Lade Inhalt...

Salvation: Brennende Herzen

von Vivian Hall (Autor:in)
280 Seiten

Zusammenfassung

Cathy Kilbourne ist süß, ich bin es nicht. Natürlich muss sie auch noch die Tochter des Schuldirektors sein und für alles stehen, worum ich normalerweise einen großen Bogen mache. Wären da nicht ihre verführerischen Lippen, die mich um den Verstand bringen. Ich begehe den Fehler, sie zu küssen und schon stellt sie meine Welt auf den Kopf. In ihrer ist kein Platz für einen Bad Boy wie mich, doch sie fordert mich heraus und je mehr ich mich gegen dieses süße Geschöpf wehre, umso mehr verfalle ich ihr. Doch unsere Liebe erfordert Mut und vielleicht ist der Preis für ein gemeinsames Glück am Ende doch zu hoch. Neuauflage wegen Rechterückgabe unter gleichem Titel, aber mit neuem Cover.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Ich träumte in letzter Zeit oft dasselbe. In diesen Träumen ging es nicht um scharfe Bräute mit sensationellen Titten, auch nicht um schnelle Sportwagen oder darum, in einer Wanne mit Hundert-Dollar-Scheinen zu liegen. Nein, ich träumte von einem Fisch mit silbrig schuppiger Haut und riesigen Glupschaugen. Er schwamm in seinem mickrigen Süßwasserteich umher und verzehrte sich nach der unendlichen Weite des Meeres. Immer wenn er mich im Schlaf heimsuchte, konnte ich tief in seine Gedanken eintauchen und spürte seine Verzweiflung. Die Sehnsucht nach dem Ozean zermürbte ihn, lockte ihn, doch er konnte seinem verfluchten Tümpel nicht entkommen. Es war niemand da, der ihm heraushalf, und so war er dazu verdammt, bis an sein Lebensende dahinzuvegetieren und sich nach dem Unerreichbaren zu sehnen.

Dieser Traum besaß fatale Ähnlichkeit mit meinem Leben. Ein Seelenklempner hätte bestimmt festgestellt, dass dieser unglückliche Fisch eigentlich ich selbst war, und der kleine Tümpel symbolisierte meine Heimatstadt Milton Oaks. Hier wurde ich vor fünfundzwanzig Jahren geboren und dieses elende Kaff war wirklich der letzte Ort auf diesem Planeten, an dem ich eines Tages abkratzen wollte. Alles hier engte mich ein, ödete mich an. Ja, ich war ein Gefangener, genau wie dieses blöde Vieh aus meinen Träumen, und je älter ich wurde, umso mehr kotzte mich mein Leben an. Der Frust darüber erfasste mich wie ein Virus, vergiftete jeden einzelnen meiner Gedanken und mündete in einem stetigen, schmerzhaften Brennen in meiner Brust. Als würden mich Langeweile und Hilflosigkeit innerlich auffressen.

Heute war wieder so ein Tag. Die Zeit in der Werkstatt zog sich wie Kaugummi, außerdem herrschten in der Werkshalle höllische Temperaturen. Selbst fünf Minuten in diesem Brutkasten waren schon zu viel. Ich hatte genug und beschloss, draußen eine zu rauchen. Zwar erwartete mich dort keine Kühlung – es war seit Wochen relativ windstill und die trockene Hitze über Texas sorgte für Rekordtemperaturen im gesamten Bundesstaat –, aber zumindest konnte ich auf eine kleine Brise hoffen, die ein bisschen Erleichterung bringen würde.

Ich wischte mir die öligen Finger an meiner Jeans ab und schlich auf das geschlossene Schiebefenster zu, das die Werkstatt vom Büro meines Onkels trennte. Nach einem kurzen Blick hinein drückte ich mein Gesicht an die Scheibe und wartete darauf, dass Ambrose mich bemerkte. Klopfen würde nichts bringen. Er hatte schon vor Jahren ein schalldichtes Fenster einbauen lassen, weil er den Krach aus der Werkstatt während der Büroarbeit nicht ertragen konnte. Ich zählte stumm bis zehn, fixierte ihn und bildete mir ein, ich könnte ihn mit purer Gedankenkraft dazu bringen, endlich aufzusehen.

Ambrose saß hinter seinem überladenen Schreibtisch und sortierte die unzähligen Stapel von Angeboten, Rechnungen und sonstigem Papierkram. Der Deckenventilator über ihm arbeitete nur mit halber Kraft. Mein Onkel war eben ein alter Geizkragen und sparte, wo er konnte. Auf seiner Nase saß eine randlose Brille, ohne die sah er nicht besser als ein Maulwurf, trotzdem trug er sie aus purer Eitelkeit nur im Büro.

Abschätzend ließ ich meinen Blick über seine gekrümmt dasitzende Gestalt wandern, und mir fiel auf, wie stark er in den letzten Wochen abgebaut hatte. Sein Körper wirkte ausgemergelt. Ob er gesundheitliche Probleme hatte? Die Schulterknochen standen richtig hervor, auch seine Handgelenke und Finger kamen mir erschreckend hager vor. Sein Gesicht konnte ich im Moment nicht erkennen, es wurde von dem Blatt verdeckt, in dem er gerade las, doch über dem oberen Rand lugte ein Teil seines Bürstenhaarschnitts heraus. Das silbrig schimmernde Weiß stach in dem leicht abgedunkelten Raum fast unwirklich hervor.

Auf einmal ließ er das Schriftstück sinken. Jetzt konnte ich sein Gesicht gut erkennen. Runzelig und verbraucht, der optische Verfall schien unaufhaltsam. Kaum zu fassen, dass er vor zwanzig Jahren noch ein ziemlich attraktiver Kerl gewesen war. Genau wie mein alter Herr. Doch beide hatten im Verlauf ihres Lebens einfach zu viel gesoffen, und meinem Onkel sah man das heute deutlich an, auch wenn er sich nie in der Öffentlichkeit mit Alkohol zugeballert hatte, ganz im Gegensatz zu meinem Dad. Für den wurde die Flasche nach dem Tod meiner Mutter lebensnotwendig. Beinahe täglich ließ er sich volllaufen, um seinem Kummer zu entkommen, bis er eines Tages umkippte und an Herzversagen starb. Ehrlich gesagt hatte ich eine Scheißangst davor, eines Tages genauso zu enden wie er. Einsam und mit einer Flasche Whiskey als einzigem Trost in einem komplett vergeudeten Leben.

Mein Onkel hatte komischerweise mit der Sauferei aufgehört, als man mich seiner Obhut übergab. Wahrscheinlich müsste ich ihm dafür dankbar sein, aber irgendwie schaffte ich es kaum, irgendwas zu fühlen, wieso sollte ich also meine wenigen Emotionen ausgerechnet an ihn vergeuden?

Ambrose bemerkte immer noch nicht, dass ich ihn von der Trennscheibe aus beobachtete. Mit erschöpfter Miene rieb er sich den Nacken und blickte schließlich doch auf, direkt in meine Augen. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich umgehend, und ich unterdrückte einen genervten Laut, obwohl er ihn gar nicht hätte hören können. Mein Anblick riss ihn grundsätzlich nicht zu Begeisterungsstürmen hin, ich war ihm lästig, und hätte ich nicht so ein Talent dafür besessen, wirklich jede kaputte Karre wieder zum Laufen zu bringen, hätte er mich wahrscheinlich gleich nach meinem achtzehnten Geburtstag zum Teufel gejagt. An diesem Tag endete nämlich seine Fürsorgepflicht mir gegenüber, der er nach dem Tod meines Vaters mehr oder weniger freiwillig nachgekommen war. Trotzdem kotzte es mich an, dass ich diesem alten Sack nie etwas recht machen konnte. Ich hatte wirklich seit Ewigkeiten nichts mehr angestellt und arbeitete mir in seiner verdammten Werkstatt den Buckel krumm. Wichser …

Mit düsterer Miene schob er einige Papiere zur Seite und stellte sich dabei so ungeschickt an, dass er beinahe einen Stapel mit Ordnern umschmiss, der viel zu nah am äußeren Rand des Tisches lag. Er konnte den wackelnden Turm gerade noch festhalten, bevor die Unterlagen auf dem grauen Linoleumboden landeten. Bedächtig rückte er den Stapel etwas mehr zur Mitte, stand dann schwerfällig auf und schlurfte schlecht gelaunt ans Fenster. Er drehte am inneren Hebel und schob es zur Seite.

„Was gibt’s denn?“, blaffte er mich unfreundlich an. „Hast du nichts Besseres zu tun, als mir beim Arbeiten zuzusehen?“ Sein Tonfall klang ätzender als Säure.

Manch anderer wäre wohl zusammengezuckt und mit eingezogenem Schwanz zurück zur Arbeit gekrochen, doch bei mir konnte er sich diesen Scheiß sparen. Es beeindruckte mich null. Mit einer Kopfbewegung deutete ich zum Ausgang.

„Ich brauch ’ne Pause. Geh kurz eine rauchen“, teilte ich ihm kurz angebunden mit und sah ihn abwartend an, überzeugt davon, dass er es mir aus reiner Bosheit verbieten würde, doch überraschenderweise blieb ein Protest aus.

„Na gut, aber mach nicht zu lange“, murrte er und zeigte mit dem Finger auf den VW, der mit offener Motorhaube mitten in der Werkstatt stand. „Die Kundin will den Wagen heute noch abholen, und ich habe keine Lust auf ihr Gezeter, sollte er bis dahin noch nicht fertig sein. Wenn du es nicht schaffst, dann kriegst du eine Stunde länger aufgebrummt. Ist das klar?“

Missmutig nickte ich, was hätte ich auch sonst tun sollen?

Ambrose ließ sich zu einem Grinsen hinreißen. Mein säuerlicher Gesichtsausdruck hob seine Laune wohl beträchtlich. „Ich schätze, das wird dich dazu motivieren, schneller zu arbeiten. Habe ich recht?“

Sein raues Lachen hörte sich an, als würde jemand über einen Haufen zerbrochener Glasscherben laufen. Ich unterdrückte den Wunsch, ihm den dürren Hals umzudrehen. Ambrose verhielt sich die meiste Zeit über wie ein gigantisches Arschloch, aber er war nun mal der einzige Verwandte, der sich überhaupt um mich gekümmert hatte, und damit schuldete ich ihm einen gewissen Respekt. Zugegeben, das fiel mir verdammt schwer, aber zumindest schaffte ich es, mir die meiste Zeit meine frechen Kommentare zu verkneifen, außer, er wurde besonders gehässig, dann hielt ich mich auch nicht zurück und gab ordentlich Kontra. Trotzdem hegte ich nicht den Wunsch, meine restlichen Verwandten kennenzulernen. Es gab noch irgendwo ein paar entfernte Cousins und Tanten, doch die interessierten sich einen Scheiß für mich. Sie waren damals noch nicht einmal zu Moms Beerdigung gekommen und wollten auch nichts mit einem heranwachsenden Jugendlichen zu tun haben, der mit seinem Vater sein letztes Elternteil verloren hatte. Ich brauchte sie nicht, niemanden, doch irgendwann würde auch Ambrose den Löffel abgeben und dann wäre ich völlig auf mich allein gestellt. Sosehr mich mein Onkel auch nervte, der Gedanke machte mir Angst.

„Keine Sorge“, beruhigte ich ihn, „die Karre wird rechtzeitig fertig.“

Mehr wollte Ambrose nicht hören. Er schob das Fenster wortlos wieder zu, ehe er mit langsamen Schritten zurück zu seinem Schreibtisch schlich. Ich drehte mich um und lief aus der Werkstatt, ehe er es sich anders überlegte. Draußen lehnte ich mich unter dem Vordach gegen die Wand und schaute zur Seite. Drei Meter neben mir befand sich der Eingang zu Ambroses Büro. Das Schild „Geöffnet“ ruhte regungslos an der äußeren Türverkleidung, nur wenn eine leichte Windböe aufkam, wackelte die Platte an der Kette hin und her.

Ein Haus weiter gab es einen kleinen Musikladen. Ab und zu ging ich da rein. Nicht weil die Auswahl dort besonders toll gewesen wäre, sondern um mir die Langeweile zu vertreiben. Gerade wollte ich mich abwenden, als sich die Ladentür öffnete und Roy herauskam. Er war der Besitzer des schmuddeligen Shops, und im Grunde war sein Laden ein Spiegelbild seiner selbst, und Roy, das musste man leider so sagen, sah wirklich übel aus. Mitte dreißig, schwabbelig und blass wie eine fette Made. Aber heute hat er sich für seine Verhältnisse ungewöhnlich herausgeputzt, und ich grinste, weil sein schlechtsitzender Anzug aussah, als wäre er beim Waschen eingegangen.

Ich hätte mich nicht so auf die Straße getraut, dann lieber meine obligatorischen Jeans und Shirts. An seinem feisten Hals baumelte eine hässliche, gold gepunktete Krawatte, deren Grundfarbe dieselbe Tönung besaß wie sein Zweireiher: ein verwaschenes Straßenköterbraun. An seinem kantigen Kopf klebte aschblondes Haar, in der Mitte gescheitelt und mit Unmengen Haargel in Form gehalten. Ich bemühte mich, möglichst unsichtbar zu sein, und drückte mich fester gegen die Wand. Eine Unterhaltung mit Roy war wirklich das Letzte, wonach mir der Sinn stand. Leider verfolgte mich heute das Pech. Er entdeckte mich nur wenige Sekunden später und lief erfreut auf mich zu.

Es fiel mir schwer, nicht zu türmen. Sein Gesichtsausdruck erinnerte mich immer an einen nach Zuneigung winselnden Hund. Gleich darauf setzte mir mein schlechtes Gewissen zu. Ich wusste nämlich viel zu gut, wie es sich anfühlte, wenn einen die Leute ignorierten. Das war auch der Grund, warum ich trotz meiner mangelnden Motivation blieb, wo ich war. Mann, ich entwickelte mich langsam zu einer echten Pussy.

Nach Luft ringend, was angesichts von Roys beträchtlichem Bauchumfang kein Wunder war, blieb er vor mir stehen. „Zac, klasse, dich mal wieder zu sehen. Machst du gerade Pause?“

„Yep, wollte eine rauchen“, bestätigte ich und versuchte, nicht zu zeigen, wie sehr er mir auf die Nerven ging. „Und du so?“, fragte ich und hätte mich am liebsten selber in den Arsch getreten, weil ich ihm die passende Steilvorlage für eine längere Unterhaltung bot.

„Ich wollte gerade zum Bus. Hab einen Termin in Austin. Bei der Bank“, ergänzte er.

Er fischte ein altmodisches Stofftaschentuch aus der Innentasche seines Jacketts und fuhr sich damit über die schweißnasse Stirn. Obwohl er weder gerannt noch sonderlich schnell gelaufen war, schwitzte er wie ein Schwein. Der Bursche war wirklich bemitleidenswert.

„Bei der Bank! Gibt’s denn was Besonderes?“ Ich fragte, obwohl ich mir denken konnte, warum er sich mit diesen geldgierigen Geiern treffen musste. Entweder brauchte er einen weiteren Kredit oder die elenden Schlipsträger hatten vor, ihm den Geldhahn zuzudrehen.

„Die Bank macht gerade ein bisschen Stress“, gab Roy unverhohlen zu, sein Tonfall klang verbittert. „Weißt du, es kotzt mich so an. Hast du Geld, schieben sie dir noch mehr davon zwischen die Arschbacken, aber für einen einfachen, hart arbeitenden Kerl wie mich haben sie nichts übrig.“

Ich schwieg. Was sollte man einem Mann sagen, der wahrscheinlich in wenigen Stunden vor den Scherben seiner Existenz stehen würde? Da war sogar ich besser dran. Wer nichts besitzt, der hat nicht viel zu verlieren.

