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Redthorne Castle

von Tanja Hanika (Autor:in)
220 Seiten

Zusammenfassung

England 1898 – Die junge Schriftstellerin Joanne Hadley wähnte sich im Paradies: Mit Gleichgesinnten ist sie zu einem Treffen auf Redthorne Castle geladen, um gemeinsam Literatur zu schaffen. Doch einer nach dem anderen stirbt und es gibt wegen der defekten Zugbrücke kein Entrinnen. Für Joanne gilt es, herauszufinden, was in dem Gemäuer vor sich geht. Kann sie sich und die anderen vor dem Tod bewahren, der im alten Gemäuer umgeht?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Redthorne Castle

Ein Schauerroman von

Tanja Hanika

Impressum

1. Auflage September 2015

Copyright © 2015 by Tanja Hanika

www.tanja-hanika.de

kontakt@tanja-hanika.de

Gartenstr. 12, D-54595 Weinsheim

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Alle Rechte in jeglicher Form vorbehalten. Sowohl Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme als auch mechanische, elektronische sowie fotografische Vervielfältigung – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Figuren, Namen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Institutionen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Für meinen großen und meinen kleinen Mann.

Inhaltsverzeichnis

Personenverzeichnis

Joanne Hadley

Sie will die Freiheit fernab ihres Elternhauses genießen und ihre schriftstellerischen Fertigkeiten schulen. Dabei steht sie mehr Problemen gegenüber, als sie hätte erwarten können. Nicht einmal im Schlaf kann sie Ruhe finden, sondern wird von rätselhaften Albträumen geplagt.

Hunter Albee

Er ist ebenfalls seinem Elternhaus entflohen und findet schnell Gefallen an Joanne. Welchen Widrigkeiten er auch gegenübersteht, seinen Humor verliert Hunter nicht so schnell.

Avery Hawthorne

Der betagte Schlossherr hätte die Konsequenzen, die sein literarisches Treffen mit sich bringt, voraussehen müssen, konnte aber seiner Gemahlin diesen Wunsch nicht abschlagen.

Ida Hawthorne

Die Nerven der Schlossherrin sind recht bald höchst strapaziert. Sie versucht den Kopf nicht zu verlieren.

Robert Cartwright

Ein mürrischer Mann, der von seiner Ehefrau tyrannisiert wird, hat es wahrlich nicht leicht. Ihm als Autor bleiben dazu noch die Ideen aus. Wer könnte ihm seine ruppige Art da verdenken?

Dora Cartwright

Nicht nur auf ihren Mann wirkt sie wie ein keifender Drachen. Aber Hunde, die bellen, beißen nicht, oder?

Francis Mill

Er ist kein einfacher Gatte. Ein Aber gibt es hier nicht. Er ist schlichtweg kein einfacher Mensch, auch wenn er das die anderen Gäste gerne glauben lassen möchte.

Victoria Mill

Sie wirkt zwar unscheinbar und zurückhaltend, aber heißt es nicht zu Unrecht: Stille Wasser sind tief?

Jonathan Bradbury

Hunters langjähriger Freund steht nicht nur ihm zur Seite. Er findet noch eine andere Seite, an der er gerne verweilt.

Graham Griffith

Verbirgt dieser ungehobelte Mann hinter seinem unmöglichen Verhalten Unsicherheit oder sogar eine dunkle Seite? Mit ihm ist keinesfalls leicht auszukommen.

Mildred Townend

Der berühmten Schriftstellerin fällt es schwer, etwas anderes zu sein als Schriftstellerin. Sie übt diesen Beruf mit Haut und Haar aus – muss sie deshalb auch ihr Blut lassen?

Professor Liam Wright

So gerne er auch schwadroniert und seine Mitmenschen langweilt, bald wird dem armen Professor die Luft ausgehen.

Harold

Der betagte Butler scheint machtlos zu bleiben, obwohl er versucht etwas zu bewirken.

Megan

Für die zuvorkommende Bedienstete verändert sich in den Tagen des Treffens ihr Leben mehr, als sie es für möglich gehalten hätte.

Ethel

Sie ist mehr als nur Köchin. In einigen anderen Rollen wie Kindermädchen und Ratgeberin durfte Joanne sie bereits kennenlernen. Aber auch sie wird noch neue Seiten an ihr entdecken.

Finnley

Ein fleißiger junger Mann, der für alle Aufgaben geeignet ist.

Anne

Einfach nur eine Bedienstete. Nicht jeder kann eine große Rolle in diesem Roman spielen.

~ Prolog ~

Ich möchte sie alle töten. Allesamt!

Wie sie da sitzen, über ihren Geschichten brüten und die Feder über das Papier gleiten lassen, schürt in mir eine unbändige Wut. Am liebsten würde ich einen dieser Tische umwerfen und zusehen, wie all die wertlosen, vollgekritzelten Seiten zu Boden flattern. Diesem Nichtsnutz zu meiner Linken würde ich zu gerne die Kehle aufschlitzen. Ich möchte sie allesamt verletzen und einem nach dem anderen das Leben rauben. Aber es ist noch nicht so weit. Noch muss ich mich in Geduld üben und warten, bis meine Zeit gekommen ist. Sie wird kommen und meine Rache wird fürchterlich sein!

Ein wenig später …

Alter, redseliger Mann. Sein Geschnatter ist mir zuwider.

Er liegt im Bett und ahnt nichts davon, dass es ihm nicht vergönnt sein wird, einen weiteren Tag seines Lebens die Nerven seiner Mitmenschen zu strapazieren.

Ich gehe auf ihn zu und beuge mich über ihn. Sein Schicksal ist besiegelt. Zwar ein leiser Auftakt dessen, was noch folgen wird, aber mein Spiel soll sich gemächlich steigern. Ich möchte Verwirrung stiften und langsam die Angst schüren, bis sie alle glauben, dem Wahnsinn zu verfallen.

Kurz lausche ich seinem Atem, dann beschließe ich, dass er lange genug unter den Lebenden verweilen durfte. Die Genugtuung, die ich fühle, als ich ihm sein Leben nehme, kitzelt mich beinahe in meinem Bauch.

Und noch ein bisschen später …

Wie sie da sitzt, in ihrem Sessel. Ich koste jeden Moment aus, den es nun dauern mag. Zunächst lasse ich in der Ecke den Boden knarzen, dann sorge ich für ein Geräusch näher bei ihr. Sie fährt vor Schreck hoch und weiß, dass etwas nicht stimmt.

Noch versucht sie Ruhe zu bewahren, doch diese werde ich ihr austreiben!

Ich lösche das Feuer im Kamin und siehe da, sie flieht zur Tür. Hinauskommen wird sie jedoch nicht, dafür habe ich gesorgt. Sie lehnt sich mit dem Rücken dagegen und scheint ihre Möglichkeiten abzuwägen.

Keine hat sie, ihr Tod ist gewiss.

Gemächlich schreite ich auf sie zu und genieße ihre offensichtliche Furcht. Ich blicke in ihre vor Angst geweiteten Augen und mich berauscht die Macht, die ich über sie habe. Sie soll büßen. Sie soll für ein jedes Wort, für jeden Buchstaben, den sie zu Papier gebracht hat, bezahlen.

Eine Waffe mit scharfer Klinge ist die Verlängerung meines Armes, den ich auf sie niedersausen lasse. Es muss nun zu Ende gehen. Endlich werde ich ihr Blut vergießen und ihrer Fantasie Einhalt gebieten. Ich erquicke mich am Rot, das auf den Boden fließt. Horche auf den letzten Atemzug, den sie röchelnd vollführt.

Es ist viel zu schnell wieder vorbei, aber mein nächstes Opfer werde ich bald finden.

Ich will mehr Blut fließen sehen.

~ Kapitel 1: Joanne Hadley, 4. September 1898 ~

Nun war Joanne fast am Ende ihrer Reise angekommen. Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster hinaus in die Ferne und trommelte mit den Fingern am unteren Ende des Kutschenfensters. Die lange Kutschfahrt war ihr nicht schwergefallen, da die 21-Jährige voller Aufregung ihrem Ziel entgegensah. Zum ersten Mal ohne ihre Eltern verreist, war sie auf dem Weg, um an einem literarischen Treffen teilzunehmen. Freunde ihrer Familie, Avery und Ida Hawthorne, hatten sie auf ihre Burg eingeladen, wo sich Liebhaber der Belletristik und Poesie treffen wollten, um neben inbrünstig geführten Debatten auch eigene Kunst zu schaffen. Joanne Hadley las für ihr Leben gerne und hatte seit geraumer Zeit begonnen eigene Texte zu verfassen. Somit war es ihr eine Ehre, zu solch einem Treffen eingeladen zu werden. Die junge Frau war sehr gespannt, wen sie dort alles kennenlernen und wie sich ihre schriftstellerischen Fähigkeiten entwickeln würden.

Dieser Aufenthalt versprach die aufregendste Zeit ihres jungen Lebens zu werden, denn bei ihrer Rückkehr, so hatte ihre Mutter angedeutet, würden sie sich um wichtige familiäre Angelegenheiten kümmern, die nicht länger aufgeschoben werden sollten. Nicht lange hatte die Tochter gebraucht, um diese Ankündigung zu entschlüsseln. Längst hatte Joanne versucht sich dagegen zu wehren, aber bald würde es wohl ernst werden. Einfach einen Ehemann vorgesetzt zu bekommen war ihr ein schrecklicher Gedanke. Letztendlich schien ihre Gnadenfrist abgelaufen zu sein, die sie sich mit der Ausrede der Selbstfindung und -verwirklichung hatte erschleichen können. Zu ihrem 21. Geburtstag vor wenigen Wochen war die rettende Einladung gekommen, die ihre wohl letzte Verzögerungsmöglichkeit war, und nach einigem Bitten und Betteln hatte sie tatsächlich die Erlaubnis ihrer Eltern erhalten.

Die Kutsche holperte und ruckelte zuletzt noch heftiger, als Joanne es von der bisherigen Fahrt gewohnt war. Redthorne Castle lag nun nicht mehr fern, sie konnte schon die sagenumwobenen Türme sehen und einige Fenster erkennen. Die grauen Steine der Burganlage tranken die letzten warmen Sonnenstrahlen, als wüssten sie, dass nun eine lange, kalte Zeit auf sie zukam. Dennoch schien die sonstige Idylle getrübt: Kein Vogelsang drang an Joannes Ohr und es tanzten keine Bienen und Käfer in der Luft, nicht einmal den Wind konnte sie pfeifen hören.

Der Weg von London hierher war zwar nicht allzu weit, aber dennoch dauerte es einen ganzen Tag, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Um rechtzeitig zum Abendessen einzutreffen, hatte sie sich schon weit vor dem Morgengrauen von ihren Eltern verabschiedet und war in die kleine Kutsche gestiegen. Trotz ihrer Vorfreude waren ihre Beine durch die langen Stunden der Fahrt ein wenig steif geworden. Joanne wurde immer ungeduldiger und je näher die Kutsche dem Gipfel des Berges kam, auf dem Redthorne Castle majestätisch thronte, desto feuchter wurden die Innenflächen ihrer Hände, die sie immer verkrampfter im Schoß gefaltet hielt.

Sie konnte es kaum glauben, dass der letzte Besuch ihrer Familie bei Avery und dessen Gattin Ida bereits so lange zurücklag. Joanne vermisste die beiden, die ihr durch ihre vielen glücklichen Stunden auf Redthorne Castle sehr ans Herz gewachsen waren, und selbst der rege Briefverkehr konnte sie nicht beschwichtigen. Seit zwei Jahren hatte sie die Hawthornes nicht mehr gesehen, als diese geschäftlich in London unterwegs gewesen waren und das mit einem Besuch bei den Hadleys abrundeten. Oft vermisste sie die Burg und die damit verbundenen Freiheiten, die sie als Kind immer genossen hatte. Joanne spürte das vorfreudige Kribbeln jener Menschen, die das Glück haben, in ihr Kindheitsparadies zurückzukehren.

Mit Redthorne Castle verband sie Freundlichkeit, Fröhlichkeit, Sonnenschein und Schokolade. Für Letzteres hatte oftmals die einfache, aber gutmütige Köchin Ethel gesorgt, womit sie ihr so manche Stunde versüßte. Aber nicht nur wegen der Schokolade hatte Joanne Redthorne Castle und die Bewohner der Burg vermisst und es als Verlust angesehen, dass ihre Eltern aufgrund ihrer zunehmenden Verpflichtungen lange keinen Besuch mehr zustande gebracht hatten.

Die Burgbesitzer waren trotz ihres Reichtums bodenständige und gutherzige Menschen und hatten vor allem für Joanne eine besondere Zuneigung entwickelt. Leider selbst kinderlos geblieben, hatten sie umso mehr Zeit und Muße gehabt, sich in den literarischen Kreisen zu etablieren, und nun hoffte auch Joanne Fuß fassen oder zumindest einen positiven Eindruck hinterlassen zu können. Mit klopfendem Herzen und vor Scham geröteten Wangen blickte sie auf ihre mit grüner Tinte beklecksten Hände und hoffte, dass man ihr ihre tollpatschige Unachtsamkeit – oder den blinden Eifer, wie es ihre Mutter stets nannte –, sobald sie eine Feder in der Hand hielt und die Kreativität sie übermannte, nachsehen würde. Dass ihre Hände ausgerechnet grün verfärbt waren, war ihr dabei besonders unangenehm, aber ihr gelangen einfach die besten Texte, wenn sie auf die Schrift in ihrer Lieblingsfarbe blickte und nicht nur strenge, schwarze Buchstaben vor sich sah, die sie alle zu verurteilen schienen für das, was sie geschrieben hatte.

