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Undercover Rock

von Karin Koenicke (Autor:in)
330 Seiten
Reihe: Rockstar Secrets, Band 2

Zusammenfassung

Er ist heiß, er rockt die Bühne - und er ist ihr Hauptverdächtiger!
Privatdetektivin Tess erhält endlich einen lukrativen Auftrag. Ausgerechnet bei einer Rockband soll sie ermitteln! Verdächtig ist der heiße Frontman Joaquin, denn mit dem stimmt etwas nicht, das verrät ihr ihre Spürnase deutlich. Nur dumm, dass sie den sexy Sänger so verdammt anziehend findet. Doch Joaquin ist viel mehr als nur Musiker – nämlich ein tougher Cop im Undercovereinsatz. Außerdem Einzelgänger, ein harter Knochen und kein Kerl, der mit Gefühlen irgendwas anfangen kann. Außerdem wäre eine kleine Schnüfflerin die Allerletzte, auf die er sich einlassen würde! Die stört doch nur seine Mission. Aber so einfach ist das alles nicht.

**Eine actionreiche Lovestory mit Humor, Musik und großen Gefühlen**

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

UNDERCOVER ROCK

 

Rockstar Secrets 2

 

 

 

 

ein Liebesroman von

 

Karin Koenicke

 

 

 

 

1. Razzia

Joe

Die ehemalige Fabrikhalle, vor der gerade sechs Einsatzwagen des Boston Police Departments parkten, wirkte schäbig. Wie die anderen Cops auch war ich ausgestiegen und blickte mich um. Für mich war alles hier unbekannt, ich war erst vor ein paar Wochen in den Norden versetzt worden. Die Betonwände hatten Flecken, leere Bierdosen und Zigarettenstummel lagen auf dem Gehweg. Jemand hatte eine Ausgabe der Boston New Gazette weggeworfen und nun blätterte der Nachtwind ihre Seiten um, als wolle er sich über die Wettertrends der Ostküste informieren. Weder Sirenen noch Lichter der Polizeiwagen waren eingeschaltet, wir wollten schließlich niemanden vorwarnen. Aus dem Inneren der Halle, in der gerade eine Punk-Band ihr Unwesen trieb, drang nicht nur laute Musik, sondern auch das Gejohle der begeisterten Zuhörerschaft. Dass sich hier draußen gerade eine kleine Armee aus Uniformierten für den Einsatz bereitmachte, bekam das aufgeheizte Partyvolk garantiert nicht mit. Auf die verwunderten Gesichter der Leute freute ich mich jetzt schon.

Die Band war bei der Zugabe angekommen, sie verschwand sicher bald von der Bühne. Dann wurde es Zeit für uns. Meine Muskeln waren angespannt. Ich entsicherte meine Waffe.

„Auf mein Kommando gehen wir rein!“, schepperte durchs Funkgerät.

Wie auch meine Kollegen war ich hoch konzentriert und behielt nicht nur die Vordertür im Auge, sondern dazu den seitlichen Eingang. Diese Razzia war längst überfällig, denn nicht nur wir Detectives von der Drogenfahndung wussten, dass bei Konzerten allerlei Stoff verhökert wurde.

„Drei …“, zählte der Einsatzleiter vor.

Ich hasste es, wenn mir jemand Kommandos gab. Bei der Army würde ich kläglich versagen. Es war ein verdammtes Glück, dass ich bei der Polizei hatte Karriere machen können, wenngleich eine holprige. Richtig gut war ich nämlich nur als Einzelkämpfer.

„Zwei …“

Holy Shit, die beiden Milchgesichter neben mir sahen sich an, als suchten sie jemanden zum Händchenhalten! Schon klar, wir Spezialisten von der Drogenfahndung konnten das Ding nicht alleine schaukeln, deshalb hatte man uns für die Razzia eine Meute von Streifenbullen zugeteilt, aber mussten es unbedingt welche sein, deren Hände so zitterten? Auf ängstliche Warmduscher wie die beiden konnte man sich nicht verlassen. Und in diesem Punkt war ich echt empfindlich, nicht ohne Grund.

„Eins – Zugriff!“

Bevor die Milchbubis reagieren konnten, drückte ich schon die Eingangstür auf und stürmte nach drinnen. Es ging los! Vom Seiteneingang her kamen weitere Polizisten. Wir riegelten sofort die Ausgänge ab. Aufgeregte Schreie verrieten, dass die Leute in der Halle jetzt mitbekamen, was hier ablief. Die Schreie wurden schriller, einzelne Gestalten forderten ihr Glück heraus und rannten im Affenzahn auf die Ausgänge zu. Natürlich vergeblich. Glaubten die ernsthaft, sie kamen hier noch raus? Ich musste grinsen.

Wer jetzt versuchte, zu entwischen, zählte natürlich zu den Verdächtigen. Rund um die Bostoner Musikszene gab es ein ernsthaftes Drogenproblem, das sich immer mehr zuspitzte. Und dabei ging es nicht um Lappalien wie Gras, nein, irgendwer brachte immer größere Mengen von dieser neuen Scheiß-Designerdroge namens Stardust unters Volk. Gegen dieses Zeug war Koks ein kindisches Brausepulver. Und das Schlimmste war: Sie verkauften Stardust an die Kids, die jungen Musikfans – und machten damit Teenies zu Junkies. Das nahm ich diesen Verbrechern besonders übel, deshalb wollte ich diesen Mistkerlen unbedingt das Handwerk legen!

„Hiergeblieben, Bürschchen!“ Ich erwischte einen der Flitzer am Kragen und drehte ihm den Arm auf den Rücken, sodass er keuchte. Mehr aus Frust als vor Schmerz, ich wusste nämlich genau, dass ich ihn nicht allzu hart anpacken durfte. Ein verdrehter Arm konnte eine Verhaftung ruinieren, denn ein findiger Anwalt zauberte daraus gern einen polizeilichen Übergriff und schon stand man selbst in der Schusslinie und nicht der Drogendealer. Alles schon vorgekommen. Ich klopfte den Kerl mit der Rastafrisur ab und fand glatt ein Päckchen in seiner Hosentasche. Ein paar bunte Ecstasy-Pillen, dazu ein wenig Gras. Enttäuscht schnaubte ich.

„Bringt ihn aufs Revier.“ Ich übergab ihn an einen der jungen Bullen. Drehte mich um. Sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Da rannte jemand weg, wollte wohl besonders schlau sein und nicht dem Herdentrieb zum Ausgang folgen. Nicht mit mir, Bürschchen!

Ich sprintete ihm hinterher, was nicht so einfach war, weil ich mich durch die aufgescheuchte Meute kämpfen musste. Der Kerl kletterte an einer Säule neben der Bühne nach oben zu den Scheinwerfern. Fuck, konnte man von dort aufs Dach gelangen? Schon jagte ich ihm nach, drängte mich zwischen den Menschen durch. Ich musste zu dieser Säule!

„Überlass ihn mir, Joe, ich krieg ihn!“, rief mir mein Kollege Tyler zu. Er war näher dran, kletterte schon hoch, dem Flüchtigen hinterher.

Auch wenn ich Tyler mochte – ich nahm die Dinge gern selbst in die Hand. Also steuerte ich die zweite Säule auf der anderen Seite der Bühne an, steckte meine Waffe zurück ins Holster, weil ich beide Hände brauchte. Meine Finger fanden die schmale Leiter, krallten sich in das kalte Eisen. Ich zog mich hoch. Ein Fuß nach dem anderen, immer schneller, nur nicht in die Tiefe blicken, denn sonst wäre es aus mit mir. Ich hatte seit jeher mit Höhenangst zu kämpfen. Alles, was mehr als zwei Meter über dem Boden war, bescherte mir weiche Knie, deshalb durfte ich keinesfalls hinunterschauen. Ich konzentrierte mich auf den Flüchtigen, der schon oben war und auf der über der Bühne eingezogenen Zwischendecke entlanglief. Dort oben war tatsächlich ein Fenster, durch das er entkommen konnte! Verflucht, ich musste ihn kriegen! Einem Joe Calinger entwischte man nicht!

Dummerweise war der Scheißkerl flink wie ein Eichhörnchen im Boston Common Park. Ich hatte erst die Hälfte der Säule erklommen, da rannte er schon oben entlang, direkt auf das Fenster zu. Tyler war ihm auf den Fersen, hatte aber Probleme mit all den Scheinwerferkabeln, die dort herumlagen, strauchelte. Endlich war auch ich oben. Ich stürmte dem Dealer hinterher, den Blick starr auf ihn gerichtet.

„Ich hab ihn gleich!“ Tyler hatte sich aufgerappelt und machte eine abweisende Armbewegung in meine Richtung. „Geh du runter, sie brauchen dich!“

Ich wollte mich lieber selbst davon überzeugen, dass er ihn kriegte, da war ich stur. Also lief ich weiter – bis ein gähnender Abgrund mich stoppte. Die Zwischendecke war kein durchgängiger Boden, eher ein Laufsteg zur Scheinwerferanlage, sodass vor mir ein breiter Spalt aufklaffte. Shit! Das Bürschchen quetschte sich auf der anderen Seite dieses verfluchten Spalts gerade durch das Fenster! Tyler kam an ihn heran, kassierte allerdings eine Rechte an sein Kinn, sodass er nach hinten kippte. Verdammt, der Spalt war viel zu breit, um ihn mit einem Sprung zu überwinden. Wenn ich es trotzdem wagte, hatte ich gute Chancen, mit zerschmetterten Knochen fünf Meter tiefer zu landen. Aber Tyler rappelte sich nur im Schneckentempo auf und dieser Typ war schon zur Hälfte durchs Fenster gestiegen!

Ich holte tief Luft und – sprang.

Landete haarscharf an der gegenüberliegenden Kante und musste erst mal mit rudernden Armen um das Gleichgewicht kämpfen, um nicht rückwärts in die Tiefe zu kippen. Als ich sicher stand, sah ich, wie der Flüchtige mich entsetzt anstarrte, und stürzte auch schon auf ihn zu. Tja, damit hatte er wohl nicht gerechnet! Ich packte ihn, er zappelte, es krachte …

Bloody hell!

Mich durchzuckte ein heftiger Schmerz an meiner linken Seite, als wir eine Etage tiefer aufprallten. Mitten auf einem Sofa in der Band-Garderobe. Eine gut gepolsterte Landung, da hatte ich echt Schwein gehabt! Ich hustete. Es staubte höllisch, weil ein Teil der Decke heruntergekommen war. Schnell rappelte ich mich von der Armlehne auf, auf der ich aufgeschlagen war. Mein Puls raste, mein Atem ging schnell, aber es war keine Zeit zum Ausruhen. Wo zum Henker war der Verdächtige?

Da – zwischen den Staubwolken sah ich ihn, er war zur Hälfte auf einem Musiker gelandet, sortierte seine Gliedmaßen und krabbelte in Richtung Tür.

Make my day, du Idiot“, zischte ich und zog meine Waffe. Natürlich würde ich ihn mit dem Schießeisen nur erschrecken oder ihm allerhöchstens eine Kugel ins Bein jagen, falls er davonlief.

Blöderweise stolperte gerade Brown herein, der Einsatzleiter. Der Mann hatte keinen Funken Humor und konnte solche Sprüche eher weniger leiden.

„Sie heißen Calinger und nicht Callahan“, blaffte er mich an. „Wenn Sie Dirty Harry spielen wollen, dann machen Sie das in Ihrer Freizeit. Hier hab ich das Kommando und Sie halten sich gefälligst an die Regeln. Stecken Sie die Waffe weg und durchsuchen Sie den Mann.“

Murrend fügte ich mich. Konnte mir aber ein leicht triumphales Grinsen nicht verkneifen, als ich in den Taschen des Verhafteten eine ganze Menge sternchen-förmiger Pillen fand. Das war Stardust, keine Frage. Vielen Fragen jedoch würde sich dieser Kerl stellen müssen, wenn ich ihn erst im Verhörraum hatte und in die Mangel nahm.

„Sieht nach vollem Erfolg aus, Chief“, sagte ich zu Brown, als wir nach draußen gingen, wo einige Kollegen zappelnde Langhaarige, lamentierende Punks und fluchende Tätowierte abführten.

Ich hatte zwar Prellungen abbekommen, denn die Armlehne war nicht wirklich gut gepolstert gewesen, aber ein paar alberne blaue Flecke machten mir nichts aus. Wichtig war doch nur, dass uns einige der Typen ins Netz gegangen waren, die mit diesem Dreckszeug zu tun hatten. Das entschädigte für jedes Wehwehchen, dafür schlug man sich auch gern die halbe Nacht um die Ohren.

Gut gelaunt kämpfte ich mich durch die Menge an Konzertbesuchern, die immer noch herumstanden. Dann fiel mir das Siegerlächeln aus dem Gesicht. Ein blasses Mädchen – kaum älter als sechzehn, vermutete ich – stützte ihre noch blassere Freundin. Der knickten plötzlich die Beine weg, sie fiel vor mir auf den Boden, krümmte sich zusammen und zuckte. Sofort kniete ich mich neben sie, rief gleichzeitig mit lauter Stimme die Sanitäter herbei. Ihre Stirn war schweißnass, der Atem flach, sie zitterte am ganzen Körper. Ihre Freundin sah nicht viel besser aus. Auch sie hatte die charakteristischen, roten Flecken am Hals.

„Ihr habt Stardust genommen, stimmt‘s?“ Sie nickte. Ihre Hände bebten.

Das Zeug mit dem harmlosen Namen kam als verdammt geile Partydroge daher, billig, niedlich, Himmel-auf-Erden-eröffnend. Aber es machte in null komma nix abhängig. Und dann kamen die Horrortrips, so wie hier.

„Verflucht, wo bleiben die Sanitäter?“, schrie ich, denn die Kleine atmete immer flacher. Ihre blonden Haare, in die sie sich türkisfarbene Strähnen gefärbt hatte, klebten an ihrem Kopf. Sie war fast noch ein Kind. Ein Kind, dessen Unerfahrenheit und Naivität von skrupellosen Drogendealern ausgenutzt wurde, die sich einen Dreck darum scherten, dass sie ein so junges Leben riskierten und ruinierten. Finsterer Zorn packte mich auf diese Schweine, die offenbar hier in Bostons Musikszene zu suchen waren.

Endlich rauschten die Sanis an, schoben mich zur Seite, beugten sich über das Mädchen.

Einen Moment lang blieb ich stehen, die Augen auf die Szene vor mir gerichtet, die Hände zu Fäusten geballt. Bei der Kleinen hier war ich jetzt überflüssig, aber ich wusste, was ich zu tun hatte: Ich würde diese verdammte Droge und ihre Profiteure bekämpfen – mit aller Kraft und allen Mitteln, die mir zur Verfügung standen.

2. Zitronenhuhn und Papagei

Tess

Rauch, der aus einer Backofentür kam, verhieß nichts Gutes, oder? Okay, ich hatte mich ziemlich lange geduscht, während ich das Abendessen für Dexter und mich im Ofen vor sich hinbraten ließ. Aber dass dieses dämliche Zitronenhuhn nun Dexters Designerküche vollqualmte wie das Zelt eines indianischen Medizinmannes, bereitete mir jetzt ein wenig Sorge. Immerhin war ich so geistesgegenwärtig, den Bademantel gut zuzuknoten und ein Geschirrtuch in die Hand zu nehmen, bevor ich das Backrohr öffnete. Eine dicke Rauchwolke kam mir entgegen, dazu texanische Hitze, und obendrein wirkte der Gockel eher zusammengeschrumpelt als appetitlich.

Seufzend nahm ich ihn heraus und stellte ihn auf das Ceranfeld. Als Privatdetektivin war ich unschlagbar, was man von mir als Köchin leider nicht behaupten konnte. Ob ich das verbrannte Äußere absäbeln sollte? Vielleicht kam innen ganz zartes Fleisch zum Vorschein? Ich nahm ein Messer in die Hand und versuchte mein Glück. Gerade, als ich lautstark fluchte, weil auch das nicht klappte, klingelte mein Handy. Es war Dexter.

„Sweetheart, ich hänge noch 'ne Stunde an. Du weißt ja, der Malone-Auftrag. Aber ich freue mich, dass du heute mal für uns kochst!“

„Malone? Ich dachte, den hättest du schon abgeschlossen?“ Verwundert drückte ich das Telefon an mein Ohr. Dieser Fall war längst vom Tisch, soweit ich wusste. Ich hatte doch den Ordner abgelegt und der Sekretärin die Anweisung gegeben, die Rechnung zu tippen. Sehr seltsam.

„Na ja, sind einfach noch ein paar Dinge zu klären. Bis später.“ Er legte auf. Meine Nase juckte. Das war schon immer ein Zeichen gewesen, dass irgendetwas nicht stimmte.

