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Pretty Womanizer - Ein Gigolo zum Vernaschen

von Karin Koenicke (Autor:in)
390 Seiten
Reihe: New York Lovestorys, Band 2

Zusammenfassung

Damn it! Die ehrgeizige New Yorker Anwältin Rebecca sitzt gewaltig in der Patsche. Sie soll zu einem Geschäftsessen der Kanzlei ihren Verlobten mitbringen. Der existiert allerdings nur in ihrer Fantasie. Wo kann sie auf die Schnelle einen Mann auftreiben? Letzter Ausweg ist ein Escortservice, bei dem sie sich einen eleganten Begleiter für das wichtige Dinner mietet. Dummerweise schickt man ihr ausgerechnet Logan, einen selbstverliebten Macho, der Rebecca zur Weißglut bringt. Ihr Boss hingegen ist von dem lässigen Automechaniker völlig hingerissen und lädt sexy Logan zum Firmenwochenende in seiner Lodge ein, wo Rebecca mit ihm glückliches Paar spielen muss. Als sie dann auch noch einen schweren Verdacht gegen ihren Boss hegt, gerät ihr sorgsam geplantes Leben vollkommen aus den Fugen …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

Pretty Womanizer -

Ein Gigolo zum Vernaschen

 

 

 

Ein turbulenter Liebesroman von

Karin Koenicke

 

1. Meet Miss Miller

 

 

Gleich ging es los!

Rebecca Millers Finger krampften sich unwillkürlich um die Kante des polierten Besprechungstisches, an dem sie und die anderen Anwälte der Kanzlei „Armadon, Hall and Piddlefield“ saßen. Jeden Donnerstag fand ein Meeting statt, in dem die aktuellen Fälle vorgestellt wurden, und dieses Mal war auch sie selbst an der Reihe. Die Klimaanlage rauschte leise, einer der zwölf Kollegen raschelte mit einem Blatt, von draußen drang gedämpft der Sirenenton eines Polizeiautos herein.

Quentin Armadon, die Ehrfurcht einflößende Galionsfigur der berühmten Kanzlei, nickte Rebecca zu. Mit seiner silberweißen Mähne, die ihm bis zum Kragen seines tadellosen Anzugs reichte, dem aristokratischen Profil und dem scharfen Adlerblick wäre auch einem Außenstehenden sofort klar gewesen, wer hier das Sagen hatte. Dass der Name Armadon im Schriftzug der Kanzlei als erster aufgeführt war, lag ganz bestimmt nicht am Alphabet.

„Miss Miller hat sich als vielversprechender Neuzugang in unserer Firma erwiesen“, erklärte Quentin. „Sie hat es geschafft, einen Fuß ins Stone-Imperium zu bekommen. Ich muss sicher nicht erklären, wie lukrativ es wäre, diesen Mandanten in allen Belangen des Konzerns zu vertreten. Rebecca, bitte berichten Sie.“

Rebecca räusperte sich und straffte die Schultern. Selbstverständlich war sie perfekt vorbereitet und würde ihren mächtigen Chef nicht enttäuschen. Das hier war nach dem Studium ihre erste Anstellung und sie war unfassbar stolz, ausgerechnet bei einer der renommiertesten Kanzleien von ganz New York City untergekommen zu sein. An ihrer Präsentation hatte sie viele Stunden gearbeitet und würde nun ihre Kollegen gewaltig beeindrucken.

„Mir ist es gelungen, die anwaltschaftliche Vertretung von Global Invest zu übernehmen. Wie Sie sicher wissen, ist Global Invest eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Stone Konzerns. Durch meinen Einsatz wurde der CEO des Mutterkonzerns, Richard Stone, auf mich aufmerksam. Ich unterbreitete ihm ein Angebot unserer Kanzlei und er ließ mich als Test einen Plan zur Umgestaltung der Führungsebene ausformulieren. Mein Ziel ist es natürlich, den kompletten Stone-Konzern als Mandanten zu akquirieren.“

Sie klickte auf den Knopf einer winzigen Fernbedienung und sofort startete die Powerpoint Präsentation. Die Köpfe aller Anwälte wandten sich den von ihr erstellten Tabellen zu, die der Beamer an die Wand warf. Kein schlechtes Gefühl!

Hochkonzentriert erläuterte Rebecca die kurz- und mittelfristige Honorarplanung der diversen Szenarien und gab Informationen zum aktuellen Vertrag weiter.

Dass sie es geschafft hatte, an den begehrten Großkunden heranzukommen, lag allerdings nicht an ihrem immensen Verhandlungsgeschick, sondern am Step Aerobic-Kurs im Fitnessstudio „Body Kiss“, drüben in der 85ten Straße. Während des schweißtreibenden Trainings hatte sie sich nämlich mit Gwendolyn Morehouse angefreundet, der Chefsekretärin bei Global Invest. Die hatte Rebecca bei einem Eiweiß-Shake mit Goji-Beeren und Rucola den begehrten Termin mit ihrem Boss verschafft. Aber das musste sie den hier anwesenden Vollblutanwälten ja nicht auf die Nase binden.

„… und so bin ich guter Dinge, dass unsere Kanzlei sich bald über Großaufträge aus dem Stone-Konzern freuen kann“, schloss sie ihre Ausführungen. „Ich habe Mister Stone Senior und Junior bereits bei einem Meeting kennengelernt und die Kanzlei – wie ich hoffe – gewinnbringend vertreten.“

Einige der Kollegen nickten beeindruckt. Die Präsentation war gut gelaufen, da war sich Rebecca sicher. Trotzdem suchten ihre Augen die von Quentin, denn nur seine Meinung zählte. Er ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern rief den nächsten Kollegen auf, damit der seine Sammelklage gegen einen Einrad-Hersteller erläutern konnte.

Die fehlende Reaktion ihres Chefs verunsicherte Rebecca nun doch. Hatte sie etwas falsch gemacht? Nervös wippte sie unterm Tisch mit dem Fuß, der in eleganten Pumps steckte. Die waren zwar unbequem, insbesondere jetzt im Hochsommer und an den elend langen Arbeitstagen hier in der Firma, aber sie passten perfekt zu Rebeccas Kostüm und der lachsfarbenen Bluse. Als Neue und dazu als einzige Frau in dieser Herrenrunde musste sie sich dem eleganten Stil der Kanzlei anpassen. Bei ihr zu Hause waren alle nur in löchrigen Jeans oder ausgeleierten Shirts herumgelaufen, Rebecca hatte ihre Mutter kein einziges Mal in einem Rock gesehen. Dass die jüngste Tochter aufs College wollte, war ihren Eltern überhaupt nicht recht gewesen, sie waren einfache Arbeiter und wollten keine besserwisserische Studierte in der Familie. Doch Rebecca war früh klar geworden, dass sie nicht in der Imbissbude Hamburger braten und abends mit Frittierfett in den Haaren ins Bett fallen wollte. Ihr Fleiß und Ehrgeiz hatten sie hierher gebracht, nun würde sie diese Chance auf eine Bilderbuchkarriere zweifellos nutzen.

Als das Meeting vorbei war, stand sie genau wie ihre Kollegen auf, um den Sitzungssaal zu verlassen und sich wieder auf ihre Aktenberge zu stürzen. Doch Quentin Armadon stellte sich ihr in den Weg.

„Rebecca, bleiben Sie kurz hier“, sagte er und zog sein unvermeidliches Mundspray aus der Tasche, mit dem er sich in regelmäßigen Abständen frischen Atem verpasste. Der Boss hatte einen echten Spleen, was Hygiene anging. Er desinfizierte sich jedes Mal nach Kundenkontakt mehrfach die Hände und ließ sich täglich die Schuhe samt Sohlen putzen, unten bei Rajesh, der seinen Stand gleich am Ausgang des funkelnden Bürogebäudes aufgebaut hatte. Angeblich trug er auch seine Socken nur einen Tag und entsorgte sie dann, aber das war vielleicht nur ein böswilliges Gerücht. Auf jeden Fall war er einer der Top-Anwälte von New York und Rebecca verehrte ihn für seine Statistik der gewonnenen Fälle wie einen Popstar.

Nervös fuhr sie sich durch ihre schulterlangen Haare. War etwas mit dem Vortrag nicht in Ordnung gewesen? Quentin wartete, bis alle anderen den Raum verlassen hatten, dann wandte er sich ihr zu.

„Gute Arbeit. Ich sehe, es war die richtige Entscheidung, Sie hier einzustellen“, sagte er und ihr fielen die halben Rocky Mountains vom Herzen. Quentin war nicht unbedingt für seinen lobenden Führungsstil bekannt. „Da haben Sie sicher jede Menge Zeit hineingesteckt. Beschwert sich Ihr Verlobter denn nicht, wenn Sie ihn so vernachlässigen?“

Lächelnd winkte Rebecca ab. „Ach wissen Sie, der war am letzten Wochenende sowieso unterwegs. Drüben in Boston, ein Termin mit wichtigen Kunden. Er nimmt seinen Job ebenfalls sehr ernst.“

Ihr Verlobter war ehrgeizig, als hoch bezahlter Manager in der Automobilbranche tätig und – nicht real. Rebecca hatte ihn sich ausgedacht. Für eine Beziehung fehlten ihr Zeit und Lust, sie wollte sich ausschließlich auf ihre Karriere konzentrieren. Aber weil der Boss Wert auf geregelte Familienverhältnisse legte und die Kollegen oft von ihren Ehefrauen sprachen, hatte sie sich kurzerhand einen Lebensgefährten zusammengereimt.

Quentin sah sie durchdringend an. „Trotzdem sollten Sie sich um Ihr Privatleben kümmern. Nur wenn das in Ordnung ist, kann man auch im Job alles geben.“

Rebecca spitzte die Ohren. Es war ganz offensichtlich an der Zeit, eine andere Taktik einzuschlagen. Sie nickte eifrig.

„Keine Sorge, Mister Armadon. An diesem Freitag kommt er pünktlich von der Arbeit, das hat er mir versprochen. Und dann haben wir das ganze Wochenende für uns. Reine Entspannung, damit ich am Montagmorgen wieder fit bin für die Kanzlei.“

Zufrieden lächelte sie. Selbstverständlich hatte sie alles im Griff, gar kein Problem. Sogar ein Foto ihres imaginären Liebsten – aus einem Prospekt für ein Mittel gegen Haarausfall ausgeschnitten – steckte vorsorglich in ihrem Geldbeutel. Rebecca war wie immer perfekt vorbereitet. Sie hasste Überraschungen wie die Pest und war schon in der Schule dafür bekannt gewesen, immer alles gut durchzuplanen. Daran hatte sich bis heute nichts geändert.

„Das freut mich für Sie“, sagte Quentin. „Dann können Sie ihn am Samstag zum Dinner im ‚Per Se‘ mitbringen, nur ein kleiner Kreis. Randolph, Darren, ich und Sie, jeweils mit den Ehepartnern. Wenn man so viele Stunden zusammen arbeitet, muss man sich auch hin und wieder mal privat sehen. Ich freue mich schon darauf, Ihren Verlobten kennenzulernen!“

Damit drehte er sich um und verließ den Sitzungssaal mit den langen Schritten eines Mannes, der sich seiner Bedeutung bewusst ist.

Rebecca starrte ihm entsetzt hinterher. Verdammt!

Das war in ihrem Plan nicht vorgesehen. Wo zum Teufel sollte sie jetzt einen Verlobten herzaubern? Es blieb nur eine Möglichkeit – sie musste sich eine Ausrede für den Abend ausdenken. Irgendetwas Unabkömmliches. Einen Besuch bei einer kranken Tante. Oder dass ihr Lover leider mit einer Sommergrippe flach lag.

Nachdenklich schob sie ihre Unterlagen zusammen, steckte sie in ihre Mappe und schritt den Gang entlang, direkt auf ihr Büro zu.

Auf der rechten Seite öffnete sich eine Tür. Randolph Myers, ein aufgeblasener Wichtigtuer, der sich auf Scheidungen spezialisiert hatte, kam heraus. Als er sie sah, nickte er ihr zu.

„Gut gemacht, Rebecca. Du hast offenbar sogar San Quentin beeindruckt! Er hat mir gesagt, dass du auch zum Quartalsdinner eingeladen bist. Das schafft kaum jemand so schnell.“

Rebecca hasste es, wenn jemand den Chef „San Quentin“ nannte, in Anspielung auf das berühmte Gefängnis in Kalifornien. Er hatte wirklich mehr Respekt verdient! Aber es stand ihr nicht zu, ihren Kollegen in die Schranken zu weisen. Noch nicht.

„Was meinst du mit ‚Quartalsdinner‘?“, fragte sie Randolph.

„Eine super wichtige Angelegenheit. Einmal im Vierteljahr lädt Quentin diejenigen Anwälte zum Essen ein, die ihm besonders positiv aufgefallen sind. Schafft man es innerhalb eines Jahres nicht, dort zum Austernschlürfen vorgeladen zu werden, kann man seine Sachen packen. Er ist da knallhart.“

Rebeccas Hals war mit einem Mal völlig zugeschnürt.

„Und die Ehepartner?“, presste sie hervor.

„Die nimmt er auch unter die Lupe, ist doch klar. Wer für ‚Armadon, Hall and Piddlefield‘ arbeitet, hat kaum Privatleben. Deshalb ist es Quentin wichtig, dass die Partner das unterstützen. Hat er den Verdacht, dass das heimische Umfeld zu viel Kraft kostet, ist man schnell weg vom Fenster.“

Damn it!

Erst jetzt wurde Rebecca klar, wie tief sie in der Patsche saß. Absagen war quasi unmöglich. Und auch die Krankheitssache würde nichts helfen, denn irgendwann lud sich Quentin ganz sicher ihren hoch dotierten Manager der Automobilindustrie vor.

„Wo ist die Akte zum Weldon-Fall?“, rief einer der Seniorpartner dazwischen und Rebecca eilte in ihr Büro, um die Unterlagen zu holen, an denen sie gearbeitet hatte. Sie musste sich jetzt auf den Job konzentrieren, über das Dinner würde sie später nachdenken. Irgendeine Lösung fiel ihr sicher ein.

Vier Stunden später war sie auf dem Weg in ihre Wohnung. Da ihr Gehalt größtenteils für die Rückzahlung des College-Darlehens draufging, konnte sie sich nur ein Zimmer in einer WG leisten. Es wurmte sie immer noch, dass eine Handvoll geistig unterbelichteter Football-Spieler aus ihrer Highschool sich aufgrund von Sportstipendien das beste College hatten aussuchen können, während sie als Jahrgangsbeste noch heute den Kredit abstotterte. Sie investierte ihren Lohn in elegante Kleidung und einen guten Friseursalon, neulich hatte sie sich sogar einen echten Montblanc-Füller geleistet. Niemand in der Kanzlei sollte erfahren, dass ihr Vater bei „Fred’s Burger Heaven“ arbeitete und ihre Mutter bei Walmart an der Kasse saß. Das würde einfach nicht zum Stil von „Armadon, Hall and Pidddlefield“ passen, denn ihre Kollegen unterhielten sich gemeinhin über ihre Golfhandicaps und die Wertpapierdepots ihrer Eltern. Rebecca wollte auf keinen Fall negativ auffallen, sondern sich in die Kanzlei einfügen wie die Tintenpatrone in die glänzende Öffnung ihres Schreibgerätes.

Dazu gehörte dummerweise auch ein Begleiter für das Quartals-Dinner. Noch in der U-Bahn verfluchte sie sich dafür, dass sie kaum Kontakte pflegte. Aus ihrem Bekanntenkreis konnte sie also keinen Pseudo-Verlobten rekrutieren. Blieben also nur zwei Männer übrig: Jamie und Mo, ihre WG-Mitbewohner.

Rebecca stieg an der Station am Union Square aus und ging zwei Blöcke der 15. Straße entlang, bis sie zum Mietshaus kam, in dem sie wohnte. Als sie die Treppe nach oben stieg, hörte sie schon erste Reggae-Töne. Ganz offensichtlich war Mo bereits zu Hause. Er kam zwar aus Wisconsin statt aus Jamaika, fühlte sich aber trotzdem wie die bleiche Reinkarnation von Bob Marley. Mo jobbte in einem Plattenladen am Washington Square drüben in Greenwich und Rebecca hatte das Gefühl, dass er selbst sein bester Kunde war. Zumindest stapelten sich CDs und alte Vinylscheiben in jeder Ecke seines Zimmers.

„Hey, Baby, alles klar?“, begrüßte er sie, als sie im Flur aus ihren Pumps schlüpfte. Er trug ein Batik-Shirt mit Hanfblatt-Muster und seine Rastalocken hüpften im Takt zur Musik.

Rebecca entschied, dass es eine unlösbare Aufgabe sein würde, aus ihm einen repräsentativen Manager in der hochpreisigen Automobilbranche zu machen. Sie hatte den flippigen Kerl wirklich in ihr Herz geschlossen, aber als seriösen Geschäftsmann konnte sie ihn beim besten Willen nicht verkaufen.

„Yo, alles easy“, erwiderte sie, ging in ihr Zimmer und warf sich in bequemere Klamotten. In ihrem Kleiderschrank war natürlich alles penibel einsortiert, schließlich wollte sie niemals in einem Chaos leben wie ihre Schwester Rhonda. Sie räumte ihr Business-Outfit auf, wobei sich ihre Gedanken ausschließlich um das anstehende Dinner drehten. Ihre einzige Hoffnung war Jamie.

Um ihn für diese Mission zu begeistern, musste sie sich einen ordentlichen Plan zurechtlegen, aber das war schließlich Rebeccas Stärke. Sie setzte sich aufs Bett und machte eine gedankliche Liste. Jamie hatte eine halbwegs gute Schulbildung, mit etwas Coaching würde er geschäftlichen Smalltalk hinbekommen. Punkt eins war somit abgehakt.

Sein Look war nicht berauschend, aber annehmbar. Er trug einen Kurzhaarschnitt und an beiden Unterarmen großflächige Seeungeheuer. Mit einem langen Hemd und Sakko würde man die Tattoos verstecken können. Zwei Straßen weiter war ein Kostümverleih, da könnte sie ihm einen tollen Anzug besorgen. Das Aussehen passte also auch.

Punkt drei auf ihrer Liste war etwas heikler, denn sie mussten schließlich ein verliebtes Paar spielen. Rebecca wusste, dass Jamie ein bisschen auf sie stand, wollte ihm aber keine Hoffnungen machen. Sie hatte im Moment keinerlei Interesse an einem Boyfriend. Das würde sie einfach vorab klären und alles war okay.

Erleichtert stand sie auf, band ihre Haare zu einem Pferdeschwanz und verließ voll Tatendrang ihr Zimmer, weil sie gerade die Wohnungstür gehört hatte.

Sie fand Jamie in der Küche, wo er am Herd stand und sich irgendetwas in der Pfanne brutzelte.

