besaß ihre Freundin den Anstand, ein wenig rot zu werden, bevor sie sich rechtfertigte. „Jetzt sei nicht so zickig. Das ist ein Erbstück, der alte Truck meines Großvaters, und er ist top in Schuss.“

„Vor dem zweiten Weltkrieg vielleicht“, motzte Jane und verspürte den Drang zu jammern. Ihrer Erfahrung nach war ein holpriger Start eines Projekts gleichbedeutend mit einem katastrophalen Ende. „Ich will nicht in dieser Kiste nach Cherry Springs fahren“, beharrte sie stur. „Ich will einen Van.“

„Sorry, dafür ist es jetzt zu spät“, entschuldigte sich Rachel und wirkte dabei keine Spur schuldbewusst. „Glaub mir, meine alte Lady ist das perfekte Auto, um dort in der Einöde ein bisschen Eindruck zu schinden.“

„Wen interessiert schon, was ein paar Cowboys von uns denken?“ Jane konnte es nicht fassen und betrachtete verzweifelt das rote Ungetüm, an dem stellenweise schon der Lack abblätterte. Anklagend wies sie mit dem Zeigefinger auf eine besonders ausgeprägt bräunliche Stelle, an der sich der Rost schon tief in die Karosserie gefressen hatte.

„Sieh dir das an. Der ganze Lack blättert ab. Ich will gar nicht wissen, wie es unter dem Wagen aussieht. Wahrscheinlich verlieren wir unterwegs den Motor oder irgendwas anderes Wichtiges.“

„Liebes, vertrau Tante Rachel. Meine alte Lady sieht vielleicht nicht danach aus, aber sie ist in einem Topzustand und wir werden pünktlich und in einem Stück in Cherry Springs eintreffen.“

Jane wäre ein modernes Fahrzeug mit funktionierender Klimaanlage lieber gewesen, aber offensichtlich hatte sie keine andere Wahl, als in dieses rote Monster zu steigen und zu beten, dass die Karre nicht mitten auf der Straße liegen blieb.

„Lass uns einfach fahren, bevor ich hier Amok laufe“, murrte sie schlecht gelaunt und riss die Wagentür auf. Mit Todesverachtung betrachtete sie die teils fleckigen, teils zerschlissenen Sitzpolster, ehe sie sich vorsichtig darauf niederließ. Dabei versuchte sie nichts anzufassen und griff in ihre Handtasche. Irgendwo da drin hatte sie doch noch ein Desinfektionsspray …

Ihre Freundin klemmte sich unterdessen hinters Steuer und wirkte ungeheuer zufrieden.

„So, bereit für die Fahrt deines Lebens?“

Jane warf ihr einen bedeutsamen Blick zu. „Kein Wort mehr! Lass uns einfach Hayley abholen. Die löst sich wahrscheinlich schon vor lauter Vorfreude in Luft auf.“

Hayley war die Einzige, die sich ehrlich auf diese Dreharbeiten freute, und schwelgte schon seit Tagen in Vorstellungen von altmodischer Lagerfeuerromantik. Rachel startete grinsend den Motor und der Transporter setzte sich stotternd in Bewegung.

„Magst du ein bisschen Musik hören?“

Jane nickte. „Mmmhh.“

Gleich darauf schallte November Rain von Guns N’Roses durchs Wageninnere. Der Song beruhigte Janes Nerven und sie ging im Kopf noch einmal die Liste der Kandidatinnen durch: Sheila Wilson, eine Friseurin aus Washington, Anita Sanchez, eine Köchin aus Portland, und dann gab es noch Kimberly Hollingsworth, eine McDonald’s-Mitarbeiterin aus einem kleinen Vorort in Illinois, die es immerhin bis an den Grill geschafft hatte. Und sosehr sie sich rein optisch voneinander unterschieden, so hatten sie doch eines gemeinsam: Alle waren sie ziemlich hübsch und wollten ihrem Singlestatus ein Ende setzen.

Wie die Coleman-Brüder aussahen, wussten Jane und ihre Freundinnen leider immer noch nicht. Finch hatte die Mappe mit den Fotos nicht zurückgegeben und Rebecca war zu stolz gewesen, um ihn um die Rückgabe zu bitten. Sie benötigte die Akte ohnehin nicht mehr, nachdem die Wahl auf die beiden Brüder gefallen war, und alles Weitere wurde per E-Mail bzw. auf dem Postweg geregelt. Trotzdem wäre Jane wohler gewesen, wenn sie gewusst hätte, was sie zu erwarten hatte, doch sie war in den letzten Wochen zu beschäftigt gewesen und Finch nicht greifbar, da er für einige Zeit zurück nach New York musste, um sich um seine Geschäfte zu kümmern.. Der Kauf und Verkauf von Elektronikfirmen gehörte zu seinen Haupteinnahmequellen. Der Sender war wohl eher eine Art Hobby, und sie wunderte sich ohnehin, wieso er da so viel Zeit und Energie investierte.

So tief in Gedanken versunken, bekam Jane gar nicht mit, dass sie angehalten hatten, und griff sich erschrocken an die Brust, als plötzlich Hayley in den Transporter stieg und sich neben sie auf den Sitz quetschte.

„Hey Mädels, alles klar bei euch?“ Sie wartete eine Antwort gar nicht ab, sondern lehnte sich mit einem glückseligen Seufzen zurück. „Freut ihr euch auch so sehr auf die nächsten zwei Wochen? Ich sag euch, ich habe in den letzten Tagen die Minuten gezählt und …“

Bei „Minuten“ schaltete Jane ihre Ohren erst mal auf Durchzug und versuchte eine bequemere Sitzposition zu finden. Zu dritt wurde es ganz schön eng hier drin, doch Hayley schien sich nicht daran zu stören, dass sie etwas dichter zusammenrücken mussten, und plapperte unermüdlich weiter. Die Aussicht, die nächsten Tage mit Kühen, Rindern und anderem Getier verbringen zu können, versetzte sie in Hochstimmung. Eigentlich war ihre Naturverbundenheit eher ungewöhnlich für eine Visagistin. Von jemandem, der sich berufsbedingt tagtäglich mit Äußerlichkeiten beschäftigte, hätte man wohl eher eine Vorliebe für Lifestyle-Produkte und Modelabels erwartet.

„Okay, Ladys!“, rief Rachel aufgekratzt und machte sich bereit, ihre alte Lady wieder zu starten. „Wir müssen über die Interstate 25 S bis nach Castle Rock, und von dort aus sind es noch ungefähr 30 Meilen bis Cherry Springs. Wenn der Verkehr mitspielt, kommen wir am späten Vormittag dort an.“

Jane schnaubte. „Mit der Klapperkiste musst du schon die doppelte Zeit einplanen, und vergiss nicht den Trailer. Warum schleppen wir den überhaupt mit? Die Ausrüstung wird doch mit dem Einsatzwagen des Senders vor Ort gebracht.“

Rachels Wangen röteten sich und sie wich Janes Blick aus. Ein alarmierendes Signal …

„Rachel Parker, du sagst mir jetzt auf der Stelle, was es mit diesem Trailer auf sich hat, oder ich schwöre dir, ich skalpiere dich und hänge deine geliebten blonden Haare als Wipfel an den Satellitenmast des Senders.“

Die Drohung zeigte Wirkung und Rachel, die sonst kein Blatt vor den Mund nahm, wirkte auf einmal ziemlich kleinlaut. „Also, es ist so … ich habe die Hotelreservierungen storniert, weil ich und Hayley der Meinung waren, es wäre lustiger, wenn wir alle zusammen im Trailer übernachten.“

„Du hast was getan?“

Hayley versuchte die Lage zu entschärfen, ehe Jane die arme Rachel über die Windschutzscheibe nach draußen beförderte.

„Jane, nicht sauer werden! Das war meine Idee und du darfst mich dafür auch gerne anbrüllen.“

Sofort danach hielt sie sich in Erwartung eines Donnerwetters die Ohren zu und starrte Jane aus riesengroßen blauen Augen an. Nicht zum ersten Mal hatte Jane das Gefühl, dass die süße Hayley längst nicht so hilflos war, wie sie immer tat, und ihre unschuldige Ausstrahlung zu ihrem Vorteil nutzte. Sie schloss die Augen und zählte langsam bis zehn.