Dexter war mein Boss. Also nicht irgendein Boss, nein, er war der Dexter Fox, Inhaber der renommiertesten Privatdetektei von ganz Boston, wenn nicht der ganzen Ostküste. Dass ich ausgerechnet bei ihm einen Job gefunden hatte, war ein echter Jackpot. Dass ich auch noch das Bett mit ihm teilte, ebenso. Er war rund fünfzehn Jahre älter als ich, aber mit Mitte vierzig super in Form. Mir gefielen sogar die vereinzelten grauen Haare an seinen Schläfen, die verliehen ihm noch mehr Charisma, als er eh schon hatte. Und ein genialer Kopf war er sowieso. Okay, vielleicht hätte er sich mit ein bisschen mehr Herzblut um mich kümmern können, aber man konnte schließlich nicht alles haben. Außerdem war ich ja auch ehrgeizig und schuftete hart dafür, seine Firma zur erfolgreichsten Detektei von ganz Massachusetts zu machen. Wir zogen da wirklich an einem Strang.

In der Küche hingegen waren meine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Das geplante Dinner mit dem Huhn in Zitronensoße konnte ich mir wohl abschminken. Dabei war es angeblich ein „idiotensicheres Rezept“, so hatte es zumindest meine Freundin Salomé genannt. Sie kam aus Montreal und kochte gern Französisch. Die Anleitung für das Hähnchen stammte aus einem europäischen Kochbuch, in dem die Temperatur in Grad Celsius angegeben war. Und ich Dumpfbacke hatte mich offenbar bei der Umrechnung in Fahrenheit ziemlich vertan.

Sei’s drum. Ich hatte andere Qualitäten, mit denen ich Dexter vom verbrannten Dinner ablenken konnte. Entschlossen marschierte ich zurück ins Badezimmer, um mir die Haare zu machen und mich zu schminken. Früher war ich gern in zerrissenen Jeans und ohne Farbe im Gesicht herumgelaufen. Seit ich vor zwei Jahren bei Dexter angefangen hatte, legte ich schweren Herzens ein dezentes Tages-Make-up auf, weil ich dann nach Dexters Meinung seriöser wirkte. Jetzt hingegen durfte es richtig sexy sein, also schminkte ich mir smokey eyes, die gut zu meinen schwarzen Haaren passten, und griff zum dunkelroten Lippenstift. Dessous in der gleichen Farbe hatte er mir zum Geburtstag geschenkt, völlig uneigennützig natürlich. Ich zog sie an, nickte meinem aufreizenden Spiegelbild zufrieden zu und wartete, bis Dexter heimkam.

Es dauerte.

Als ich endlich den Schlüssel in der Tür hörte, sprang ich vom Sofa hoch, auf dem ich herumgelungert hatte, schlüpfte eilig in die mörderischen High-Heels und ging mit sexy Hüftschwung in den Flur.

„Was riecht hier so?“ Er schob seinen bulligen Körper durch die Tür und schnupperte.

„Ich trage Versace, den Duft hast du mir mitgebracht, Dex.“ Ich lächelte in der Hoffnung, dass es verführerisch rüberkäme und das meine üppige Parfumwolke den Brandgeruch überdeckte.

„Hast du irgendwas abgefackelt?“

Allright, nun war es an der Zeit, den dünnen Morgenmantel wie zufällig auseinanderklaffen zu lassen. Dexters Blick glitt über meine größtenteils nackte Haut – und dann wieder aus dem Morgenmantel hinaus und weiter zur Garderobe, an die er anschließend sein Sakko hängte. Was war los mit ihm? Meine Nase juckte schon wieder so komisch, das musste am Geruch des verbrannten Hähnchens liegen.

„Weißt du, mit dem Dinner ist ein bisschen was schief gelaufen“, schnurrte ich. „Aber vielleicht hast du ja Appetit auf etwas anderes?“

Ich ließ den Morgenmantel von meinen Schultern gleiten, während ich zwei geschmeidige Schritte auf ihn zu machte. Jetzt würde er gleich alles andere vergessen und mich ins Schlafzimmer zerren, wo er sich die Kleider vom Leib reißen und mir zeigen würde, dass Essen doch wirklich völlig unwichtig …

„Na gut, dann bestellen wir eben was bei Luigi“, erwiderte er, ohne mich wirklich anzusehen.

Wie bitte? Schon wieder kribbelte es an meinem Nasenflügel. Ich nahm Dexter genau unter die Lupe. War er vielleicht gestresst? Hatte er einfach zu viel gearbeitet in der letzten Zeit? Sein Gesicht wirkte allerdings eher rötlich-erhitzt als grau-erschöpft. Außerdem saß sein Kragen schief. Und – da war etwas! Ich hielt die Luft an. Mit spitzen Fingern fasste ich an den obersten Knopf seines Hemdes und entfernte ein eindeutig fuchsrotes Haar. Genau die Haarfarbe von Natasha, seiner Sekretärin, sie trug ihre Locken neuerdings in diesem penetranten Rotton. Jetzt war es an mir, zu schnuppern. Allerdings nicht am verschmorten Coque au citron, sondern an seinem Hals. Obwohl er schnell einen Schritt nach hinten machte, hatte ich es gerochen: An ihm klebte der süße, schwere Duft von Opium, einem Parfum, in dem Natasha jeden Morgen zu baden schien.

„Du machst mit deiner Sekretärin rum?“, zischte ich.

Er hob abwehrend die Hände. „Unsinn. Du bildest dir da nur was ein. Da ist absolut nichts.“

„Warum riechst du dann nach ihrem Duftwässerchen und hast ein rotes Haar am Kragen?“ Er hatte mich schließlich nicht in seine Detektei aufgenommen, weil ich ein blindes Dummchen war, das nicht eins und eins zusammenzählen konnte. Das musste ihm doch klar sein! Und auch, dass der abgeschlossene Malone-Fall keine gute Ausrede war.

„Herrgott, Teresa, jetzt mach keinen Aufstand! Du benimmst dich wie eine eifersüchtige Ehefrau. Dabei sind wir nicht mal verheiratet. Jetzt krieg dich mal wieder ein, das ist doch lächerlich.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Geste, die mir bei unserem Kennenlernen gut gefallen hatte, weil Dexter durchaus etwas Imposantes an sich hatte. Menschen zu beeindrucken fiel ihm nicht schwer, ich war da keine Ausnahme gewesen. Aber jetzt? Wo er hier stand und offensichtliche Beweise einfach herunterspielte?

„Der einzig Lächerliche bist du!“, konterte ich. Hitze wallte in mir auf, ich bebte heftig, meine Stimme wurde laut und schrill. „Ich habe Augen im Kopf. Normalerweise kannst du mich gar nicht schnell genug aus den teuren Dessous schälen, aber heute schaust du mich nicht mal richtig an. Weil du Natasha gerade erst über deinen Mahagonischreibtisch gelegt und durchgevögelt hast, stimmt’s?“

„Ach, denk doch, was du willst.“ Er schob mich grob zur Seite, um sich an mir vorbeizudrängen. „Ich brauche jetzt erst mal eine Dusche, es war ein langer Arbeitstag. Vielleicht hast du dich danach beruhigt. Und bestell was zu essen.“

Er wies mich allen Ernstes an, mich um sein Abendessen zu kümmern? Hatte der einen kompletten Knall?

„Sag doch Natasha, sie soll dir ein paar Eier braten!“, brüllte ich. „Am besten deine eigenen!“

Ungerührt verschwand er im Badezimmer. Und ich in unserem gemeinsamen Schlafzimmer, wo ich eilig ein paar Sachen aus dem Schrank riss und in eine Tasche stopfte. Wenn Mister Superstar dachte, ich würde wie ein reuiges Kätzchen heute Nacht unter seine Decke schlüpfen und ihm zuschnurren, dass ich ihm natürlich glaubte und eh alles verzeihen würde, hatte er sich getäuscht. So etwas ließ ich mir garantiert nicht gefallen!

Ich schlüpfte in mein Business-Kostüm, das noch herumlag, hängte mir die Tasche um und stürmte nach draußen. Sollte er doch nach mir suchen und sich Sorgen machen, der Mistkerl. Ich würde mein Handy abstellen und nicht zu erreichen sein. Damit verpasste ich ihm garantiert einen ordentlichen Denkzettel.

Zwanzig Minuten später läutete ich Sturm bei Salomé. Hoffentlich zerwühlte sie nicht gerade die Laken mit einem ihrer zahlreichen Liebhaber oder war mit einem unterwegs. Mir fiel nämlich sonst niemand ein, bei dem ich für eine Nacht unterkriechen konnte. Doch ich hatte Glück, sie öffnete.

Mon Dieu, wie siehst du denn aus?“, begrüßte sie mich und gab den Weg in ihre gemütliche Wohnung frei.

Mon Dieu, mon Dieu!“, krakelte es wie ein buntes Echo aus der Wohnzimmerecke. Dort thronte nämlich Gilbert in seinem Käfig, wetzte seinen Schnabel an einer Messingstange und kommentierte wie immer das Geschehen um ihn herum. Er selbst nannte sich „Schilbääär“ und fühlte sich offenbar ebenso Französisch wie seine Besitzerin.

„Dieser Cock mit Zitrone ging total daneben“, sagte ich und merkte erst jetzt, dass meine Stimme belegt klang.

„Cock?“, wiederholte sie und riss die Augen auf. „Was genau hast du denn beim Metzger …? Ach so, das Hähnchen. Und das war so schlimm, dass dir die Tränen gekommen sind?“

Ich betastete meine Wangen. Sie waren trocken. „Ich weine doch gar nicht!“, stellte ich klar.

„Du siehst aber so aus, als würde nicht viel fehlen. Setz dich hin und erzähl mir alles. Ich koche uns eine heiße Chocolat. Das wird dir helfen.“

So klein und zierlich Salomé auch war – sie schaffte es spielend, mir die Tasche aus der Hand zu nehmen und mich auf ihr Sofa zu drücken. Dann verschwand sie in der Küche. Ich kannte niemanden sonst, der sich selbst in häuslichen Plüschpantoffeln mit der Anmut einer Balletttänzerin bewegte. Sie trug einen karierten, knielangen Rock, dazu eine dunkelrote Strumpfhose plus blaues Twinset, und sah auf eine elegante Art immens sexy aus. Das lag nicht nur an ihrem blassen Gesicht und dem akkuraten Bobschnitt ihrer braunen Haare. Sie hatte dieses französische Flair. Wäre ich ein Mann oder auch nur ein klein wenig bisexuell veranlagt, würde ich mich auf der Stelle in sie verlieben.

„Magst du ein Roquefort-Baguette dazu?“ Sie kam mit einem Teller aus der Küche.

Okay, ich würde mir das noch mal überlegen mit dem Verlieben, denn der Käse stank selbst aus einiger Entfernung bestialisch. „Zur heißen Schokolade?“, fragte ich entsetzt.

„In Montreal isst man das so“, behauptete sie und sprach den Namen wie immer Französisch aus.

Bien sur!“, unterstrich Gilbert die Aussage, während er auf und nieder wippte.

Ich glaubte den beiden kein Wort, nahm ihr aber dankbar die Tasse ab, die sie ebenfalls hereingetragen hatte.

„Dex betrügt mich mit dieser aufgetakelten Natasha aus dem Büro“, erzählte ich, trank zur Stärkung einen Schluck des süßen Gebräus und berichtete dann in ein paar Sätzen, was passiert war.

Nachdenklich strich Salomé ihren Rock glatt. „Vielleicht ist es ganz gut so“, sagte sie schließlich.

Ich riss die Augen auf. „Was soll gut daran sein, wenn er mit seiner Sekretärin poppt?“

Sie neigte den Kopf zur Seite. „Sag mal ganz ehrlich – liebst du ihn? So richtig aus tiefstem Herzen, so, dass du alles für ihn tun würdest, dass jedes chanson d’amour im Radio ausschließlich für euch beide geschrieben wurde, und du ohne ihn nicht leben willst?“

„Ach, die Liebe.“ Das war doch alles nur romanhaft aufgebauschtes Getue. Ich hielt nicht so wirklich viel davon. „Ich bin doch keine dreizehn mehr und träume von einem berittenen Prinzen, der mich auf Händen trägt. Das ist alles reine Illusion mit der großen Liebe, die gibt es doch bloß in Hollywoodfilmen, das hat nichts mit dem wahren Leben zu tun. Jeder Mensch kann bestens ohne den anderen leben.“ Schnell trank ich noch einen Schluck. Der dickflüssige Kakao tat gut. Wer brauchte schon einen Mann, wenn man Zucker und Fett haben konnte? Warm war das Getränk auch. Und es verlangte nicht, dass man etwas in den Ofen schob oder sich die Beine rasierte. Ja, ich fand, Chocolat war eine prima Alternative zu einer Beziehung.

„Du hast nur Angst, mal jemanden nah an dich heranzulassen“, kam sie nun wieder mit ihrer üblichen Predigt an. Die hörte ich schon, seit wir uns kannten. Ich sei keine In-den-See-Springerin, sagte sie mir immer, ich ließe mich nicht vollständig auf Gefühle ein, ich wolle immer die Kontrolle behalten. Vielleicht hatte sie recht, es war im Moment sowieso egal.

„Auf jeden Fall lasse ich nicht an mich heran, dass er mich behandelt wie ein Hausmädchen! Ich lebe doch nicht mit ihm zusammen, damit er mit einer anderen rummacht!“

„Du bist gekränkt, ma chère. Das ist verständlich. Aber nimm es als Chance, klarzustellen, wo ihr beide überhaupt in eurer Beziehung steht.“

Wo wir standen? Nun, er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, bot mir viele Chancen. Der Sex war okay, in der Regel kamen wir gut miteinander aus, und er ging mir nicht übermäßig auf die Nerven, wenn wir am Wochenende etwas gemeinsam unternahmen. Passte doch alles!

„Da gibt es nicht viel zu klären.“ Ich duckte mich, weil Gilbert über mich hinwegflatterte und es sich nun auf der Vitrine gemütlich machte, wo er einen besseren Blick auf uns hatte. „Dexter hat die erfolgreichste Detektei der Stadt, und ich liebe meine Arbeit dort. Das will ich um keinen Preis aufgeben. Nicht mal für diese dämliche Sekretärin. Er weiß doch, was er an mir hat. Bestimmt war das nur ein Ausrutscher, und er kriegt sich wieder ein. Ja genau, morgen früh wird ein riesiger Strauß roter Rosen auf meinem Schreibtisch stehen, da bin ich mir sicher. Ich schick dir dann ein Foto.“

Der Kakao beruhigte mich. Und dieser Gedanke auch. Salomés skeptischen Blick zu ignorieren, fiel mir nicht schwer. Klar, sie sang stets ein Hohelied auf l’amour und fand auch immer wieder Männer, mit denen sie sich kopfüber in leidenschaftliche Affären stürzte. Doch ich war nun mal ein anderer Typ. Kopflastiger, kontrollierter, realistischer. Das war auch gut so.

„Ich sehe es doch bei dir und deinen Kerlen“, setzte ich nach. „Erst ist da immer das hell lodernde Feuer der Leidenschaft, aber nach ein paar Wochen oder Monaten bleibt nur noch schwach glimmende Asche übrig. Oder ihr streitet euch, dass die Fetzen fliegen. Nein, mit diesem ganzen extremen Liebeszeug brauchst du mir nicht zu kommen. Ich fühl mich wohl bei Dexter. Er wird sich entschuldigen, Natasha rauswerfen, und wir lösen den nächsten Fall gemeinsam. Alles okay!“

Bonjour!“, krähte der Papagei fröhlich.

Salomé hingegen seufzte. „Du bist ein hoffnungsloser Fall. Also gut, dann arrangier dich halt wieder mit ihm. Ich richte dir aber trotzdem hier ein Bett her, oder? Du willst ihn doch sicher diese Nacht schmoren lassen?“

„Oh ja, genau so wie das Zitronenhähnchen!“ Nun musste ich sogar kichern. Womöglich hatte Salomé Schnaps in die Chocolat gerührt? Ich war nämlich mit einem Mal hundemüde. „Super von dir, dass ich bei dir schlafen kann“, gähnte ich.

„Immer doch, ich habe genügend Platz.“ Sie stand auf und ging ins Gästezimmer, wo eine Schlafcouch stand. Auf diese sank ich kurz darauf, grübelte noch ein bisschen herum, sagte mir aber immerzu, dass doch im Grunde nichts Schlimmes passiert war. Alles würde sich einrenken, denn es lief ja gut zwischen Dex und mir. Irgendwann kam es mir vor, als würde die Wanduhr immer langsamer ticken, und ich schlief schließlich ein.

Am nächsten Morgen verfluchte ich meinen überstürzten Aufbruch, denn ich hatte nur unnützes Zeug in meine Tasche geworfen. Immerhin eine frische Bluse war dabei, aber ich musste den Rock und Blazer anziehen, den ich gestern schon getragen hatte. Na ja, war halb so wild. Klar hätte ich auf dem Weg zur Arbeit noch einen Abstecher in Dexters Wohnung machen und mir neue Klamotten holen können, aber dann wäre ich zu spät ins Büro gekommen. Salomé genoss noch ihren Schönheitsschlaf, als ich die Tür leise hinter mir zuzog und mich auf den Weg zur Detektei machte. Am Personaleingang, der sich an der Seite des Gebäudes befand, blieb ich stehen und klappte das Kästchen nach oben, um meinen Zugangscode einzugeben.

Nichts passierte.

Allright, offenbar hatte ich mich vertippt. Also das Ganze noch einmal.