„Jamie, ich habe ein Riesenproblem. Du bist der einzige, der mir helfen kann“, begann sie und setzte sich hinter ihn an den kleinen Esstisch.

„Lass mich raten: Über deinem Bett sitzt eine Spinne?“ Er schlug ein Ei auf und gab klein geschnittene Zwiebeln ins Essen.

Rebecca lachte. „Nein, dieses Mal ist es etwas anderes. Ich bin zu einem Dinner eingeladen und mag nicht ohne Begleitung hingehen. Deshalb dachte ich, du hättest vielleicht Lust mitzukommen.“

„Eine Party?“ Pfeffer und Tabascosoße folgten. Rebecca musterte Jamies athletischen Rücken, der ihr durchaus gefiel. Es war fast schon sexy, wie sein Hintern wackelte, während er eifrig rührte.

„Eher ein Geschäftsessen.“

„Ne, sorry, auf steife Anwälte habe ich wirklich keinen Bock.“

Mist. Sie hatte schon erwartet, dass das ein Problem darstellen würde. Jamie war Grafikdesigner und Anarchist, außerdem spielte er leidenschaftlich Bass in diversen Bands. Mit Anzugträgern hatte er nicht viel am Hut. Aber wie alle Musiker hatte er etwas anderes, nämlich chronische Geldsorgen.

„Es ist echt wichtig für mich“, sagte Rebecca. „Ich gebe dir sogar fünfzig Dollar, wenn du mich begleitest.“

„Fünfzig Mäuse?“ Jamies Schultern strafften sich. „Dann haben wir ‘nen Deal!“

Rebecca grinste zufrieden. Na also. War doch gar nicht so schwer gewesen. Doch als Jamie sich umdrehte, einen Untersetzer auf den Tisch warf und die Pfanne schwungvoll darauf stellte, starrte sie ihn fassungslos an.

„Was ist das?“ Sie deutete auf seine Nase. Dort glänzte etwas Metallisches, das da Rebeccas Meinung nach absolut nichts zu suchen hatte.

„Cool, oder?“, sagte er, nahm sich eine Gabel und begann in aller Seelenruhe, das Essen in sich hineinzuschaufeln.

„Du hast ein Piercing!“, rief Rebecca schrill.

„Hey, du hörst dich an, als sei das der Untergang des Abendlandes. Ist doch nichts Außergewöhnliches.“ Jamie sah sie an, als wäre sie die größte Spießerin des ganzen Bundesstaates.

„Für einen Manager in der Automobilbranche schon! Kannst du das Ding rausmachen?“

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Du redest wirres Zeug. Hast du was von Mos Keksen gegessen? Ich arbeite immer noch als Grafiker, nicht als Manager. Und nein, das muss erst verheilen, hab das Ding ja heute erst stechen lassen. Tat übrigens gar nicht mal so weh.“

Verflucht!

Rebecca sparte sich die Erklärung und stand auf. So konnte sie Jamie auf gar keinen Fall auf den stets gepflegten und frisch gebügelten Quentin loslassen. Was sollte sie nur tun?

Mo steckte seinen Kopf in die Küche.

„Die Jungs kommen gleich, wir proben ein paar neue Stücke. Bist du fertig, Jamie? Dann bauen wir die Anlage auf.“

Auch das noch. Rebecca hatte null Lust auf eine Horde kiffender Möchtegern-Musiker, die nach dem einzig wahren Groove suchten. Normalerweise hörte sie gerne bei den Proben zu, aber heute wäre das eindeutig zu viel. Sie marschierte in ihr Zimmer, zog ihre Sporttasche unterm Bett hervor und machte sich auf den Weg ins Fitnessstudio. Dort begann in einer halben Stunde ein Poweryoga-Kurs und der war herrlich ruhig im Vergleich zu ihrer Wohnung.

 

*

 

Frisch gedehnt, aber nicht wirklich entspannt, saß Rebecca zwei Stunden später an der kleinen Bar des Studios. Gwendolyn Morehouse ließ ihre Tasche neben sich fallen und zog einen Barhocker heran. Ihr blonder Bob hatte auch nach den Verrenkungen auf der Bodenmatte noch scharfe Kanten, im Gegensatz zu ihren Formen, die eher gut gerundet waren. Da half auch der viele Sport nichts, sie hielt sich eben nicht so konsequent wie Rebecca von Süßem fern.

„So richtig relaxt siehst du nicht aus“, stellte Gwen fest. „Fandest du den Kurs nicht gut?“

„Es liegt nicht am Yoga, sondern an einem Hinkelstein von Problem, das ich mit mir herumschleppe.“ Sie legte ihrer Sportkameradin kurz dar, worum es ging.

Gwen zog am Strohhalm ihres Joghurt-Fruchtshakes mit Heidelbeeren und sah dann auf.

„Wieso hast du dir überhaupt diesen Verlobten ausgedacht? Du hättest doch einfach sagen können, dass du Single bist.“

Doch Rebecca schüttelte den Kopf. „Das wird nicht gern gesehen. Quentin Armadon stellt nur Leute mit geregeltem Privatleben ein, das hat mir eine Insiderin geflüstert. Singles stehen bei ihm nicht hoch im Kurs, die sind angeblich zu unzuverlässig.“

„So ein Idiot“, schimpfte Gwen, die ebenfalls keinen Mann vorweisen konnte. „Du hast also gleich beim Vorstellungsgespräch geflunkert?“

„Klar. Ich dachte, ich könnte die angebliche Verlobung ja lösen, wenn ich erst einmal in der Kanzlei Fuß gefasst hätte. Habe das dann aber irgendwie vergessen.“

„Oder dir gefiel die Idee von einem tollen Manager-Verlobten, der dich daheim auf Rosen bettet.“

Rebecca seufzte. Ein bisschen hatte Gwen damit ja recht. Es war tatsächlich eine schöne Sache gewesen, den anderen von gemeinsamen Wochenenden zu erzählen, von Theaterbesuchen und Candlelight Dinnern im Liebesnest. Manchmal hatte sie fast selbst daran geglaubt, gerade von einem spannenden Ausflug mit ihrem Lover zurückgekommen zu sein. Es schlichen sich durchaus Abende und Nächte in ihr Leben, in denen sich das Alleinsein nicht besonders prickelnd anfühlte.

„Na ja, wenn du keinen Freund hast, dann miete dir eben einen“, sagte Gwen und schlug die kleine Speisekarte auf. „Weißt du zufällig, wie viele Kalorien ein Caesar’s Salad hat?“

Wie vom Blitz getroffen starrte Rebecca ihre Freundin an.

„Mieten?“, wiederholte sie, ohne auf den Salat einzugehen.

Gwen rollte mit den Augen. „Natürlich! Das macht doch fast jede. Ruf bei ‚Angel Escort‘ an und buch dir Christopher, den nehme ich immer. Der Mann ist einfach ein Traum!“

Ihr Blick verschleierte sich und sie lächelte glückselig. Dann winkte sie den Ober herbei und bestellte eine Baked Potato mit doppelter Portion Sourcream.

Rebecca rückte näher heran.

„Du hast dir eine männliche Hostess gemietet?“, fragte sie mit ungläubig kratzender Stimme.

„Mein Gott, du klingst ja, als hätte ich vier griechische Lustknaben für eine Orgie bestellt! Es ging doch nur um eine Begleitung, genau wie bei dir. Ist keine große Sache. Wie gesagt, Christopher ist dein Mann! Unglaublich attraktiv, ein Typ wie aus der Parfumwerbung, elegant, redegewandt und ein echter Gentleman. Jeder wird dir abkaufen, dass er dein Manager-Lover ist. Und wenn du ein Scheinchen drauflegst, kannst du ihn auch noch die ganze Nacht behalten.“

Gwen kicherte wie ein junges Mädchen.

Angewidert lehnte Rebecca sich zurück. „Das habe ich nicht vor. Ich brauche ausschließlich jemanden, der bei einem Dinner im Nobelschuppen meinen Verlobten spielt. Und zwar mit Stil.“

Die Freundin nickte und schlürfte lautstark ihren Shake leer.

„Den hat er auf alle Fälle. Er kennt sich mit Politik aus, mit Wirtschaft und Kunst. Ein echter Volltreffer, total kultiviert. Ich glaube, er lässt seine Anzüge sogar maßschneidern. Glaub mir, wenn Christopher von der Entwicklung des Dow Jones erzählt und dir gleichzeitig tief in die Augen schaut – da beneidet dich jede einzelne Frau im Lokal um diesen Mann. Ich kriege schon Gänsehaut, wenn er nur das Wort ‚Bruttosozialprodukt‘ ausspricht.“ Gwen seufzte träumerisch. „Ruf am besten heute noch an und buche dir deinen Mister Elegant. Du wirst sehen, ihr werdet einen absolut fabelhaften Abend haben.“

Rebecca strahlte. Das klang nach einem Plan ganz nach ihrem Geschmack. Als Gwen verschwand, um sich die Nase zu pudern, holte Rebecca ihr Handy hervor und ließ sich von der Auskunft mit „Angel Escort“ verbinden. Für einen Mann, der sich so gut in der Finanzwelt und dem Big Business auskannte, dazu noch elegant und klug war, würde sie sogar ein paar Dollar ausgeben. Von jetzt an würde alles perfekt laufen, das spürte sie!

 

2. Elegant Dinner for Eight

 

 

Am Samstagabend, um drei Minuten nach halb sieben, lief Rebecca in ihrem Zimmer auf und ab wie ein Raubtier, das frisch im Zoo gelandet war. Langsam wurde es Zeit! Alle dreißig Sekunden riss sie ihr Handgelenk hoch und starrte auf ihre Armbanduhr. Sie trug ein schwarzes Kleid, das elegant, aber trotzdem bescheiden wirkte, dazu täuschend echt aussehende Brillantohrringe und eine Hochsteckfrisur, die Sandy ihr aufgeschwatzt hatte.

„Glaub mir“, hatte die Hairstylistin beteuert, „mit dieser klassischen ‚Banane‘ am Hinterkopf wirst du rüberkommen wie Grace Kelly. Und jeder Mann liebt die gute Grace! Ich finde sowieso, du hast eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr. Diese kühle Eleganz, hach, dafür beneide ich dich.“

Sandy, die gern schrille Frisuren und knallbunte Outfits trug, hatte herzerweichend geseufzt und dann mit resoluten Strichen weitergebürstet.

Rebecca war sich nicht sicher, ob der Grace Kelly-Style für eine Anwältin wirklich erstrebenswert war und ob kühle Eleganz etwas Beneidenswertes darstellte, aber sie konnte die sorgfältig eingeschlagenen Haare sowieso nicht mehr lösen. Außerdem war sie inzwischen dazu übergegangen, sich nicht mehr über ihr Aussehen, das ihrer Meinung nach keineswegs mit der ebenmäßigen Leinwandschönheit zu vergleichen war, zu ärgern. Vielmehr regte sie sich über die Verspätung des gebuchten Begleiters auf.

Sie hatte bei der überaus freundlichen Telefondame von „Angel Escort“ angegeben, dass Christopher um Punkt halb sieben in ihrer Wohnung sein sollte. Es gab schließlich noch eine Menge Details durchzugehen. Rebecca warf zum wiederholten Mal einen Blick auf die Liste, die sie vorbereitet hatte und in der alle wichtigen Punkte akribisch genau aufgeführt waren.

Viertel vor sieben!

Allmählich wurde es Rebecca richtig flau im Magen. Um halb acht begann das Dinner, sie mussten aber vorher noch mit dem Taxi rauf zum Columbus Circle, wo sich das Sternelokal „Per Se“ befand. Natürlich wollte sie auf jeden Fall pünktlich sein und der Verkehr in Manhattan am Samstagabend war nicht zu unterschätzen.

Als ihr Handy vibrierte, zuckte sie zusammen.

Eine SMS, Nummer unbekannt. Das war sicher Christopher. Hoffentlich würde er rechtzeitig kommen! Nervös rief sie den Text auf.

„Hatte Ärger mit dem Bentley. Ich schaffe es aber, wenn wir uns direkt in der Lobby des Time Warner Centers treffen, vor den Aufzügen. Durch die blaue Tür gehen wir dann gemeinsam.“

Rebecca las die Nachricht zweimal. Erst wusste sie nicht, von welcher Tür er sprach, aber dann fiel ihr ein, dass man das berühmte Restaurant durch diese betrat. In irgendeinem Magazin hatte sie ein Foto davon gesehen. Im Gegensatz zu ihr war Christopher also schon im „Per Se“ gewesen. Diese Tatsache und die Erwähnung eines Bentleys beruhigte sie so sehr, dass sie ihm sogar die Verspätung verzieh. Gwendolyn hatte recht gehabt, er war ein Mann mit Stil. Fuhr mit einem britischen Luxuswagen vor, das konnte nun wirklich nicht jeder. Und wie passend die Wahl der Marke war! Sie hatte schließlich bei der Buchung angegeben, dass er als Manager in der Automobilbranche auftreten musste. Als würde er Gedanken lesen, hatte er sich für einen hochpreisigen Wagen entschieden, sicher nur geliehen, aber das war egal. Dieser Christopher wusste genau, worauf es ankam.

Rebecca fühlte sich erstaunlicherweise viel ruhiger nach diesem ersten Kontakt, obwohl sie Verzögerungen hasste. Aber dieser Mann war ein Profi, das spürte sie aus jedem Buchstaben, den er ihr geschickt hatte.

Schnell schrieb sie zurück.

„Perfekt! Ich werde in der Halle warten, mittelgroß, schwarzes Kleid, hellbraune Haare, Grace Kelly-Frisur.“

Anschließend nahm sie ihre kleine Handtasche und ging nach unten auf die 15. Straße, um sich eines der gelben Cabs heranzuwinken und sich in Richtung Central Park chauffieren zu lassen. Kaum saß sie auf der Rückbank, meldete ihr Handy eine neue Nachricht.

„Keine Sorge, ich werde dich auf jeden Fall erkennen, auch ohne Beschreibung.“

Rebecca lächelte. Ihr Herz begann schneller zu klopfen, als sie Christophers Sätze las. So aufgeregt war sie schon lange nicht mehr gewesen, und das lag nicht nur am wichtigen Geschäftsessen. Sie stellte erstaunt fest, dass sie sich richtig auf ihren charmanten Begleiter freute. Es war ewig her, dass sie mit einem Mann Essen gegangen war, und die Vorstellung, ausnahmsweise mal nicht alleine oder mit Freundinnen in einem Lokal zu sitzen, gefiel ihr von Minute zu Minute mehr.

Als sie nach der Ankunft vor dem Time Warner Center zahlte und ausstieg, konnte sie es kaum mehr erwarten, Christopher endlich zu sehen.

In der Lobby bei den Lifts angekommen, ging sie ein paar Minuten auf und ab, aber dann entschloss sie sich, vor einer Plakatwand zu warten und so zu tun, als würde sie die Poster studieren. Aus den Augenwinkeln blickte sie natürlich ständig auf die Tür. Irgendwo im Center spielte eine Jazz-Combo „Fly me to the moon“ und der würzige Geruch frisch gerösteter Kaffeebohnen drang aus einem Café bis zu den Aufzügen.

Dann sah sie ihn.

Sie erkannte ihn sofort. Zwischen all den anderen Menschen, die durch die gläserne Eingangstür strömten, stach er heraus wie ein Diamant aus einer Handvoll Kieselsteine.

Ihr Begleiter für den heutigen Abend kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu, lässig und selbstbewusst. Seine schwarzen Schuhe glänzten in den einfallenden Strahlen der Abendsonne. Wer auch immer seinen Anzug geschneidert hatte, verstand sein Handwerk, denn der Stoff brachte Christophers Körper perfekt zur Geltung. Rebecca vergaß fast, zu atmen, als der Mann sich weiter näherte. Sein dunkles Haar war mit einem Hauch von Gel in Form gebracht worden und unterstrich seine markanten Züge. Das kräftige Kinn und die gerade Nase passten zu seiner maskulinen Ausstrahlung, ebenso wie die dunkelbraunen Augen, die unter dichten Brauen wie blank polierte Kastanien schimmerten. Rebecca roch ein herbes Aftershave, das sie an altes Leder, Mahagoniholz und ein bisschen an den Geruch von Benzin erinnerte. Nur ein echter Mann konnte so ein Parfüm tragen.

Sie hatte nach der Unterhaltung mit Gwen aus unerfindlichen Gründen einen blonden Mann erwartet, aber dieser hier hatte die geheimnisvoll dunkle Aura eines Latin Lovers. Sein Lächeln begann bei den Augen und war pure Verheißung, sein Blick versprühte Funken.

Rebecca musste schlucken. So wie es aussah, hatte Gwen tatsächlich nicht übertrieben. Dieser Christopher war elegant, stilvoll und unfassbar attraktiv. Er strahlte die Selbstsicherheit eines Mannes aus, der wusste, worauf es ankam. Im Job eiskalter Geschäftsmann, privat gebildeter Gesprächspartner. Und in der Nacht überaus talentierter Verführer. Sie war völlig hingerissen von seinem Charisma.

Als er ihr – noch ohne ein Wort – die Hand entgegenstreckte, schien die Luft zu knistern, als stünde man direkt unter einer Hochspannungsleitung. Rebecca ergriff Christophers Finger und ein heißes Prickeln durchlief ihren Körper. Sie waren rau und fest, nicht die Hände eines Schönlings, sondern die eines echten Mannes. Herrlich maskulin.

Ihr Blick traf den seinen und sie merkte, wie ihre Knie leicht zitterten.

Dann hörte sie zum ersten Mal seine Stimme, dieses heisere Timbre fuhr ihr sofort mitten in den Bauch. Zumindest, bis seine Worte in ihrem Gehirn ankamen.

„Hallo, meine Süße. Ich bin Logan“, sagte er. „Dann werden wir deine Anwaltsfuzzis mal gehörig aufmischen.“

Völlig versteinert starrte Rebecca ihn an. Sie war so verdutzt, dass sie erst beim zweiten Anlauf ein Wort herausbrachte.

„Logan?“, wiederholte sie krächzend.

„Genau. Christopher hat sich irgendeinen dämlichen Virus eingefangen, deshalb hab ich seinen Job übernommen.“

Sie zog ihre Hand, die er immer noch festhielt, zurück. Hatte er tatsächlich von „Anwaltsfuzzis“ gesprochen? Und von „aufmischen“?

Der Glanz, der noch vor ein paar Momenten von ihm ausgegangen war, als wäre er ein überirdisches Wesen, schien plötzlich verschwunden zu sein. Rebecca stellte fest, dass ein dunkler Bartschatten auf seinem Kinn lag und sein oberster Hemdknopf unter der Krawatte offen stand.

