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Mann im Entblätterteig

von Kathrin Brückmann (Autor:in)
223 Seiten

Zusammenfassung

Emmelie verbindet ihre Arbeit als Klubreporterin für eine Berliner Onlinezeitung gern mit der Suche nach dem Mann fürs Leben. Doch dann wird die Zeitung von einem Verlagsriesen geschluckt, und Emmelie verliert ihr Ressort. Schlimmer noch, der neue Oberboss versetzt sie ins Home Office und zum Ressort Kochen & Backen. Erstes Problem: Emmelie kann nicht kochen. Zweites Problem: Wie findet man in den eigenen vier Wänden den Traummann? Dank Emmelies Talent, selbst Wasser anbrennen zu lassen, endet der erste Backversuch in einer Katastrophe, die sie beinahe den Job kostet. Probleme bei der Arbeit und Männer, die viel mit ihren Kochdesastern gemeinsam haben – Emmelie beginnt zu verzweifeln. Wird sie je den Richtigen finden, oder sabotiert sie sich wirklich selbst, wie ihre Freundin Susu behauptet? Da kommt ihr die Reise nach Bremen zur Hochzeit einer Schulfreundin gerade recht, um klarer zu sehen. Stattdessen gibt sie sich die Kante beim Junggesellinnenabschied, und ihre letzte klare Erinnerung ist der peinliche Auftritt des Strippers im Goldhöschen. Ein turbulenter Liebesroman.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Angefeuert

Emmelie saß mit den Kollegen am großen Redaktionstisch und lauschte den Willkommensworten ihres neuen Chefs, der endlos über die Vorzüge seines international vernetzten Verlagshauses schwadronierte. Es fielen Worte wie Kompetenz und Reichweite, dabei interessierte die Belegschaft nur, wie es mit ihrer eigenen Zeitung weiterginge. Da endlich kam Claus Meyerdinck zur Sache. »… natürlich wird es einige personelle Veränderungen geben …« Er ließ die Worte wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen hängen und musterte die Gesichter. Seine Begleiter, drei Männer in Anzügen mit Krawatte, die hier so deplatziert wirkten wie Hochhäuser auf dem Dorf, trugen ausdruckslose Mienen zur Schau. Seine Leibwächter? Speichellecker?

Ihr fuhr der Schreck in die Glieder. Hatte es nicht geheißen, keiner würde entlassen? Sie linste zu den Kollegen hinüber. Die waren genauso sprachlos wie sie selbst, nur Chefredakteur Tobias Findeisen sah aus, als hätte man ihn mit der Hand in der Keksdose ertappt. Hatte er es gewusst und nichts gesagt? Emmelie traute ihm so viel Niedertracht eigentlich nicht zu; immerhin hatte er die Onlinezeitung mit viel Herzblut und Engagement aufgebaut und zu dem gemacht, was sie heute war: interessant genug für eine Firma wie die Münchner Meyerdinck AG. In elegantem Schwung segelte ein Blatt des Ficus zu Boden, als hätte es nur darauf gewartet, dass endlich einmal Stille herrschte.

Sie wussten natürlich alle, auf was für wackligen Füßen, finanziell gesehen, Ü-Berlin, seit Langem stand. Tobias musste um jeden Anzeigenkunden kämpfen, weil die Leser lieber mit Adblocker surften, und ein Abosystem würde auch nicht genug bringen, da war sich das Team einig. Dafür gab es zu viele Gratisangebote im Netz. Ein schwieriger Spagat also, den sie letztlich nicht hatten bewältigen können. Seit bekannt geworden war, dass Verlagsriese Meyerdinck sie schlucken würde, standen die Zeichen auf Sturm, dessen Wogen Tobias zu glätten bemüht war. Meyerdinck sei ein Familienunternehmen, vom Chef persönlich geführt, da werde kein betriebsferner CEO alles umwerfen, was sie in zehn Jahren aufgebaut hatten, und niemand werde seine Arbeit verlieren. Von wegen! Emmelie ahnte, wen es zuerst treffen würde: sie als jüngstes Mitglied des Redaktionsteams. Tobias schien ihren eisigen Blick zu spüren; er rieb sich den Nacken und schielte zu ihr hinüber. Oh ja, er wusste genau, was Meyerdinck plante!

Das kleine runde Männchen rieb sich zufrieden die Hände. »Ich werde Sie jetzt einzeln in Herrn Findeisens Büro rufen und mit Ihnen besprechen, wie es weitergeht. Guten Tag, meine Herren … und Damen.« Gefolgt von seiner Entourage stolzierte er davon, bei jedem Schritt einen kleinen Hüpfer machend, als könnte ihn das größer erscheinen lassen.

Was für ein Wicht – Emmelie hasste den Giftzwerg schon jetzt aus tiefster Seele. Wo sollte sie eine neue Stelle finden? Arbeitslose Journalisten gab es wie Sand am Meer. Und sie war so froh gewesen, nach dem Studium gleich bei Ü-Berlin untergekommen zu sein, auch wenn es sich nur um ein regionales Stadtblatt ohne Printausgabe handelte. Immerhin ein Sprungbrett!

Tobias, dieser Verräter, schlich seinem neuen Herrn und Meister hinterher. An der Tür zu seinem Büro drehte er sich um und winkte Jürgen Ziemlich heran. Der Sportredakteur ging gelassen auf die beiden zu, und bald darauf waren sie in Tobias’ Arbeitszimmer verschwunden. Emmelie wusste nicht, wohin mit ihren geballten Fäusten. Klar, Jürgen musste sich als Ältester im Team kaum sorgen, und Sport ging eh immer. Tobias würde ›seinen besten Mann‹, wie er ihn oft nannte, kaum im Regen stehen lassen. Emmelie sah sich in dem chaotischen Großraumbüro um, das ihr in dem halben Jahr, seit sie hier arbeitete, bereits eine zweite Heimat geworden war. Die Kollegen hatten Grüppchen gebildet und tuschelten miteinander. Sie kam sich ausgeschlossen vor, schon jetzt als nicht mehr dazugehörig, und jeder schien es zu wissen. Die ›Familie‹ ließ sie bereits im Stich, oder bildete sie sich das ein? Da kreuzte ihr Blick den von Michaela, der einzigen anderen Frau im Team, und diese neigte einladend den Kopf. Erleichtert wischte Emmelie sich die Augen und gesellte sich zu der Reporterin für Bezirkspolitik und Tim, dem Mann fürs Feuilleton.

»Wird schon nicht so schlimm werden. Weißt ja, was Tobi versprochen hat.« Michaelas Worte klangen wie ein Mantra. Sie war auf den Job genauso angewiesen wie sie alle hier.

»Wenn jemand fliegt, dann ich.« Es klang bitterer, als Emmelie beabsichtigt hatte.

»Ach was! Ich glaub nicht, dass du dich sorgen musst. Wer soll sonst die Klubreportagen übernehmen? Das ist doch unser Aushängeschild.« Tim zwinkerte ihr zu. »Für mich ist das nichts, ich bin mehr der Kulturmensch. Und mit Theater, Oper und Museen hab ich schon genug zu tun.«

Emmelie lächelte ihn dankbar an. »Eigentlich kann ich mir auch nicht denken, dass Tobias uns angelogen hat.«

Das Gemurmel der anderen verstummte – Emmelie sah auf, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Jürgen stolzierte stolz geschwellten Bierbauchs dorthin, wo vorhin Meyerdinck seine kleine Ansprache gehalten hatte. Mit wichtigtuerischer Miene verkündete er: »Tim, du bist der Nächste.«

»Jetzt gilt’s«, stöhnte der und setzte sich in Bewegung.

Emmelie hörte Meyerdinck noch sagen: »Nehmen Sie Platz, Herr Lehmann«, dann schloss sich die Tür wieder.

Jürgen wurde unterdessen von den anderen belagert, zog aber nur mit Daumen und Zeigefinger einen imaginären Reißverschluss über seinem Mund zu. »Von mir hört ihr nix.« Die kahle Stelle auf seinem Schädel glänzte wie ein Scheinheiligenschein.

»Nun sag schon!« – »Mach’s Maul auf!« – »Gefeuert oder nicht?«

Emmelie hielt sich die Ohren zu. Jürgens selbstgefällige Visage sagte doch schon alles. Außerdem war der Typ ein Arsch, und Scheiße schwimmt bekanntlich immer oben. Ihn konnte sie als Einzigen im Team nicht leiden, und das lag beileibe nicht nur an ihrem Desinteresse für Sport. Der Mann riss dauernd zotige Witze, die haarscharf an sexueller Belästigung vorbeischrammten und oft genug sie selbst zum Ziel hatten.

Während einer nach dem anderen im Allerheiligsten verschwand und mit kryptischer Miene wieder auftauchte, hielt sie die Anspannung kaum aus. Natürlich wurde sie als Letzte gerufen, als alle anderen schon aufatmen konnten. Die Glücklichen! Auch wenn niemand etwas über sein Gespräch mit der neuen Chefetage gesagt hatte – schlecht war es für keinen gelaufen, das sah man ihnen an. Also war sie das auserkorene Opfer, das auf Meyerdincks Altar dargebracht werden sollte. Dass man sie als Einzige rauswarf, kam ihr extrem unfair und im Grunde auch unwahrscheinlich vor, aber was sollte ›personelle Veränderungen‹ sonst bedeuten?

»Fräulein Landau, bitte!«

Sie warf die Haare in den Nacken und streckte das Kinn vor. Schnell noch die feuchten Handflächen am Rock abgewischt, dann trat sie ihren Weg aufs Schafott an. Der kleine Raum war mit den fünf Herren ziemlich überfüllt. Warum die drei Bodyguards aus München dabei waren, konnte sie sich nicht denken, es sei denn, Meyerdinck fürchtete eine Verzweiflungstat eines seiner neuen Schäfchen.

»Setzen Sie sich.« Die fleischige Hand des neuen Chefs wies auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch.

Dankbar ließ Emmelie sich auf die Sitzfläche sinken, bevor ihre Knie einknicken konnten. Tobias mied ihren Blick. Na gut, das konnte sie auch. Sie lächelte gegen ihre Angst an.

»Ja, Fräulein Landau, wie ich höre, machen Sie Ihre Sache gar nicht so schlecht, trotz Ihrer jungen Jahre.«

»Danke«, murmelte sie. Wo blieb das Aber?

»Aber Sie verstehen natürlich, dass ich für die Reportagen über die Klubszene einen männlichen Reporter bevorzuge. Das ist ja auch nicht ganz ungefährlich, nicht wahr, Mädchen? Drogen, Alkohol und eine junge Frau nachts allein auf den Straßen.« Väterlich besorgt wiegte er sein rundes Haupt.

Emmelies Mund wurde schlagartig trocken. »Nein, ich …«, krächzte sie. Wie konnte sie ihm nur klarmachen, dass sie dem absolut gewachsen war?

Doch Meyerdinck schwadronierte bereits weiter. »Ich dachte mir, das lassen wir lieber unseren Herrn Altendorf hier übernehmen.«

Einer der Schlipsträger, ein Schnösel Anfang dreißig mit so stark gegeltem Haar, dass es wie ein Helm wirkte, lächelte schmal und nickte ihr zu. Was wollte so einer denn in Berlins quirligem Nachtleben? Emmelie hatte einige Zeit gebraucht, um Kontakte zu Klubbetreibern und Türstehern aufzubauen. Jetzt war sie überall gern gesehen und hatte sich mit ihren Kritiken bereits einen kleinen Namen gemacht. Dieser Piefke dagegen scheiterte vermutlich schon am Einlass. Sie wollte Meyerdinck das sagen und öffnete den Mund.

Der schnitt ihr mit einer herrischen Geste das Wort ab. »Was Ü-Berlin bislang fehlt, ist die etwas frauliche Note, die weibliche Leser anspricht. Ich dachte da an Kochtipps und Backrezepte. Das sollte Ihnen doch viel eher entsprechen, Sie sind ja sehr fraulich.« Sein Blick wanderte über Emmelies Kurven und wurde von einem Lächeln begleitet, das ihr Gänsehaut bereitete.

»Ich kann aber nicht kochen«, brachte sie heraus, bevor sich ihre Kehle endgültig wie zugeschnürt anfühlte.

Meyerdinck runzelte die Stirn. »Da haben Sie es!«, sagte er zu Tobias, als wäre ihr hausfrauliches Versagen seine Schuld. »Mein liebes Fräulein Landau, sehen Sie das als Chance. Lernen Sie es! Lernen Sie es! Oder wollen Sie Ihren Platz in der Redaktion räumen?«

Benommen schüttelte Emmelie den Kopf. Nur das nicht!

Tobias räusperte sich unbehaglich. »Tut mir echt leid, Emmelie. Ich hab alles versucht …«

Er sah so unglücklich aus, dass sie ihm das sogar glaubte. Selbst dem geleckten Altendorf schienen Meyerdincks vorsintflutliche Ansichten peinlich zu sein. Vermutlich gehörten auch die anderen beiden Schlipsträger jetzt zum Team. Ob sie die Einzige war, die ihr Ressort verloren hatte?

Meyerdincks Stimme unterbrach ihre müßigen Überlegungen – sie würde es früh genug erfahren. »Auf gute Zusammenarbeit. Guten Tag, Fräulein Landau.«

Sie erhob sich und schüttelte Meyerdincks Hand. Das geschah doch nicht wirklich? Vielleicht würde sie gleich aufwachen und über den Albtraum lachen.


Daheim in ihrer kleinen Wohnung in Berlin-Friedrichshain verließ Emmelie die mühsam zur Schau getragene Haltung. Sie warf sich aufs Sofa und wollte sich gerade so richtig schön ausheulen, als das Telefon klingelte. »Susu, gut, dass du anrufst!« Ihre seit Schultagen beste Freundin schickte der Himmel.