Als die anheimelnde Pracht Redthorne Castles von Joannes Kutschenfenster zu erspähen war, glitten ihre Augen über die vertrauten Umrisse. Ihren Blick vermochte sie nicht loszureißen von dem Ort, der ihr eine wunderbare Zeit versprach.

***

Nachdem die beiden Pferde das letzte steile Stück den Berg hinauf geschafft hatten, die Brücke überquert und das Torhaus durchfahren war, milderte der Anblick des vertrauten, dicht bepflanzten Innenhofs Joannes Unruhe etwas ab und hieß sie durch einen fast urwaldartigen Wuchs zu ihrem Abenteuer willkommen.

Mit wackeligen Beinen stieg Joanne Hadley aus der Kutsche, die nun auf Redthorne Castle angekommen war. Die Türme und Mauern der Burg, die sich vom grauen Himmel dunkel abhoben, jagten Joanne einen beunruhigenden Schauer über den Rücken. Das behagliche Gefühl voller Vorfreude, das sie zuvor ergriffen hatte, verschwand urplötzlich. Joanne schob dies auf die Angst, dass sie versagen oder sich mit ihren literarischen Bemühungen lächerlich machen konnte, und versuchte neuen Mut zu fassen.

Sowohl ein Bediensteter, Finnley mit Namen, wie sie später herausfinden sollte, als auch eine Bedienstete standen bereit. Schon beim ersten Blick auf ihr Empfangskomitee fiel Joanne der edle, in schwarz und weiß gehaltene Zwirn auf, der sie alle kleidete. Die Hawthornes waren nicht nur gerechte Herrschaften, sondern ließen es ihrer Dienerschaft auch an gewissen Annehmlichkeiten nicht mangeln. Dafür verlangten sie Loyalität und dass ein jeder sein Bestes gab.

Die Hausangestellte begann sofort eifrig eine Begrüßung abzuspulen: »Ich heiße Sie im Namen von Sir und Lady Hawthorne herzlich willkommen und hoffe, Ihre Reise verlief angenehm. Mein Name ist Megan. Bis zum Dinner haben Sie noch eineinhalb Stunden Zeit. Sie möchten sich sicherlich in Ihrem Zimmer erholen. Kann ich Ihnen Erfrischungen bringen? Oder möchten Sie direkt zu den Herrschaften gebracht werden?« Megan hatte die kleine Ansprache offensichtlich im Vorfeld eingeübt. Joanne entging jedenfalls ihr stolzer und zufriedener Blick nicht, alles fehlerfrei und mit genügend Selbstvertrauen aufgesagt zu haben.

Joanne wiederum war froh, dass sie sich direkt in ihr Gästezimmer führen lassen konnte, um dort den Sitz ihrer Frisur und Kleidung zu überprüfen. Beides hatte bestimmt durch die lange Fahrt gelitten und sollte in Ordnung gebracht werden, bevor sie in Gesellschaft erscheinen wollte. Megan kam ihr noch vom letzten Besuch auf Redthorne Castle bekannt vor, denn sie war damals mit ihrer Mutter, die selbst als Bedienstete frisch eingestellt worden war, das neuste Personal auf der Burg gewesen. Dass sie noch keine Reaktion auf das bemühte Willkommensgeheiß der jungen Frau gezeigt hatte, wurde ihr erst bewusst, als die Angestellte sie erwartungsvoll und ein wenig ungeduldig anschaute.

»Danke, Megan, aber ich bin nicht hungrig. Es wäre nett von Ihnen, mich zu meinem Zimmer zu führen«, erwiderte Joanne und lächelte Megan so freundlich und dankbar an, wie es ihr möglich war.

Nach einem gekonnt schwungvollen und anmutigen Knicks, der Joanne heimlich lächeln ließ, drehte sich Megan um und beide machten sich auf den Weg in das ersehnte Gästezimmer, dicht gefolgt von Finnley, der die spärlichen Koffer ohne sichtliche Schwierigkeiten trug.

Die Gänge und Räume, die auf dem Weg durchschritten wurden, kamen der jungen Frau allesamt vertraut, ja sogar heimisch vor. Kaum etwas hatte sich seit ihrem letzten Besuch verändert. Sie konnte es kaum erwarten, Avery und Ida zu begrüßen, dennoch war sie zunächst einmal froh, in diesem Zustand niemandem begegnen zu müssen.

Den Raum, der ihr für diesen Besuch zugewiesen worden war, hatte sie bereits als kleines Mädchen geliebt und ihn sich regelmäßig mit ihrer Schwester geteilt. Die Wände hatten einen fröhlichen und hellen Gelbton, der morgens bei einfallendem Sonnenlicht richtig zu strahlen anfing. Abgesehen von einem großen, gemütlichen Himmelbett bestand die Möblierung aus einem großen Schrank, einem Schreibtisch samt Stuhl, zwei Sesseln und einigen kleinen Tischchen, einigen Schränkchen, einem Waschtisch und einer langen Reihe von Bücherregalen mit sorgfältig ausgewählten Werken aus der Bibliothek. Das dunkle, aber weich wirkende Holz schuf eine behagliche Atmosphäre und glänzte im Licht, das zu den Fenstern herein fiel.

Joanne Hadley war endlich am Ziel angekommen. Ihr Abenteuer konnte beginnen.

Eine mit Wasser gefüllte Schale stand bereit, die junge Frau machte sich vor dem Spiegel frisch und ruhte sich kurz auf einem der Sessel aus, als ihre Augen zufielen und sie einschlief.

***

Joanne schreckte auf, als es sachte an der Tür klopfte.

»Miss Hadley, Sie wollen bestimmt nicht zu spät kommen. Die ersten Gäste haben sich bereits am Tisch versammelt, da dachte ich, dass ich Ihnen Bescheid geben könnte«, sagte Megan laut und deutlich durch die geschlossene Tür.

»Danke, das ist sehr aufmerksam von dir. Dann werde ich zusehen, dass ich nicht die Letzte unten bin«, antwortete Joanne, während sie einen raschen Blick in den Spiegel warf.

Die grünen Tintenkleckse hatte sie zwar nicht beseitigen können, aber ansonsten konnte sie sich durchaus zeigen. Ihre haselnussbraunen Haare waren locker hochgesteckt und machten ihr jugendliches Gesicht frei. Grüne Augen blickten ihr aufgeregt aus dem Spiegel entgegen und sie musste über sich selbst lächeln. Was erwartete sie eigentlich? Diese Gesellschaft würde schließlich nicht ihr Leben verändern. Nur weil sie hier teilnahm, würden sich ihr nicht die Pforten zum Paradies der Schriftstellerei öffnen. Und einen Ehemann würde sie schon noch früh genug ausgesucht bekommen, da brauchte sie nicht selbst zu hoffen, den Richtigen zu finden. Eigentlich konnte sie doch von Glück sprechen, wenn sie diesen lästigen jungen – und teilweise auch nicht mehr wirklich jungen – Männern überhaupt aus dem Weg gehen konnte. In London, wo die 21-Jährige lebte, hatte sie schon so manchen Verehrer erfolgreich abgewimmelt. Aber sie versprach sich viel von der vortrefflichen Gesellschaft, die Avery in seinem Einladungsbrief in höchsten Tönen angepriesen hatte, wenn er auch nicht viel über die einzelnen Mitglieder verraten hatte. Wahrscheinlich hätte sie in diesem Kreis sogar endlich Ruhe vor der ihr bevorstehenden Verheiratung, die sie zu Hause in London immer häufiger einzuholen drohte. Nochmals strich sie ihr grünes Kleid glatt, das sowohl zu Tintenflecken als auch zu ihren Augen passte, und ging auf die Tür zu.

Megan hatte auf sie gewartet, um sie in den Speisesaal zu führen, und Joanne ließ ihr die Freude, eine große Hilfe zu sein, obwohl sie sich auch selbst gut zurechtgefunden hätte. Dennoch sagte Joanne ihr, dass sie glaube, sie schon einmal gesehen zu haben, als sie das letzte Mal hier zu Besuch gewesen war.

»Es tut mir sehr leid, dass ich Sie nicht wiedererkannt habe, Miss. Es muss wohl schon lange her sein und hier ist so oft Besuch, dass ich mich nicht an Sie erinnern konnte.«

»Keine Sorge, Megan, das nehme ich dir nicht übel«, beruhigte Joanne die aufrichtig bekümmert blickende Bedienstete. »Werden hier oft solche Gesellschaften veranstaltet?«

»Nein, nein, das hier ist das erste literarische Treffen dieser Art. Die Herrschaften wollten zwar schon seit langer Zeit einmal selbst eines veranstalten, hatten aber Bedenken«, gab Megan Auskunft und biss sich auf ihre Unterlippe.

»Welche Bedenken denn? Geht es den beiden nicht gut?« Joanne wurde sich erschrocken bewusst, dass die Hawthornes nicht mehr die Jüngsten waren, und wollte unbedingt mehr über den gesundheitlichen Zustand der beiden wissen.

»Lady Hawthorne ist insgesamt wohlauf, nur Sir Hawthorne braucht ab und an ein wenig Ruhe.« Megan wrang die Hände und ihre Wangen färbten sich zartrot.

Joanne fragte sich, ob sie mit ihrer Frage einen wunden Punkt getroffen hatte. »Megan, ich …«, begann sie, stockte aber, als sie bemerkte, dass die Bedienstete sich auf die Lippen biss und sich innerlich wand. Den Blick ihrer strahlend blauen Augen hielt sie hinter ihrem honigfarbenen Haar verborgen und ihre Schultern versteiften sich.

Bis die beiden jungen Frauen vor der doppelten Tür des Speisezimmers angekommen waren, gelang es Joanne nicht, wieder ein normales Gespräch zustande zu bringen.

Megan streckte die Hand aus, um der Miss die Tür zu öffnen, hielt jedoch kurz inne. Mit ernstem Ausdruck blickte sie Joanne an und sagte: »Wenn Sie etwas benötigen, brauchen Sie nur zu klingeln. Ich werde Ihnen gerne alles bringen. Und wenn es Ihnen einmal nicht gut geht oder Ihnen unbehaglich zumute ist, dann komme ich ebenfalls gerne zu Ihnen. Jederzeit. Sie sind eine sehr nette Dame, ich stehe gerne zu Ihrer Verfügung. Zögern Sie nicht, das ist wichtig.«

Herzlich, aber auch ein wenig verwirrt bedankte sich Joanne und versuchte sich ihre Verwunderung über das Gesagte nicht anmerken zu lassen. Sie staunte, wie gut die junge Bedienstete erzogen war und wie diensteifrig sie auftrat. Obwohl sie die Hawthornes als gütige und nicht sehr strenge Herrschaften kennengelernt hatte, konnte die gesamte Dienerschaft als emsig und bemüht beschrieben werden. Die junge Frau vor ihr bildete da in keinerlei Hinsicht eine Ausnahme. Megan öffnete die Tür und Joanne trat mit einem nervösen Kribbeln im Bauch und leicht wackeligen Beinen ein.

Auf Emmeline Asbury freute sich Joanne – neben Avery und Ida – besonders. Emmeline war, seit sie Witwe geworden war, ein fast ständiger und stets erwünschter Gast auf der Burg. Ida und Emmeline waren schon lange Jahre eng befreundet und Joanne schätzte, dass diese Freundschaft wohl schon in deren Kindheit begonnen hatte und auch erst nach beider Tod enden würde. Emmeline Asbury hatte gerade das Alter von 60 Jahren überschritten. Sie war stets freundlich und trug fast immer, wenn man sie erblickte, ein aufrichtiges Lächeln auf den Lippen, das ihre wasserblauen Augen erleuchtete und nur durch den Tod ihres Gatten erschüttert worden war. Die Witwe schien sich inzwischen aber wieder recht gut im Griff zu haben und hatte bereits zurück zu ihrem fröhlichen Selbst gefunden.

Der einzige weitere Gast, von dem Joanne Hadley erfahren hatte, war die berühmte Schriftstellerin Mildred Townend. Zur Vorbereitung auf ihre Reise hatte Joanne erneut einige ihrer Romane gelesen, um mit der verehrten Autorin darüber sprechen zu können. Sie bewunderte die Dame, die es geschafft hatte, sich nicht das Los einer Ehe aufbürden zu lassen, so wie es ihr selbst bevorstand, sondern durch ihre Schriftstellerei ihren eigenen Weg gehen konnte. Dieser bemerkenswerten Person in natura zu begegnen machte Joanne ziemlich verlegen.

Der Speisesaal wurde von einer strammstehenden Armee aus Kerzen erhellt. In zwei prächtigen Kronleuchtern, die über der langen Tafel hingen, in Wandhalterungen und unzähligen Kerzenständern leuchtete das Kerzenlicht behaglich. Sogar die mittelalterlichen Wandteppiche, die Joanne schon in ihrer Kindheit ausgiebig betrachtet und bestaunt hatte, wirkten frisch gesäubert und farbintensiver. Das dunkle Holz der Einrichtung bildete einen starken Kontrast zu den hellen Wänden und dem hellen Boden, der nur durch das sanfte Licht gemindert wurde. Joanne fühlte sich wie nach langer Zeit nach Hause zurückgekehrt und konnte sich einen herzhaften Seufzer nicht verkneifen. Zufrieden stellte sie fest, dass der Tisch erst halb besetzt war, was es ihr durch weniger Aufmerksamkeit einfacher machte, alle angemessen zu begrüßen. Ihre vorherigen Bedenken vergessend, fiel sie Ida vor Freude um den Hals und genoss die kräftige Umarmung.