„Wir müssen noch einiges durchgehen.“ Sie zog eilig die Liste aus ihrer Handtasche. „Du weißt Bescheid, dass du einen Manager spielst, oder? Kennst du dich aus in der Automobilbranche?“

„Kein Thema, Sweetheart, bei Autos macht mir keiner was vor.“ Er grinste erschreckend selbstsicher.

Na immerhin.

„Nenn mich nie wieder Sweetheart!“, erwiderte sie und sprach schnell weiter. „Du bist viel unterwegs, wir gehen gerne ins Theater, du wohnst noch in deiner eigenen Wohnung, wir wollen aber zusammenziehen, sobald es in deinem Job ruhiger ist.“

„Aye, Captain.“ Sein Lächeln war so breit, dass Rebecca sich fragte, ob es freundlich oder unverschämt war. Aber sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn es gab noch jede Menge zu klären.

„Für mich hängt immens viel von diesem Abend ab“, erklärte sie. „Ich muss unbedingt einen guten Eindruck auf Quentin Armadon machen, das ist der Boss der Kanzlei.“

„Das bekomme ich hin. Ich habe ein gutes Gespür für Menschen. Meist braucht man ihnen gar nicht allzu viel vorzuspielen, sondern ist am besten man selbst.“ Er schnipste einen Fussel von seinem Anzugärmel.

Allmählich geriet Rebecca in Panik. Lässigkeit war ja etwas Schönes, aber doch nicht, wenn es um den stets perfekten Quentin ging!

„Überlass einfach mir das Reden“, schlug sie vor. „Dann geht nichts schief. Vorher noch ein paar Dinge zu uns.“ Sie checkte kurz die Liste. „Und mach um Himmels willen deinen Kragen richtig zu!“, sagte sie, bevor sie rasch die weiteren Details mit ihm klären wollte.

Logan lockerte die Krawatte und fummelte ungeschickt am obersten Knopf herum. Entnervt verdrehte Rebecca die Augen. Was hatte sie nur angerichtet? Dieser Kerl hielt sich zweifelsohne für den tollsten Mann unter der Sonne, hatte aber schon mit dem Hemdkragen Probleme! Jetzt fiel ihr sogar ein, warum ihr sein Name bekannt vorkam. War „Logan“ nicht einer der X-Men? Das passte zu diesem Typen, sich als Superheld auszugeben. Dabei hätte sie so dringend einen bescheidenen, seriösen und makellosen Begleiter gebraucht, um bei dem Dinner einen perfekten Eindruck zu hinterlassen.

Sie schob die Liste, die sie inzwischen auswendig konnte, in ihre Handtasche und seine Hände von seinem Kragen.

„Lass mich das machen“, beschloss sie und legte selbst Hand am widerspenstigen Knopf an. Ein wenig Zeit blieb noch, da würde sie Logan alles eintrichtern, was sie sich über ihr Kennenlernen zurechtgelegt hatte. Bei einer Vernissage war es passiert, so hatte sie es sich ausgedacht. Moderne Kunst kam sicher gut an. Das musste sie ihm nur noch einbläuen.

Eine Stimme ließ sie erstarren.

„Gefummelt wird später“, hörte sie Quentin Armadon sagen. „Aber schön, dass Sie beide so pünktlich sind. Das mag ich.“

Rebecca fuhr herum.

„Mister Armadon!“, rief sie überrascht und spürte, wie sie rot anlief. Sie war noch nicht bereit!

Doch es gab kein Zurück mehr. Der Boss, wie immer im tadellosen Anzug und faltenfreien Hemd, schüttelte erst ihre Hand und streckte sie dann ihrem Begleiter entgegen.

„Sie sind also Rebeccas Verlobter. Schön, Sie kennenzulernen. Es ist ein Graus mit den engen Kragen, stimmt es?“

„Logan Rodriguez, ebenfalls sehr erfreut. Oh ja, da haben Sie recht. Aber ich fürchte, in T-Shirts lässt man uns nicht ins ‚Per Se‘ hinein.“

Er schenkte Quentin eine Art kumpelhaftes Lächeln, das seinen Zweck ganz offensichtlich nicht verfehlte.

„Kommen Sie, wir genehmigen uns einen Aperitif, bevor die anderen kommen“, beschloss Rebeccas Boss und drückte auf den Aufzugsknopf. Hinter ihm stand seine Frau Edna, eine klapperdürre Kleiderstange um die fünfzig mit gelangweiltem Blick, hängenden Mundwinkeln und dem teuersten Schmuck, den Rebecca jemals gesehen hatte. Selbst ihr Händedruck war spröde. Langsam wurde Rebecca klar, warum ihr Boss so selten lächelte.

Er betrat als erster den Lift und wählte den vierten Stock. Anschließend zog er ein kleines Feuchttuch aus seiner mitgebrachten Aktentasche und desinfizierte sich damit die Hand. Logan beobachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, ließ das Ganze aber zum Glück unkommentiert.

Im „Per Se“ angekommen, wurde Quentin vom Chefkoch persönlich begrüßt und seine Austernbestellung bestätigt. Danach nahmen sie an einem Tisch am Fenster Platz, der beste Aussicht über den Columbus Circle bot. Eine sehr junge Kellnerin, die etwas unsicher wirkte, brachte vier Martini on the Rocks.

Nach ein wenig Smalltalk kamen auch Randolph und Darren mit ihren Frauen an. Die Kollegen beäugten Rebeccas Begleiter neugierig. Quentin hatte darauf bestanden, dass Rebecca neben ihm saß, was sie ein wenig verunsicherte. Sie kam sich vor wie bei einem wichtigen Bewerbungsgespräch, wobei man auch noch ein mehrgängiges Menü meistern musste, und war angespannt. Es lag auf der Hand, dass ihr Boss einiges über sie erfahren wollte, und sie war sich nicht sicher, ob ihr schrecklich uninteressantes Privatleben seinen Ansprüchen genügen würde.

„Was machen eigentlich Ihre Eltern, Rebecca?“, ging es auch los, kaum dass die erste Vorspeise – ein Salat aus violetten Artischockenherzen, Kumquats und Rettich – serviert worden war.

Rebeccas Puls beschleunigte sich. Nun musste sie bereits zum ersten Mal flunkern.

„Mein Vater ist in der Lebensmittelindustrie tätig. Er leitet ein kleines Food Imperium, wenn ich es so nennen darf.“ Das war nicht ganz gelogen, denn bei „Fred’s Burger Heaven“ hatte er immerhin noch eine koreanische Küchenkraft unter sich, die Zwiebeln schnitt.

„Und Mom sorgt zu Hause dafür, dass alles perfekt ist.“ Wenn sie nicht gerade an der Walmart-Kasse saß. „Es gibt ja doch ab und zu gesellschaftliche Verpflichtungen, die recht aufwendig sind.“ Zum Beispiel das BBQ mit den Nachbarn, wo der einzige Beitrag ihrer Mutter darin bestand, fünf gesalzene Maiskolben in die Mikrowelle zu schieben.

„Sehr schön“, nickte Quentin. Offenbar hatte ihn ihre Antwort zufriedengestellt. Er aß ein paar Bissen Salat und wandte sich danach an Randolphs Begleitung, sodass Rebecca sich entspannen konnte.

„Wie läuft es bei meiner Lieblingsgeigerin?“, fragte er die zierliche Brünette. Sie hieß Victoria und spielte offenbar in einem der berühmten New Yorker Orchester. Das passte zu dieser eleganten Erscheinung mit den feingliedrigen Händen. Rebecca war sehr froh, dass sie einen Manager an ihrer Seite vorzuweisen hatte. Mit allem anderen hätte sie sich in dieser Runde sicher disqualifiziert.

Eine riesige Platte mit Austern wurde herangetragen und der Chefkellner beobachtete mit Argusaugen seine junge Kollegin, die den passenden Weißwein in die Gläser goss.

Erst jetzt fiel Rebecca auf, dass Quentin ein flaches Täschchen neben den Teller gelegt hatte, aus dem er sein eigenes Besteck hervorzog. Die Salatgabel, die nun auf einer Serviette ruhte, trug am Griff in verschnörkelter Gravur seine Initialen. Also, ein klein wenig übertrieb er es schon mit seinem Hygienewahn, fand Rebecca, versuchte aber, den nun hervorgeholten funkelnden Löffel nicht weiter zu beachten.

Logan schaufelte sich beherzt Austern auf seinen Teller, während Rebecca mit ihrem Ekel zu kämpfen hatte. Dieses Glibberzeug sollte sie nun essen? Widerwillig griff sie zur Zange und legte sich zwei der Muscheln auf den Teller. Gerade, als sie eine davon in ihren Mund leerte und die Auster nur mit viel Überwindung schlucken konnte, drehte sich Quentin zu Logan.

„Sie sind in der Automobilindustrie tätig, wenn ich mich recht entsinne?“

Logan schlürfte seine Auster leer und nickte. „Genau. Ich repariere alte Chevys und Fords und so Sachen.“

Rebeccas lautes Husten ließ alle am Tisch zusammenzucken. Hatte Logan den Verstand verloren?

Sie tat so, als hätte sie sich an einer dieser ekelhaften Austern verschluckt, was nur dazu führte, dass Logan ihr mitfühlend auf den Rücken klopfte. Der Hustenanfall hatte die Kollegen leider nicht wie erhofft von seiner Aussage abgelenkt.

„Sie sind Automechaniker?“, wiederholte Randolph und das Entsetzen in seiner Stimme war deutlich zu hören.

„Wir dachten, Rebeccas Verlobter ist Manager“, mischte sich nun auch Darren ein und sah sie so vorwurfsvoll an, dass sie am liebsten an Ort und Stelle im Boden versunken wäre.

„Alte Chevys?“, donnerte Quentins mächtige Stimme über den Tisch.

Instinktiv zog Rebecca den Kopf ein. Ihr brach der kalte Schweiß aus, denn nun ging es ihr an den Kragen. Der Boss fand es mit Sicherheit nicht witzig, dass sie ihm Märchen über ihren Verlobten aufgetischt hatte. Ja, er würde ganz bestimmt auch nachbohren, was die Jobs ihrer Eltern betraf, und am Ende würde ihr sorgsam zurechtgelegter Lebenslauf wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen. Und ihre Karriere dazu, denn Lügnerinnen würde die Kanzlei „Armadon, Hall and Piddlefield“ garantiert nicht weiterbeschäftigen.

Verflucht!

Alles nur, weil dieser idiotische Logan sich nicht an die Absprachen hielt!

„Ja“, sagte dieser ungerührt. „Ich bin Mechaniker bei ‚Eddie’s Classic Cars‘. Wir haben uns auf Oldtimer spezialisiert. Gerade heute hatte ich Ärger mit einem 52er Bentley, das Getriebe machte Zicken.“

Hatte Logan einen Knall? Statt sich wenigstens als Chef der Werkstatt zu verkaufen oder irgend so was, um ihren Kopf zu retten, laberte er jetzt völlig deplatziert von uninteressanten Schrottteilen! Sie hätte ihm jetzt gerne gegen sein Schienbein getreten.

„R-Type oder Mark IV?“, fragte Quentin und seine Augen leuchteten mit einem Mal, als hätte jemand den Weihnachtsbaum am Rockefeller Center angeknipst.

„Mark IV. Einer der letzten, die gebaut wurden. Sie kennen sich aus mit Classic Cars?“

Plötzlich kam es Rebecca vor, als wären die anderen Anwälte abgeschrieben. Quentin hatte nur noch Augen für Logan. Er drehte sogar seinen Stuhl etwas zur Seite, um sich besser mit ihm unterhalten zu können.

„Ich habe unter anderem einen 41er Chevrolet.“ Quentin klang so stolz, als würde er von einem Sohn sprechen, der die Law School summa com laude abgeschlossen hatte.

„Das Coupé?“

„Ganz genau.“

„Wow. Netter kleiner Wagen“, bestätigte Logan, lächelte anerkennend und schlürfte die letzte Auster leer.

Randolph konnte nicht mehr an sich halten. „Das war aber ein starkes Stück von Rebecca, uns alle anzulügen“, rief er über den Tisch.

Dieses Kollegenschwein! Rebecca sog die Luft ein. Nur weil er mal nicht im Mittelpunkt von Quentins Gunst stand, musste er gleich petzen wie ein kleines Mädchen in der Elementary School.

Doch der Big Boss machte eine wegwischende Handbewegung. „Ach was, das ist doch völlig in Ordnung. Sie dachte sicher, wir wären alle Snobs und sie müsste Mister Rodriguez’ Beruf etwas aufpäppeln, um dazuzugehören. Das ist kein Kapitalverbrechen, sondern gesunder Menschenverstand.“

Er schenkte ihr eines seiner seltenen Lächeln, was sie ziemlich verwirrte. Dann wandte er sich wieder Logan zu und diskutierte eine Keilriemenfrage.

Die Kellnerin räumte ab und trug kurz darauf den nächsten Gang auf, Täubchenbrust mit Pasteten und Cranberry-Burgunder-Soße.

„Wo haben Sie beide sich eigentlich kennengelernt?“, fragte die Geigerin Victoria freundlich.

Dummerweise antworteten Rebecca, die darauf vorbereitet war, und Logan, der offenbar parallel zwei Unterhaltungen folgen konnte, gleichzeitig.

„Bei einer Vernissage“, ratterte sie ihr sorgfältig geplantes Drehbuch herunter.

„Bei einem Footballspiel“, kam von ihm spontan aus dem Bauch.

Verwirrt sah die aparte Victoria sie beide an und auch Darrens Frau, eine rundliche Blonde, schaute von ihrem Teller auf.

„Stimmt schon“, erklärte Logan geistesgegenwärtig. „Zum ersten richtigen Date zerrte sie mich in eine Galerie. Aber getroffen haben wir uns bei den Giants. Sie saß zufällig neben mir auf der Tribüne und sah sehr süß aus in ihrem Fan-Shirt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Oder auf den ersten Touchdown.“ Er strahlte sie an, als würde er sich frisch verknallt an ihren Kennenlerntag im „MetLife Stadium“ erinnern.

Ausgerechnet Football! Rebecca schnappte nach Luft. Legte er es darauf an, sie zu blamieren?

„Gegen welches Team haben die Giants denn gespielt?“, kam auch sofort die Frage von Darren, der erklärter Fan dieser rabiaten Sportart war.

Rebecca musste reagieren, sonst würde es noch peinlicher werden. Falls das überhaupt möglich war. Sie griff sich an das linke Auge und begann, hektisch damit zu zwinkern. „Ich glaube, ich habe meine Linse verloren“, sagte sie und tastete ihr Kleid ab. „Sie ist wohl unter den Tisch gefallen. Hilfst du mir suchen, Schatz?“

Sie funkelte ihn mit dem anderen Auge an.

„Na klar, Becky“, erwiderte Logan und kroch mit ihr zusammen unter den Tisch.

„Ich heiße Rebecca, nicht Becky“, zischte sie ihm so leise wie möglich zu, als sie am Fußboden ankamen. „Und wie kommst du dazu, dich nicht an die Absprachen zu halten? Du solltest einen Manager spielen!“

„Ich mache das nicht zum ersten Mal“, flüsterte er zurück. „Und ich habe ein Gespür dafür, was Leute wie dieser Anwaltsfuzzi hören wollen. Du siehst doch, er fährt voll auf meinen Job ab.“

„Zufall“, fauchte sie halblaut. „Außerdem ist das mit dem ersten Treffen völlig idiotisch, ich hasse Football!“

„Ach komm schon, hör endlich auf, herumzuzicken. Es läuft doch alles prima.“

„Prima?“, japste sie und wich einem Fuß von Randolph aus, der gerade seine Beine ausstreckte. „Du machst mich zum Gespött der Kollegen!“

„Aber dein Boss liebt mich.“ Logan grinste so selbstzufrieden, dass Rebecca ihm am liebsten die Krawatte um den Hals gewickelt und zugezogen hätte.

„Ich habe null Ahnung von Football“, erklärte sie.

„Das kriegen wir hin, Darling. Mach dir keinen Kopf. Was ist jetzt mit deiner Linse?“ Er scannte den Fußboden.

„Die war nur eine Ausrede, um dir zu sagen, du sollst dich zurückhalten. Ich brauche keine Brille.“

„Clever!“ Logan kam näher, was wegen des im Weg herumstehenden Tischbeins gar nicht so leicht war, und sah sie genau an. „Du hast echt schöne Augen, weißt du das?“

„Das ist das elaborierteste Kompliment, das ich jemals unter einer Tischdecke erhalten habe. Hör auf mit dem Unsinn und übernimm deine Rolle!“

„Was treibt ihr so lange da unten, sucht ihr nach Rohdiamanten?“, belustigte sich Randolph von oben.

Sie krochen beide wieder nach oben. Rebecca strich sich das Kleid glatt.

„Linse gefunden?“, fragte Quentins Frau.

„Ja, es war ein Fehlalarm, die Linse war nur verrutscht. Aber es war natürlich nett von Logan, mir erst beim Suchen zu helfen. Er ist ein echter Gentleman.“

Sie sah ihn eindringlich an, um ihm zu zeigen, dass sie genau das von ihm erwartete. Logan legte seine Hand auf ihre. „Das ist doch selbstverständlich, mein Schatz.“

Er strahlte sie an und ihr blieb nichts anderes übrig, als zurückzulächeln, dabei kochte sie innerlich. Es war nie die Rede davon gewesen, dass er sie antatschen sollte! Gerade eben hatte sie doch betont, er solle ein Gentleman sein. Und nun dachte er überhaupt nicht daran, seine kratzigen Finger wieder von ihrer Hand zu nehmen. Um ein Haar hätte sie seinen Arm weggeschoben, aber das ging natürlich nicht.

„Also, welches Spiel war es?“, hakte der impertinente Randolph nach. Dabei war Football eher Darrens Thema. Aber Randolph schien zu ahnen, dass Rebecca in diesem Punkt unsicher war und nutzte das natürlich gnadenlos aus.

„Ach, ich weiß gar nicht mehr, das ist schon ein Jahr her. Ich hatte die Karten geschenkt bekommen.“

Randolph sah nicht überzeugt aus.

„Hey, Randy“, kam von Logan, „glaubst du wirklich, Rebecca hatte noch Augen für das Spiel? Nachdem wir ins Gespräch gekommen waren, schaute sie natürlich keine Sekunde mehr auf das Feld, sondern nur zu mir. Sie bekam kaum mit, dass das Match irgendwann vorbei war, geschweige denn den Ausgang.“

Sein selbstsicheres Grinsen war widerlich.

„So war es doch, Schatz, oder?“, fragte er und strich ihr über den Rücken.

Rebeccas Nackenhaare stellten sich auf. Sie hasste es, wenn ein Fremder sie anfasste. Und dass sie auch noch gute Miene dazu machen musste, setzte dem Ganzen die Krone auf.

„Ganz genau“, presste sie hervor.