»Na, ich wollte doch mal hören, wie der neue Chef so ist. Was ist los, du klingst so komisch? Hast du etwa geweint?«

Frische Tränen quollen unter Emmelies Lidern hervor. »Ach Susu … Dieser Meyerdinck ist so ein Drecksack, das glaubst du gar nicht! Spaziert bei uns rein wie Napoleon und macht Tabula rasa.«

Am anderen Ende der Leitung japste ihre Freundin. »Nein! Er hat euch alle gefeuert?«

»Das nun nicht. Wir haben sogar drei neue Kollegen bekommen. Verstärkung für Jürgen, weil Sport ja ach so wichtig ist, außerdem einen Typen, der überregionale Themen bearbeiten soll – und dann wäre da noch der Altendorf, der jetzt mein Ressort übernimmt.«

»Oh nein! Und du? Gefeuert?«

Emmelie schnaubte. »Ich wünschte fast, es wäre so! Du sprichst mit der Leiterin des brandneuen Ressorts Kochen und Backen.«

Susu gab unterdrückte Laute von sich.

»Du lachst doch nicht etwa?«

Da platzte ihre Freundin heraus. »Du und kochen? Dir brennt doch sogar Wasser an!«

»Susu! Ich bin verzweifelt! Meyerdinck hat das Sagen, und er sagt, ich bin raus aus den Klubs. Fräulein, er hat mich Fräulein Landau genannt! Und gemeint, ich hätte so was Frauliches! Nachts auf den Straßen wäre es doch für mich viel zu gefährlich. Was soll ich bloß tun? Hör auf zu gackern wie ein blödes Suppenhuhn, das ist nicht komisch!«

Schlagartig wurde Susu ernst. »Nein, ist es nicht, ‘tschuldige. Aus welcher Höhle ist der denn gekrochen? Der Typ ist ja wohl ein reinrassiger Chauvinist und Sexist. Weißt du was? Du könntest ihn verklagen! Wir hatten neulich erst in Arbeitsrecht einen ähnlichen Fall. Du würdest garantiert Recht bekommen.«

»Und meine Stelle verlieren.« Emmelie seufzte. Als angehende Juristin sah ihre Freundin nur den rechtlichen Aspekt der Sache, nicht die harte Realität des Arbeitslebens. So was sprach sich herum, wenn eine Journalistin ihren Herausgeber verklagte. Sie würde nirgends mehr Fuß fassen können. »Recht haben und Recht bekommen … du weißt schon. Dabei ist Meyerdinck noch nicht mal so alt, wie man anhand seiner Ansichten glauben könnte. Also … sicher schon Nachkriegsgeneration.«

»Welcher Krieg?«, frotzelte Susu. »Es gab ja zwei Weltkriege …«

Emmelie musste lachen. »Ach du! Hey, mein neuer Chef sieht übrigens fast so aus wie Danny de Vito.«

»Ach, doch so groß? Das erklärt manches, wenn nicht gar vieles wie etwa, dass er Frauen gern klein macht. Du, wenn der dich feuert, kannst du auch dagegen klagen!«

Sie schüttelte den Kopf, obwohl ihre Freundin das nicht sehen konnte. »Das bringt doch alles nichts. Und mein Nachfolger Altendorf sieht aus, als hätte er einen Stock gefrühstückt, ein typischer Schlipsträger.«

»Vielleicht stolpert er ja über seinen Schlips und fällt gehörig auf die Schnauze, dann holt Rumpelstilzchen dich schneller zurück zu den Klubs, als du gucken kannst.«

Emmelie prustete heraus. »Rumpelstilzchen, wie das passt! Schön wär’s, wenn Altendorf zu seiner Alten ins Dorf zurückmüsste! Aber was mache ich bis dahin? Es wär ja kein Problem, wenn ich einfach nur irgendwelche Rezepte abschreiben müsste. Ich soll mir aber selbst welche ausdenken! Und natürlich kochen und Fotos davon machen. Einem Kochbuchverlag die Rechte abzukaufen, das käme ja zu teuer und würde Meyerdincks journalistischem Anspruch zuwiderlaufen. Ha! Der hat ja keine Ahnung, wie meine Küche aussieht.« Chaos war eine nette Umschreibung für das, was letztlich nur als Abstellplatz von Pizzaschachteln und Altglas diente. Es gab etwas freie Fläche um die Spüle und den Wasserkocher herum sowie den Weg zum Kühlschrank, mehr brauchte sie normalerweise auch nicht.

Susu schnaufte hörbar. »Wie, du sollst von zu Hause aus arbeiten? Spinnt der? Was hat das denn noch mit Journalismus zu tun?«

Genau das war auch Emmelies Sorge. Sie wäre vom Team abgeschnitten; niemand würde sie mehr ernst nehmen. »Unser Büro platzt mit den drei Neuen aus allen Nähten, und eine Küche besitzen wir ja auch nicht. Deswegen hat der Herr aus München sich gedacht, er könnte kurzerhand einen Homeoffice-Job aus meiner halben Stelle machen. Nur zu den Redaktionssitzungen am Freitag soll ich antanzen.« Sie sah sich schon für alle Zeiten einsam und allein vor sich hinwurschteln. »In meiner Küche finde ich garantiert nicht den Mann fürs Leben!«, klagte sie.

Ein Kichern drang aus dem Hörer. »Du müsstest ihn dir halt backen.«

»Ha ha!« Bei ihren Kochkünsten sah Emmelie da schwarz.

»Ach Süße, lass den Kopf nicht hängen. Ausgehen kannst du ja trotzdem noch, außerdem: wozu die Eile? Du hast Zeit!«

Susu hatte gut reden; sie war schließlich seit drei Jahren mit ihrem Fred zusammen. Wie sollte Emmelie ihr das erklären? Sie sehnte sich nach einer Partnerschaft, wie ihre Eltern sie gehabt hatten, eine aus Vertrauen und Liebe geborene Eintracht. Der frühe Tod der beiden hatte sie eins gelehrt: Das Leben konnte allzu schnell vorbei sein. Faule Kompromisse wollte sie deshalb nicht eingehen, und sie wusste ziemlich genau, was sie wollte.

»… Ansprüche etwas herunterschrauben, Süße. Dein Fabelwesen existiert vermutlich gar nicht. Und glaub mir, wenn’s funkt, dann funkt’s, und dann ist es dir ganz egal, wie lang seine Haare sind.«

Emmelie dachte an Freds beginnende Stirnglatze und grinste. »Das musst du ja so sehen.«

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann: »Das Äußere ist nicht alles. Das wirst du auch noch erkennen.«

Sie biss sich auf die Lippen. Hatte sie Susu beleidigt? »Ich …«

Doch ihre Freundin schien die Missstimmung schon vergessen zu haben. »Apropos Traummann. Rate mal, wer heiratet? Das errätst du nie!«

»Wer?«

»Billy! Hast du keine Einladung bekommen?«

»Das gibt’s nicht, Sybille Quandt, unsere verrückte Billy? Wart mal, ich hab die Post zwar hochgeholt, aber noch gar nicht durchgesehen. Ah da, großer weißer Umschlag?«

»Das ist er.«

Emmelie betastete das feine Papier. »Vornehm.« Den Hörer zwischen Hals und Schulter geklemmt, öffnete sie das Kuvert, und ihr entfuhr ein Pfiff. »Na, sag bloß, Markus Jörgensen, etwa von den Jörgensens?« In ihrer Heimatstadt Bremen gehörte die Industriellenfamilie zur Crème de la Crème. Sybille dagegen war vor nicht allzu langer Zeit noch als Punk unterwegs gewesen.

Susu gluckste. »Ja, unsere Billy hat sich einen dicken Fisch geangelt, wer hätte das gedacht?«

Emmelie verspürte mit einem Mal einen stechenden Schmerz. Somit war sie die Letzte aus ihrer früheren Clique, die noch keinen festen Partner hatte. »Bin ich zu kompliziert, Susu?«

Ihre Freundin antwortete nicht sofort. »Na ja …«

»Toll! Wenn selbst du das sagst.«

»So meine ich es nicht. Du bist ein wunderbarer Mensch, keine Frage. Sonst hätte ich dich doch nicht so lieb. Aber du willst zu viel. Geh doch mal etwas offener an die Kerle ran. Manchen Prinzen erkennt man erst, wenn man einen Frosch küsst.«

»Ich hab schon Frösche geküsst, glaub mir!« Unbeholfene Küsse von verschwitzten Pubertieren entsprachen nicht gerade ihrer Vorstellung von Romantik. Deswegen war sie auch die ganze Schulzeit über nicht weitergegangen als das. Bis … ja, bis. Mit Schaudern dachte Emmelie an ihr ›erstes Mal‹. Es war im Anschluss an die Abifeier geschehen … Christophs wulstige Lippen – trotz ihres Schwipses hätte sie sich beinahe übergeben, als er ihr seine Zunge in den Hals steckte. Aber sie wollte nicht als letzte Jungfrau des Jahrgangs die Schule verlassen. Hätte sie nur auf den Richtigen gewartet! Am nächsten Morgen war sie mit dickem Kater und einer gehörigen Portion Ekel über sich selbst aufgewacht, beides Dinge, die ihre Mutter im Handumdrehen hätte kurieren können. Doch dann war der Anruf gekommen … Der Verkehrsunfall der Eltern war ihr wie eine Strafe erschienen. Seither hatte sie zwar eine Menge Verabredungen gehabt, aber mit niemandem mehr geschlafen. »Die meisten Frösche werden zu Schweinen, wenn man sie ranlässt. Da bin ich lieber wählerisch.«

»Hm.« Emmelie konnte fast hören, wie Susu die Lippen zusammenkniff. Dann fuhr ihre Freundin aber fort: »Wirst du hinfahren?«

Bremen. Das Herz schlug plötzlich dumpf in ihrer Brust. Seit … damals, vor sieben Jahren, war sie nicht mehr dort gewesen. Die Zusage für den Studienplatz in Berlin in der Tasche hatte sie nichts in der Stadt ihrer Kindheit gehalten, nichts sie dorthin zurückgezogen … Sie hatte, noch benommen vom Schmerz, den Nachlass geregelt, ihr Elternhaus vermietet und war in Umzugswagen nach Berlin gesprungen. Zum Glück hatte es Susu, seither ihr ganzer Halt, ebenfalls in die Hauptstadt verschlagen. Vielleicht war es Zeit, einen Schritt zurück zu wagen, um voranzukommen? »Warum nicht? Mai, das ist ja noch ein paar Monate hin. Wir beide zusammen, das wird ein Spaß!«

»Abgemacht!«

Che-rio

Am nächsten Morgen schrillte der Wecker wie gewohnt um 7:30 Uhr. Emmelie hatte sich bereits kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt und der Katze ihr Trockenfutter gegeben, als ihr einfiel, dass sie heute ja gar nicht ins Büro musste. Ein Glück, denn sie sah zum Fürchten aus! Die Augen rot gerändert, die Haare so zerzaust, als hätte sich letzte Nacht ein Vogel darin ein Nest gebaut. »Au!« Die Bürste blieb in dem straßenköterblonden Gewölle stecken. Sie gab auf und stellte sich unter die Dusche. Hoffentlich half der Conditioner.

Allmählich belebte sie das warme Wasser. Das war wenigstens ein Vorteil an der Sache: ausschlafen, sich in Ruhe fertig machen und einfach jeden Tag einen Artikel schreiben. Vielleicht würde es ja nicht ganz so schlimm? Mit neuem Schwung zog sie sich an und setzte Teewasser auf.

Als sie mit ihrer Müslischale und dem dampfenden Ostfriesentee am Küchentisch Platz genommen hatte, ertönte vom Boden ein vorwurfsvolles Maunzen. »Hab ich dich ganz vergessen?« Emmelie rutschte mit dem Stuhl etwas nach hinten und klopfte einladend auf ihre Schenkel. »Wie heißt meine Süße?«, fragte sie.

»Miou«, antwortete ihre Katze und rollte sich behaglich schnurrend auf ihrem Schoß zusammen.

»Genau. Was bist du doch für ein kluges Tier!« Sie lächelte, auch wenn sie wusste, dass Miou nur auf das Ausschlecken des Schälchens spekulierte. »Die einzige Katze, die ihren Namen sagen kann. Hast du vielleicht eine Idee, was ich kochen könnte?« Dann erschrak sie. Alleinstehende Frau, die mit ihrer Katze spricht und Kochrezepte ausprobiert? Sie war im Begriff, ein Klischee zu werden! Das musste sie unbedingt verhindern. An der Pinnwand mahnte die Einladung zu Billys Hochzeit. Emmelie Landau und Begleitung. Begleitung, ha! Damit war sicher weder Miou noch ein Lebkuchenmann gemeint. Von wegen, back dir einen Kerl! Moment, vielleicht war das die Idee für den Start in ihr neues Aufgabengebiet? Die Jahreszeit passte, Anfang November. Da gab es in Bremens Bäckereien immer den Stutenkerl. Sollte sie sich an so einen heranwagen? Immerhin wäre das für die Berliner Region mal was anderes. Nur die Tonpfeife, die würde sie sicher nirgends bekommen. »Was soll’s, die lässt sich bestimmt auch aus Teig formen, was Miou?«

»Miep«, fiepte das Tier und stieß mit dem Kopf von unten gegen ihren Handballen. Emmelie kam der Aufforderung zum Kraulen gern nach. Eine erste Idee hätte sie schon mal, nur sollte sie ja eigene Gerichte erfinden, keine vorhandenen nachkochen. »Ach, da wird mir schon noch was einfallen, was?«


Ein Rezept für den Stutenkerl war im Internet schnell gefunden und ausgedruckt, die Pizzakartons aus der Küche zu einem Bündel verschnürt. Nachdem sie ihre Haare gebändigt hatte, machte Emmelie sich mit dem Rad auf den Weg zum Supermarkt. Heute würde es ein Großeinkauf werden – die Bestandsaufnahme von Kühlschrank und Vorratskammer hatte einen eklatanten Mangel an eigentlich allem offenbart. Kein Wunder, sie bestellte sich ihre Mahlzeiten auswärts oder wärmte sich, wenn sie ganz mutig war, ein Fertiggericht in der Mikrowelle auf. Oft ging sogar das schief, und wirklich lecker war das Zeug auch nicht.