„Ich habe einen Brief von denen bekommen“, fuhr er fort, obwohl ich gar nicht nachgefragt hatte. „Sie wollen meine ‚Lage‘ erörtern, weil ich die letzten zwei Raten vom Kredit nicht zahlen konnte. Ich schätze, sie machen mich heute platt.“

Wieder rang ich nach Worten, wusste aber nicht, was ich ihm darauf antworten sollte. Es tut mir leid kam mir so nichtssagend vor. Außerdem hatte ich keine Lust, die Probleme von anderen zu wälzen. Immerhin bekam ich mein eigenes Leben nicht auf die Reihe.

„Vielleicht wird es ja nicht so schlimm.“ Mein Aufmunterungsversuch entlockte ihm ein kleines Lächeln, das ihn sogar sympathisch wirken ließ. Dann deutete ich auf seine Uhr. „Du solltest los, wenn du den Bus noch kriegen willst. Die Kiste fährt immer überpünktlich.“

Roy schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, nachdem er einen raschen Blick auf das Ziffernblatt seiner nachgemachten Rolex geworfen hatte. „Verdammte Scheiße, du hast recht. Ich muss mich beeilen. Wünsch mir Glück!“

Er hob die Hand zum Abschied und watschelte im Eiltempo davon. Mit einer Mischung aus Erleichterung, Mitleid und angewiderter Faszination verfolgte ich seinen Abgang. Kaum zu glauben, aber es gab in dieser Stadt tatsächlich noch einen Menschen, dem es wohl noch schlechter ging als mir.

Kopfschüttelnd und ohne Eile fischte ich meine Kippen aus meiner verdreckten Hose. Ich schüttelte die Packung, bis eine der Zigaretten herausragte, klemmte die Lippen um den Filter und zog sie raus. Gleich darauf hörte man das Klicken meines aufschnappenden Feuerzeugs. Die Flamme des Zippos ließ das Ende der Zigarette rot aufleuchten, ehe sich die Glut unaufhaltsam durch den zusammengepressten Tabak und die helle Papierhülle fraß.

Tief inhalierte ich den Rauch und wartete auf die entspannende Wirkung des Nikotins. Die setzte nur Sekunden später ein. Oh ja, das war fast so gut wie ein Orgasmus. Das Gift breitete sich in meinem Körper aus, beruhigte mich. Deutlich entspannter lehnte ich den Kopf gegen die kahle Hauswand und betrachtete die endlos wirkende Straße, die sich vor mir erstreckte. Sie verlief schnurgerade, und wenn man ihr folgte, dann führte sie auf direktem Weg aus dieser bigotten Vorstadthölle heraus. Es gehörte zu meiner ehrlichen Überzeugung, dass es keinen langweiligeren und heuchlerischeren Ort auf der Welt gab als Milton Oaks. Wäre ich bei Verstand, hätte ich mich noch heute in meinen Mustang gesetzt, um den ganzen Scheiß hinter mir zu lassen. Dazu fiel mir auch ein Satz ein, den meine Mom immer benutzt hat, bevor sie so krank und bettlägerig geworden war: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Aber bei dreißig Grad im Schatten ließ mich die Motivation im Stich und seit ihrem Tod waren diese Worte ohnehin zu einer bedeutungslosen Floskel verkümmert. Wahrscheinlich würde sie mir in den Arsch treten, wenn sie wüsste, was aus mir geworden war. Manchmal stellte ich mir die Frage, wie sich mein Leben entwickelt hätte, wenn sie nicht so früh gestorben wäre, aber ihr Tod hatte mich schlagartig aus meinem heilen Kinderalltag gerissen, hinein in eine Welt, die so kalt und grausam war, dass ich manchmal daran verzweifelte.

Ich verscheuchte diese deprimierenden Gedanken und sah mich um. Mittags waren nur wenige Menschen unterwegs, sie verließen die klimatisierten Geschäfte und Wohnungen nur dann, wenn es unbedingt sein musste. Ich richtete meinen Blick auf die Aneinanderreihung von gleichförmigen Gebäuden, die lieblos den Straßenverlauf säumten. Obwohl ich Milton Oaks bis zum Erbrechen auswendig kannte – jeden Baum, jeden Strauch und jeden beschissenen Wasserhydranten – konnte ich trotzdem nicht aufhören, nach etwas zu suchen, das anders aussah als gewohnt. Und jedes Mal musste ich einsehen, dass ich nichts finden würde.

Gefrustet schnippte ich mit dem Finger gegen die Kippe und ein feiner Ascheregen segelte dem Boden entgegen. Ein gleichmäßig brummendes Motorengeräusch weckte meine Aufmerksamkeit, und mein Blick fiel auf einen gepflegten Ford Galaxy, der an mir vorbeifuhr. Der Fahrer schlich in Schrittgeschwindigkeit die Straße entlang. Neugierig starrte ich in das Innere. Am Steuer saß ein Kerl mittleren Alters mit beginnender Stirnglatze und unglaublich verbissenem Gesichtsausdruck. Auf dem Beifahrersitz entdeckte ich eine blond gelockte Frau, die wild gestikulierend auf ihn einsprach. Es war offensichtlich, dass die beiden sich stritten, doch es war nicht dieses Pärchen, das meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern das Kind, das sich im Rücksitz des Wagens befand. Ein Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Sie blickte seitlich aus dem Fenster, direkt in meine Augen, und der Anblick ihres traurigen kleinen Kindergesichts erinnerte mich an mich selbst. Mein Bauch fühlte sich ganz hohl an vor Mitleid. Ich kannte diesen Blick, in ihm verbargen sich Angst, Kummer und Hoffnungslosigkeit. Am liebsten hätte ich diesen verdammten Wagen angehalten, die Eltern an den Haaren herausgezerrt und sie gezwungen, ihr Kind anzusehen. Richtig anzusehen.

Ich zwinkerte ihr aufmunternd zu und lächelte. Sofort huschte ein entzücktes Grinsen über ihr Gesicht. Ja, ich konnte gut mit Frauen, egal welcher Altersklasse. Zaghaft hob die Kleine ihre Hand und winkte mir zu, dann beschleunigte ihr Vater auf einmal und der Blickkontakt brach ab.

Dieses kurze Zwischenspiel war so typisch für Milton Oaks. Die Menschen hier waren oft rücksichtslos, gedankenlos. Einige von ihnen schienen nur Glück zu empfinden, wenn sie mit dem Finger auf andere zeigen konnten. Ich musste es wissen. Schließlich lief ich seit Jahren als lebende Zielscheibe herum, obwohl die meisten noch nicht einmal meinen richtigen Namen kannten.

Für sie war ich nur der Sohn von Jonah, dem Säufer, und die Scham darüber brannte noch heißer als die glühende Sonne über Texas.

Kapitel 2

Du bist genauso nutzlos wie dein Dad!

Verdammt, wie oft musste ich mir diesen bescheuerten Satz schon anhören? Unzählige Male, vor allem dieses Arschloch von Schuldirektor, Mr. Kilbourne, drückte mir mit Vorliebe diese Beleidigung rein, sobald sich unsere Wege kreuzten. Ich habe bis heute nicht verstanden, was einen erwachsenen Menschen dazu bringt, einen Jugendlichen derartig anzugehen. Anfangs war ich nicht in der Lage gewesen, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen, aber als ich heranwuchs und ihn schon bald an Körpergröße und Kraft übertraf, wurden seine Attacken weniger, bis er schließlich ganz aufhörte, mich zu malträtieren. Heute traute er sich nicht mehr, mich zu provozieren, weil der Feigling ganz genau wusste, dass ich ihm dafür die Nase brechen würde. Hin und wieder hoffte ich sogar darauf, dass er mir einen Grund lieferte, ihm endlich seinen mageren Hintern aufzureißen, dann hätten er und die anderen Lästermäuler wenigstens ein echtes Argument gehabt, um mich als weißen Abschaum zu betiteln.

Mehr war ich nicht für sie. Armes weißes Pack … so nannte man diejenigen, die nicht der angesehenen Mittelschicht angehörten und die von der Hand in den Mund lebten. Dabei hatte ich – mal abgesehen von einer kurzen rebellischen Phase – nie etwas getan, um dieses Stigma zu verdienen. Scheinbar reichte es schon aus, den falschen Vater zu haben, um Vorurteile bei anderen zu wecken. Das war es nicht immer so gewesen, ich konnte mich noch vage an eine Zeit erinnern, in der man mir nicht mit Verachtung begegnet war, doch der Tod meiner Mutter veränderte alles.

Zuerst waren sie noch voller Mitleid. Einige verwitwete oder ledige Frauen bedachten mich damals mit überfürsorglichen Blicken, brachten Kuchen und tätschelten mir die Wangen. Mir war anfangs nicht klar, dass sie hofften, sich bei meinem Dad einschleimen zu können. Vor seiner Sauferei war er ein wirklich gut aussehender Teufelskerl gewesen, und seine Attraktivität war das einzig Nützliche, das ich von ihm geerbt hatte. Jedenfalls hätte er damals jede von diesen Schnallen haben können, doch statt sich in die ausgebreiteten Arme einer frustrierten Vorstadthausfrau zu werfen, jagte er diese falschen Weiber alle zum Teufel und machte auch keinen Hehl aus seiner Verachtung für diese peinliche Anbiederei. Von diesem Zeitpunkt an begann mein Leidensweg. Sie hetzten gegen ihn, doch mein Dad konnte ziemlich ungemütlich werden, wenn man ihn beleidigte, also suchten sie sich ein schwächeres Opfer und stürzten sich eben auf mich. Das geschah zu einer Zeit, in der Mobbing noch keinen Gebrauch im täglichen Wortschatz fand.

Im Grunde war es scheißegal, wie man es nannte. Für mich war es die Hölle. Der zunehmende Alkoholkonsum meines Vaters wirkte sich ebenfalls negativ auf mich aus. Andere Kinder durften nicht mehr mit mir spielen, sie hänselten mich, wenn mein Dad mal wieder volltrunken aus der Bar flog, und ich blieb immer mehr mir selbst überlassen. Zu viel Verantwortung für einen knapp Zehnjährigen, obwohl ich durchaus klarkam. Ich konnte mir Dosen aufwärmen und die Waschmaschine bedienen, sodass ich nicht in schmutzigen Klamotten rumlaufen musste. Doch sie wurden mit der Zeit immer löchriger, und natürlich passte mir schon bald nichts mehr, weil ich einen Wachstumsschub nach dem anderen bekam. Anstatt mich neu einzukleiden, investierte mein Dad sein Geld in Whiskey und andere alkoholische Getränke. Die Frau des Pastors versorgte mich zum Glück mit gebrauchten Kleidern, ohne sie wäre ich wohl irgendwann nackt rumgelaufen, doch wenn all die anderen Kids in brandneuen Markenklamotten rumliefen, weiß man so was nicht zu schätzen. Ich wurde als Penner oder Bettler bezeichnet. Mit jeder gemeinen Bemerkung starb etwas in mir, bis ich mir nur noch mit den Fäusten zu helfen wusste und jedem eine aufs Maul gab, der mir dumm kam.

Mein sozialer Abstieg war also vorprogrammiert, und Direktor Kilbourne, der mich aus irgendeinem mir unbekannten Grund wie die Pest hasste, trug seinen Teil dazu bei, indem er mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit schikanierte. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass dieses Arschloch nur so gemein zu mir war, weil seine Frau zu Hause die Hosen anhatte. Also tobte er seinen Geltungsdrang an seinen Schülern aus, denn zumindest an der Highschool hielt sich seine Frau Elizabeth – sie arbeitete im Sekretariat der Schule – zurück. In Milton Oaks befanden sich aufgrund der überschaubaren Anzahl von Schülern die unterschiedlichen Stufen in einem Gebäude, deswegen gab es auch kein Entkommen, als ich älter wurde und von der Middle School auf die Junior High School wechselte. Ich musste Kilbourne und seine vertrocknete bessere Hälfte weiterhin ertragen, bis ich mit Ach und Krach meinen Abschluss schaffte und sie endlich loswurde. Wenn die neuesten Gerüchte stimmten, dann würde dieser verknöcherte und gealterte Haufen von Lehrern demnächst Zuwachs bekommen, und zwar in Gestalt von Paul Kilbournes Tochter Cathy.

Ihr Daddy hatte ihr einen Job an seiner Schule besorgt und jetzt konnte die Kilbourne-Familie bald zu dritt ihr Unwesen treiben. Ein wahres Trio Infernale, das sich erst in einigen Jahren wieder auflösen würde, wenn sich der Direx und seine schreckliche Ehefrau endlich zur Ruhe setzten. Alle waren überzeugt davon, dass Cathy ihn eines Tages als Direktorin beerben würde. Die armen Kids. Kilbournes Tochter war genauso eingebildet und bieder wie ihre Eltern und ich hatte sie während ihrer Abwesenheit keine Sekunde vermisst.

Verdammt, ich konnte dieses staubtrockene Gelaber, das sie immer von sich gab, auf den Tod nicht ausstehen. Dass sie sich für einige Jahre aufs College verzogen und nach ihrem Abschluss an einer Privatschule gearbeitet hatte, war in meinen Augen ein Geschenk des Himmels gewesen. Diese hochnäsige Prinzessin ging mir nämlich mächtig auf die Eier. Cathy Kilbourne bedeutete immer Ärger. Zumindest für mich.

Cathy is back, sang eine Stimme in meinem Kopf, und ich verzog angewidert den Mund, als ihr – zugegeben ziemlich hübsches – Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchte. Ich war nicht sonderlich scharf darauf, meine alte Intimfeindin wiederzusehen. Aber selbst wenn, würde es wohl keinen Unterschied machen. Meistens behandelte sie mich ohnehin wie Luft. Wenn sie sich in der Vergangenheit mal dazu herabgelassen hatte, mit mir zu sprechen, dann nur mit hochmütiger Stimme und angeekelt verzogener Miene, als wäre ich ein widerwärtiger Wurm. Ich gehörte eben nicht dazu. So einfach war das.

Außerdem gab es noch weitere negative Punkte, die ein Mädchen wie Cathy davon abhielten, sich mit mir abzugeben. Abgesehen von meinen zahlreichen Fehlern – und die hatte ich zweifellos –, war mein bester Freund auch noch ein spanischstämmiger Einwanderer. Der Kontakt zu ihm machte mich zusätzlich zum Außenseiter. Doch ich hatte mich nie von diesem versteckt brodelnden rassistischen Scheiß anstecken lassen und traf mich regelmäßig mit Gabriel in Austin. Er selbst kam nur selten hierher. In Milton Oaks gab es nicht viele Möglichkeiten, sich zu amüsieren. Als ob er geahnt hätte, dass ich genau in dieser Sekunde an ihn dachte, vibrierte das Handy in der Tasche meiner Jeans und ich sah seinen Namenszug auf dem Display. Die Zigarette schräg im Mundwinkel hängend, holte ich es hervor.

„Was gibt’s?“ Ich legte mir die Kippe zwischen Zeige- und Mittelfinger zurecht und nahm noch einen tiefen Zug.

„Zac, Amigo, was sagen denn deine Frauen dazu, wenn du dich so meldest?“

Grinsend amüsierte ich mich über den Plural, dabei schleppte ich schon lange nicht mehr alles ab, was mir mit gespreizten Beinen vor die Füße fiel. Eigentlich wusste Gabe das auch, doch er zog mich gerne mit meiner bewegten Vergangenheit auf.

„Bis jetzt hat sich noch keine beschwert“, erwiderte ich und das entsprach tatsächlich der Wahrheit. Je fieser ich mich verhielt, umso heißer wurden sie auf mich. Es war ein Widerspruch in sich, den ich nie kapieren würde.