Randolphs Verlobte kam zu Hilfe. „Du weißt sicher auch nicht mehr, welchen Komponisten ich bei unserem ersten Treffen gespielt habe, oder?“, fragte Victoria ihn. Dankbar lächelte Rebecca die Geigerin an.

„Äh …“, stammelte Randolph. „Irgendeinen aus der Romantik?“

Lachend schüttelte Victoria den Kopf, während ihr ertappter Lebensgefährte rot anlief. Geschah ihm recht!

Rebecca war wirklich froh, als auch der nächste Gang geschafft war und man bald beim Dessert ankommen würde. Sie musste diesen Abend irgendwie durchstehen, danach würde sie zwei Wochen warten und ihre Trennung von Logan bekannt geben. Auf diese Weise musste sie diesen selbstverliebten Macho nie mehr wiedersehen.

Als die junge Kellnerin Rebeccas Geschirr abräumte, fiel ihr klappernd ein Messer herunter. Sofort kam der Chefkellner herangestürmt und zischte dem verunsicherten Mädchen zu, dass so etwas nie mehr passieren dürfe, sonst sei sie ihren Job los. Logan, auf dessen Stirn sich eine Falte gebildet hatte, hob den Arm, um sich einzumischen.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte er, „hier liegt ein Missverständnis vor. Ich habe meinen Stuhl zurück geschoben, als Ihre junge Kollegin hinter mir stand, und sie angerempelt. Es ist meine Schuld, dass ihr etwas herunterfiel.“

Rebecca sah ihn überrascht an. Sein Stuhl hatte sich keinen Millimeter bewegt, da war sie sich sicher.

„Dann bitte ich um Verzeihung.“ Der strenge Kellner deutete eine Verbeugung in Logans Richtung an und presste für die junge Frau ein Lächeln hervor. Anschließend verschwanden beide.

„Ich hasse Ungerechtigkeiten“, brummte Logan, als er Rebeccas fragenden Blick bemerkte. „Reicht schon, dass ich mit einer Ladung Rechtsverdreher hier sitze, da muss sich nicht auch noch der Kellner wie ein Halbgott aufführen.“

Gut, dass Quentin sich gerade angeregt mit Darren über die Börsenkurse unterhielt und hoffentlich nichts gehört hatte. Was nahm dieser Logan sich eigentlich heraus? Sie zahlte ihm immerhin gutes Geld dafür, dass er hier beim exklusivsten Dinner von ganz New York City sitzen durfte, und er kritisierte ständig an ihrem Beruf herum.

Immerhin erntete er ein zuckersüßes Lächeln von der Bedienung, als sie den Nachtisch – Variationen von verschiedenen Desserts – servierte. Und natürlich flirtete er sofort mit dem jungen Ding. Rebecca schüttelte sich innerlich. Womanizer, wie er einer war, hatte sie noch nie leiden können. Solche Typen waren ihr schon oft begegnet. Nur schleimige Sprüche, aber nichts dahinter. Klar, Komplimente hatten sie drauf und sicher gingen ihnen die Frauen reihenweise auf den Leim. Aber wenn man genauer hinsah, waren sie fürchterlich oberflächlich.

Sie probierte von der recht üppigen Mousse au Chocolat und legte anschließend ihren Löffel zur Seite. Bei Süßem war sie sehr zurückhaltend, denn sie sah vor ihrem inneren Auge ständig ihre Schwester Rhonda vor sich, die auf dem Sofa lag, eine Soap Opera ansah und Schokoladeneis aus einem 2-Liter-Eimer in sich hineinstopfte, obwohl selbst ihre ausgeleiertsten Jogginghosen überall spannten. Niemals wollte Rebecca so werden. Sie wusste, dass gerade als Businessfrau in Manhattan Designerkleidung Pflicht war, und man passte nur in ein Armani-Kostüm, wenn man schlank genug war. Deshalb hatte sie es sich mühsam abtrainiert, Süßigkeiten zu essen.

„Isst du das nicht mehr?“, fragte Logan, der seinen Dessertteller so leer gefegt hatte, dass Rebecca eine Sekunde lang vermutete, er hätte das Porzellan abgeleckt. Zum Glück würde nicht mal er so weit gehen.

„Nimm ruhig.“ Sie schob ihm ihren Nachtisch zu und er stürzte sich sofort darauf.

Als er fertig war, wandte er sich an Quentin. „Das Essen hier ist wirklich einzigartig. Ich bedanke mich jetzt schon mal, dass Sie mich eingeladen haben, Mister Armadon.“

„Nennen Sie mich Quentin.“

Rebecca traute ihren Ohren nicht. Jeder in der Kanzlei wusste, dass es lange dauerte, bis man den Boss mit seinem Vornamen ansprechen durfte. Das war sozusagen ein Ritterschlag, von dem Rebecca noch meilenweit entfernt war, obwohl sie unfassbar hart gearbeitet hatte, seit sie dort eingestellt worden war. Und nun bot Quentin das ausgerechnet einem Automechaniker an?

„Sie denken also, man könnte den Chevy wieder zum Laufen bringen?“, kam Quentin auf sein Lieblingsthema zurück.

„Einen Versuch wäre es wert.“ Logan erklärte irgendetwas, das für Rebecca wie Fachchinesisch klang, deshalb unterhielt sie sich den Rest des Abends mit der Verlobten von Randolph und Darrens Frau. Edna Armadon hüllte sich in Schweigen und sah nicht aus, als sei sie an einem Gespräch interessiert, sei es mit oder ohne das spannende Thema Stoßdämpfer.

Es war schon weit nach elf Uhr, als Quentin die Runde auflöste. Erleichtert stand Rebecca auf. Endlich hatte sie den Abend überstanden und war somit auch ihren selbstverliebten Gigolo los! Sie war heilfroh, das Dinner mit ihrem „Verlobten“ abhaken zu können und vor allem, ebendiesen nie mehr wiedersehen zu müssen. Sollte er doch einer anderen Bedürftigen Kosenamen geben oder das Händchen halten, ihr Fall war dieser Latin Lover ganz und gar nicht.

„Lassen Sie ihre Verlobte nicht so viel allein“, riet ihm Quentin gut gelaunt, als sie durch das Lokal zum Ausgang gingen. „Nicht dass da noch ein anderer dazwischenkommt. Sie ist schließlich eine attraktive Frau.

Rebecca fand es entwürdigend, dass man über sie sprach, als wäre sie gar nicht anwesend. Aber sie presste die Lippen zusammen und ging einfach weiter den Gang zwischen den Tischen entlang, einen halben Schritt vor den beiden Männern her.

„Keine Sorge“, gab Logan zurück, „sie gehört nur mir.“ Als Bestätigung seiner Besitzansprüche tätschelte ihr dieser widerliche Kerl tatsächlich den Hintern! Rebecca konnte den Reflex, sich umzudrehen und ihm eine zu scheuern, nur mit größter Mühe unterdrücken. Ihre Backenzähne mahlten. Sie hielt sich an der Aussicht fest, Logan nur noch maximal zwei Minuten ertragen zu müssen, denn länger würde die Fahrt nach unten und das Einsteigen in ein Taxi nicht dauern.

Als sie das Gebäude verließen, verabschiedete sich Quentin erst von Randolph und Darren samt deren Begleiterinnen. Edna stand unbeteiligt daneben und wischte auf ihrem goldenen Dolce - und Gabbana-Handy herum.

„Nehmen Sie ruhig das erste Taxi, Mister Armadon“, sagte Rebecca und deutete auf das gelbe Cab an der Spitze der wartenden. Wenn die Armadons erst einmal abgefahren waren, würde es nicht auffallen, dass Logan und sie verschiedene Taxen nehmen und getrennte Wege gehen würden.

„Ja, das machen wir. Aber eine Sache gibt es noch zu klären.“

Er blieb stehen, während die hagere Edna schon den Wagen bestieg, und packte wieder sein rares Lächeln aus.

„Wissen Sie was, Rebecca? Übernächsten Freitag fahre ich mit Randolph zu einer Lodge oben in Vermont. Bisschen Angeln, vielleicht ein paar Hasen schießen. Ein kleiner intimer Kanzleiausflug sozusagen. Und ich hätte gerne, dass Sie und Logan mitkommen.“

„Ich … äh … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Rebecca war nicht nur überrascht, sondern völlig entsetzt. Sie musste sich eine Ausrede einfallen lassen, schnell! Doch ihr Kopf war so leer wie ein Gerichtssaal nach der Räumung.

„Oder haben Sie etwas Besseres vor?“ Quentins Augen verengten sich gefährlich.

„Natürlich nicht“, erwiderte Rebecca sofort. „Es ist nur eine so große Ehre!“

„Ach was. Wir besprechen Ihre weitere Karriere in der Kanzlei. Mir scheint, Sie sind eine fähige Mitarbeiterin. Und Logan kann an diesem Wochenende ein wenig an meinem Baby basteln.“

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Rebecca, dass ihr Boss Logans wahre Bestimmung als Gigolo durchschaut habe und ihn auf sein sprödes Eheweib ansetzen wolle, aber dann fiel es ihr zum Glück ein: Er sprach von seinem Oldtimer!

„Na logisch schaue ich mir Ihren Kleinwagen an.“ Logan fand die Situation offenbar immens witzig. „Bin sehr gespannt auf das Innenleben der Kiste.“

„Perfekt!“

Quentin strahlte wie ein kleiner Junge, dem man einen Besuch im Disneyland versprochen hatte, verpasste sich noch eine Ladung seiner Mundsprays und bestieg das wartende Taxi.

Als es abfuhr, drehte sich Rebecca langsam zu Logan um. Ihr Hals war wie zugeschnürt und sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt.

„Sieht aus, als hätten wir noch einmal das Vergnügen, Becky“, sagte er, schenkte ihr ein breites Zahnpastawerbung-Grinsen und knöpfte mit einem erleichterten Seufzen seinen Hemdkragen auf.

 

3. Family and other Fantasies

 

 

Den Sonntag hatte Rebecca darauf verwendet, auf Logan zu schimpfen, ihre Socken zu sortieren und sich den Kopf zu zerbrechen, wie sie aus der Nummer mit der Blockhütte in den Wäldern von Vermont rauskommen sollte. Bis zum Abend war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass trotz der peniblen Ordnung in ihrem Kleiderschrank fünf einzelne Söckchen fehlten und es keinen Ausweg aus der Pfadfinder-Sache gab. Wohl oder übel musste sie sich noch einmal mit ihrem glutäugigen „Verlobten“ herumschlagen.

Da sie durch Zufall mitbekommen hatte, wie teuer das Dinner gewesen war, wollte sie eine Kleinigkeit für Quentin besorgen, sozusagen ein kleines Dankeschön. Deshalb stand sie am Montag etwas eher auf und machte sich auf den Weg in die 16. Straße.

Eine der Sekretärinnen in der Kanzlei besorgte jeden Tag Gebäck für ein verspätetes Frühstück und hatte Rebecca den Tipp mit „Pastry Passion“ gegeben. Angeblich war Quentin völlig verrückt nach den Chocolate Bomboloni – gefüllten italienischen Krapfen – die es dort gab. Als Rebecca erfahren hatte, dass diese Bäckerei sich gleich in ihrer Nachbarschaft befand, war sie auf die Idee gekommen, auf dem Weg zur Arbeit dort vorbeizugehen.

Ein roter Oleander im Terrakottatopf schmückte den Eingang des Ladens, der wohl eher eine Konditorei als eine herkömmliche „Bakery“ war. Rebecca drückte die Tür auf und ein altmodisches Glöckchen verkündete ihre Ankunft. Umgehend stieg der Duft nach Vanille, feinen Gewürzen und frisch gebackenem Hefeteig in ihre Nase. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.

Eine junge Frau mit dunklen Locken, die munter wippten, und einem freundlichen Lächeln, eilte aus einem Nebenzimmer herein und rief: „Guten Morgen!“

Überrascht sah Rebecca sie an. Das war doch die Freundin von Richard Stone, dem CEO des Stone Imperiums! Sie hatten sich vor einigen Wochen bei einem Meeting getroffen, da war diese Emilia hereingeplatzt und hatte einige Dinge ins Rollen gebracht.

„Wir kennen uns von irgendwoher“, stellte auch Emilia fest und schien zu überlegen.

„Ich war als Juristin bei einer Besprechung im Stone Konzern dabei“, half ihr Rebecca auf die Sprünge.

Sofort hellte sich das Gesicht der Ladenbesitzerin auf.

„Ja richtig! Wollten Sie nicht einen neuen Vertrag ausarbeiten für die Zuständigkeiten in Richards Firma?“

„Genauso ist es. Aber es läuft noch die Probezeit. Einige Mitarbeiter sollen sich beweisen und erst nach ein paar Monaten wird der richtige ausgewählt.“

Emilia nickte. „Stimmt. Das hat mir Richard erzählt. Was kann ich denn für Sie tun, Miss …“ Sie dachte nach.

„Miller. Aber nennen Sie mich doch Rebecca. Ich brauche zwölf Bomboloni, mein Boss in der Kanzlei liebt die. Und die Kollegen sollen auch was davon haben.“

„Kein Problem. Ich habe sie gerade fertig gemacht.“ Die hübsche Italienerin ging in den Nebenraum und kam kurz darauf mit einem Tablett zurück, auf dem die Krapfen gestapelt waren. Rebecca hätte sich am liebsten einen geschnappt und sofort hineingebissen, so verlockend sahen sie aus. Sie waren mit Schokolade gefüllt, mit Puderzucker bestäubt und dufteten himmlisch. Und nicht nur dieses Gebäck, auch alle anderen Leckereien hier im Laden waren zum Anbeißen, hatten aber sicher zehn Mal mehr Kalorien als ihr übliches Frühstück, das aus einem kleinen Müsli mit Naturjoghurt und viel Obst bestand.

„Ich habe vegane Brownies im Angebot, lowfat, und auch Fruchtriegel ohne Zucker.“

Emilia hatte Rebeccas sehnsuchtsvollen Blick ganz offensichtlich richtig interpretiert. Sie war die perfekte Verkäuferin, das stand außer Frage. Trotzdem riss sich Rebecca zusammen. Vielleicht würde ihr Quentin einen der Krapfen aufdrängen, den konnte sie aus Höflichkeit nicht ablehnen, aber sie wollte auf keinen Fall noch mehr sündigen.

„Nein danke, heute nicht. Aber ich wohne in der Nachbarschaft, wir werden uns sicher noch häufiger sehen.“

„Das würde mich freuen“, sagte Emilia und händigte ihr die Bomboloni in einer lila Schachtel aus.

Rebecca verabschiedete sich von der sympathischen Konditorin und eilte zur U-Bahn. Es wurde Zeit für die Kanzlei.

Als sie ankam und die Box mit dem Gebäck im Aufenthaltsraum neben die Kaffeemaschine stellte, kam Randolph dazu. Er hob erst den Deckel an und dann seine Augenbraue.

„Du arbeitest mit allen Tricks, oder?“ Sein Blick war kalt.

„Was meinst du?“

Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Schachtel. „Schleppst das Lieblingsfrühstück von San Quentin an und legst dir einen Freund zu, der ganz zufällig Oldtimer repariert. Dabei weiß doch jeder, dass die alten Kisten das größte Hobby vom Boss sind.“ Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte.

„Ich hatte keine Ahnung davon, dass Quentin einen Oldtimer hat!“, verteidigte sich Rebecca.

„Lüg mich nicht an. Ich glaube dir auch kein Wort davon, dass du diesen Schrottplatztypen schon länger kennst. Das war alles eingefädelt. Aber bilde dir bloß nicht ein, dass dir das etwas hilft. Ich behalte dich im Auge.“

Rebecca holte tief Luft. Was nahm sich dieser schleimige Kerl eigentlich heraus? Von dem ließ sie sich ganz bestimmt nicht unterkriegen. Sie trat näher an ihn heran und hielt seinem Blick eisern stand.

„Was genau willst du von mir?“, zischte sie. „Wenn etwas mit meiner Arbeit nicht in Ordnung ist, kannst du das gerne sagen. Aber mein Privatleben geht dich nichts an. Und wenn du zu geizig bist, um hin und wieder etwas für die Kollegen auszugeben, ist das ebenfalls dein Problem und nicht meines.“

„Gibt es Schwierigkeiten?“, dröhnte eine bekannte Stimme durch den Raum.

Rebecca und Randolph stoben auseinander.

„Alles okay, Quentin“, beeilte Randolph sich, zu sagen, und quetschte ein Grinsen hervor.

„Dann ist es ja gut“, sagte der Boss. „Ein bisschen Konkurrenz zwischen meinen Anwälten schadet nicht, so strengt sich jeder viel mehr an.“

Er ging zum Tisch, auf dem Rebecca die „Pastry Passion“-Schachtel abgestellt hatte. „Bomboloni! Das ist ja eine Überraschung. Haben Sie die mitgebracht, Rebecca?“

Er nahm sich einen heraus, wobei er eine Serviette verwendete, und legte ihn auf einen Teller. Wahrscheinlich würde er ihn mit seinem gravierten Besteck fein säuberlich sezieren, ohne den Krapfen beim Essen auch nur mit einer Fingerspitze zu berühren.

„Die Bäckerei ist gleich in der Nähe meiner Wohnung“, erklärte sie. „Und da Sie uns am Samstag so königlich bewirtet haben, wollte ich mich ein wenig revanchieren.“

„Feiner Zug von Ihnen“, erwiderte Quentin und ging, den Teller vor sich hertragend, in sein Büro.

Randolph sagte nichts, aber seine Blicke sprachen Bände. Wäre er ein Teekessel gewesen, hätte er jetzt sicher begonnen, schrill zu pfeifen.

Vorsichtshalber zog sich Rebecca in ihr Büro zurück, wo sie den Rest des Tages konzentriert an diversen Fällen arbeitete. Sie mochte ihren Job, denn viele Mandanten kamen mit schwerwiegenden Problemen zum Anwalt und waren sichtlich erleichtert, wenn sich jemand ihrer annahm. Erst letzte Woche hatte Rebecca eine völlig zu Unrecht ausgesprochene Kündigung verhindern können und einen grauhaarigen Fließbandarbeiter vor dem finanziellen Desaster bewahrt. Gerade einfache Menschen waren oft mit juristischen Sachverhalten überfordert und es freute Rebecca jedes Mal wieder, wenn sie helfen konnte. Schon in der Schule war sie dafür bekannt gewesen, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu haben. Mehrmals war sie mit Lehrern aneinandergeraten, obwohl sie ansonsten eine fleißige und ruhige Schülerin gewesen war. Aber sie konnte es nicht ertragen, wenn jemand unfair behandelt wurde.

An der Law School hatte man sie für ihren Idealismus belächelt, denn die meisten ihrer Kommilitonen interessierten sich eher für die erwartete Honorarabrechnung als für die Gerechtigkeit. Aber das war Rebecca egal. Sie war schon immer eine Außenseiterin gewesen, da kam es auf die Universität auch nicht mehr an.