»Viel zu lange ist es her, mein Liebes! Und wie erwachsen und hübsch du geworden bist. Ich habe mich so sehr darauf gefreut, dich endlich wiederzusehen, und nun bist du endlich da«, sprudelte Ida Hawthorne sichtlich begeistert hervor.

Auch Ida war sichtlich älter geworden, was Joanne an den sympathischen Fältchen erkannte, die sich nun tiefer als früher in ihre Gesichtszüge gruben, wenn sie lächelte. Aber ihre dunklen Augen funkelten noch immer so fröhlich und lebendig, wie sie es bei Joannes Anblick immer getan hatten. Sie hatte etwas an Gewicht zugelegt, wirkte aber keinesfalls plump. Ihr nun runderes Gesicht lächelte umso freundlicher.

Joanne machte sich aus der herzlichen Umarmung los, um auch Avery herzlich zu drücken. Trotz des ergreifenden Wiedersehens vergaß sie ihre gute Erziehung nicht: »Lady Hawthorne, Sir Hawthorne, ich möchte Ihnen beiden herzlich für die Einladung danken. Sie erfüllen mir damit einen großen Traum und ich konnte es kaum fassen, als ich das Schreiben bekam. Vielen Dank. Ich bin sehr froh, endlich wieder bei Ihnen sein zu können.«

»Ach, meine kleine Joanne, es ist nicht notwendig, dass du so förmlich mit uns sprichst. Wir sind doch fast Familie, mein Schatz.«

»Da kann ich Ida nur recht geben, Joanne«, fügte Avery wie seine Gattin mit strahlendem Lächeln hinzu. »Wir haben uns so lange gefreut, dich endlich wiederzusehen, da hat so eine Distanz gar nichts zu suchen. Du hättest sehen sollen, wie Idas Ungeduld von Tag zu Tag stieg, seit deine Zusage uns erreichte. Setze dich ruhig dort zu meiner Rechten, ich stelle alle vor, wenn wir vollzählig sind.«

Joanne setzte sich auf den ihr zugewiesenen Stuhl und begrüßte kurz den jungen Mann, der neben ihr saß. Den zugegebenermaßen verdammt gut aussehenden jungen Mann. Dunkle Haare, helle Augen, eine gute Figur … Aber diese Tatsache versuchte sie zu ignorieren. Sie würde schon sehr bald mehr als genug mit Männern zu tun haben. So schnell es die Höflichkeit erlaubte, wandte sie sich Ida zu, die ihr gegenübersaß, blickte sie aufmerksam an und ließ sich gerne in ein lockeres Gespräch verwickeln.

~ Kapitel 2: Avery Hawthorne, 4. September 1898 ~

Der Burgherr konnte sein zufriedenes Lächeln nicht unterbinden, um ehrwürdig als Gastgeber am Kopf der Tafel zu thronen. Sei es, wie es sei, dachte er und genoss jeden einzelnen Augenblick. Zu seiner Linken hatte seine Frau Ida Hawthorne Platz genommen, die ihm immer wieder zur Beruhigung das Knie tätschelte. Wie er diese Frau liebte!

Avery Hawthorne saß mit schwer zu unterdrückender Aufregung im Speisesaal, der sich nach und nach füllte. Erneut strich er sich an der Brust seinen Frack glatt und rückte seinen Zylinder zurecht. Er musste an sich halten, diese Handgriffe nicht alle zwei Minuten zu wiederholen. Zum ersten Mal seit Langem fühlten sich seine alten Knochen wieder einigermaßen jung. Einige der Gäste hatte er bereits zum Lunch am Mittag begrüßen können, aber viele waren erst in den letzten Stunden eingetroffen. Es wäre gleich an ihm, sie alle bekannt zu machen. Eine ganz passable Rede hatte er sich zurechtgelegt, jetzt mussten nur noch alle von ihren Räumen den Weg zum Speisesaal finden. Glücklicherweise waren seine Gäste ohne Probleme bei der Anreise eingetroffen.

Avery freute sich schon seit Monaten auf diese Zusammenkunft. Lange hatte er gebraucht, um Ida zu überzeugen, dass sie trotz allem auch einmal die Gastgeber eines literarischen Zirkels sein konnten. Natürlich, es war nicht gerade ungefährlich, aber es würde alles gut werden. Davon war er überzeugt. Und so lange hatte er sich gedulden müssen. Bevor er zu schwach sein würde, da es mit seiner Gesundheit stetig bergab ging, sollte ihm dieser eine Wunsch noch erfüllt werden, nachdem so viele seiner Wünsche und Hoffnungen niemals wahr geworden waren und auch nicht wahr werden würden. Mit steigendem Alter immer mehr dieser Wünsche zu begraben war gewiss alles andere als leicht gewesen.

Das Pochen in seiner Brust verstärkt sich noch weiter, wenn er an die Ränke dachte, die er dabei war zu schmieden: Dieses Treffen war für ihn eine fantastische Gelegenheit, die älteste Tochter der Hadleys zu sich zu locken, die ihm schon als kleines Mädchen fast wie eine Tochter ans Herz gewachsen war. Und vielleicht würde sie ja Interesse an Hunter Albee finden, der bestimmt wunderbar zu ihr passen würde. Er und Ida waren sich einig, dass es sich lohnte, hier dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Auch Hunters Eltern waren langjährige Freunde und Hunter selbst beinahe wie ein Sohn für Ida und ihn. Die beiden würden ein gutes Paar abgeben und wenn er vielleicht sogar noch eine Hochzeit miterleben könnte ... Überraschend schnell hatten die Eltern der beiden diesem Versuch zugestimmt, die das Freiheitsbedürfnis ihrer Kinder wohl gut kannten und sich sorgten, niemals den rechten Ehepartner zu finden und ihre Nachkommen sehr unglücklich damit zu machen. Gerade für Joanne als Frau würde sich Ehelosigkeit sowohl gesellschaftlich als auch für die private Zukunft überaus schwierig gestalten. Er hatte sich aber nicht in seinen modern denkenden Freunden getäuscht, als er ihnen zum ersten Mal den Vorschlag unterbreitete.

Erneut berührte seine Gattin Ida sacht sein Knie. »Du wirst schon sehen«, sagte sie, »es wird alles gut. Mach dir keine Sorgen.«

»Liebling, ich hadere ein wenig. Vielleicht sollte ich es unseren Gästen doch sagen, dann können sie frei entscheiden, ob sie bleiben oder gehen möchten.« Avery fühlte schon wieder einen Schwindelanfall aufkommen und graue Punkte tanzten vor seinen Augen, die er mit einer an Stirn und Augen gedrückten Hand zum Stillstand zwingen wollte.

Ida legte ihrem Gatten die behandschuhte Hand auf die Schulter und drückte sanft zu. »Du würdest sie unnötig ängstigen. Sie können jederzeit gehen, wenn sie sich unwohl fühlen. Wir haben uns entschieden und es ist wahrscheinlich unsere letzte Chance, ein solches Treffen hier zu veranstalten. Wir werden schließlich nicht jünger. Wir können, wenn nötig, jederzeit abbrechen und alle unversehens heimschicken.« Ihren Druck verstärkend ergänzte sie nach einer kurzen Pause, die ihrer Rede die gewünschte Relevanz verleihen sollte: »Wir werden sehen, wie es sich entwickelt, und entscheiden dann. Ich möchte das hier so sehr und du doch auch. Lass es uns wagen.«

Averys Bedenken wurden aus seinem Bewusstsein verdrängt als Joanne den Speisesaal betrat. Er freute sich sehr, die junge Frau endlich begrüßen zu können, und genoss auch die Freude auf dem Gesicht seiner Frau. Eine schwere Zeit lag hinter ihnen, aber sie würden nun normal weiterleben. Es würde Normalität herrschen und alles gut werden. Es musste einfach so sein. Einen kurzen Blick, wie es unter Verbündeten üblich war, wechselten die beiden Eheleute, bevor sie Joanne begrüßten.

***

Nachdem sich alle Gäste an den ihnen zugewiesenen Plätzen niedergelassen hatten, erhob sich Avery feierlich. Er stand am Kopf der Tafel und konnte so reihum jedem einmal tief in die Augen blicken, bevor er seine Schultern straffte, tief durchatmete und mit seiner kleinen Rede anhob.

»Meine Freunde, ich heiße Sie alle herzlich auf Redthorne Castle willkommen! Die edelsten Absichten haben uns zusammengeführt: Wir wollen gemeinsam den Gipfel literarischen Schaffens erklimmen. Gemeinsam sollen uns die Musen auf ihren Schwingen in die höchsten Höhen der Künste tragen, auf dass wir etwas schaffen, an dem sich viele Menschen erquicken können. Meine liebe Frau Ida und ich, wir freuen uns beide sehr, dass Sie alle kommen konnten. Bevor Sie sich alle miteinander bekannt machen und ich anschließend unser Vorhaben, das uns alle hier zusammengeführt hat, näher erläutere, habe ich eine wichtige Frage an Sie zu richten. Sind Sie alle damit einverstanden, die Distanz aufzugeben, die eine durchaus höfliche, aber hier hinderliche Anrede mit sich bringt? Da wir mit der Literatur, die wir hier verfassen werden, eine Offenbarung eines kleines Stückchens unserer eigenen Seele begehen werden, ist es nicht sinnvoll, uns einander als Vertraute oder gar als Freunde zu begegnen und uns auf eine Ebene zu stellen? Ich mache den Vorschlag, dass wir uns alle unser Vertrauen damit beweisen, dass wir Titel und Ränge vergessen und uns mit Vornamen ansprechend auf Augenhöhe begegnen.«

Avery sah fast alle nicken, nur der Professor blickte skeptisch und die Cartwrights schauten erschrocken, aber das war ihm in seiner beschwingten Stimmung reichlich egal. Auf die beinahe allseitige Zustimmung hin setzte er sich.

Fröhlich nickend fuhr Avery fort: »Da nicht alle miteinander bekannt sind, möchte ich nun den Vorschlag machen, dass kurz jeder reihum ein oder zwei Sätze zu seiner Person sagt. Ida, Liebling, fang du doch bitte an.«

Ida tat, wie ihr geheißen, und begrüßte selbst nochmals die Anwesenden.

Nachdem sie ausgesprochen hatte, stellte sich ein gelassen wirkender Mann vor: »Guten Abend allerseits, mein Name lautet Graham Griffith. Avery und der wunderbaren Ida danke ich für die Einladung, obwohl wir uns noch nicht lange kennen. Es freute mich, zu hören, dass sowohl meine beiden Romane als auch mein Gedichtbändlein euch zugesagt und mir diese Einladung gesichert haben. Auf die Kreativität!«

»Hallo zusammen«, sagte daraufhin Emmeline Asbury und wackelte winkend mit den Fingern ihrer rechten Hand. »Ich bin zwar meist nur eine aufmerksame Leserin jeglicher Literatur, habe aber seit einiger Zeit selbst begonnen für mich und meine Freunde zu schreiben. Noch habe ich es nicht gewagt, eines meiner Werke einem Verleger anzuvertrauen, aber vielleicht überlege ich es mir ja nach diesem Treffen anders.«

Der neben Emmeline sitzende junge Mann räusperte sich einmal gründlich und übernahm es, sich und zugleich seine Frau vorzustellen: »Ich wünsche einen guten Abend. Meine Frau Victoria und ich, Francis Mill, hatten bereits häufiger das Vergnügen, mit den Hawthornes über die neusten literarischen Strömungen und Erfolge zu sprechen. Mein Vater ist ein bekannter Verleger, aber ich schreibe lieber selbst, als im Verlagsgewerbe tätig zu sein. Mein erster Roman war zu meiner und zur Freude unseres Verlagshauses ein großer Erfolg, der eine oder andere von euch dürfte davon gehört haben. Und ohne meine Muse Victoria wäre das wohl kaum möglich gewesen, die mir stets gerne als Probeleserin behilflich ist.«

Von Victoria kam nur ein gehauchtes »Hallo.«

Am Avery gegenüberliegenden Kopf der Tafel rückte der renommierte Professor seine Brille auf der Nase zurecht und begann direkt im Vorlesungssermon: »Guten Abend, meine Damen, meine Herren, es ist somit an mir, mich Ihnen vorzustellen. Herr Professor Doktor Liam Wright mein Name. Mein Metier ist die Literatur und ich doziere an verschiedenen Universitäten, nicht nur hier in England, sondern auch in Frankreich und sogar in Deutschland. Ich verfasse vor allem äußerst lehrreiche Sachbücher, aber fühle mich ebenfalls zu tiefgründigen und poetischen Prosawerken berufen. Ich werde Ihnen gerne in Fragen der literarischen Künste während Ihres Aufenthaltes hier behilflich sein. Scheuen Sie keinerlei Fragen, es ist meine Profession, Klarheit und Wissen in allen Bereichen, die Sprache und Literatur betreffen, zur Verfügung zu stellen.«

Als der Professor nach Luft schnappte, fuhr Mildred Townend sanft lächelnd dazwischen und sagte: »Auch ich bin nun schon einige Jahre im Literaturbetrieb tätig. Ich konnte zahlreiche Romane und Geschichten verfassen und bin froh, mich selbst vorstellen zu dürfen, damit Avery nicht wieder mit seinem Koryphäen-Geschwätz anfängt. Ich bin auf eure Werke gespannt und freue mich auch über eure Anmerkungen und Kritiken zu meinem Oeuvre.«

Der Mann, der sein Glas schnell abstellte, um sich vorstellen zu können, sah ebenso verdrießlich wie seine Frau aus, sprach aber mit freundlicher Stimme: »Guten Abend, mein Name lautet Robert Cartwright. Wie meine Frau Dora habe auch ich schon einige Bücher veröffentlicht.«

In diesem Moment wurde er auch schon von seiner Frau unterbrochen, die ihm dabei mit ihrem Handrücken leicht gegen die Schulter schlug: »Robert, ich kann mich durchaus selbst vorstellen. Guten Abend allerseits. Er hat ja bereits vorweggegriffen, aber ich bin Dora Cartwright. Ich bin gespannt, welche Auswirkungen das Treffen haben wird.«

»Hallo miteinander, ich heiße Hunter Albee«, ergriff der junge Mann das Wort, der nun an der Reihe war. Er trug ein modisch leger geschnittenes, braunes Jackett und lächelte freundlich unter seiner ein wenig schief sitzenden Melone hervor. »Ich habe zwar noch kein Manuskript zu Ende gebracht, freue mich aber trotzdem, hier zu sein, und hoffe wie immer auf Idas und Averys guten Einfluss.«

»Dir soll geholfen werden, Junge!«, rief Graham fröhlich und auch die anderen fielen in sein Gelächter ein. Er strich seinen Schnurrbart glatt, der gar nicht außer Form geraten war.