„Dann kannst du dich ja glücklich schätzen“, frotzelte Gabriel mit humorvollem Unterton in der Stimme. „Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass meine kleine Schwester fast explodiert vor Eifersucht, weil dir alle Frauen so hinterherrennen?“

Ja, ungefähr eine Million Mal schon.

Teresa, Gabes kleine Schwester, war ein bezauberndes Ding, hübsch, sexy und ziemlich besitzergreifend, obwohl zwischen uns überhaupt nichts lief. Es lag nicht an ihr, wäre sie nicht Gabriels Schwester gewesen, hätte ich sie schon längst flachgelegt, doch ich wollte ihn noch eine Weile als Freund behalten und deswegen ließ ich die Finger von ihr. Allerdings hinderte mein abweisendes Verhalten sie nicht daran, mich unverhohlen anzuschmachten. Eigentlich fühlte ich mich geschmeichelt, nur ihre Eifersucht auf jedes weibliche Wesen in meiner Nähe nervte.

Dabei vögelte ich wirklich nicht mehr so wild in der Gegend herum. Klar, ich kam noch reichlich auf meine Kosten, doch ich musste nicht mehr um jeden Preis ein Mädchen abschleppen, wenn ich feiern ging. Vor allem in Milton Oaks hielt ich mich zurück. Falls ich mich doch mal zu einer Affäre mit einer Frau aus dem Ort hinreißen ließ – aktuell hatte ich was mit Scarlett Newport, der Frau des Sheriffs – dann war es nichts Dauerhaftes, und jede von ihnen wusste genau, wie das ablief. Ficken, Spaß haben und dann ging jeder wieder seiner Wege. Trotzdem konnte mir kaum eine widerstehen, und sie hoben die züchtigen Röcke schneller, als mir das manchmal lieb war. Scarlett Newport gehörte jetzt in meinen Milton Oaks Women’s Club, und das schon viel länger als ursprünglich geplant. Irgendwie hatte sich diese Affäre verselbstständigt, und ich schaffte den Absprung nicht, obwohl ich rein gar nichts für sie empfand. Scarlett war ein Biest, aber auch verdammt talentiert im Bett, und da sie bis an ihr Lebensende an Sheriff Newports Arschbacken klebte, lief ich nicht Gefahr, dass sie plötzlich anfing, von einem Häuschen, weißen Gartenzäunen und kleinen Nachkömmlingen zu fantasieren. Nichtsdestotrotz klammerte sie in letzter Zeit immer mehr. Wenn ich nicht aufpasste, konnte es übel für mich enden. Frauen waren bei diesem ganzen Beziehungsscheiß unberechenbar.

„Sag mal, bist du noch dran oder sprichst du einfach nicht mehr mit mir?“

Gabes gutmütige Frage lenkte mich von meinem komplizierten Sexleben ab. „Sorry, bin gedanklich ein bisschen abgedriftet“, erwiderte ich schnoddrig. „Gibt’s was Besonderes oder rufst du einfach so an?“

Gabriel lachte rau. Frauen aller Altersklassen bekamen dabei reihenweise feuchte Höschen und er nutzte seine Wirkung aufs weibliche Geschlecht gnadenlos aus. 

„Ich wollte nur mal fragen, ob du heute Abend schon was vorhast. Die Jungs und ich wollen noch ein bisschen um die Häuser ziehen. Komm doch auch. Wir könnten bei meiner Mom zu Abend essen. Sie und Teresa haben auch schon große Sehnsucht nach dir.“

In mir machte sich ein warmes Gefühl breit, obwohl mich Gabes Versuche, mich mit seiner Schwester zu verkuppeln, langsam ärgerten. Eigentlich müsste er versuchen, sich seine freche kleine Schwester auf den Rücken zu binden, damit die Kleine nicht Gefahr lief, eines Tages unter mir zu liegen. Wir kannten uns jetzt schon so lange, und er wusste doch, wie ich tickte. Ich hatte nun mal keine Lust auf Ehe und den ganzen Kram. Meinen Dad hatte die tiefe Liebe zu meiner Mutter am Ende das Leben gekostet, weil er zu schwach gewesen war, um ohne sie auszukommen.

Ich würde den Teufel tun und den gleichen Fehler begehen. Doch die absurde Idee, ich wäre der perfekte Schwager, hatte sich irgendwie in Gabriels Kopf festgesetzt. Er versuchte nicht mal, Teresas offenkundige Annäherungsversuche zu verhindern oder sie für ihr teilweise echt schamloses Verhalten zu rügen. Im Gegenteil! Er präsentierte sie mir auf dem Silbertablett und machte es mir dadurch doppelt schwer, ihr zu widerstehen. 

Gerade in den letzten Monaten war die Kleine zumindest körperlich erwachsen geworden. Sie stand, wie man so schön sagte, in ihrer vollen weiblichen Blüte. Honigfarbene Haut, weich wie Seide und bestimmt verdammt großartig anzufassen, dazu dunkel glühende und leidenschaftliche Augen – die nicht mal einen Bruchteil ihres Temperaments offenlegten – und Brüste, bei deren Anblick sich mein Schwanz auf Kommando verhärtete. Teresa Lopez war die pure Versuchung auf zwei Beinen, und ich hätte eigentlich nichts lieber getan, als stundenlang Sex mit ihr zu haben. Wenn sie sich in meiner Nähe befand, hatte ich immer dicke Eier – und die kleine Göre wusste das auch. Allerdings war mir die Freundschaft zu Gabe heilig. Die wollte ich nicht riskieren, weil ich es unter Garantie versauen würde. Abgesehen davon hatte ich die Kleine wirklich gern und diese Sympathie war bislang stärker als die Lust auf einen bestimmt sensationellen Fick.

„Ich schätze, Teresa und deine Mutter werden sich noch ein bisschen länger gedulden müssen“, erwiderte ich und versuchte, die Sprache wieder auf ein weniger verfängliches Thema zu lenken. „Ich weiß noch nicht, wann ich vorbeikomme. Sag der frechen Göre, sie muss sich heute jemand anderen suchen, dem sie auf den Geist gehen kann.“

Gabe war nicht sauer, weil ich so über seine jüngste Schwester sprach. Stattdessen redete er mir ins Gewissen.

„Zac, wieso versuchst du es nicht einfach mit ihr?“, fragte er mit eindringlichem Ernst in der Stimme. Der humorvolle Unterton war komplett verschwunden. „Du weißt, sie ist verliebt in dich, und glaub mir: Teresa wird nicht aufgeben, bis sie einen Ring von dir am Finger hat. Hast du diese Einsamkeit nicht satt?“

„Wer sagt denn, dass ich einsam bin?“, parierte ich und legte den Kopf in den Nacken, um in den wolkenlosen Himmel zu schauen. Die Wendung, die dieses Gespräch gerade nahm, gefiel mir gar nicht.

„Mir machst du nichts vor. Du bist doch nicht umsonst so oft bei uns. Du bist einsam, Amigo. So sieht’s aus.“

„Schwachsinn!“

„Kein Schwachsinn, sondern die reine Wahrheit. Komm schon, greif zu! Sie wäre eine tolle Ehefrau. Meine Schwester ist bildschön, sie kann kochen und sie wäre eine wundervolle Mutter. Außerdem kriegst du noch eine Familie gratis dazu, die dich vergöttert. Meine Mama würde dich am liebsten selbst heiraten.“

Das Bild, das er zeichnete, gefiel mir, trotzdem hatte ich zu viel Angst davor, obwohl ich mich im Grunde danach sehnte, ein Teil von irgendetwas zu sein und damit nicht mehr allein. Scheiße, Gabe hatte recht, ich war einsam. Manchmal. Aber wohl noch nicht einsam genug. Ich spürte instinktiv, dass eine Beziehung mit Teresa nicht gut gehen würde. Die Kleine konnte einem mit ihren Launen und ihrem Temperament den Verstand rauben. Schon jetzt war absehbar, was uns nach ein paar Jahren erwarten würde – Streit, Verbitterung und eine Scheidung, die mich wahrscheinlich meinen letzten mickrigen Cent kosten würde. Doch am meisten fürchtete ich die Möglichkeit, meine Freundschaft zu Gabe zu zerstören. Er war die einzige Konstante in meinem Leben, mein einziger Anker, wenn es hart auf hart kam. Doch das verstand der Trottel einfach nicht und stocherte immer weiter in der offenen Wunde herum.

„Gabe, wenn du die Ehe so toll findest, dann heirate doch selbst.“

In Gabes Stimme schlich sich bitterer Ernst. „Das werde ich auch, eines Tages, und dann werde ich haufenweise kleine Klone von mir in die Welt setzen. Aber bis dahin“, plötzlich klang er wieder so fröhlich und charmant wie immer, „genieße ich so viele Frauen wie nur möglich.“

„Amen.“ Das blieb mein einziger Kommentar zu dem Thema.

„Bist du sicher, dass du nicht nach Austin kommen willst? Wir würden eine Menge Spaß haben.“

Kurz dachte ich darüber nach, doch Scarlett hatte mir schon eine SMS geschrieben, und mit der war nicht gut Kirschen essen, wenn man sie abwies. Ich entschied mich für den diplomatischen Weg.

„Ich überleg es mir noch. Falls du nichts mehr von mir hörst, hat Scarlett gewonnen.“
Bei der Erwähnung dieses Namens hörte ich Gabes abfälliges Schnauben, das selbst durchs Handy nichts von seiner Geringschätzigkeit verlor. Mein Kumpel hasste Scarlett, seit ich sie mal mit nach Austin genommen hatte. Er konnte nichts mit ihrer überkandidelten Art anfangen, aber ich traf mich auch nicht mit ihr, um tiefschürfende Gespräche zu führen. Unsere Unterhaltungen beschränkten sich auf ein „Hallo“, ein wenig sinnfreien Smalltalk und auf ein lapidares „Bis bald“. Dazwischen gab es Sex … viel Sex.

„Hast du immer noch was mit der Schlampe laufen?“, motzte Gabe unwirsch.

„Hey, so schlimm ist sie nicht.“ Meine Verteidigung klang recht lahm. Wenn ich ehrlich war, konnte ich nicht leugnen, was für ein niederträchtiges Biest sie sein konnte. Immerhin betrog sie ihren Mann, ohne die geringsten Gewissensbisse zu zeigen. Da ich es hasste, mich für meine Affäre mit ihr rechtfertigen zu müssen, beeilte ich mich, das Gespräch zu beenden, bevor es noch zu einem Streit kam. Wenn es um Scarlett ging, konnte Gabe ganz schön eklig werden.

„Wie gesagt, ich weiß noch nicht, ob ich heute Abend komme. Aber nächste Woche bestimmt.“

Gabe brummte nur leise, verabschiedete sich und ich steckte das Handy schlecht gelaunt zurück in meine Hosentasche. Scheiße, er war sauer! Ich rieb mir den Nacken und verzog das Gesicht. Ich hasste es, wenn wir Unstimmigkeiten hatten. Unwillkürlich musste ich an unsere allererste Begegnung in einer ziemlich abgefuckten Kneipe in Austin denken. Wir waren wegen einer ziemlich heißen Braut in Streit geraten und hatten uns ihretwegen geprügelt. Nachdem das Miststück allerdings mit einem anderen Kerl verschwunden war und wir beide leer ausgingen, hörten wir damit auf, uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, und ertränkten unser Leid mit ein paar Bier. Der furiose Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Eine Zeit lang hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mich bei Gabe einzuquartieren, doch ich war zu stolz, um meinem Freund auf der Tasche zu liegen, und Jobs lagen aufgrund meines mittelmäßigen Schulabschlusses nicht auf der Straße herum. In Austin gab es zwar einige Werkstätten, doch nur aufgrund meiner Behauptung, ein Genie auf diesem Gebiet zu sein, würde mich niemand einstellen, und auf Ambroses Unterstützung in Form eines guten Zeugnisses konnte ich sicher auch nicht bauen. Der würde mir höchstens Eiterbeulen am Hintern wünschen und kein neues Leben. Also vegetierte ich weiterhin in Milton Oaks vor mich hin, genau wie der Fisch aus meinem Traum. Keine Chance auf einen Neuanfang. Ich fühlte mich hier lebendig begraben. Heftig zog ich am zusammengeschrumpften Stummel meiner Zigarette und sah den Rauchschwaden dabei zu, wie sie langsam hochstiegen, um dann einfach zu verpuffen.

Scheiße, mir ging es wirklich mies heute. Zu viele deprimierende Gedanken, die mich runterzogen, und diese Hitze machte alles nur schlimmer. Blöde Sonne. Mit der Präzision eines Flammenwerfers verbrannte sie seit Wochen die Erde, bis das Gras nur noch aus braunen Überresten bestand. Überall beschissenes Braun, wohin man blickte. Ich winkelte mein rechtes Knie an und stemmte den Fuß gegen die Wand, um mich ein wenig bequemer zu positionieren.

Gedanklich wog ich Gabes Einladung gegen ein Sexdate mit Scarlett ab. Ihr Alter war auf einer Polizeitagung in Dallas. Wir hätten es zur Abwechslung mal im Ehebett treiben können anstatt in meiner Wohnung. Die Idee, sich einen Fick in Newports Bett zu leisten, gefiel mir. Ich konnte dieses Arschloch nicht ausstehen. Sheriff Newport war dümmer als ein Satz kaputter Reifen. Der Bursche trug seine Eier in seinem Pistolenhalfter spazieren, anstatt in seiner Feinrippunterhose und kam sich dabei auch noch toll vor. Ohne seine dämliche Waffe war er aber nur ein halber Mann, und der Trottel merkte nicht mal, dass seine Frau ihm regelmäßig Hörner aufsetzte. Er ging völlig darin auf, irgendwelchen Parksündern aufzulauern, kleine Ladendiebstähle im Supermarkt aufzuklären oder er schikanierte die Bewohner der Stadt mit völlig überflüssigen Verkehrskontrollen. Und dann kümmerte er sich noch hingebungsvoll um seine Kampfhunde, die er mehr liebte als irgendeinen Menschen auf diesem Planeten. Seine Ehefrau eingeschlossen.

Scarlett war dementsprechend einsam und suchte ständig nach Zerstreuung. Lange bevor es zu einem realen Kontakt zwischen uns gekommen war, hatte sie mir laszive Blicke zugeworfen. Doch ich hatte anfangs Skrupel, die Frau des Sheriffs zu vögeln. Eines Tages war sie in der Werkstatt aufgetaucht und hatte mir schneller die Hose runtergezogen, als ich Luft holen konnte. Das war ein halbes Jahr her, und jetzt wusste ich nicht, wie ich sie am elegantesten wieder loswerden konnte. Ich schätzte Scarlett als nachtragend und gehässig ein; wenn ich diese Affäre beendete, durfte ich sie auf gar keinen Fall kränken. Ich traute ihr durchaus zu, dass sie aus verletzter Eitelkeit ihrem Mann alles beichtete, nur um sich an mir zu rächen.

Mit der Spitze meines Turnschuhs kickte ich einen Kieselstein auf die Straße und sah dabei zu, wie er hüpfend auf dem Beton aufprallte, bis er bewegungslos liegen blieb. Unzufrieden stieß ich mich von der Wand ab, ging mehrere Schritte und fühlte mich ruhelos, rastlos.

Am liebsten hätte ich laut geschrien. Das war also mein Leben. Ein Job als Mechaniker, ab und zu ein paar Runden durch die Kneipen von Austin und zahllose Frauenbekanntschaften, die nur zum Vögeln taugten. Ich fragte mich ernsthaft, ob das alles gewesen sein sollte. Es gab eine Art ungeschriebenes Gesetz unter den jungen Leuten hier: Wenn man es mit dreißig noch nicht geschafft hatte, hier rauszukommen, dann hieß das Endstation. Ich war jetzt fünfundzwanzig, mir lief die Zeit davon.