„Eins … zwei … drei … vier …“

„Sei nicht sauer, Jane“, warf Hayley erneut ein. Sie klang wirklich zerknirscht. „Wir hätten es dir vorher sagen müssen, aber wir wussten auch, dass du bestimmt nie einverstanden gewesen wärst, und deswegen hielten wir es für das Beste, wenn wir dich vor vollendete Tatsachen stellen.“

Zutiefst beleidigt verschränkte Jane die Arme vor der Brust und weigerte sich, auch nur eine ihrer Freundinnen anzusehen. „Du hast völlig recht“, sagte sie erbittert und fühlte sich total hintergangen. „Ihr hättet mich verdammt noch mal fragen müssen. Echte Freunde übergehen einander nicht.“

Erst ein zartes Stupsen an ihrer Schulter veranlasste sie dazu, ihren Kopf doch zur Seite zu drehen. Hayleys klare blaue Augen wirkten ganz verschleiert vor lauter schlechtem Gewissen, und sie sah aus, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.

„Es tut mir leid“, wiederholte sie und holte zitternd Luft. „Es ist wirklich allein meine Schuld. Rachel wollte dich von Anfang an einweihen, aber ich habe sie dazu überredet, es bleiben zu lassen. Du weißt doch, wie schwer es ist, mir etwas abzuschlagen, wenn ich anfange zu betteln. Aber dass es dich so sehr trifft, hätte ich nicht gedacht. Ich schwöre dir, wir machen so etwas nie wieder. Lass uns wieder Freunde sein. Bitte!“

Jane seufzte und begegnete Hayleys zerknirschtem „Ich habe es doch nicht so gemeint“-Blick mit einer gewissen Nachsicht. Wie meistens, wenn sie etwas ausgefressen hatte, konnte Jane ihr auch diesmal nicht böse sein. „Ich verzeihe dir, aber ich schwöre dir, eines Tages wirst du jemanden treffen, bei dem diese Kleinmädchentour nicht zieht.“

„Dieser Jemand existiert nicht“, erwiderte Hayley total überzeugt und lehnte sich zufrieden zurück. Leise fing sie an „Old MacDonald had a farm“ zu summen und schien das kleine Drama von eben schon vergessen zu haben. Unangenehme Dinge schob sie nur zu gern weit von sich. Rachel, die den Disput wortlos verfolgt und Denver endlich hinter sich gelassen hatte, fuhr auf die Interstate und die drei verfielen in einträchtiges Schweigen, während das urbane Stadtbild nach und nach durch eine ländlich geprägte Umgebung ersetzt wurde.

Nach etwas über einer Stunde war Hayley die Erste, die ihre Sprache wiederfand, und deutete mit dem Finger auf einen unbestimmten Punkt links von ihrer Seite.

„Oh Mädels, schaut doch“, schrie sie begeistert und hüpfte auf ihrem Sitz auf und ab.

Jane, die ohnehin keinen sonderlich robusten Magen besaß und schon die ganze Zeit über gegen Reiseübelkeit ankämpfte, betete, dass das flaue Gefühl in ihrem Bauch bald nachließ. „Könntest du mal aufhören, hier so rumzuspringen?“, würgte sie gepresst hervor, „ich kotz sonst Rachels alte Lady voll.“

Hayley saß augenblicklich still, doch ihre Begeisterung hielt ungebrochen an. „Sorry, Jane, aber ich finde die Kühe da hinten so toll. Schau mal, wie viele das sind! Das sind bestimmt Hunderte.“

„Das sind keine Kühe, Schätzchen, sondern Rinder“, korrigierte Rachel gutmütig.

„Ist das nicht dasselbe?“, fragte Hayley irritiert und wirkte ehrlich verwirrt. Statt einer Antwort erntete sie nur belustigtes Kichern. Selbst Jane vergaß für einen Moment ihren grummelnden Magen und grinste, zumindest bis Rachel hart in die Bremsen trat und sie beinahe durch die Scheibe flog. Sicherheitsgurte suchte man in der alten Lady nämlich vergeblich.

„Sag mal, spinnst du? Hat man dir in der Fahrschule nicht beigebracht, dass man nicht grundlos eine Vollbremsung einlegt?“, rief sie empört und verpasste Rachel mit dem Ellenbogen einen Stoß in die Seite. Die nahm das kommentarlos hin und grinste derart selig, dass Jane ihrem faszinierten Blick folgte und den Grund für den unerwarteten Stopp entdeckte.

„Oh, là, là, wen haben wir denn da?“, murmelte sie anzüglich und taxierte den heißen Typen, der gerade an einem endlos lang erscheinenden Zaun herumhantierte und dabei eine sehr männliche Figur abgab. Gerade bückte er sich über einen aufgeklappten Metallwerkzeugkoffer, der neben ihm auf dem Boden stand. Janes Lippen verzogen sich zu einem entzückten Lächeln, als sich dabei sein Hintern konturengetreu unter der Jeans abzeichnete. Für so einen Anblick konnte man in dieser Einöde schon mal die Verkehrsregeln missachten.

„Habt ihr jemals so einen Arsch gesehen?“, fragte Rachel in dieser Sekunde andächtig und leckte sich über die Lippen.

Jane schüttelte grinsend den Kopf. „Nicht in letzter Zeit“, erwiderte sie wahrheitsgetreu und ließ den Anblick dieses strammen Mannsbilds weiter auf sich wirken. Hayley hingegen verstand die ganze Aufregung nicht und runzelte die Stirn. Ihr wäre wohl eine Herde Schafe lieber gewesen.

„Können wir wieder weiterfahren?“

Rachel sah sie an, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank. „Bist du irre? Nicht ohne diesem Schnittchen ‚Guten Tag zu sagen“, antwortete sie und drückte die Wagentür auf.

Jane seufzte. „Du willst dich jetzt nicht ernsthaft mit ihm unterhalten, oder?“

Ihre Freundin drehte sich kurz um und grinste verschwörerisch. „Oh, ich muss Mr. Fass-meinen-Hintern-an unbedingt nach dem Weg fragen. Wir wollen uns doch so kurz vor dem Ziel nicht verirren?“

Jane stöhnte auf, auch wenn sie Rachel durchaus verstehen konnte. Aber bei dem Tempo würden sie es nicht mal bis zum Einbruch der Dunkelheit auf die Ranch der Colemans schaffen und sie hatten noch so viel mit der Familie zu besprechen.

„Du bist unmöglich!“, schimpfte sie, was Rachel nicht im Mindesten beeindruckte.

„Sorry, Liebes, aber wenn ich schon zwei Wochen in der Pampa verbringen muss, solltest du einer hart arbeitenden Kamerafrau auch ein bisschen Spaß gönnen. Herrgott, schau dir den Kerl doch an! Ich muss unbedingt herausfinden, wie der Bursche heißt.“

„Wir sind nicht zum Vergnügen da“, stellte Jane klar.

„Das eine muss das andere doch nicht ausschließen.“

Das war der Nachteil, wenn man mit Arbeitskolleginnen befreundet war. Sie hörten einfach nicht auf einen. Rachel drehte ihr einfach den Rücken zu und schnurrte: „Komm zu Mama, Baby.“

Dann machte sie sich auf den Weg und lief mit schwingenden Hüften geradewegs auf dieses Prachtexemplar muskulöser Vollkommenheit zu.

 

Rachels Herz hämmerte wie verrückt, und ein unbestimmtes Gefühl der Erwartung breitete sich in ihr aus, denn je näher sie ihm kam, umso besser gefiel ihr dieser Typ, der in seinen tiefsitzenden Jeans und dem muskulösen Oberköper aussah, wie ein Unterwäschemodel.

Er war auf jeden Fall deutlich größer als sie selbst, was allein schon einen Pluspunkt bedeutete, und der Anblick seines nackten Oberkörpers, der schweißglänzend das Sonnenlicht reflektierte, löste eigenartige Zuckungen in ihrem Magen aus. Er zog sich lustvoll zusammen, und sobald ihre hungrigen Augen abwärts glitten und an seinen schmalen Hüften hängen blieben, hätte sie nur zu gern die Hände nach ihm ausgestreckt, um ihm die Jeans von seinem Luxuskörper zu schälen. Heiliger Strohsack, so ein Kerl mitten im Nirgendwo war vergleichbar mit einem Jackpot in der Lotterie. Wenn er jetzt auch noch Anstand und Manieren besaß, dann würde sie nicht lockerlassen, bis sie sich unter ihm auf einem zerknüllten Laken wand.

Bitte sei kein Macho, betete sie stumm vor sich her. Denn die Sorte konnte sie auf den Tod nicht ausstehen und mied sie, so gut es nur ging.