Als es wieder leise wurde, hatte Joanne schon leuchtend rote Wangen bekommen. Ihre Stimme zitterte leicht, aber sie versuchte sich dennoch selbstbewusst vorzustellen: »Guten Abend, ich bin Joanne Hadley und habe über die Jahre ein großes Interesse an Literatur entwickelt und meine eigenen ersten Schreibversuche gewagt. Ich bin sehr dankbar, in dieser Runde dabei sein zu dürfen, und freue mich auf die nächsten Tage.«

»Sehr schön«, lobte Avery die Runde. »Das hat gut funktioniert. Ich heiße euch alle nochmals herzlich willkommen auf Redthorne Castle. Mögen uns unheimliche und schaurige Gedanken kommen und Geschichten aus den Federn fließen, die sich gewaschen haben. Mehr zum Projekt selbst morgen. Um keinen zu großen Ärger mit unserer geschätzten Köchin Ethel zu bekommen, deren Essen frisch am besten schmeckt, wünsche ich nun guten Appetit.«

Erleichtert, dass direkt lockere Gespräche einsetzten und sich anscheinend jeder in der Runde wohlfühlte, nahm Avery Platz und sah zu, wie die ersten Teller aufgetragen wurden. Sie waren wie gewöhnlich schwer mit köstlich duftenden Speisen beladen.

Feierlich hatte ihre Zusammenkunft begonnen, nun sollte es richtig losgehen.

***

Nachdem das reichliche Dinner verzehrt war, fand sich die Gesellschaft im Salon zu weiteren Drinks ein. Ein dunkelroter Teppich wirkte durch das Kerzen- und Kaminfeuer stellenweise, als glühe er. Denselben Effekt erzielten die Vorhänge, sodass Ida den Raum gerne als ihre Gesellschafts-Hölle bezeichnete, da es üblich war, hier Tagesgäste zu empfangen. Bei Tag, wenn kein flackerndes Kerzenlicht leuchtete, blieb der Eindruck allerdings aus, man befände sich in der Unterwelt. Die Polstermöbel waren zwar einladend arrangiert, aber nach dem langen Sitzen beim Dinner hatte es sich bisher niemand darauf gemütlich gemacht. Besonders stolz war Avery auf ein Gemälde von Ida und ihm kurz nach ihrer Hochzeit, das an markanter Stelle hing.

Avery stellte zufrieden fest, dass sich die Atmosphäre spürbar auflockerte. Seine Gäste hatten sich miteinander bekannt gemacht und die Männer und Frauen standen in gemischten Grüppchen zusammen und sprachen über verschiedenste literarische, aber auch private Themen. Dass sich alle zunehmend wohlfühlten, konnte er nicht zuletzt an Joannes Haltung ablesen: Ihre zunächst verkrampft nach oben gezogenen Schultern hatten sich gelockert und die Wangen der jungen Frau glühten, während sie mit den anderen schwätzte und lachte. Averys Herz tat jedes Mal einen kleinen Hüpfer, wenn er zu ihr sah. Er und Ida hatten sich getrennt und gingen von Gruppe zu Gruppe, ganz die vorbildlichen Gastgeber, die sie so gerne waren.

»Liam, den Disput über Shakespeares Autorschaft haben wir nun bestimmt zum hundertsten Mal geführt. Ich will mich nicht überzeugen lassen, dass es jemand anderes sein soll oder gar muss. Was soll dieses neumodische Hirngespinst? Er war in einer Lateinschule und war literarisch zur Genüge gebildet«, wandte sich Avery leicht genervt ab. »Nun muss ich meine Gastgeberpflicht auch gegenüber den anderen Anwesenden erfüllen.«

Professor Liam Wrights sowieso schon altes und faltiges Antlitz runzelte sich noch stärker und er erwiderte mit einem Kopf, der so gerötet wie seine Bestürzung tief war: »So neumodisch ist dieses Hirngespinst, wie du es bezeichnest, gar nicht. Kein Stück Papier gibt es, das nachweislich seinen Namen trägt. Die Unterschriften sehen alle unterschiedlich aus und er schreibt sogar seinen Namen in unterschiedlicher Weise. Seine Kinder waren wie sein Vater Analphabeten. Und du glaubst, er ist der Verfasser dieser Werke?! Mitnichten!«

Avery atmete tief ein und sagte mit fester, beinahe inbrünstiger Stimme: »Ja, das glaube ich.« Er ließ schließlich den alten und viel zu sehr von sich eingenommenen Mann am Kamin stehen und ärgerte sich fast, auch ihn eingeladen zu haben. Aber sein Wissen konnte bestimmt noch nützlich sein und er war trotz allem Gehabe und Getöse doch ein langjähriger Freund. Um sicherzugehen, dass er ihn nicht zu sehr vor den Kopf gestoßen hatte, blickte er noch einmal kurz über die Schulter und sah, wie der Professor majestätisch auf einem der Sessel Platz genommen hatte und weiter murrte. Nein, diesen arroganten Kerl kann man nicht beleidigen, so eingenommen von sich selbst, wie er schon immer war, dachte Avery schmunzelnd.

Er suchte sich eine aufheiternde Ablenkung und schlenderte deshalb auf Joanne zu, die mit der ihrem eigenen Alter ungefähr entsprechenden Victoria Mill und Idas verwitweter Freundin Emmeline Asbury plauderte.

»Meine Damen, wie ich sehe, habt ihr euch bereits bekannt gemacht. Ich hoffe, ihr vergnügt euch hier.«

»Natürlich, Avery, es war eine wunderbare Idee, solch ein Treffen zu veranstalten«, plapperte Joanne aufgeregt. Auch ihr Gesicht war gerötet, aber im Gegensatz zum Professor war der Grund ihrer Aufregung eindeutig positiver Natur. Sie war sichtlich begeistert hier sein zu können.

»Genau, und die Gesellschaft ist auch treffend ausgewählt«, stimmte Emmeline zu.

»Danke für das Lob, wir haben uns Mühe gegeben.«

»Das merkt man, Avery. Es ist perfekt. Mein Mann, Gott habe ihn selig, würde es hier sehr genießen.« Emmeline nickte und schien über etwas nachzudenken. »Ich finde nur, um unsere Kreativität ein wenig anzuspornen, würde es dazugehören, uns allen einige Schauergeschichten zu erzählen. Ich meine, wir treffen uns hier alle auf so einer alten Burg und wollen etwas schreiben, am besten etwas Gruseliges, da wäre es doch angebracht, uns mit den Mythen und Legenden, die du über diese Mauern kennst, ein wenig auf Trab zu bringen.«

»Oh, das wäre herrlich«, blühte nun auch Victoria plötzlich spürbar auf und ihre ansonsten eher unscheinbaren braunen Augen bekamen einen lebendigen Glanz, »ich liebe Schauergeschichten. Sind denn sehr schreckliche Dinge hier vorgefallen? Gibt es viele Spuk- und Geistergeschichten, die sich hier zugetragen haben?«

Avery schaute zweifelnd zu Ida. Sie schien seinen Blick gespürt zu haben und sah ihn kurz unverwandt an, drehte sich aber schnell wieder zurück zu ihren Gesprächspartnern Mildred Townend und Hunter Albee. Während man der älteren Dame an ihrem blassen Teint ansah, dass sie zweifelsohne meist in ihrer stillen Kammer saß und schrieb, sprühte der junge Mann förmlich vor Leben. Er war sorgfältig gekleidet und sein Äußeres machte einen gepflegten Eindruck. Fast konnte Avery ein früheres Selbst in den dunklen Haaren und intensiv blauen Augen erkennen, die bereit waren, die Welt zu erobern. In einer anderen Gruppe sah er, wie sich Francis Mill und Graham Griffith angeregt, ja erhitzt unterhielten. Diese beiden Männer kannte er im Vergleich zu Hunter kaum und unterschiedlicher konnten sie kaum erscheinen. Obwohl offensichtlich befreundet, kleidete sich Francis nahezu wie ein eitler Geck, wohingegen Grahams Kleidung eher nachlässig zusammengestellt wirkte. Mit einem spitzbübischen Lächeln drehte er sich wieder zurück zu den drei Frauen, die ihn erwartungsvoll beobachtet hatten.

»Ida würde es gewiss nicht gutheißen, wenn ich zu so später Stunde unsere weiblichen Gäste erschreckte, aber es gibt tatsächlich ein paar Geschichten und Familiengeheimnisse, die es über die Burg und deren frühere Bewohner zu erzählen gibt.«

Joanne legte ihm die Hand auf die Schulter. »Avery, du kannst nicht so etwas andeuten und dann nicht mehr verraten. Du kennst mich. Du weißt, ich komme um vor Neugierde! Tu mir das bitte nicht an.«

»Ach Avery«, fügte Emmeline hinzu, »ich weiß noch gar nicht, was ich schreiben soll. Vielleicht würde mir eine solche Geschichte den nötigen Schwung verleihen.«

Den Frauen war es nach einer Weile gelungen, Avery vom Wert einer solchen schaurigen Erzählung für das eigene literarische Schaffen zu überzeugen. Er sah auf seine Taschenuhr. Teilweise freudig, teilweise aber auch mit schlechtem Gewissen verkündete er ihnen und auch allen anderen, dass er um Mitternacht noch auf Wunsch der Damen eine besonders tragische Schauergeschichte bezüglich der Burg vorzutragen gedenke. Danach könnte sich, wer müde sei, zu Bett begeben. Jeder sei aber herzlich dazu eingeladen, so lange zu bleiben, wie er möchte. Er selbst würde wegen seines Alters genügend Schlaf benötigen, um am nächsten Tag wieder frisch zu sein, und sich danach zurückziehen.

Ida kam sogleich mit böse funkelnden Augen, die er besonders an seiner Frau liebte, zu ihm herübermarschiert. Er mochte es, wenn sie sich über etwas aufregte und sich richtig in Rage redete. Selbst in dem Alter, das sie nun beide erreicht hatten, wirkte sie noch jugendlich, wenn sie ihn so erbost anschaute.

Sie zog ihn mit sich in eine stille Ecke, um ihm ungestört einen Rüffel geben zu können. »Verrückt geworden, das bist du! Verrückt! Erzähle bloß nichts über Lucinda, damit forderst du es ja geradezu heraus. Bitte begnüge dich mit irgendwelchen Legenden, aber nicht Lucinda! Und Liebling, übernimm dich nicht. Du hast noch einiges vor dir.«

Er versicherte seiner Frau, sich dahin gehend zurückzuhalten, und überlegte sich, mit welchen Worten er die auserwählte Geschichte wohl zum Besten geben sollte.

***

Insgesamt blickten die versammelten Menschen ihm schon recht müde entgegen, waren sie alle immerhin von mehr oder weniger weit angereist. Es war nun endlich Mitternacht und Avery würde eine der Spukgeschichten erzählen, die sich hier auf Redthorne Castle zugetragen haben sollten. Danach würden wohl alle in ihre warmen, weichen Betten schlüpfen und vielleicht von einigen aufregenden Träumen heimgesucht werden. Dann konnte das schriftstellerische Schaffen am nächsten Tag beginnen.

Einmal atmete Avery noch tief ein, um dann seine Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Während seines Vortrages würde sich nicht ein Augenpaar von ihm lösen können.

Dies war Avery Hawthornes Erzählung:

In den dunklen Zeiten des Mittelalters lebte ein Herr auf dieser Burg, der eine wunderschöne Tochter hatte. Diese hatte er einem seiner Feinde zur Frau versprochen, da in Zukunft Frieden in den aneinander grenzenden Ländereien herrschen sollte. Man wollte die alten Fehden vergessen. Doch seine Tochter und sein treuester Ritter hatten sich ohne sein Wissen ineinander verliebt und wollten heimlich miteinander fortgehen.