Apropos Zeit! Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass ich meine Zigarettenpause schon längst überzogen hatte. Gleich darauf vernahm ich die schlurfenden Schritte meines Onkels. Scheiße, in der Hinsicht war auf Ambrose wirklich Verlass. Saß der Kerl mit einer Stoppuhr in seinem Büro und zählte die Sekunden?

„Hey, sag mal, willst du da draußen Wurzeln schlagen?“, schimpfte er, sobald er mich entdeckte. „Das verdammte Auto repariert sich nicht von allein. Also schwing deinen Arsch in die Werkstatt und mach endlich deine Arbeit, du Nichtsnutz.“

Großartig! Der elende Drecksack führte sich auf wie der liebe Gott. Angepisst pfefferte ich den Zigarettenstummel auf die Straße und wandte mich um.

„Reg dich ab, ich komm ja schon!“

Wir standen uns jetzt gegenüber und ich betrachtete Ambroses Visage aus nächster Nähe. Auf seiner Stirn pochte eine Ader und eine Beule ragte links oben heraus. Es war eine harmlose Wucherung, man hätte sie problemlos entfernen können, doch er hatte zu viel Schiss vor einer OP. Leicht angewidert starrte ich darauf, der Anblick war wirklich eklig, aber wie meistens waren es die hässlichen Dinge im Leben, die die größte Faszination auf Menschen ausübten.

„Ich mach die Kiste gleich fertig, Ambrose. Schick die Kundin einfach zu mir, sobald sie da ist.“

Spöttisch salutierend stapfte ich an ihm vorbei zurück in die Werkstatt.

Eine Stunde später rollte ich unter dem Wagen wieder hervor. Der routinemäßige Check am Fahrzeug war zufriedenstellend verlaufen und mein Shirt klebte klatschnass geschwitzt an meinem Oberkörper. Stöhnend hievte ich mich hoch und ging mit schwerfälligen Schritten zum mittlerweile gräulich verfärbten Kühlschrank, der leise surrend in der Ecke stand. Die Jalousien in der kleinen Halle waren halb heruntergelassen und hielten zwar das grelle Licht ab, aber keineswegs die erstickende Hitze, die sich durch sämtliche Ritzen stahl. Die Lücken zwischen den Lamellen warfen schraffierte Muster auf den Boden und die schwüle Feuchtigkeit im Raum machte mir jetzt echt zu schaffen.

Im Laufen zog ich mir das Shirt aus, und sobald ich den Kühlschrank erreichte, riss ich die Tür auf. Nach dem ersten Kälteschock fühlte ich die eisige Luft auf meiner Haut. Ich griff mir eine der Wasserflaschen, schraubte sie auf und trank sie innerhalb von Sekunden leer. Nicht so gut wie Bier, aber für den Moment okay. Das Shirt in der einen Hand und die leere Plastikflasche in der anderen drehte ich mich um. Scheppernd landete der Wasserbehälter auf dem Boden, als mein Blick auf die unnahbar wirkende Blondine fiel, die plötzlich mitten in der Werkstatt stand. Heilige Scheiße, entweder hatte ich einen Hitzschlag oder ich blickte gerade tatsächlich auf die selbst ernannte Prinzessin von Milton Oaks. Catherine Kilbourne.

„Hast du dich verlaufen oder wolltest du endlich mal einen echten Kerl aus der Nähe sehen?“

Ich verzog die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln, während sie mich seltsam unsicher musterte und dabei nur schwer die Augen von meiner nackten Brust abwenden konnte. Um sie in Verlegenheit zu bringen, ließ ich die Muskeln arbeiten, und die zunehmende Röte auf ihren Wangen bestätigte meine ungebrochene Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Die Frauen fuhren auf mich ab. Nicht mal Cathy konnte wegsehen, wenn ich mit nacktem Oberkörper vor ihr stand, und da die ständige Arbeit in einer Werkstatt an den Motoren ziemlich kraftraubend sein konnte, verfügte ich über ein paar ganz ansehnliche Muskeln. Die Kleine kannte wohl nur die mageren Hühnerbrüste ihrer Collegeboys. Ein weiteres Mal ließ ich meine Muskeln zucken und fühlte mich ihr so was von überlegen, sobald sich ihre Augen verschleierten. Schluss mit lustig. Wenn es Miss Sauberfrau die Sprache verschlagen hatte, dann musste ich diesen Vorteil ausnutzen.

Kapitel 3

Cathy räusperte sich vernehmlich und brachte ihre Gesichtszüge unter Kontrolle. Sie wirkte wieder so unnahbar wie eh und je und trat etwas näher. Dabei blickte sie mir direkt in die Augen – nicht mehr auf meine ausgeprägten Bauchmuskeln oder die Oberarme. Schade eigentlich, es wäre interessant gewesen, wie weit ich dieses Spielchen hätte treiben können.

„Ich bin hier schon richtig“, antwortete sie und verringerte den Abstand zwischen uns. Ich grinste kalt und begutachtete sie eingehend. Es war schon eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal begegnet waren, bestimmt schon zwei Jahre oder mehr. Hier, in der abgedunkelten Werkstatt, umgeben von Autos, Reifen und dem Geruch von Motorenöl, kam sie mir mit ihrem hellblonden, schulterlangen Haar und der zarten, fast schon durchscheinenden Haut vor wie eine überirdische Erscheinung. Sie sagte kein Wort mehr, dafür erwiderte sie meine taxierenden Blicke. Das irritierte mich. Ich gab es ja ungern zu, aber in gewisser Weise schüchterte sie mich ein. Cathy schien immer irgendwie über den Dingen zu stehen, wirkte stets so sauber und adrett. Mit ihrer Anwesenheit erhellte sie diesen verdreckten Ort, als wäre sie ein Silberstreif am Horizont.

Mir waren meine eigenen Gedanken peinlich, genauso wie die unwillkommene Verwirrung, die ihre Gegenwart in mir auslöste. Vor allem, als sie immer näher an mich heranrückte. Trotz der Schwüle in der Halle verströmte sie einen leichten, blumigen Duft, der sich wie ein sanfter Hauch über alles legte, was sich in ihrer Reichweite befand. Dieser verlockende Cocktail aus Frau und lieblicher Unschuld strömte aus sämtlichen Poren ihrer Haut. Als wäre Parfüm etwas für Dummköpfe, die ihr Geld sinnlos aus dem Fenster warfen. Cathys ganz eigene persönliche Note konnte mühelos mit all diesen zusammengepantschten Duftwässerchen mithalten, die massenhaft zu völlig überteuerten Preisen in den Regalen der Kaufhäuser herumstanden. Abwartend sah ich sie an, lauerte darauf, dass sie endlich das Wort ergriff.

Nun, den Gefallen tat sie mir tatsächlich und der Klang ihrer melodischen Stimme fuhr mir direkt in den Schwanz … verdammt noch mal.

„Ich muss sagen, das ist mal ein reizender Empfang nach so langer Zeit“, sagte sie und lächelte, was mich ehrlich gesagt nur noch mehr verwirrte. „Ich freu mich trotzdem, dich wiederzusehen, Zac.“

Bildete ich mir das nur ein oder stieg die Temperatur gerade um ein paar Grad an? Jedenfalls wurde mir noch wärmer. Das wühlte mich dermaßen auf, dass ich ihren verheißungsvollen Augenaufschlag mit klirrender Kälte erwiderte. Eine verführerisch lächelnde Cathy Kilbourne – ich litt ganz sicher unter Wahnvorstellungen. 

Verärgert, weil ich mich so irremachen ließ, zog ich meine Augenbrauen zu einer grimmigen Linie zusammen und spürte, wie die leise Ungeduld, die ich schon den ganzen Tag über in mir fühlte, sich zu einem ärgerlich drückenden Knoten in meinem Magen formte.

„Lass den Scheiß, und sag mir einfach, was du hier willst.“

Ich war schlichtweg sauer über ihre Anwesenheit. Wie zum Teufel sollte ich ihr aus dem Weg gehen, wenn sie es nicht genauso handhabte? Mein Blick musste wohl etwas Mörderisches ausstrahlen, denn Cathy brachte sich mit zwei Schritten rückwärts aus meiner unmittelbaren Reichweite. Gleich darauf hob sie die Hände, als wollte sie sich ergeben.

„Meine Güte, Zac, jetzt stell dich nicht so an. Du könntest wenigstens so tun, als ob du dich über meine Rückkehr freust.“

„Soll ich jetzt Freudentänze veranstalten, weil sich die Eisprinzessin von Milton Oaks dazu herablässt, mit mir zu reden?“

Sie runzelte die Stirn. Offensichtlich hatte sie sich eine andere Reaktion erhofft, oder sollte ich lieber sagen: erwartet.

„Ich sehe schon, wir machen genau da weiter, wo wir aufgehört haben. Dabei hatte ich angenommen, du wärst inzwischen erwachsener geworden. Aber du führst dich immer noch auf wie ein Vorstadt-Rambo.“

Scheiße, damit hatte sie mich am Wickel. Ich hasste es, dass mich alle in diese Schublade steckten, nur weil ich vor ein paar Jahren ein bisschen die Kontrolle über mich verloren und Mist gebaut hatte. Doch ich war ja nicht der Einzige gewesen. Nur mir trug man das noch heute nach. Als ob ein paar Schlägereien und Vandalismus gleichbedeutend wären mit einer rabenschwarzen Seele.

Und dann kam dieses blonde Prinzesschen daher und machte sich über mich lustig. Cathy hatte schon immer etwas an sich gehabt, das mich herausforderte und meine Geduld strapazierte. Es war nichts Sexuelles. Dieses kaum benennbare Etwas, das uns miteinander verband, ging viel tiefer. Ich verglich sie gern mit einer wunderschönen und voll erblühten Rose, nach der man die Hand ausstreckte, um sie zu pflücken und ihren betörenden Duft einzuatmen. Doch der Wunsch, diese Reinheit zu berühren, ließ einen nur zu schnell vergessen, wie stechend und verletzend ihre Dornen sein konnten.

Cathys effektivste Waffe war ihre spitze Zunge. Sie war in der Lage, lange und tiefe Kratzer im Selbstbewusstsein eines Mannes zu hinterlassen – ganz sicher eine Eigenschaft, die sie von ihrer schrecklichen Mutter geerbt hatte. Eines musste ich ihr positiv anrechnen: Cathy zielte mit ihren verbalen Spitzen nie unter die Gürtellinie. Ob aus Anstand oder aus falscher Scham heraus, konnte ich allerdings nicht einschätzen. Aber eines wusste ich mit Bestimmtheit: Sie war eine prüde Vorstadtblume in ihrer reinsten Form und somit das Symbol für alles, was ich nicht ausstehen konnte.

Schroff fuhr ich mir durchs Haar. „Du kannst dich hier aufregen, so viel du willst, aber wenn du an einen Ort gehst, an dem du nicht willkommen bist, dann musst du damit rechnen, dass man dich das spüren lässt.“

Entrüstet kräuselte sie die kleine Nase. „Du hast dich wirklich kein bisschen verändert. Ich weiß schon, was du vorhast. Du willst mich in Verlegenheit bringen.“ Hochmütig spitzte sie die vollen Lippen. „Tja, ich muss dich leider enttäuschen. Das wird dir nicht gelingen.“ Nun schenkte sie mir einen hoheitsvollen Blick. „Ich verzeihe dir deine Unverschämtheit.“

Ihr gönnerhafter Ton kotzte mich so an, dass ich sie nur noch sprachlos ansehen konnte. Sie lief derweil in der Werkstatt herum und sah sich um, als würde ihr der Laden gehören. Schließlich blieb sie vor einem Ford mit offener Motorhaube stehen, dann drehte sie sich schwungvoll um. „Stör ich dich etwa gerade beim Arbeiten?“, fragte sie unschuldig.

Sie hatte wohl Lust auf Small Talk. Eine ziemlich sinnfreie Beschäftigung für zwei Menschen, die eigentlich nichts gemeinsam hatten, außer dem gleichen Wohnort.

„Schlaues Mädchen, ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell draufkommst“, spottete ich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was sollte ich hier deiner Meinung nach sonst tun? Mich mit Öl einreiben und an den Autos reiben wie ein Boxenluder?“

Statt auf meinen spöttischen Kommentar einzugehen, ließ sie die Hand verspielt über das Dach des Fords gleiten. Sofort stieg in mir das Bild eben dieser Hand auf, wie sie liebkosend über eine nackte Männerbrust strich. Und zwar über meine. Scheiße.

Ich schluckte und flüchtete mich in mein typisch schnoddriges Verhalten ihr gegenüber, weil ich mit derartigen Fantasien über sie nicht umgehen konnte.

„Hör mal, ich habe noch zu tun. Ich habe keine Zeit für Privatgespräche.“

„Soll ich dir jetzt eine Runde Mitleid spenden, weil du bei dieser Hitze in dieser heißen Halle schuften musst?“, fuhr sie gut gelaunt fort, nahm die Hand vom Autodach und kam dann auf mich zu geschlendert.

Uns trennte höchstens noch ein halber Meter, bevor sie stehen blieb. Ein rätselhaftes Schimmern lag in ihren eisblauen Augen. Ihr Blick wanderte von meiner nackten Brust zu meinem Hals und blieb auf meinem Gesicht hängen. Mein Magen überschlug sich förmlich, und ich schluckte die plötzlich aufkommende Erregung hinunter, bevor mir ihr nächster Satz endgültig den Boden unter den Füßen wegzog.

„Es ist wirklich schade, dass du mich hier nicht haben willst. Ich dachte nämlich, wir könnten das Kriegsbeil begraben und Freunde werden.“

Sie sprach betont liebenswürdig und streckte mir zu meiner Verblüffung die Hand entgegen. Anstatt mich darüber zu freuen, von ihr endlich wie ein Mensch behandelt zu werden, blieb ich misstrauisch. Ich senkte den Kopf und starrte auf ihre zarten Finger. Sollte ich ihr Friedensangebot annehmen? Ich tendierte eher zu Nein. Cathy war noch nie sonderlich nett zu mir gewesen. Warum fing sie ausgerechnet jetzt an, sich für mich zu interessieren? Nach all diesen Jahren?

Je mehr Zeit verstrich, ohne dass ich ihre ausgestreckte Hand ergriff, umso sichtbarer wich die Zuversicht aus ihrem Gesicht. Sie senkte den Arm und verzog die Lippen zu einem spröden Lächeln.

„Dann also nicht. Wie du willst“, presste sie hervor. „Mir hätte gleich klar sein müssen, dass jemand wie du sich nicht an die einfachsten Regeln hält.“

Jemand wie ich? Fing sie wieder mit dem Scheiß an! Es war immer das Gleiche. Mit einem geschickt gestreuten Satz war sie in der Lage, mich dermaßen auf die Palme zu bringen, dass ich innerhalb weniger Sekunden die Fassung verlor. Sogar jetzt, in diesem Augenblick, fraß sich ihr abschätziger Blick in mein Gedächtnis und verankerte sich unauslöschlich in meinem Gehirn.

„Ich scheiß auf deine Regeln, spar dir das Gelaber für deine zukünftigen Schüler. Mir tun sie jetzt schon leid, weil sie dich bald jeden Tag ertragen müssen.“

Sie holte scharf Luft und grub ihre Schneidezähne in die volle Unterlippe. Der Anblick machte mich irgendwie scharf und lenkte mich erfolgreich von meinem schlechten Gewissen ab, weil meine Bemerkung ziemlich unter der Gürtellinie gewesen war. Wahrscheinlich wurde es Zeit für einen ausgedehnten Fick mit Scarlett Newport, wenn ich anfing, sexuelle Erregung wegen Cathy Kilbournes kirschrotem Mund zu empfinden.