Eine der Sekretärinnen klopfte an und steckte ihren Kopf in Rebeccas Büro. „Mister Armadon will Sie sprechen“, sagte sie und rauschte gleich wieder ab.

Als sie in das riesige Chefbüro trat, dessen Ausblick auf die Stadt ihr jedes Mal wieder den Atem raubte, hielt er ihr eine dicke Akte entgegen.

„Lust auf einen Mordfall?“, sagte er und verpasste sich mit seinem Mundspray eine Ladung frischen Atem.

Rebecca zögerte. „Strafrecht fällt doch gar nicht in meine Zuständigkeit“, erwiderte sie.

„Ich allein entscheide, wer für was zuständig ist“, klärte der Boss sie auf und setzte sich somit kurzerhand über ihre Stellenbeschreibung hinweg. „Die Verhandlung ist übernächste Woche, ich werde sie übernehmen. Gehen Sie die Akte durch und unterbreiten Sie mir bis Freitag Vorschläge, wie Sie die Verteidigung aufbauen würden. Dann schauen wir mal, ob wir aus Ihnen nicht doch noch eine eiskalte Strafverteidigerin machen können.“

Nach dem letzten Wort drehte er sich mit seinem Chefsessel zum Telefon und wählte. Ein klares Zeichen, dass Rebeccas zugewiesener Anteil an seiner kostbaren Zeit aufgebraucht war. Sie nahm den dicken Ordner und verließ Quentins Büro.

Zurück an ihrem Schreibtisch wühlte sie sich grob durch die Akte. Sich durch diese Berge an Vernehmungsprotokollen, Berichten und Schriftverkehr zu lesen, dazu noch Gesetzestexte nachzuschlagen, würde sie voll auslasten. Sie hatte schließlich noch ihre eigenen Fälle und einige Termine mit Mandanten.

Bei der Vorstellung, einen bereits vorbestraften Verbrecher namens Benito Alvarez, der seine eigene Frau mit sieben Schüssen niedergestreckt hatte, zu verteidigen, spannten sich ihre Nackenmuskeln schmerzhaft an. Das war genau der Bereich in der Juristerei, den sie nicht bedienen wollte. Aber die Chance, einen so großen Fall zusammen mit Quentin Armadon zu verhandeln, bekam sie sicher nicht noch einmal.

Rebecca stürzte sich für den Rest der Woche in jeder freien Minute auf den Mordfall. Als sie am späten Freitagnachmittag ihre ausgearbeiteten Verteidigungsstrategien beim Boss vortrug, hielt sich seine Euphorie trotzdem in Grenzen. Außerdem sprach Kollege Randolph schon seit Tagen nur das Nötigste mit ihr und zu den anderen Anwälten hatte sie sowieso wenig Kontakt. Mit dem Gefühl, sich in dieser Woche mehr Feinde als Freunde geschaffen zu haben, fuhr Rebecca abends mit der U-Bahn zu ihrer Wohnung.

Am nächsten Tag, dem Samstag, stand ein Besuch bei ihrer Familie an. Vorher wollte sie noch die einschlägigen Passagen im Strafgesetzbuch auswendig lernen. Zumindest das Geschenk für ihre Schwester sollte inzwischen angekommen sein.

Sie betrat die Wohnung und hörte die beiden Jungs in Jamies Zimmer reden. Da Rebecca im Flur vergeblich nach dem Postpaket Ausschau hielt, klopfte sie an die Tür und ging hinein. Mo und Jamie saßen in trauter Zweisamkeit vor dem Computer und scrollten in einer Art Blog herum. Das Logo sah sehr machohaft aus.

„Was schaut ihr denn so Wichtiges an?“, fragte Rebecca. „Sucht ihr verzweifelt nach euren Grammy-Nominierungen?“

„Du brauchst dich gar nicht über uns lustig zu machen“, erwiderte Mo, der seine Rastas heute unter einer turbanartigen Häkelmütze versteckte. „Wir haben nämlich einen Gig!“

„Ganz genau“, verkündete auch Jamie stolz. „Das ‚Come together‘ in SoHo hat uns für sein Sommerfest gebucht.“

Rebecca hatte zwar noch nie davon gehört, freute sich aber mit ihren Kumpels.

„Ist was mit der Post gekommen?“, fragte sie. „Ich warte darauf.“

Statt einer Antwort fischte Jamie mit seinen langen Armen ein Paket von seinem Kleiderhaufen auf dem Bett und warf es ihr zu. Erleichtert riss Rebecca das bestellte Geschenk für Rhonda auf.

„Was kriegt deine Schwester denn?“, wollte Jamie wissen.

„Eine DVD-Box mit alten MacGyver-Folgen.“

Mo sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. „Diese Uraltserie mit dem blonden Typen, der aus alten Thunfischdosen Atombomben zusammenleimt und so Zeug?“

„Genau die.“ Rebecca grinste. „Meine Schwester steht auf Basteleien. Sie hat schon als Kind in Dads Werkstatt alles zusammengelötet, was ihr in die Hand gekommen ist. Außerdem fährt sie sehr auf blonde Kerle ab.“

„Hat sie einen oder haben wir Chancen?“ Beide sahen sie erwartungsvoll an.

Rebecca musste lachen. Manchmal benahmen sich ihre Mitbewohner wie kleine Jungs und genau dafür liebte sie die beiden. Reichte ja schon, wenn es in ihrem eigenen Leben notorisch ernst zuging.

„Rhonda ist Single. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn sie geht kaum aus dem Haus. Sie hat ihren Job verloren und hängt leider viel zu viel vor dem Fernseher herum. Aber zumindest liest sie nicht wie ihr im Internet dubiose Ratgeber für verzweifelte Männer.“

„Wir machen uns nur schlau, wie man am besten bei Frauen landen kann“, erklärte Mo ernsthaft.

Rebecca seufzte hörbar. „Na, dann bin ich ja gespannt, ob ihr mir morgen das Frühstück ans Bett bringt und mich mit Komplimenten überhäuft.“ Grinsend verzog sie sich aus Jamies Zimmer.

„Pah! Echte Männer haben so was gar nicht nötig!“, krähte Jamie ihr hinterher.

Sie schüttelte den Kopf und musste lachen. Manchmal fragte sie sich wirklich, wie alt die beiden waren.

 

*

 

Als Rebecca am Samstagmorgen aufwachte, dröhnte ihr Kopf. Sie hatte bis tief in die Nacht hinein in Fachbüchern gelesen und einige alte Studienunterlagen hervorgezogen. Die ultimative Verteidigungsstrategie für diesen Benito Alvarez war ihr trotzdem noch nicht eingefallen, denn alle Indizien und Zeugenaussagen sprachen gegen ihn. Nachdem sie sich aus dem Bett gequält hatte, warf sie die Unterlagen auf ihren Schreibtisch und beschloss, sich heute einen jurafreien Tag zu gönnen. Es würde ihr guttun, ihre Familie zu sehen und ein paar Stunden überhaupt nicht an die Kanzlei, Quentin Armadon und DNS-Spuren auf einem blutbespritzten Satinbettlaken zu denken. Selbst für sie war es erlaubt, mal einen Tag Urlaub vom stressigen Job zu machen. Und dazu war ein Besuch bei ihren Eltern genau das Richtige.

Rebecca packte die DVD-Box in hübsches Geschenkpapier, auf dem kleine Reagenzgläser abgebildet waren, weil sie das passend für Rhonda fand. Da ihre Schwester ein Faible für Süßes hatte und sich aufgrund des fehlenden Jobs nichts Besonderes leisten konnte, marschierte Rebecca zu „Pastry Passion“. Wenn die Pralinen dort nur halb so gut schmeckten, wie sie rochen, würde sich Rhonda ganz bestimmt über diese Schokoladen freuen.

Als sie den Laden betrat, wartete dort nicht Emilia hinter der Theke, sondern eine völlig deplatziert wirkende Lady in einem Kleid, das man eher in einem alten Varieté-Theater erwarten würde als in einer Backstube.

„Nur hereinspaziert“, flötete sie und winkte Rebecca mit einer eleganten Handbewegung heran. „Wir führen Pralinen, die Herz und Verstand öffnen!“

Rebecca musste lachen. Sie deutete auf die einladende Auswahl von Leckereien, die in der Theke um die Wette glänzten.

„Welche davon sind fürs Herz und welche für den Verstand?“, fragte sie.

Die Frau im Chiffonkleid machte eine weit ausholende Geste. „So genau kann man das nicht trennen, meine Liebe. Nehmen Sie von allen ein paar und kommen Sie am Montag wieder, um mir zu sagen, welche am besten beim Denken geholfen haben und bei welchen Sie in romantische Stimmung geraten sind.“

Geschäftstüchtig war diese alte Dame, das musste man ihr lassen.

„Eine Mischung wäre tatsächlich toll. Aber die Mission kann ich wohl nicht erfüllen, denn es ist ein Geschenk.“

„Non fa niente, das macht nichts. Wollen Sie einen Trüffel probieren? Der wird Ihnen guttun. Sie sehen aus, als hätten Sie einen anstrengenden Beruf. Emilia sagt, die Himbeer-Nougat-Pralinen wirken Wunder bei Stress.“

„Nein danke“, lehnte Rebecca ab. „Mit dem Job haben Sie zwar recht, aber ich bin später noch bei meinen Eltern eingeladen und werde da sicher vollgestopft. Wo ist Emilia denn heute?“

Als hätte sie ihren Einwand nicht gehört, hielt die perfekt frisierte Verkäuferin ihr eine formschöne Trüffelpraline mit winziger weißer Schokoblüte entgegen und lächelte liebenswürdig. „Ich springe manchmal für meine Nichte ein. Sie soll ja auch ein wenig Freizeit haben. Mein Name ist übrigens Violetta.“

Angesichts dieser Charmeattacke blieb Rebecca nichts anderes übrig, als die Praline anzunehmen und in den Mund zu stecken. Für einen Moment schloss sie die Augen. Dieser Trüffel mit seinem feinen Nussaroma und der säuerlichen Himbeerfüllung war ein Gedicht! Da vergaß Rebecca sogar ihre strengen Prinzipien.

„Davon nehme ich auch sechs Stück für meine Schwester mit“, beschloss sie spontan.

Violetta schmunzelte und befüllte geschickt eine lila Schachtel mit einer ganzen Armada unterschiedlicher Pralinen.

„Wo arbeiten Sie denn?“, fragte sie nebenbei.

„Ich bin Anwältin.“

Das Gesicht der alten Lady hellte sich umgehend auf.

„Ach, wie spannend! Wissen Sie, ich gehe manchmal zum Gericht und höre mir die Verhandlungen an. Das ist ungemein interessant! Außerdem hat man die Gelegenheit, große Hüte zu tragen. Es ist schließlich ein besonderer Ort, für den man sich auch zurechtmachen muss, finden Sie nicht auch?“

Rebecca lachte.

„Ich trage eher selten Hüte“, erwiderte sie. „Und bei Gericht schon gar nicht.“

„Sollten Sie aber, so etwas macht immer Eindruck.“

Violetta klappte den Deckel der lila Box zu und übergab sie an ihre Kundin, dann ging sie zur altmodischen Kasse und tippte mit spitzen Fingern etwas ein.

Rebecca konnte sich die extravagante Dame gut im Gerichtssaal vorstellen. Übersehen würde man sie sicher nicht, mit oder ohne Hutmonster auf dem Kopf.

Als sie schließlich den Preis hörte, musste sie schlucken. Dafür hätte sie auch noch einen halben Baumarkt leerkaufen und ihre Bastelkönigin mit Laubsägen beglücken können. Aber egal, Rhonda hatte schließlich nur einmal im Jahr Geburtstag und Rebecca verdiente gut.

„Denken Sie daran: Herz und Verstand!“, schärfte ihr Violetta zum Abschied ein.

Rebecca winkte der skurrilen Lady zu und ging nach nebenan in die kleine Blumenhandlung, wo sie bei einem bärtigen Mann im Grizzly-Shirt einen kleinen Sommerstrauß für ihre Mutter erstand.

Zwei Stunden später saß sie mit ihren Geschenken in der U-Bahn und gondelte rüber nach Queens. Sie musste zwei Blocks gehen, bis sie zum Mietshaus kam, in dessen Erdgeschoss ihre Eltern wohnten. Der Putz bröckelte an einigen Stellen ab und auch das Dach hätte dringend eine Reparatur nötig gehabt. Aber der kleine Vorgarten, der zur Wohnung ihrer Familie gehörte, war wie immer gut in Schuss. Die alte Rostlaube ihres Dads stand in der Einfahrt und Rebecca wunderte sich, dass das Ding überhaupt noch funktionierte. Die rechte Seite sah aus, als hätte der Wagen einen Unfall gehabt. Wäre nicht das erste Mal, dass ihre Mutter, die nicht gern fuhr, das Auto gegen einen Zaun setzte. Rebecca würde es sicher gleich erfahren.

Es fühlte sich gut an, wieder hier zu sein. Auch wenn sie jetzt drüben in Manhattan wohnte – in Queens war ihre Heimat. Hier hatte sie mit Kreide Kästchen für Hüpfspiele auf die Straße gemalt und war vor Stolz fast platzend nach Hause gerannt, als sie ihre ersten guten Zeugnisse bekommen hatte.

Rebecca hatte sich extra in Freizeitklamotten geworfen und genoss die bequemen Turnschuhe. Heute durfte nicht nur sie selbst sich erholen, sondern auch ihre Füße. Endlich mal den Kopf in einen Liegestuhl legen und das Hirn Urlaub machen lassen von Paragrafen und eifersüchtigen Kollegen. Darauf freute sie sich mächtig. Sogar die unvermeidlichen Soaps im Fernseher, der ständig lief, würde sie gerne über sich ergehen lassen. Das war allemal besser, als Akten zu studieren und sich Gedanken über Verteidigungsstrategien zu machen. Mit jedem Schritt, den sie auf die von der Sonne ausgebleichte Haustür zu machte, fühlte sie sich freier.

Mrs. Morton von nebenan winkte freundlich aus dem Fenster, hinter dem sie die meiste Zeit des Tages saß. Die Nachbarin war, wie einige andere hier auch, stolz darauf, dass Rebecca es nach Manhattan in eine so angesagte Kanzlei geschafft hatte. Das passierte hier nicht oft. Auch das trug dazu bei, dass Rebecca sich auf den Besuch daheim freute, denn sie galt in dieser heruntergekommenen Seitenstraße von Queens als eine Erfolgsfrau. Während sie in der Kanzlei die kleinste Nummer war, sah man hier zu ihr auf.

„Da bist du ja endlich“, rief ihre Mom strahlend, nachdem sie die Tür geöffnet hatte, und drückte Rebecca an ihre üppige Brust. Sie trug wie immer alte Jeans und dazu ein T-Shirt, das schon bessere Tage gesehen hatte. Ihre Haare riefen geradezu nach einem Friseur und sie hatte sich den abgebrochenen Eckzahn immer noch nicht richten lassen. Aber die Herzlichkeit ihrer Mutter war nicht zu überbieten. Selbst in den Zeiten, als die Familie äußerst knapp bei Kasse gewesen war, hatte ihre Mom immer ein paar Dollar für einen Wohltätigkeitsbasar oder die Kirchensammlung übrig gehabt. Vielleicht war ihre Gutherzigkeit sogar der Grund, warum sie nie eine Gehaltserhöhung bekam und immer noch für einen Hungerlohn an der Kasse arbeitete.

„Setz dich doch zu Rhonda ins Wohnzimmer, ich taue inzwischen die Torte auf.“

Rebecca blickte sich vorher noch um. „Wo ist denn Dad?“

„Der müsste jeden Moment auftauchen. Hängt noch bei seinem Versicherungsfritzen rum.“

Sie gab ihrer erfreuten Mom den Blumenstrauß und ging dann hinüber ins nächste Zimmer, wo ihre Schwester erwartungsgemäß auf dem Sofa ruhte wie Nero bei einem römischen Gelage. Nur dass vor ihr auf dem Tisch nicht saftige Weintrauben und Wachtelbrüste warteten, sondern die Familienpackung Paprikachips und Vanilleeis mit Cookie-Stückchen. Statt aus einer Rotweinkaraffe schenkte sich Rhonda gerade aus einer gigantischen Colaflasche ein.

„Hi Becky“, sagte sie. „Was geht ab?“

„Erst mal alles Gute, Schwesterchen!“ Rebecca ging näher an die Couch, um Rhonda zu umarmen. „Kaum zu glauben, dass du schon dreiundzwanzig bist.“

„Kommt mir auch komisch vor“, lachte Rhonda und strahlte. Sie trug eine bauchige Latzhose und ein verwaschenes rotes Top, das die Blässe ihrer Arme unvorteilhaft betonte. Rebecca seufzte innerlich. Aus ihrer Schwester hätte man eine hübsche junge Frau machen können. Sie hatte die gleichen bernsteinfarbenen Augen wie Rebecca, verwendete aber weder Kajal noch einen Hauch von Mascara, um sie zu betonen. Auch ihre Haare, deren helles Braun beide Töchter von der Mutter geerbt hatten, hingen lieblos herab statt mit einem flotten Schnitt in Form gebracht zu werden. Rebecca hatte es längst aufgegeben, ihrer Schwester in dieser Hinsicht Ratschläge zu geben.

„Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Sie stellte die beiden Geschenke vor Rhonda ab. Die starrte auf die Verpackung, in die die DVD-Box gewickelt war.

„Das sind ja kleine Reagenzgläser“, freute sie sich. „Mensch, dann kann ich mir vorstellen, was drin ist!“ Sie begann sofort, das Papier abzureißen.

Als ihre Mutter das Wohnzimmer betrat, hob Rhonda den Kopf. „Mom, ich glaube, Becky hat mir den Chemiebaukasten geschenkt, den ich mir schon so lange wünsche. Hast du ihr den Tipp gegeben?“

Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. „Kann schon sein, dass ich das mal am Telefon erwähnt habe, so genau weiß ich das gar nicht. Ist wirklich nett von deiner Schwester.“

Rebecca schluckte und schaute wie gebannt auf Rhondas Hände, die das bunte Papier jetzt vollständig von der Box zogen. Irgendwas lief hier gar nicht rund.

„Oh, eine MacGyver-Box“, sagte Rhonda und die Enttäuschung war ihrer Stimme deutlich anzuhören. „Dankeschön.“

Mist. Rebecca verfluchte sich selbst. Offenbar hatte sie nicht richtig zugehört, als sie mit ihrer Mom über den anstehenden Geburtstag gesprochen hatte. Während der ersten Wochen in der Kanzlei war sie so konzentriert auf den neuen Job gewesen, dass all ihre Gedanken nur um ihren Arbeitsplatz gekreist waren. Da hatte sie dem Telefonat mit ihrer Mutter wohl nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und nun bekam sie die Quittung dafür.