»Du musst dich nur auf das konzentrieren, was du in der Küche tust, dann gelingt es dir auch«, hatte Susu ihr gestern noch geraten.

Die hatte leicht reden. Emmelie kannte nichts Langweiligeres, als am Herd zu stehen. War es da ein Wunder, wenn sie sich nur zu gern ablenken ließ und lieber mal schnell den Laptop aufklappte? Beklommen strampelte sie gegen den schneidenden Herbstwind an, über den sogenannten Dorfplatz an den besetzten Häusern der Rigaer Straße vorbei. Leichter Nieselregen schlug ihr ins Gesicht, und so war sie froh, als sie das Rad die Rampe zum Discounter hinaufschieben konnte. »Nächstes Mal nehme ich Handschuhe mit«, murmelte sie mit klappernden Zähnen.

»Kann ich nur empfehlen«, ertönte es hinter ihr.

Emmelie schaute über die Schulter. Ein junger Mann streckte ihr über den Lenker seines ramponiert aussehenden Drahtesels dick vermummte Hände entgegen. Ein Schal bedeckte das Kinn, und über die Ohren hatte er eine schreiend bunte Wollmütze gezogen. Sie lächelte. »Oh, die schauen schön warm aus. Lammfellhandschuhe mit Fingern hab ich noch nie gesehen.« Schön warm war auch sein Blick aus rehbraunen Augen. Emmelie spürte ein Kribbeln in den Fingerspitzen, das nicht von der Kälte herrührte. Es lag ihr auf der Zunge zu sagen, dass er als Afrikaner die Herbsttemperaturen in Deutschland bestimmt nicht gewöhnt war, als ihr bewusst wurde, dass er in akzentfreiem Deutsch auf sie einredete.

»… im Angebot. Du musst nur danach Ausschau halten. Oder bist du nicht von hier?«

Emmelie lachte auf. »Doch, das schon, aber ich kaufe nicht oft ein.« Sie schloss das Rad an einem der Fahrradständer fest. »Das heißt: In Zukunft werde ich öfter einkaufen müssen. Danke für den Tipp. Vielleicht haben sie die Handschuhe bald mal wieder.« Sie rieb ihre klammen Finger und kramte die Pfandmünze für den Wagen heraus. Der Mann hatte sich bereits einen geholt, wartete aber noch auf sie. Begleitung, wie nett! Vielleicht war es doch nicht ganz so aussichtslos, bei ihrer neuen Tätigkeit Bekanntschaften zu schließen? »Ich bin Emmelie«, sagte sie kurz entschlossen.

Er entblößte strahlend weiße Zähne. »Che. Freut mich.«

Sie gluckste. »Wie Che Guevara? Wie waren deine Eltern denn drauf?«

Er zuckte mit den Schultern und steuerte die Automatiktür an. »Vater Kubaner, Mutter aus der DDR, da kann so was passieren.«

»Schweres Erbe. Viva la revolución!« Wohlige Wärme umfing sie im Innern des Geschäfts.

Er salutierte grinsend. »Und welche Revolution bringt dich dazu, deine Gewohnheiten bezüglich der Vermeidung von Konsumtempeln zu ändern?«

Nachdem sie den Satz entschraubt hatte, sagte Emmelie: »Ich muss kochen lernen.«

»Wieso denn das?«

Plötzlich gehemmt rutschte ihr heraus: »Für meinen Zukünftigen.« Was ging es ihn an, was bei ihr los war? Sie würde ihn vermutlich nie wiedersehen, und ihrem Traummann sah er auch nicht im Mindesten ähnlich.

Ches Augenbrauen schoben sich Richtung Mützenrand. »Ich meinte eigentlich: Wieso kannst du nicht kochen?«

Emmelie schoss das Blut in die Wangen. Wie peinlich!

»He da vorne, wollt ihr einkaufen oder den ganzen Tag den Weg versperren?«

Das Auftauchen der ungeduldigen Kundin enthob sie einer Antwort; sie sprang beiseite und kaute verlegen auf ihrer Unterlippe herum. Da sie nichts sagte, zuckte Che mit den Schultern. Er warf die Handschuhe in den Wagen, zog eine zerknitterte Visitenkarte aus seiner Jackentasche und reichte sie ihr. »Sorry, ich muss weiter. Ruf an, wenn du Hilfe brauchst.« Damit setzte er sich in Bewegung und war schon bald hinter einem Regal verschwunden.

Sie glättete die Karte und las:

Restaurant El Compañero

Kubanische Küche

Che Müller

Inhaber und Koch


Ein Koch! Ausgerechnet einem Koch musste sie über den Weg laufen – und ihn vergraulen! Dabei hätte sie sich diese Bekanntschaft im wahrsten Wortsinne warmhalten sollen. Warum hatte sie ihn nur belogen und ihm was von einem Verlobten erzählt? Nach diesem Auftritt konnte sie ihn unmöglich bitten, ihr die Grundregeln des Kochens beizubringen. Langsam glaubte sie, dass Susu gar nicht so falsch lag mit ihrem Urteil: Sie sabotierte sich selbst. Ach was, redete sie sich ein. Che war in Eile, wie er selbst gesagt hatte, wollte bestimmt nur schnell eine fehlende Zutat besorgen. Köche mussten doch an sieben Tagen der Woche arbeiten, meist bis spät in die Nacht. Mit so jemandem konnte Emmelie sich keine Beziehung vorstellen. Wieso hatte er ihr seine Karte gegeben, trotz ihres Geredes über einen Verlobten? Wollte er am Ende wirklich nur helfen, ganz ohne Hintergedanken?

»Dumme, dumme, dumme Kuh!«, flüsterte sie vor sich hin. Die ungeduldige Kundin warf ihr vom gegenüberliegenden Brotregal her einen Blick zu, der Wein in Essig hätte verwandeln können. Emmelie war egal, was die Frau von ihr dachte. Wenn die sich angesprochen fühlte … Sie zwang ihre Aufmerksamkeit auf die vor ihr liegende Aufgabe, und bald war ihr Wagen fast randvoll. Als sie sich in die Schlange an der Kasse einreihte, sah sie Ches bunte Mütze gerade noch am Ausgang aufblitzen. Sie war wirklich eine dumme Kuh!

»Das macht dann 189,56 Euro«, verkündete die Dame an der Kasse.

Emmelie erschrak. »So viel?«

»Sie haben ja auch viel gekauft.«

»Stimmt.« Und nicht auf Angebote geachtet. Sie kramte in ihrem Portemonnaie. »Muss ich mit Karte bezahlen, tut mir leid.« Normalerweise zahlte sie bar, denn sie fürchtete sich vor manipulierten Kartenlesegeräten, aber so viel Geld hatte sie nicht bei sich.

Zum Glück hatte Meyerdinck ihr zugesichert, ihr alle anfallenden Kosten für Lebensmittel und dergleichen sowie einen Pauschbetrag für Strom zusätzlich zu ihrem Gehalt auszuzahlen. Das würde zwar jeden Monat eine furchtbare Rechnerei, allerdings brauchte sie das Geld. Hätte sie die Mieteinnahmen aus Bremen nicht, würde es sowieso vorn und hinten nicht reichen.

»Kein Problem.« Die Kassiererin schnappte sich die EC-Karte und steckte sie in die Apparatur. »Geheim und Grün dann bitte.«

Emmelie starrte sie einen Moment verständnislos an, bis sie die Worte als ›Geheimzahl eingeben und dann die grüne Taste drücken‹ enträtselt hatte.

»Wird das noch mal was heute, oder wollen Sie da vorn Kaffeeklatsch halten?«

Schon wieder die ungeduldige Kundin, was für ein Biest! Hastig drückte sie die Tasten.

»Falsche PIN. Vielleicht ein Zahlendreher? Versuchen Sie es noch mal.«

Welche Zahlen hatte sie denn verdreht? Plötzlich fiel ihr nicht einmal mehr die erste Ziffer der Geheimzahl ein. Oh nein, wie peinlich! Emmelie spürte die Frau hinter sich förmlich mit den Hufen stampfen. Wie war doch gleich die Eselsbrücke, mit der sie sich die Zahl gemerkt hatte? Eins hoch, zwei runter – und dann? Noch ein Fehlversuch. »Geht das nicht auch mit Unterschrift?«

»Bedaure …« Auch das Lächeln der Kassiererin wirkte jetzt leicht gezwungen.

Ganz ruhig! Emmelie machte ihren Kopf leer, und da klappte es auf einmal. Mit zitternder Hand und brennenden Ohren schob sie die letzten Sachen in den Wagen und hastete nach draußen. Nächstes Problem: Wie sollte sie diesen Rieseneinkauf nach Hause bekommen? Der kleine Korb auf dem Gepäckträger war schnell randvoll, der Einkaufswagen jedoch noch lange nicht leer. Auch ihr Rucksack war bereits prall gefüllt. Sie musste noch einmal in den Laden gehen und zwei dieser Großraumtüten erwerben. Allerdings baumelten die schweren Taschen so tief vom Lenker, dass sie in die Speichen gerieten, sobald Emmelie aufzusteigen versuchte. Zuguterletzt schob sie das Rad lieber nach Hause.


1000 g Weizenmehl Typ 550

400 ml Milch, handwarm

120 g Zucker

2 Päckchen Vanillezucker

120 g Butter

15 g Salz

2 Würfel frische Hefe

2 Eier

Mark einer Vanilleschote

Abrieb einer unbehandelten Zitrone

Rosinen

1 Eigelb zum Bestreichen

Emmelie stand in ihrer frisch geputzten Küche und starrte das Rezept an. Wie sollte sie daraus etwas Eigenes machen? Wenn sie vielleicht die Rosinen wegließe? Niemand mochte Rosinen. Aber die waren ja nur dazu da, um dem Stutenkerl als Augen und Knöpfe zu dienen. Womit ließen die sich ersetzen? Ihr Blick fiel auf die schwarzen Oliven, und sie klatschte vor Freude in die Hände. Genau, sie würde aus dem süßen Brot einfach ein herzhaftes machen, und schon war’s was Neues, das sie erschaffen hatte! Also, wie beginnen? Die Hefe in die handwarme Milch und etwas Zucker einrühren? Statt Zucker nahm Emmelie eine Prise Salz; sie wollte ja kein Kuchenbrot. Die Mischung goss sie in eine Mulde des gesiebten Mehls. Während der sogenannte Vorteig, unter einem Tuch vor Zugluft geschützt, zum Gehen in der Nähe der Heizung stand, überlegte sie weiter. Auch der Vanillezucker musste ersetzt werden, aber womit könnte sie ihrem Stutenkerl stattdessen Geschmack geben? Ihr Blick wanderte die frisch erworbenen Gewürze auf und ab und blieb am gemahlenen Zitronengras hängen. Wenn sowieso schon Zitrone rein gehörte, warum nicht? Genau nach der Zeitvorgabe aus dem Rezept fügte sie die weiteren Zutaten hinzu und begann den Teig zu kneten. Was für eine schleimige und mühsame Angelegenheit! Da gehörte noch mehr Mehl dran!

Unglücklich starrte Emmelie einige Zeit später auf den unförmigen, harten Klumpen, den sie fabriziert hatte. Irgendwie sah das nicht richtig aus. Ach was, beim Backen würde sich das geben. Was wusste sie schon von Hefeteig? Sie formte ein rissiges Männlein und verzierte es mit den Oliven. »So, ab mit dir in den Ofen, mein Traummann.«

Nachteig

»Oh Susu, eine Katastrophe! Gott sei Dank, dass du so schnell gekommen bist.«

Ihre Freundin begann schon im Flur zu husten. »Sag mal, kochst du auf offenem Feuer, oder hast du deine Küche in Brand gesteckt?«

»Nicht ganz, aber ich habe mich an der Herstellung fossiler Brennstoffe versucht. Da, schau.«

Beim Anblick des schwarz gebrannten Männleins brach Susu in Gelächter aus, das in einem Hustenanfall endete. »Was hast du denn mit dem angestellt?« Sie hob den Olivenkerl an und schlug ihn probehalber gegen die Kante der Arbeitsplatte. »Hart wie Stein, alle Achtung«, sagte sie grinsend. »Das muss man auch erst mal schaffen. Lass uns lieber ins Wohnzimmer gehen, falls du da nicht auch eine Räucherkerze gezündet hast.«

Emmelie schnappte sich noch schnell eine Flasche und folgte ihrer Freundin. »Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte!«, jammerte sie, während sie den Rotwein eingoss.

»Hast du dich genau ans Rezept gehalten? Danke, reicht! Ich muss ja noch nach Hause fahren.«

»Wenn ich das nur dürfte! Meyerdinck will aber was Neues sehen, das man nicht in jedem Kochbuch findet. Ich musste also variieren.«

Um Susus Mundwinkel zuckte es verdächtig. »Darf man fragen, was du variiert hast?«

»Erst mal anstoßen.« Leise klirrten die Gläser, dann lehnte Emmelie sich zurück. »Also, ich wollte einen Stutenkerl backen.«

Susu giggelte. »Du hast dir meinen Rat also zu Herzen genommen.«

»Mh. Passt ja auch gut zur Jahreszeit. Statt der Rosinen habe ich Oliven verwendet, und da durfte es natürlich auch kein süßes Brot werden, also habe ich den Zucker durch Salz ersetzt und statt Vanillezucker …«

»Stopp, stopp, stopp«, unterbrach Susu sie. »Hast du etwa allen Zucker durch Salz ersetzt?«

Emmelie nickte.