Erneut blinkte das rote Lämpchen, nicht – wie seit zwei Jahren üblich – das grüne.

Gab es eine Fehlfunktion?

Ich rieb mit der Hand über meinen Nasenflügel. Irgendwas in meinem Nacken kribbelte unangenehm, als ich um die Hausecke bog und am Vordereingang klingelte. Wir begannen unseren Dienst immer eine halbe Stunde vor den offiziellen Bürozeiten, deshalb musste ich warten, bis jemand auf den Öffner drückte. Nach unendlich langen Sekunden summte es.

Ich trat ein. Sah mich um. Hatte mit einem Mal so ein dumpfes Gefühl, dass vielleicht doch kein gigantischer Strauß aus langstieligen roten Rosen auf meinem Schreibtisch wartete. Außerdem war heute Donnerstag, der siebte, und dieser Tag hatte mir noch nie Glück gebracht. Obwohl ich ansonsten ein durch und durch vernünftiger Mensch war, gab es einige Dinge zwischen Himmel und Erde, an die ich glaubte, auch wenn ich das natürlich meist für mich behielt.

Dex kam mir entgegen.

„Wir müssen den Türöffner am Personaleingang reparieren lassen“, begann ich mit fester Stimme. „Der funktioniert nicht richtig.“

„Oh doch, der funktioniert tadellos.“ Sein Tonfall war ebenso kalt wie seine Augen. „Ich habe beschlossen, dass es besser ist, wir beide gehen getrennte Wege. Privat und beruflich. Ich habe heute Abend einen Kliententermin, du kannst in dieser Zeit deine Sachen aus meiner Wohnung räumen. Gib bei Gelegenheit Bescheid, an welche Adresse ich dir dein Zeugnis schicken soll.“

„Sag mal, hast du einen totalen Vogel?“ Nein, eher einen Papagei von Gilbertschen Ausmaßen, mindestens! „Du kannst mich nicht einfach aus der Detektei werfen! Ich schufte seit zwei Jahren für dich. Und zwar richtig gut! Ich habe eine Menge Kunden, die zufrieden sind, ich kenne mich aus, ich bin dein bestes Pferd im Stall!“

Okay, das war etwas übertrieben, bis zur Araberstute hatte ich es womöglich noch gar nicht gebracht, aber ich rackerte auf jeden Fall wie ein Ackergaul. Ich stemmte meine Hände in die Hüften und funkelte ihn an.

Leider erfolglos. Er wirkte völlig unbeeindruckt.

„Red keinen Unsinn. So ein Gezicke wie gestern Abend kostet mich zu viele Nerven, das kann ich nicht gebrauchen. Du bist ersetzbar. Hier im Büro genauso wie in meinem Bett.“

„Du beschissenes, gottverdammtes Arschloch!“, zischte ich ihn an.

Was umgehend dazu führte, dass er ein herablassendes Grinsen aufsetzte und leicht den Kopf schüttelte.

„Ich hätte es wissen müssen, dass sich deine Herkunft nicht auf Dauer verleugnen lässt. Die Gosse kommt eben immer durch.“

Dieser verfluchte Hurensohn, ich würde ihm jetzt …

Bevor meine geballten Fäuste etwas tun konnten, was mir ein paar Jahre Kittchen einbringen würde, drehte er sich einfach um und ging. Ließ mich hier stehen wie ein dummes Schulmädchen, wutschäumend, zugleich mit wachsender Verzweiflung. Ja, ich kam aus einfachen Verhältnissen und ja, ich hatte ihm eine Szene gemacht. Aber zurecht! Er war der Schuldige, nicht ich. Und nun nahm er mir einfach die Wohnung weg, dazu den Job, was deutlich schlimmer war. Fuck, was zum Teufel sollte ich jetzt anfangen?

Ich hatte keine Ahnung, aber eine Sache war mir völlig klar: Dexter Fox würde mich nicht kleinkriegen, mich nicht!

3. Mit Putzeimer bewaffnet

Joe

Die Kneipenszene in Boston war mir noch ebenso unbekannt wie die angesagten Musik-Acts der Stadt. Ich war erst vor ein paar Wochen hierhergezogen und somit neu in der City, was für Ermittlungen echt Scheiße war. Ich kannte weder die einschlägigen Verdächtigen noch die Clubs, in denen zwielichtige Geschäfte jeder Art durchgezogen wurden. Und meine Kollegen waren auch nicht gerade scharf darauf, einen wie mich in ihre Geheimnisse einzuweihen. Nicht nach der Sache, die in New Orleans passiert war. So etwas sprach sich schnell rum, es klebte an mir wie ein verdammter Kaugummi an meiner Schuhsohle.

Also lungerte ich eben in meiner Freizeit in irgendwelchen Bars herum, um was zu trinken und meine Nase tiefer in die Bostoner Szene zu stecken. Heute Abend war da keine Ausnahme. Die Tür zu Jimmy‘s Musicbar knarzte unfreundlich, als ich sie aufdrückte. Innen erwartete mich die übliche versiffte Musikkneipe, davon hatte ich schon eine Menge gesehen. Nur dass diese hier rammelvoll war, was offenbar an der Band lag, die heute Abend hier spielte. Zumindest rannte ein ganzes Rudel von Zuschauern mit T-Shirts herum, auf denen Evil Medicine aufgedruckt war und ein Foto der fünf Typen plus ihren Instrumenten. Na ja, wer‘s brauchte.

Ich quetschte mich an die Bar und bestellte ein Bier. Immerhin sahen die Gestalten, die sich neben mir an ihren Gläsern festhielten, nicht ganz so schnöselig aus wie der Rest der Ostküsten-Boys. Wie nicht anders zu erwarten, hielten sich viele in dieser Stadt für was Besseres. Man hatte ja schließlich Harvard, dazu eine wichtige Rolle in der Geschichte dieses Landes zu bieten und angeblich eine bessere Aussprache als wir aus dem Süden. Arrogante Snobs! Vielleicht war es die falsche Entscheidung gewesen, mich ausgerechnet in den Norden versetzen zu lassen. Erst seit ich hier war, merkte ich, wieviel Heart of Dixie doch in mir steckte. Egal. Ich war nun in Massachusetts und würde den Schnöseln hier beweisen, dass auch ein Mann aus dem Süden verdammt gute Arbeit abliefern konnte.

Mit dieser Bar lag ich gar nicht so falsch, vermutete ich, denn es hingen einige Gestalten herum, denen ich durchaus zutraute, sich auch mal illegale Substanzen einzuwerfen. Wobei mir der Stoff für ein paar Joints egal war, der hier ziemlich sicher auch den Besitzer wechselte, ich war hinter Stardust her. Im Idealfall würden mir Leute auffallen, die das Dreckszeug konsumierten. Die würde ich dann heimlich beschatten und auf diese Weise schließlich die Hintermänner zu fassen kriegen. Aber so leicht war das natürlich nicht.

Während ich mich umsah, nahm ich noch einen Schluck aus meinem Bierglas. Die Barfrau, eine dralle, nicht ganz taufrische Blondine mit einem Faible für zu eng anliegende Oberteile, hatte die Theke trotz aller Hektik gut im Griff. Ein paar Bedienungen wuselten herum. Bevor ich die Gäste genauer unter die Lupe nehmen konnte, johlte der ganze Laden los, denn die Band latschte auf die Bühne.

Okay, Rock war angesagt. Als die Jungs den ersten Song spielten, fiel mir auf, dass ich diese Nummer neulich im Radio gehört hatte. War als brandneu vorgestellt worden. Na ja, der Sound war in Ordnung, bodenständig, derb, hart. So was mochte ich. Mit dem verkünstelten Zeug im Radio, das nach Weichspüler-Reklame klang, konnte ich wenig anfangen. Meine musikalischen Wurzeln lagen zwar ganz woanders, aber wenn ich meine Boxen mal lauter drehte, dann nur bei kernigem Rock.

„Hey, Suzie, deine Jungs werden ja immer besser“, rief der Typ neben mir der Bedienung zu.

„Haben die denn was mit der Bar hier zu tun?“, fragte ich ihn.

Er nickte, bevor er seinen Whisky hinter die Binde kippte. „Hatten hier ihre ersten Auftritte. Deshalb kommen sie immer noch regelmäßig her. Ich glaub, die proben sogar oft hier. Stimmt‘s, Chefin?“

Suzie drehte sich zu uns. „Jeden Freitagnachmittag“, bestätigte sie. „Und ich bin echt stolz auf meine Babys!“ Sie grinste breit und holte eine Zigarre raus, die sie sich in aller Seelenruhe anzündete. Ich hatte nicht vor, mich als Arm des Gesetzes zu outen und ihr den Glimmstängel zu verbieten. Das wäre wohl eher kontraproduktiv gewesen. Allerdings stank das Kraut bestialisch, das war wohl irgendeine dieser neumodischen Mischungen, denn da schwang `ne grässlich süße Note mit.

Die Band war inzwischen bei der vierten oder fünften Nummer angekommen. Ich drehte mich auf dem Barhocker herum und beobachtete die Combo. Sah nicht so aus, als herrschte bei denen gute Stimmung. Der Sänger machte ein Gesicht, als würde er lieber in der Küche den Abwasch erledigen statt auf der Bühne zu stehen. Die anderen wirkten auch irgendwie genervt. Am schlimmsten aber fand ich den Gitarristen, einen schmalen, ausgezehrten Typ mit glasigem Blick, der griff nämlich mehrmals daneben. Hatte er was getrunken? Oder vielleicht sogar …?

Ich legte ein paar Scheine auf den Tresen und quetschte mich nach vorne durch. Vor der Bühne hatte ich einen besseren Blick auf den Kerl. Auch wenn ich hier an der Ostküste vorläufig nur ein neuer Cop und somit eine kleine Nummer war – auf die Calinger-Spürnase war Verlass. Und die sagte mir, dass ich den Gitarristen näher unter die Lupe nehmen sollte. Ich schob ein paar kreischende Fangirls zur Seite und ließ den Musiker nicht aus den Augen. Er kam auf meine Seite der Bühne, während er schrille Töne aus seiner Fender jagte.

Und da sah ich es. Er hatte die typischen roten Flecken am Hals. Klar, es konnten auch Knutschflecken von der letzten Nacht mit vier Groupies sein, aber das glaubte ich nicht. Dieser Evil Medicine-Musiker hatte Stardust eingeworfen. Zufrieden grinste ich. Gleich morgen würde ich alles ausgraben, was sich über ihn finden ließ. Vielleicht war er ein regelmäßiger Kunde. Falls das so war, würde er etwas Neues am Hals haben, nicht nur die Flecken: nämlich mich.

*

Am nächsten Tag saß ich in einem schmucklosen Büro des Dezernats meinem Boss gegenüber und war kurz davor, ihm eine reinzuhauen.

„Eine verdeckte Ermittlung kommt nicht infrage“, schnarrte Brown und schob den Ordner mit den von mir aufbereiteten Unterlagen zurück in meine Richtung.

Holy shit, was zickte der jetzt so rum?

„Wie soll es anders funktionieren?“, gab ich zurück. „Ich habe genügend Hinweise gesammelt. Dieser Sharp, der Sänger von Evil Medicine, ist schon mehrfach aufgefallen wegen Drogenproblemen. Sogar auf der Bühne hat er manchmal Aussetzer. Der wirft sich Stardust ein, das weiß ich hundertpro!“

„Dann laden Sie ihn vor und nehmen ihn zusammen mit einem Kollegen in die Mangel.“

„Das ist doch Unsinn!“ Ich hatte schwer damit zu kämpfen, halbwegs Ruhe zu bewahren. „Der wird seinen Anwalt mitbringen und jede Aussage verweigern. Über so einen Weg kommen wir niemals weiter.“

Browns Augen blieben hart, seine Miene total abweisend. „Sie können die Band mit Tyler zusammen beschatten. Gehen Sie abends zu den Auftritten, befragen Sie gemeinsam ein paar verdächtige Zuhörer.“

Verflucht noch mal, so würden wir doch nie im Leben die Leute in den Knast kriegen, die hinter der ganzen Stardust-Sache steckten!

„Ich will mich ins Umfeld der Band einschleusen, nur so gehen uns am Ende die dicken Fische ins Netz!“, platzte es aus mir heraus.

„Und ich will, dass sie keine Alleingänge machen, Calinger!“ Brown verschränkte die Arme vor der Brust.

Das war also der wahre Grund!

Wut kochte in mir hoch, ließ mich schneller atmen und meine Hände zu Fäusten ballen.

„Es geht also um den Vorfall in New Orleans“, zischte ich. „Was hat man Ihnen erzählt? Dass ich leichtfertig Kollegen gefährdet habe und durch meine Schuld drei Menschen gestorben sind, davon ein unschuldiger junger Mann?“

„So etwas in der Art“, gab er zu.

„Dann sollten Sie vielleicht mal den offiziellen Bericht lesen!“

Wobei – auch das würde nicht viel helfen. Ich hatte damals nicht die volle Wahrheit zu Protokoll gegeben. Die hätte doch sowieso niemandem genutzt. Fakt war, ich hatte versagt. Ich hätte den ganzen Einsatz damals anders angehen müssen, mich selbst um alles kümmern. Hätte Shaun niemals mit einem Auftrag betrauen dürfen, dem er nicht gewachsen war. Als alles vorbei war, da hatte ich ihn nicht bloßstellen wollen und es als meine Pflicht angesehen, die ganze Schuld auf mich selbst zu nehmen. Wem hätte die Wahrheit geholfen? Seiner Witwe ganz sicher nicht. Es war für sie leichter gewesen, ihn als Helden zu beerdigen und mich zu hassen, als die wahren Gründe für seinen Tod zu kennen. Ich hatte ein dickes Fell, ich konnte damit leben, dass alle mich für einen Dreckskerl hielten. Meistens zumindest.

„Hören Sie, Brown …“ Ich beugte mich ihm entgegen und bemühte mich um eine ruhige Stimme. „Sie vertrauen mir nicht, das kann ich verstehen. Sie sehen nur den Cop, der ein paar Menschenleben auf dem Gewissen hat. Und den wollen Sie am liebsten ständig in der Überwachung haben. Aber im Ernst – lesen Sie meine Personalakte. Ich mach den Job nicht erst seit gestern. Ich hab mir vorher nie was zu Schulden kommen lassen. Und jetzt bitte ich Sie um die Chance, Ihnen zu beweisen, dass ich kein Totalausfall bin.“

Ich sah ihm direkt in die Augen. Er hielt meinem Blick stand. Lange. Länger als die meisten Menschen.

Schließlich holte er tief Luft.

„Okay, Calinger. Sie haben genau vier Wochen. Versuchen Sie es. Aber ich möchte alle drei Tage einen Bericht auf den Tisch. Und bei dem ersten Anzeichen von irgendwelchen Extratouren sind sie raus aus der Undercover-Nummer und tragen künftig Tyler seine Lunchbox hinterher. Ist das klar?“

Erleichtert lehnte ich mich wieder an den Stuhl. „Absolut klar, Chief.“

„Gut. Dann ab mit Ihnen, ich hab noch was anderes zu tun.“

Ich stand auf, tippte mir an einen nicht vorhandenen Hut und verließ sein Büro. Der alte Brown war vielleicht doch nicht so klein kariert, wie ich anfangs gedacht hatte. Jetzt ging es ans Eingemachte. Ich würde alles vorbereiten und morgen versuchen, in den Dunstkreis der Band zu gelangen. Sie probten nachmittags in Jimmy‘s Bar, das war ein guter Anfang. Irgendwie würde ich mich dort schon auf die eine oder andere Art einschleusen, war ja schließlich nicht mein erster Undercover-Einsatz.

*

Mit ein paar Scheinchen in der Hosentasche, einer Mütze über meinen dunklen Haaren und einer Brille ohne Sehstärke auf der Nase machte ich mich am Freitagnachmittag auf den Weg zu Jimmy‘s Musicbar. Ich stiefelte gerade die Straße entlang, da klingelte mein Handy. Die Nummer kannte ich nicht, dafür aber die tiefe Brummstimme, die sich meldete.

„Father Augustine!“, rief ich überrascht und blieb stehen. „Das ist ja ein Hammer. Ich habe ewig nichts mehr von Ihnen gehört!“

„War auch gar nicht so leicht, an deine Nummer zu kommen. Aber mit Gottes Hilfe und ein paar guten Kontakten hat es am Ende geklappt. Wenn ich es recht verstehe, hat es dich nach Boston verschlagen?“

„So ist es.“ In meiner Brust wurde es mit einem Mal ganz warm. Der alte Priester hatte mich in meiner Jugendzeit unter seine Fittiche genommen. Ja, mehr sogar, ohne ihn wäre ich sicher als eines der zahlreichen Bandenopfer blutend auf der Straße verendet. Stattdessen hatte er mich als 12-Jährigen in seine Kirche gezerrt und in den Gospelchor gesteckt, den er leitete. Selbst wenn ich ihn nur reden hörte, hatte ich sofort seinen abgefahrenen Bass im Ohr, der Nobody knows the trouble I‘ve seen anstimmte.