„Was Süßes habe ich auch noch besorgt“, versuchte Rebecca, den Tag zu retten. „Es sind ganz besondere Pralinen aus einer exquisiten kleinen Konditorei.“

Mit wenig Begeisterung in der Miene öffnete Rhonda die Schachtel und steckte sich einen der Nougattrüffel in den Mund, ohne die zauberhafte Miniaturblüte aus weißer Schokolade überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

„Yo, die sind ganz okay“, stellte sie fest, nachdem sie sie zerbissen und sofort hinuntergeschluckt hatte. „Aber eigentlich mag ich die Peppermint Ponds von ‚Sweet Temptation‘ lieber.“

Sie zog eine flache Verpackung unter einer Klatschzeitschrift hervor. Reine Massenware, das sah Rebecca sofort. Noch dazu von einem Unternehmen des Stone-Konzerns, was sie umgehend daran erinnerte, dass sie noch drei Klauseln des Umstrukturierungsvertrages ändern musste.

Von der durch Violetta angekündigten Auswirkung auf Herz und Verstand war im Moment äußerst wenig zu spüren.

„Wie läuft es auf der Arbeit?“, fragte ihre Mutter, um die Situation zu entschärfen. „Hast du nette Kollegen, die dir helfen?“

„Na ja, man arbeitet schon eher allein“, musste sie zugeben. „Es gibt irrsinnig viel zu tun im Moment, die Kanzlei boomt. Wir kommen kaum mehr nach mit den Mandanten.“

„Also bei mir in der Firma waren wir ein super Team“, mischte Rhonda sich ein. „Wir hatten total viel Spaß und sind fast jede Woche zum Bowling gegangen.“

Rebecca versuchte, sich den geleckten Randolph und seine Geigenfreundin mit den zarten Händen auf der Bowlingbahn vorzustellen, und scheiterte kläglich. Ihre Schwester hatte nach dem Highschool-Abschluss, bei dem sie um ein Haar durchgerasselt wäre, einen Job in einem chemischen Labor gefunden, der sie sichtlich hatte aufblühen lassen. Nach drei Jahren hatte jedoch ein großes Unternehmen die kleine Firma aufgekauft, alles umgebaut und produzierte dort nun eine teure Haarpflegeserie. Da das Meiste voll automatisiert lief, waren nur ein paar wenige Kräfte übernommen worden, darunter zwei von Rhondas Kollegen. Für sie selbst hatte man keine Verwendung gehabt, was Rebecca sehr leid getan hatte. Ihre Schwester war eine engagierte Mitarbeiterin gewesen, die sich mit Leib und Seele ihrem Job gewidmet hatte. Doch etwas Passendes war schwer zu finden, obwohl Rhonda immer wieder die Zeitungen durchforstete. Also schlug sie sich mit Gelegenheitsjobs durch oder lag auf dem Sofa, mit Pfefferminztalern statt mit herz-erweiternden Nougattrüffeln.

„Dann bist du also Einzelkämpferin?“, hakte ihre Mutter nach, die ein Talent hatte, den Finger auf die Wunde zu legen.

„Ist mir lieber so“, erwiderte Rebecca schnell. „Dann brauche ich mich nach niemandem zu richten.“

Kaum hatte sie das ausgesprochen, wurde ihr bewusst, dass das nicht stimmte. Insgeheim sehnte sie sich durchaus danach, nicht jede verdammte Entscheidung in ihrem Leben selbst treffen zu müssen. Ja, sie war stark und sie kam zurecht. Im Beruf und privat. Aber sie erinnerte sich in diesem Moment an die Abende, an denen ihre Eltern auf diesem abgewetzten Sofa eng nebeneinandergesessen hatten und in Gespräche vertieft gewesen waren. Sie hatten alles gemeinsam entschieden: Wie es in Dads Job weiterginge, ob man sich einen Nachhilfelehrer für Rhonda leisten könne oder ob es am Wochenende Hackbraten mit Maisbrot gäbe. Rebecca fühlte einen Stich in ihrem Herz, wenn sie daran dachte. Ob sie jemals einen Menschen finden würde, der ihr bei großen und kleinen Dingen zur Seite stand?

Schnell schob sie den Gedanken beiseite und goss für alle die Limonade ein, die ihre Mom zusammen mit einem Cheesecake, der aus der Tiefkühltruhe kam, angeschleppt hatte. Der Kuchen war dank Moms geliebter Mikrowelle innen kalt und am Rand heiß, aber die herrliche selbst gemachte Limonade glich das locker aus.

„Das ist ja die mit Blaubeeren“, freute sich Rebecca. Ihre Mutter war wirklich keine Göttin in der Küche, aber ihre kreativen Getränke vermisste Rebecca in Manhattan schmerzlich. Sie nahm einen großen Schluck der lilafarbenen Limonade und fühlte sich sofort in die Kindheit zurückversetzt.

Rhonda schob sich ein üppiges Stück des Kuchens in den Mund. „Weißt du, wen ich neulich getroffen habe?“, fragte sie etwas undeutlich.

„Wen denn?“

„Bryan Gibson. Er ist jetzt Papa geworden. Bin ihm neulich bei Ace Hardware über den Weg gelaufen, als er Steckdosensicherungen gekauft hat.“

Rebecca versuchte, möglichst unbeteiligt zu erscheinen. Mit Bryan war sie fast zwei Jahre liiert gewesen. „Wusste gar nicht, dass er geheiratet hat“, sagte sie und steckte den Strohhalm in den Mund.

„Doch, doch. Schon vor einem Jahr. Es war Liebe auf den ersten Blick, hat er mir mal erzählt. Er hat seine Annie gesehen und eine ganze Nacht lang mit ihr geredet, bis zum Sonnenaufgang. Dann hat er sich bei der Arbeit krank gemeldet und sie am nächsten Tag nach Coney Island ausgeführt, wo sie sich schon nach dem ersten Kuss verlobt haben. Total irre, findest du nicht?“ Rhonda sah ihre Schwester an.

Nachdenklich nickte Rebecca. „Total verrückt“, gab sie zu. „Bei mir ist er immer recht kühl gewesen. So richtig vernünftig“, rutschte ihr heraus.

„Na ja, vielleicht lag das ja an dir.“ Das nächste Stück Kuchen verschwand in Rhondas Mund.

Rebecca war der Appetit vergangen. Hatte ihre Schwester recht?

Schon oft, wenn sie einen Roman gelesen hatte oder ein Liebesfilm im Fernsehen gelaufen war, hatte sie sich diese Frage gestellt. Denn in den Beziehungen, die sie bisher gehabt hatte, waren nie solche Gefühle entstanden wie bei den Hollywood-Blockbustern. Meist hatte Rebecca das darauf geschoben, dass sie sich eben gern vernünftige Männer aussuchte, die ihr intellektuell gewachsen waren. Und die waren nun mal emotional nicht so übersprudelnd wie eine Flasche Champagner, mit der man vorher über eine Schotterpiste gefahren war. Aber dass ausgerechnet der so beherrschte Bryan sich Hals über Kopf in eine Fremde verliebte, brachte ihre Theorie durcheinander. Nie im Leben hätte er zu ihrer Zeit auch nur daran gedacht, sich ohne Grund krank zu melden. Das hatte er nicht einmal getan, als sie mit einer Lungenentzündung todkrank im Bett lag. Und nun machte er blau, um in einen Vergnügungspark zu fahren.

Irgendwie klappte es mit dem total entspannten Nachmittag überhaupt nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Rebecca hatte eher das Gefühl, am laufenden Band mit unangenehmen Dingen konfrontiert zu werden. Bevor sie weiter über das schwer zu begreifende Verhalten ihres Ex-Freundes nachgrübeln konnte, hörte man einen Schlüssel in der Haustür.

„Hi Dad“, rief Rhonda in den Flur. „Wir haben Kuchen!“

Als Rebecca ihren Vater sah, erschrak sie. Ein Bluterguss erstreckte sich auf seiner linken Gesichtshälfte von der Schläfe bis hinunter zum Kinn und es waren verkrustete Wunden zu erkennen. Auch seinen Arm zierten mehrere breite Pflaster.

„Was ist denn mit dir passiert?“

Entsetzt blickte sie von einem zum anderen. Weder ihre Mutter noch ihre Schwester machten Anstalten, irgendetwas zu erklären. Sie schienen auch nicht überrascht von Dads Aussehen zu sein.

„Ich hatte Ärger mit dem Rasenmäher“, sagte er und seine tiefe Brummstimme ließ sofort ein Gefühl von Heimat und auch ein wenig Wehmut in Rebeccas Brust entstehen.

„Ärger?“, hakte sie nach. „Was ist denn passiert? Das sieht nicht aus, als wäre das Ding einfach an einem Stein im Vorgarten hängen geblieben.“

Ihr Vater setzte sich in seinen fleckigen Sessel und zog einen Teller zu sich heran.

„Der verfluchte Mäher ist explodiert“, erklärte er. „Ein Teil der Abdeckung hat mich erwischt, aber dummerweise hat auch das Auto einiges abgekriegt. Deshalb war ich jetzt bei unserem Versicherungsfritzen.“

„Wann genau war das?“

„Letzten Sonntag.“ Er schnitt sich ein Stück vom Kuchen ab.

Verwirrt blickte Rebecca ihre Mom an. „Und ihr habt mich nicht angerufen?“

„Ach Kind, wir wissen doch, wie viel du in der Kanzlei um die Ohren hast. Da wollten wir dich nicht belasten. Du hättest doch sowieso nichts machen können.“

„Trotzdem.“ Sie musterte ihren Vater genau. Seine grauen Strähnen waren zahlreicher geworden und sie entdeckte ein paar neue Falten rund um seine Augen. Aber er zwinkerte ihr munter zu, als er ihren Blick bemerkte.

„Was kam denn raus wegen der Autoreparatur?“, fragte Rhonda.

Dad hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Die sagen, wir müssen uns das Geld vom Hersteller des Rasenmähers holen. Der Typ von der Versicherung hat im Internet nachgelesen und sogar herausgefunden, dass das bei diesem Modell schon mehrmals vorgekommen ist. Ich hab ja nichts falsch gemacht, die Kiste ist mitten beim Mähen in die Luft geflogen, einfach so.“

„Dann könnte ja unsere hochstudierte Anwältin einen Brief schreiben“, schlug Rhonda vor und ihre Stimme war kalt. Sie hatte es Rebecca schon immer übel genommen, dass sie so erfolgreich war. Vielleicht fühlte sie sich unterlegen. Oder es war einfach Geschwisterrivalität.

Langsam nahm Rebecca das Glas in die Hand und trank einen weiteren Schluck von der Blaubeerlimonade.

„Als Familienangehörige darf ich euch nicht vertreten“, erklärte sie mit schwerer Zunge.

Rhonda setzte sich auf. „Du wirst doch sicher einen netten Kollegen haben, mit dem du dich gut verstehst und der das als Freundschaftsdienst übernehmen kann. So wie mein Kumpel Charlie uns beim Fliesenlegen im Bad geholfen hat, nach dem Wasserschaden. Oder hast du das auch nicht mitbekommen, dass da was kaputt war?“

„Rhonda!“ Dad funkelte seine jüngere Tochter an. „Lass Becky in Ruhe. Sie arbeitet hart.“

„Ja klar, die heilige Becky!“, fauchte Rhonda und lud sich noch ein Stück vom Cheesecake auf ihren Teller, das sie sich sogleich in den Mund zu schaufeln begann.

Rebecca war hin und hergerissen. Einerseits wollte sie ihren Eltern selbstverständlich helfen. Andererseits wusste sie, dass Quentin es überhaupt nicht gern sah, wenn man Privatfälle bearbeitete. Wenn sie es wirklich darauf anlegte, würde er vielleicht mit sich reden lassen. Aber dann bestellte er ihre Eltern womöglich in die Kanzlei ein! Das war völlig unmöglich, denn in diesem Fall würde ihre sorgsam zurechtgebogene Vita komplett auseinanderbrechen. Jeder in der Kanzlei würde auf ihre einfache Herkunft und ihre nicht besonders repräsentative Familie herabsehen. Nein, das ging nicht. Außerdem lag dieser Fall so klar, dass jeder Student im ersten Semester einen Brief aufsetzen könnte.

„Ich würde ja gerne helfen“, sagte sie, „aber das wird in meiner Kanzlei nicht gern gesehen. Weißt du, Dad, die Sache ist so glasklar, dass da gar nichts schiefgehen kann! Lass doch einfach Bernie einen Brief an den Hersteller des gefährlichen Rasenmähers aufsetzen. Ich wette, wenn da sowieso schon einige Fälle vorliegen, werden die blitzschnell bezahlen. Und falls es wider Erwarten Probleme geben sollte, rede ich gerne mit meinem Chef.“

Bernie Mason war ein unscheinbarer Rechtsanwalt aus der Nachbarschaft, der sich um Kleinkram kümmerte.

„Lass gut sein“, beschloss ihr Dad. „Das kriegt Bernie sicher hin. Du hast ja ganz andere Kaliber am Hals als so was.“

Rebecca musste schlucken. Ihr war nicht wohl dabei, ihrem Vater eine Abfuhr zu erteilen. „Ja, sogar einen Mordprozess, stell dir vor!“, sagte sie schnell.

Sie erzählte ein wenig von dem anstehenden Fall, ohne Namen zu nennen, aber es wollte keine gelöste Stimmung aufkommen. Nicht einmal, als Mom ein paar Anekdoten von der Walmartkasse zum Besten gab. Rhonda schob die mitgebrachten Pralinen von „Pastry Passion“ in ein Fach unterm Couchtisch, das normalerweise für halb gelesene Zeitschriften benutzt wurde. Die DVD-Box lag unbeachtet neben ihr auf dem Sofa und verschwand fast hinter einem ausgeblichenen Kissen. Nach einer weiteren Stunde beschloss Rebecca, dass es Zeit war, zu gehen.

Sie stand auf und streckte ihrer Schwester die Hand hin. „Tut mir wirklich leid wegen des Geschenks“, sagte sie. „Ich wollte dich nicht enttäuschen. Ich glaube, ich bin einfach so im Stress und werde dann unaufmerksam.“

Rhonda rang sich ein Lächeln ab.

„Ach, ist schon gut. Ich bin doch kein Kind mehr. War ja nur, weil ich dieses Einwickelpapier mit den Reagenzgläsern gesehen habe. Da dachte ich halt … Aber was soll‘s.“

Sie umarmte Rebecca und auch ihre Eltern verabschiedeten sich von ihrer älteren Tochter. Auf dem Weg zur U-Bahn-Station fühlte sich Rebecca längst nicht mehr so leicht wie auf dem Hinweg zum Haus ihrer Familie. Von der geplanten Entspannung keine Spur, ganz im Gegenteil. Alles Mögliche spukte ihr im Kopf herum, als sie den nächsten Block entlang ging.

Da war natürlich die Sache mit der anwaltschaftlichen Vertretung ihrer Familie. Sie fühlte sich wie eine miese Verräterin, weil sie ihren eigenen Vater nicht in der Rasenmähergeschichte unterstützen konnte. Auch wenn er es nicht gezeigt hatte, tief drin war er bestimmt enttäuscht von seiner Tochter. Genau wie Rhonda von ihrer Schwester. Rebecca zerbrach sich immer noch den Kopf darüber, ob ihre Mutter ihr tatsächlich irgendwann mal am Telefon erzählt hatte, dass sich Rhonda ein Hobby-Labor wünschte. Sie konnte sich nicht erinnern. Aber auszuschließen war es ganz sicher nicht, denn sie hatte wirklich viel mehr die neuen Fälle im Kopf gehabt als ihre Familie. Was war sie nur für eine schreckliche Tochter!

Nicht einmal einen richtig großen Blumenstrauß hatte sie ihrer Mom mitgebracht und die Anrufe zu Hause verschob sie auch so lange, bis ihre Mutter sich selbst meldete.

Rebecca fühlte sich schäbig. Sie betrat die Bahnstation, die genauso grau und dreckig war, wie sie selbst sich vorkam. Im Zug, der ratternd wieder nach Westen fuhr, rüber auf die reiche Halbinsel Manhattan, hörte sie noch die Stimme ihrer Schwester.

„… meine Kollegen … super Team … Freundschaftsdienst …“, hatte Rhonda gesagt. Ja, es stimmte. Rebecca hatte keine wirklichen Freunde und auch keine Kollegen, die sie mochten. Wie eine tolle Anwältin war sie sich heute Nachmittag keine Sekunde vorgekommen, eher wie eine totale Versagerin. Sie, die sich immer so verdammt überlegen fühlte mit ihrem erfolgreichen Studium und Job, war im Grunde eine armselige Kreatur. Das wurde ihr jetzt so richtig bewusst.

Und da war noch eine Sache. Bryan. Nicht, dass Rebecca noch Interesse an ihm gehabt hätte, das ganz sicher nicht. Aber die Tatsache, dass der von ihr so spröde eingeschätzte Mann plötzlich hochromantische Anwandlungen zeigte, gab ihr zu denken.

Es lag also an ihr. Eine andere Erklärung gab es nicht. Rhonda hatte völlig recht gehabt. Sie erinnerte sich an Juan, einen der zahlreichen Boyfriends ihrer Schwester. Wie verliebt die sich immer angesehen hatten! Und er hatte sogar Gedichte für Rhonda geschrieben, mit blauem Kuli auf Snoopy-Briefpapier. Selbstverständlich hatte sich Rebecca sofort über seine Orthografie und das nicht ganz korrekte Versmaß lustig gemacht. Doch nun fiel ihr auf, dass für sie selbst noch nie ein Mann so etwas getan hatte.

Die U-Bahn hielt an und Rebecca blickte aus dem Fenster. Ein Werbeplakat von „Sweet Temptation“ stach ihr ins Auge und sie erinnerte sich an Emilias Auftritt bei der Stone-Besprechung. Richard war ein kühler Geschäftsmann, der knallhart verhandeln konnte. Aber dieser zärtliche Ausdruck, mit dem er Emilia angesehen hatte – so etwas kannte Rebecca nicht. Sie konnte nicht einmal sagen, dass sie selbst irgendeinen ihrer fünf oder sechs Lover jemals so angesehen hatte.

Stimmte etwas nicht mit ihr?

Diesen Gedanken trug sie schon lange mit sich herum. In ihren Beziehungen hatte sie stets den intellektuellen Austausch genossen. Bei Joshua hatte sie sein juristisches Verständnis bewundert und liebend gerne mit ihm gelernt oder über Rechtsauslegung diskutiert. Frederics Stärke war seine kulturelle Bildung gewesen, sie hatte wie ein Schwamm alles aufgesogen, was er ihr über Kunst und Musik beibrachte. Und Eli war ein Meister des Debattierens gewesen, außerdem war er der einzige, mit dem sie den Sex halbwegs erstrebenswert gefunden hatte. Bei den anderen war das mehr eine Pflichtübung gewesen. Doch irgendwo tief drin hatte Rebecca schon immer gespürt, dass es zwischen zwei Menschen noch eine andere, sehr viel intensivere Verbindung gab als die, die sie bisher erlebt hatte. So etwas war ihr allerdings noch nicht untergekommen.