»Auch den im Vorteig?«

Wieso gluckste Susu schon wieder so unterdrückt? Emmelie wusste partout nicht, was los war. »Klar.«

Da brach die Freundin in erneutes Gelächter aus. »Oh Mädel«, keuchte sie schließlich und wischte sich die Augen. »Wie soll denn der Teig gehen ohne Zucker?«

»Mein Traummann sollte ja auch nicht gehen, sondern kommen«, verteidigte sie sich. »Woher hätte ich das denn wissen sollen?«

Susu barg in gespielter Verzweiflung den Kopf in den Händen. »Das weiß man doch! Hefe braucht Zucker. Spätestens nach Ablauf der Gehzeit hättest du merken müssen, dass da was falsch war. Und wieso sieht dein Traummann so dunkelhäutig aus? Zeit vergessen?«

Emmelie dachte an Che. Hatte ihr das Unterbewusstsein einen Streich gespielt? Vielleicht sollte sie ihn doch anrufen. »Na ja«, druckste sie. »Als die Backzeit um war und der Kerl immer noch so flach aussah, hab ich mir gedacht, ich müsste ihn noch etwas drinlassen.«

»Du bist echt unbezahlbar«, sagte Susu, nachdem sie sich von ihrem neuen Lachanfall erholt hatte. »Und ich hab geglaubt, du stehst auf flache Bäuche.«

»Ha ha! Sag mir lieber, was ich jetzt machen soll? Um zehn ist Redaktionsschluss, bis dahin muss ich was abliefern.« Ihr Blick wanderte zur Uhrzeitanzeige im DVD-Rekorder. »In zwei Stunden schaffe ich keinen neuen Brotkerl, das Schreiben nicht zu vergessen.« Hilfe suchend sah sie ihre Freundin an.

Susu hob abwehrend die Hände. »Lass mich da raus. Ich hab morgen ganz früh Vorlesung. Ich trink nur schnell aus, dann muss ich los. Außerdem kann ich nicht auch noch deinen Job machen.«

Das traf Emmelie. Als hätte sie dergleichen von Susu verlangt! Sie wollte schon protestieren, als ihr Ches sympathisches Lächeln wieder einfiel. »Schon gut, ich wüsste da jemanden, der mir helfen kann.«

Susu setzte sich wie elektrisiert auf. »Ach nee! Sag bloß, du hast jemanden kennengelernt? Erzähl! Wer, wann, wie, was? Warum weiß ich nichts davon?«

Ein wenig verlegen berichtete Emmelie ihrer Freundin von der unverhofften Begegnung. »Für heute bringt mich das allerdings auch nicht weiter. Glaub kaum, dass er sein Restaurant im Stich lässt, um zu mir zu galoppieren.«

Die Visitenkarte in den Händen drehend murmelte Susu: »Wer weiß, vielleicht ja doch? Weit ist es nicht, und Versuch macht kluch. Ich wusste gar nicht, dass du auf Revoluzzer stehst! Apropos galoppieren, ich muss jetzt wirklich.« Mit einem Küsschen auf die Wange verabschiedete sie sich.

Und nun? Mehr als Nein sagen konnte Che auch nicht, da hatte Susu schon recht. Emmelie nahm ihr Handy mit in die Küche und machte ein Foto ihres Schwarzbrot-Männekens. Das schickte sie zusammen mit einer Kurznachricht an Che: ›Brauche dringend Hilfe eines Profis! Gruß, Emmelie (vom Supermarkt)‹. Abgeschickt. Ihr Herz klopfte. Oh ha, ob sie sich tatsächlich ein bisschen in den Typen verguckt hatte?

Sie starrte auf das Display, aber das Telefon blieb dunkel und stumm. Unaufhaltsam verrann die Zeit, und Emmelies Verzweiflung wuchs. Wenn auch Che sie im Stich ließ, was sollte sie tun? Schließlich verblieb noch eine halbe Stunde bis zehn Uhr. Selbst wenn er in diesem Moment auf der Matte stünde, zaubern könnte er auch nicht. Vorwurfsvoll weiß leuchtete die leere Seite von ihrem Bildschirm herüber. »So, jetzt reicht’s, die können mich alle mal kreuzweise!«, schimpfte sie und ließ sich auf den Schreibtischstuhl plumpsen. Dann hämmerte sie in die Tasten.


Pumper-Nick – Stutenkerl mal anders


Es gehört zu den postmodernen Mythen, dass jede Frau in einer Küche etwas Essbares zubereiten kann, Zutaten vorausgesetzt. Als wäre das sozusagen ein Extra-Gen, mit dem wir ausgestattet sind. Dafür fehlen uns laut Herren der Schöpfung allerdings die Gene fürs Autofahren, Handwerken und das logische Denken. Mein neuer Chef zum Beispiel denkt so, weshalb er mir, einer bekennenden Kochanalphabetin, das Ressort Kochen und Backen übertragen hat.

Nun, der Mensch wächst an seinen Aufgaben. Hier also meine Variante des Stutenkerls, der Pumper-Nick.

Zutaten:

1000 g Weizenmehl Typ 550

400 ml Milch, handwarm

20 g Salz

120 g Butter

2 Würfel frische Hefe

2 Eier

1 Teelöffel Zitronengras, gemahlen

Abrieb einer unbehandelten Zitrone

Schwarze Oliven

1 Eigelb zum Bestreichen

Feuerwehr auf Kurzwahl‹

Emmelie schielte auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde. Auch in die Beschreibung der Zubereitung schlich sich ein deutlicher sarkastischer Unterton, den sie mit dem Satz krönte:

Liebe Kinder, bitte nicht zu Hause nachmachen. Liebe Erwachsene, der Pumper-Nick ist nicht zum Verzehr geeignet und wenig dekorativ. Wer das Rezept dennoch nachbacken möchte, tut dies ausdrücklich auf eigene Gefahr.

Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: Ungenießbares aus Emmelies Hexenküche!‹

Sie fügte das Foto des Kohlemanns hinzu und schickte den Artikel ab, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Fünf Minuten später summte ihr Handy. Scheiße, das ist bestimmt Tobias!, dachte sie.

Aber die Nachricht kam von Che: ›Sorry, bin noch voll im Stress, melde mich morgen.‹

So viel zu Rittern in schwarzer Rüstung. Mitternacht, Emmelie rief die Ü-Berlin-Seite auf. Sofort fiel ihr das veränderte Design auf. Meyerdinck hatte keine Zeit verloren; das musste alles schon in Arbeit gewesen sein, als Tobias ihnen erstmals von der Übernahme erzählt hatte. Tatsächlich, da prangten auch neue Begriffe im Untermenü. Kochen & Backen … Einen Moment zögerte sie den Klick noch heraus. Die würden ihren Artikel doch nicht so online gestellt haben? Tobias lobte zwar immer, dass er ihre Texte auch mal unredigiert veröffentlichen konnte, weil sie selten Fehler machte und eine gute Schreibe hatte, aber trotzdem.

»Nein!«, schrie sie. Da war er, unübersehbar ihr Schwarzfußindianer, dazu jedes einzelne Wort, genau so, wie sie es sich in ihrem Frust von der Seele geschrieben hatte. »Das ist mein Ende! Meyerdinck wird mich feuern!«

Miou sprang auf ihren Schoß und schnurrte.

»Ach du. Wenn du wüsstest! Bald gibt’s kein Markenfutter mehr, und ich werde vermutlich noch froh sein um meinen Pumper-Nick, wenn das Geld knapp wird.« Trotz allem fühlte sie sich ein klein wenig befreit. Kochrezepte waren nun wirklich nicht das, wofür sie Journalismus studiert hatte.

Al-Chemie

In dieser Nacht tat Emmelie kein Auge zu. Stattdessen lauschte sie angestrengt in die Dunkelheit, ob ihr Handy Töne von sich gab. Inzwischen musste der Artikel bereits von zahlreichen Leuten gelesen worden sein. Und die Kommentare! Was, wenn sich schon Leser dazu geäußert hatten? Sie wälzte sich herum, ohne Ruhe zu finden, bis sie es gegen sieben aufgab und in ihre Klamotten schlüpfte. Nützte ja nichts, sich weiter verrückt zu machen, und Miou kratzte auch schon an der Tür. »Ja, meine Süße, gleich kriegst du.«

Der angstvoll entgegengefieberte Anruf kam Punkt acht, und diesmal war es Tobias. »Also, Emmelie …«

Sie stöhnte. »Weiß Meyerdinck es bereits?«

»Er schäumt! Sei bloß froh, dass er schon zurück in München ist, das gäb sonst Tote.«

Autsch. »So schlimm? Tobias, ich …«

»Aber unsere Leser finden’s super! Die Leute überschlagen sich förmlich in den Kommentaren, so was hab ich noch nie erlebt.«

»Hä?«, konnte Emmelie nur noch krächzen.

»Na, du kennst doch unsere Fans. Die wollen keine Kochrezepte, aber deinen trockenen Humor, den lieben sie, und besonders deinen Seitenhieb gegen diese vorsintflutliche, sexistische Denke von Meyerdinck.«

Emmelie plumpste aufs Sofa. »Ist nicht dein Ernst!« Sie klappte den Laptop auf und traute ihren Augen kaum. Schon 371 Kommentare zu ihrem Artikel, und das so früh am Morgen! Sie überflog die obersten Wortmeldungen:

›Weiter so! Frauen weg vom Herd‹

›hab mich scheckich gelacht‹

›Zeigs dem Kerl!‹

Tobias redete unterdes weiter: »Doch! Die wollen dich alle zurück bei den Klubs sehen, aber die neue Kolumne finden sie auch spitze – solange es bloß keine schnöden Rezepte sind.«

Nach dem Ende des Gesprächs brach Emmelie in hilfloses Gelächter aus. Nicht zu fassen, sie hatte Fans! Und, wie Tobias trocken festgestellt hatte: Wenn Meyerdinck sie jetzt feuerte, gäbe es einen Aufstand. Hatte sie also aus Versehen –beziehungsweise in ihrer Verzweiflung – genau das Richtige gemacht? Der Gedanke an den bayrischen Gartenzwerg ließ ihre Handflächen trotzdem feucht werden. Eine Basis für gute Zusammenarbeit waren ihre Angriffe in dem Text sicher nicht, allerdings war Meyerdinck daran selbst schuld. Auf das avisierte Gespräch mit dem kleinen Chauvi freute sie sich trotzdem nicht. Wie hatte Tobias es genannt? Eine Kotau-Bringschuld. Besser, sie brachte es gleich hinter sich. Seufzend wählte sie Meyerdincks Nummer.

»Ja?«, bellte eine unwirsche Stimme.

»Äh, guten Morgen, Herr Meyerdinck. Landau, Emmelie Landau hier.«

»Sie …!« Es klang wie das Zischen einer Schlange, gepaart mit dem Grollen eines Löwen.

»Ich … ich wollte sagen … Es tut mir leid … ich war verzweifelt. Alles ist schief gegangen …« Verdammt, wofür entschuldigte sie sich eigentlich? Für ihr kochtechnisches Unvermögen? »Ich hatte Sie gewarnt, dass ich nicht kochen kann.«

»Nun werden Sie mal nicht noch unverschämter, junges Fräulein!«

Emmelie platzte die Hutschnur. »Herr Meyerdinck, darf ich Sie höflich darauf aufmerksam machen, dass die Anrede Fräulein schon seit Langem als frauenverachtend gilt? Ich empfinde sie jedenfalls als beleidigend, zumal Sie damit zum Ausdruck bringen, dass Sie mich nicht für voll nehmen und meine Arbeit als Journalistin abzuwerten scheinen.«

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Emmelie schloss die Augen. Aus. Das war’s jetzt wirklich. Wenn er sie jetzt nicht feuerte … Dumpf klopfte ihr Herz gegen die Rippen. »Sind Sie noch da?«

Er schnaufte. »Ja. Also gut, Frau Landau. Obwohl Sie meinen Anweisungen zuwidergehandelt haben, scheint es, dass Sie ein besseres Gespür dafür haben als ich, was Ihre Leser mögen. Der Erfolg gibt Ihnen recht. Ich nehme Ihre Entschuldigung an und schlage vor, dass wir die Rubrik ›Kochen & Backen‹ in ›Emmelies Hexenküche‹ umbenennen, da das den Lesern gefällt. Ich stelle mir da eine satirische Kolumne rund ums Kochen vor, vielleicht auch etwas in Richtung moderne, urbane Frau. Was Sie schreiben, überlasse ich ganz Ihnen, nur wenn Sie mich oder mein Unternehmen noch einmal dergestalt anprangern …«

Hörte sie richtig? »Ich – natürlich, Herr Meyerdinck, es wird nie wieder vorkommen. Es war gestern Nacht wirklich aus der Verzweiflung geboren. Redaktionsschluss, und dann so eine Katastrophe.«

»Morgen möchte ich von Ihnen eine Gegendarstellung lesen, und damit Schwamm drüber.«

»Danke«, stammelte Emmelie. »Danke, das mache ich. Danke! Sie werden es nicht bereuen.«

Als sie aufgehängt hatte, brach ihr am ganzen Körper der Schweiß aus. Das war gerade noch mal gut gegangen. Als ihr klar wurde, was Meyerdincks Entscheidung für sie bedeutete, grinste sie wie ein Honigkuchenpferd. Emmelies Hexenküche – sie hatte ihre eigene Rubrik, wenn das mal nicht ein Aufstieg war! Die nächste Stunde widmete sie ganz der Lektüre der zahlreichen Kommentare.