„Ich werde für zwei Wochen in der Stadt sein. Erst ein Treffen mit anderen Schulleitern, anschließend möchte ich mir noch ein paar Einrichtungen bei euch im Norden anschauen. Es wäre schön, wenn wir uns sehen könnten, Joe. Ich bin gespannt, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist. Singst du denn noch?“

„Höchstens unter der Dusche. Ich versuche eher, andere zum Singen zu bringen, allerdings eher im Verhörraum als in der Kirche. Bin ja immer noch bei der Polizei.“

„Das weiß ich doch.“ Er lachte sein Bärenlachen, das mir schon als Kind ein wohliges Gefühl gegeben hatte. „Ich habe deinen Werdegang stets verfolgt. Aber üb schon mal ein bisschen, denn ich habe natürlich meine Ukulele im Gepäck, wenn ich dich besuchen komme.“

„Darauf freue ich mich sehr, Father. Also auf den Besuch. Aufs Singen nicht, da bin ich völlig eingerostet.“

„Ach was, das ist wie Fahrradfahren. Ich melde mich die nächsten Tage bei dir, in Ordnung?“

„Sehr gern!“

„Dann pass inzwischen auf dich auf, mein Junge.“

Er legte auf und ließ mich mit einem freudigen Grinsen im Gesicht zurück. Father Augustine wiederzusehen brachte einen Lichtstrahl in mein Alltagsgrau, es ließ diese Stadt, in der ich mich nicht zu Hause fühlte, mit einem Mal freundlicher wirken. Und vielleicht war es sogar ein gutes Zeichen. Ich war zwar absolut nicht abergläubisch, doch ein bisschen Glück hätte ich verdient nach all dem Scheiß in den letzten Jahren, fand ich.

Als ich die Bar erreichte und gegen die Eingangstür drückte, gab diese nach. Sie war nicht verschlossen, was mich wunderte. War das die Auswirkung meines kurzen Telefonats mit dem Priester, der offenbar eine gute Leitung nach oben hatte?

Nein, es war eher die Schuld des Hausmeisterdienstes, dessen Wagen vor dem Eingang parkte. Ein junger Kerl telefonierte gerade aufgeregt. „Ich hab nicht genug Leute“, sprach er in sein Handy. „Keine Ahnung, wie ich die Bar hier und noch die drei anderen Aufträge hinkriegen soll. Joaquin ist heute krank und Sid schickt mir keinen Ersatz. Wie stellt der sich das vor?“

Okay, es gab also doch schicksalhafte Fügungen! Oder einen Helferengel im Putzeinsatz.

Ich klopfte an die Scheibe. „Sid schickt mich“, log ich. „Ich soll Jimmy‘s Bar übernehmen. Ist halt mein erstes Mal und so.“

Der Typ beendete das Gespräch und sah mich an. „Er hat dich hierher geschickt?“, fragte er ungläubig.

Zum Glück trug er, obwohl er offenbar sowas wie ein Vorarbeiter war, einen Blaumann. Mit Namensschild. „Er hat gesagt, ich soll mich bei Lenny melden. Das bist du doch, oder?“

Er nickte.

Zehn Minuten später trug ich einen blauen Overall mit dem Namenszug Joaquin. Das passte ja irgendwie zu Joe und auch zu meiner Herkunft, denn mein Dad war Mexikaner gewesen. Von ihm hatte ich die dunklen Haare geerbt, von meiner Südstaaten-Mom die hellen Augen, was sie immer sehr gefreut hatte. Einen Putzeimer mit ein paar Utensilien bekam ich auch noch ausgehändigt, anschließend betrat ich die Bar. Ein Mexikaner im Arbeitsanzug, der den Saal sauber machte, würde sicher keine große Aufmerksamkeit erregen. Das war perfekt für meinen Einsatz.

Die Band hatte sich auf der Bühne versammelt und stritt. Offenbar gab es massive Probleme mit dem Sänger, der keine Lust mehr hatte. Vor allem dieser Sharp, der Typ mit dem akuten Drogenproblem, hackte auf ihn ein. Ich spitzte die Ohren, verstand aber nicht alles, weil der Drummer zwischendurch immer mal wieder auf sein Set einschlug, um etwas zu testen. Es ging um Vertragsangelegenheiten und um die Frage, wer künftig die Nummern schrieb, wobei mir da ziemlich viel Machtgehabe im Spiel zu sein schien.

Ich ließ Wasser in meinen Eimer laufen und begann, den Boden zu schrubben. Natürlich war es nicht sonderlich cool, hier als Putzmann über die Dielen zu kriechen und anderer Leute Dreck wegzumachen. Aber ich durfte nicht wählerisch sein, wenn ich die Verantwortlichen für das Teufelszeug Stardust zur Strecke bringen wollte – und Chief Brown beweisen, dass ich ein fähiger Polizist war! Also schrubbte ich los.

Soweit ich wusste, war es nichts Neues, was da vorne abging. In Bands trafen oft genug mehrere Alphatiere aufeinander. Dass die irgendwann aneinandergerieten, war keine Überraschung. Und für mich schon immer ein Grund gewesen, nie richtig in eine Band einzusteigen. Nach meiner Ausbildung im Chor, wo mir Father Augustine von Anfang an eine Stimmausbildung verpasst hatte, war ich gesanglich eher auf Solopfaden unterwegs gewesen. Mal mit einem Gitarristen ein paar Nummern zu komponieren und damit aufzutreten, mal auszuhelfen, wenn irgendwo jemand ausgefallen war – das hatte mir gereicht. Ich kannte mich zu gut, um mich auf etwas anderes einzulassen, ich war nämlich auch ein Alphatier. Und außerdem null geeignet für das ganze Gruppenharmoniegewäsch, das in so einer Band zwangsläufig immer wieder verzapft wurde, ohne dass sich jemand daran hielt.

Irgendwann einigten sich die Streithähne auf einen Waffenstillstand und bastelten an einem neuen Song herum. Ich wischte inzwischen die Tische ab und erinnerte mich an unsere Proben damals im Chor. Schon komisch, dass ich das alles noch wusste. Sogar das allererste Stück, bei dem ich ein Solo hatte singen dürfen, fiel mir noch ein. Wade in the water war es gewesen. Unwillkürlich musste ich grinsen.

„Das ist alles Schrott, was du machst!“, explodierte Sharp gerade auf der Bühne.

„Du Idiot hast doch keine Ahnung!“, brüllte der Sänger zurück. „Du bist doch eh nur noch high!“

Oha, das war spannend. Meine Spürnase hatte mich auf jeden Fall auf die richtige Fährte geführt. Ich zog meine Mütze noch tiefer in die Stirn und beobachtete den Gitarristen genau. Zittrig sah er aus. Ob sein Wutausbruch etwas mit den Drogen zu tun hatte? Brauchte er die nächste Sternchenpille? Allerdings musste ich ihm recht geben, der Frontmann sang tatsächlich ziemlichen Mist zusammen.

„Hey, Putzmann, was glotzt du so blöd?“, blaffte dieser mich an und schraubte seinen Mikroständer nach oben.

Eilig verzog ich mich hinter die Theke, um dort sauber zu machen. Nur nicht auffallen! Ich tauchte unter, weil ich mit dem Schwamm ein paar Flecken auf dem Fußboden zu Leibe rückte. Dem Drummer wurde das Ganze offenbar zu blöd, er setzte einfach mit einem Trommelwirbel ein und klopfte dann den Beat eines Songs vor sich hin. Ganz schön mitreißend, das musste ich zugeben. Sehen konnte ich von hier aus nichts, aber ich hörte, dass der Bassist dazustieß und auch die Rhythmusgitarre einsetzte. Sogar Sharp steuerte ein paar scharfe Töne bei.

Mir kam ein alter Gospel in den Sinn und ich summte beim Putzen vor mich hin. Echt coole Sache, dass Father Augustine mich besuchte. Ein wenig freute ich mich tatsächlich drauf, mit ihm zu jammen. Dass er seine uralte Ukulele sogar mit nach Boston schleppte, war typisch für den schrulligen Mann. Er war wirklich ein Original und ein echter Musikfreak.

„Bist du im Kirchenchor oder was?“, schreckte mich eine Stimme auf.

Ich fuhr hoch. Auf der anderen Seite des Tresens stand der Sänger, schenkte sich aus einer herumstehenden Wodkaflasche etwas ein und starrte mich an.

Shit, ich durfte nicht auffallen!

„Bin nur Putzmann, Sir“, stammelte ich und bemühte mich, möglichst dämlich aus der Wäsche zu schauen. Je einfacher gestrickt ich erschien, umso weniger Verdacht würde die Band schöpfen, wenn ich hier auch künftig herumwuselte.

„Aber einer, der singt. Passt doch perfekt!“ Ironie troff aus jedem Wort. „Du kannst gerne für mich übernehmen, ich will mit diesen Idioten nichts mehr zu tun haben.“

„Kommt vor bei allen Bands, dass mal Streit gibt“, imitierte ich einen spanischen Akzent und hob meinen Blick nicht vom Putzeimer. Was wollte der Kerl von mir? Er sollte mich verdammt noch mal in Ruhe lassen!

Doch er trank sein Glas leer und knallte es auf den Tisch. „Mag sein, aber ich hab keinen Bock mehr.“

Dann drehte er sich zu seinen Kollegen um. „Hey Leute, ich hab einen phantastischen Ersatz für mich gefunden!“, rief er. Ein kurzer Blick zu mir, auf meinen Blaumann, dann brüllte er weiter. „Mein Freund Joaquin hier wird euer neuer Sänger. Ich bring ihn euch auf die Bühne!“

Schon fasste er mich am Ärmel und zerrte mich durch den Zuschauerraum. Ich hasste es, angefasst zu werden, und hätte diesem Mistkerl am liebsten eine gescheuert, aber ich musste natürlich Ruhe bewahren.

„Was soll das, Brenton?“, fragte der Drummer. „Lass den armen Mann in Frieden.“

Doch der Sänger schleppte mich die Treppe zur Bühne hoch und schob mich vor das Mikro. „Ihr meckert doch die ganze Zeit an mir herum. Ich steige aus. Hab die Schnauze voll von euch. Ihr könnt ja künftig Gospel spielen, Joaquin kann zumindest den Text von Go down Moses. Ist bestimmt ‘ne Marktlücke für euch.“ Er lachte schrill. „Vielleicht ist er ja besser als ich? Probiert ihn aus.“

Verflucht, er zog mich in ihre Streitereien hinein. Nur, weil er die anderen dumm dastehen lassen wollte. Darauf war ich wirklich nicht scharf. Wie zum Teufel sollte ich jetzt noch unauffällig die Band ausspionieren, wenn dieser Idiot mich hier in den Mittelpunkt zerrte? Ich hätte dem Kerl echt eine verpassen können.

„Schlechter als du kann er ja kaum sein!“, giftete Sharp zurück, brachte seine Stratocaster in Position und schrummte zu meinem Entsetzen mit ernstem Blick zwei Akkorde.

Das war der Einstieg zu Go down Moses. Er glaubte doch wohl nicht wirklich, dass ich …?

„Los, dein Einsatz! Zwei Bier für dich, wenn du Brenton beweist, dass man ihn mit jedem dahergelaufenen Hausmeister ersetzen kann!“

Es war ein Witz, ganz klar.

Sein Blick jedoch verriet mir, dass mit ihm im Augenblick nicht zu spaßen war. Logisch, er hasste das Gezicke der männlichen Gesangsdiva und wollte ihm eins auswischen. Mit meiner Hilfe. Na prima. Aber er hatte mir was zu trinken versprochen. Wenn ich auf den zwei Gläsern Bier bestand, hatte ich einen Grund, mich mal mit dem guten Sharp zu betrinken. Mich vielleicht sogar als Trinkkumpane anzubiedern, denn wer sich Pillen einwarf, war meist auch dem Alkohol nicht abgeneigt. Bingo, das war meine Chance, an ihn heranzukommen!

Ich ging näher an das Mikro ran, wartete den Auftakt ab.

When Israel was in Egypt‘s hands, let my people gooooo“, schmetterte ich mit aller Macht. Das Bier bekam ich sicher nur, wenn ich Brenton so richtig eins reinwürgte, also strengte ich mich an. Ein glatter, cleaner Ton war hier sicher nicht gefragt. Deshalb legte ich ordentlich Dreck in meine Stimme, machte sie rau und derb. Father Augustine hätte mir damals für solche Töne ein paar hinter die Ohren gegeben, aber zu meinen Solozeiten waren die Zuhörer immer ausgerastet, wenn ich so aus mir rausgegangen war.

Sharp nickte mir zu, er wirkte überrascht, machte aber keine Anstalten, das Stück zu beenden. Ganz im Gegenteil, er spielte es etwas härter, gab dem Drummer ein Zeichen und warf dem Rhythmusgitarristen einen auffordernden Blick zu. Plötzlich wurde aus dem braven Gospel eine erdige Rocknummer. Und ich hielt mit. Ich hatte früher genügend Alternative Rock-Bands gehört, ich wusste, was dieser Musikstil verlangte. Und genau das gab ich den Jungs hier.

Nach einer endlos langen Zeit, so kam es mir zumindest vor, ließ der Drummer den Song ausklingen.

„Wow!“, kommentierte der Bassist.

Brenton schwieg trotzig.

Sharp zog sein Handy raus. „Ich rufe jetzt Dwayne an“, stellte er klar und funkelte den Sänger böse an. Den Namen Dwayne hatte ich schon mal irgendwo gelesen. War das nicht der Manager der Band?

Bevor ich nachfragen konnte, war der offenbar schon am Telefon.

„Dwayne, hier ist Sharp.“ Er zog sich den Gitarrengurt über den Kopf, während er telefonierte. „Du weißt doch, dass Brenton schon lange vorhat, die Band zu verlassen. Also, pass auf. Ab sofort ist das kein Problem mehr. Wir haben nämlich einen neuen Sänger. Er heißt Joaquin und hat es richtig fett drauf.“

„Ihr Arschlöcher!“ Brenton feuerte einen Stuhl durch die Gegend, sodass es laut schepperte, und stapfte zum Ausgang.

Ich starrte Sharp entsetzt an. Das meinte der doch wohl nicht ernst, oder?

Ich war doch nur ans Mikro gegangen, weil er mir – dem Putzmann Joaquin – zwei Bierchen versprochen hatte! Okay, ich wollte im Umfeld der Band ermitteln. Aber verdammt noch mal – doch nicht als ihr Sänger!

4. Der Senator

Tess

Allright, irgendwann würde dieses verdammte Telefon bestimmt klingeln! Da ich hier in meinem neuen, winzigen Büro nichts Besseres zu tun hatte, starrte ich auf den Apparat, der starrköpfig schwieg. Nach dem Rauswurf von Dexter, dem ich immer noch am liebsten den Opium-besudelten Hals umdrehen würde, hatte ich nicht lange gefackelt und mir eigene Büroräume gesucht. Na ja, das Geld reichte nur für was Kleines, aber immerhin prangte mein Name draußen am Türschild.

Teresa Hathaway – private Ermittlungen

Sah nicht schlecht aus. Brachte nur leider nicht viel. Dabei hatte ich dem Erfolg sogar ordentlich nachzuhelfen versucht, ich war ja nicht dumm. Es gab nämlich eine Liste aller Klienten von Dexter. Die hatte ich mal an mich selbst gemailt, weil ich am Wochenende von Zuhause aus ein paar Auswertungen erledigen wollte. Diese Kundenliste war zum Glück noch auf meinem Rechner gewesen, also hatte ich einige davon angeschrieben.

„Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass unsere Detektei eine neue Niederlassung hat“, war als Brief an über fünfzig Kunden gegangen. Natürlich an keine, die mit Dexter im Golfclub spielten oder zu seinen engen Freunden zählten. Trotzdem würde er gehörig Ärger machen, wenn er dahinter kam. Aber hey, ich musste schließlich sehen, wo ich blieb! Und wenn er mich holterdiepolter aus seinem Büro und seinem Leben kickte, dann war er doch selbst schuld daran.

Ich stand auf, um mir ein Glas Wasser einzuschenken, da durchschnitt ein schriller Ton die Stille in meinem Büro. Das Telefon! Sicher war es nur Salomé, die sich erkundigen wollte, wie es lief. Trotzdem schlug mein Herz schneller, als ich abhob und mich meldete.

„Senator Pritchett hier“, sagte eine raue Männerstimme. „Ich will mit Dexter sprechen.“

„Mister Fox ist leider nicht im Haus.“ Das war nicht mal gelogen. „Aber ich bin gern für Sie da, Herr Senator. Ich bin Dexters rechte Hand.“

„Nun gut. Ihre neuen Büroräume liegen auf meinem Weg nach Hause, deshalb passt mir das gut. Ich komme in einer Stunde bei Ihnen vorbei.“

Das klang nicht so, als wäre er Widerspruch gewohnt. Da mein Terminkalender sowieso durch gähnende Leere überzeugte, sagte ich natürlich gleich zu.

Kaum hatte ich aufgelegt, blickte ich mich skeptisch um. Ein Senator! Was würde der wohl denken von dieser Mini-Detektei hier? Eilig polierte ich das Fensterglas, wischte noch einmal über die Schreibtischplatte, und staubte auch vorsichtig meinen Glücksbringer ab, einen winzigen, geschnitzten Elefanten.