„Das war wirklich gemein, Morrison“, antwortete sie leise, auf einen Wutanfall wartete ich jedoch vergeblich. Ich fragte mich, was wohl passieren müsste, damit sie endlich ihren Gefühlen freien Lauf ließ und mich anbrüllte, so wie es wohl jeder normale Mensch in dieser Situation getan hätte.

„Gemein ist mein zweiter Vorname und du bist eben ein dankbares Opfer“, ätzte ich unverfroren weiter und versuchte nicht daran zu denken, dass ich mich kein Stück besser verhielt als die Leute, die mir zugesetzt hatten. Genervt, von ihr und vor allem von mir selbst, verdrehte ich die Augen.

„Cathy, wieso hörst du nicht auf, so kindisch zu sein, und sagst, was du hier willst? Damit wäre uns beiden geholfen.“

„ICH. BIN. NICHT. KINDISCH!“

Okay, so langsam bröckelte die Fassade. „Ach nein? Komisch, das ist irgendwie nicht bei mir angekommen.“ Ich seufzte übertrieben. „Aber was soll’s. Meinetwegen kannst du hierbleiben, bis du Wurzeln schlägst. Ich werde dich einfach ignorieren, das dürfte mir nicht weiter schwerfallen.“

Ich war mir ziemlich sicher, dass sie auf dem Absatz umdrehen und davonrauschen würde. Sekunden verstrichen und sie blieb stehen. Scheiße, was sollte ich jetzt machen? Hilfe suchend sah ich zum Verbindungsfenster. Doch außer der weiß gestrichenen Wand im Hintergrund, behängt mit unzähligen Urkunden aus Ambroses aktiver Zeit als Mechaniker, dem immer noch hoffnungslos überfüllten Schreibtisch sowie dem fest verschlossenen Aktenschrank war nichts zu sehen. Ambrose war ausgeflogen, ohne dass er mir etwas davon gesagt hatte. Demzufolge war ich mutterseelenallein mit einer Person, die ich am liebsten von hinten sah. Allerdings nicht, um ihr auf den Arsch zu glotzen.

Mit steigendem Unbehagen registrierte ich, wie Miss Sauberfrau auf meinen Oberkörper starrte. Mich weiblichen Blicken auszusetzen, machte mir prinzipiell nichts aus, ich schämte mich nicht für meinen Körper und konnte mich sehen lassen. Es war vielmehr der herablassende Zug um ihren Mund, der mich störte, während sie mich einer genauen Musterung unterzog. Das war so typisch für sie. Sie kam hier reingeschlichen, sah aus wie aus dem Ei gepellt und machte ein Gesicht, als hätte sie die Weisheit mit Löffeln gefressen.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. „Hör mal, du hattest deinen Spaß, aber ich kann hier wirklich keine Zuschauer gebrauchen. Entweder sagst du jetzt endlich, was du hier verloren hast, oder du schwingst deinen Arsch hier raus. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, ein bisschen nachzuhelfen.“

Diese Drohung ließ sie völlig kalt.

„Als ob du dich trauen würdest, mich hier rauszuwerfen!“, meinte sie und wiegte sich in selbstgefälliger Sicherheit. „Hunde, die bellen, beißen nicht. Außerdem hast du viel zu viel Angst vor deinem Onkel. Dem würde es sicher nicht gefallen, wenn du in seiner Werkstatt handgreiflich wirst.“

Ich sparte mir eine passende Antwort und verschränkte die Arme vor der Brust, bis sich mein Bizeps nach außen wölbte. Ihr Blick flatterte kurz zu der Stelle und dann hielt sie plötzlich den Mund und schnappte nach Luft. Aha, anscheinend stand Miss Sauberfrau tatsächlich auf ein paar ordentliche Muskeln. Während sie kurzzeitig abgelenkt war, nutzte ich die Gelegenheit, um sie genau unter die Lupe zu nehmen. Ich gab es ja ungern zu, aber sie sah gut aus, wenn man die fehlenden Titten unter ihrer Bluse mal außen vor ließ. Mit unfreiwilliger Neugier wanderte mein Blick weiter über sie und ich fällte fachmännisch mein Urteil. Cathy hätte wirklich mehr aus sich machen können, versteckte sich aber hinter ihrem seriösen Auftreten, harmlosen Blusen und braven Röcken. Sie war der Typ Frau, den man seinen Eltern gerne als zukünftige Schwiegertochter präsentierte. Ein bisschen bieder und vor allem unglaublich gewissenhaft. Allerdings hatte sie verdammt aufregende, hellblaue Katzenaugen, die in ihrem ansonsten eher blassen Gesicht herausstachen. Dieser unterkühlte Blick verlieh ihr Sex-Appeal. Sie konnte einen Kerl auf ziemlich unanständige Gedanken bringen, falls man es schaffte, ihren Doris-Day-Style auszublenden.

Sie merkte, dass ich sie abcheckte. „Und, hast du dein Urteil über mich schon gefällt oder soll ich mich einmal im Kreis drehen, damit du auch den Rest begutachten kannst?“

Oha, sie fuhr also die Krallen aus. Grinsend ergriff ich die Enden des Shirts, das noch um meinen Hals hing.

„Nicht nötig, ich habe alles gesehen, was es zu sehen gibt.“

„Bist du dir da wirklich sicher?“

Wow, was wurde denn das? Mühsam löste ich mich aus diesem merkwürdigen Bann und zog die Mundwinkel geringschätzig nach unten.

„Mach dir bloß keine Hoffnungen, Kilbourne. Ich steh nicht auf dich.“

„Oh bitte, als ob ich es darauf anlegen würde, dich anzumachen. So nötig werde ich es nie haben“, schoss sie zurück und in ihren Augen blitzte auf einmal so was wie Temperament auf. Ein krasser Gegensatz zu ihrem sonst so kontrollierten Wesen. Überheblich wie immer stand sie inmitten dieser mit Testosteron geschwängerten Umgebung und wirkte so fehl am Platz wie ein Farbiger auf einer Versammlung des Ku-Klux-Klan. Doch anstatt sich beleidigt zurückzuziehen, drehte sie den Spieß einfach um. Mit ihrer angeborenen Arroganz ließ sie die Augen kritisch über das Chaos hier wandern. Ich verspürte sofort den bescheuerten Drang aufzuräumen und hätte mir dafür am liebsten selber in den Arsch getreten, weil es mir ja egal sein konnte, ob sie die Unordnung hier störte. Ungeduldig sah ich auf die Uhr und registrierte mit Schrecken, wie spät es schon war. Ich hatte gleich Feierabend, außerdem musste die von Ambrose angekündigte Kundin jeden Moment aufkreuzen, um den Wagen abzuholen. Nur machte Cathy leider keine Anstalten zu gehen.

„Sag mal, bist du taub oder brauchst du es schriftlich? Ich möchte, dass du jetzt gehst!“

Gelassen warf sie ihr Haar über die Schultern zurück und tat so, als würde sie interessiert ihre perfekt manikürten Fingernägel betrachten. Gott, sie ging mir ja so was von auf die Nerven …

Ich war so sauer, dass ich schon gar nicht mehr wusste, wohin mit mir selbst. Cathy ging mir unter die Haut, so tief, als wollte sie in mich hineinschlüpfen. Unbehaglich fragte ich mich, wo dieses Gespräch noch enden würde. Wir waren allein hier, niemand weit und breit in der Nähe. Also die besten Voraussetzungen für eine üble Auseinandersetzung, die sich im Moment noch im Anfangsstadium befand. Wieso zum Teufel ging sie nicht einfach? Als sie mir ein blasiertes Lächeln schenkte, verlor ich endgültig die Beherrschung.

„Verdammte Scheiße, verschwinde endlich wieder dahin, wo du hergekommen bist. Du bist hier nicht erwünscht, und wenn es meine Werkstatt wäre, dann würde ich dich packen und an den Haaren rausschleifen, damit ich deinen Anblick nicht länger ertragen muss.“

Kapitel 4

Einmal ausgesprochen, kann man gewisse Worte nicht mehr rückgängig machen. Ich bereute meinen Ausbruch schon, bevor mein wütender Aufschrei in der Werkstatt verhallte. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es keinen Grund gab, so unhöflich mit ihr umzugehen. Damit verhielt ich mich nicht besser als all die anderen Pappnasen in Milton Oaks. Leider verlor ich bei Cathy grundsätzlich die Beherrschung, vor allem, wenn ich mich, so wie jetzt, in die Ecke gedrängt fühlte. Ich reagierte total überzogen, so als würde eine fremde Macht mich steuern und jede Chance auf einen normalen Umgangston verhindern. Betreten sah ich in ihre Richtung.

„Tja, wenigstens bist du ehrlich“, stellte sie trocken fest. „Du bist ziemlich talentiert darin, auf dem Selbstbewusstsein eines Mädchens rumzutrampeln. Manche Kerle üben ihr Leben lang und schaffen es trotzdem nie, so ungehobelt und taktlos zu sein.“ Die Kränkung in ihrem Blick war unmissverständlich, wurde jedoch im nächsten Augenblick ersetzt durch unnachgiebige Härte. „Aber eins sag ich dir. Das ist nichts, worauf du stolz sein kannst.“

Ich fühlte mich auf einmal ziemlich dumm, weil sie recht hatte und ich das nicht wahrhaben wollte.

„Wie du schon sagtest, ich bin nur ehrlich“, wehrte ich ab. „Wenn du die Wahrheit nicht vertragen kannst, dann ist das nicht mein Problem.“

„Wahrheit? Es ist nur deine Vorstellung von der Wahrheit und die hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Wir sind nie gut miteinander ausgekommen, aber das ist Jahre her und eigentlich wäre es an der Zeit, mit der Vergangenheit abzuschließen. Stattdessen benimmst du dich immer noch wie ein verbittertes Arschloch.“

Ihr Ausbruch ließ mich kalt. Von wegen mit der Ver­gangenheit abschließen … verarschen konnte ich mich selber. „Bist du jetzt fertig mit deiner Predigt?“

Sie verzog schmollend die hübschen Lippen. „Yep, jedes weitere Wort an dich wäre sowieso verschwendet“, erwiderte sie hochnäsig und beobachtete mich dabei, wie ich anfing, mir mit meinem Shirt den Schweiß von der Brust zu wischen.

Das verschaffte mir einen unverhofften Vorteil. Ihr Blick verschleierte sich, gleichzeitig breitete sich auf ihren Wangenknochen ein zarter Rotton aus. Mir gefiel die Vorstellung, dass sie die Augen nicht von meinem Körper nehmen konnte, und ich machte absichtlich weiter. Provokant schob ich den Stoff über meine Haut, nicht grob, sondern behutsam, als würde ich die Haut einer Frau streicheln.

Cathy blinzelte heftig und ich hatte endlich Erbarmen mit ihr. Schließlich wollte ich sie loswerden und nicht anmachen. Lässig legte ich mir das Shirt wieder hinter den Nacken und griff nach den Enden, dann musterte ich sie genauso überheblich, wie es sonst ihre Art war.

„Hat es dir die Sprache verschlagen, Kilbourne? Langsam fange ich an zu glauben, du willst hier gar nicht weg, weil du scharf auf mich bist. Haben es dir deine Collegeboys nicht gut genug besorgt?“

Sie erwachte aus ihrer kurzzeitigen Sprachlosigkeit. Ihre Wangen leuchteten hochrot, so sehr regte sie sich über meine unverschämte Bemerkung auf. „Zachary Morrison, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich verabscheue, du Scheusal.“

„Sieh mal einer an, du bist ja gar nicht so blutleer, wie ich dachte. Wenn du öfter dein Temperament rauslässt, wird aus dir vielleicht noch eine richtige Frau.“ Ich wies mit der Hand zum Ausgang. „Da drüben ist übrigens die Tür.“

Cathy knirschte hörbar mit den Zähnen und presste ihre Lippen zu einer festen Linie zusammen.

„Danke für den wiederholten freundlichen Hinweis“, erwiderte sie spöttisch. Ich hatte den Eindruck, dass sie längst nicht mehr so selbstbewusst auftrat wie vor fünf Minuten. Ihre beherrschte Fassade bekam tiefe Risse und bröckelte wie loser Putz von einer uralten Hauswand. Wieso verschwendete sie ihre Zeit damit, mit mir herumzustreiten? Das hatte sie eigentlich gar nicht nötig, und ihre Behauptung, mit mir Freundschaft schließen zu wollen, hielt ich für einen ausgemachten Witz. Ich meine … hallo … noch unterschiedlicher konnten zwei Menschen gar nicht sein. Cathy war gebildet, ich war es nicht, jedenfalls nicht ausreichend genug, um ihr sprachlich das Wasser reichen zu können. Doch gerade jetzt wünschte ich mir, es wäre anders, weil ich es satthatte, mich in ihrer Gegenwart wie ein Idiot zu fühlen. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass ich nur einmal die Hand unter ihren biederen Faltenrock schieben musste und sie würde genauso schnurren wie der Motor meines Mustangs, wenn er richtig auf Touren kam. Aber wer wollte das schon hören? Ich ganz sicher nicht.

„Weißt du was, Zac, wenn du dich wie ein normaler Mensch verhalten würdest und nicht wie ein mieser Macho, wüsstest du schon längst, dass ich nur hier bin, um Moms Wagen abzuholen.“

Sie deutete auf den Ford. Das war Elizabeth Kilbournes Wagen? Ambrose hatte mir gestern nur den Schlüssel zugeworfen und mir in seiner üblich knorrigen Art mitgeteilt, dass ich einen Routinecheck durchführen sollte. Die Mappe mit den Daten lag in seinem Büro und ich hatte noch keinen Blick darauf werfen können.

„Das ist der Wagen deiner Mom? Sie fährt doch normalerweise einen Pontiac.“

„Den hat sie verkauft. Der hier ist neu, deswegen der Kundendienst. Sie wollte sichergehen, dass alles okay ist.“

So langsam drang zu mir durch, wie dumm ich mich verhalten hatte. Natürlich hatte Cathy einen triftigen Grund gehabt, um hierherzukommen, sonst hätte sie sicher keinen Fuß in die Werkstatt gesetzt. Nie im Leben wäre sie nur meinetwegen gekommen, auch wenn ich ihr genau das unterstellt hatte.

Tja, Morrison, dumm gelaufen, lästerte die gehässige Stimme in mir, die ständig versuchte, mich runterzuziehen. Ich hätte ausrasten können.

Plötzlich kniff sie die Augen zusammen. „Da wir das ja endlich geklärt haben, würde ich gerne das Auto mitnehmen.“

„Mein Onkel erledigt die Formalitäten, das Büro ist nebenan“, antwortete ich, um sie schnellstmöglich loszuwerden.

„Offenbar ist es dir noch nicht aufgefallen, aber dein Onkel ist nicht da“, sagte sie. Sie sprach mit mir wie mit einem kleinen Kind. „Vielleicht wärst du so freundlich und machst mir die Rechnung fertig?“

Es war mir peinlich, zugeben zu müssen, dass ich das gar nicht durfte. Ambrose war für den Papierkram zuständig. Theoretisch hätte ich ihr eine Rechnung ausstellen können, ich wusste, wie das funktionierte, doch ich durfte während Ambroses Abwesenheit das Büro nicht betreten. In der Hinsicht war er wirklich eigen. Er traute niemandem, schon gar nicht seinem – in seiner Wahrnehmung – missratenen Neffen. Doch das würde ich Miss Sauberfrau sicher nicht auf die Nase binden.