Sie kam näher, noch immer wandte er ihr den Rücken zu, während er das Werkzeug verstaute. Seine Bewegungen wirkten wie aus einem Guss, seine Muskeln arbeiteten gleichmäßig unter der gebräunten Haut und verrieten, wie durchtrainiert und diszipliniert er sein musste, um so einen Körper zu besitzen. Bier saufen und haufenweise Burger essen war da nicht drin. Und seine Schultern … an denen konnte sich eine Frau anlehnen, wenn es ihr nicht gut ging, oder sich an ihnen festklammern, während sie auf ihm saß und …

Stopp, Rachel, das geht jetzt zu weit, rief sie sich zur Ordnung. Endlich drehte er sich um, entdeckte sie und sie sah, wie sich sein sinnlicher Mund zu einem erfreuten Lächeln verzog. Leider konnte sie den oberen Teil seines Gesichts unter dem breitkrempigen Hut nicht erkennen, aber sie sah sehr wohl den dunklen Bartschatten auf seinem Kinn und die verführerisch geschwungene Unterlippe. In die biss er gerade hinein und sie reagierte prompt auf diesen erotischen Anblick.

Rachel spürte ein sachtes Kribbeln zwischen ihren Schenkeln, ihre Körpertemperatur stieg. Sie würde sich ganz schön anstrengen müssen, damit er nicht gleich mitbekam, wie scharf sie ihn fand. Schließlich galt es als ungeschriebenes Gesetz, dass man es den Kerlen nicht so leicht machen sollte, und doch schaffte sie es nicht, ihre übliche Coolness auszustrahlen. Sie stand da wie ein sabbernder Teenager und ihr feuchtes Höschen erinnerte sie daran, dass sie etwas entspannenden Sex bitter nötig hatte. Am besten mit ihm.

Rachel vertiefte sich so sehr in seinen Anblick, dass der Klang seiner Stimme sie total aus der Bahn warf.

„Hallo Schönheit, was führt dich in diese Gegend?“

Rau, tief und wahnsinnig sexy. Prickelnde Schauer breiteten sich auf ihren bloßen Armen aus und sie war bereit, alles stehen und liegen zu lassen, um diesen Prachtburschen anzufallen. Was ihm wohl nicht entging, denn seine Mundwinkel bogen sich wissend nach oben und er grinste dermaßen anzüglich und überheblich, dass ihr schlagartig klar wurde, dass sie es hier mit einem ausgewachsenen Macho zu tun hatte. Ihre Begeisterung kühlte sich deutlich ab und sie schenkte ihm ein unpersönliches Lächeln.

„Ich wollte Sie eigentlich nur nach dem Weg fragen“, meinte sie mit frostigem Unterton. Locker hakte er die Daumen in seinen Gürtel und spitzte anzüglich den schönen Mund

„Tja, kleine Lady, falls Sie nach Cherry Springs wollen, dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Falls Sie aber eine Reise in den siebten Himmel bevorzugen, dann könnte ich Ihnen einen Freifahrtschein besorgen.“ Er grinste noch breiter. „Mit mir als Ihrem persönlichen Reiseleiter.“

Oha, da fand sich aber einer besonders originell. Warum konnten gut aussehende Männer nicht gleichzeitig nett sein? Kerle wie er setzten ihre Attraktivität ein wie eine Waffe und wenn sie das Wild erlegt hatten, zogen sie weiter, auf der Suche nach der nächsten Beute. Sie war wirklich nicht scharf auf eine feste Beziehung, aber mit einem Frauensammler, der auf eine Straße voller gebrochener Herzen zurückblickte, wollte sie sich auch nicht abgeben. Außerdem nagte die Betitelung ihrer Person an ihrem Stolz. Kleine Lady? Hatte er sie noch alle?

Er schob den Hut ein Stück nach hinten und sie sah zum ersten Mal sein Gesicht. Alter Schwede …

Rachel vergaß den Grund für ihre Verärgerung und bekam auf einmal Schwierigkeiten beim Atmen. Grüne Augen, so tiefgründig schimmernd wie ein kühler Bergsee. Er war nicht hübsch im landläufigen Sinne, aber sein kantiges Gesicht mit dem entschlossenen Kinn, gepaart mit diesem hollywoodreifen Zahnpastalächeln, machten ihn unglaublich attraktiv. Und sein großzügig geschnittener Mund konnte sicher noch anderes, als nur überheblich zu grinsen. Genau das war der Punkt, der sie gegen ihn aufbrachte. Diese verdammte Arroganz, mit der er ihr begegnete. Sie war doch kein unschuldiges Greenhorn, das sich von einem hübschen Gesicht und ein paar Muskelpaketen einwickeln ließ!

Na warte, Cowboy, du wirst noch dein blaues Wunder erleben.

Hoheitsvoll richtete sie sich zu ihrer vollen Größe von immerhin 1,75 Meter auf und lächelte, als wäre sie die Eiskönigin höchstpersönlich. Selbst der größte Idiot würde dieses Lächeln richtig deuten und verstehen, dass man ihn und sein Auftreten scheiße fand.

„Glauben Sie mir, in den siebten Himmel schaff ich es auch ohne Ihre freundliche Mithilfe. Dafür brauch ich nur einen funktionstüchtigem Vibrator und aufladbare Batterien. Sie werden sich also jemanden anderen zum Begatten suchen müssen. Und falls Sie keine Frau finden, die auf Ihren plumpen Charme hereinfällt, dann läuft hier bestimmt irgendwo ein armes Rind herum, das sich einsam fühlt.“

Rachel fragte sich, ob sie nicht einen Tick zu weit gegangen war, doch er lachte nur und wirkte kein bisschen entmutigt. Er stellte sich sogar noch breitbeiniger hin, als wollte er sie dazu auffordern, ihm in den Schritt zu greifen. Rachel knirschte mit den Zähnen. Diese Kerle … sie waren doch alle gleich. Hatten nur das Eine im Kopf.

„Hätten Sie vielleicht die Güte, mir zu verraten, mit wem ich das Vergnügen habe?“

Sie bemühte sich um einen hochnäsigen Tonfall, um diesem Neandertaler zu zeigen, dass er mit einer emanzipierten Frau nicht so umspringen konnte wie mit seinen Rindern. Schließlich war sie eine Lady, verdammt noch mal!

„Ich wüsste nicht, von welchem Interesse mein Name für Sie ist“, erwiderte er gedehnt und stemmte die Hände in die schmalen Hüften. So sahen seine Schultern noch breiter aus, und sie hasste, hasste, hasste sich, weil ihr der Anblick weiche Knie bescherte. „Sie haben mich ja schon recht passend als Cowboy betitelt“, ergänzte er. „Warum belassen wir es nicht dabei?“

Das hörte sich längst nicht mehr so lässig an, und sie grinste in sich hinein. Daher weht also der Wind, dachte Rachel. Er ist eingeschnappt.

„Oh bitte, pflegen Sie ruhig weiter Ihren Verfolgungswahn. Ich kann auch weiterleben, ohne Ihren Namen zu kennen, aber wenn wir uns hier schon so nett unterhalten, wären Sie vielleicht so freundlich und sagen mir, wie ich am geschicktesten zur Blueberry Ranch komme?“

Die Veränderung, die in seinem Gesicht vor sich ging, überraschte sie nun doch. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und sein Mund verzog sich misstrauisch. „Die Blueberry Ranch? Was wollen Sie denn von den Colemans?“

Okay, er kannte die Familie. Ob er für sie arbeitete? Plötzlich fiel ihr Blick auf den Wagen, der einige Meter entfernt am Seitenrand parkte. Leise pfiff sie durch die Zähne, als sie das teure Gefährt betrachtete. Heiliger Strohsack! Sie musste im Autoparadies gelandet sein. Ein Dodge Laramie 3500. Diese rotmetallic lackierte Kiste hatte an die 310 PS und würde bei entsprechender Strecke sogar einen Porsche abhängen können. Er musste einen ganz schön vertrauensseligen Chef haben, wenn er diesem eingebildeten Kerl so einen Wagen anvertraute.