Es war zwar nicht gerade nobel hier, aber immerhin sauber und pragmatisch eingerichtet. Im Grunde konnte ihm doch egal sein, wo ich herumsaß. Für ihn zählte sicher viel mehr, dass ich seine Gattin des Ehebruchs überführte, oder wofür auch immer er mich beauftragte. Mit Überwachungen kannte ich mich gut aus, das hatte ich schon oft für Dexter gemacht. Salomé hatte eine tolle Kamera, die würde sie mir sicher dafür leihen. Und Mrs. Pritchett nachzuspionieren, wie sie erst in Nobelläden shoppen ging und sich dann mit ihrem Liebhaber in einer Bar traf, bevor sie in einem Hotelzimmer verschwanden, würde nicht allzu schwierig sein.

Als es klingelte und ich den Blick des Senators beim Betreten meines nicht gerade repräsentativen Büros sah, schwanden meine Hoffnungen auf den Auftrag. Pritchett trug einen grauen Zweireiher, der vermutlich mehr kostete als meine gesamte Büroeinrichtung, und für den Preis seiner sicher handgefertigten Lederschuhe hätte ich mir garantiert einen neuen Computer leisten können.

„Was ist das hier?“, fragte er. Seine Stirn zeigte eine steile Falte, die mir nicht gefiel. „Ein Aushilfsbüro?“

„Ja genau“, erwiderte ich schnell. „Sie wissen doch, wie das ist mit Neubauten. Nichts wird rechtzeitig fertig, eine Katastrophe. Aber unsere Detektei wollte auch Klienten in diesem Stadtteil zeitnah die Möglichkeit bieten, mit uns zu arbeiten, schließlich sind wir nicht nur der professionellste Anbieter privater Ermittlungen, sondern auch der mit dem besten Service. Setzen Sie sich doch bitte. Dann kommen wir am besten sofort zur Sache. Ein Mann wie Sie ist sicher niemand, der gern lange um den Brei herumredet.“

Ich zeigte mein strahlendstes Lächeln und ließ meinen Rocksaum beim Hinsetzen gerade so weit hochrutschen, dass es sexy, aber nicht billig wirkte. Wir waren hier schließlich nicht bei Basic Instinct, sondern in einer seriösen Detektei. Außerdem war ich viel zu schwarzhaarig, um als Sharon Stone-Double durchzugehen.

„Sie haben recht, ich bin kein Freund von unnützem Small Talk“, bestätigte er und seine Stirnfalte glättete sich ein wenig. Ich hatte offenbar richtig gepokert, mein selbstsicheres Auftreten schien ihm zu gefallen.

Erleichtert atmete ich aus. „Was kann ich für Sie tun, Herr Senator? Ihr Anliegen hat selbstverständlich Priorität vor meinen zahlreichen anderen Fällen.“ Mit dem Flunkern hatte ich noch nie Probleme gehabt, das konnte manchmal durchaus hilfreich sein.

„Es geht um meine Tochter.“ Er fuhr sich über das Gesicht und wirkte für ein paar Momente gar nicht mehr wie ein mächtiger Politiker, sondern wie ein besorgter Vater. „Ich mache mir ernsthafte Sorgen um sie.“

Aha, das Töchterchen hatte vielleicht einen Lover, der Big Daddy nicht standesgemäß vorkam, oder sie ließ gerne mal bei Gucci eine Sonnenbrille mitgehen, weil ihr im Luxusleben der Kick fehlte. Dass die Pritchetts eine der reichsten Familien in Boston waren, wusste ich natürlich. Hätte ich es mir aussuchen können, wäre mir die Sache mit dem Lover die Liebste gewesen. Solche Fälle hatte ich schon mehrmals bei Dexter bearbeitet. Man legt sich mit der Kamera auf die Lauer, holt Erkundigungen ein, wo sich der angeschmachtete Gärtner oder Fitnesstrainer so rumtreibt, und präsentiert die gesammelten Werke am Ende Big Daddy, damit er seiner Tochter die Unzulänglichkeiten ihres Unterklassen-Romeos vor Augen führen kann. Auf so etwas hatte ich sogar richtig Lust!

„Erzählen Sie mir genau, worum es geht.“ Ich legte einen Block vor mich hin, nahm einen Kuli in die Hand und sah ihn erwartungsvoll an.

„Maya-Grace hat Freunde, die ihr nicht guttun“, begann er. „Nur deretwegen ist sie überhaupt in die ganze Sache geraten. Aber Sie wissen ja, wie Mädchen mit sechzehn sind – sie wollen nicht hören, selbst wenn man mit den vernünftigsten Ratschlägen kommt!“

„Ja, das ist leider so.“ Ich nickte verständnisvoll, obwohl ich immer noch keine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte. „In der Pubertät ist es wirklich schwierig, sie zu beschützen. Ein schlimmes Alter für Eltern, denen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt.“

„Sie sagen es!“ Nun war seine Stirn gänzlich geglättet, er beugte sich mir sogar ein Stück entgegen. Bingo, den hatte ich in der Tasche!

„Nun steckt Maya-Grace also in Schwierigkeiten?“ Ich notierte mir den Namen. Offenbar ging es also doch eher in Richtung Mutprobe durch Diebstahl von Lipgloss, nicht um einen Liebhaber, der bei der Müllabfuhr arbeitete.

„Wir haben sie im letzten Monat in der Klinik abgeholt. Sie war vollgepumpt mit Drogen, man hatte sie als Notfall eingeliefert.“

Oh. Das war nun doch eine völlig andere Hausnummer. Die Falte auf der Stirn des Senators war zurück, allerdings wirkte sie dieses Mal nicht bedrohlich auf mich, sondern besorgt.

„Haben die Ärzte gesagt, was sie genommen hatte?“

„Sie erwähnten eine dieser neuen Designerdrogen. Stardust heißt das Zeug. Offenbar hatte Maya-Grace es zusammen mit Freundinnen auf einem Konzert geschluckt. Ich bin sogar froh, dass dort eine Razzia lief, die Polizei hat sie sofort ins Krankenhaus bringen lassen. Aber ansonsten haben die Herren in Uniform sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.“ Seine Züge wurden hart.

„Ich nehme an, Sie haben Anzeige erstattet?“

„Selbstverständlich! Man sagte mir sogar, dass das Drogenproblem im Bostoner Polizeirevier bekannt sei. Das müssen Sie sich mal vorstellen! Die wissen ganz genau, dass dieses Gift bei diesen Musikveranstaltungen verhökert wird, aber unternehmen nichts als eine alberne Razzia! Ich habe Maya-Grace natürlich ausgefragt, sie hat zugegeben, dass man bei Konzerten einer bestimmten Musikgruppe ganz leicht an diese Droge kommt. Die Dealer sprechen die jungen Leute regelrecht an! Und trotzdem haben diese nichtsnutzigen Beamten bis jetzt keinen der Drahtzieher gefasst. Das sind alles Versager, und es gibt nichts, was ich mehr hasse!“

Eine Ader an seiner Schläfe pulsierte, so sehr hatte er sich in Rage geredet. Ich konnte ihn verstehen. Tatenlos zuzusehen, wie das eigene Kind in die Sucht rutschte, musste schrecklich sein.

„Können Sie mir ein Foto Ihrer Tochter zeigen, Senator Pritchett?“

Er nickte und holte ein Bild hervor, das ich neben meinen Block legte. Maya-Grace war ein zierliches Teenie-Girl, das die Augen des Vaters geerbt hatte, sah aber ansonsten so aus, als wäre sie ziemlich auf Krawall gebürstet. Ihr Kleidungsstil wirkte so, als würde sie eher zur Entourage einer Rockband gehören als zur Familie eines Politikers, in die blonden Haare hatte sie sich türkisfarbene Strähnen gefärbt.

„Wissen Sie den Namen dieser Band, bei deren Auftritte Stardust-Pillen verkauft werden?“

„Evil Medicine heißen die.“ Er lachte bitter. „Ist wahrscheinlich absichtlich so gewählt, damit die Fans gleich wissen, dass man da an Drogen kommt. Maya-Grace geht zwar auch auf andere Konzerte, aber von dieser Gruppe schwärmt sie am meisten.“

„Gut.“ Ich schrieb den Namen auf und umkreiste ihn. Anschließend nahm ich einen Vertrag aus der Schublade. „Sie kennen das Prozedere ja bereits von Ihrem letzten Auftrag.“

Der Senator lehnte sich zurück und schien nicht hundertprozentig überzeugt zu sein. „Ich weiß nicht, ob ich nicht doch lieber mit Dexter arbeiten möchte. Er erscheint mir deutlich erfahrener als Sie.“

„Das ist er zweifellos.“ Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie nervös ich jetzt war. Ich brauchte diesen Auftrag unbedingt! „Aber sehen Sie, Herr Senator – diese Sache kann man nur erfolgreich angehen, indem man undercover ermittelt. Anders hat man keine Chance, mehr herauszukriegen als die Polizei. Und nun frage ich Sie ganz offen: Wen können Sie sich bei einer geheimen Ermittlung im Rockmusik-Milieu unauffälliger vorstellen – Dexter Fox oder mich?“

Mein Puls raste. Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt und harrte gespannt seiner Antwort.

„Sie haben recht.“ Er nickte langsam. „Dexter würde sofort auffallen, wenn er zu so einem Konzert geht. Wo muss ich unterschreiben?“

Geräuschlos ließ ich den angehaltenen Atem entweichen und drehte ihm den Vertrag so hin, dass er ihn nur noch zu unterschreiben brauchte.

Der Senator stand auf. Verabschiedete sich und ging zur Tür. Dort blieb er stehen und drehte sich noch mal zu mir um.

„Enttäuschen Sie mich nicht.“ Seine Stimme war kühl. „Ich habe nichts übrig für Verlierer.“

Schon klar, das hatte er mir vorher schon gesagt.

Selbstbewusst stand ich auf. „Da sind wir uns einig, Senator Pritchett. Ich bin ein Profi und werde Ihnen die verantwortlichen Drogengangster liefern, das garantiere ich Ihnen.“

Er nickte zufrieden und öffnete die Tür, um hinauszugehen.

Kaum fiel sie hinter ihm ins Schloss, ließ ich mich auf meinen Schreibtischstuhl plumpsen. Oh Mann, das war ja eine richtig große Sache! Die mich womöglich heillos überforderte, aber sie war auch eine Riesenchance, eine Karriere als selbstständige Privatdetektivin zu starten. Und ich würde sie nutzen!

*

„Wenn ich das hinkriege, empfiehlt mich der Senator hundertpro an all seine Freunde weiter, und es wird doch noch was mit meiner Detektei“, erklärte ich Salomé beim Abendessen. Vor lauter Aufregung strich ich mir sogar diese Paste aufs Weißbrot, die aussah, als hätte man Erdöl darin verarbeitet.

„Hast du so was schon mal gemacht?“, fragte Salomé.

Ich schüttelte den Kopf und biss ab. Das Zeug schmeckte nach schwarzen Oliven und Knoblauch, nicht unbedingt mein Lieblingsessen, aber ich musste heute niemanden mehr küssen.

„Bei Dex war ich hauptsächlich mit Internetrecherche und so Sachen beschäftigt. Hin und wieder habe ich schon auch mitgeholfen bei einer Überwachung, klar. Und ein paar Tricks habe ich natürlich aufgeschnappt.“

„Aufgeschnappt?“ Salomé sah mich entsetzt an. „Tess, wir reden hier nicht von einer Quizshow im Fernsehen. Mon dieu, du kriegst es wahrscheinlich mit Verbrechern zu tun, die vor nichts zurückschrecken. Und alles, was du zu bieten hast, ist Wissen aus zweiter Hand? Ein paar aufgeschnappte Tricks?“ Sie legte die eingelegte Auberginenscheibe zurück, die sie gerade hatte essen wollen. Gilbert wippte wie verrückt, als wollte er damit ebenfalls seine Missbilligung ausdrücken.

„Nun ja, ein wenig Erfahrung bringe ich schon mit. Aus alten Zeiten.“ Ich biss herzhaft in mein Olivenpastenbrot, um nicht weiterreden zu müssen. Dass ich so vage blieb, hatte einen Grund: Die erwähnten Erfahrungen hatte ich nämlich auf nicht so ganz legale Weise erworben. In meiner Sturm- und Drangzeit war ich mit einigen Typen herumgehangen, zu deren Freizeitbeschäftigungen es gehörte, Autos zu knacken und kleinere Einbrüche zu begehen. Und ja – da hatte ich einiges „aufgeschnappt“. Türschlösser waren kein Problem und ein Auto konnte ich zur Not auch kurzschließen, das war’s dann aber auch schon.

„Traust du dir wirklich zu, es mit der Drogenmafia und eiskalten Killern aufzunehmen? Das ist doch Irrsinn, Tess. Viel zu gefährlich, vraiment!“

„Nun schalt mal einen Gang zurück. Ich muss den Bösewichten schließlich nicht selbst die Handschellen anlegen oder sie eigenhändig aus dem Konzertsaal schleppen und in eine Zelle sperren. Für so was sind doch die Bullen zuständig. Alles, was ich zu tun habe, ist, die wahren Täter zu finden und Beweise zu sammeln. Die lege ich dem Senator vor, der leitet es an seine Freunde vom Police Departement weiter und macht anschließend fleißig Werbung für mich. Mach dir also keine Sorgen, ich habe alles im Griff.“

Sie neigte den Kopf ein wenig, was selten ein gutes Zeichen war. „Ich kenne dich. Du bist ein Hitzkopf und willst immer gewinnen. Deine Vernunft lässt da zu wünschen übrig. Außer natürlich, wenn es um die Liebe geht.“

Abwehrend hob ich die Hände. „Bitte nicht schon wieder dieses Thema! Für Liebe habe ich im Moment sowieso keine Zeit. Und ich gehe nicht davon aus, dass die Dealer aussehen wie Jake Gyllenhaal.“ Nicht mal bei dessen echt tollen blauen Augen würde ich schwach werden, da war ich sicher, denn der Auftrag hatte Vorrang vor allem anderen.

„Grillenholen, Grillenholen“, zwitscherte der offenbar schwerhörige Papagei, bekam durch die Erwähnung von Insekten Hunger und stürzte sich auf seinen Körnerstick in der Käfigecke.

„Außerdem muss ich ja erst mal überlegen, wie ich an Informationen rankomme. Als normaler Konzertbesucher kriege ich sicher nicht allzu viel mit. Ich müsste ins Umfeld der Band gelangen, einen Blick hinter die Kulissen erhaschen. Nur wie?“ Ich seufzte.

Auch Salomé kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Bandmusiker kommen leider selten zu mir in den Salon. Obwohl ich wette, dass vielen von denen eine Pediküre nicht schaden könnte. Und mal ehrlich – gerade bei den Gitarristen und Sängern schaut man doch ständig auf die Hände! Die sollten sich eigentlich auch mal eine Maniküre gönnen.“

Ich stellte mir vor, wie Snoop Dog sich von Salomé in ihrem in pastellfarben gehaltenen Salon die Nagelhaut zurechtschieben ließ, während Eminem im Nebenstuhl angesichts einer Hühneraugenbehandlung verhalten fluchte.

„Ja, wirklich schade“, bestätigte ich, während Gilbert lautstark an einem Korn nagte.

Sie goss sich aus einer Evian-Flasche nach. „Wo spielen diese Bands denn? Vielleicht reicht es ja doch, wenn wir beide hin und wieder zu den Auftritten gehen?“

„Es ist total nett von dir, dass du mich so unterstützt! Ich habe allerdings noch keine Ahnung, wo das alles läuft. Nur den Namen der Band kenne ich. Evil Medicine nennen die sich.“ Ich steckte mir eine Cocktailtomate in den Mund.

„Evil Medicine“, wiederholte Salomé. „Das ist eine richtige Rockband, glaub ich?“

Auch das noch. Ich hörte gern moderne Sachen. Rihanna, Twenty One Pilots, sowas in der Art. Aber doch nicht Rock, das war doch total Old School. „Hat mir ja gerade noch gefehlt zu meinem Glück, dass die dann Bon Jovi-Cover grölen oder mit knallengen Hosen und Dauerwelle zu Jump auf der Bühne herumhüpfen.“

Sie lachte nicht, sondern schien nachzudenken.

„Irgendwer hat mir mal was über die Band erzählt. Ja genau, jetzt fällt es mir wieder ein! Es war eine meiner Kundinnen. Suzie heißt sie, und sie steht total auf meine Fische.“

„Füße, Füße“, krähte Gilbert fröhlich.

„Nein, Fische!“, rief ich ihm zu, weil er mir heute gehörig auf die Nerven ging. „Du hast das ganz falsch verstanden.“ Du liebe Zeit, jetzt korrigierte ich schon den Wortschatz eines Vogels! Ich sollte mit dem Rotwein aufhören und wie Salomé zum überteuerten Wasser greifen.

„Hat er nicht“, widersprach diese. „Es geht ja um Füße.“

„Diese Suzie hat ein Faible für deine Füße?“ Was zum Henker trieb Salomé in ihrem Salon?

Sie lachte laut. „Tess, du solltest echt mal wieder vorbeikommen! Ich habe zwei von diesen angesagten Becken zur Hornhautentfernung.“

Verständnislos sah ich sie an.