„Tut mir leid, aber du wirst auf meinen Onkel warten müssen. Er hat mir keinen Schlüssel dagelassen, und du erwartest doch sicher nicht von mir, dass ich die Tür aufbreche. Komm einfach in einer halben Stunde wieder. Bis dahin sollte er zurück sein.“

Nachdem ich mich so elegant aus der Affäre gezogen hatte – jedenfalls dachte ich, ich hätte das getan –, lief ich erneut zum Kühlschrank und holte mir noch eine Flasche Wasser. Danach lehnte ich mich mit betont gelangweilter Miene gegen die Tür und beobachtete Cathy. Sie leckte sich sichtlich unbehaglich über die Lippen und musterte mich misstrauisch. „Wieso starrst du mich so an?“

„Ich versuche, aus dir schlau zu werden. Ich habe noch nie eine solche Kratzbürste wie dich getroffen.“

„Ich hasse es nun mal, wenn mir jemand sagt, was ich zu tun oder zu lassen habe.“

„Und wie bring ich dich dazu, das zu tun, was ich will?“, fragte ich mit schlüpfrigem Unterton. Mit einem herausfordernden Lächeln strich ich mir über die nackte Brust. Was würde sie jetzt machen? Schimpfen, fluchen, sabbern? Ich begegnete ihrem Blick, meiner neugierig, ihrer schon leicht verhangen, und verdammte scheiße … ich musste zugeben, dass mich das nicht kaltließ. Mir wurde immer wärmer. Vor allem, als sich ihre vollen Lippen ein wenig teilten und ihre rosa Zungenspitze dazwischen hervorblitzte. Es war total verrückt, aber dieses Spiel war plötzlich keines mehr. Ein Teil von mir spürte unbändige Neugier. Ich wollte wissen, ob sich ihre Augen verdunkeln würden, während ich sie vögelte, und ich war heiß darauf, ihre Haut zu berühren. Die sah unglaublich weich aus, so zart und geschmeidig. Auf einmal wünschte ich mir nichts dringender, als sie anzufassen. Überall.

Sobald mir klar wurde, was mir gerade durch den Kopf ging, bimmelten bei mir sämtliche Alarmglocken, unterbrochen von ihrem belustigen Kommentar: „Wenn ich dir verrate, wie du mich manipulieren kannst, wäre ich schön blöd. Ich gebe dir doch nicht freiwillig eine Waffe gegen mich in die Hand.“

Mach nie den Fehler und unterschätze eine Frau. Das musste ich mir ein für alle Mal hinter die Ohren schreiben. Cathy lächelte. Sanft. Weiblich. Verlockend. So gar nicht wie sonst. Das brachte mich in eine verflixt unangenehme Situation, weil mein verdammter Schwanz heftig auf diese unerwartete Dosis Weiblichkeit reagierte. Ich rief mir Direktor Kilbournes blödes Gesicht in Erinnerung, und das reichte für den Augenblick, um mich fast übergangslos wieder erschlaffen zu lassen. Doch mein Kampfgeist war geweckt. Die Tatsache, dass sie mich scharfmachte und nicht umgekehrt, stachelte mich an. Kalkuliert setzte ich meinen ganzen Sex-Appeal ein, um es ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen.

„Ich will auch nicht kämpfen, Cathy“, erwiderte ich schmeichelnd. „Da gibt es schönere Dinge, mit denen wir uns beschäftigen könnten.“

Die Augen fest auf ihr Gesicht gerichtet, stieß ich mich vom Kühlschrank ab und näherte mich ihr. Am schnelleren Rhythmus ihrer Atemzüge merkte ich, dass dieses Geplänkel sie reizte.

„Und was für Dinge schweben dir da vor?“

Die Lippen zu einem sanften Lächeln verziehend, legte ich meine Finger federleicht auf die Haut ihrer Wange. Behutsam strich ich eine hellblonde Haarsträhne zur Seite und beobachtete, wie sie mit der Zunge über ihre Unterlippe fuhr. Bei diesem Anblick musste ich ein Stöhnen unterdrücken. Oh fuck, damit hatte ich nicht gerechnet. Der Anblick ihrer rosa Lippen weckte absolut verdorbene Fantasien in mir. Ich wollte diese Sauberfrau dazu bringen, verbotenen Dinge zu tun, ich wollte sie besudeln und sie auf die schmutzigste und heftigste Weise vögeln, die ich zustande brachte. Verdammt, die Hitze setzte mir wohl mehr zu, als gedacht.

„Vielleicht fändest du es gar nicht so schlecht, wenn ich dir ab und zu sage, was du zu tun hast. Im Bett zum Beispiel“, ergänzte ich schamlos und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Was würde sie tun? Mir eine kleben oder vor mir auf die Knie sinken und sich meinen Schwanz in ihren süßen, so jungfräulich aussehenden Mund schieben?

„Das würde dir gefallen?“ Sie klang ganz schön atemlos.

„Oh ja, und dir auch“, antwortete ich zustimmend und fuhr fort, ihre Wange zu streicheln. Sie fühlte sich so gut an. Besser als jede andere Frau, die ich bisher berührt hatte. Wieso war das so? Wieso ausgerechnet Cathy Kilbourne?

Zuerst dachte ich, sie würde sich mir jeden Augenblick an den Hals schmeißen, doch dann verflog dieser Moment der gegenseitigen Anziehung und sie verwandelte sich wieder in eine Eisprinzessin. Sie rückte von mir ab und musterte mich missbilligend. „Sag mir nicht, was mir gefällt und was nicht. Das entscheide ich gerne noch selbst.“

„Du musst auch immer das letzte Wort behalten“, murmelte ich ernüchtert und fühlte meine Niederlage wie einen schwer verdaulichen Fleischbrocken in meinem Magen. Cathy ließ sich nicht manipulieren und jetzt drehte sie den Spieß einfach um. Neugierig senkte sie ihren Blick auf meinen Schritt. Ihr Blick machte mich noch geiler und irgendwie imponierte mir ihre Unverfrorenheit.

Verkehrte Welt, urteilte ich verstimmt, während sie vor mir stand und mich mit ihren Augen fast schändete.

„Ich wiederhole mich ungern, Cathy“, erklärte ich heiser. Sogar meine Stimme ließ mich im Stich. „Wenn du den Wagen mitnehmen willst, musst du das Finanzielle mit meinem Onkel regeln, und wie du selbst siehst, ist er gerade nicht hier.“

Sie seufzte und rieb sich über die Stirn. Auf einmal machte sie einen ziemlich abgekämpften Eindruck auf mich.

„Meine Mutter braucht den Wagen aber dringend zurück, und du weißt, wie sie sein kann, wenn man ihre Pläne durchkreuzt.“

Komisch, irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass Cathy und ihre neurotische Mutter kein sonderlich enges Verhältnis zueinander hatten. Ich traf eine spontane Entscheidung, ging zum Wagen und schloss die Motorhaube.

„Weißt du was, fahr einfach. Ich klär das mit meinem Onkel ab. Das geht schon in Ordnung.“

Cathy nestelte am Kragen ihrer Bluse herum, als sich unsere Augen über die Entfernung hinweg trafen, dann gab sie sich einen Ruck und überbrückte die kurze Distanz. Ihr Rock raschelte leicht und bauschte sich beim Gehen. Automatisch glotzte ich ihr auf die Beine, die einfach sensationell aussahen.

„Machst du mir noch das Tor auf?“

Ertappt zuckte ich zusammen und wich ihrem Blick aus. „Klar, steig schon mal ein.“

Eine Spur von Verlegenheit zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Ich fühlte genauso. Das war wirklich eine mehr als merkwürdige Begegnung zwischen uns gewesen. Erst Streit, dann Frieden, was würde danach kommen? Vielleicht einfach gar nichts. Wenn wir uns das nächste Mal über den Weg liefen, würde sie mich höchstwahrscheinlich ignorieren und das wäre vermutlich das Beste.

Cathy räusperte sich und nickte mir verhalten zu. „Also dann, wir laufen uns sicher noch über den Weg. Milton Oaks ist ja nicht besonders groß.“

„Ja, leider …“, brummte ich und merkte zu spät, dass sie das auf sich bezog. Ihr vorsichtiges Lächeln erstarb augenblicklich. „Keine Sorge, ich verschwinde ja schon.“, murmelte sie hörbar verletzt. „Ich werde in Zukunft darauf achten, dich nicht mit meinem Anblick zu belästigen.“

Trotz ihrer kühlen und beherrschten Art hörte ich heraus, wie sehr sie meine offen gezeigte Ablehnung traf. Es hätte mir egal sein sollen. War es aber nicht.

Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, stieg sie in den Wagen und rutschte hinters Steuer. Sekunden später vibrierte der Motor, ich ließ das Tor hochfahren. Cathy schnallte sich noch vorschriftsmäßig an, ehe sie rückwärts aus der Werkstatt rollte. Dort wendete sie geschickt und brauste davon.

Ein wenig planlos stand ich eine Weile lang da und wusste nicht, wen ich mehr verachtete: Cathy, weil sie mich unter Garantie für einen kompletten Versager hielt, oder mich selbst, weil ich im Grunde glaubte, dass sie recht hatte.

Kapitel 5

Es dauerte eine Weile, ehe ich mich so weit im Griff hatte, um meine Arbeit wieder aufzunehmen. Doch richtig bei der Sache war ich trotzdem nicht. Anstatt darauf zu achten, was meine Hände machten, dachte ich ununterbrochen an Cathy. Dieses Biest wütete in meinem Kopf, in meinen Gedanken, und ich konnte nichts dagegen tun. Aufgebracht versuchte ich, einen Gummiriemen an der Scheibe des Generators festzumachen. Leider passte ich nicht richtig auf und ließ das Ding versehentlich los. Mit einem lauten Zischen schnellte der Riemen nach oben und knallte peitschend gegen meinen Unterarm. Der Schmerz traf mich unvorbereitet, wie flüssiges Feuer brannte die getroffene Stelle und ich zuckte zurück.

„Oh fuck … so eine verfluchte Scheiße“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Fluchend rieb ich über den knallroten Striemen, der sich nun auf meiner Haut abzeichnete. „Na super, das hast du toll gemacht, Morrison“, schimpfte ich vor mich hin und richtete mich stinksauer auf, ohne an die Motorhaube über mir zu denken und stieß mir voller Wucht den Kopf. Es folgte ein dumpfer Knall, und für eine Sekunde glaubte ich, das Bewusstsein zu verlieren. Vor meinen Augen tanzten helle Sternchen, ich schwankte, ehe sich mein Gleichgewichtssinn wieder stabilisierte.

Wütend trat ich gegen den Wagen. „Boah, fick dich, du blöder Blechhaufen!“

Gereizt rieb ich über die heftig pochende Stelle an meinem Hinterkopf, in der Hoffnung, das bohrende Hämmern ein wenig abzumildern. Und das alles nur, weil ich ständig an Cathy denken musste, anstatt meine Arbeit ordentlich zu erledigen.

„Geh endlich aus meinem Kopf raus, Kilbourne!“, murrte ich leise. Ich stellte mich an wie ein verdammter Anfänger. Das war nicht gut. Ich musste mich irgendwie abreagieren, doch es war nichts Greifbares in der Nähe, woran ich meine überschüssigen Energien hätte auslassen können, ohne fremdes Eigentum kaputt zu schlagen. Hier in der Werkstatt gehörte mir nichts, und Ambrose würde mir, ohne mit der Wimper zu zucken, alles, was durch meine Hand beschädigt wurde, vom nächsten Gehalt abziehen. Und dann konnte ich einen Monat lang Staub fressen, weil von meinem kümmerlichen Lohn nichts mehr übrig sein würde. Es war echt zum Kotzen.

Schwer atmend versuchte ich, mein steigendes Level an Aggressionen wieder einzudämmen. Ich stützte mich am Rand des geöffneten Motorraums ab und fixierte den massiven Block mit den vielen kleinen Kabeln und Anschlüssen. Sobald ich meine Sinne wieder einigermaßen im Griff hatte, nahm ich einen für eine Werkstatt untypischen Duft wahr. Ich schnupperte und schluckte hart. Es roch nach Cathy. Verdammt, obwohl sie sich gar nicht mehr hier aufhielt, konnte ich sie immer noch riechen! Dieser Duft fesselte mich, belästigte mich … und das zerrte an meinen Nerven.

„Komm schon, reiß dich zusammen, Morrison.“

Entschlossen beendete ich meine Arbeit am Wagen und seufzte erleichtert, weil ich danach endlich nach Hause konnte. Ich beschloss, Gabes Einladung auszuschlagen und Scarlett anzurufen. Eine andere Frau war genau das Richtige, um Cathy und ihr dummes Gerede aus meinem Gedächtnis zu streichen. Außerdem wirkte ein guter Fick immer enorm entspannend. Ich gab es ja ungern zu, aber die Erinnerung daran, wie Cathy die Lippen schürzte und mir Kontra gab, geilte mich irgendwie auf. Das fand ich ebenso überraschend wie lästig. Sexuell hatte ich mich nie von ihr angezogen gefühlt, aber dieser unglaublich weibliche Duft, der immer noch in der Luft lag, reizte mich. Gegen diesen Schwachsinn musste ich dringend was unternehmen, und damit meinte ich nicht nur die hämmernde Erektion in meiner Jeans.

Ich schloss die Motorhaube und hörte gleichzeitig, wie das Rolltor geöffnet und wieder geschlossen wurde. Es war mein Onkel, der langsam auf mich zukam.

Ambrose fixierte mich währenddessen genau. Ahnte er, was gerade in mir vorging?

„Hat Elizabeth Kilbourne den Wagen schon abgeholt?“, fragte er schließlich.

„Ihre Tochter“, teilte ich ihm mit. „Ich habe ihr den Schlüssel gegeben und ihr gesagt, dass du ihr die Rechnung schickst. Du hättest mir übrigens ruhig sagen können, dass die Kiste Elizabeth Kilbourne gehört.“

„Und riskieren, dass du ihr das Bremskabel durchschneidest?“

„Haha, sehr witzig …“, murmelte ich. „Ich wäre nur gern vorgewarnt gewesen. Cathy stand auf einmal vor mir und hat sich wieder aufgespielt wie eine Diva.“

Ambrose gluckste leise vor sich hin und amüsierte sich offenbar köstlich. „Jetzt versteh ich, warum du so miese Laune hast. Die Kleine hat dir wohl die Hölle heißgemacht“, kicherte er mit unverhohlener Schadenfreude.

Innerhalb einer Nanosekunde schoss mein Puls auf Hundertachtzig. Eines Tages, schwor ich mir, eines Tages werde ich das alles hinter mir lassen und dann könnt ihr mich alle gepflegt am Arsch lecken.

Ambroses raues Gelächter wurde von einem heftigen Hustenanfall unterbrochen. Sobald er sich wieder beruhigt hatte, sah er mich mit einer Spur Verständnis an.

„Glaub mir, es bringt nichts, sich über diese aufgeblasenen Besserwisser aufzuregen. Und was Cathy angeht: Geh ihr einfach aus dem Weg. Mädchen wie sie spielen sowieso nicht in deiner Liga, auch wenn ich zugeben muss, dass sie ein verdammt hübsches Ding geworden ist. So wie ihre Mutter vor vielen Jahren. Wusstest du, dass Elizabeth mehrere Jahre hintereinander zur Miss Milton Oaks gewählt worden ist, ehe sie Paul Kilbourne geheiratet hat? Keiner hat’s verstanden. Die war echt ein heißer Feger in ihrer Jugend und sie hätte jeden haben können. Heute passt sie aber sehr gut zu ihm. Gehen beide zum Lachen in den Keller. Eigentlich schade um sie.“

„Tja, dann weiß ich ja, von wem Cathy ihren Charakter geerbt hat. Mich reizt sie jedenfalls null“, kommentierte ich spöttisch und versuchte gleichzeitig, mir Elizabeth Kilbourne als Schönheitskönigin vorzustellen. Es gelang mir nicht. Aber zumindest hatte Ambrose meine Neugier geweckt.