Noch am Abend vor der Flucht, die in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages geplant war, erfuhr der Burgherr von diesem unsäglichen Plan und legte schweren Herzens seinen tapfersten Ritter in den Tiefen des Kerkers in Ketten, um ihn der Vergessenheit anheimzugeben. Seine Tochter wartete und wartete am vereinbarten Treffpunkt zur verabredeten Zeit, aber ihr Geliebter kam nicht und so machte sie sich am späten Nachmittag notgedrungen auf den Weg zurück zur Burg. Vielleicht hatte ihn ja jemand gesehen oder gesprochen und konnte ihr Kunde geben.

Bald traf sie auf ihren Vater, der sie dafür schalt, solange spazieren gewesen zu sein. Offenbar voll trauriger Bestürzung teilte er ihr mit, dass sein bester Ritter ihn in der gestrigen Nacht aufgesucht und gebeten hatte, ihn vom Dienst frei zu sagen, damit er in anderen Landstrichen zu Ruhm und Ehre gelangen konnte. Er würde nicht länger hierbleiben wollen und so sei er noch gestern Nacht für immer gegangen.

Seine Tochter konnte dies kaum glauben, hatte der besagte Ritter ihr doch seine unsterbliche Liebe geschworen; nachdem sie aber Tag um Tag vergeblich auf ihren Geliebten gewartet hatte, fühlte sie ihr Herz vor Kummer sterben. So war es ihr dann einerlei, dass sie dem Feind zur Frau gegeben wurde. Sie fügte sich ihrem Schicksal und lebte nur noch für wenige Monate auf der ehemals feindlichen Burg, bis sie dann mit gebrochenem Herzen vor Traurigkeit und Enttäuschung starb.

Der Ritter, ihr Geliebter, war derweil im Kerker hingeschieden. Man hatte ihn angekettet und dort in der Dunkelheit ohne Wasser und Brot schmachten lassen, bis man eines Tages nur noch seine mürben Knochen hatte bergen können. Er hatte nichts gegen das Schicksal beider tun können. Die Kerkerwächter hatten berichtet, dass er bis zu seinem Tod versucht hatte, sich von den Ketten zu befreien, und zu seiner Geliebten zu gelangen. Dieses Kettenrasseln verfolgte die Wächter ihr Lebtag.

Noch heute kann man in so mancher dunklen Nacht die Ketten des verzweifelten Ritters rasseln hören.

Gebannt hatten Averys Zuhörer gelauscht und seine letzten Worte schienen noch lange nachzuklingen. Die Frauen blickten traurig und tief berührt, die Männer eher verärgert über die herzlose List des Königs. Nur Averys eigene Frau schaute erleichtert, dass er sein Versprechen gehalten und Lucinda nicht erwähnt hatte. Ein vergnüglicher Abend war zu Ende gegangen und müde verabschiedeten sich die Hawthornes von ihren Gästen bis zum Frühstück am nächsten Morgen. Avery wurde zu dem Versprechen gezwungen, das er nur zu gerne gab. So sollte jeder Abend enden: mit einer Schauergeschichte zu Redthorne Castle.

~ Kapitel 3: Victoria Mill, 5. September 1898 ~

Victoria Mill war froh, dass die Nacht endlich vorüber war. Sie hatte unglaublich schlecht geschlafen, wie meist, wenn sie in einer neuen Umgebung übernachtete. Dazu waren die vielen Gedanken gekommen, die die Spukgeschichte ausgelöst hatte. Selbst ihr Mann Francis hatte sie nicht trösten können, was aber auch an seinem alkoholisierten Zustand lag. Er war spät in der Nacht ins Bett gefallen und direkt eingeschlafen. Selbst sein lautes Schnarchen hatte das Kettenrasseln nicht übertönen können, das Victoria zu hören glaubte und sie wach hielt.

Am nächsten Morgen, als er endlich ausgeschlafen hatte, saß sie gerade am Waschtisch. Victoria steckte ihre Haare zu einer einfachen Frisur auf, für deren Hilfe sie nicht die Hilfe einer Zofe in Anspruch nehmen musste. Ihr zartgelbes Lieblingskleid saß wie stets perfekt. Sie fand es keck, dass sie es aufgrund seiner enormen Länge beim Gehen durchaus hochnehmen konnte, wodurch sie ein wenig Tüll blitzen ließ und allen die Gelegenheit bot, ihr spitz zulaufendes, hochhackiges Schuhwerk zu bewundern. Sie schaute über ihre Schulter und fragte Francis, ob er sich am vergangenen Abend amüsiert hatte. Einsilbig bejahte er dies.

Victoria ließ jedoch nicht locker: »Avery und Ida haben wirklich nette Menschen eingeladen. Da fällt mir ein, hast du dich gestern mit Graham gestritten? Oder worüber habt ihr diskutiert?«

»Nur ein Gespräch.« Francis drückte seine rechte, zur Faust geballte Hand erst an den Kopf und rieb sich dann ausführlich die Augen.

»Aber ihr habt euch doch so laut unterhalten. Sicher, dass Graham es nicht falsch verstanden hat?«, beharrte Victoria nach einem kurzen Zögern, während sie ihre Frisur feststeckte.

»Du sorgst dich schon sehr um deinen Graham, nicht?« Francis´ müde, kleine braune Augen funkelten sie plötzlich viel wacher und wütend an.

»Nein, ich wollte nur ...« Sie ließ ihre Hände von den Haaren fallen und schaute ihren Gatten erschrocken an. Sie wusste, was nun kommen würde.

»Ich weiß schon, was du willst«, sagte Francis mürrisch. Er war übelster Laune. »Aber du bist jetzt verheiratet und meine treue Frau. Meine Frau, verstanden? Meins! Verdammt noch mal, mach mich nicht wütend. Zwinge mich nicht ...«

»Schatz, du hast mich missverstanden. Ich habe kein Interesse an ihm. Ich habe nicht einmal mit ihm gesprochen, er hat sich sehr freundlich mit Joanne unterhalten und ich stand nur dabei.« Victoria ging einige Schritte auf Francis zu, blieb aber in sicherer Entfernung stehen. Sie wusste, wie sie ihn besänftigen konnte. Lange hatte es gedauert, dies herauszufinden. Sie sah Francis mit nach unten geneigtem Kopf an, entschuldigte sich, beteuerte ihre Liebe zu ihm und dass sie ihn gar nicht verdient hatte und schwor Gehorsam.

Mit steiler Falte zwischen den Augenbrauen und fahrigen Bewegungen schlüpfte Victorias Gatte in sein Sakko. Wieder fielen ihr die zwei Knopfreihen unangenehm auf. Auch die Blenden, die Francis sich für die Aufschläge und den Kragen ausgewählt hatte, empfand sie als geckenhaft und gar nicht zu seiner Person passend. Er aber glaubte damit elegant und modisch zu wirken und wollte seine Ausstrahlung damit unterstreichen. So töricht, ihm seinen Irrtum vorzuhalten, war Victoria nicht. Vielleicht würde sie ihm dies mitteilen, wenn noch ein paar Ehejahre vergangen waren – wenn sich bis dahin die Mode nicht ohnehin veränderte.

Bald war der Streit beigelegt und die Mills verließen im Anschein ungetrübter Harmonie ihr Gästezimmer. Victoria gab sich große Mühe, glücklich und unbelastet auszusehen. Das war Francis wichtig. Und dieser Streit war verglichen mit anderen sehr harmlos verlaufen, deshalb bereitete es ihr kaum Mühe. Wenig hungrig war Victoria zum Frühstück gegangen und setzte sich, wie die anderen auch, an den Platz, den sie am vorherigen Abend eingenommen hatte. Sie saß damit zwischen Francis und dem nervtötenden Professor. Immerhin saß ihr gegenüber die berühmte Schriftstellerin Mildred Townend, mit der sie sich gerne über ihre Romane unterhalten wollte, was sie sich am ersten Abend noch nicht getraut hatte. Der Vorsatz, heute mutiger zu sein, hob ihre Laune.

Das Frühstück verlief um einiges formloser als das Dinner am Vorabend. Der Tisch war nicht ganz besetzt, einige aßen, andere waren bereits fertig, aber alle unterhielten sich angeregt. Auch die Gastgeber schienen ihr Vergnügen zu haben. Ida schwätzte regelrecht mit der ihr gegenübersitzenden Joanne, die Victoria gestern schon ein wenig näher kennengelernt hatte.

Joanne Hadley, die nur wenige Jahre jünger war als sie selbst, machte den Eindruck einer aufgeweckten Frau, die noch nicht so recht wusste, wie es mit ihrem Leben weitergehen sollte. Zumindest hatte sie nichts von einem Verlobten oder Geliebten verraten, aber die Schriftstellerei lag ihr eindeutig sehr am Herzen. Davon zeugten nicht zuletzt die mit Tinte beklecksten Hände, die sie für Victoria einerseits ein wenig schmuddelig machte, aber andererseits fühlte sie einen neidvollen Stich, zumindest einen kleinen. Sie selbst würde nie schreiben dürfen. Und die aufregende Zeit, sich zu verlieben und einen Mann zu finden, war auch ein für alle Mal vorbei. Dass der darauf folgende Ehealltag zu einigen – oft auch unschönen – Entpuppungen führen konnte, das wusste Victoria ganz genau.

Avery unterhielt sich mit einem jungen Mann, der rechts neben Joanne saß. Hunter Albee war sein Name. Sie hatte noch nicht mit ihm gesprochen und würde es wohl auch nicht tun. Francis wurde schnell eifersüchtig und wütend, was er bereits an diesem Morgen bewiesen hatte, obwohl er ansonsten meist ein guter Mann war. Victoria war darauf bedacht, ihn nicht zu verärgern, womit sie sich selbst das Leben erleichtern konnte, und so versuchte sie sich strikt an den weiblichen Teil der Gesellschaft zu halten – bis auf eine Ausnahme zumindest. Daher interessierte sie es nicht besonders, dass Avery einen weiteren männlichen Gast ankündigte, der wohl bald zur Gesellschaft hinzustoßen würde. Es handelte sich um einen Freund Hunters namens Jonathan Bradbury. Ein wenig schwirrte Victoria sowieso schon der Kopf von den vielen neuen Namen, da vergaß sie diese ihrer Meinung nach für sie irrelevante Information schnell wieder und gab sich dem Gedanken hin, mit wem sie sich heute Abend heimlich treffen wollte. Wenn sie auch sonst das brave Eheweib gab, das er erwartete, diese kleine Eskapade wollte sie sich unbedingt zugestehen. Immerhin war sie auf äußerste Vorsicht bedacht und Francis würde garantiert nichts bemerken. Wenn auch nur die Chance bestünde, dass er Lunte roch, würde sie ein solches Wagnis niemals eingehen.

»Victoria, du siehst ein wenig übernächtigt aus. Hast du nach der Spukgeschichte nicht mehr gut schlafen können? Oder trägt die ungewohnte Matratze die Schuld?«, riss Mildred Townend sie aus ihren Träumereien. Die schon etwas ältere Dame zeigte mütterliche Sorge, obwohl sie selbst kinder- und gattenlos lebte, was Victorias Herz für die verehrte Schriftstellerin umso mehr einnahm. Wenn sie sich bemühte, dann könnte sie Mildred gewiss als Freundin gewinnen. Angesichts dieser Vorstellung schlug ihr Herz ein wenig schneller.

»Nein, ich habe nicht sehr gut geschlafen, was aber nicht an den komfortablen Betten lag. Die Geschichte hat mich tatsächlich noch lange beschäftigt. Und wie sieht es bei Ihnen aus?«

»Nenn mich ruhig Mildred, meine Liebe, wir sind hier alle Freunde. Ich habe recht gut geschlafen, für mich wirkt eine solche Geschichte stets sehr anregend. Meine Fantasie beginnt damit zu spielen, sucht Anknüpfungspunkte für weitere Geschichten oder entwickelt Ausgestaltungen der Figuren und dergleichen. Mich würde es allerdings interessieren, wie es um meinen Mut bestellt wäre, würde ich zur Protagonistin einer Schauergeschichte.«

»Das glaube ich dir gerne. Ich kann mir nicht erklären, woher du die vielen Ideen für all die wunderbaren Romane bekommen hast. Gestern beim Dinner wollte ich dich das schon die ganze Zeit fragen, aber damit wirst du wohl ständig belästigt.« Victoria war stolz auf sich, wie selbstbewusst sie die persönliche Anrede umsetzte.

»Ach was, frage nur, was du wissen möchtest. Ich liebe es, über die Schriftstellerei zu sprechen. Sie ist mein Leben. Die Geschichten sind mir teilweise ohne mein Zutun zugeflogen, meist sind sie jedoch harte Arbeit und vieles verwerfe ich selbst nach viel Schreibaufwand wieder. In meinem langen Leben konnte ich viele Erfahrungen und Eindrücke sammeln, was einem natürlich beim Schreiben hilft. Oftmals sieht man etwas oder man träumt, man hört eine Legende oder liest von einer historischen Person und so beginnt es dann im Kopf zu arbeiten. Weißt du, was ich meine?«

Victoria genoss es, noch eine ganze Weile sich angeregt mit Mildred unterhalten zu können, die ihr geduldig und anscheinend sogar mit Vergnügen jede ihrer Fragen ausführlichst beantwortete. Als jeder sein Frühstück eingenommen hatte, schlug Ida vor, dass die Frauen gemeinsam ein wenig durch den Garten schlendern könnten. Mit einem kurzen Seitenblick zu Francis versicherte Victoria sich seiner Zustimmung und verließ zusammen mit Mildred und den anderen Damen den Tisch und schließlich das Innere der Burg zum Garten, der im Burghof lag.