„Saugbarben!“, sagte sie, als würde das irgendwas erklären. „Das sind kleine Fische, die Hornhaut von den Füßen knabbern, eine wahre Wohltat. Und Suzie findet das so großartig, dass sie regelmäßig vorbeikommt. Warte, ich ruf sie gleich mal an.“

Während ich noch darüber nachdachte, wieviel Geld man mir bieten müsste, damit ich meine Füße in ein Becken voll Mini-Piranhas steckte, die meine Hautschuppen zum Festmahl erklärten, sprach sie mit der Kundin. Sie gab vor, wegen eines Termins nicht mehr ganz sicher zu sein, und erkundigte sich ganz beiläufig nach der Band. Falls Kanada jemals neue Geheimagentinnen suchen sollte, wäre Salomé sicher die erste Wahl.

„Ja wirklich? Sie kennen die so gut? Das ist ja herrlich! Wissen Sie, Suzie, meine Kusine Tess ist ein totaler Fan von Evil Medicine. Sie hat ihr gesamtes Zimmer mit Postern der Jungs tapeziert. Schon witzig, erst neulich haben wir darüber geredet, dass es ihr Traum wäre, im Umfeld der Band zu arbeiten oder wenigstens ein Praktikum machen zu können.“

Okay, ich schätzte ihre Hilfe wirklich sehr, aber das ging deutlich zu weit! Als nächstes behauptete sie noch, ich würde Unterwäsche mit den Namen der Bandmitglieder tragen!

„Tatsächlich?“ Salomés Stimme sprang in die Höhe. „Das wäre großartig, Suzie! Nein, sie ist sich garantiert nicht zu schade, sie macht das sicher ganz phantastisch. Klar, ich schick sie vorbei. Und wir sehen uns übermorgen. Bis dann!“

Sie legte auf. Ich starrte sie an. Wusste nicht, ob mir ihr zufriedenes Grinsen gefiel oder Angst einjagte.

„Suzie besitzt eine Kneipe, und in diesem Etablissement tritt Evil Medicine regelmäßig auf, sie proben wohl sogar da. Deshalb hat Suzie das Catering für die Band übernommen. Da ist sie froh, wenn sie billige Unterstützung kriegt. Ab sofort bist du bei Evil Medicine das Mädchen für alles. Ich gratuliere dir, Miss Super-Groupie!“

Vive la Guillotine!“, plärrte Gilbert und schlug munter mit den Flügeln.

Ich sah ihn an und hoffte ernsthaft, dass der Vogel nicht über hellseherische Fähigkeiten verfügte. Dann nahm ich mein Rotweinglas und trank es in einem Zug aus.

5. Neuer Look

Joe

„Je nach gewünschtem Farbergebnis 20 bis 30 Minuten einwirken lassen“, las ich mir selbst vor dem Badezimmerspiegel die Packungsaufschrift laut vor.

Musste das wirklich sein? Ich hatte ja schon mit Anlauf über meinen eigenen Schatten springen müssen, als ich diesen albernen Putzjob annehmen musste, um mich unauffällig in der Nähe der drogenverseuchten Band rumtreiben zu können. Aber mir jetzt auch noch die Haare blondieren? Ging das nicht zu weit?

„Es muss sein“, sagte ich halblaut zu meinem Spiegelbild, das diesen Satz zwar brav mitsprach, aber trotzdem ziemlich skeptisch dreinschaute.

Es half alles nichts. Eine gute Tarnung war die unverzichtbare Basis für erfolgreiche Undercover-Arbeit. Ohne die brauchte man gar nicht erst loszulegen mit den verdeckten Ermittlungen. Und ich wollte diesen Einsatz ja unbedingt zu einem Erfolg machen, um die Kids dieser Stadt von dieser Drogenseuche zu befreien und Chief Brown zu beweisen, dass New Orleans ein Ausrutscher war – und ich ein fähiger Polizist.

Also riss ich todesmutig die Schachtel auf, inspizierte den Inhalt und streifte mir schließlich die beigelegten Handschuhe über. Ich war zwar erst kurze Zeit in Boston und die Gefahr, dass mich jemand erkennen würde, war nicht groß, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Käme raus, dass ich weder Putzmann noch Leadsänger war, sondern ein Cop aus dem Drogendezernat, wäre ich erledigt. Also rasierte ich mir den dunklen Bart ab, den ich mir seit einiger Zeit hatte stehen lassen, und säbelte am Verschluss eines Bleichungsmittels herum, um es mir auf den Kopf zu kippen. Wahre Helden bringen nun mal Opfer.

Eine halbe Stunde später starrte ich reichlich entsetzt in den Badezimmerspiegel. Mein dunkles Halbmexikanerhaar hatte sich tatsächlich in eine stumpfe, blonde Matte verwandelt. Da ich seit ein paar Wochen nicht mehr beim Friseur gewesen war, hingen mir die hellen Strähnen nun tief ins Gesicht. Jeder normale Polizist riskierte mit so einem Look ein Disziplinarverfahren, aber ich hatte etwas von Kurt Cobain, fand ich, und das war für meine Rolle als Rocksänger genau richtig.

Um die Verkleidung perfekt zu machen, hatte ich mir dunkle Kontaktlinsen besorgt. Mit viel Mühe und einiger Flucherei fummelte ich mir die Dinger rein und besaß nun also braune Augen statt der blauen, die mir meine Mom vererbt hatte. Löchrige Jeans und versiffte Chucks fand ich im Schrank, dazu streifte ich mir ein Shirt über, dessen Ärmel so kurz waren, dass mein Tattoo herauslugte. Auch wenn Father Augustine es geschafft hatte, mich aus der Straßengang herauszukriegen – ein Rebell hatte immer in mir gesteckt. Und genau der war irgendwann in einen Tätowiershop gestürmt, um sich einen Totenkopf auf die Schulter stechen zu lassen.

Ja, ich konnte mich echt sehen lassen als cooler Frontmann einer angesagten Band! Bo war sowieso großflächig tätowiert und Sharp hatte eines unter der Achsel. Auf so eine Idee konnte auch nur ein Gitarrist kommen. War sicher als Effekt gedacht, wenn er mal mit großer Geste und maximalem Armschwung in die Saiten drosch.

Trotzdem ging mir ziemlich die Düse, als ich in den Probenraum marschierte. Sich rauszuputzen wie jemand, der Grunge verkörperte, war die eine Sache. Mit einer charismatischen Rockstimme zu überzeugen, eine ganz andere. Und es war verdammt lang her, dass ich auf einer Bühne gestanden hatte. Zum Glück hatte ich bei meinem unfreiwilligen Casting eine Mütze aufgehabt, sodass mich die anderen Musiker gar nicht richtig gesehen hatten.

„Du bist also der Neue!“ Ein dicklicher Mann mit angegrauten Schläfen und einem kleinen Karton unterm Arm kam auf mich zu. „Ich bin Dwayne, der Manager. Die Jungs haben mich ganz schön überrascht.“

„Mich auch“, sagte ich, während ich ihm die Hand schüttelte. „Ich heiße Joaquin und hab eigentlich nur den Boden hier geschrubbt. Ich habe früher schon gesungen, klar. War aber ganz schön durch den Wind, als Sharp mich hier vors Mikro zerrte.“

Dwayne nickte. „Na ja, es gab schon lang Ärger mit dem alten Sänger. Du hast ja bestimmt mitbekommen, dass die Band grad einen Riesenaufstieg durchmacht. Da können wir kein Gezicke brauchen. Trotzdem können die Jungs nicht einfach irgendjemand von der Straße in die Band holen!“ Er warf Sharp, der hinter ihm seine Gitarre stimmte, einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Toni Braxton wurde entdeckt, als sie an einer Tankstelle gejobbt und dabei gesungen hat“, rief der. „So ungewöhnlich ist das also nicht, Dwayne. Hör ihn dir einfach an. Dann reden wir weiter, okay?“

„Bleibt mir ja nichts anderes übrig.“ Der Manager war logischerweise nicht besonders angetan davon, dass die Jungs einen total Fremden wie mich angeheuert hatten. Ich konnte es ihm nicht verdenken, an seiner Stelle hätte ich Sharp den Hintern versohlt oder ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Ja, wahrscheinlich war der sowieso völlig high gewesen, als er diesen Brenton durch mich ersetzt hatte. Egal, es war meine Riesenchance, in der Stardust-Sache einen entscheidenden Schritt voranzukommen, und die würde ich nutzen.

„Hast du was von Evil Medicine drauf?“, fragte Dwayne.

„Logo. Hab mir hottest nightshift angehört, der Text sitzt.“ Die Auskopplung aus dem ersten Album der Band war ‘ne Hammernummer und glücklicherweise klang die Stimme von Brenton nicht viel anders als meine. Na ja, ich sang vielleicht noch etwas dreckiger, aber das passte zum scharfen Gitarrensound der Jungs.

„Dann los.“ Der Manager ging ein paar Schritte nach hinten, stellte sich breitbeinig hin und legte den Kopf schief, um mir genau zuzuhören. Das kleine Paket klemmte noch immer unter seinem Arm, er schien es wie einen Schatz zu hüten.

Meine Hände waren feucht, als sie sich um den Mikrofonständer legten. Shit, ich durfte mir die Nervosität nicht anmerken lassen, vor allem nicht in der Stimme. Bo trommelte los, Sharp säbelte ein Intro, jetzt war mein Einsatz an der Reihe.

The streets are dark, the city is sleeping …“, begann ich und war nicht zufrieden. Da musste viel mehr Energie rein!

Ich nahm das Mikro aus der Halterung, schloss die Augen. Stellte mir eine dunkle Straße vor, das Gefühl, nachts alleine herumzulaufen. Das kannte ich gut, als Teenager war ich oft nachts mutterseelenallein durch New Orleans gestreunt, bevor mich Father Augustine unter seine Fittiche genommen hatte. Ich spürte den Nachtwind, hörte die vereinzelten Autos fahren, eine Eule irgendwo rufen. Wie von selbst bewegte sich meine Hüfte im Takt, ich tauchte in den Song ein.

„… oh baby let me work on you, you’ll be my masterpiece …“ Yeah, das klang schon viel besser. Nun sah ich eine Frau vor mir, im Kerzenschein, nur sie und ich, meine Hände auf ihrem Körper, sanftes Licht auf ihrer Haut, steigende Erregung. All das legte ich in meinen Gesang, ließ mich vollends auf den Song ein. Und stieß plötzlich das Tor zu einer Welt auf, die ich schon ewig nicht mehr betreten hatte, von der ich bis eben gar nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt noch existierte. Zu einer Welt von tiefen Emotionen, in der sogar noch ein Rest Glaube an wahre Liebe existierte. Father Augustine und das Singen in seinem Gospelchor hatten mir die magische Kraft der Musik gezeigt, hatten mich gelehrt, die Gewalt auf der Straße hinter mir zu lassen und mich ganz den Emotionen hinzugeben. Doch das war lange her. Auf einmal begriff ich, dass die Abkehr von der Musik, aber ziemlich sicher auch der harte Job als Cop, bei dem man sich keine Gefühlsduselei erlauben konnte, diesen Teil von mir verschüttet hatte.

Plötzlich war sie wieder da, diese Welt, die meinen Gesang beseelte. Und obendrein gehorchte mir meine Stimme wie eh und je, das gab mir Mut. Den Refrain variierte ich ein wenig, setzte rhythmische Akzente, zog das ein oder andere Wort in die Länge, und spielte die Bandbreite meiner Stimme so richtig aus, sang emotional, aber doch rau und mit so viel Drive, wie es sich für einen Rocker gehörte. Wir waren schließlich nicht im Gospelchor, sondern spielten eine erdige Rocknummer, da durfte es kernig sein.

„… you and me on the hottest nightshift, oh yes, nightshift“, ließ ich den Song mit einem abfallenden Bluesschlenker ausklingen.

Gespannt sah ich Dwayne an.

Der nickte anerkennend und kam auf mich zu. „Auch wenn ich es nicht gern zugebe – Sharp hatte recht. Du passt richtig gut rein. Dann würde ich sagen: Willkommen bei Evil Medicine, Joaquin! Das Vertragliche regeln wir in den nächsten Wochen, ich muss erst mal klären, was Brenton noch zusteht.“

„Keine Eile“, sagte ich schnell. „Ich bin einfach froh, dass ich ‘ne Chance krieg! Ist auf jeden Fall tausendmal besser als mein alter Job.“

„Und die Girls werden dich lieben!“, warf Bo, der Drummer, ein und grinste. „Ich schätze, du bist genau deren Kragenweite.“

Ach du Scheiße, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Das fehlte mir ja echt noch, dass irgendwelche Groupies mich anmachten. Ich wollte nur meinen Job machen und die Ermittlungen vorantreiben, auf kreischende Fans hatte ich absolut keinen Bock, ich war ja noch nicht mal scharf auf ein normales Date. Nach der Trennung von Emily hatte ich keine Frau mehr mit ernsthaften Absichten getroffen. Mir stand der Sinn einfach nicht nach Zweisamkeit.

Sharp drehte seine Gitarre in Johnny Cash-Manier auf seinen Rücken, kramte in seinem Koffer herum und streckte mir schließlich eine Klarsichthülle mit Blättern entgegen. „Das sind die Noten und die Texte unserer Songs. Und jetzt los, wir müssen noch hart arbeiten.“

Seine Hand zitterte, als ich ihm die Zettel abnahm. Auch wenn er wirklich gut Gitarre spielte – der Kerl hatte ein schweres Drogenproblem. Ich sollte mich mit ihm gutstellen, denn er würde mich garantiert zu den Hintermännern führen.

„Danke, Mann. Okay, dann lasst mich mal hören, was ihr noch für Songs auf Lager habt.“ Ich stellte mich in Position. Ein einfacher Job war das hier bestimmt nicht, aber das hatte ich auch nicht erwartet. So what, ich liebte knifflige Aufgaben, und ich würde mein Bestes geben.

Nach einer Stunde machten wir eine Pause, die ich dringend nötig hatte. Aus einer bereitgestellten Kühlbox schnappte ich mir eine neue Wasserflasche und nahm einen kräftigen Schluck, als die Tür aufging und eine kleine Schwarzhaarige hereinkam.

„Suzie schickt euch eine Stärkung“, erklärte sie und legte eine Ladung Sandwiches auf den Tisch.

Ich nahm mir eines mit Truthahn und musterte sie, während sie leere Flaschen einsammelte und in eine Tasche steckte. Sie war offenbar eine Bedienung oder so etwas in der Art, doch irgendwie benahm sie sich merkwürdig. Und genau das sorgte dafür, dass ich meinen Blick nicht von ihr abwenden konnte. Was war es nur, das mich irritierte? Okay, sie war niedlich. Sie mochte Ende zwanzig sein, also etwa so alt wie ich. Ihre Klamotten – die üblichen Jeans und ein T-Shirt, das eine durchaus reizvolle Figur vermuten ließ – verrieten nicht viel. Obwohl sie kurze, schwarze Haare hatte, trug sie keine auffälligen Ohrringe, wie man es oft bei Frauen mit so kessen Frisuren sah. Ihre ungewöhnlichen Augen, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie grün oder bernsteinfarben sein wollten, hatte sie nicht mit Make-up betont und auch sonst keine große Kriegsbemalung aufgelegt.

„Tess ist unser Mädchen für alles“, stellte Dwayne sie vor. „Sie versorgt uns mit den lebenswichtigen Dingen und ist obendrein ein glühender Fan der Band.“

„So?“ Mein Blick traf ihren, doch sie schaute schnell weg. Gerade so, als wolle sie nicht auffallen.

Ja, vielleicht war es genau das. Sie benahm sich wie jemand, der von sich ablenken will, der um keinen Preis auf sich aufmerksam machen will. Das passte aber wiederum überhaupt nicht zu ihrem wachen Blick, der unermüdlich im Raum umherschweifte und jedes winzige Detail zu scannen schien. Ein normales Groupie würde sich doch gewaltig aufdonnern und sich ein Dekolleté bis zum Bauchnabel verpassen, wenn es seine angebeteten Bandhelden bedienen durfte, und erst recht nicht wegschauen, sobald man Augenkontakt aufnahm.

„Hey, Joaquin, träumst du, oder was?“ Ich hatte tatsächlich nicht mitbekommen, dass alle anderen schon wieder ihre Plätze eingenommen hatten. Eilig legte ich mein zur Hälfte gegessenes Sandwich zur Seite und ging zum Mikrofonständer. Über diese Tess konnte ich schließlich noch zu einem anderen Zeitpunkt nachdenken, jetzt galt es erst einmal, ein dutzend Songs einzustudieren.

*

Holy shit, waren das viele Leute! Ich stand hinter der Bühne und hatte einen Blick in den Zuschauerraum gewagt, was ich lieber hätte bleiben lassen sollen. Klar, es war nur ‘ne Musikkneipe, Jimmy’s Musicbar eben, nicht der Madison Square Garden. Aber ich würde in ein paar Minuten da rausgehen, ganz vorn stehen und Songs über die Rampe jagen müssen, von denen ich mich im Moment an keine einzige Textzeile mehr erinnerte.