„Hast du Cathys Mutter eigentlich gut gekannt?“

Plötzlich verdüsterte sich Ambroses Miene und seine Redseligkeit verlor sich. „So wie man sich eben kennt, wenn man in der gleichen Stadt lebt“, erwiderte er und wich meinem Blick aus.

Das Thema schien ihm unangenehm zu sein. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mir etwas verschwieg. „Du willst nicht über sie reden, stimmt’s?“

Mein Onkel warf mir einen missbilligenden Blick zu. „Weil es nichts zu reden gibt. Kapiert?“

Oha, da hatte ich wohl zufällig einen wunden Punkt erwischt. Ich verzog die Lippen zu einem Grinsen. „Sag mal, kann es sein, dass du was mit ihr hattest?“

Ambrose riss die Augen auf. „Quatsch nicht so viel gequirlte Scheiße, Junge. Ich und Elizabeth?“ Er schüttelte sich wie ein nasser Hund. „Nein, da liegst du falsch. Ich hatte nichts mit ihr …“

Ambrose brach mitten im Satz ab und grummelte irgendwas Unverständliches vor sich hin.

Nun wollte ich es aber ganz genau wissen. „Wieso sagst du nichts mehr?“

Er reagierte unverhältnismäßig aggressiv. „Das geht dich einen Scheißdreck an. Geh mir mit deinen Fragen nicht auf die Eier, sonst fliegst du schneller raus, als du deinen Namen schreiben kannst.“

Manchmal wünschte ich mir sogar, er würde mich feuern und ich wäre gezwungen, mein Glück woanders zu suchen. Leider tat er mir nie den Gefallen. Hunde, die bellen, beißen nicht. Leider war die momentane Lage auf dem Arbeitsmarkt so mies, dass meine Chancen einen neuen Job zu finden, mehr als gering waren.

Mein Onkel richtete seinen klapprig gewordenen Körper zu voller Größe auf und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. „Verschließ das Tor, wenn du gehst. Ich bin noch im Büro, muss noch ein paar Anrufe erledigen.“

Stinkwütend trat ich gegen den Reifen des Wagens, nachdem der alte Kotzbrocken die Werkstatt endlich verlassen hatte. Ich räumte mein Zeug weg, schnappte mir meine Schlüssel und meine Kippen und machte mich auf den Weg nach Hause. Alles, was ich jetzt brauchte, war eine kalte Dusche, danach ein kühles Bier und eine Runde Sex mit Scarlett, um diesen Tag so schnell wie möglich hinter mir zu lassen.

Draußen war es immer noch unerträglich heiß, aber zum Glück nicht schwül. Es war eine trockene Hitze, so heiß und brennend, dass sie sogar die Spucke im Mund verdampfen ließ. Vor Ambroses Bürofenster hielt ich kurz an, um mir eine Zigarette anzuzünden. Ich linste hinein und sah den Alten wild gestikulierend telefonieren. Er wirkte aufgebracht. Das Fenster war verschlossen, um die Hitze draußen zu halten, und so konnte ich nicht hören, mit wem er sich gerade unterhielt.

Kopfschüttelnd sah ich ihm ein wenig zu, dann stapfte ich weiter und stand nach wenigen Minuten vor meiner Wohnung. Ich inhalierte noch einmal tief, warf den Stummel auf den Boden, obwohl das verboten war, und stampfte die Glut sorgfältig aus. Schließlich wollte ich nicht die halbe Umgebung abfackeln, auch wenn ich manchmal große Lust darauf verspürte.

Sobald ich in mein kleines Apartment trat, ließ ich die Tür mit einem Knall hinter mir zufallen und stand schon mitten in meinem Wohnzimmer. Die abgestandene Luft eines ganzen Tages schlug mir entgegen, mein Blick streifte das Chaos, das ich am Morgen zurückgelassen hatte. Die Couch war noch ausgezogen, das Bettzeug lag unordentlich darauf. Die Oberfläche des niedrigen Wohnzimmertisches, konnte man kaum erkennen. Zugemüllt mit diversen Zeitschriften, Cola- oder Bierdosen und einer leeren Pizzaschachtel. An der Wand dahinter prangte der Billigdruck eines Cadillac Eldorado. Ein Schmuckstück aus den frühen Fünfzigerjahren.

Direkt gegenüber von meinem improvisierten Schlafplatz thronte ein 40-Zoll-Flachbildschirm auf einem wackligen Fernsehtisch. Der Boden bestand aus künstlich schimmerndem Laminat, dunkelbraun und ziemlich düster. Damit es nicht aussah wie in einem schwarzen Loch, lag unter dem Couchtisch ein heller, circa vier Quadratmeter großer Teppich. Mein Blick wanderte zum Fenster. Durch die geschlossenen Jalousien fielen einzelne Lichtstrahlen schräg in den halbdunklen Raum hinein und machten die umherschwirrenden Staubpartikel sichtbar. Ich unterdrückte den psychosomatischen Hustenreiz, der in meiner Kehle lauerte, und betätigte den Schalter für den Deckenventilator. Er stotterte kurz, bevor er richtig anlief, doch gleich darauf erfüllte ein gleichmäßiges kreisendes Rotieren den Raum.

Ich warf die Schlüssel auf den Tisch. Er landete genau zwischen dem leeren Pizzakarton und ein paar Pornozeitschriften. Auf dem Weg ins Bad entledigte ich mich meines Shirts und schmiss es einfach in die nächstbeste Ecke. Den Rest zog ich dort aus und stellte mich unter die Dusche. Es war verdammt eng hier drin, ich konnte mich kaum um die eigene Achse drehen, ohne mit den Ellenbogen an die Verglasung oder die Fliesen zu stoßen, aber sie erfüllte ihren Zweck. Nachdem ich das Wasser aufgedreht hatte, stützte ich mich mit gebeugtem Kopf an den Fliesen ab und genoss den harten Strahl aus den Düsen auf meinem schmerzenden Nacken.

Nach einer Weile hatte ich genug, stieg aus der Kabine und stellte mich vor den beschlagenen Spiegel. Mit der Handfläche rieb ich darüber. Es quietschte, während ich nach und nach mein Spiegelbild freilegte. Fast schwarzes Haar, gebräunte Haut und blaue Augen, dazu noch ein dunkler Bartschatten. Nachdenklich betastete ich mein Kinn. Um eine Rasur würde ich wohl nicht rumkommen, wenn ich keine auffälligen Rötungen auf Scarletts Haut hinterlassen wollte. Zwar würde Sheriff Newport heute nicht nach Hause kommen, aber es konnte nicht schaden, trotzdem vorsichtig zu sein.

Nachdem ich die lästigen Stoppeln entfernt hatte, zog ich mir ein Paar Boxershorts über und checkte das Innere meines Kühlschranks. Ich machte ein langes Gesicht, während ich den spärlichen Inhalt inspizierte: Bier, Ketchup, eine Packung Käse und etwas Schokoladeneiscreme im Kühlfach. Ansonsten herrschte gähnende Leere. Wenn ich nicht verhungern wollte, musste ich definitiv in den Supermarkt. Aber nicht sofort. Scarlett würde frühestens in zwei Stunden hier aufkreuzen, ich hatte also noch genug Zeit, um mir vorher ein Bier zu gönnen und ein paar Minuten zu entspannen.

Mit einem Budweiser in der Hand schmiss ich mich auf die Schlafcouch, machte es mir bequem und griff nach der Fernbedienung. Gelangweilt zappte ich durch die unterschiedlichen Fernsehkanäle, genehmigte mir hin und wieder einen Schluck und blieb schlussendlich bei einer Autosendung hängen. Leicht bekleidete Blondinen rekelten sich lasziv auf den Motorhauben von irgendwelchen ausländischen Sportwagen. Das war ganz nach meinem Geschmack.

Fast wäre ich darüber eingeschlafen, meine Lider wurden immer schwerer, während sich draußen die Sonne immer tiefer über den Horizont senkte. Das gleichmäßige Schlagen des Ventilators tat sein Übriges dazu, um mich in einen friedlichen Dämmerzustand zu versetzen. Inmitten der einschläfernden Atmosphäre fuhr ich heftig zusammen, als das laute Klingen meines Handys mich wieder aus meiner beginnenden Trance riss.

Schlagartig setzte ich mich auf und ging ran. „Wer stört?“, blaffte ich unfreundlich.

„Oh, haben wir heute etwa einen schlechten Tag gehabt?“

Scarlett. Mit ihrer leicht rauchigen Telefonsexstimme klang selbst so eine normale Frage unanständig. In den ersten Wochen unserer Affäre hatte ein Anruf von ihr gereicht, um mich richtig geil zu machen. Ich griff mir in den Schritt, um meinen erbärmlich schlaffen Schwanz in eine angenehmere Position zu rücken. Scarlett gelang es schon seit Längerem nicht mehr, mich auf Anhieb scharfzumachen, während Cathys süßes Lachen mich in Nullkommanichts in Erregung versetzt hatte. Ich wollte nicht wahrhaben, dass diese prüde Vorstadtprinzessin es problemlos hinbekam, mich hart zu kriegen und flirtete deshalb auf Teufel komm raus mit Sheriff Newports untreuer Ehefrau.

„Jetzt, wo du anrufst, geht es mir schon viel besser, Babe“, antwortete ich träge.

Obwohl ich sie eigentlich loswerden wollte, ließ ich meinen Charme spielen, um mich selbst davon zu überzeugen, dass Cathy keinen Einfluss auf mich hatte.

„Oh Baby, ich kann die Dunkelheit kaum erwarten. Wir zwei werden es uns richtig schön machen.“

Super, dann konnte ich mir Cathy ein für alle Mal aus meinen Gedanken vögeln. Ich wollte mich gerade verabschieden, als sie plötzlich anfing, von ihrer Schwester zu erzählen, die schon das vierte Kind erwartete und sich laut Scarlett komplett die Figur ruinierte. Ich klopfte nervös mit den Fingern auf meinem Oberschenkel herum. Sonst war sie nicht so gesprächig, doch in letzter Zeit zwang sie mir ständig irgendwelche Erzählungen von ihrem privaten Scheiß auf. Darauf hatte ich keinen Bock und ich wollte auch nichts über die Tücken eines wachsenden Babybauchs erfahren.

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und fiel ihr ins Wort. „Hör mal, ich muss gleich noch weg.“

War ja nicht mal gelogen. Wenn ich Scarlett noch etwas anderes als meinen einsatzbereiten Schwanz anbieten wollte, musste ich meinen Arsch dringend in den Supermarkt bewegen. „Wir sehen uns später, okay?“

Dass ich sie so abwürgte, gefiel ihr gar nicht. „Wieso hast du es immer so eilig?“, fragte sie eingeschnappt und ignorierte meinen Versuch, dieses Gespräch zu beenden. „Wir könnten doch schon vorab ein bisschen Spaß am Telefon haben. Es ist schon über eine Woche her, dass wir uns gesehen haben. Komm schon, ich bin so verflucht scharf auf dich“, sie keuchte leise, „ich könnte durchdrehen.“

Sie wollte also, dass ich es ihr am Telefon besorgte? Wäre meine Laune nicht total am Arsch gewesen, hätte ich mich vielleicht sogar dafür begeistern können. Sie tat das in jedem Fall und säuselte mir bereits die ersten Schweinereien ins Ohr. Früher hätte mich das angetörnt, jetzt wollte ich einfach nur auflegen. Warum fühlte ich mich davon so abgestoßen? Sie war schon immer eine Frau mit ausgeprägt erotischer Neigung gewesen und verhielt sich nicht anders als sonst.

„… ich schiebe mir ganz langsam den Finger in meine Pussy …“

Oh Mann, ich schaltete innerlich total ab und fixierte ausführlich den langen Riss, der sich von der linken Seite der Decke über die gesamte Fläche zog. Selbst die weiße Malerfarbe, scheißteuer und angeblich das Beste, was man für sein Geld bekommen konnte, hatte die Linie nicht überdecken können.

„Zac, hörst du mir überhaupt zu?“ Die ekstatische Glut in ihrer Stimme verlor sich und wich unverhohlenem Ärger.

„Klar hör ich dir zu. Du spielst mit deiner Pussy, ich habe schon verstanden“, antwortete ich und gab mir noch nicht einmal Mühe, Interesse zu heucheln. Nur war sie zu dumm, meine fehlende Begeisterung zu bemerken. In dem Glauben, sich meiner Aufmerksamkeit wieder sicher zu sein, setzte sie ihr Spielchen fort.

„Kannst du dir vorstellen, wie nass ich schon bin? Ich sehne mich nach deinem Schwanz, ich will, dass du ihn ganz tief in mich reinsteckst“, stöhnte sie in den Hörer.

Ich blickte an mir runter. Da rührte sich rein gar nichts. Jetzt fixierte ich das achtlos abgelegte Pornoheft auf meinem Wohnzimmertisch. Mit einer Wichsvorlage hätte ich wahrscheinlich mehr Spaß gehabt als mit Scarletts Gejaule am Ohr. Ich beschloss, diese Sache an dieser Stelle abzubrechen. Auch wenn ich Scarlett im Grunde nicht leiden konnte, wollte ich nicht, dass sie sich hier noch weiter erniedrigte, selbst wenn sie das nicht so empfand.

„Scarlett, hör mal, so was ist echt nicht mein Ding. Spar dir das für heut Abend auf, dann haben wir beide was davon!“, riet ich versöhnlich und stand mit dem Hörer am Ohr auf. Ich lief zu einer handgeschnitzten Kommode mit antikem Touch, billig erworben auf einem Trödelmarkt in Austin. Dort bewahrte ich meine Klamotten auf. Ich klemmte das Handy zwischen Ohr und Schulter fest und holte frische Sachen zum Anziehen heraus. Jeans, dazu ein weißes T-Shirt, meine bevorzugte Farbe neben Schwarz.

„Du wirst langsam ein richtiger Langweiler, Zac“, beschwerte sich Scarlett. „Am Anfang warst du viel experimentierfreudiger.“

Da war ich auch noch richtig heiß auf dich, Herzchen.

„Du kannst dir ja einen neuen Kerl suchen“, schlug ich hoffnungsvoll vor.

Die Möglichkeit, sie vielleicht auf diese Weise elegant loszuwerden, wollte ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Leider dachte sie nicht daran, mich in die Wüste zu schicken.

„Oh Baby, sag doch nicht so etwas. Du weißt, du bist der Beste, den ich jemals hatte.“

Meine Enttäuschung kannte keine Grenzen. So leicht würde ich mich wohl nicht aus dieser Affäre rausschummeln können. Normalerweise machte ich keine halben Sachen und sagte klipp und klar, wenn es vorbei war, aber bei Scarlett hatte ich das ungute Gefühl, dass es hässlich enden könnte. Das Bild von Sheriff Newports Knarre stieg vor meinem inneren Auge auf, dann folgte der Idiot selbst, die dicken Wurstfinger am Abzug, während er den eiskalten Lauf genau zwischen meine Augen richtete. Traum oder Zukunftsvision? Ich war nicht scharf darauf, es herauszufinden.