***

Die Sonne strahlte sanft auf sie alle herunter und dennoch roch die Luft nach Regen. Die Mücken flogen tief und einige wenige Schäfchenwolken zogen über den Himmel, der innerhalb des quadratischen Burghofs zu sehen war. All das waren, soweit Victoria wusste, Anzeichen für ein baldiges Gewitter. Noch wollten die Frauen aber das gute Wetter genießen, denn der stetig näherrückende Winter würde wieder lang und streng werden. Die Wände der Burg ragten ringsum in dem Himmel, dennoch fühlte sie sich überraschend frei und ein bisschen wie im Paradies angekommen. Auf die vornehme Blässe bedacht, hielten sie sich zunächst im Schatten der circa fünfzehn dicht belaubten Bäume auf, die einen Großteil des kleinen Gartens ausmachten. Victoria Mill genoss es, im Kreise dieser netten Menschen ihre Zeit verbringen zu können und Abwechslung von ihrem Alltag zu finden.

Alle plauderten fröhlich miteinander und Victoria nutzte die Gelegenheit, Ida auf die Spukgeschichte anzusprechen, als sie sich ihr bot. »Eine wirklich traurige und gleichzeitig unheimliche Geschichte, die uns dein Gatte gestern erzählt hat. Sie hat mich letzte Nacht noch lange beschäftigt und tut es auch weiterhin.«

»Da hast du recht, meine Liebe, sie ist wirklich tragisch«, stimmte Ida bedächtig nickend zu.

»Hast du denn schon einmal selbst die Ketten auf Redthorne Castle rasseln hören, Ida?«, wollte Joanne sofort wissen und hakte sich bei Ida unter.

»Ach, weißt du, in alten Gemäuern gibt es viele Geräusche und nicht alle lassen sich immer eindeutig zuordnen«, wich Ida ein wenig aus.

»Gibt es für die Geschichte historische Belege? Denn wenn sie nicht stattgefunden hat, kann es schwerlich ein Gespenst geben«, mischte sich Dora Cartwright ein, blickte streng und reckte ihr Kinn ein wenig weiter nach oben als zuvor.

»Soviel wir wissen, gab es besagten Burgherren und er hat wohl auch seine früh verstorbene Tochter mit seinem Feind vermählt. Ansonsten ist mir nichts bekannt. Aber die Zeiten waren damals eben so. Das arme Mädchen wurde für politische Zwecke geopfert. Der geehelichte Burgherr hat sie womöglich als Tochter des Feindes schlecht behandelt, weshalb sie verstarb. Oder sie wurde krank. Oder schwanger und starb bei der Geburt. Der Tod war damals allgegenwärtig, das ist er heute fast noch genauso. Über den Ritter weiß ich nichts.«

»Gibt es denn weitere Spukgeschichten wie die von gestern Nacht? Oder wird Avery uns fortan mit langweiligen Kriegsgeschichten quälen?«, fragte Mildred, die schon wieder auf Ideenjagd zu sein vermochte.

»Es gibt hier nur die üblichen Geschichten, wie sie jede zweite Burg vorzuweisen hat. Und natürlich die Geschichte, wie Redthorne Castle zu seinem Namen kam. Ich werde Avery vorschlagen, sie heute Abend vorzutragen. Aber keine Sorge, bevor Avery sich der historischen Geschichten bedienen muss, hat er noch allerlei Spuk in seinem Repertoire.«

Victoria hoffte sehr, noch die eine oder andere Geschichte zu hören, und äußerte dies auch. Aus Joannes gedankenverlorenem Blick schloss sie, dass sie damit nicht die Einzige war.

»Meine Damen, ich muss mich entschuldigen. Ich habe eine Idee, die ich sofort notieren möchte«, sagte die bis dahin still gebliebene Emmeline Asbury und verschwand, noch bevor nachgefragt werden konnte, worum es sich denn handele, in Richtung der nächsten Tür in die Burg.

»Das kam irgendwie unerwartet«, schmunzelte Ida über ihre langjährige Freundin.

»Ja, ich hoffe doch, dass auch mir bald eine Idee einfach so zufliegt. Bei mir ist das ja immer härteste Arbeit«, erwiderte Dora Cartwright in einem Ton, der Victoria reichlich missgünstig vorkam.

Diese Frau wirkte wie ein echtes Scheusal. Ständig keifte sie in scheinbar unbeobachteten Momenten ihren nur unerheblich freundlicheren Mann an und fand andauernd etwas, worüber sie sich ärgern und auslassen konnte. Victoria Mill beschloss, wie sie es stets bei ihr unangenehmen Menschen hielt, Dora wenn möglich aus dem Weg zu gehen und sie zu ignorieren. Ida sah irgendwie überfordert aus, als würde sie ihre Freundin gerne in Schutz nehmen, wollte aber gleichzeitig keine feindselige Stimmung schaffen.

»Ich denke, wir werden alle noch den einen oder anderen guten Einfall haben. Genau dafür ist ja dieses Treffen gedacht. Wenn es erst heute Abend richtig losgeht und eine betriebsame Stimmung herrscht, wird die Fantasie von ganz alleine angespornt«, versuchte Ida Dora versöhnlich zu stimmen.

»Fantasie, Fantasie. Das ist nicht alles, was zählt. Man sollte das literarische Handwerk nicht nur als Träumerei eines fantasierenden – bestenfalls von Musen geleiteten – Individuums herabstufen. Oder glaubt ihr etwa diesen Irrsinn von wegen Genie? Es werden noch immer mancherlei Traktate zum Geniegedanken veröffentlicht. Eine Schande ist das. Regeln müssen beachtet, Grundsätze müssen befolgt werden. Nur mit Fantasie wird unsere werte Emmeline nicht weiter kommen, als sie es bisher geschafft hat. Und das ist offen gestanden ja noch kein einziger Schritt weit«, mäkelte Dora weiter. »Und warum verziehen Sie Ihr Gesicht so mürrisch, Miss Hadley?«

Joannes empörte Züge wurden kurz durch die Überraschung, ertappt worden zu sein, ein wenig weicher. Schnell verwandelte sich ihr Gesicht aber wieder in eine leicht gereizte Miene und Victoria war gespannt, was sie gleich sagen würde. Mit geröteten Wangen und an ihrem Kleid nestelnden Fingern antwortet Joanne mit leiser, aber fester Stimme: »Ich finde es nicht nett, sich unfreundlich über Personen zu äußern, die nicht anwesend sind. Mit allem Respekt für Ihre bisherigen literarischen Erfolge, Mrs. Cartwright, aber ist es nicht schade, das Schreiben nur als mühselige Arbeit aufzufassen? Kann der Schriftsteller mit seinem Werk nicht einen ebensolchen Spaß haben wie der Leser? Wenn Bilder im Kopf entstehen und die Figuren ein Eigenleben entwickeln ...« Ihrer Miene nach hätte sie gerne noch mehr hinzugefügt, war aber selbst froh und stolz, überhaupt etwas vorgebracht zu haben.

»Ich will Ihnen Ihre jugendliche Naivität einmal nicht übel nehmen, junges Fräulein. Sie könnten bestimmt viel von mir oder von Mildred lernen. Aber Sie sollten es sich das nächste Mal sehr genau überlegen, ob Sie wieder in einem solchen Ton mit mir sprechen«, sagte Dora Cartwright und trug das humorloseste Lächeln im Gesicht, das Victoria jemals gesehen hatte. Dieses schier infernalische Grinsen muss der Sensenmann zur Schau tragen, wenn er einen holen kommt, dachte Victoria.

Die feine Röte, die Joannes Wangen überzog, begann sich noch mehr zu vertiefen und auszubreiten, bis schließlich ihr Kopf samt Dekolleté so rot leuchtete. Victoria befürchtete, gleich könnte die junge Frau in eine Ohnmacht fallen. Dabei fragte sie sich, ob sich Joanne wegen des Tadels schämte oder ob sie wütend war und sich zusammennahm, um nichts Böses zu antworten.

»Jedem seine Arbeitsweise. Ich denke, die Arten zu schreiben sind so facettenreich wie die Schreiber und die Texte selbst«, warf Ida hilflos in die Runde.

Die ursprünglich freundschaftliche, gemütliche Stimmung war verflogen und einige Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, weshalb sie beschlossen, sich vor dem Mittagessen noch einmal zurückzuziehen, um in Ruhe Briefe zu schreiben oder etwas zu lesen.

Victoria bedauerte es, erneut trister Tatenlosigkeit anheimgegeben zu werden, aber sie tröstete sich mit den vielen künftigen Stunden, die sie noch in heiterer Gesellschaft verbringen würde.

***

Als Victoria in ihr Zimmer trat, fand sie es leer vor. Die weiß getünchten Wände wirkten kälter denn je und die Vorhänge hingen trostlos vor den Fenstern herab. Selbst der Teppich machte für sie einen betretenen, einsamen Eindruck. Sie hatte nicht mit Francis gerechnet, der wahrscheinlich in einer gemütlichen Männerrunde saß. Da sie nicht vorhatte, selbst etwas zu schreiben, zerbrach sie sich gar nicht erst den Kopf über mögliche Ansätze für den Abend, wie es wohl momentan die meisten der anderen Frauen taten. Vielleicht sollte sie es ja doch einmal wagen und versuchen selbst etwas zu verfassen. Victoria bereitete es zwar auch Freude, Francis´ Texte zur Probe zu lesen und nötigenfalls mit Anmerkungen zu versehen, dennoch wünschte sie sich seit Langem, einmal eine Geschichte aus ihrer eigenen Feder fließen zu lassen. Aber es sollte ja nicht sein.

Da sie heute keine Briefe zu schreiben hatte, schritt sie an der mit Büchern reichlich bestückten Regalreihe entlang und überlegte sich, welches zu lesen sich lohnen würde. Als Victoria den dicken Band mit Shakespeares Dramen entdeckte, war ihre Entscheidung getroffen. Es gab schlichtweg für jede ihrer Stimmungen einen passenden Shakespeare.

~ Kapitel 4: Joanne Hadley, 5. und 6. September 1898 ~

Es war später Nachmittag und bevor sie die erste literarische Zusammenkunft in der Bibliothek antrat, dachte Joanne Hadley lediglich daran, wie warm und weich ihr Bett war. Und welch seltsamen Träume es für sie bereithielt. Auch wenn sie nicht viel hatte schlafen können und bestimmt so übernächtigt aussah wie Victoria Mill, wollte sie doch an diesem Abend nicht schon direkt ins Bett gehen, sondern ihr Engagement unter Beweis stellen. So ausgelaugt, wie sie auch war, konnte sie die Aufregung für einige Stunden wachhalten. Sie wollte zumindest den Beginn von etwas Wunderbarem schaffen.

Bestimmt konnte sie ihre wirren Träume, die sie in den viel zu kurzen Schlafphasen heimgesucht hatten, später noch verwenden und versuchte sich deshalb an jedes Detail zu erinnern und nichts zu vergessen.

Nicht aber wollte sie sich an die Geräusche erinnern, die sie gehört hatte. Joanne war wie erstarrt im Bett gelegen, als sie geglaubt hatte, Ketten rasseln zu hören. Aber diese Einbildung war gewiss der Gespenstergeschichte entsprungen, die Avery so kurz vor dem Zubettgehen erzählt hatte.

Mehrfach hatte sie in der gestrigen Nacht ein leises Klirren gehört und immer verzweifelter und verzagter hatte sie versucht einzuschlafen. Joanne wollte durch einen tiefen Schlummer dem gespenstischen Kettenrasseln entgehen, das sie zu hören geglaubt hatte und das sich ihr zu nähern schien.

Die Stirn in Falten gelegt, die ihre Mutter zur Weißglut gebracht hätten, grübelte sie darüber nach, was sie in ihrem Traum gesehen hatte: Eine einsame junge Frau stand mit leicht eingezogenem Kopf und herabhängenden Schultern regungslos da. Sie starrte in den teuren Spiegel und erforschte ihr eigenes Gesicht, das entweder seine Mitmenschen, die ganze Welt oder sich selbst verabscheute. Ruckartig löste sie sich von ihrem eigenen Anblick und nahm ein Tintenglas voll schwarzer Flüssigkeit von dem Tischchen neben sich und warf es mit einer kräftigen, von Verzweiflung sprechenden Geste gegen den Spiegel, der daraufhin in viele kleine Bruchstücke zersplitterte. Die Scherben zu ihren Füßen schienen sie still anzuflehen, eine von ihnen in die Hand zu nehmen. Was hatte dieser Traum nur zu bedeuten?

Zur Aufwärmung wollte Joanne zunächst ein kleines Gedicht verfassen. Etwas, woran sie nicht allzu lange arbeiten musste, aber all ihre Inspiration und Kreativität darauf verwenden konnte. Es sollte etwas Unheimliches und zugleich Tragisches sein. Diese Mischung hatte sie auch bei der Schauergeschichte Averys fasziniert. Bildreich und atmosphärisch dicht sollte es werden, also durch und durch gelungen.

Nach dem eher unerfreulichen Spaziergang am Vormittag und dem Lunch hatte sie sich zurückgezogen, um etwas zu lesen und über ihre bevorstehende literarische Arbeit nachzudenken. Den Versuch, zu schlafen, hatte sie gar nicht erst unternommen, sondern als verschwendete Zeit abgetan, was sie nun ein wenig bereute. Die Vorfreude trieb Joanne frühzeitig aus ihrem Zimmer hinaus und sie machte sich beschwingten Schritts auf den Weg zum verabredeten Treffpunkt des ersten richtigen literarischen Treffens: in die Bibliothek. Natürlich hatte sie sich ein Glas ihrer grünen Lieblingstinte mitgenommen, mit der sie schreiben wollte, egal, wie unprofessionell oder kindisch es wirken würde.