Weil sie emotional frigide war.

Zu dieser weitreichenden Erkenntnis war sie vor ein paar Jahren gelangt. Sie gehörte offenbar nicht zu den Frauen, wie Emilia eine war. Zu Frauen, die Leidenschaft und Feuer mitbrachten, die einem Mann mit Haut und Haar verfielen, die schon bei der kleinsten Berührung eine vollkörperliche Gänsehaut bekamen oder schmachtend dahinsanken. Ihr fehlte alles davon. Sie zählte wohl zu den kühlen Typen, was Gefühle anbelangte. Da war es dann auch kein Wunder, dass Männer ihre Emotionen ihr gegenüber auch nur auf Sparflamme hielten. Quasi Kirschkernkissen statt lodernder Flamme. Völlig verständlich. Deshalb war es sicher besser, sich gar nicht auf eine neue Beziehung einzulassen. Rebecca würde dabei ja doch wieder nur versagen.

Sie war auch als Frau eine Null, nicht nur als Tochter oder Schwester.

Aber es gab eine Sache, in der sie richtig gut war: als ehrgeizige Anwältin. Was das betraf, war sie eine echte Praline, und zwar eine mit Verstand.

Auch wenn mit ihrem Gefühlskostüm irgendwas nicht in Ordnung war, auf ihren Intellekt war vollster Verlass. Und wenn sie sich einfach auf ihre Karriere konzentrierte – so wie es ein Großteil der New Yorker Anzugträger machte – würde sie glücklich sein. Das war gar keine Frage.

Rebecca setzte sich aufrecht hin. Sie wusste, was zu tun war. Die Kanzlei „Armadon, Hall and Piddlefield“ bot ihr beste Chancen zu einem beruflichen Aufstieg und zu einem erfüllten Leben. Sie würde diese Möglichkeiten voll und ganz ausschöpfen, selbst wenn es dafür nötig war, ein Wochenende in Onkel Toms Hütte zu überstehen. Der nächste Schritt, den sie unternehmen musste, lag so glasklar vor ihr wie ein Bergsee in Vermont: Sie musste diesen unmöglichen Logan aufsuchen und ihm wie Professor Higgins seiner Eliza Doolittle eine Lektion geben. Das Wochenende mit Quentin und dem misstrauischen Randolph musste absolut rund über die Bühne gehen, so viel stand fest. Und genau dafür würde sie sorgen. Wenn sie Logan genau instruierte, ihn zur Not einige Aufzeichnungen auswendig lernen ließ und die wichtigen Dinge abfragte, sollte selbst er es hinbekommen, als ihr Verlobter zu agieren. Sie fürchtete, dass dazu mehrere Nachhilfestunden notwendig waren, aber das war egal. Hauptsache, am Ende würde – genau wie in „My Fair Lady“ – aus dem Womanizer ein vorzeigbarer Verlobter werden. Dann stand ihrer juristischen Karriere, die sie zur New Yorker Spitzenanwältin machen würde, absolut nichts mehr im Wege.

 

4. Over the Wild Rover

 

 

„Barnie, wirf mir den Sechser-Schlüssel rüber“, rief irgendwo eine Stimme, und ein Motor heulte auf. Rebecca, die gerade die Werkstatt von „Eddie’s Classic Cars“ am Rand von Brooklyn betreten hatte, fühlte sich völlig deplatziert. Sie war spät aus der Kanzlei weggekommen und direkt hierher gefahren. Deshalb musste sie jetzt in ihren hellen Pumps und dem Business-Kostüm über einen Hof stöckeln, in dem es von Ölpfützen und Männern in schmutzigen Arbeitsklamotten nur so wimmelte.

Ein Typ mit Halbglatze und Brille kam auf sie zu.

„Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?“, fragte er freundlich. Sicher hielt er sie für eine Kundin, obwohl dieser Bereich hier eher nicht aussah, als würden ihn kaufwütige New Yorker betreten, dafür gab es den Empfang am Eingang.

„Ich bin auf der Suche nach Logan“, antwortete sie. „Er sagte, er wäre um diese Zeit fertig.“

Der Mann, offenbar der Besitzer der Werkstatt, musterte sie neugierig. „Logan ist sicher gleich soweit. Gehen Sie ruhig zu ihm, er liegt dort drüben, unter dem Rover.“

Er deutete mit einem Nicken zu einer Halle, in der mehrere Oldtimer standen, und machte sich auf den Weg zur Rezeption.

Ratlos starrte Rebecca auf die vier Wagen. Sie hatte keine Ahnung von Classic Cars und wusste nicht einmal annähernd, wie das Logo von Rover aussah, ganz zu schweigen von den historischen Automodellen dieses Unternehmens. Unsicher ging sie ein paar Schritte in die Halle hinein.

„Logan?“, rief sie vorsichtig.

„Der steckt unter der schwarzen Kiste“, klärte ein hellblonder Kollege sie auf, der gerade seine Sachen zusammenpackte, und hob dann seine Stimme. „Hey, Logue, hier is’ ne hübsche Lady für dich!“

Dann zwinkerte er ihr zu und verließ die Werkstatthalle.

Rebecca sah zwei Beine in Jeans, die unter dem dunklen Luxuswagen hervorlugten. Ein Werkzeug klapperte und anschließend rollte der ganze Mann mit einer fließenden Bewegung unter dem Auto hervor. Sie hielt unwillkürlich die Luft an, als sie Logan sah. Geschmeidig wie ein Raubtier stand er von dem Rollbrett auf und wischte sich die Hände an der fleckigen Jeans ab. Sein dunkelblaues T-Shirt lag eng an seinem Körper an und zeigte gut definierte Muskeln, sein Haar war verstrubbelt und seinen rechten Unterarm zierte ein langer Streifen Schmieröl. Er sah aus wie ein Kerl aus einem dieser „For Ladies“-Kalender, in denen sich sexy Cowboys und gut gebaute Fensterputzer von ihrer besten Seite präsentierten.

„Wir hatten einen Termin vereinbart“, sagte Rebecca und merkte erst, nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte, wie sehr das nach Anwaltsvokabular klang. Als sie mit Logan ausgemacht hatte, ihn zu treffen, war sie eigentlich davon ausgegangen, dass er geschniegelt und gebügelt auf sie wartete, um sie in eine Bar zu begleiten. Aber so, wie er gerade aussah, konnte man kein Lokal betreten.

„Sorry, ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Mein wildes Baby hatte Probleme mit der Ölwanne, da lief mir irgendwie die Zeit davon.“

Das „wilde Baby“ ließ sie aufhorchen, aber schnell wurde ihr klar, dass es nicht um einen Badezusatz aus Olivenöl für sein Sweetheart ging, sondern er von dem Auto sprach. Rebecca hatte keinen Wagen, denn das war in Manhattan nicht notwendig und kostete nur Geld. Und selbst wenn sie einen fahrbaren Untersatz besessen hätte, wäre ihr die Ölwanne – was immer das sein sollte – völlig egal gewesen.

Sie sah Logan mit vorwurfsvollem Blick an, wobei sie versuchte, nicht zu sehr auf seinen knackigen Bizeps zu starren. „Wir haben einiges zu besprechen. Mein Kollege hat Verdacht geschöpft, deshalb muss unser Auftritt in Vermont als Paar absolut perfekt sein.“

„Dann sollten wir uns wohl irgendwo in Ruhe unterhalten“, schlug er vor.

Leicht panisch sah sich Rebecca um. Gab es hier eine heruntergekommene Bar, in der verschwitzte Mechaniker nach der Arbeit herumhingen? Logan hatte einen dunklen Bartschatten, was ihm einen verwegenen Ausdruck verlieh und sehr männlich wirkte.

„Und wo?“, fragte sie.

„Bei mir“, antwortete er, achtete nicht auf ihre überraschte Miene und verließ die Halle durch eine schmale Seitentür. „Was ist, worauf wartest du?“, fragte er.

„Ich soll mit in deine Wohnung fahren?“

Logan lachte. „Nicht fahren. Gehen. Ich wohne gleich hier oben.“

„Über der Werkstatt?“

„Ganz genau. Eddie hat mir erlaubt, hier oben eine Bude herzurichten. Direkt über dem Rover ist mein Schlafzimmer.“ Er stieg eine wacklige Außentreppe hinauf.

Widerwillig folgte ihm Rebecca und überlegte dabei, ob das mit dem Schlafzimmer eine anzügliche Bemerkung gewesen war oder nur eine harmlose geografische Angabe. Als er oben die Metalltür aufsperrte, offenbarte sich dahinter tatsächlich eine gar nicht mal so kleine Wohnung. Überrascht trat Rebecca ein. Die Wände waren aus Backstein und alles war sehr pragmatisch eingerichtet, hatte aber einen gewissen herben Charme. Und war auf jeden Fall zehn Mal größer als ihre eigene Bleibe.

„Ist halt eine Männerbude“, erklärte er und es klang fast schon entschuldigend. „Nur das Nötigste und ohne Schnickschnack. Aber du hättest es vorher sehen sollen! Es war ein Lager für jeden Schrott, der unten bei den Autos abfiel. Betonboden mit Ölflecken, keine Zwischenwände und auch die Wasserleitungen musste ich erst einmal hochziehen.“

„Du hast das selbst gemacht?“ Beeindruckt sah Rebecca sich genauer um. Der helle Holzboden glänzte und die Aufteilung sah aus, als wären hier schon immer mehrere Zimmer gewesen.

„Na ja, zwei Kollegen haben hin und wieder mitgeholfen, aber das Meiste habe ich selbst erledigt. Die beiden haben Familie und ich wollte sie nicht ständig nach Feierabend wegen meiner Bude aufhalten, das wäre doch echt ungerecht. Ist ja auch kein Ding, ich hatte Zeit. Hab den Boden verlegt, das Bad installiert, eine kleine Küchenzeile angeschlossen. Weißt du, ich arbeite gern mit meinen Händen. Ich mag es, wenn etwas entsteht. Das ist wie mit den Autos: Man kriegt eine Kiste in die Werkstatt, die kaum mehr läuft oder nur noch stottert. Dann hänge ich mich in die Sache rein, ein paar Tage oder zwei Wochen, und am Ende schnurrt das Baby wieder wie eine Katze vor dem Kachelofen. Das ist ein schönes Gefühl.“

Er fuhr sich durch die Haare, als wäre ihm peinlich, dass er so viel von sich preisgegeben hatte.

„Das glaube ich.“ Rebecca nickte. „Mein Dad hat auch gern was gebastelt. Und ich konnte sehen, wie stolz er am Ende auf sein Werk war. Bei meinem Job ist das ja irgendwie anders, die Aktenberge wachsen ständig an.“

Sie konnte sich Logan gut beim Werkeln hier in der Baustelle vorstellen. Staub in den dunklen Haaren, die Hände in groben Arbeitshandschuhen, aber ein Lächeln im Gesicht, wenn der Raum wieder ein Stück wohnlicher geworden war. Fast wünschte sie, sie könnte ihm bei solchen Dingen zusehen.

„Du hast wirklich gute Arbeit geleistet“, lobte sie ihn und stellte verwundert fest, dass ihm diese Bemerkung ein kleines Lächeln entlockte.

„Danke. Hat mich auch verdammt lange Monate und literweiße Schweiß gekostet.“

Es war jeden Tropfen wert, fand Rebecca und versuchte, die Bilder eines verschwitzten Logans in knapper Arbeitsmontur aus ihrem Kopf zu verscheuchen.

„Wie lange wohnst du schon hier?“

„Vor einem Jahr bin ich fertig geworden. Ich bin Eddie echt dankbar, dass er mich den Raum nutzen lässt. Sogar der Preis ist fair. Das erlebt man nicht oft. Schau dir nur an, was diese Immobilienhaie teilweise verlangen für irgendwelche Bruchbuden. Wie soll das eine normale Familie bezahlen können? Das ist schon krass in New York, findest du nicht? Die einen brauchen zwei Jobs, um sich das Nötigste leisten zu können, andere logieren in der Park Avenue und ernähren sich von Kaviar.“

Er schüttelte den Kopf, als wolle er das Thema loswerden.

„Ja, da hast du absolut recht“, erwiderte Rebecca und fühlte sich unwohl, weil sie ihn zu Austern ins Nobellokal geschleppt hatte. Andererseits bot er freiwillig seine Dienste als Begleiter an. Niemand zwang ihn, durch die Arbeit in der Agentur sein Gehalt aufzubessern.

Sie öffnete den Mund, um ihm zu erzählen, dass auch sie nicht aus reichem Hause stamme und sich nur ein kleines WG-Zimmer leisten könne, stoppte sich aber noch rechtzeitig. Wenn er zu viel über ihren Hintergrund wüsste, bestand die Gefahr, dass er sich bei Quentin verplapperte. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren. Lieber hielt er sie für eine dieser arroganten Reichen, dann war sie zwar nicht sympathisch, aber auf der sicheren Seite. Es war sowieso an der Zeit, mit dem Geschäftlichen zu beginnen.

„Können wir jetzt die Details fürs Wochenende durchgehen?“, schlug sie vor.

„Setz dich doch erst mal aufs Sofa, ich werfe mich schnell unter die Dusche, dann bin ich repräsentativer.“ Er grinste. „Magst du inzwischen was trinken?“

„Ja gerne.“ Sie bemerkte gerade, dass ihr Mund ziemlich ausgetrocknet war. „Was hast du denn im Angebot?“

„Bud oder Corona.“

„Das sind Biersorten“, stellte sie fest.

„Ich weiß.“

„Ich trinke kein Bier.“

Logan seufzte. „Echt nicht leicht mit dir, Prinzessin. Aber warte, ich habe ein Frauengetränk. Sogar eisgekühlt. Liegt irgendwo hinten im Kühlschrank.“

Er ging zur Küchenzeile, zog die Kühlschranktür auf und steckte seinen Kopf hinein. Nach einem triumphierenden „Hier ist es“ schloss er die Tür wieder, öffnete eine Dose und befüllte ein Glas. Logan stellte es freundlich lächelnd auf den kleinen Couchtisch vor ihr, direkt neben eine Schale mit appetitlichen Blueberry Muffins.

„Bitte sehr“, sagte er und verschwand im Badezimmer.

Misstrauisch beäugte Rebecca die braune Flüssigkeit, die leicht schäumte. Sie zog erst einmal die mitgebrachten Notizzettel aus ihrer Tasche und legte sie neben das Glas, aber dann siegte ihr Durst. Schon als sie an dem Getränk roch, ahnte sie, was es war, und der erste vorsichtige Schluck bestätigte ihre Vermutung: Root Beer! Dieses pappsüße Zeug, das sie schon als Kind gehasst hatte, weil es sie an den Geschmack von Hustensaft erinnerte. Jetzt sorgte es dafür, dass ihr Mund zwar nicht mehr trocken, aber dafür klebrigsüß war. Sie ärgerte sich, nicht doch zum Corona gegriffen zu haben, das wäre ganz sicher die angenehmere Alternative gewesen.

Während man die Dusche rauschen hörte, sah Rebecca sich um. Es gab kaum persönliche Gegenstände in der Wohnung, die sehr männlich wirkte mit ihren kargen Wänden und den dunklen Möbeln. Auf einem Schränkchen entdeckte sie zwei Fotos von Oldtimern und einen Stapel Automagazine, aber sie fand weder Familienbilder noch etwas, das auf eine Frau hinwies. Ein Männer-T-Shirt hing über einem Stuhl, neben der Eingangstür lagen Sportschuhe verstreut und die Grünpflanze auf dem etwas staubigen Fensterbrett hatte ein paar Blätter verloren.

Rebecca stand auf, um sich das CD-Regal genauer anzuschauen. Offenbar hörte Logan gern erdigen Rock, denn sie fand eine Menge Alben von ZZ Top, Springsteen und den Foo Fighters. Direkt daneben gab es aber noch ein paar andere CDs. Sie stellte schnell fest, dass das wohl seine Anmach-Musik war. Da tummelten sich Marvin Gaye, Simon and Garfunkel und nicht mal vor James Blunt schreckte Logan zurück. Rebecca zog die Augenbrauen hoch. James Blunt! Sie konnte sich förmlich vorstellen, wie Logan das machte: Er würde sicher Wein besorgen, dazu ein paar Knabbereien bereitstellen und natürlich wäre der Raum in sanftes Kerzenlicht getaucht. Dann würde er sein Hemd aufknöpfen, sodass seine wohl trainierte Brust optimal zur Geltung kam, und das bedauernswerte Opfer mit seinen samtbraunen Augen in den Bann ziehen, während im Hintergrund James Blunts Schmusetenor aus der Anlage tropfte.

„Möchtest du noch Vanille-Eis dazu?“

Ertappt zuckte Rebecca zusammen. Sie hatte vor lauter Kerzenscheinfantasien gar nicht mitbekommen, dass die Dusche nicht mehr rauschte. „Wie bitte?“

„Na, zum Root Beer. Das ist doch ein Klassiker: Vanille-Eis ins Glas und mit Root Beer auffüllen.“

„Gott bewahre!“, rief sie entsetzt und Logan lachte.

Er sah unverschämt gut aus. Seine Haare waren nass und schimmerten wie Ebenholz, ein Tropfen Wasser lief aufreizend langsam seine Schläfe hinab. Rebecca ertappte sich bei dem Gedanken, den Tropfen mit ihrem Zeigefinger wegzuwischen und dabei an Logans Hals hinunterzufahren bis zu seiner Schulter. Wie sich seine Haut wohl anfühlen würde? Es kribbelte in ihren Händen und ihr Herzschlag beschleunigte sich bei der Vorstellung. Logans nackte Füße schauten aus hellen Jeans hervor, die keinen Reißverschluss hatten, sondern mit Knöpfen geschlossen wurden. Ihr Blick saugte sich daran fest und sie konnte ihn nur mühsam wieder wegreißen. Logan trug ein weißes Freizeithemd, das vorne offen stand. Seine wohltrainierte Brust kam dadurch optimal zur Geltung und er sah sie mit seinen samtbraunen Augen so intensiv an, dass sie sich in seinen Bann gezogen fühlte … Stop! Rebecca rief sich zur Ordnung. Um ein Haar hätte sie angefangen, eine James Blunt Nummer zu summen. Sie musste sich endlich in den Griff bekommen und sich darauf besinnen, warum sie hier war, statt darüber zu fantasieren, jeden einzelnen Tropfen von seinem heißen Körper zu küssen. Außerdem hatte Logan ja wohl genug Auswahl an Damen.