„Hat Ihr Boss keine Angst, dass Sie dieses Prachtstück in eines seiner Felder setzen?“

Schweigend starrte er sie an und verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust. Sein Bizeps wölbte sich verlockend nach oben und ihr wurde mit jeder Sekunde wärmer, sodass sein unfreundliches Schweigen für sie zweitrangig wurde. Stattdessen wurde sie von erotischen Fantasien überrannt. Rachel stellte sich vor, wie sie mit der Zunge über diese stahlharten Muskeln fuhr. Erst die auf seinem Bauch, dann würde sie jede Vertiefung erkunden und sich langsam zu seinem Brustbein hocharbeiten, um sich dann seinen flachen Brustwarzen zu widmen. Ihre Fingernägel würden sich in seine Seiten krallen und tiefe Kratzspuren hinterlassen und spätestens, wenn sie ihm in den Hals biss, würde er sie mit einem Knurren unter seinem mächtigen Körper begraben und sie um den Verstand vögeln …

Total gefangen in ihrer erotischen Fantasie, merkte sie nicht, dass Jane und Hayley ihr gefolgt waren und sich links und rechts von ihr positionierten. „Rachel, ist alles in Ordnung?“

Janes immer leicht rauchig klingende Stimme klang besorgt.

„Ja, ja, natürlich“, stotterte Rachel ertappt und räusperte sich. Sie war entsetzt darüber, wie schnell sie die Kontrolle über ihre Gedanken verloren hatte, nur weil sich ihr verräterischer Körper so sehr von diesem ungehobelten Klotz angezogen fühlte. Zeit, sich vom Acker zu machen, wie man so schön sagte, bevor sie den letzten Rest an Stolz einbüßte und sich ihm an den Hals warf. Sie räusperte sich mehrfach, ehe sie Jane antwortete. „Ich wollte nach dem Weg fragen, aber offensichtlich hat es ihm die Sprache verschlagen“, informierte sie ihre Freundinnen und warf ihm ein herablassendes Lächeln zu. „Lasst uns fahren, bevor wir noch mehr Zeit vertrödeln.“

Sein Mund kräuselte sich spöttisch. „Ich wünsche euch noch eine gute Fahrt“, meinte er unvermittelt. „Haltet euch einfach geradeaus, nach ungefähr zwei Meilen kommt eine Abzweigung, der müsst ihr folgen und schon erreicht ihr die Ranch der Colemans.“

Rachel hatte nicht damit gerechnet, dass er sich noch so kooperativ zeigen würde, und lächelte ihn zögernd an. Er erwiderte ihr Lächeln nicht und starrte Löcher in ihre Stirn, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. So ein Arsch, dachte sie wütend und drehte sich auf dem Absatz um. Sie stampfte zurück zu ihrem Transporter, dicht gefolgt von Jane und Hayley, als er plötzlich etwas hinterherschrie. „Hey, kleine Lady!“

Sie blieb stehen und drehte sich noch einmal nach ihm um. „Was gibt es denn noch, Cowboy?“

Er sah sie merkwürdig intensiv an. „Ich schätze, wir sehen uns noch.“

„Nicht, wenn ich es verhindern kann“, rief sie zurück, was ihn zum Lachen brachte. Es war dumm, doch dieses Geräusch löste ein ungewolltes Glücksgefühl in ihr aus. Energisch öffnete sie die Fahrertür und setzte sich hinters Steuer. Natürlich konnte sie sich einen letzten Blick in seine Richtung nicht verkneifen und sah, wie er eine spöttische Verbeugung andeutete.

Verdammt, er machte sie rasend! Rachel würdigte ihn keines Blickes und wartete ab, bis ihre Freundinnen ebenfalls im Wagen saßen, dann fuhr sie los.

„So ein eingebildeter Affe, dämlicher Prolet“, flüsterte sie dabei unablässig und ärgerte sich maßlos über ihren galoppierenden Herzschlag.

„Er war wohl nicht ganz das, was du erwartet hast.“

Für diese Bemerkung warf sie Jane einen mörderischen Blick zu. „Du hast ja keine Ahnung, selbst die blöden Rinder auf der Weide haben bessere Manieren als er. Hoffen wir nur, dass die Coleman-Brüder ein paar Gehirnzellen mehr besitzen, sonst sind wir alle geliefert.“

Hayley, die das ganze Theater bislang stumm verfolgt hatte, wirkte ein wenig peinlich berührt. „Also, ich will ja nicht meckern, aber wir sind noch nicht mal richtig angekommen und schon hast du Ärger mit einem Einheimischen. Habt ihr schon mal was von Höflichkeit gehört?“

„Er hat angefangen“, verteidigte sich Rachel schmollend.

Jane zuckte nur mit den Schultern und murmelte etwas von dämlichen Cowboys und sexuell frustrierten Blondinen.

„Du kannst gleich laufen“, quetschte Rachel wütend hervor. Eigentlich war sie nicht sauer auf Jane, sondern eher auf diesen blöden Kerl, weil er zum Ende hin so zugeknöpft reagiert und nicht mehr mit ihr geflirtet hatte. Hayley fing unterdessen erneut an, ein kleines Liedchen zu summen, und Rachel stöhnte gequält auf. Sie besaß wirklich eine Fülle an Talenten, aber verdammt noch mal, Singen gehörte definitiv nicht dazu.

„Du bist eine echte Plage, Hayley Graham. Das ist dir hoffentlich klar?“, murrte Jane und Rachel konnte ihr da nur beipflichten.

Nach einer Weile drosselte sie das Tempo, als nach exakt zwei Meilen besagte Abzweigung auftauchte. Sie bog ab und fuhr die schmale Straße entlang, die man nur mit etwas Kies aufgeschüttet hatte. Sie steuerte auf ein großes Tor zu. Das hölzerne Gestell bildete einen Bogen, auf dem die Aufschrift Blueberry Ranch prangte.

„Sieh mal einer an, wir haben es tatsächlich gefunden“, rief Rachel erleichtert und fuhr nur noch Schrittgeschwindigkeit, sobald sie den Torbogen passiert hatte. Das Haus selbst war noch einige hundert Meter entfernt und wirkte wie ein kleines Puppenhaus. Doch je näher sie kamen, umso mehr offenbarten sich die Größe und der urige Charme des weiß gestrichenen Holzgebäudes. Es besaß zwei Stockwerke und unglaublich viele Fenster. Um zur Eingangstür zu gelangen, musste man drei Stufen erklimmen und befand sich erst mal auf einer überdachten Veranda. Auf der linken Seite stand eine sehr gemütlich wirkende Hollywoodschaukel mit blauen Polstern und davor ein kleiner Tisch. Der obligatorische Schaukelstuhl fehlte natürlich auch nicht.

Wie daheim, dachte sie und verspürte plötzlich eine merkwürdige Sehnsucht nach ihrem eigenen Zuhause, nach ihren Eltern, Geschwistern, Nichten und Neffen, und doch schob sie den nächsten Besuch immer wieder auf, weil sie sich eigentlich nicht mehr als Teil dieser Familie empfand. Allein das betretene Schweigen am Tisch, wenn sie von ihrer Arbeit oder den Orten erzählte, die sie besuchte. Ihre Eltern waren einfache Menschen, Denver und all die anderen Städte dieser Größenordnung jagten ihnen nur Angst ein und sie verstanden nicht, wie man eine behagliche, mit Liebe erfüllte Farm gegen die kalte Fassade eines Wolkenkratzers eintauschen konnte. Manchmal verstand sie das selbst nicht und in ganz dunklen Momenten, wenn sie allein in ihrer Wohnung saß und die Stille an ihren Nerven zerrte, gestand sie sich ein, dass das Leben in der Großstadt auch nicht das Gelbe vom Ei war. Ob sie jemals rausfinden würde, was sie wirklich wollte? Sie fühlte sich hin- und hergerissen, nirgends richtig zugehörig.

Rachel stoppte den Truck und hupte zweimal, um den Colemans zu signalisieren, dass sie Gäste hatten.

„Okay, dann hoffen wir mal, dass wir die nächsten zwei Wochen ohne größere Katastrophen überstehen“, sagte sie und stieg aus dem Wagen.

Kapitel 4

 

Jane folgte ihrem Beispiel und nahm jedes Detail ihrer Umgebung auf. Das hübsche Haus und die riesige Scheune, die ca. 100 Meter entfernt davon stand. Direkt daneben verlief eine eingezäunte Pferdekoppel mit einem Unterstand, auf der sich – sie zählte kurz nach – sechs Tiere frei bewegten. Dasselbe Bild entdeckte sie auf der anderen Seite, allerdings noch ein gutes Stück weiter weg. Dort stand ein längliches Gebäude mit laufstallähnlicher Anbindung. Dahinter wieder eine Koppel, auf der unzählige Kühe das Weideland abgrasten. In ihren Unterlagen stand, die Colemans hätten sich auf Biofleisch und Biomilch spezialisiert. Eine Seltenheit, aber den großstädtischen Zuschauern würde es gefallen.