***

Noch bevor Joanne die Bibliothek erreicht hatte, hielt der Butler sie auf. Harold hatte, seit sie hier angekommen war, recht mürrisch geschaut. Aber in ihrer Kindheit hatte sie ihn als zuvorkommenden, netten Menschen erlebt, weshalb sie keine Scheu vor ihm empfand. Dunkel konnte sie sich sogar noch daran erinnern, mit ihm Fangen und Verstecken im Garten und in der Burg gespielt zu haben. Bereits damals war er kein junger Mann mehr gewesen, aber er hatte durch Freundlichkeit und Humor rasant ihr Kinderherz erobert.

»Miss Hadley, ich sorge mich um Sie. Ich weiß, wie sehr Sie Sir und Lady Hawthorne am Herzen liegen, und deshalb frage ich mich, ob es für Sie das Richtige ist, an diesem Treffen teilzunehmen.« Mit tiefen Falten auf der Stirn und um die Augen sah er sie durchdringend an.

»Harold, ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge, aber Ihre Bedenken sind unbegründet. Ich fühle mich sehr wohl hier«, antwortete Joanne überrascht auf Harolds Skepsis und fuhr die Kleckse auf ihren Händen nach.

»Sie waren schon immer ein sehr nettes und lebendiges Mädchen und ich möchte, dass das auch so bleibt. Deshalb muss ich deutlicher werden: Wäre ich zur Stelle gewesen bei Ihrer Ankunft – und nicht aufgrund meiner Rückenprobleme Finnley –, dann hätte ich Sie direkt darauf hingewiesen, dass Ihr Vorhaben nicht gut enden wird. Womöglich hätte ich Sie gar gebeten wieder abzureisen.«

»Sie hätten mich direkt wieder heimgeschickt?«, entfuhr es Joanne mit einem kleinen Schnauben. »Harold, nochmals, ich kann Ihnen für Ihre Sorge nur danken. Aber ich weiß, dass ich mit den anderen Gästen hier meine Fähigkeiten noch lange nicht messen kann. Ich habe nicht den Ehrgeiz, jemanden zu übertreffen, sondern möchte lediglich mehr über die Schriftstellerei lernen.«

Harold blickte finsterer als zuvor drein und sagte leise, aber deutlich: »Meine liebe Miss, das meinte ich nicht. Ich bin sicher, Sie verfassen wunderbare Texte. Aber fühlen Sie sich denn absolut wohl hier? Hören Sie auf Ihre Intuition! Wenn Sie sich ängstigen, dann aus gutem Grund, denn diese Gemäuer sind alt und niemand kann wissen, was in ihnen lauert.«

Harold schien noch etwas sagen zu wollen, drehte sich dann jedoch um und war um die nächste Ecke verschwunden, noch bevor Joanne etwas hätte erwidern können. Sie bedauerte es, dass so manche Menschen einen leichten Spleen, wenn nicht gar geistigen Knacks bekamen, wenn sie alt wurden. Aber am vorherigen Tag hatte auch Megan, die junge Bedienstete, seltsame Dinge gesagt. Was war nur mit der Dienerschaft los? Waren sie durch die hohe Gästezahl überfordert? Oder gab es neuerdings Geheimnisse auf Redthorne Castle, die es für eine neugierige Frau wie sie zu ergründen galt?

Eine unangenehm säuselnde Stimme erschreckte sie: »Meine wunderschöne Joanne, hast du dich verlaufen? Oder weshalb stehst du hier so herum, als seiest du die ansehnlichste Statue des gesamten Redthorne Castle?«

»Graham, ich habe dich gar nicht bemerkt. Ich war in meine Gedanken vertieft …«, druckste Joanne und konnte nur schwer verbergen, wie ungern sie alleine mit ihm sprach, nachdem seine Blicke sie tagsüber so aufdringlich verfolgt hatten. Er mochte ein fähiger Schriftsteller sein, Sympathie empfand sie nicht für ihn.

»Bestimmt hast du von mir geträumt«, lächelte er selbstsicher und süffisant.

»Nein«, sagte Joanne gereizt, was sie bereute, denn so war sie nicht erzogen worden. Freundlicher setzte sie hinzu: »Ich habe über eine mögliche Idee für eine Geschichte nachgedacht. Ich wollte gerade zur Bibliothek gehen.«

»Und was wollte der alte Butler von dir?«, fragte Graham neugierig.

»Er heißt Harold und hat mir einen schönen Abend und viel Erfolg gewünscht. Ich kenne ihn von Kindesbeinen an und wir hatten noch keine Gelegenheit, miteinander zu sprechen.«

Joanne wusste selbst nicht, weshalb sie Graham so dreist belog. Aber sie traute ihm einfach nicht. Ständig sagte er diese Dinge, schmierte ihr den sprichwörtlichen Honig ums Mäulchen und schaute sie auf eine unheimliche Art an, von der sie eine Gänsehaut bekam. Gleichzeitig hatte sie aber den starken Verdacht, dass er all das nicht ernst meinte und es seine Art war, so mit jungen Frauen umzugehen. Mit diesen Neckereien verbarg er womöglich nur seine eigene Unsicherheit oder sogar Unzulänglichkeit. Dass herausragende berufliche Erfolge auf sich warten ließen, dürfte ihm immer schwerer zusetzen. Mit Mitte 30 war es für ihn wohl langsam an der Zeit, sich nach einer geeigneten Gattin umzusehen. Sie konnte sein Betragen und ihn selbst weder einschätzen noch leiden und wollte ihm nicht anvertrauen, dass sie das Verhalten von Megan und Harold besorgte.

Graham blieb still und betrachtete ein Gemälde, worin sie ihre Chance gekommen sah, sich von ihm zu entfernen. Joanne drehte sich um und legte die letzten Meter zur Bibliothek zurück und Graham blieb stets einen Schritt hinter ihr.

Sie fühlte sich verfolgt. Nur schwer konnte sie sich beherrschen, ihre Schritte nicht zu beschleunigen. Auf keinen Fall wollte sie, dass Graham Griffith merkte, welch ein Unwohlsein er bei ihr auslöste. Er würde das bestimmt genießen. Und ob ihr sehr unvorteilhaftes Bild von ihm gerechtfertigt war, blieb für sie herauszufinden.

***

Als sie die schwere Eichentür zur Bibliothek durchschritt, konnte Joanne wieder freier atmen. Einerseits war sie nicht mehr mit Graham alleine und andererseits hatten Bücher stets eine solche Wirkung auf sie. Schon als kleines Mädchen hatte sie es genossen, an den hohen Regalreihen voller Bücher entlangzuwandern, sie zu betrachten und den beruhigenden und zugleich vielversprechenden Duft von altem Papier, Pergament und Ledereinbänden aufzusaugen, der sie in allerlei fremde Welten entführte.

Seit ihrem letzten Besuch hatte sich einiges in dem ihr gut bekannten Raum verändert, was mit dem Treffen zusammenhängen musste: Viele der flauschigen und entspannenden Sessel waren entfernt und einige zusätzliche Tische aufgestellt worden. Damit war die gemütliche Atmosphäre einer betriebsamen, motivierenden Stimmung gewichen, die für ihr gemeinsames Vorhaben bestens geeignet war. Es gab große Tische, an denen gemeinsam gearbeitet werden konnte, aber auch einige kleinere Tischchen ein Stück abseits der anderen, die nur Platz für eine, maximal zwei Personen boten. Auf den Tischplatten lagen einige Bögen feines Papier, die Joanne still anflehten beschrieben zu werden. Ebenfalls standen dort kleine Tintenfässchen mit der ihr unliebsamen schwarzen Tinte und Kristallgläser mit Schreibfedern. Kerzenhalter auf der Arbeitsfläche und an den Wänden sorgten für ausreichend Licht. Die Helligkeit des Raumes und die Aufregung, die nun mehr und mehr wuchs, ließen Joanne ihre Müdigkeit vergessen und in ihr wuchs der Wunsch, endlich beginnen zu können.

Ihr unsteter Blick wanderte erneut die vielen langen und hohen Regalreihen entlang. Die junge Frau konnte nur schätzen, wie viele wunderbare Stunden sie hier als Kind verbracht hatte. Sie war zwar ein kleiner Wildfang gewesen, wie sie Ida oft liebevoll genannt hatte, aber sie konnte auch oft ruhig dasitzen und in einem Buch schmökern. Die große Auswahl, die ihr hier zur Verfügung stand, hatte sie als Kind überwältigt. Auch der wunderbare Geruch, an den sie sich gerne erinnerte, war erhalten geblieben. Es roch nach alten Büchern und eine ganz feine Note von Rosenduft lag in der Luft, der wohl aus dem Rosengarten stammte, der sich vor den Fenstern der Bibliothek befand. In dieser Bibliothek war sie sich stets wie in einem sicheren Hafen vorgekommen, der selbst bei rauster und stürmischster See Schutz bieten würde.

Joanne nahm an einem der größeren Tische neben Emmeline Platz, die ihr aufmunternd zulächelte, und stellte ihr eigenes Tintenglas demonstrativ, aber trotzdem mit unsicherer Miene vor sich. Die ältere Dame sah es und musste noch mehr schmunzeln, was Joanne nicht entging. Sie fühlte sich davon aber keineswegs gekränkt, sondern wusste, dass sie bei Emmeline mit allen ihren Ecken und Kanten auf Zuneigung stoßen würde. Joanne konnte sehr gut verstehen, weshalb Ida sich diese wunderbare Person als Freundin ausgewählt hatte: Emmeline war ein heiterer Sonnenschein, der jede Regenwolke vertreiben konnte.

Mit einer schlichtweg nicht zu besänftigenden inneren Unruhe wartete Joanne gespannt, bis die übrigen Gäste endlich kamen. Auch die schon Anwesenden erschienen ihr nervös oder zumindest konzentriert, denn die Gespräche waren auf ein Minimum reduziert. Joanne blickte sich versonnen in der Bibliothek um und machte sich Gedanken über ihr Gedicht oder schwelgte zur Abwechslung in Kindheitserinnerungen, die hier besonders lebendig waren.

Neben ihr ließ sich bald Victoria Mill nieder, die sie freundlich anlächelte und sich anschließend aufmerksam umsah.

Im Gegensatz dazu suchte Dora Cartwright sich einen Einzeltisch aus und streifte Joanne kurz mit einem giftigen Blick. Nachdem sie mit ihr am Vormittag so aneinandergeraten war, hatte sie auch nichts anderes erwartet und war froh, sich weitere Bemerkungen verkniffen zu haben. Sie persönlich störte sich nicht an der eisigen Stimmung zwischen Dora und ihr, hoffte allerdings, Ida damit nicht traurig zu machen oder zu beleidigen. Immerhin war Dora Cartwright Averys und Idas Gast und sie hatte einige Veröffentlichungen vorzuweisen. Da war es nur verständlich, dass diese arrogante Person mit ihrem Wissen prahlte und meinte, der unerfahrenen Joanne unerwünschte Ratschläge geben zu müssen.

Joanne gegenüber saß Hunter Albee, dessen Blick sie kurz begegnete. Neben ihm hatte sie einen Fremden entdeckt, den sie neugierig betrachtete. Ihre Verwunderung, diesen Mann nicht vorher wahrgenommen zu haben, währte nur kurz, da sie es sich damit erklären konnte, dass sie sehr mit sich selbst beschäftigt war. Er war eher klein und hatte eine recht schmale Figur, wodurch er ein wenig wie ein flinkes Wiesel wirkte, aber durch seinen aufgeschlossenen und freudigen Blick war er ihr sogleich sehr sympathisch.

Nachdem Avery alle Versammelten begrüßt und seine Freude kundgetan hatte, dass es nun losgehen würde, stellte er den fremden jungen Mann vor: »Und nun, meine Freunde, möchte ich euch mit Jonathan Bradbury bekannt machen. Er ist vor einer Stunde mit dem Pferd eingetroffen und kann glücklicherweise somit schon unserem ersten offiziellen Treffen beiwohnen. Jonathan ist ein Freund Hunters, der diesen überhaupt erst zum Schreiben gebracht hat. Veröffentlicht hat er zwar noch nichts, aber er hat immerhin einige fertige Manuskripte in der Schublade.«

Frech zwinkerte Avery Hunter zu, der daraufhin lächelnd mit den Augen rollte und den Kopf leicht schüttelte. Die beiden Männer waren einander offensichtlich sehr vertraut und Avery erlaubte sich wohl häufiger solche Scherze. Danach versank Joanne wieder in ihren Gedanken und bekam nichts mehr davon mit, was Avery noch sagte. Erst als er still war und andere bereits zu Feder und Papier gegriffen hatten, tat sie es ihnen gleich.

Die Aufregung, die in ihrer Brust kribbelte, ließ sie zunächst keinen klaren Gedanken fassen. Joanne atmete einige Male tief durch und dachte daran, welche große Ehre es überhaupt war, in dieser Bibliothek zu sitzen. In einem Raum mit Mildred zu sitzen, während diese ihr von den Lesern heiß ersehntes nächstes Werk verfasste. Sich einen Tisch mit Emmeline zu teilen, die möglicherweise gerade mit diesen Seiten ihre ersten Schritte in die Welt der Literatur und Verlage tat. Joanne wäre zu gerne aufgestanden und hätte allen über die Schultern gespäht, um die ersten Worte und Sätze zu erhaschen, die auf das Papier flossen. Von Mord und Tod und Spuk und derlei grausigen Dingen würden sie gewiss handeln.