Schnell ging sie zum Couchtisch, nahm auf dem Sofa Platz und hob mit leicht bebenden Händen die vorbereiteten Zettel auf.

„Okay, was willst du mir eintrichtern?“

Er setzte sich neben sie, um mit in ihre Aufzeichnungen schauen zu können. Der herbe Duft seines Duschgels stieg ihr in die Nase und beeinträchtigte ihr klares Denkvermögen. War das nur das Shampoo oder lag darunter noch sein eigener, maskuliner Geruch? Selbst ihr Körper reagierte auf seine Nähe, ihr wurde warm, als hätte jemand mitten im Hochsommer die Heizung aufgedreht, und in ihrem Unterleib begann ein verräterisches Ziehen.

Rebecca ärgerte sich maßlos. Sie war ganz sicher nicht eine seiner kleinen Eroberungen, die er mit Mister Blunt und billigem Rotwein beeindrucken konnte! Entschlossen, sich nicht einlullen zu lassen von diesem Berufs-Womanizer, räusperte sie sich und bemühte sich um einen geschäftsmäßigen Tonfall.

„Wie bereits erwähnt, hat mein Kollege, der bei diesem Meeting in Vermont ebenfalls anwesend sein wird, Verdacht geschöpft. Wir müssen eine absolut überzeugende Leistung abliefern.“

„Das kriegen wir hin, Becky.“ Er brach einen der saftigen Muffins auseinander und steckte sich ein Stück davon in den Mund.

„Nenn mich nicht so!“, fuhr sie ihn an. Dieser Name gehörte nach Queens und nicht in ihr erfolgreiches Manhattaner Leben.

Er hob beschwichtigend die Hände. Schöne Hände, wie ihr dummerweise auffiel, mit schmalen Fingern, die gar nicht zu einem Kerl passten, der an dicken Autos herumschraubte. Hände, die eine Frau sicher verwöhnen konnten.

„Okay, okay, ich werde es mir merken. Was muss ich sonst noch wissen?“ Seine Stimme war sanft und tief. Ihr Puls beschleunigte sich, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Schnell hob sie die Liste hoch und ging alle wichtigen Punkte mit ihm durch, wobei sie versuchte, möglichst wenig von seinem immens maskulinen Geruch einzuatmen. Leicht war das nicht.

Logan verdrückte während dieser Zeit zwei der Blaubeermuffins und pries die knusprige Zimtkruste an. Mehrmals bot er ihr einen an, aber sie lehnte selbstverständlich ab. Ein wenig Disziplin gehörte zu einer gut geplanten Karriere dazu.

Nach einiger Zeit hakte Rebecca die ersten Punkte ihrer Liste ab. „Gut, dann haben wir also Ausbildung, Hobbies, Essensvorlieben und Allergien geklärt.“ Sie nickte zufrieden.

„Brauchst du noch Schuhgröße und die Marke meiner Zahnpasta?“ Logans dunkle Augen funkelten spöttisch. Erneut musste sich Rebecca sehr bemühen, sich auf ihre Notizen zu konzentrieren. Verdammt, dieser Kerl hatte wirklich eine starke Ausstrahlung!

„Deine Kindheit fehlt noch. Wo bist du aufgewachsen?“

Über seiner Nase entstand eine steile Falte. „Das ist doch nicht wichtig, wir haben uns sicher nicht im Sandkasten kennengelernt.“

„Das nicht, aber Liebespaare sprechen nun mal auch über ihre Familie. Du kommst doch nicht aus New York, oder?“

„Doch.“ Seine Antwort kam viel zu schnell, um ehrlich zu sein.

„Aber du sprichst eher wie jemand von der Westküste oder so. Irgendeinen Akzent höre ich da raus.“ Sie war sich absolut sicher, dass er nicht wie sie aus der Stadt stammte.

„So redet man eben in der Bronx, das kannst du schließlich nicht wissen. In deinen elitären Kreisen hat man eben einen anderen Akzent, Prinzessin. Über meine Familie gibt es nichts zu erzählen.“ Er rückte ein Stück zur Seite und verschränkte die Arme.

„Moment mal – ich als deine Verlobte muss doch wissen, ob du Geschwister hast, in einem Quäkerdorf aufgewachsen bist oder auf einer Schweinefarm den Stall ausgemistet hast!“

Sein Blick machte deutlich, dass er nicht vorhatte, dieses Thema zu vertiefen. „Einzelkind, New York, keine Schweine“, warf er ihr hin wie ein Bauer die Kartoffelschalen vor besagte Ringelschwänze. „Und lass dir eins gesagt sein: Männer labern nicht ständig über ihre Kindheit so wie ihr Hühner.“

„Quentin Armadon darf nicht den geringsten Zweifel hegen, dass wir beide uns schon seit zwei Jahren kennen“, erklärte sie. „Das ist außerordentlich wichtig.“

Sie sah ihm tief in die Augen. Natürlich nicht verführerisch, sondern eindringlich. Ausschließlich, um ihr Anliegen zu verstärken.

„Du verehrst diesen aufgeblasenen Gesetzesverdreher wie einen Messias.“

Rebecca unterbrach den Blickkontakt und setzte sich aufrecht hin. „Er ist der renommierteste Anwalt in der Stadt!“, verteidigte sie ihren Boss. „Und ein genialer dazu. Niemand sonst hat eine so gute Statistik der gewonnenen Fälle wie er.“

Logan verschränkte die Arme, was seinen Bizeps noch besser zur Geltung brachte. „Meine Güte, das klingt, als sei er dein Guru.“

„Ja und?“, gab sie spitz zurück. „Er hat eine Menge drauf und ich kann viel von ihm lernen.“

„Der Typ ist nicht ehrlich und ihm geht es nur ums Geld, nicht um die Gerechtigkeit“, stellte Logan fest.

Sie spürte, dass ihr das Blut in den Kopf schoss. Was bildete sich dieser dahergelaufene Schraubendreher eigentlich ein?

„Bist du verrückt? Quentin ist absolut integer! Sonst würde ich gar nicht bei ihm arbeiten.“

„Glaub ich nicht“, sprach er weiter und stand dabei auf, um in Richtung Kühlschrank zu gehen. „Ich hab ein gutes Gespür für Menschen und er kommt mir nicht sauber vor.“

„Na wunderbar, du kennst dich ja offenbar aus in der Juristerei. Oder wie kommst du zu so einer Behauptung?“

„Nur so ein Gefühl.“ Er öffnete eine Bierdose und trank direkt daraus.

Rebecca schäumte vor Wut. Schon wieder gab Logan mit seinem ach so unbestechlichen Gefühl an! Als ob das irgendeine Aussagekraft hätte. Emotionen waren ja wohl wirklich nicht verlässlich und überhaupt eine dämliche Sache. Sie hasste es, wenn so etwas als Argument angeführt wurde.

„Das muss ich mir von einem Kerl, der für Geld mit Frauen ins Bett hüpft, nicht anhören!“

„Ach nein? Wenn du doch so eine perfekte und immer über den Dingen stehende Frau bist, wieso musst du dir dann einen Begleiter kaufen? Will dich keiner haben?“

Ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen und sie atmete heftig.

„Ich habe keine Zeit, mich mit Kerlen herumzuschlagen“, zischte sie. „Ich habe nämlich eine Karriere und verdiene eine Menge Geld damit.“

„Von wegen. So kratzbürstig, wie du bist, nimmt doch jeder vernünftige Mann sofort Reißaus vor dir. Kein Wunder, dass du solo bist.“

Sie schnappte nach Luft. Wie konnte er nur!

„Lieber bin ich Single, als mich wie du für Sex bezahlen zu lassen“, spie sie aus. „Wahrscheinlich kommst du dir so toll dabei vor, dass du es sogar ohne das Geld tun würdest. Du legst James Blunt auf, säuselst den Damen was ins Ohr und beweist dir selbst, wie unwiderstehlich du bist. Dabei bist du nur ein erbärmlicher Gigolo!“

Das saß.

Logan wurde blass und sie sah, wie sein Adamsapfel hüpfte. Er kam einen Schritt auf sie zu und Rebecca rutschte instinktiv ganz nach hinten an die Couchlehne. Würde er ihr etwas antun? Zuzutrauen wäre es ihm. Seine Augen funkelten gefährlich.

„Soll ich dir mal was über mich verraten, Becky?“ Seine Stimme war so leise und beherrscht, dass Rebecca eine Gänsehaut bekam vor Anspannung. „Ich gehe niemals mit Kundinnen ins Bett. Und ich begleite verkrampfte, überhebliche Tussis wie dich nur deshalb, weil ich das Geld tatsächlich brauche, und zwar nicht für irgendeinen dämlichen Schnickschnack. Wofür, das geht dich nichts an, also spar dir das Thema. Manche Leute haben eben noch andere Probleme als die Frage, ob sie heute das Gucci-Kostüm anziehen oder das von Prada. Aber das kann sich ein Luxusweibchen wie du nicht vorstellen. Und jetzt verschwinde.“

Zitternd stand Rebecca auf und ging mit wackligen Beinen zur Tür. Hatte sie nun das Wochenende mit Quentin zerstört? Sie wagte es kaum, daran zu denken.

„Was ist mit Vermont?“, fragte sie heiser.

Logan nahm noch einen Schluck von seinem Bier und sah sie mit eiskaltem Blick an. „Ich werde pünktlich zur Abfahrt da sein und deinen Verlobten spielen. Allerdings hat sich der Preis für das Wochenende seit heute verdoppelt. Wenn es dir nicht passt, kannst du ja einen anderen Begleiter suchen.“

Er wusste genau, dass das nicht möglich sein würde. Also nickte sie kleinlaut und verließ seine Wohnung über der Werkstatt, in der der Rover noch immer vor sich hin glänzte, als wolle er sich über sie lustig machen.

 

*

 

Auch ein paar Tage später, als Rebecca längst wieder an ihrem Schreibtisch in der Kanzlei saß, rumorte die Begegnung mit Logan noch in ihrem Innersten. Sie strengte sich mächtig an, ihn als arroganten und selbstverliebten Frauenheld zu betrachten, und legte sich dazu eine gedankliche Liste über alle Indizien an. Davon gab es jede Menge. Sein Job bei der Agentur, die Flachleg-Musik und überhaupt sein ganzes Auftreten. Außerdem war sie stinksauer, dass er sie als kratzbürstigen Ladenhüter dargestellte hatte. Nur, weil sie nicht jeden Tag mit einem anderen Typen ins Bett hüpfte, sondern sich lieber vernünftig ihrer langfristigen Karriereplanung widmete! Aber davon hatte ein einfacher Automechaniker keine Ahnung.

Es wurmte sie, dass er ihren wunden Punkt erwischt hatte. Aber noch viel mehr ärgerte sie sich darüber, dass sie das Bild, als er aus der Dusche gekommen war, immer noch so deutlich vor Augen hatte. Fast meinte sie, noch seinen herben Duft zu riechen und den Wassertropfen an seiner Schläfe berühren zu können. Vor diesem Wochenende in Vermont grauste ihr mehr als vor Professor Mitchell, der sie ein einziges Mal unvorbereitet erwischt und ausgefragt hatte.

Irgendwie lief im Moment alles schief. Erst der desaströse Besuch bei ihrer Familie, der ihr all ihre Unzulänglichkeiten aufgezeigt hatte, und nun auch noch Logan, der sie wegen ähnlicher Themen zum Ausrasten gebracht hatte. Das würde echt anstrengend werden mit ihm.

Wütend schlug sie einen Ordner auf, um sich endlich wieder auf ihren Job zu konzentrieren, da läutete ihr Telefon. Sie meldete sich und lauschte gespannt in die Leitung.

„Jason Donalds hier, Vorzimmer Richard Stone. Hallo Miss Miller, erinnern Sie sich an mich?“

Rebecca lächelte. Selbstverständlich tat sie das! Das Meeting im Stone Konzern war eines der wichtigsten in ihrer bisherigen Laufbahn gewesen.

„Natürlich“, erwiderte sie schnell. „Was kann ich für Sie tun, Mister Donalds?“

„Mister Stone würde Sie gerne sprechen und bat mich, einen Termin mit Ihnen zu vereinbaren.“

Sofort saß Rebecca aufrecht da wie ein Jagdhund beim Knall der Flinte. Richard Stone wollte sie sprechen? Das war ja wunderbar! Sie würde zur Not sämtliche anderen Mandanten verschieben, denn einen Fuß in den Stone-Konzern zu bringen, hatte absoluten Vorrang.

„Ich kann es jederzeit einrichten, dass ich zu ihm kommen kann“, erklärte sie.

Donalds war begeistert. „Das ist perfekt“, erwiderte er. „Wie wäre es gleich heute Nachmittag um drei Uhr? Da habe ich eine kleine Lücke in seinem Terminkalender.“

„Ich werde da sein.“

Der Assistent verabschiedete sich freundlich und ließ eine äußerst zufriedene Rebecca zurück. Das lief ja wie am Schnürchen! Es ging sicher um den Vertrag bezüglich der neu verteilten Aufgabenbereiche im Konzern. Sie holte das dicke Schriftstück heraus und ging es noch einmal durch, um jedes Detail parat zu haben. Gute Vorbereitung war nun mal eine ihrer Stärken.

Zehn Minuten vor drei Uhr betrat Rebecca das Stone Building und fuhr mit dem Aufzug in die oberste Etage, wo sie von Donalds freundlich begrüßt wurde. Es dauerte nicht lange, dann kam der Boss aus seinem Büro und bat sie zu sich hinein. Rebecca war wie bei der ersten Begegnung sehr angetan von Richard Stone. Man sah ihm an, dass er ein erfolgreicher Geschäftsmann war, aber er hatte sich trotzdem eine gewisse Lockerheit bewahrt. Das spiegelte sich auch in der freundlichen Einrichtung seines Büros wieder, wo Bilder von europäischen Sehenswürdigkeiten an der Wand hingen und große Tröge mit Zimmerpflanzen für ein entspanntes Klima sorgten.

„Schön, dass sie es so kurzfristig einrichten konnten“, begann er und bot ihr einen Stuhl an seinem Besprechungstisch an.

„Gar kein Problem“, sagte Rebecca und konnte kaum glauben, dass sie tatsächlich einem der reichsten Geschäftsmänner von New York gegenübersaß. „Geht es um den Vertrag zur Umstrukturierung?“

Er rückte seinen Stuhl näher an den Tisch. „Eigentlich nicht. Wir sind in diesem Punkt immer noch in der Testphase. Aber ich habe ein anderes Anliegen.“

Gespannt blickte Rebecca ihn an. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, worum es ihm ging.

„Miss Miller“, fuhr er fort, „ich will offen zu Ihnen sein. Wir haben gerade einen unserer führenden Mitarbeiter entlassen. Ich kann nicht ausschließen, dass er juristische Schritte einleiten wird.“

Sie nickte interessiert, weil sie die Sache am Rande mitbekommen hatte.

Richard strich sich durch die dunklen Haare und sprach weiter.

„Natürlich haben wir Anwälte, die seit langer Zeit für unser Unternehmen arbeiten. Aber ich weiß nicht, inwieweit der betreffende Mitarbeiter Verbindungen zu ihnen hat.“

„Sie vermuten also, diese Anwälte sind nicht loyal?“

„Ich kann jedenfalls nicht ausschließen, dass Bestechungsgelder fließen oder ähnliches. Ich traue diesem gefeuerten Mitarbeiter alles zu. Sie hingegen erscheinen mir ehrlich. Deshalb würde ich diese Angelegenheit gern in Ihre Hände legen.“

Rebeccas Puls beschleunigte sich. Der große Richard Stone erteilte ihr ein neues Mandat! Und mehr noch – er sprach ihr sein Vertrauen aus. Sie wusste kaum, was sie antworten sollte.

„Das ehrt mich natürlich sehr“, sagte sie schließlich. „Ich verspreche Ihnen, dass die Kanzlei ‚Armadon, Hall and Piddlefield‘ absolut unbestechlich und integer ist. Und Arbeitsrecht ist eine große Stärke von uns.“

Mister Stone neigte den Kopf zur Seite und wirkte nachdenklich.

„Wissen Sie“, erwiderte er, „ich kenne Ihre Kanzlei nicht wirklich gut. Aber ich vertraue gerne meinem Bauch. Und der sagt mir, dass Sie, Miss Miller, kein falsches Spiel mit Mandanten treiben.“

„Ganz sicher nicht.“ Rebecca sah ihm direkt in die Augen und ihr wurde ein bisschen warm. Dieses intensive Blau war außergewöhnlich. Sein Blick schien sie prüfend zu durchdringen, aber sie hielt ihm stand, denn sie hatte nichts zu verbergen. Als Anwältin war sie über jeden Zweifel erhaben.

„Gut“, meinte er. „Ein bisschen frischer Wind in unserer Rechtsvertretung kann sicher nicht schaden. Meiner Meinung nach ist es dringend Zeit, die verkrusteten Routinen und Seilschaften innerhalb des Unternehmens etwas aufzubrechen. Ich lasse Ihnen die Akte der Personalabteilung bringen. Formulieren Sie eine wasserdichte Kündigung. Wenn Sie Fragen haben, können Sie sich jederzeit an Mister Donalds wenden.“

Er stand auf und geleitete Rebecca nach draußen. Der nächste Termin wartete sicher schon auf ihn. Sie ließ sich von Donalds die Akte und einige Aufzeichnungen übergeben, anschließend ging sie, die Beute unter dem Arm, mit einem äußerst zufriedenen Gesichtsausdruck zurück in die Kanzlei.

Kaum betrat sie den Gang zu ihrem Büro, kam ihr Randolph entgegen und grinste überheblich.

„Ah, Rebecca, unterwegs mit Kleinkram? Na ja, auch den muss jemand erledigen. Ich habe übrigens am Sonntag mit Quentin eine Runde Golf gespielt. Natürlich habe ich den Boss gewinnen lassen und er war in bester Laune.“ Randolph schnippte sich einen Fussel vom Ärmel seines teuren Sakkos. Ausnahmsweise tat ihm Rebecca den Gefallen und machte ein interessiertes Gesicht.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739483269
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
New York Liebesroman USA Bad Boy harte Kerle humorvoll starke Frauen Macho Romantisch Humor

Autor

  • Karin Koenicke (Autor:in)

Karin Koenicke hat anfangs Kurzgeschichten in zahlreichen Zeitschriften veröffentlicht, schreibt aber inzwischen mit viel Herzblut Liebeskomödien. Ihre Romane mit Humor und großem Gefühl sind bei den eBook-Leserinnen so beliebt, dass sie bereits mehrmals die Bestsellerlisten anführten. Sie selbst ist wie ihre Geschichten - mal aufgedreht, mal melancholisch, mal Chopin, mal Rolling Stones. Ihre große Liebe gilt der Musik, die oft in ihren Büchern eine Rolle spielt.