Des Weiteren entdeckte sie einen Wassertank und zwei Silos, in denen wohl Getreide und Mais gelagert wurde. Viele Rancher bauten selbst an und nutzten die Ernte für die Futterverwertung … sagte jedenfalls Google. Sie hatte nicht wirklich Ahnung von der Materie, hatte sich aber vorab genug Wissen angeeignet, um dem Ganzen hier nicht völlig hilflos gegenüberzustehen.

Eines konnte sie aber schon vorab sagen: Die Colemans waren vielleicht keine Millionäre, aber sie lebten sicher nicht von der Hand in den Mund, sondern schienen wirtschaftlich ganz gut gestellt zu sein. Ein weiteres Indiz für den bescheidenen Wohlstand, den sie sich erarbeitet hatten, war der supermoderne Traktor, der nur wenige Meter neben der Scheune parkte und der Rachel einen Laut des Entzückens entlockte, sobald sie ihn sichtete. Sie fuhr eben auf alles ab, was einen Motor und Räder aufweisen konnte. Sie stellte sich neben Jane, der plötzlich ein unangenehmer Geruch in die Nase stieg.

„Gott, das stinkt ja fürchterlich. Was ist denn das?“

Rachel warf ihr einen lässigen Blick zu. „Das hier ist eine Ranch, Herzchen. Hier gibt es Pferde und Kühe, da riecht es nun mal nicht wie in einer Parfümerie. Gewöhn dich besser dran. Dieser Geruch wird dich die nächsten Wochen begleiten.“

„Also, ich finde, es riecht gar nicht so schlimm“, warf Hayley vorsichtig ein und stieg ebenfalls aus dem Truck. Sie streckte sich etwas und holte tief Luft. „Ahhh, diese Landluft!“, rief sie glücklich und warf die Arme hoch.

Heilige Scheiße! Hayley fügte sich nahtlos in diese Umgebung ein und wirkte, als wäre sie für ein Leben auf dem Land geboren worden.

„Wenigstens eine, die hier Spaß haben wird“, murmelte Jane kopfschüttelnd und wunderte sich langsam darüber, dass noch immer niemand kam, um sie zu begrüßen bzw. um nachzuschauen, wer sich da auf ihrem Land breitmachte.

„Es scheint keiner hier zu sein“, merkte auch Rachel an, die längst wieder mit verschränkten Armen an der Seitentür des Trucks lehnte und mit ihrer linken Schuhspitze kleine Kreise in den staubigen Boden malte. Ob sich eines oder mehrere Mitglieder der Coleman-Sippe gerade im Stall befanden und sie ihre Ankunft somit noch gar nicht bemerkt hatten? Jane beschloss, diesen Umstand zu ändern. „Ich geh mal in diesen Stall da hinten. Vielleicht ist da jemand.“

Rachels Lippen verzogen sich zu einem diabolischen Lächeln. „Pass auf, wohin du läufst. Kuhfladen machen sich nicht so gut unter italienischem Leder.“

Jane streckte ihr die Zunge raus und machte sich mit energischen Schritten auf den Weg, und der Wind, der über das weitläufige Gelände fegte, trug die unangenehme Duftwolke direkt in ihre Richtung. Je näher sie dem Eingang kam, umso intensiver wurden die Ausdünstungen. Jane hielt sich vorsichtshalber die Nase zu, als sie zu ihrer Freude entdeckte, dass die überdimensionale Schiebetür halb offen stand. Sie würde da jetzt reingehen. Vorher holte sie noch einmal tief Luft und würgte.

„Gott, das stinkt wirklich bestialisch“, murmelte sie und verzog angewidert das Gesicht, ehe sie sich hineinwagte und entdeckte, dass nicht alle Tiere draußen auf der Weide standen. Einige davon liefen in einem laufstallähnlichen Gebilde herum und waren nicht angebunden. Eine Absperrung verhinderte, dass sie ausbüxen konnten. Plötzlich hörte sie ein Geräusch, es klang wie ein Schaben, und sie lief ein Stück weiter und entdeckte, dass sich dort einige Einzelboxen befanden.

„Hallo“, rief sie, um sich bemerkbar zu machen. „Ist da jemand?

Das Schaben hörte auf und Jane bekam den Schock ihres Lebens, als urplötzlich ein Kerl wie aus dem Nichts auftauchte und ihr die gefährlich spitzen Enden einer Mistgabel vors Gesicht hielt.

Jane zuckte etwas indigniert zurück. Wollte er sie mit diesem Ding abstechen, aus Angst sie könnte seinen Luxuskörper anfallen?

„Wer sind Sie?“

Sie schnappte unauffällig nach Luft.

Scheiße, dachte sie, wenn das einer der Coleman-Brüder ist, dann erschieß ich mich.

Sie trat einen Schritt auf ihn zu und konnte nun die Farbe seiner Iris erkennen. Ein ungezähmter Blick aus exotisch anmutenden grünen Augen, dazu ein sinnlicher Mund, den er leider ziemlich mürrisch verzog, doch sollte er sich jemals in ihrer Gegenwart zu einem Lächeln herablassen, hätte dieses sicher eine betäubende Wirkung. Sein dunkelbraunes, fast schon schwarzes Haar, hätte einen neuen Schnitt vertragen können, denn es streifte hinten bereits den unteren Teil seines Nackens. Doch sie musste zugeben, dieser zerzauste Look stand ihm gut, genau wie dieser leicht schmollende Zug um seine Unterlippe, weil er sich offensichtlich von ihrer Anwesenheit gestört fühlte.

 „Hören Sie auf, mich so penetrant anzuglotzen und sagen Sie mir lieber, was Sie auf meinem Land verloren haben“, fauchte er sie an und riss Jane damit aus ihrem tranceähnlichen Zustand. Im ersten Moment war sie zu überrascht über so viel Unhöflichkeit, um zu antworten. Sein Land …

Der Bursche hatte eindeutig zu viele Western gesehen, aber zumindest wusste sie jetzt, dass er ein Coleman sein musste. „Wir haben wohl heute eine Verabredung, deswegen habe ich Ihr Land betreten, Mr. … wie war doch gleich Ihr Name?“

Seine Augenbrauen zogen sich schon bei den ersten Silben unheilvoll zusammen. Ohne Vorwarnung rammte er die Mistgabel vor ihr in den Boden und verfehlte dabei nur knapp Janes Fußspitzen. Sie machte sofort einen Satz nach hinten.

„Sind Sie irre?“

„Ich mag es nicht, wenn man mir auf meine Fragen mit Gegenfragen antwortet. Und wenn Sie mir nicht augenblicklich verraten, wer Sie sind, dann wäre es besser, Sie verschwinden von meiner Ranch und kommen niemals wieder.“

Herrgott, was für ein ungehobelter Klotz. Konnte er sich nicht denken, wen er gerade vor sich hatte? Es wurde Zeit, seinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

„Mein Name ist Jane Billings, ich bin Fernsehredakteurin beim Denver Discovery Channel und ich habe mich für den heutigen Tag mit einem Teil meiner Crew angemeldet. Sind Sie doch einer der Coleman-Brüder, oder nicht?“

Seine Miene verdüsterte sich noch mehr, falls das überhaupt möglich war. Jane, die sich sonst nicht so schnell beeindrucken ließ, machte vorsichtshalber einen weiteren Schritt rückwärts. Er verhielt sich wirklich merkwürdig, und gerade als sie genug Mut fand, um ihre Frage zu wiederholen, zog er die Mistgabel aus dem Boden und marschierte einfach Richtung Ausgang. Janes Blick folgte ihm ungläubig.

Er lief weg. Einfach so. Ohne ein Wort. Sie konnte es nicht fassen.

So nicht, Freundchen, du wirst mit mir reden und wenn es die letzten Sätze sind, die ich in diesem Leben mit jemandem wechsle, dachte sie und hastete ihm hinterher.

„Hey, wo wollen Sie denn hin? Bleiben Sie stehen, verdammt noch mal!“

Jane Stimme schwankte vor Empörung und sie holte ihn vor der Stalltür ein. Mit der Hand berührte sie ihn an der Schulter und hielt ihn davon ab, einfach zu verschwinden. Ein Fehler, denn er schoss herum, das hübsche Gesicht zornig verzogen.