Das Klingeln des Handys riss sie aus ihren Überlegungen, was sie als Nächstes schreiben könnte. »Che hier. Jetzt hab ich Zeit.«

Emmelie lachte auf. »Zum Glück brauch ich deine Hilfe jetzt nicht mehr, aber lieb, dass du dich meldest.«

»Wie? Hast du über Nacht ein Kochbuch geträumt, oder hat dein Zukünftiger dich nach dem Desaster von gestern verlassen?«

»Weder noch. Kennst du Ü-Berlin

»Das Stadtmagazin? Schon von gehört.«

Sie kicherte. »Dann schau mal drauf und klicke auf die neue Rubrik ›Emmelies Hexenküche‹. Die hieß vorhin noch ›Kochen & Backen‹, eine Idee unseres neuen Chefs.« Sie gab die Kurzversion der Ereignisse zum Besten und gestand dann: »Einen Zukünftigen gibt’s übrigens nur in meinen Träumen. Was ich gestern fabriziert habe, war mein Versuch, mir einen Kerl zu backen. Und natürlich, Meyerdinck zufriedenzustellen.«

Ein warmes Lachen wehte durch den Hörer an ihr Ohr und brachte erneut ihre Fingerspitzen zum Kribbeln. »Du stehst also auf Schwarze? Das hör ich gern.«

Zum Glück konnte er nicht sehen, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. »Sehr witzig«, sagte sie pampiger als beabsichtigt. »Eingebildet bist du wohl gar nicht.«

Diesmal lachte er schallend. »Doch, sehr. Deshalb weiß ich ja auch, dass dein Es in Rebellion gegen dein Über-Ich dafür gesorgt haben muss, dass dein Brotmann schwarz wird und dich an mich erinnert.«

Emmelie stöhnte. »Oh Gott, Freud!«

»Nein, Che. Aber ‘s is mir a Freud.«

Was für ein selbstgefälliger Idiot! »Gut, dass du grad nicht hier bist. Ich würd dich gern an die Wand klatschen.«

»Stets zu Diensten. Sag mir nur, wo du wohnst.«

Die Adresse rutschte ihr heraus, ehe sie noch recht drüber nachgedacht hatte.

»Rigaer Straße? Prima, bin gleich da.«

Ihr verschlug es die Sprache, und bevor sie sie wiederfand, hatte er schon aufgelegt. Gleich? Klar, er wohnte sicher in der Gegend, sonst wären sie sich gestern nicht begegnet. Sie starrte in den Flurspiegel. Himmel, wie sah sie aus? Ungekämmt, ungeschminkt. Egal, der sollte sich nur nicht einbilden, sie hätte sich extra für ihn herausgeputzt. Aber einmal überstriegeln, das sollte schon sein. Und ihr Chaos? Sie zuckte mit den Schultern. Das gehörte zu ihr, und wenn’s ihm nicht passte, konnte er ja gehen.

Er hatte nicht übertrieben. Schon fünf Minuten später schellte es, Küsschen links, Küsschen rechts, und kurz darauf steckte er auch schon seine Nase neugierig in ihre Küche. »So, hier fabrizierst du also deine Traummänner. Stellst du die in Serie her, oder sind es Unikate?« Er feixte.

Emmelie fühlte sich von seiner stürmischen Art überrumpelt. Kannte er gar keine Scheu? »Äh, willst du ‘nen Kaffee?«

Che musterte sie skeptisch. »Kriegst du das hin?«

Wofür hielt er sie denn! »Hmph«, machte sie und öffnete die Kaffeedose. »Scheiße, leer. Ich trink sonst nur Tee, deshalb …«

Ihr Gast fiel fast vom Stuhl vor Lachen. »Du bist mir eine wahre Küchenfee! Gefällt mir übrigens, deine Schreibe, hab’s unterwegs gelesen. Deinem Chef hast du’s aber ordentlich gegeben. Setz dich. Wie kommst du eigentlich an den ungewöhnlichen Namen? Als du dich gestern vorgestellt hast, hab ich gedacht, das schriebe sich Emily.«

Benommen sank sie auf den angebotenen Stuhl. Che schien ihr eine regelrechte Naturgewalt zu sein; sie kam sich dagegen ganz klein vor. »Das ist ein dänischer Name. Dreimal darfst du raten, in welchem Land ich gezeugt worden bin.«

»Da hast du ja noch Glück, dass es nicht Smørrebrød geworden ist, obwohl du zum Anbeißen bist. Tee nehm ich übrigens auch, solange er schwarz ist.«

Emmelie zog eine Grimasse. Was für ein Schleimer! Besser, sie ignorierte das Kompliment, falls es denn eines war. »Klar, ich hab nur schwarzen Tee, was sonst?« Weil sie plötzlich um Worte verlegen war, stammelte sie: »Und du bist also Koch?«

»Was sonst? Das beste kubanische Lokal der Stadt. Du musst mal vorbeikommen und unser Ropa vieja kosten.«

»Ui, klingt … exotisch, was bedeutet das?«

»Alte Klamotten. Und so sieht es auch aus.« Er grinste breit.

Wollte er sie veräppeln? »Na, schönen Dank, Ungenießbares kann ich selbst fabrizieren.« Sie setzte Wasser auf, um ihre anhaltende Unsicherheit zu überspielen. Als ihr das Tee-Ei beim Zuschrauben aus der Hand rutschte und sich die Blätter über die Arbeitsfläche ergossen, ergriff er ihre Hand. Was war denn heute mit ihr los? Wenigstens das müsste sie doch hinbekommen!

»Lass da mal einen Fachmann ran.«

Unter seiner Berührung stellten sich die Härchen auf ihrem Unterarm auf, und sie überließ sich willenlos seiner Führung. Vielleicht brauchte sie ja gerade so jemanden, einen Kerl, der mehr machte als dachte? Wobei Che auch ganz schön schlagfertig war. Sie tippte an seine bunte Strickmütze. »Ist dir hier drin zu kalt, oder warum setzt du die nicht ab?« Vielleicht verbarg die Kopfbedeckung eine Halbglatze oder eine ähnliche Entstellung, die sie abschrecken würde? Fast hoffte sie es. Che war einfach so … anders, als sie sich ihren Traummann vorstellte, trotzdem zog es sie zu ihm, auch wenn sie es nicht verstand.

Er zwinkerte ihr über die Schulter zu. »Gewohnheit. Ich trage sie wegen meiner Dreads, damit die nicht beim Kochen in die Flamme kommen.«

»Hier gibt’s aber keinen Gasherd.« Sie holte schon mal die Tassen aus dem Schrank.

»Bei dir kann man nicht vorsichtig genug sein, oder?«

Allmählich reichte es ihr, andauernd wegen ihrer Unfähigkeit aufgezogen zu werden. Oder wollte er nur ablenken? »Nun zeig doch schon!«

»Lass mich erst mal … So, voilà, thé à la Che.« Er machte eine Verbeugung und lüpfte dabei die Mütze, sodass ihm die langen Dreadlocks in einer Kaskade vors Gesicht fielen.

Emmelie schnappte sich eine Strähne und befingerte sie. Sie war schon immer neugierig gewesen, wie die sich anfühlten. »Kratzig«, war ihr Urteil.

»Du solltest erst mal die Pullover daraus tragen!«

Sie verschluckte sich vor Lachen und prustete den ersten Schluck Tee quer über den Tisch. »Scheiße. Ich mache bestimmt einen tollen ersten Eindruck.«

Che ergriff ihre Hand und sagte: »Den besten!«

Ihr wurde ganz warm. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn diese vollen Lippen sich auf ihre pressten? Emmelie stellte es sich samtig vor, nicht so feucht und schleimig wie bei Christoph oder so hart und ungeduldig wie bei dem schmallippigen Jan. Bestimmt konnte Che gut küssen … Was für ein schöner Mund!

»Emmelie? Was hältst du von der Idee?«

Der Druck auf ihre Hand verstärkte sich, und sie erwachte aus ihrem Tagtraum. »Was? Welche Idee?«

»Dass du in deiner Kolumne mal was über die kubanische Küche schreibst.«

»Du meinst nicht zufällig über ein bestimmtes Restaurant von einem bestimmten eingebildeten Chefkoch?«

»Natürlich. Würden die ›alten Klamotten‹ nicht gut in deine Hexenküche passen? Und damit wäre uns beiden gedient.«

Allerdings: Sie hätte schon mal ein Thema für die nächste Ausgabe, und er bekäme kostenlose Werbung. Oh, wie er mit den Wimpern klimpern konnte! An dem war ja eine Circe verloren gegangen. »Überredet. Klingt schön scheußlich.«

»Schmeckt aber wirklich viel besser, als es aussieht! Hey, ich könnte mich sogar überreden lassen, in eurer Zeitung eine Annonce zu schalten.«

Emmelie strahlte. »Wenn ich auch noch einen neuen Werbekunden an Land ziehe, wird Meyerdinck sehr mit mir zufrieden sein. Aber das braucht etwas Vorlauf. Lass mich das mal am Freitag auf der Redaktionskonferenz ansprechen, damit wir das auch gut timen können.«

»Deal!« Sein Handy klingelte. Er hatte es nachlässig auf den Tisch gelegt und zog es nun zu sich heran. »Sorry, da muss ich dran gehen. Ernesto? Si.«

Das Gespräch verlief in so schnellem Spanisch, dass Emmelie kein Wort verstand. Nur dass Che immer ungehaltener wurde, entging ihr nicht. Als er auflegte, erkundigte sie sich: »Ärger?«

Der schöne Mund wirkte auf einmal wie aus Holz geschnitzt. »Leider. Ich muss los. Ernesto ist Koch bei mir, und er hat Probleme mit einer Lieferung. Wenn man nicht alles selbst macht!«

Emmelie stand mit ihm auf, ein bisschen erleichtert. Trotzdem sagte sie: »Schade.«

Im Flur zog er sie plötzlich in die Arme und küsste sie. Seine Lippen verweilten einen Moment auf ihren, und ihre Knie wurden weich. Fast schon abrupt löste er sich von ihr, legte einen Finger an ihre Wange und meinte: »Schade, ja. Bis bald.«

»Ich melde mich bei dir«, rief sie ihm noch hinterher, dann hörte sie die Haustür zuschlagen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Hurrikan Che ist zum Glück vorübergezogen, ohne größere Schäden anzurichten.« Siedend heiß fiel ihr das Gespräch mit Meyerdinck wieder ein. Besser, sie schrieb die Gegendarstellung gleich, dann hatte sie es hinter sich.


Emmelies Fräuleinwunder

Nachdem ich es gestern mit Gretchen gehalten habe (Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehen), hat mir mein Chef doch tatsächlich etwas angetragen, das nicht Arm noch Geleit noch Kündigung ist: meine eigene Rubrik. Womit bewiesen wäre, dass ich unrecht hatte. Ich möchte mich auf diesem Wege in aller Form bei Herrn Meyerdinck für meine gestrigen Worte entschuldigen und mich für die großartige Chance bedanken, die er mir mit Emmelies Hexenküche bietet. Und natürlich möchte ich euch, meinen Lesern, danken. Eure Unterstützung macht mir Mut. Also freut euch auf das nächste hausgemachte Desaster!‹


Sie lehnte sich zurück. Das sollte reichen, und die Zukunft sah jetzt auch nicht mehr so trüb aus. Der Nebel lichtete sich unter dem warmen Blick brauner Augen.

Falscher Hase im Pfeffer

Ropa vieja – alte Klamotten sind keine ollen Kamellen

Neulich forderte mich ein kubanischer Koch heraus, zumindest meinen Gaumen kulinarisch weiterzubilden. Die Feuerwehr wird’s mir danken, dachte ich, denn essen kann ich immerhin, ohne andere zu gefährden. Was er mir dann allerdings beschrieb, ließ das Ganze doch etwas abenteuerlich klingen. Die kubanische Küche wartet mit einem Gericht namens »Ropa vieja« auf, zu Deutsch »alte Klamotten«. Na, wenn das mal nicht neugierig macht, zumal der Chef de Cuisine es mir höchstselbst auf einem Silbertablett zu servieren verspricht …

Ich begebe mich also ins »El Compañero« und in die Hände von Che Müller, der heute selbst am Herd steht. Nach kurzer Wartezeit steht das dampfende Gericht vor mir, und auf den ersten Blick scheint der Koch mir wirklich den Putzlumpen serviert zu haben. Was sich auf dem Teller in blassrötlicher Soße erhebt, hat eine faserige Konsistenz und gräuliche Farbe, die in apartem Kontrast zum safrangelben Reis steht. Angesichts meiner zweifelnden Miene scheinen mich die schwarzen Bohnen vorwurfsvoll anzustarren, und ich gebe mir einen Ruck – sie sollen nicht umsonst den Heldentod gestorben sein. Aussehen ist schließlich nicht alles, sagt meine beste Freundin immer. Auf die inneren Werte kommt es an. Augen zu und durch also!

Der erste Bissen: Meine Geschmacksknospen explodieren förmlich. Ungeahnte Aromen umschmeicheln meinen Gaumen – die alten Klamotten sind nicht nur essbar, sondern köstlich! Wer hätte gedacht, dass Rindfleisch, Reis und Bohnen so schmecken können? Ich nicht!

In diesem Fall verhalten sich Aussehen und Geschmack tatsächlich umgekehrt proportional. Mädels, aufgepasst, dafür ist Che, der Koch und Besitzer des »El Compañero«, eine Augenweide. Hoffen wir mal, dass sich seine inneren Werte nicht umgekehrt proportional dazu verhalten!‹

Nachdem sie den Artikel noch zweimal überarbeitet hatte, seufzte Emmelie zufrieden. Ja, das dürfte die richtige Mischung aus Witz und Kulinarischem sein, die ihre Leser bereits an ihrer neuen Kolumne schätzten, auch wenn es mal was anderes war, als von den eigenen Küchenkatastrophen zu berichten. Sie lehnte sich zurück und wählte Ches Nummer.