„Alles fit im Schritt, Joaquin?“, Sharp grinste mich an. Das Zittern seiner Hände war weg, dafür hatte er einen glasigen Blick und war unsicher auf den Beinen. Na Bravo, wir waren eine klasse Band. Der Leadgitarrist total high und der Frontman nervlich ein Wrack, weil er seit Jahren nicht mehr live vor Publikum gesungen hatte.

„Logo, wir werden die Bude rocken“, behauptete ich. Dann rückte ich ein Stück näher an Sharp heran. Auch wenn ich mir vor Lampenfieber fast ins Hemd machte – ich war hier, um einen Drogenring zu sprengen, nicht um Rockstar zu werden. „Sag mal, hast du vielleicht irgendwas zum Entspannen nach dem Auftritt? Ich hab früher gern mal Gras geraucht, aber meine Vorräte sind finito. Krieg ich was von dir?“

Seine Augen wurden schmal. „Wie kommst du darauf, dass ich was habe?“

„Hey!“ Ich imitierte ein Lachen. „Ihr seid angesagte Musiker! Die haben doch immer irgendwelchen Stoff, oder nicht? Komm, erzähl mir nichts, ich hab schon in einigen Bands gesungen und immer gab’s was, um ein bisschen locker zu werden.“

„Schon möglich, dass ich an was rankomme“, murmelte er, machte jedoch keine Anstalten, mehr Details auszuplaudern.

„Ich lade dich demnächst mal auf ein paar Bierchen ein“, sagte ich. „Damit wir uns ein bisschen kennenlernen. Ist mir nämlich echt ‘ne Ehre, mit einem so begnadeten Gitarristen wie dir in einer Band spielen zu dürfen.“

Okay, ich musste gleich aufpassen, dass ich nicht auf meiner eigenen Schleimspur ausrutschte, wenn wir die Bühne enterten, aber die Schmeichelei funktionierte.

„Ist gebongt.“ Er nickte mir zu und sah jetzt wieder richtig freundlich aus. Das war perfekt. Ich würde ihm ein paar Drinks ausgeben, mich mit ihm anfreunden und ihm die Pillen abschwatzen. Als Einstandsgeschenk in die Band oder als nette Geste unter Musikerkumpanen. Wenn er dann ein bisschen Vertrauen zu mir gefasst hätte, würde er mich garantiert mit seinem Dealer in Kontakt bringen. Immerhin verband nichts auf der Welt mehr, als gemeinsam einen geilen Rocksound in die Halle zu blasen und die Leute zum Toben zu bringen, das schweißte enger zusammen als jede andere Art von Abenteuertrip.

„Willst du dir Wasser mit auf die Bühne nehmen?“

Ich fuhr herum. Die kleine Schwarzhaarige stand hinter mir und reichte mir eine Plastikflasche. Tess, ja, so hieß sie. Und sie sah mich mit ihren Funkelaugen an, aus denen ich nicht schlau wurde. Ich mochte es überhaupt nicht, wenn ich Menschen nicht durchschauen konnte. So etwas passierte mir extrem selten. Im Grunde nie. Meine gute Menschenkenntnis hatte mir schon oft den Arsch gerettet, und auf mein Bauchgefühl war immer Verlass. Diese Tess verbarg irgendetwas, das spürte ich deutlich, sie verhielt sich ziemlich verdächtig. Ich wäre ein schlechter Cop, wenn ich dafür keinen siebten Sinn hätte. Vielleicht war sie diejenige, die Sharp mit Stoff versorgte und auch im Publikum mit den Stardust-Pillen dealte? War das der Grund, warum sie so sehr darauf achtete, unauffällig zu sein?

Ich grinste innerlich, denn ich würde nicht auf die Kleine hereinfallen. Auch nicht auf ihr Wasser, in das sie weiß Gott was reingemischt haben konnte.

„Brauch ich nicht“, wies ich sie barsch zurück.

„Auch recht. Deine Entscheidung.“ Sie verzog keine Miene, wandte sich von mir ab und Charlie zu.

„Okay, wir gehen raus!“ Sharp schaffte es irgendwie, halbwegs gerade auf die Bühne zu marschieren. Ich versuchte, den Knoten im Hals hinunterzuschlucken und so finster dreinzuschauen, wie es sich für einen Rockstar gehörte.

Die Zuschauer klatschten und johlten, das grelle Scheinwerferlicht stach mir in die Augen, meine Handflächen waren schweißnass. Fuck, es gab kein Zurück mehr, ich musste mich jetzt zusammenreißen!

Sharp kam neben mich und hob den rechten Arm, weil er dem Publikum etwas sagen wollte.

„Leute, ich find‘s geil, dass so viele da sind!“, brüllte er ins Mikro. „Ihr habt bestimmt schon gesehen, dass wir einen neuen Frontman haben. Brenton musste uns leider verlassen, aber wir haben würdigen Ersatz gefunden. Hier ist Joaquin für euch und er wird euch mit der ersten Nummer gleich richtig einheizen. Let’s go!“

Kaum hatte er den letzten Satz ausgesprochen, jagte er ein paar harte Riffs in die Menge. Ich hatte keine Zeit mehr zu überlegen, denn das war sweat and blood and whisky, ein Song, der ohne großes Vorspiel sofort mit den Vocals begann.

Meine Finger schlossen sich ums Mikro. Jetzt galt es. Ich atmete schnell ein und haute den Leuten dann die erste Textzeile um die Ohren, und zwar so rau und dreckig, wie es meine Stimmbänder hergaben. Okay, bei einem Ton hatte ich danebengelegen, aber egal. Weiter. Die nächste Zeile, die zweite Strophe, der Refrain. Die Stimmung des Songs kannte ich gut, eine Bar mit dunklen Holzstühlen, klebrigem Boden, Arbeiter, die sich nach Feierabend einen Whisky gönnten, rau, derb, männlich. So ließ ich meine Stimme klingen.

Das Publikum ging mit. Sie tanzten, klatschten, wippten mit den Köpfen, hatten ihre Augen auf mich gerichtet. Insbesondere die Girls in den vorderen Reihen.

Mutiger geworden, löste ich das Mikro aus der Halterung, wagte mich ein paar Schritte vom Mikrofonständer weg, unterstrich meinen Gesang mit Bewegungen. Wow, das war ein irres Gefühl! Alle Blicke folgten mir, und als ich den Arm am Ende des Songs in die Luft streckte, imitierten das hundert Arme im Publikum.

Krass!

Die nächste Nummer, dieses Mal hatte Sharp ein langes Solo. Er hatte es absolut drauf, ballerte den Zuhörern die Akkorde um die Ohren, dazu die treibenden Beats von Bo, Ewans Bass in meinem Bauch, die Rhythmusgitarre von Charlie in den Beinen. Es war der totale Wahnsinn.

Unsere Energie schwappte ins Publikum und wieder zurück, wir Musiker putschten uns gegenseitig auf, es war wirklich ‘ne klasse Show, die wir den Leuten boten. Nur Sharp machte mir Sorgen. Je länger wir spielten, umso unsauberer wurden seine Licks. Ich sah ihn an, er hatte rote Flecken im Gesicht. Verdammt, wie viel von diesem Stardust-Scheiß hatte er vor dem Auftritt eingeworfen?

Im zweiten Teil der Show hatte ich meine Nervosität abgelegt, musste ständig zu Sharp schielen. Er spielte immer noch richtig gut, keine Frage, aber er stand wackelig auf den Beinen.

Bei einem Song musste ich den Text teilweise improvisieren, weil mir manche Passagen nicht mehr einfielen. Es war eine Ballade, sie handelte vom Schmerz der Liebe, auch den kannte ich gut, spürte ihn beim Singen, ließ die Zuhörer daran teilhaben. Warum sollte ich mich verstellen? Niemand kannte mich hier, also war es egal, wenn ich auf der Bühne ein Stück meines Herzens preisgab. Anders konnte ich nun mal nicht singen, das war schon immer so gewesen. Ich war noch nie jemand, der mit brillanter Gesangstechnik gefallen wollte, bei mir ging es immer nur mit vollem Gefühlseinsatz. Das kam bei den Zuschauern ziemlich gut an, denn sie verlangten zwei Zugaben und applaudierten frenetisch, als ich mich verbeugte. Tja, ganz offensichtlich hatten sie die Auswechslung des Frontmans alles andere als übel genommen.

Mein Körper war bis zum Anschlag vollgepumpt mit Adrenalin, als ich von der Bühne ging.

„Einen Gig spielen ist einfach das Größte, stimmt’s?“, sagte Charlie und schlug mir anerkennend auf den Rücken.

„Darauf kannst du einen lassen“, gab ich zurück.

Kaum bogen wir um die Ecke, kam uns von der Garderobe aus Tess entgegen, eine Ladung Bierflaschen in den Händen. Dieses Mal nahm ich ihr eine ab und leerte sie fast in einem Zug. Tat verdammt gut.

„Tess, Darling, sag mal, ist in deinem Service auch ‘ne Schultermassage für einen Bassisten dabei? Du bist doch Mädchen für alles“, rief Ewan ihr übermütig zu. Der war normalerweise eher schüchtern, aber nach so einer Show war einfach jeder total aufgeheizt.

„Da musst du dich an Suzie wenden, so etwas ist selbstverständlich Chefin-Sache.“ Sie grinste. „Und ihr Testosteron-Torpedos versteht unter ‚alles‘ vielleicht was anderes als ich.“

Hoppla! Da war aber jemand ganz schön schlagfertig. Das gefiel mir, ich mochte schon immer Frauen mit Köpfchen.

Die anderen Jungs marschierten in die Garderobe, ich aber blieb bei ihr stehen. Sie roch gut. Nach teurem Parfum, das man sich mit dem Gehalt einer Servicemaus sicher nicht leisten konnte.

„Du bist also ein Fan von uns?“, fragte ich und nahm den letzten Schluck aus der Bierflasche.

„Ja, total. Ihr wart heute wieder genial, echt spitze. Ich steh halt einfach auf Rock, was soll ich machen.“ Sie lachte und hatte dabei so einen seltsamen Plapperton drauf. Es klang so, als müsse sie etwas überspielen. Schade eigentlich, denn, verdammt noch mal, diese Tess war ziemlich genau mein Typ. Sie hatte eine dieser rauen Stimmen, die einen Mann verrückt machen konnten. Ich stand schon immer auf diese Sorte sexy voice. Man konnte mir Miss World in den schärfsten Dessous auf den Bauch binden – wenn sie eine Piepstimme hatte wie eines dieser quietschigen It-Girlies, die gern hirnverbrannte Interviews gaben, würde niemals was laufen. Aber eine Frau, die wusste, was sie wollte … die mir mit diesem besonderen Timbre ins Ohr raunte, was wir gleich miteinander anstellen würden – da fiel es selbst einem hartgesottenen Typen wie mir schwer, zu widerstehen. Genau so eine Stimme hatte Tess.

„Was für Musik hörst du denn außer uns noch so?“, wollte ich wissen.

Sie nahm mir die leere Flasche aus der Hand, musste dafür einen Schritt auf mich zu machen, weil sich ein Schrank von der Security an uns vorbeidrängte. Ich roch den zarten Duft ihrer Haare, sah ein Muttermal an ihrer Schläfe. Hatte einen winzigen Moment lang den Drang, ihre Haut zu berühren. Ihre Lippen – sie standen leicht offen. Die Unterlippe war deutlich ausgeprägter als die Oberlippe, beide glänzten einladend.

„Ach, alles Mögliche. Hauptsächlich alte Sachen. Ich mag’s gern, wenn es richtig kracht. Mit all diesen weichgespülten Bubis wie James Blunt oder so kann ich nicht viel anfangen.“

Verflucht, diese Stimme kroch mir unter die Haut. Ein Teil von mir hätte ihr am liebsten jetzt gleich bewiesen, dass ich kein Bubi war und insbesondere in diesem Moment eher zu hart als zu weich.

„Dann warst du sicher im Frühjahr auf dem Springsteen-Konzert, oder?“, fragte ich sie.

„Klar doch! Bruce ist ‘ne Legende, keiner von diesen belanglosen Pop-Softies. Für das Ticket musste ich zwar ein paar Extraschichten schieben, aber dieses Erlebnis konnte ich mir nicht entgehen lassen.“ Sie sah mir direkt in die Augen.

Ich hielt den Blickkontakt. „Oh Mann, ich hätte auch gern einen Saxophonisten wie Clarence Clemons in der Band. Sein fetter Sound ist immer wieder der Hammer.“

„Ja, der alte Clarence.“ Sie nickte zustimmend. „Hat toll gespielt beim Konzert, oder?“

„Absolut“, bestätigte ich. Ich hatte diesen Magier am Saxofon schon mehrmals live gehört. Bei dem Konzert im Frühjahr hätte er allerdings als Geist erscheinen müssen, denn Clemons war leider vor ein paar Jahren gestorben. Wäre Tess tatsächlich auf dem Konzert gewesen, hätte sie das gewusst, denn Springsteen legte immer eine Gedenkminute für seinen alten Freund ein. Davon ganz abgesehen, nannten echte Fans ihr Idol nicht Bruce, sondern „The Boss“.

Sie log mich an, spielte uns etwas vor. Das stand nun zweifelsfrei fest.

„Seit wann bist du denn Fan von Evil Medicine?“, nahm ich das Verhör wieder auf.

„Schon von Anfang an. Hab euch hier in Jimmy’s Musicbar gehört und war gleich total begeistert.“ Sie zupfte verräterisch an ihrem Ohrläppchen. Was dummerweise nicht ganz unsexy aussah. Doch ich war ein Profi, ich würde niemals mit einer Frau flirten, die ich möglicherweise später verhaften musste. Handschellen konnten ein hübsches Spielzeug sein, wenn man sie im Schlafzimmer benutzte, im Moment sah es aber eher so aus, als bräuchte ich sie früher oder später, um Tess damit in Untersuchungshaft zu befördern.

„Du bist also Bedienung bei Suzie?“

„Ich bin Aushilfe, sie schickt mich auch mal einkaufen oder lässt mich was ausliefern, so wie an euch.“ Nun versuchte sie es mit einem bezaubernden Lächeln. Ich musste innerlich tief durchatmen. Diese Tess wusste, wie man die Waffen einer Frau einsetzt – und schoss aus allen Rohren auf mich. Ich hatte schon den einen oder anderen Kugelhagel erlebt, draußen auf der Straße, aber dieser hier hatte es auf seine Weise besonders in sich. Gegen dieses Lächeln half keine schusssichere Weste. Ich musste mich ziemlich am Riemen reißen und mich auf meine Aufgabe als verdeckter Ermittler konzentrieren, um dieses Lächeln an mir abprallen zu lassen. Schließlich wollte die kleine Lügnerin mich bloß manipulieren!

„Ist das dein Job? Hast du nach der Highschool beschlossen, du wirst dein Leben mit Gläserspülen und Sandwiches austragen verbringen? Oder wie ist dein Plan?“ Mal sehen, was passierte, wenn man der kleinen Lady mal ernsthafter auf den Zahn fühlte.

Das Lächeln verschwand. Stattdessen funkelte sie mich mit diesen ungewöhnlichen Augen an. Ein scharfer Blick in doppelter Hinsicht, herausfordernd und verführerisch, und wieder hatte ich Mühe, cool zu bleiben „Willst du meine Biographie schreiben, oder was? Geht dich doch nichts an, was ich mit meinem Leben vorhabe. Von einem, der normalerweise als Putzteufelchen hier die Böden schrubbt, brauch ich mich wohl kaum über Karrierepläne ausfragen zu lassen.“

Fuck, da hatte sie recht. Für einen Moment hatte ich vergessen, dass ich hier eine Rolle als Reinigungskraft und Aushilfsrockstar zu spielen hatte. Zumindest wie letzterer sollte ich mich benehmen.

„Hey Baby, nun flipp nicht gleich aus. Vielleicht schreib ich ja mal einen Song für dich. Angry girl with black hair. Was meinst du?“

„Idiot“, zischte sie, drehte sich zackig um und verschwand in der Bandgarderobe.

Ich schaute ihr nach. Auch von hinten sah sie einladend aus. Ich verbat mir seufzend alle einschlägigen Phantasien und ließ mir das Gespräch mit Tess nochmals durch den Kopf gehen. Die Kleine war eine harte Nuss, aber ich würde sie schon knacken!

Zunächst mal folgte ich ihr in die Garderobe, weil ich dort meine Klamotten geparkt hatte. „Wahnsinn, Joaquin, du bist ja richtig abgegangen“, lobte Bo. Und auch Dwayne war inzwischen angetan von mir. „Du hast mich wirklich überrascht. Klasse Gig, Respekt! Ich hatte wirklich Sorge, ob du es auch vor Publikum bringst.“

Tess würdigte mich keines Blickes und verdrückte sich bald. Ich trank mit den Jungs noch ein paar Flaschen Bier und blödelte mit ihnen rum. Irgendwann machten wir uns dann auf den Heimweg. Wurde auch Zeit, mir reichte es für heute. Das Adrenalin verdünnisierte sich und zurück blieb die bleierne Müdigkeit eines langen Tages. Ich konnte es kaum erwarten, endlich in mein Bett zu fallen. Doch als wir die Kneipe durch den Hinterausgang verließen, stand da eine Gruppe von Frauen. Ziemlich spärlich bekleidet, wie mir sofort auffiel. Drei trugen Shirts mit unserem Bandnamen, eine davon hatte das Bandshirt mit großen Löchern versehen, insbesondere über ihren üppigen Brüsten.