„Was soll das? Wenn Sie mich noch einmal anfassen, dann leg ich Sie übers Knie, Lady. Darauf können Sie Ihren mageren Hintern verwetten.“

„Hat Ihnen Ihre Mutter keine Manieren beigebracht? Oder ist es auf Ihrer Ranch üblich, so mit Gästen umzuspringen?“

„Ich kann auf meinem Land tun, was immer mir passt“, ranzte er sie bockig an. „Und Gäste“, er verzog spöttisch den Mund, als er das sagte, „sind normalerweise willkommen. Was ich von Ihnen nicht behaupten kann.“

Das verschlug ihr kurzfristig die Sprache und sie brauchte einen Moment, ehe sie ihm antworten konnte. „Na hören Sie mal! Sie haben sich doch beworben. Schon vergessen? Ich und meine Crew sind nur hier, weil Sie das so wollten. Wenn das alles ein Scherz ist, dann finde ich ihn nicht witzig!“

Er hob gleichgültig die Schultern, sein Lächeln wirkte eine Spur geringschätzig. „Ich bin ja auch nicht auf der Welt, um sie zu amüsieren, Miss.“

„Sie haben also keine Lust auf die ganze Sache oder wie soll ich das jetzt verstehen?“, hakte sie mit gefährlich ruhiger Stimme nach.

Er lächelte herablassend, was ihm leider Gottes verdammt gut zu Gesicht stand. Warum hatten Frauen nur so einen ausgeprägten Scheißkerlkomplex, fragte sie sich und versuchte die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu ignorieren, die sich ungefragt darin breitmachen. Sie riss sich zusammen und versuchte ihm klarzumachen, was für Folgen sein Verhalten nach sich ziehen konnte. „Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie den Vertrag unterschrieben haben, Mr. Coleman. Wenn Sie ihn nicht erfüllen wollen, dann bitte, tun Sie sich keinen Zwang an, aber Sie sollten dann auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Glauben Sie mir, die Vertragsstrafe bei Nichterfüllung ist ganz schön happig. Die wird Sie mehr kosten als nur ein paar Rinder.“

„Wollen Sie mir etwa drohen? Sie … so ein mageres Hühnchen?“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte herzlich. Und obwohl es auf ihre Kosten ging, verklärte sich ihr Blick und sie wurde nur noch von einem Gedanken beherrscht: Ich darf ihn nicht attraktiv finden! Nicht ihn! Böser Mann, ganz böser Mann.

„Führen Sie öfter Selbstgespräche?“

Sie lief rot an und wäre am liebsten im Erdboden versunken, weil sie das tatsächlich laut ausgesprochen hatte. „Ich führe keineswegs Selbstgespräche“, erklärte sie würdevoll, „und wenn, dann ginge Sie das überhaupt nichts an. Verraten Sie mir jetzt endlich, welcher der Coleman-Brüder Sie sind?“ Nach einigem Zögern fügte sie hinzu: „Bitte.“

 

Jesse war einigermaßen verblüfft über die Hartnäckigkeit dieser brünetten Furie. Außerdem nötigte ihm ihre Furchtlosigkeit Respekt ab. Normalerweise ergriffen die Frauen die Flucht, sobald er sie unter zusammengezogenen Brauen fixierte wie ein lästiges Insekt. Die hier machte aber keinen besonders verängstigten Eindruck. Doch er würde sie schon noch kleinkriegen, denn er hatte fest vor, sich dermaßen unmöglich aufzuführen, dass ihn die Verantwortlichen des Denver Discovery Channel freiwillig aus diesem Vertrag entließen. Kaum war die Tinte darauf getrocknet gewesen, hatte er seine Unterschrift auf diesem Wisch bitterlich bereut. Und das alles nur, weil ihn seine Mutter weichgeklopft hatte. Diese Signatur würde ihm für mindestens zwei Wochen die Freiheit rauben und ihm graute vor dem Tag, an dem sich die Ranch in eine von Schuhen, Lippenstiften und Unterwäsche besetzte Festung verwandelte. Er stellte sich noch ein wenig aufrechter hin und merkte, dass ihre Augenlider anfingen, nervös zu zucken.

„Ihr Name?“, wiederholte sie ihre Frage und erwies sich als ziemlich penetrant.

„Also gut, da Sie ja doch keine Ruhe geben werden …“ Er seufzte übertrieben und verdrehte die Augen, was sie mit einem bitterbösen Blick quittierte. „Ich bin Jesse Coleman“, stellte er sich vor, dann grinste er verschlagen. „Und wie war doch gleich Ihr Name? Ms. Willings?“

„Billings“, presste sie hervor und schien Mühe zu haben, ihm nicht ins Gesicht zu springen. Die kleine Kratzbürste kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und ihre Stimme klang giftiger als das Zischen einer Viper. „Sind Sie wirklich Jesse Coleman? Oder geben Sie sich nur für ihn aus?“

Offenbar flehte sie gerade den Allmächtigen darum an, dass er ihre letzte Frage mit einem Ja beantwortete. Tja, den Gefallen konnte er ihr nicht tun und mit ein bisschen Glück würde sie ihn so schrecklich finden, dass sie mitsamt ihrem Team abzog, bevor auch nur eine einzige Kameraeinstellung abgedreht werden konnte. Wenn er sich ihren Gesichtsausdruck so ansah, standen die Chancen dafür gar nicht so schlecht. Am liebsten hätte er lauthals gejubelt, weil sein Plan so großartig funktionierte.

„Ich würde Sie doch niemals belügen“, erklärte er herablassend. „Ich bin Jesse Coleman, live und in Farbe. Das sagt ihr doch beim Fernsehen so?“

Sie nickte geistesabwesend und murmelte irgendwas vor sich hin, was er dieses Mal leider nicht verstehen konnte. Er vermutete ohnehin, dass es nichts Schmeichelhaftes war, und da sie gerade so schön mit der Situation haderte, hielt er das für den perfekten Moment, um zu verschwinden. Sollte sie ruhig noch eine Weile über sein unmögliches Benehmen grübeln und sich die bevorstehenden Tage in den schwärzesten Farben ausmalen. Er würde in der Zwischenzeit die Ranch verlassen und in der Stille der Natur seinen erfolgreich begonnenen Boykott feiern!

Einzig und allein die unvermeidliche Reaktion seiner Mutter bereitete ihm Sorgen. Sie war am frühen Morgen mit Dad ins Krankenhaus nach Castle Rock gefahren, weil er sich den Rücken ausgerenkt hatte, und er erwartete sie in den nächsten ein bis zwei Stunden zurück. Dann konnte er sich auf was gefasst machen, sobald sie einander über den Weg liefen. Jesse war bereit, die Standpauke wie ein Mann zu ertragen und auch ihren Zorn in Kauf zu nehmen. Alles war besser, als sich mit irgendwelchen Tussis zu beschäftigen  oder sich von dieser Furie Anweisungen geben zu lassen. Keiner sagte ihm, wie er sich auf seinem eigenen Land zu verhalten hatte!

„Ich geh dann mal.“

Sofort schoss ihr Blick nach oben. „Gehen? Schon wieder … Wohin denn?“

Er strich sich das Haar zurück und registrierte, dass ihre Augen dieser Bewegung folgten. „Das geht Sie überhaupt nichts an, Lady. Sie können ja in Ihrem Wagen warten, bis meine Mutter zurückkommt. Ich schätze, in circa zwei Stunden müsste sie wieder eintrudeln, und falls Sie Durst bekommen, bedienen Sie sich ruhig am Wasseranschluss neben dem Haupthaus.“

„Ist das Ihr Ernst?“ Ihre rosigen Lippen teilten sich ungläubig.

Jesse fühlte sich großartig. Yeah, nicht mehr lange und sie würde mitsamt ihrem Anhang von seinem Land verschwinden.

„Haben Sie ein Problem damit? Ich muss noch in die Stadt, und in Ihrem supertollen Vertrag steht nichts davon, dass ich Ihnen oder jemandem aus Ihrem Team in den Hintern kriechen muss. Also nichts für ungut. Wir sehen uns noch.“

Sie war wohl zu überrascht von diesem neuerlichen Affront, um darauf etwas zu erwidern, und so stampfte er selbstzufrieden aus dem Stall und ließ sie dort zurück. Dieses Mal rannte sie ihm nicht hinterher, was er als positives Zeichen deutete. Als er sich dem Haus näherte, ignorierte er mit voller Absicht die beiden anderen Frauen, die in der Nähe eines hässlichen roten Transporters standen und ihn aus großen Augen betrachteten. Jesse war das sofort unangenehm. Verdammt noch mal! Gab es in Denver keine anständigen Kerle mehr oder warum starrten sie ihn an, als wäre er ein Supersonderangebot in einem Schuhausverkauf?