»Na, meine Schöne, was macht die Kunst?«

»Kunstvoll abgefrühstückt. Soll ich’s dir vorlesen?«

»Wenn du magst. Aber nicht am Telefon. Ich hab sowieso ein Attentat auf dich vor, soll ich vorbeikommen?«

Der Klang seiner Stimme jagte ihr jedes Mal Schauer über den Rücken. Wie gern würde sie jetzt in seine Arme sinken. Bei ihrem letzten Treffen hätte er sie beinahe dazu gebracht, ihre eisernen Grundsätze zu vergessen, und fast hätte sie seinem Drängen nachgegeben … Nein, es war schon besser so, denn wer echtes Interesse an ihr hatte, konnte auch warten. An einen Kerl, der nur auf Sex aus war, wollte sie sich nicht noch einmal verschwenden. Sie lächelte. »Ein Attentat? Der Name Che verpflichtet. Na gut, ich riskier’s und werde dich reinlassen.«

Emmelie huschte ins Bad und striegelte ihre wirren Locken. Ches Besuche sorgten zumindest dafür, dass sie nicht vollkommen verlotterte. Schon eigenartig, wie vertraut er ihr bereits war. Dabei kannten sie sich gerade mal zwei Wochen und hatten sich in dieser Zeit nur dreimal getroffen, trotzdem begannen bereits zarte Gefühle in ihr zu keimen.

Kurze Zeit später rauschte Che in den Flur, einen Schwall eisiger Luft hinter sich herziehend. »Ist das kalt!« Er zog Emmelie in seine Arme.

»Ich merk’s! Als würde mich Väterchen Frost persönlich küssen.«

»Warte nur, bis meine innere Glut dein Herz zum Lodern bringt.«

Sie rollte mit den Augen. »Für Pathos bin eigentlich ich zuständig.«

Er zog die Brauen zusammen. »Pathos – wer ist der Kerl? Versteckt er sich hier irgendwo?« Mit großen Schritten eilte er in die Küche, knallte den mitgebrachten Stoffbeutel auf den Küchentisch und riss die Oberschränke auf. »Hier ist er nicht.«

Emmelie hielt sich hilflos lachend die Seiten. »Du Quatschkopp!«

Che streckte verlangend seine Hand nach ihr aus und zog sie mit sich auf den Stuhl. »Jetzt ist mein Blut in Wallung, also noch mal richtig.«

Wie von selbst öffneten sich Emmelies Lippen seiner forschenden Zunge, sie schmolz regelrecht dahin. Als sich seine Hände unter ihren Pullover schoben, stieß sie jedoch einen Schrei aus. »Eispfoten! Außerdem: Finger weg. Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten!«

Für einen Moment huschte ein Ausdruck über sein Gesicht, den Emmelie nur schwer deuten konnte. Verdruss? Ärger? Doch dann setzte er eine schuldbewusste Miene auf. »Ja, Frau Lehrerin.«

Sie rutschte von seinem Schoß. Lieber weg von seinen fordernden Händen, ehe sie doch noch weich wurde! »Ich druck dir mal eben den Artikel aus, ja?«

Als sie bald darauf mit dem Blatt zurückkam, hatte Che diverse Lebensmittel auf ihrer Arbeitsplatte aufgereiht: Mehl, Eier, Butter, dunkle Schokolade und noch einiges mehr. Manches hatte er ihren Vorräten entnommen, anderes musste er mitgebracht haben. »Was wird das denn, wenn’s fertig ist?«, fragte sie perplex.

»Brownies. Ich hab mir gedacht, wir backen zusammen, damit du’s endlich lernst.« Er entfaltete ein Stück Stoff, das sich als Kochschürze entpuppte, und band sich diese um.

Damit du’s endlich lernst – wie das klang! Emmelie fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Auf eine Kochlektion war sie nicht eingestellt, und eigentlich hatte sie auch gar keine Lust dazu. Immerhin war ihr Artikel für die morgige Ausgabe schon fertig. Dann dämmerte es ihr: »Das Attentat?«

»Die Revolution beginnt hier«, sagte er ernst und klopfte gegen ihre Stirn. »Und hier.« Seine Hand legte sich besitzergreifend auf ihre linke Brust. »Auch die Revolution in deiner Küche.« Seine Miene sagte: ›Widerspruch ist zwecklos‹. »Also, pass auf. Wir brauchen 250 Gramm Schokolade, von der wir 200 Gramm mit etwas Butter zum Schmelzen bringen.« Er fluchte unterdrückt, als er einen Topf aus dem Schrank zog und es drinnen vernehmlich schepperte. Töpfe und Pfannen stopfte sie immer irgendwie hinein, und jetzt hatte er vermutlich das fragile Gleichgewicht zerstört. »Oh Mann, hier muss mal Ordnung rein! So kann man doch nicht arbeiten! Darf ich diese Schüssel hier verwenden?«

Sie nickte und fragte sich, wozu er die brauchte, da der Topf bereits auf dem Herd stand. Wider Willen neugierig, sah sie ihm dabei zu, wie er die Edelstahlschüssel in den Topf mit dem Wasser hängte.

»Das nennt man Wasserbad. So stellst du sicher, dass die Schokolade nicht verbrennt. Siehst du, ich bröckele die Schoki hinein und gebe die Butter dazu, und sobald das Wasser sich erwärmt, beginnt beides zu schmelzen. Dann muss man beständig rühren: so.«

Emmelie unterdrückte ein Gähnen. Darauf wäre sie zur Not auch von allein gekommen, aber Che schätzte es gar nicht, unterbrochen zu werden, das hatte sie bereits mitbekommen. Auch in seiner Restaurantküche herrschte ein rauer Ton.

»Währenddessen könntest du schon mal drei Eier mit dem Zucker und dem Vanillezucker schaumig rühren.«

Emmelie dachte nur: So viel Süßes? Hüftgold! Dennoch fischte sie die Rührschüssel vom Bord. Ganz schön staubig, oh weh. Verstohlen wischte sie sie mit dem Ärmel aus. »Äh, die ganzen Eier?«

Che drehte sich zu ihr um und grinste erfreut. »Gut mitgedacht, Azubiene! Ja, die ganzen.«

Kurz war sie versucht, die Eier mitsamt Schale in die Schüssel zu werfen, aber das traute sie sich denn doch nicht. Und eigentlich war’s ja lieb gemeint von ihm, nur dass Kochen und Backen so stinklangweilig war. »Eier sind drin. Und jetzt?«

Ohne von der Schokolade im Wasserbad aufzusehen, schob er ihr den abgewogenen Zucker und eins der kleinen Tütchen rüber. Sie kippte beides in die Eiermasse und begann, lustlos mit einem Löffel darin herumzurühren. Zu ihrem immensen Erstaunen wurde die Pampe tatsächlich nach kurzer Zeit schaumig, verblüffend. Das musste an Ches Kochaura liegen; allein hätte sie das nie hinbekommen. »Fertig!«, verkündete sie stolz und hielt ihm die Schüssel hin.

»Alle Achtung! Geht doch. Könntest du schon mal das Mehl mit dem Backpulver vermischen? Es ist auch schon abgewogen.«

»Klar. Äh, wo ist denn das Backpulver?«

Er warf einen Blick auf die restlichen Zutaten und runzelte die Stirn. »Wieso liegt denn der Vanille – Emmelie! Du hast doch nicht etwa das Backpulver in die Eier geschüttet?«

Sie fischte das kleine leere Tütchen aus dem Abfall. »Öhm, ja.«

Seine gute Laune war wie weggeblasen. »Bist du denn des Wahnsinns?« Er riss die Schüssel mit der Eiermasse an sich und schmeckte mit der Fingerspitze. »Scheiße! Sag mal, hast du nicht für fünf Pfennig Verstand? Ich hab dir doch genau gesagt, was du machen sollst! So blöd kann man doch gar nicht sein!«

Ihr stiegen die Tränen in die Augen. Er selbst hatte ihr das falsche Tütchen zugeschoben, sie sich darauf verlassen, dass es sich um die richtige Zutat handelte! Es war nicht fair, sie jetzt so anzugehen. Die immer noch auf sie einprasselnden Vorwürfe trafen sie tief.

»Du heulst? Echt jetzt? Weißt du, was ich mit meinen Azubis mache, wenn die sich so bescheuert anstellen? Ich schmeiß sie achtkantig raus. Nee wirklich, Emmelie, mach deinen Scheiß alleine, darauf hab ich keinen Bock!« Er riss sich die Schürze runter. »Für so ein Theater ist mir meine Zeit zu schade. Ich möchte eine Partnerin, die sich ganz auf mich einlässt. Kannst dich ja melden, wenn du bereit bist, dir mehr Mühe zu geben, aber so kommen wir nicht zusammen.«

Emmelies Herz pochte heftig, doch kein Wort der Verteidigung kam ihr über die Lippen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Che stieß sie beiseite und stürmte aus der Küche. Kurze Zeit später hörte sie die Tür schlagen. Sie stand immer noch dort, wo er sie hingeschubst hatte, wütend, verletzt und sehr, sehr traurig.


»Mit dem bin ich durch! Che ist ein Küchen-Nazi«, klagte sie ihrer Freundin am Abend telefonisch ihr Leid.

Statt darauf einzugehen, fragte die: »Was hast du angestellt?«

»Fang du nicht auch so an! Es war nicht meine Schuld, sondern seine, ehrlich. So ein Arsch!«

»Nun mal von Anfang an. Was ist passiert? Hat ihm dein Artikel nicht gefallen?«

»Welcher –? Ach so, nee, den hat er gar nicht gelesen. Er wollte mir unbedingt eine Kochlektion erteilen und mit mir Brownies backen. Hatte abgewogene Zutaten mitgebracht.«

»Das ist doch nett.«

Emmelie seufzte. »Ach Susu, wozu denn? Ich mein – jetzt, wo ich sogar hochoffiziell Küchenkatastrophen zubereiten darf, muss das gar nicht mehr sein. Also, große Lust hatte ich nicht, aber, na ja, ich hab dann mitgemacht.«

Susu giggelte. Emmelie sah sie sich förmlich erwartungsvoll auf dem Sofa zurechtsetzen, wie sie es immer tat, wenn ein Film im Fernsehen anlief. Wollte sie sich wirklich noch einmal anhören, wie blöd sie sich angestellt hatte? Jetzt war es wohl zu spät, einen Rückzieher zu machen. »Ich sollte Eier und Zucker mit noch irgendwas schaumig schlagen. Er hat im Wasserbad gerührt und mir die Sachen hingeschoben. Ich konnte doch nicht wissen, dass er mir was Falsches hingelegt hat!«

»Und was hast du nun reingetan?« Susus Stimme klang vor unterdrücktem Lachen ganz gepresst.

»Backpulver.« In das schallende Gelächter ihrer Freundin hinein verteidigte Emmelie sich. »Woher hätte ich das denn bitte schön wissen sollen? Und ich weiß immer noch nicht, was genau ich da verbrochen hab. Eins steht allerdings fest – diese Brownies sind nur was für Chuck Norris – sind sie zu hart, sind deine Zähne zu weich!« Sie starrte auf die Schale mit den Trümmern ihrer Backbemühungen. Irgendwie waren sie ein Sinnbild für ihre Beziehung zu Che – falls man ihre wenigen Verabredungen so nennen konnte: nix geworden und außerdem kaputt.

Als Susu wieder Luft bekam, sagte sie: »Backpulver macht den Teig locker, aber du darfst es erst zum Schluss, vermischt mit dem Mehl, unterrühren. Mit Flüssigkeit reagiert es nämlich sofort. Und wenn du dann zu lange wartest, sind die Luftblasen schon wieder geplatzt.«

»Aha. Geplatzt ist wohl auch Ches Illusion, aus mir je eine brauchbare Köchin machen zu können. Das erklärt natürlich einiges.« Als sie sich entschieden hatte, die Brownies doch noch zu Ende zu backen, war die Luft tatsächlich schon raus gewesen aus dem Eiermatsch. Sie hatte nur noch die restlichen Zutaten in die Schüssel geworfen und die Masse anschließend auf das Blech gekippt. »Aber er hätte mich nicht so beschimpfen dürfen. Du glaubst ja nicht, was er mir alles an den Kopf geworfen hat! Ich wär zu blöd für alles, ein geistiges Pantoffeltierchen, und, und, und.«

Betroffenes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Schließlich sagte Susu: »Ist dann wohl besser, dass du ihn los bist. Klar stellst du dich immer selten dusslig an in der Küche, aber eigentlich, und das sollte er als Ausbilder wissen, gibt es keine schlechten Schüler – nur schlechte Lehrer.«

»Genau!«, rief Emmelie erleichtert, endlich Zuspruch zu bekommen. »Ich bin froh, mich nicht weiter mit ihm eingelassen zu haben. Jemanden, der seinen eigenen Beruf so bierernst nimmt, dass er über Fehler nicht lachen kann, der ist nichts für mich.« Bei Che in die Lehre zu gehen, musste ein Albtraum sein. Dabei wirkte er ansonsten so locker. Nein, stimmte gar nicht. Eigentlich, und das merkte sie erst jetzt so richtig, war Che ein Kontrollfreak. Nach und nach fielen ihr die zahlreichen kleinen Dinge ein, bei denen er bestimmt, sie korrigiert und dorthin gelenkt hatte, wo er sie haben wollte. Und vorhin, da war er sogar regelrecht aggressiv und gewalttätig gewesen. Sie hatte sich vor ihm gefürchtet! »Und du hast mir geraten, mal abseits meines Beuteschemas zu suchen«, klagte sie ihre Freundin an. »Da siehst du, was passiert.«

Susu schnaufte. »Nur ein kleiner Rückschlag. Ich hab trotzdem recht, Liebes. Nicht aufgeben. Und jetzt mach ich Schluss, der Film fängt gleich an.«

Benommen legte Emmelie das Handy auf den Tisch. Ihre Freundin hatte es gut: Sie konnte sich an eine starke Schulter anlehnen. Gab es auch für sie den einen, den Richtigen? Langsam zweifelte sie.