„Wenn ich so gut bin, wie du sagst, dann kannst du dich sicher noch bis heut Abend zurückhalten. Oder du machst es dir ganz einfach allein. Du weißt doch, Ficken ist live nie so schön, wie man es sich beim Wichsen vorstellt.“

„Du bist manchmal so ein Schwein, Zac.“

Ich grinste breit, diesmal ehrlich amüsiert. „Als ob du das nicht mögen würdest.“

Sie lachte verlegen, aber auch eine Spur beleidigt. „Wenn du nicht so ein gut aussehender Bastard wärst, hätte ich dir schon längst Jims Hunde auf den Hals gehetzt.“

Oh fuck, die Köter von Sheriff Newport waren fleischfressende Bestien. Allein an diese Viecher zu denken, bescherte mir eine Gänsehaut. Newport besaß zwei fast zwanzig Pfund schwere Staffordshire Bullterrier, die er auf seinem Grundstück am Stadtrand hinter drei Meter hohen Zäunen hielt. Diese Tiere waren fast vierzig Zentimeter hoch, hatten schwarzes Fell, mit vereinzelten weißen Flecken durchsetzt, und blickten mit ihren breiten Nasen und ihren klugen, aber lauernden Augen durch die quadratischen Lücken des Eisenzauns, sobald jemand es wagte, auch nur in ihre Nähe zu kommen. Gut erzogen und sozialisiert, wären es tolle Tiere gewesen, aber Newport hatte sie zu Kampfhunden hochgezüchtet und es war besser, nicht in ihre Nähe zu kommen.

„Würdest du das denn tun? Die Hunde deines Alten auf mich hetzen?“

Meine Frage war durchaus ernst gemeint und Scarletts Antwort bestand aus einer unmissverständlichen Drohung.

„Wenn du mich verärgerst, könnte das durchaus passieren, Darling.“

Sie lachte heiser, doch das konnte weder die Schärfe noch die Bedeutung ihrer Worte abmildern. Mit Scarlett war nicht zu spaßen, und ich bereute mittlerweile, mich jemals auf sie eingelassen zu haben.

„Nun, dann werde ich wohl dafür sorgen müssen, dass so was nicht vorkommt. Nicht wahr?“

„Ganz genau, Darling.“ Erneut dieses aufgesetzte Lachen, ehe sie sich endlich verabschiedete. „Wir sehen uns dann um acht, Zac. Ich werde pünktlich sein.“

Sie legte auf, und ich starrte noch eine Weile unbehaglich auf das blinkende Display, ehe ich mich dazu aufraffen konnte, meine Wohnung zu verlassen. Scheiß Weiber! Machten nichts als Ärger.

Der Supermarkt war nur ein paar Schritte entfernt, trotzdem setzte ich mich in meinen heiß geliebten Mustang und legte die Strecke mit dem Wagen zurück. Ich liebte den Geruch des schwarzen Leders und das brummende Geräusch des Motors. Dieses innerliche Vibrieren, das mich jedes Mal ergriff, wenn der Motor laut aufheulte, fand ich fast so berauschend wie einen Orgasmus. Wenn ich mit meinem Wagen durch Milton Oaks cruiste, fühlte ich mich frei, so als wäre alles möglich. Ich müsste nur das Gaspedal durchdrücken und schon wäre ich in der Lage, dieser ätzenden Kleinstadt für immer zu entkommen.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Ich stellte den Wagen auf dem halb leeren Parkplatz ab. Vor dem Supermarkt hingen ein paar Kids ab. Sie schlürften Milchshakes und machten Blödsinn, zwei Rentner saßen unter dem Vordach und unterhielten sich. Sie alle schenkten mir keine Beachtung, als ich an ihnen vorbei in das voll klimatisierte Geschäft trat. Mit meinem Einkaufswagen drehte ich meine Runden und schmiss wahllos irgendwelche Lebensmittel rein. Alles Fertigkram, ich musste es nur noch aufwärmen. Drei Sixpacks mit Bier wanderten dazu, außerdem zwei Kanister mit Wasser.

Aus dem Augenwinkel sah ich den Supermarktleiter auf mich zustürmen. Wilbur Mulligan. Er war Mitte vierzig, Single und so hässlich, dass sich sein Beziehungsstatus auf Facebook wohl nicht so schnell ändern würde. Außerdem duzte er mich seit jeher und zeigte mir so seinen fehlenden Respekt. Statt wie erhofft an mir vorbeizulaufen, blieb er direkt neben mir stehen.

„Zac, wir haben uns schon lang nicht mehr gesehen.“

Sein freundliches Getue ging mir auf den Sack, außerdem traute ich ihm nicht über den Weg. Der Kerl war sonst nie nett zu mir, sondern behandelte mich wie Abfall.

„Kann nicht sagen, dass mich das stören würde“, erwiderte ich schleppend.

Wilbur schluckte bei dieser unverschämten Antwort und starrte mich aus seinen winzigen Maulwurfsaugen an. Er tobte innerlich, ich konnte sehen, wie sich sein Gesicht vor Wut rot färbte, angefangen beim Hals, bis hoch zu seinen Schläfen.

„Du solltest den Mund nicht so voll nehmen, Morrison. Sonst kannst du deinen Fraß in Zukunft woanders kaufen.“

Seine Drohung beeindruckte mich kein bisschen. Grinsend verlagerte ich das Gewicht von einem Bein aufs andere und betrachtete amüsiert diesen lächerlichen Wicht.

„Wollen Sie mir Hausverbot erteilen?“ Dass ich ihn nicht ernst nahm, konnte man meiner Stimme entnehmen.

„Denkst du, ich mach das nicht?“

Nun klang er beinahe weinerlich. Dieses Gespräch ging mir auf die Nerven. Immer derselbe Scheiß. Wieso konnten mich die Leute nicht einfach in Ruhe lassen? Aber offensichtlich brauchten einige einen Prügelknaben, an dem sie ihre Aggressionen und ihre Unzufriedenheit ausleben konnten. Nur dass ich keinen Bock hatte, das Opfer für sie zu spielen. Um fair zu bleiben, musste ich zugeben, dass nicht alle so waren. Die meisten ignorierten mich einfach oder begegneten mir mit neutraler Höflichkeit, doch einige, Wilbur zum Beispiel oder die Kilbournes, taten alles, um mir das Leben schwer zu machen. Auf einmal fühlte ich mich schrecklich müde.

„Hören Sie, wenn Sie mir nichts zu sagen haben, würde ich gerne meinen Einkauf beenden. Und zwar ohne Ihre Gesellschaft.“ War ich nicht ein höfliches Bürschchen? Zuerst schien es, als wollte Wilbur noch etwas sagen, dann schnaubte er verächtlich und verschwand im nächsten Gang. Endlich. Mit dem Einkaufswagen steuerte ich auf die Regale mit den Snacks zu. Chips, ich brauchte für heute Abend unbedingt welche. Ich wählte meine Lieblingssorte und schob meine Ausbeute zu den Kassen. Die Metallräder ratterten eiernd über den glatten Fliesenboden, doch ich kam nicht weit.

„Zac Morrison, du gottverdammter Dieb! Gib mir sofort den Geldbeutel zurück, den du aus dem Handschuhfach meines Wagens geklaut hast, sonst wirst du deines Lebens nicht mehr froh.“

Die schrille Frauenstimme hinter mir kam mir viel zu bekannt vor. Ungläubig drehte ich mich um und sah, wie Direktor Kilbournes werte Gattin zornbebend auf mich zulief und mich mit ihren stechend blauen Augen aufspießte. Schließlich blieb sie vor mir stehen, die kalten Augen verächtlich auf mein Gesicht gerichtet.

„Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden, Mrs. Kilbourne“, antwortete ich und presste die Lippen fest zusammen.

„Tu nicht so, Zac. Wer sollte denn meinen Geldbeutel sonst haben? Ich habe ihn im Handschuhfach liegen lassen, als ich den Wagen zur Reparatur gebracht habe, und nun ist er weg.“

Die anderen Kunden im Laden bekamen Mrs. Kilbournes Auftritt mit und tuschelten schon leise. Dass sie mich einfach so des Diebstahls bezichtigte, verschlug mir die Sprache. Sie war genauso selbstgerecht und arrogant wie Cathy. Ein bitteres Gefühl durchzog mich, während ich Mrs. Kilbourne musterte. Eines musste ich zugeben, sie sah für ihr Alter noch ganz gut aus. Eine äußerst gepflegte Frau Mitte vierzig.

„Ich habe Ihren Geldbeutel nicht“, erklärte ich mühsam beherrscht.

„Das kannst du deiner Großmutter erzählen, ich glaub dir kein Wort“, fauchte sie und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Ich sag es dir ein letztes Mal: Gib mir meinen verdammten Geldbeutel zurück!“ Mit einem rot lackierten Fingernagel stach sie mir in die Brust. Schmerzhaft tief bohrte er sich durch den weichen Stoff meines T-Shirts. Irritiert über ihre unverhohlene Aggressivität, machte ich einen Schritt rückwärts.

„Hey, fassen Sie mich nicht an! Dazu haben Sie kein Recht“, fuhr ich sie an, doch das machte sie nur noch wütender.

„Du impertinenter kleiner Halbstarker, ich fasse dich an, wann es mir passt! Einer wie du, ein Dieb und Schläger, verdient keinen Respekt.“

Ihre Stimme hallte immer lauter durch die Gänge. Mittlerweile bildete sich eine regelrechte Menschentraube um uns herum. Wahrscheinlich würde es nur wenige Stunden dauern, bis sich die Geschichte über meinen angeblichen Diebstahl wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt verbreitet hatte. Wenn die Leute glaubten, ich hätte die angesehene Frau des Schuldirektors bestohlen, dann war ich endgültig untendurch bei den Bewohnern von Milton Oaks. Fieberhaft überlegte ich, wie ich aus diesem Scheiß wieder rauskommen konnte.

Mein Wort allein würde wohl nicht ausreichen. Auch wenn Mrs. Kilbourne mir nicht eindeutig nachweisen konnte, ob ich sie bestohlen hatte oder nicht, galt für meine Unschuld das Gleiche. Ihr Wort gegen meines. Tja, dreimal konnte ich raten, welches schwerer wog.

„Was geht denn hier vor sich?“

Super. Ich schloss entnervt die Augen. Wilbur gesellte sich zu uns. Der fehlte mir noch zu meinem Glück. Nicht nur, dass er ein arroganter Pisser war, er galt auch als das größte Lästermaul der Stadt. Meine schwache Hoffnung, dass vielleicht doch nicht ganz Milton Oaks von diesem Vorfall erfahren würde, zerschlug sich innerhalb von Sekunden. Ich tat das einzig Mögliche und stellte mich der Situation.

„Ich habe Sie nicht bestohlen, Mrs. Kilbourne“, beteuerte ich und blieb nach außen hin gelassen. „Vielleicht sehen Sie noch mal in Ruhe zu Hause nach, er muss bei Ihnen sein.“ Wow, meine Stimme klang höflich, beherrscht und zuversichtlich. Ich blickte in Mrs. Kilbournes hellblaue Augen und bemerkte zum ersten Mal die unglaubliche Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrer Tochter. Cathy war eine jüngere Version, frischer und auch nicht so hart im Ausdruck, aber zumindest konnte man erkennen, wie sie in zwanzig Jahren aussehen würde, wenn man ihrer Mutter gegenüberstand. Die spuckte gerade Gift und Galle. Alter, was hatte die nur eingeworfen?

„Du lügst doch, sobald du den Mund aufmachst, aber mich täuschst du nicht.“

Genervt drehte ich den Kopf. Wilbur Mulligan lächelte über seine ganze schadenfrohe Visage. Als er meinen Blick bemerkte, trat er näher. Ich konnte mir schon vorstellen, wie er sich innerlich die Hände rieb, weil er mir jetzt ordentlich eins auswischen konnte. Arschloch …

„Soll das heißen, Zac hat Sie bestohlen, Mrs. Kilbourne?“

Seine süßliche Stimme verriet das Ausmaß seiner Genugtuung. Megaarschloch.

„Hundertprozentig“, antwortete Cathys Mutter und musterte mich angeekelt. Sie stellte mich offenbar auf die gleiche Stufe mit einer gewöhnlichen Küchenschabe.

„Mein Wagen stand den ganzen Tag in der Werkstatt seines Onkels“, fuhr sie fort. „Ich habe versehentlich mein Portemonnaie im Handschuhfach liegen lassen. Leider habe ich es zu spät bemerkt, weil ich es die ganze Zeit nicht gebraucht habe, und als ich es holen wollte, da war es weg.“

Sie warf mir einen derart hasserfüllten Blick zu, dass ich ein unbehagliches Flattern in der Magengegend verspürte. Unterdessen wurde ihr Tonfall noch eine Nuance missfälliger. „Eigentlich könnte man erwarten, dass man sich in einer friedliebenden Stadt wie Milton Oaks um sein Hab und Gut keine Sorgen machen muss, aber offensichtlich habe ich mich getäuscht.“ Sie schüttelte den Kopf, als wunderte sie sich über sich selbst. „Wie dumm von mir, anzunehmen, der Geldbeutel würde noch dort liegen, wenn der Wagen wieder aus der Werkstatt kommt. Ich werde allen in der Stadt davon erzählen, dass man in der Werkstatt des alten Morrison bestohlen wird. Danach kann er den Laden dicht machen.“

Was für eine gemeine alte Schlange! Mein Onkel hatte mit der Sache nichts zu tun, und trotzdem scheute sie nicht davor zurück, seinen guten Ruf zu zerstören, nur um ihr aufgeblasenes Ego zu befriedigen und mir eins auszuwischen. Ich ballte die Hände zu Fäusten und hörte mein Blut in den Ohren rauschen. Und dann noch ihre triumphierenden Blicke. Sie genoss es, mich vor allen Leuten zu demütigen und fertigzumachen. Wahrscheinlich vermisste sie den Geldbeutel nicht einmal und nutzte nur die Gelegenheit, mich in Schwierigkeiten zu bringen. Sie hasste mich schon immer. Mittlerweile interessierte mich nicht einmal mehr, wieso.

„Also wirklich, Zac. Du solltest der armen Mrs. Kilbourne ihren Geldbeutel wieder zurückgeben.“

„Ich. Habe. Den. Verdammten. Geldbeutel. Nicht!“ Wort für Wort presste ich diesen Satz aus mir heraus. Ich kochte, vor Wut, vor Enttäuschung. Ich hasste dieses Weib, ich hasste diese Stadt und am meisten hasste ich mich selbst, weil ich wie ein Vollidiot dastand und mich vorführen ließ.

„Leugnen ist zwecklos, Zac“, erklärte Wilbur.

Ich musste erneut dieses widerwärtig schleimige Grinsen ertragen, diese Selbstgerechtigkeit war einfach zum Kotzen.

„Warum rückst du den Geldbeutel nicht raus? Vielleicht sieht Mrs. Kilbourne dann von einer Anzeige ab?“ Beifall heischend sah er sie an, doch Cathys Mutter kreuzte nur abwehrend die Arme vor der Brust und reagierte überhaupt nicht.

Das alles war totaler Mist, ich verlor die Kontrolle. „Verdammte Scheiße, hört mir denn hier keiner zu?“

Ich schrie so laut, dass Wilbur wie ein aufgescheuchtes Huhn einen Satz nach oben machte und sich an die Brust griff.

Friss Scheiße, Mulligan …

Ich achtete nicht weiter auf ihn, sondern sah Mrs. Kilbourne direkt in die Augen. Ich merkte, dass sie für einen Moment die Kontrolle über ihre Mimik verlor. Sie wirkte unsicher, irgendwie müde. „Ihr Geldbeutel kann sonst wo sein. Vielleicht haben Sie ihn vorher schon verlegt und es einfach vergessen. Sie beschuldigen mich doch nur, weil Sie mich nicht leiden können!“

„Unterstellst du mir etwa, dass ich lüge?“, fragte sie drohend.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739491585
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Bad Boy Sexy Romance Romantik Junge Erwachsene Liebe Romanze Erotik Erotischer Liebesroman Liebesroman

Autor

  • Vivian Hall (Autor:in)

Vivian Hall lebt mit ihrer Familie im Süden Deutschlands und schreibt romantisch-sinnliche Liebesromane.
Zurück

Titel: Salvation: Brennende Herzen