Die große Blondine regte sich als Erste und marschierte entschlossen auf ihn zu. Wahrscheinlich wollte sie wissen, wo das Hühnchen abgeblieben war.

„Falls Sie Ihre Freundin suchen, die ist immer noch im Stall“, rief er ihr im Vorbeigehen zu und machte keine Anstalten anzuhalten. Je schneller er hier wegkam, umso besser. Leider sah Blondie das ganz anders und schien nicht gewillt, ihn einfach ziehen zu lassen. Sie stellte sich ihm in den Weg, ein kriegerisches Funkeln in den Augen. Wieder so eine Kampfamazone. Oh Gott!

„Was haben Sie mit ihr angestellt?“

Er lächelte unschuldig. „Gar nichts, aber sie sah ein bisschen blass um die Nase aus. Ich fürchte, die Luft hier bekommt ihr nicht. Vielleicht schauen Sie nach ihr, bevor sie mir den Stallboden vollkotzt.“

„Also das ist doch …“

Jesse wartete die Schimpftirade gar nicht erst ab, sondern tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn. „Miss …“ Gleich darauf schob er sich an ihr vorbei und legte die restlichen Meter zu seinem Wagen zurück.

„Hey Mister, bevor Sie sich vom Acker machen, verraten Sie mir vielleicht, wo zum Teufel die ganzen Colemans abgeblieben sind?“

„Das werden Sie noch früh genug herausfinden. Fragen Sie einfach das Hühnchen.“

Blondie konnte mit dieser Antwort natürlich nicht das Geringste anfangen und wandte sich kopfschüttelnd ab. Sie winkte die andere zu sich, die noch immer völlig verschüchtert neben dem roten Transporter stand. Glucksend vor Vergnügen startete er den Wagen und gab Gas. Die erste Runde ging an ihn.

 

Kapitel 5

 

Hayley beobachtete ein wenig eingeschüchtert, wie der Kerl in seinen Wagen stieg und losfuhr. Die Räder seines SUV wirbelten ganz schön Staub auf, als er davonbrauste. Auch Rachel verfolgte seinen Abgang mit einer Mischung aus Belustigung und Unglauben. Hayley konnte diese zwiespältigen Gefühle gut verstehen. Mit so einem Empfang hatte wohl keine von ihnen gerechnet, auch nicht damit, dass sich Cherry Springs und Umgebung als reines Männerparadies entpuppen würde. Erst dieser heiße Naturbursche mit dem Metallwerkzeugkoffer, und nun kam ein weiteres Paradebeispiel eines scharfen Hillbillymachos daher. Nur an ihren Umgangsformen mussten diese Herren definitiv noch arbeiten. Seufzend lief sie zu rüber zu Rachel und blieb neben ihr stehen. „Wo ist Jane denn abgeblieben?“, fragte sie besorgt.

„Immer noch im Stall. Ich würde sagen, wir holen sie und dann machen wir eine kurze Lagebesprechung“, erklärte Rachel pragmatisch wie eh und je. Rückschläge beeindruckten sie nur geringfügig, eine Eigenschaft, um die Hayley sie grenzenlos beneidete, denn sie selbst wurde dann immer unsicher und gab vorschnell auf. Sie war eben nicht zum Kämpfen geboren. Manchmal wünschte sie sich, sie wäre mehr wie ihre Freundinnen, doch sie konnte nicht aus ihrer Haut und machte das Beste aus den Eigenschaften, die sie vorweisen konnte. Immerhin fanden alle sie niedlich, was ihr in vielen Dingen Vorteile verschaffte, und sie nutzte diesen Umstand auch gnadenlos aus.

Unterdessen sah sich Rachel um und schüttelte den Kopf. „Nicht zu fassen, dass niemand hier ist. Jane hat unsere Ankunft hundertprozentig angekündigt.“

„Was glaubst du, wer dieser Kerl eben war?“

Rachel wirkte ein wenig ratlos. „Ein Arbeiter vielleicht? Auf jeden Fall kein Coleman, sonst würden wir nämlich schon längst auf seiner Veranda sitzen und kalte Limonade schlürfen.“

Hayley war sich da nicht so sicher. Arbeiter fuhren keine modernen SUVs in dieser Größenordnung, aber sie sparte sich den Hinweis darauf, da ihre Sorge um Jane überwog. „Wieso kommt Jane nicht aus dem Stall?“

„Er meinte eben, ihr wäre ein wenig schlecht geworden.“

„Und da lässt er sie einfach zurück? Wie ist der denn drauf?“

„Tja, Schätzchen. Hier auf dem Land läuft so manches anders. Rücksichtnahme brauchst du von den Typen hier nicht zu erwarten, und wenn du sie nicht direkt an den Eiern packst und zudrückst, machen die mit dir, was sie wollen. Also merk dir das, wenn dich einer anmachen sollte.“

Hayley gluckste und fand diesen Ratschlag irrsinnig komisch. „Danke für den Tipp. Ich werd’ s mir merken.“

Rachel wandte sich schon Richtung Stall, drehte sich dann aber noch einmal um. „Weißt du was? Es wäre vielleicht gar nicht so verkehrt, wenn du hier die Stellung hältst, für den Fall, dass sich die Colemans doch noch hier blicken lassen.“

Hayley war nicht sonderlich begeistert, doch im Grunde war Rachels Vorschlag durchaus sinnig und so fügte sie sich ins Unvermeidliche. „Okay, wenn du meinst, bleib ich hier.“

Rachel zwinkerte ihr noch zu, ehe sie mit weit ausholenden Schritten Richtung Stall marschierte. Da sie nicht so dumm rumstehen wollte, lief Hayley zurück zum Transporter und hüpfte mit einiger Mühe auf die Ladefläche. Nach dem dritten Versuch schaffte sie es endlich hinauf und ließ die Beine locker hin und her baumeln. In aller Ruhe begutachtete sie das hübsche Zuhause der Colemans. Der weiße Anstrich und die gemütliche Veranda verbreiteten eine heimelige Atmosphäre, und je länger sie diese auf sich wirken ließ, umso wohler fühlte sie sich. Als sehr gefühlsbetonter Mensch ließ sie sich stark von Stimmungen beeinflussen, die Menschen oder Orte in ihr auslösten. Hier auf der Blueberry Ranch empfing sie nur positive Schwingungen. Sie war nicht unbedingt esoterisch veranlagt, aber sie glaubte daran, dass der Charakter eines Menschen immer Spuren hinterließ. Positiv oder negativ.

Neugierig schweifte ihr Blick zu den Fenstern mit den Fliegengittern. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, ob sich hinter den Scheiben etwas regte, doch sie konnte nichts sehen, was auf Personen im Haus hindeutete. Sie blickte rüber zum Stall, in dem Rachel vor ein paar Minuten verschwunden war. Weder sie noch Jane tauchten wieder auf.

Was trieben die beiden bloß da drinnen?

Nach circa fünf Minuten wurde es ihr zu dumm und sie hüpfte von der Ladefläche. Sie wollte nachsehen, wo die beiden abgeblieben waren. Sie legte die Strecke in Rekordzeit zurück und steckte den Kopf durch die Türe, um nachzusehen, wer oder was die beiden so lange aufhielt. Sobald sie die beiden entdeckte, brach sie in schallendes Gelächter aus. Jane und Rachel saßen Seite an Seite auf zwei Strohballen und starrten in einträchtigem Schweigen die Kühe im Laufstall an.

„Was macht ihr zwei da?“

Jane grinste verhalten. „Wir unterhalten uns mit den einzig vernünftigen Wesen hier auf dem Hof. Der Kerl von vorhin ist dazu nicht imstande gewesen.“

Hayley verzog das Gesicht. Also war der hübsche Bursche mit dem SUV tatsächlich ein Coleman, so wie sie es bereits vermutet hatte. Irgendwo auch logisch, Rachels Idee mit dem Arbeiter war zwar nicht so weit hergeholt, aber so recht hatte sie daran nicht glauben wollen. Doch der Schluss, den man daraus ziehen musste, war wenig ermutigend. Sie wusste, dass speziell für Jane viel von dieser Show abhing, und dieser hübsche Cowboy brachte offensichtlich wenig Begeisterung für die Sache auf.