Am nächsten Morgen hatte sie immerhin Stoff für einen neuen Artikel.

Ebonies – Brownies für die Harten

Kochen ist wie die Liebe: Ist man nur mit halbem Herzen dabei oder gibt seinen Trieben zu früh nach, ist die Luft schnell raus. Diese Lektion musste ich gestern schmerzhaft lernen, als ich das Backtriebmittel zur Unzeit dazugetan habe. Wer auf die ganz harten Sachen steht, ist allerdings mit diesem Brownie-Rezept gut bedient.‹

Emmelie lehnte sich zurück und kicherte. Eigentlich war es ja wirklich zu komisch gewesen, das Ganze. Und wenn Che sie nur hätte ausreden lassen – bestimmt hätten sie beide darüber lachen können. Schnell hämmerte sie das Rezept für die Ebonies in die Tasten.

Die Ebonies noch warm schneiden, denn beim Erkalten werden sie steinhart und lassen sich nur noch mithilfe von Hammer und Meißel in mundgerechte Happen zerteilen. Vor dem Genuss unbedingt die Nummer des Zahnarztes herauslegen oder vielleicht schon vorher für den Tag danach einen Termin vereinbaren.‹

Sobald sie fertig war, konnte sie nicht widerstehen, sich die Kommentare zu ihrem heutigen Artikel über Ches Ropa vieja durchzulesen. Und da grinste ihr der Meisterkoch auch schon höchstselbst entgegen, wie er stolz seine ›alten Klamotten‹ präsentierte. Plötzlich überkam sie das heulende Elend. Sie vermisste Che und seine Sprüche. Schnell zu den Kommentaren scrollen, um ihn nicht mehr sehen zu müssen. Einige Nicknames erkannte sie wieder, treue Fans, so man nach der kurzen Zeit bereits davon sprechen konnte, die sich lobend über den Artikel äußerten. Plötzlich stutzte sie. Was war denn das?

Eine Leserin, die sich Wilde Hummel nannte, schrieb: ›Da weiß man ja gar nicht, was man zuerst vernaschen soll! Heiß!‹

Darunter hatte jemand namens Der CheF geschrieben: ›Bei mir ist alles heiß. Willst du dir die Finger verbrennen? Komm vorbei!‹

Der CheF – Che? Emmelies Herz schlug mit einem Mal ganz dumpf. Nein, das konnte doch nicht sein! Sie knetet ihre kalten Finger. Er würde doch nicht vor ihrer Nase mit einer anderen flirten, nicht jetzt schon! Immerhin hatte er nicht gesagt, dass es endgültig zwischen ihnen aus war. An ihr sei es, etwas mehr Ernsthaftigkeit zu zeigen. Oder war die Botschaft des Kommentars an sie gerichtet? War das Ches Art, um Verzeihung und eine Aussprache zu bitten? Himmel, sie zitterte ja! Offenbar war der kubanische Koch ihr mehr unter die Haut gegangen, als sie gedacht hatte. Ganz sicher, der Satz ›Komm vorbei‹ galt ihr, nicht der Wilden Hummel. Im Grunde, und das musste er wohl inzwischen selbst gemerkt haben, war gestern alles nur ein Missverständnis gewesen. Zumindest anhören sollte er sie. Emmelie malte sich aus, wie er sie in die Arme nahm und ihr verzieh. Schon bei dem Gedanken an seine heißen Küsse wurden ihre Knie wie Pudding, und sie konnte sich sogar vorstellen, seinem Drängen nachzugeben und mit ihm zu schlafen. Das sollte ihn doch wohl überzeugen, dass sie es ernst meinte. Ja, das würde sie tun, zu ihm gehen und alles erklären, und dann …

Schnell lud sie den Ebony-Artikel mitsamt Bild ihres neuesten Küchenverbrechens auf den Redaktionsserver. Mittagszeit, da befand sich Che bestimmt im El Compañero.


»Wetter, auch das noch!«, schimpfte Emmelie. Auf der Vertiefung im Fahrradsattel hatte sich bereits eine kleine Pfütze gebildet, die sie ungeduldig wegwischte. Trotzdem fühlte sich ihr Hintern unangenehm feucht an, sobald sie aufstieg. Nässe und Kälte krochen ihre Handgelenke und Knöchel empor und zerrten mit klammen Fingern an ihrem Kragen. Zum Glück war es nicht weit bis zum El Compañero, das in einer Seitenstraße des quirligen Boxhagener Quartiers lag. Heute hatte sie keinen Blick für die zahlreichen Kneipen und Bars, welche die Straßen säumten. Nur gelegentlich zogen aufblitzende Farbsplitter, von Regentropfen gebrochene Lichtstrahlen eines bunten Neonschildes, ihre Aufmerksamkeit auf sich. Irgendwie erinnerte sie das immer an Weihnachten, bunte Beleuchtung in der Nacht. Das hatte sie schon als Kind geliebt, wenn sie mir den Eltern bei Dunkelheit im Auto unterwegs gewesen war … Und es war ja auch nicht mehr lange hin bis Dezember. Während sie an einer Ampel wartete, sah sie sich um. Tatsächlich hatten schon einige Cafés ihre Schaufenster festlich dekoriert, und hinter den Scheiben der von den Berlinern liebevoll Späti genannten Spätverkaufsstellen standen kitschige Weihnachtsmänner, die im Sekundentakt andersfarbig blinkten. Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen. Was, wenn sie sich nicht mit Che aussöhnte? Noch ein Fest allein könnte sie nicht ertragen. Susu wollte dieses Jahr mit ihrem Liebsten zu Freds Mutter, da konnte sie sich nicht einklinken. Das war sicher Freds Entscheidung gewesen, der sie im letzten Jahr nur unwillig ertragen hatte. Nicht, dass er Emmelie nicht mochte, aber es war eben ein Familienfest, und sie gehörte nicht dazu. Diese Bemerkung war ihm sogar mal rausgerutscht, und deswegen hatte er sich schlimm mit Susu gestritten. »Emmelie gehört zu meiner Familie!«, hatte ihre Freundin gesagt.

Sie wollte keinen Unfrieden in Susus Beziehung bringen, schon deshalb war ihr Plan gewesen, die diesjährigen Festtage im sonnigen Süden zu verbringen. Am liebsten dort, wo man nicht feierte und sie nicht daran denken musste, dass sie keine Familie besaß und ganz allein auf der Welt war. Aber wegen des Verkaufs der Zeitung und der Unsicherheit, ob sie ihren Job behalten könnte, hatte sie keine so große Ausgabe gewagt. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie insgeheim auf Ches Gesellschaft an Heiligabend gehofft hatte, ohne dass sie diesen Gedanken je ausformuliert hätte. So ein Blödsinn! Sie kannten sich erst ganz kurz, bestimmt hatte Che längst eigene Pläne – sei es ein Besuch bei seiner Mutter, die im Rheinland lebte, sei es, dass er arbeiten musste. Er hatte angedeutet, dass zur Vorweihnachtszeit besonders viel zu tun war wegen der ganzen Betriebsfeiern. Konnte durchaus sein, dass etliche Berliner Heiligabend oder an den Festtagen lieber auswärts essen gingen, als sich den Tag mit der aufwendigen Festbratenzubereitung zu versauen.

Hinter ihr hupte jemand, ein Auto brauste an ihr vorbei, und ein durch die Scheibe gedämpftes »Grüner wird’s nicht, du Schnarchnase!«, wehte an Emmelies Ohr.

Auch das noch! Verbissen strampelte sie weiter durch die Pfützen, inzwischen selbst schon völlig durchweicht. Die letzten Meter ging es über holpriges Kopfsteinpflaster, dann konnte sie das Rad endlich im Fahrradständer des Lokals parken. Du meine Güte, es schien voll zu sein! Noch während sie das Schloss festmachte, betraten mehrere Leute das El Compañero. Sie konnte durchs Fenster erkennen, dass alle Tische belegt waren. Kellner wuselten durch die Gänge, balancierten Tabletts mit Getränken. Che sah sie nicht, und sie zögerte, die Klinke zu drücken. Die Tür zum Hof stand offen. Von ihrem letzten Besuch her wusste Emmelie, dass sie von dort aus direkt in die Küche gelangen konnte. Ja, das war besser, als tropfnass durch den Gastraum zu gehen und am Tresen nach Che zu fragen.

Das Küchenfenster war halbhoch mit Milchglasfolie beklebt. Emmelie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um darüberzuspähen. In diesem Moment hörte sie Ches unverkennbares Lachen. Das gab ihr einen Stich. Wieso konnte er schon wieder fröhlich sein, wenn ihr der Streit so zu schaffen machte? Immerhin, er war da, und jetzt sah sie ihn auch. Er legte gerade den Arm um eine Blondine und drückte sie an sich. Emmelie erstarrte. Nein, das konnte doch nicht sein? Vielleicht eine alte Bekannte? Die Blonde quiekte, als er ihr auf den Hintern klatschte, dann verließ sie die Küche. Klar, Che hatte sie rausgescheucht. Die Hütte war voll, er musste kochen – und hatte trotzdem Zeit gefunden, mit dem Flittchen rumzuschäkern? Emmelie sank zurück auf die Füße. Sie hatte sich etwas vorgemacht. ›Komm vorbei‹ war keine geheime Botschaft an sie gewesen, sondern an all die Frauen, die das Bild in der Zeitung ansprach – offenbar war ihr Artikel für das kubanische Lokal ein voller Erfolg. Der Laden brummte, sie aber war abgemeldet. Emmelie widerstand dem Impuls, in die Küche zu stürmen und ihm die Szene zu machen, nach der ihr zumute war. Am liebsten würde sie Che sein charmantes Grinsen aus dem Gesicht schlagen. Was brächte es? Plötzlich verstand sie selbst nicht mehr, wie sie auf die irrsinnige Idee kommen konnte, zwischen Che und ihr wäre noch etwas zu kitten. Der Moment, als er sie geschubst hatte, sein herrisches Wesen – er war weder der Richtige für sie noch der Eine. Er war das Letzte, jawoll!


So richtig kam sie erst wieder zu sich, als die Wohnungstür hinter ihr ins Schloss fiel und sie sich schlotternd die klatschnassen Klamotten vom Leib zerrte. Hatte Che sie nur benutzt, um Werbung für seinen Laden zu machen? Unter der heißen Dusche sann sie auf Rache. Ein zweiter Artikel, diesmal nicht ganz so lobend, das würde ihm die Suppe schön versalzen. Aber nein, was würde Meyerdinck sagen? Che hatte immerhin Werbung gebucht, und Emmelies Stuhl wackelte nach ihrem Ausrutscher sowieso noch. Außerdem könnte Che sie wegen Verleumdung verklagen. Wenn’s ums Kochen ging, verstand er keinen Spaß, das hatte sie am eigenen Leib erfahren. Die Erinnerung an seinen Blick jagte ihr neue Schauer über den Körper. Fanatisch, so hatte er dreingeschaut, und Fanatiker waren gefährlich, zu allem fähig. Zitternd sank sie in die Duschwanne und ließ sich die Tränen vom prasselnden Wasser fortspülen. Es war sicher gut so, dass sie sein wahres Gesicht früh genug erkannt hatte, bevor sie ernsthafte Gefühle entwickelte. Und trotzdem tat es weh, verdammt weh. Sie musste sich damit abfinden, dass sie auch dieses Jahr das Fest der Liebe ungeliebt verbringen musste. Allein.

Lady’s Day

Arbeit war das beste Mittel gegen Liebeskummer, fand Emmelie, und so stürzte sie sich in die Recherche. Nicht immer nur ihre ungenießbaren Spezialrezepte, die Leser sollten erfahren, was in der modernen Frau von heute so vor sich ging. Schon bald stieß sie bei ihren Online-Nachforschungen an Grenzen. In den sozialen Netzwerken fand sie nur oberflächliches Blabla, und sobald sie sich mit einer Frau tief gehender unterhalten wollte, merkte sie, dass ihr Status als Journalistin ihr im Weg stand. Die Leute machten entweder dicht oder gaben sich nicht mehr natürlich. Irgendwann stieß sie auf die Seite eines Berliner Frauenzentrums. Gar nicht mal so weit weg, da könnte sie bequem zu Fuß hingehen. Bei der Vorstellung, die Einrichtung quasi undercover zu besuchen, musste sie grinsen. Emmelie, die Investigativreporterin. Live aus dem Krisengebiet zwischen PMS und Menopause … Das würde sie morgen machen. Schluss für heute. Nur noch ein Blick in die aktuelle Ausgabe von Ü-Berlin. Mal schauen, wie Kollege Stock-im-Arsch sich bei den Klubreportagen so schlug. Einige Male hatte sie schon Artikel von ihm überflogen; jetzt sah sie genauer hin.

Schreiben konnte er, das musste sie zähneknirschend anerkennen, aber seinen Berichten fehlte die Prise Humor, mit der sie ihre Texte immer würzte. Oh Schreck, sie dachte ja schon in Kochmetaphern – ein klares Zeichen, dass sie sich mit ihrem Los abzufinden begann. Warum den Klubs nachtrauern? Die eigene Rubrik war für ihre Karriere viel besser, und so langsam gewann sie sogar Geschmack an ihrer neuen Aufgabe – Geschmack, ha ha! – wenn schon nicht an dem, was sie in der Küche zusammenbraute. Trotzdem schmerzte es sie, dass viele der Leser ihren Wechsel von der Partyszene zum heimischen Herd kaum zu betrauern schienen. Insgeheim hatte sie eben doch gehofft, dass der geschniegelte neue Kollege eine Bauchlandung hinlegte. Und es fühlte sich noch immer so an, als hätte er ihr etwas Essenzielles weggenommen, sie aus ihrem Lebenselixier herausgerissen und in den Küchenkerker verbannt. Dabei hinderte sie niemand; zum Ausgehen brauchte sie den Job nicht, das konnte sie auch so machen, da hatte Susu völlig recht. Nur ihre kleinen Privilegien – ungehinderter Zugang Backstage etwa – waren natürlich weg, aber darauf konnte sie verzichten. Mit einem Mal fühlte sie sich wie befreit. Nur weil andere sie in Schubladen stecken wollten, musste sie noch lange nicht darin versauern.