„Krieg ich ein Autogramm von dir?“ Sie drängte sich mir entgegen und hielt mir außer ihrer mächtigen Oberweite, die gefährlich aus dem BH quoll, auch noch einen Stift entgegen. Mir dämmerte, an welcher Stelle sie meinen Namenszug haben wollte. „Du bist so heiß, Joaquin, echt super, dass sie Brenton durch dich ersetzt haben!“, säuselte sie mit einer Daisy Duck-Stimme, die mir eine Gänsehaut bescherte. Allerdings nicht vor Verzückung.

„Ja, ich freue mich auch, dass ich in der Band bin“, sagte ich und kritzelte einen unleserlichen Schriftzug auf ihren Brustansatz.

„Wow, wie geil!“ Sie freute sich lautstark und klimperte mit ihren künstlichen Wimpern. „Du hast doch heute Abend sicher nichts mehr vor, oder? Komm doch mit zu mir.“

„Los, mach dir noch einen schönen Abend, Rockstar“, rief Sharp mir zu. Er hatte den Arm um ein Girl gelegt, das in ihrem ultraknappen Outfit sicher frieren musste. Na ja, er würde ihr bestimmt bald richtig einheizen. Ich hingegen hatte viel mehr Bock auf meine eigene Matratze. Und zwar allein. Doch ich hatte ein Image zu erfüllen, also musste ich alle hier in dem Glauben lassen, dass ich heute Nacht dieses Fangirl bestieg.

„Na klar, Süße“, sagte ich zu meinem Groupie. „Muss nur noch schnell was am Handy checken.“

Ich tippte ein bisschen herum, legte danach meinen Arm um sie, genau wie es Sharp bei seiner getan hatte, und bog mit ihr um die Straßenecke.

„Ist gar nicht weit“, zwitscherte sie. „Und dann zeig ich dir meine Sammlung an Lovetoys. Da ist bestimmt auch ein Spielzeug dabei, das dir gefällt.“

„Ganz sicher!“, log ich.

„Weißt du, ich hab diese von innen beleuchteten Liebeskugeln, die könntest du dann ganz langsam -“

Bevor sie weiterreden konnte, klingelte mein Handy. Ich zog es aus der Tasche und machte ein besorgtes Gesicht. „Hoffentlich ist nichts mit meiner Mom, der geht es im Moment nicht gut.“ Ich drückte eine Taste und hielt das Telefon an mein Ohr. „… dein Herz schon wieder?“, sagte ich laut. „Rhythmusstörungen? Nein, du musst keinen Krankenwagen rufen, ich bin gleich bei dir, mach dir keine Sorgen.“

Bedauernd sah ich das Groupie an. „Tut mir echt leid, ein Notfall. Wir verschieben das auf ein andermal, okay?“

Enttäuscht zuckte sie mit den Schultern. „Kann man nichts machen, klar.“

Ich überwand mich zu einem Kuss auf ihre Wange und schlug im Laufschritt eine andere Richtung ein. Dorthin, wo eine Bahnstation war, von der aus ich schnell in meine groupiefreie Wohnung gondeln konnte. Das Handy steckte ich in die Tasche. Diese App, mit der man zu festgesetzter Zeit einen Anruf faken konnte, war echt super.

Als ich im Bett lag, blitzten immer wieder die intensiven Bilder und Sounds der letzten Stunden in mir auf. Die Scheinwerferlichter sah ich auch jetzt noch, selbst mit geschlossenen Augen. Ich hörte die Fans johlen, den treibenden Sound der Band, meine eigene Stimme. Und, als ich schon am Hinüberdämmern ins Reich der Träume war, die von Tess, rau und dunkel und verführerisch. Einen winzigen Moment lang durchzuckte mich der Gedanke, dass es schön sein könne, sie hier neben mir liegen zu haben, mir verruchte Sachen ins Ohr flüstern zu lassen oder einfach ihr Leben erzählt zu bekommen. Dann fiel mir zum Glück ein, dass sie meine Hauptverdächtige war und ich endlich schlafen sollte, um sie möglichst bald hinter Schloss und Riegel zu bringen. Gefängniskleidung in Orange passte sicher hervorragend zu ihren schwarzen Haaren.

6. Unter Verdacht

Tess

Dieser Joaquin war mir nicht ganz geheuer. Ich kannte mich weiß Gott nicht besonders gut mit den Gewohnheiten von Sängern aus, aber nahm nicht jeder andere eine Wasserflasche mit auf die Bühne? Mister Cool hingegen hatte mich vor dem Auftritt einfach weggeschickt, als wäre ich Schneewittchens Stiefmutter und würde ihm einen vergifteten Apfel andrehen wollen. Blöder Kerl. Außerdem sahen seine Haare scheiße aus, irgendwie so albern blondiert.

Ich quetschte mich durch die Zuschauer hindurch, bis ich an der Theke ankam. Meine Güte, hier war ja die Hölle los. Waren all diese Leute nur wegen Evil Medicine hier? Sogar ein paar Fangirls mit Bandshirts und billiger Aufmachung mischten beim Kampf um die besten Stehplätze mit. Die turnten natürlich ganz vorne herum, weil sie den Musikern auffallen wollten, die gerade die Bühne betraten. Ich hingegen setzte alles daran, niemandem im Gedächtnis zu bleiben. Auf diese Weise hatte ich die besten Chancen, herauszubekommen, wie das hier mit Drogen und insbesondere mit diesem Stardust-Zeug lief.

„Hol mir noch zwei Netze Zitronen aus dem Lager“, rief mir Suzie zu. „Wodka sour geht heute weg wie warme Semmeln.“

Ich machte mich gleich auf den Weg. Als ich zurückkam, spielte die Band den ersten Song. Mir fielen fast die Zitronen aus der Hand, als Joaquin die ersten Töne raushaute.

„Wow, der Kerl hat ja`ne Hammerstimme“, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Suzie.

Doch auch sie blickte erstaunt nach vorne. „Als die Jungs mir erzählt haben, dass sie einen von der Putzfirma, die hier sauber macht, in die Band holen wollten, dachte ich, die verarschen mich. Wir albern ja gern mal herum. Aber der Kerl ist ja ein echter Volltreffer. Und ein heißer Typ noch dazu!“

Ich zog die Augenbrauen hoch. Suzie war bestimmt zwanzig Jahre älter als die Jungs dort auf der Bühne. Früher war sie sicher mal ganz hübsch gewesen, inzwischen aber reichlich aus dem Leim gegangen. Sie quetschte sich in viel zu enge Kleider und schminkte sich zu grell, aber ich mochte Powerfrauen wie sie. Suzie kämpfte sich durch, sie hatte es nicht immer leicht gehabt im Leben, vermutete ich. Aber jetzt hatte sie hier ihre Bestimmung gefunden, in diese Musikkneipe passte sie wie die Faust aufs Auge.

Was Joaquin betraf, hatte die gute Suzie absolut recht. Er war in der Tat ein Hingucker, wenn er mit dem Mikro in der Hand auf der Bühne stand und sich gekonnt im Takt der Musik bewegte. Auch wenn ich ihn nicht leiden konnte – seiner Bühnenpräsenz konnte man sich nicht entziehen, genauso wenig wie seiner Stimme. Sagte man nicht in Musikerkreisen so etwas wie: „Eine Stimme muss unverwechselbar sein“? Das traf auf Joaquin hundertprozentig zu. Seine Stimme hatte etwas ganz Besonderes, sie war nicht einfach nur rockig und kantig, da war dieses Quäntchen Seelenschmerz dabei. Dieser Hauch Melancholie, den nur Menschen rüberbringen konnten, deren Leben nicht nur eitel Sonnenschein gewesen war, sondern die schon genügend dunkle Nächte durchgestanden hatten. Das faszinierte mich ein klein wenig, wie ich leider zugeben musste.

„Haben die ihre Karriere hier bei dir angefangen?“ Ich schnitt für Suzie die Zitronen auf und presste sie aus.

„So ist es, meine Kleine. Vor zwei Jahren ging es los mit ihnen, seither sind sie mir treu. Obwohl sie inzwischen in richtig großen Hallen spielen, auch außerhalb von Massachusetts, kommen sie immer wieder hierher, mehrmals im Monat. Ich lasse sie auch gern hier proben. Ist praktisch für die Band, die Jungs müssen dann ihr Equipment nicht herumschleppen.“

„Und deshalb machst du auch das Catering für sie?“

Suzie grinste und nahm sich die Zeit, sich mitten im Gedränge eine Zigarre anzuzünden. „Dwayne zahlt mir was dafür und meine Küche ist eh nicht ausgelastet. Ich mache es hauptsächlich, weil ich dann weiß, dass die Jungs in guten Händen sind.“

„Kann ich verstehen.“ Ich musste husten. Keine Ahnung, welches Kraut Suzie sich da gerade anzündete, es war mordsmäßig parfümiert und passte genau deshalb total zu ihr. Sie stand auf Lurexfäden in ihren Oberteilen, auf rosaglänzenden Lippenstift und eine kräftige Vanillenote in ihrer Zigarre. Eine runde Sache.

„Ich wusste gar nicht, dass man in Kneipen neuerdings wieder rauchen darf“, sagte ich und grinste sie an.

Sie grinste zurück. „Wenn man den Cops hin und wieder ein Bierchen ausgibt, drücken die ein Auge zu.“

„Zumindest so lange es kein Gras ist, nehme ich an.“ Mein Blick war jetzt auf die Zitrone gerichtet, der ich zu Leibe rückte, während ich beiläufig noch ein wenig nachfragte. „Hast du denn hier in der Bar Probleme mit Drogen? Ich meine, Rockfans sind in dieser Hinsicht doch keine Kinder von Traurigkeit, oder?“

„Süße, da würden die Leute aber mächtig Ärger kriegen, und zwar mit mir höchstpersönlich! Ich hab zwar einen guten Draht zu den Bullen, aber echt keine Lust, dass die mir die Bude zusperren, weil sie hier einen Umschlagplatz für Stoff vermuten. Außer meiner Zigarre wird hier nichts geraucht oder eingeworfen. Wenn ich da was mitkriege, fliegt der Junkie hochkant raus.“

Allright. Das war klar und auch nachvollziehbar. Suzie hatte zwar ein großes Herz für Musiker, aber offenbar wenig Ahnung, was in deren Dunstkreis alles vertickt wurde. Und sie hatte recht, die Polizei würde ihr ordentlich Schwierigkeiten machen, wenn die sie in dieser Hinsicht auf dem Kieker hätten. Doch Suzie hatte hier an der Bar alle Hände voll zu tun, sie konnte ihre Augen nicht überall haben. Ich hingegen schon, ich wollte zumindest versuchen, möglichst viel mitzukriegen. Deshalb mischte ich mich unter die Zuschauer. Sicher würde ich als Konzertbesucherin durchgehen und womöglich auch selbst etwas angeboten bekommen. Andererseits – ich war schon in einigen Bars und Clubs gewesen, aber noch nie hatte mich jemand angesprochen. Sah ich zu brav aus?

Ich musterte die Girls um mich herum. Einige hatten Tattoos, andere ihre Möpse mittels Push-up-BHs weit nach oben geschoben, bei einer tanzten die Dreadlocks munter auf dem Kopf herum. Klar, die waren irgendwie cooler als ich mit meiner langweiligen Jeans und dem einfachen T-Shirt. Es war sicher ratsam, mich einfach ein Stück hinter ihnen zu halten und sie zu beobachten.

Im Moment zog allerdings der Sänger die ganze Aufmerksamkeit auf sich, nicht nur die der Groupies, sondern auch meine. Verflucht, der Kerl hatte es echt drauf. Wenn er die Augen schloss, um die letzten Töne eines Songs in die Länge zu ziehen, kribbelte es an meinem ganzen Körper. Dabei war Joaquin doch erst vor kurzem in die Band eingestiegen! Trotzdem klang jede Nummer so, als hätte er sie nicht nur selbst geschrieben, sondern auch jede einzelne Emotion darin selbst durchlebt, mit allen Höhen und Tiefen. Er kannte Schmerz, er kannte Sehnsucht, und wenn er von der Liebe sang – oh Mann … Das klang so, als würde dieses Gefühl alles andere mit sich reißen. Als würde es Türen öffnen, die ein Leben lang verschlossen gewesen waren, zwei Menschen eintauchen lassen in einen gefährlichen Strudel aus Leidenschaft, ohne zu wissen, ob man jemals wieder lebendig daraus auftauchen würde. Als wäre es das Intensivste und überhaupt Allergrößte, was einem im Leben widerfahren konnte.

Meine Hände bebten. Gab es so etwas wirklich?

Salomé hatte mir immer wieder vom Liebestaumel erzählt, den sie mehrmals durchlebt hatte, der Amour fou, bei der nur noch der geliebte Mensch zählte und man sogar tiefe Narben in Kauf nahm, nur um ein paar Momente der Glückseligkeit mit dem Partner zu erleben. Und es gab natürlich eine Menge Gedichte und Songs darüber. Trotzdem hielt ich all das für romanhaften Unsinn, in den sich manche Leute hineinsteigerten. Das war ähnlich wie Parfumreklame – da wurde einem doch auch versprochen, das Duftwässerchen rieche nach Jasmin und Flieder und rosenzarter Verführung in finsteren Nächten. Schnupperte man aber dann zuhause am Flakon, dann stieg einem bloß synthetischer Blumenduft in die Nase, der dem Zwei-Dollar-Weichspüler von Walmart ziemlich ähnelte. Mit der Liebe war es ähnlich, davon war ich überzeugt. Aufgeblähte Worte, poetische Übertreibungen, die nichts mit der Wahrheit zu tun hatten, sondern nur schön klangen. Doch nun … wenn ich Joaquin zuhörte … Was er sang, wirkte total glaubhaft. Als würde er ehrlich davon erzählen, ganz ohne zu übertreiben.

Gab es tatsächlich Menschen, die so empfanden? Sogar Männer?

Ich betrachtete ihn, so gut das auf die Entfernung im grellen Scheinwerferlicht eben ging. Studierte alles ganz genau, die Bewegungen seiner Hände, sein Mienenspiel, seine Augen. Doch so sehr ich mich auch konzentrierte, ich fand keinen Hinweis darauf, dass er etwas nachahmte, dass die Gefühle, die er über die Musik ausdrückte, nicht authentisch waren. Er spürte offenbar jedes Wort, das er sang. Kannte die dunklen Stunden, wenn man alleine im Bett lag, ebenso wie die nagenden Selbstzweifel der Eifersucht. Jealous september nights kaufte ich ihm ab, genauso wie let me open the secret door to your soul.

Ob Joaquin wirklich jemand war, der das konnte? Der in die geheimsten Ecken einer Frau eindrang, sich all ihrer Kratzer und Wunden annahm, der sie akzeptierte und liebte, wie sie nun mal war, statt nur einem Ideal nachzulaufen, und sie auffing in Momenten der Schwäche. „… let my arms be your shield, rest your head on my shoulder, no one can harm you when you are with me.“ Wäre es so in seiner Umarmung? Geschützt gegen die ganze Welt zu sein, geborgen und einfach nur glücklich?

Ich riss meinen Blick von ihm los. Du liebe Zeit, was für ein Unsinn flirrte da durch meinen Kopf! Ich brauchte einen Schluck Wasser oder ähnliches, dringend. Suzies Zigarre oder irgendwelche anderen Dämpfe hatten mir gehörig das Hirn vernebelt. Schnell quetschte ich mich durch die Menge, fand hinter der Bartheke eine Dose Cola, leerte sie in einem Zug. Puh, jetzt ging es mir wieder besser.

„Alles okay bei dir?“, fragte Suzie.

Ich nickte. „Mein Kreislauf hat mich ein bisschen im Stich gelassen, aber jetzt passt wieder alles.“

Sie lachte, scheppernd wie ein Blecheimer. „Da bist du sicher nicht die einzige Frau hier. Joaquin scheint ja jeder den Kopf zu verdrehen. Der hat echt ‘ne irre Ausstrahlung, meine Güte! Aber du solltest langsam die Snacks und die Drinks fertigmachen für die Jungs. Bald ist die Show vorbei.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739481197
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Badboy USA Romantik Krimi Rockstar Liebe Musik Humor

Autor

  • Karin Koenicke (Autor:in)

Karin Koenicke hat anfangs Kurzgeschichten in zahlreichen Zeitschriften veröffentlicht, schreibt aber inzwischen mit viel Herzblut Liebeskomödien. Ihre Romane mit Humor und großem Gefühl sind bei den eBook-Leserinnen so beliebt, dass sie bereits mehrmals die Bestsellerlisten anführten. Sie selbst ist wie ihre Geschichten - mal aufgedreht, mal melancholisch, mal Chopin, mal Rolling Stones. Ihre große Liebe gilt der Musik, die oft in ihren Büchern eine Rolle spielt.