Hayley trat ganz in den Stall ein und kaute ein wenig verzagt an ihrer Unterlippe herum. „Okay, fassen wir mal zusammen. Wir sind auf der richtigen Ranch, aber kein Mensch ist zur Begrüßung erschienen und einer der Kerle, der verkuppelt werden soll, ist ein unhöflicher Blödmann.“

Jane nickte. „So in etwa.“

Hayley machte ein ratloses Gesicht. „Ach du grüne Neune, Rebecca wird Amok laufen!“

Vorsichtig bewegte sie sich auf die beiden zu und quetschte sich neben Jane auf die improvisierte Sitzgelegenheit aus gepresstem Stroh.

„Du hast es erfasst“, stöhnte Jane und ließ den Hinterkopf in regelmäßigen Abständen gegen die Box hinter sich knallen, als plötzlich eine Frau mittleren Alters den Stall betrat und große Augen machte. Hayley musterte sie neugierig. Sie besaß eine zierliche Figur, trug bequeme Jeans und darüber eine weiße, kurzärmlige Bluse. Das dunkelblonde Haar trug sie am Hinterkopf zusammengesteckt, was ihr klassisch schönes Gesicht mit den freundlich blickenden grünen Augen betonte.

„Ach du lieber Himmel! Was in aller Welt macht ihr Mädchen denn da?“, rief sie aus und schien sich sehr über diese Belagerung zu wundern.

Jane war die Erste, die ihre Überraschung überwand und sich aufrappelte. Sie ging mit ausgestreckter Hand auf die Frau zu und lächelte gewinnend.

„Bitte verzeihen Sie, dass wir uns auf Ihrem Grund und Boden so breitgemacht haben. Ich nehme an, Sie sind Mrs. Coleman? Mein Name ist Jane Billings und ich arbeite für den Denver Discovery Channel. Ich habe mich für heute angekündigt.“

Die Frau legte die Hände auf ihre Wangen. „Ach du meine Güte, war denn keiner meiner Jungs bei Ihrer Ankunft anwesend? Wissen Sie, mein Mann musste ins Krankenhaus … der Rücken … und die zwei haben versprochen, dass sie hier die Stellung halten.“

Jane fand es offenbar besser, Mrs. Coleman nicht zu erzählen, dass einer ihrer Jungs fluchtartig die Ranch verlassen hatte. Stattdessen verschwieg sie das unmögliche Verhalten und lächelte neutral, was Hayley ziemlich nett von ihr fand.

Mrs. Coleman stieß derweil einen Seufzer aus. „Also gut, ich fürchte, meine Söhne und ich hatten wohl ein kleines Kommunikationsproblem“, erklärte sie. „Aber davon lassen wir uns den Spaß nicht verderben. Nicht wahr? Kommen Sie. Ich habe selbstgemachte Limonade im Kühlschrank und frischgebackene Blaubeermuffins. Ich denke, wir können alle eine kleine Stärkung vertragen.“

Sie verließen den Stall und liefen plaudernd zurück zum Haus. Also, eigentlich redete Mrs. Coleman die meiste Zeit. Sie schien sich über die dreifache weibliche Gesellschaft sehr zu freuen. Kein Wunder, wenn sie mit drei Männern in einem Haus lebte.

Ihre herzliche Art machte es Hayley leicht, sie zu mögen, und sie war sich sicher, dass sich nun alles zum Guten wenden würde. Auch Jane wirkte sichtlich erleichtert, nur Rachel trug ihr übliches Pokerface zur Schau, bis ein Wagen durch den Torbogen der Ranch fuhr und direkt neben ihrem alten Transporter parkte. Oha, das war der muskelbepackte Adonis mit dem Killerlächeln, der Rachel mit seiner Arroganz zur Weißglut gerieben hatte. Sobald er ausstieg, lief Mrs. Coleman mit ärgerlicher Miene auf ihn zu.

„Noah Coleman, was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?“, schimpfte sie. Ihre erhobene Stimme, ließ keinen Zweifel daran, wie sauer sie war. „Weder du noch dein Bruder waren anwesend, als unsere Gäste auf der Ranch angekommen sind. Ihr habt doch versprochen, hier zu sein, und nun waren sie völlig sich selbst überlassen. Ich bin wahnsinnig enttäuscht über eure Unzuverlässigkeit. So hab ich euch nicht erzogen!“

Völlig unbeeindruckt von der mütterlichen Schimpftirade umarmte er sie und küsste sie zur Begrüßung auf die Wange. Sie verschwand fast in seinen Armen und Hayley konnte kaum glauben, dass eine so zierliche Person einen so mächtigen Kerl zur Welt gebracht hatte. Die Erbanlagen mussten von seinem Vater stammen.

„Sorry, Mom, aber ich war beschäftigt.“

Mrs. Coleman zog eine ihrer hellbraunen Augenbrauen hoch. „Beschäftigt? Was könnte wichtiger sein als unsere Gäste?“

Hayley registrierte vergnügt seinen raschen Blick zu Rachel, bevor er antwortete. „Nun ja, ich habe versucht ein“, er zögerte kurz und grinste gehässig, bevor er seinen Satz vollendete, „ Loch zu stopfen.“

Seine Mutter kapierte im Gegensatz zu den anderen Anwesenden nicht die Doppeldeutigkeit dieser Bemerkung und zog die Nase kraus, während Jane versuchte, nicht an ihrem Lachen zu ersticken. Rachel schnappte nach Luft und verschränkte missmutig die Arme vor der Brust, während Hayley die ganze Sache einfach nur peinlich fand.

„Ein Loch stopfen?“, hakte Mrs. Coleman noch mal nach.

Durchs Wiederholen hörte es sich nicht besser an. Hayley spürte, wie ihre Ohren heiß wurden. So, wie er das vorhin betont hatte, klang es ziemlich versaut an, als würde er über … na ja, über DAS reden.

Er klärte den Irrtum auf und grinste schadenfroh. „Ein Loch im Zaun, Mom. Auf unserer Koppel. Ich wollte nicht, dass sich eines der Tiere darin verfängt.“

Mrs. Coleman strich ihm liebevoll über die Wange. „Du bist ein guter Junge, denkst immer zuerst an die Tiere. Dann kann ich nur hoffen, dass Jesse auch eine gute Erklärung für sein Fernbleiben parat hat.“

Nachdem sich nun herausgestellt hatte, dass dieser Bursche niemand geringeres als Noah Coleman war, interessierte sich Hayley brennend für die Reaktion ihrer Freundin Rachel. Sie warf einen vorsichtigen Blick in ihre Richtung. Rachels Gesicht ähnelte einer erstarrten Maske, man konnte nicht erkennen, ob es sie in irgendeiner Weise berührte.

Mrs. Coleman atmete unterdessen hörbar aus. „Ich gehe ins Haus und werde uns etwas zu essen und zu trinken herrichten. Noah, bist du so lieb und kümmerst dich so lange um die Damen?“

Er sah ihr nach, bis sie durch die Haustür verschwunden war, und drehte sich dann, mit einem undurchsichtigen Lächeln auf den Lippen, um. Sein Blick ruhte unverwandt auf Rachel und man konnte spüren, wie zwischen den beiden die Funken übersprangen.

„Ich habe dir doch gesagt, wir sehen uns bald wieder.“

Oh, diese zur Schau gestellte Genugtuung, recht behalten zu haben, würde ihn noch Kopf und Kragen kosten. Rachel konnte ganz schön giftig werden, wenn man sie provozierte, und Hayley wollte sich lieber nicht ausmalen, wie das alles noch enden würde.

 

Noah ärgerte sich tierisch über das ungerechte Schicksal, das ihm diese süße, blonde Kratzbürste auf dem Silbertablett servierte und ihm den leckeren Happen gleich wieder wegnahm. Natürlich war ihm klar gewesen, dass sie in irgendeiner Weise mit den Aufnahmen zu tun haben müsste, aber er hatte eigentlich vermutet, sie wäre eine der Kandidatinnen. Diese Ms. Olson hatte in einer Mail geschrieben, dass sich zumindest zwei der Damen in Denver treffen wollten, um gemeinsam auf die Ranch zu kommen. Er war einfach davon ausgegangen, dass sich dritte angeschlossen hatte und sie einen Tag früher ankamen, als geplant.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752122152
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Western Liebesroman Cowboyromance Romanze Humor Erotik Erotischer Liebesroman

Autor

  • Vivian Hall (Autor:in)

Vivian Hall lebt mit ihrer Familie im Süden Deutschlands und schreibt romantisch-sinnliche Liebesromane.
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Titel: Cowboy Kisses - Hunt me