SMS von Susu: ›Fred hat heut Pokerabend. Kommste vorbei?‹

Die Gute! ›Schon auf dem Weg‹, simste sie zurück, klappte den Laptop zu und rauschte ins Bad.

In der U-Bahn fand sie problemlos einen Sitzplatz, mal was ganz Neues. Normalerweise steckte sie entweder in der Masse der Berufstätigen fest oder zwischen lärmenden und angetrunkenen Nachtschwärmern. Gute Gelegenheit, die Post durchzusehen, die sie beim Verlassen ihres Hauses mitgenommen hatte. Ein Brief vom Friedrichshainer Klub Hainchen, über dessen Eigentümerwechsel und Neuausrichtung sie vor einigen Wochen erst berichtet hatte. Na so was, eine VIP-Einladung für Journalisten zur ›Schreinachtsfeier‹ im Hainchen. Die hatten wohl nicht mitbekommen, dass sie jetzt ihr eigenes Süppchen kochte. Sich Heiligabend die Birne mit Metal zuballern – wer machte denn so was? Emmelie dachte kurz darüber nach. Leute ohne Familie machten so was. Das Event war genau das Richtige für eine einsame, verlorene Seele wie sie. Beinahe hätte sie das Aussteigen vergessen, und sie grinste immer noch breit, als sie bei Susu klingelte.

Die wollte natürlich gleich den Grund für Emmelies gute Laune wissen. »Dein Che scheint ja nur ein Strohfeuer gewesen zu sein, jedenfalls bist du bei Weitem nicht so gramgebeugt, wie ich erwartet hätte.«

Dabei wusste Susu längst nicht alles, und Emmelie gestand ihr lieber nicht, dass sie noch ein zweites Mal auf den charmanten Koch hereingefallen war. Den Tadel wollte sie sich ersparen. Plötzlich schreckte sie auch davor zurück, der Freundin die Einladung zu zeigen, die ihre Stimmung so merklich gehoben hatte. Nach der Bevormundung durch Che hatte sie keine Lust auf weitere Maßregeln, und Susu konnte manchmal so erschreckend vernünftig sein. »Che wer? Der ist längst Geschichte. Immerhin war er für den einen oder anderen Artikel gut. Apropos, ich hab vor, jetzt etwas von der Kochschiene wegzukommen. Meyerdinck hat sich ja ausdrücklich Themen gewünscht, die das Spektrum moderne, urbane Frau abdecken. Wusstest du, dass es bei mir in der Nähe ein Frauenzentrum gibt? Die veranstalten Frauenfrühstücke, und genau da gehen wir zwei Hübschen morgen hin.«

Susu zog eine Schnute. »Ich wollte eigentlich ‘n büschen Weihnachtseinkäufe machen. Ich komm ja unter der Woche nicht dazu. Warum die Profs so viele Prüfungen ausgerechnet in die Vorweihnachtszeit legen, ist mir ein Rätsel.«

»Reine Schikane. Ihr sollt Juristen werden, keine Familienmenschen. Ach, komm schon! Ich würde da ungern allein hingehen. Bestimmt kennen die sich alle, und als Fremde … Was hältst du denn davon: Wir gehen erst zu dem Frühstück, bleiben eine Stunde oder so da, und anschließend begleite ich dich beim Shoppen?« Vielleicht begegnete ihr dabei sogar ein neuer Ausgehfummel, den sie zu dem Event im Hainchen anziehen konnte.

»Deal! Wo ist das denn genau?«

»Ach, komm einfach gegen halb zehn bei mir vorbei, dann laufen wir zusammen hin.«


Am nächsten Morgen machten sie sich fast pünktlich auf den Weg und bogen in eine Seitenstraße ein, die, obwohl ganz in der Nähe ihrer Wohnung, Emmelie noch nie erkundet hatte. Schon bald leuchtete ihnen die in lila gehaltene Fassade des Frauenzentrums entgegen. »Hm«, machte Susu. »Sieht ganz schön feministisch aus.«

Emmelie wunderte sich ein wenig über ihre Freundin. »Na und? Soll ja auch für Frauen sein.«

Sie betraten das Gebäude und fanden sich in einem Korridor wieder. Gelächter und Gesprächsfetzen drangen gedämpft durch eine Tür, die Emmelie beherzt aufdrückte. Sofort verstummten die Unterhaltungen, und die um einen langen Tisch gruppierten Leute starrten sie an. Es waren wirklich nur Frauen anwesend. Eine Dame um die fünfzig mit militärisch wirkendem, silbernen Kurzhaarschnitt erhob sich. »Willkommen, ihr zwei, setzt euch zu uns. Ihr wart noch nicht hier?«

»Nö«, sagte Susu und pellte sich aus ihrem Mantel.

»Ich bin Roswitha, und wir duzen uns hier alle. Das läuft hier so, dass jeder fünf Euro in die Dose da wirft, als Unkostenbeitrag. Und dann könnt ihr euch nehmen, was ihr wollt. In der weißen Thermoskanne ist Kaffee, in der roten Tee.«

»Klar, machen wir.« Emmelie ließ den Blick über die gedeckte Tafel gleiten.

Roswitha setzte sich, und schon bald stieg der Geräuschpegel wieder.

Susu wisperte ihr zu: »Hast du zwei Fünfer?«

»Ich lad dich ein.« Emmelie legte einen blauen Schein in die Dose, dann ließen sie sich neben einer Frau in den Dreißigern nieder.

Die beäugte sie neugierig. »Hey, ick bin Zwille und noch zu haben, aber ihr seid wohl schon verbandelt?«

Emmelie starrte sie entgeistert an. So eine plumpe Anmache, und das von einer Frau! Wo war sie denn hier gelandet? An Zwilles Lippen glänzten mehrere Piercings, unter ihrer Nase hing ein weiteres, kugelförmiges von der Art, die Emmelie immer an Popel erinnerte. Sie fand diese Sorte Gesichtsschmuck mehr entstellend als zierend, aber das musste jeder für sich entscheiden. Susu nannte unterdessen ihre Namen.

»Die Neuen sollen sich vorstellen!«, verlangte ein junges Mädchen vom andern Ende der Tafel.

Emmelie wechselte einen ratlosen Blick mit Susu. »Was wollt ihr denn wissen?«, fragte sie vorsichtig. Sie würde sich ungern als Journalistin zu erkennen geben, wollte lieber die unverstellte Stimmung unter den Frauen auffangen.

»Wie ihr heißt, seit wann ihr zusammen seid, wann ihr euch geoutet habt, so was halt.«

Ein Lesbentreff? Während Susu vor unterdrücktem Lachen fast zu platzen schien, trieb die Erkenntnis Emmelie die Hitze in die Wangen. Bloß schnell weg hier, mit solchen Themen musste sie Meyerdinck erst gar nicht kommen. Sie hatte sich schon halb erhoben, als Susu sie mit sanfter Gewalt zurück auf den Sitz zog und begann, eine rührselige und dramatische Geschichte zum Besten zu geben. Schwere Kindheit, ein Vater, der sie mit der ersten Liebe knutschend erwischt und aus dem Haus geprügelt hätte … Wo nahm ihre Freundin das bloß alles her? Beinahe hätte sie deren liebkosende Hand an ihrer Wange weggestoßen. Die Mienen der Frauen zeigten Mitgefühl und Verständnis – sie glaubten Susu jedes Wort!

»Du bist nicht allein«, dröhnte Roswithas tiefe Stimme.

»Na, deene Süße geniert sich wohl noch. Musst nich, hier sind wir unter uns«, sagte Zwille und tätschelte Emmelies Hand.

Um ihre Verlegenheit zu überspielen und die unangenehme Berührung loszuwerden, griff Emmelie nach der Kanne und schenkte sich ein.

»Das ist Kaffee, Liebes«, säuselte Susu. »Den kannst du mir geben. Emmy trinkt Tee«, erklärte sie mit lauterer Stimme. »Und sie ist sehr schüchtern, hat sich gerade erst geoutet.«

Oh Gott! Emmelies Wangen brannten heiß, sie wagte kaum aufzublicken, aber alle lächelten ihr freundlich und aufmunternd zu.

»Dit is det Schwerste. Wennde das hinter dir hast, wird’s leichter«, sagte Zwille begütigend.

Sie nickte und biss in ein Brötchen. Plötzlich stellte sie sich vor, sie hätte im Teeniealter festgestellt, sich zu Frauen hingezogen zu fühlen. In der Schule wär der Teufel los gewesen. Schon der Junge, der manchmal rosafarbene T-Shirts trug, war gnadenlos verspottet worden: Schwuchtel, Schwulette, Mädchen. Kinder waren grausam. Wie hätten ihre Eltern reagiert? Sie konnte es nicht sagen, auch wenn sie sich gern vorstellte, sie hätten es gelassen aufgenommen. Vermutlich hätte sie nicht den Mut gefunden, zu ihrer Sexualität zu stehen. Mit neuem Respekt vor diesen Frauen schaute sie auf.


Als sie am frühen Abend vor ihrem Laptop saß, gingen ihr die Gespräche im Frauenzentrum immer wieder durch den Kopf. War es wirklich so schwer, auch heute noch, anders zu sein? Ihre eigene Reaktion gab ihr zu denken – sie war regelrecht angeekelt gewesen. Was löste diese Empfindungen aus? Vorurteile oder die Vorstellung, mit jemandem intim zu werden, der einen auf sexueller Ebene abstieß? So oder so, sie tat sich schwer, die heutigen Erfahrungen in ihrer Kolumne zu verarbeiten. Es wäre verlogen gewesen, und würde sie nicht das Vertrauen der Frauen missbrauchen? Die Lesbenszene war eine Subkultur mit eigenen Gepflogenheiten und Regeln; sie hatte sich dort eingeschlichen, durfte es nicht ausschlachten. Trotzdem brannte ihr das Thema auf der Seele. Auch dies war ein Aspekt der modernen, urbanen Frau.

Pink Lady – ein Apfel mit regenbogenfarbigen Facetten

Vom Sündenfall über iPhone bis Big Apple steht der Apfel für vieles, und auch kulinarisch lässt sich einiges damit anfangen. Neulich habe ich das erste Mal eine Sorte namens Pink Lady probiert, um die ich zuvor immer einen Bogen gemacht hatte. Zu teuer und zu … Mädchen. Genderspezifisches Obst also? Eins steht jedenfalls fest: Der (oder die?) Pink Lady hat ein herrliches Aroma, blumig und frisch, und das Fleisch ist knackig und fest. Selten einen besseren Apfel gegessen! Warum also gibt man einem so wunderbaren Obst einen Namen, um den Männer einen weiten Bogen machen dürften? Marketingtechnisch würde ich das als unglücklich bezeichnen. Oder schmeckt das Blumige nur Frauen, womit der Name lediglich die Zielgruppe anspricht?

Memo an mich selbst: Mal die Herren Kollegen fragen, ob sie diese Apfelsorte kaufen würden.

Männer und Frauen leben in verschiedenen Welten, das steht fest, und haben unterschiedliche Präferenzen. Eigentlich erstaunlich, dass wir uns trotzdem von Natur aus zueinander hingezogen fühlen – Missverständnisse und Frust inbegriffen. Hat Gott bei seiner Schöpfung einen fatalen Fehler gemacht?‹

Den letzten Satz strich Emmelie schnell wieder. Schöpfungskritik kam beim bayrischen Verlagshaus bestimmt nicht gut an. Stattdessen fuhr sie fort:

Doch da gibt es ja noch diejenigen, die sich lieber dem eigenen Geschlecht zuwenden. Alles eitel Sonnenschein in der Schwulen- und Lesbenfraktion also? Mitnichten! Auch dort kracht es bisweilen, und Paare, die sich einst innig geliebt haben, trennen sich im erbitterten Streit. Woran das liegt? Ich kann es mir nur so erklären: Jeder Mensch ist sein eigener Kosmos, schillert in seinem ureigenen Spektrum. Manche Farben harmonieren, andere nicht. Und warum dürfen Männer kein Pink tragen respektive essen, wenn es ihnen schmeckt? Und wer sind wir, Farben in Schubladen zu stecken, die doch von Mutter Natur in allen Varianten, Formen und bei allen Geschlechtern vorkommen? Zum Glück ist Berlin bunt, ein ganzer Regenbogen voller Farben. Kein Grund, sich einer Pink Lady zu schämen! Auf den Geschmack kommt es an – und den Respekt vor seinen Mitmenschen, die vielleicht einen anderen haben. Probiert es einfach mal aus! Eure Emmelie‹

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739367866
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Liebesroman Chicklit Kochen Bremen Berlin Romance Stripper Mobbing Junggesellinnenabschied Humor

Autor

  • Kathrin Brückmann (Autor:in)

Schon zu Grundschulzeiten entdeckte Kathrin Brückmann ihre Liebe zur Kultur der alten Ägypter. Im Ägyptologiestudium übersetzte sie »Die Geschichte des Sinuhe«, und die spannende Erzählung ließ sie nicht mehr los. Nach »Sinuhe, Sohn der Sykomore« entstanden zahlreiche weitere Romane. Kathrin Brückmann lebt mit ihren beiden Söhnen und drei Katzen in Berlin und arbeitet als Lektorin und Autorin.
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Titel: Mann im Entblätterteig