Es lief mehr oder weniger zufriedenstellend. Zwar war sie sehr langsam, aber immerhin hatte sie einen Anfang zu Papier gebracht. Andere bekritzelten versunken und arbeitswütig Seite um Seite, aber Joanne ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Auch nicht vom Gemurmel, das zwischen Robert und dem Professor herrschte, die, den Wortfetzen nach, die Joanne verstehen konnte, eine kleine Debatte führten. Erst ein Gedicht zum Aufwärmen, sagte sie sich, das geht natürlich etwas langsamer. Aber dann werde auch ich richtig anfangen.

Joanne wrang sich Worte und Reime aus dem Kopf und zermarterte sich ihr Gehirn. Sie tauchte ab in eine andere Welt, aus der sie bald erschöpft wieder auftauchte. Sie lehnte sich zurück und hatte Mühe damit, ihre Augen offen zu halten. Die Polsterung ihres Kleides, die ihr neben der engen Schnürung ihres Korsetts eine unnatürlich weibliche Figur verschaffen sollte, behinderte sie beim Sitzen, aber Joanne war zu müde, um sich daran zu stören.

Unter halb geschlossenen Augenlidern bemerkte sie, dass die Kerze vor ihr auf dem Tisch als einzige begann zu flackern. Joanne fühlte keinen Luftzug und fragte sich, ob das Wachs oder der Docht schlecht werden konnte. Der Qualm brannte in ihren Augen, kratzte in ihrer Lunge. Kurzerhand blies sie die Kerze aus. Joanne schloss ihre Lider, um zu verhindern, dass ihr eine Träne über die Wange lief. Das schabende Geräusch der über das Papier gleitenden Federkiele klang wie Musik in ihren Ohren und sie konnte kaum dem Drang widerstehen, selbst grüne Worte fließen zu lassen. Sie hob ihren Blick und hielt in der Bewegung, nach ihrer Feder zu greifen, inne. Ihre Kerze brannte wieder. Vielleicht hat Emmeline sie entzündet, redete sie sich ein und bekämpfte das mulmige Kribbeln in ihrer Brust.

In einer kleinen Schreibpause nach einer guten Stunde Arbeit massierte sie mit ihrer linken Hand ihre verkrampfte Rechte. Sie war stolz auf jedes einzelne Wort und hatte das Gefühl, sich die Schmerzen in ihrer Hand erarbeitet zu haben.

»Schreiben kann harte Arbeit sein, nicht wahr?«, fragte Emmeline herzlich lächelnd und knetete selbst ihren Nacken, der unter einer raffinierten Hochsteckfrisur zu sehen war. Sie trug wohl ähnliche Gedanken wie Joanne selbst.

»Und schmutzig noch dazu«, flüsterte Joanne zurück und drehte ihre Hände ein paar Mal hin und her, um der älteren Dame ihre neuen Kleckse zu zeigen.

Nun sah auch Victoria von den Seiten auf, die sie von Francis zum Korrigieren bekommen hatte. Anscheinend hatte sie nicht vor, selbst etwas zu verfassen.

»Immerhin hast du dir eine schöne Farbe für deine kleine Schweinerei ausgesucht«, fügte Emmeline schelmisch grinsend hinzu und zauberte damit auch den beiden jungen Frauen ein Lächeln auf die Lippen.

»Aber es steht dir gut«, sagte Victoria. »Ist die Farbe absichtlich passend zu deinen Augen gewählt?«

Joanne musste sich ein Lachen verkneifen, um die anderen nicht zu stören. Für sie stand in diesem Moment fest, dass dies ein wunderbarer Aufenthalt werden würde und sie bestimmt mit neu gewonnenen Freunden heimkehren würde.

Wie sehr sie sich mit dieser Vermutung irrte, ahnte sie nicht.

»Ja, so sehen echte Künstlerhände nun mal aus«, antwortete Emmeline und zeigte eigene Tintenspritzer. »Was meint ihr, wäre es nicht Zeit für ein weiteres von Averys Schauermärchen?«

»Das wäre perfekt. Weitere Inspiration kann niemals schaden«, stimmte Joanne zu und auch Victoria nickte eifrig.

»Avery!«, sagte Emmeline laut und erntete dafür neugierige, von den Cartwrights und dem Professor aber verärgerte Blicke. Dora schüttelte sogar entnervt den Kopf. »Wäre es dir recht, uns eine weitere Schauergeschichte zu erzählen? Natürlich nur, wenn allen eine Pause recht ist.«

Averys Augen leuchteten und mit schnellem Nicken verkündete er, dass er gerne die Geschichte erzähle, wie der Name der Burg Redthorne Castle zustande kam. »Wann soll ich damit beginnen?«, fragte er aufgeregt.

»Mir käme eine Pause gerade sehr gelegen«, sagte Hunter, warf seine Schreibfeder auf sein Manuskript und streckte sich gähnend.

»Das glaube ich gerne«, lachte Jonathan, »aber auch ich bin gespannt.«

»Können wir nicht einfach weiterarbeiten? Diese Unterbrechung bringt doch nichts«, mischte sich Dora murrend ein.

Robert stimmte mit gerunzelter Stirn seiner Frau zu: »Da muss ich Dora einmal recht geben. Unterhaltsam oder nicht, wir haben doch erst angefangen.«

Dora zischte leise: »Ich kann alleine für mich sprechen, Robert!«

»Eine kleine Pause wird bestimmt nicht schaden«, erwiderte Emmeline versöhnlich. Beinahe liebevoll tätschelte sie ihren seidig glänzenden, dunkelblauen Kapotthut.

Joanne traute sich selbst zu äußern, dass sie gerne die Geschichte hören würde. Victoria fügte ein freudiges »Ich ebenso« hinzu, zog aber schnell den Kopf ein, als sie des erbosten Gesichtsausdrucks ihres Gatten Francis gewahr wurde.

»Nun gut, dann ist es also beschlossen. Das ist die Geschichte, wie unsere Burg zu ihrem rotdornigen Namen kam«, sagte Avery, rutschte tief in seinem Stuhl herunter, nahm ein Glas Brandy zur Hand und begann zu erzählen.

So lange, wie die Aufzeichnungen zurückreichen, war Redthorne Castle, wenn auch damals noch anders benannt, für seine wunderschönen weißen Rosen bekannt. Als die Blüten im frühen Sommer in voller Pracht standen, tobte ein Krieg um die hiesigen Ländereien. Obwohl das Kampfesgeschehen gar nicht direkt an der Burg stattfand, gelang es einigen Rittern des verfeindeten Heers, heimlich in die Gemäuer einzudringen. Sie hatten sich dem Kampf entzogen und wollten über die zurückgebliebenen, schutzlosen Bewohner herfallen.

Die Feindesbande suchte und fand bald die Damengemächer und fiel über die unglücklichen Frauen her. Den zwei jungen Töchtern des Burgherrn war jedoch rechtzeitig, als wilde Schritte auf den Gängen zu hören gewesen waren, zur Flucht verholfen worden.

Die verängstigten Schwestern hielten sich verkrampft an den schweißnassen kleinen Händen und schlichen durch die ihnen bekannten Gänge und versteckten sich. Es schien ihnen, dass immer mehr feindliche Soldaten kamen oder dass zumindest die Eindringlinge es immer wilder trieben. Ihnen war klar, dass sie alles versuchen mussten, um ihnen nicht in die Hände zu fallen. Die Schwestern huschten zur Bibliothek und schlossen sich darin ein, da sie sich hier vor den marodierenden Fremden in Sicherheit glaubten. Sie setzten sich in eine Ecke, hielten sich eng umschlungen und tauschten flüsternd ihre Ängste aus.

Doch schwere Schritte, die eisern auf dem Boden hallten, ließen sie verstummen. Ein zotteliger, verwahrloster Ritter in unvollständiger Rüstung hielt lächelnd den Schlüssel der Bibliothekstür in seiner Hand und steckte ihn in seinen Stiefel.

»Wir werden eine Menge Spaß haben, meine hübschen Damen«, sagte das Scheusal und griff sich gut gelaunt in den Schritt.

Panisch sprangen die Mädchen auf und liefen zur Tür, zu der sie allzu gerne hinausgeflohen wären. Ihre jungen Fäuste hämmerten wie wild gegen das dunkle Holz. Dort sollte für die beiden allerdings kein Ausgang sein. Entsetzt drehte sich die ältere der beiden um, lehnte sich resigniert gegen das Holz und flüsterte: »Schwesterherz, die Fenster. Lass uns springen. Der Tod ist gewiss nicht schlimmer als das, was dieser gottlose Schurke plant.«

Der feindliche Krieger hatte sich die Verzweiflung gerne angesehen, aber als die beiden jungen Damen plötzlich so still wurden und sich umarmten, wurde er unruhig. Er ging langsam einige Schritte auf sie zu, als sich die Schwestern von der Türe abstießen und auf eines der Fenster zu rannten. Vor Überraschung kurz erstarrt, kam er ihnen nicht schnell genug hinterher, um sie zu fassen zu bekommen. Er war schnell genug aber, um zu sehen, wie sie durch das geschlossene Fenster sprangen und hinab in die Rosenbüsche fielen. Ihre zarten Leiber lagen abscheulich verdreht da und ihr Blut färbte die einst reinen weißen Rosen rot.

Als am Abend der Burgherr von der Schlacht zurückkehrte und seine geplünderte Burg und die überfallenen und teilweise getöteten Bewohner auffand, wurde ihm sein Herz vor dunkler Vorahnung schwer. Besorgt suchte er seine Töchter und fand sie leblos in den Rosen liegen.

Fortan trug die Burg den Namen Redthorne Castle, auf dass das Leiden und der tragische Tod der Mädchen nie dem Vergessen anheimfallen werden. Vergessen wird er wohl nie, denn manchmal kann man an der Bibliothekstüre noch das verzweifelte Klopfen von vier Fäusten hören und den metallischen Geruch von Blut riechen.

Nach dieser Geschichte war es zunächst eine ganze Weile still geblieben. Als Joanne aus ihrer eigenen Bestürzung erwachte, sah sie, dass auch viele der anderen Gäste traurige und grüblerische Mienen trugen.

Emmeline durchbrach als Erste die andächtige Stille, die eingekehrt war, »Avery, ist das tatsächlich so geschehen?«

»Nun ja, es gibt keine Aufzeichnungen darüber, was in der Bibliothek geschehen ist oder wie die jungen Damen dazu gekommen sind, aus dem Fenster zu ›fallen‹, wie es heißt. Aber der Krieg in den Ländereien und der hinterhältige Überfall auf die Burg sind leider historische Fakten. Zudem ist das die einzige Geschichte, die es zum Namen Redthorne Castle gibt und schon seit Jahrhunderten tradiert wird. Ich fürchte also, dass nichts dagegen spricht, dass sie stimmt.«

Lange wurden noch die Mädchen bedauert, die in ihrer Verzweiflung den Freitod dem brutalen Fremdling vorgezogen hatten. Zudem wurde spekuliert, inwiefern eine solche Geschichte überhaupt wahr sein kann und wie wahrscheinlich es ist, dass sie über die Jahrhunderte inhaltlich unverändert bleiben konnte.

Schließlich wandten sich aber alle wieder ihren eigenen Arbeiten zu. Joanne fiel es zunächst sehr schwer, ihre Gedanken von dieser traurigen Geschichte abzulenken. Sie hatte großen Respekt vor den Mädchen, die tapfer und mutig genug waren, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Selbst dann noch, wenn sie es vorzeitig beenden mussten und mit ihrem Suizid ihr Seelenheil verdarben. Sie glaubte selbst nicht dazu in der Lage zu sein und hoffte, dass sie es nie herausfinden müsste. Nach einer ganzen Weile verbat sich Joanne aber, sich weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, und tauchte ihre Schreibfeder resolut in die Tinte.

Am Ende des Abends waren ihre Finger und Hände noch grüner als bei ihrer Ankunft, was Joanne jedoch als durchaus positives Zeichen ihrer Bemühungen deutete. Müde verließ sie die Bibliothek, nachdem sich bereits der Professor und die Mills verabschiedet hatten, und machte sich auf den Weg zu ihrem Bett. In ihren Gedanken hallte Averys Erzählung lange nach.

Ein in dieser Burg noch nicht erlebter Schauder verfolgte sie und die immer stärker werdende Angst überwältigte Joanne schier. Sie spürte, wie sich langsam eine leichte Gänsehaut über ihren Körper ausbreitete und sie durch einen kalten Hauch, den sie im Nacken spürte, zu zittern begann. Natürlich war nichts Ungewöhnliches zu sehen, aber die Schwärze in den dunklen Ecken und Winkeln wirkte tiefer und zum ersten Mal bedrohlich. Joanne, soeben aus der heimeligen Bibliothek getreten, wollte schleunigst zurück in ihr Zimmer fliehen und sich dort die Bettdecke über den Kopf ziehen, um die Welt um sich herum auszublenden, die ihr düster und tödlich wie nie vorkam. Ihre Schritte wurden immer schneller, bis sie schließlich beinahe rannte. Leise Schritte, quietschendes Holz und ein leises Atmen begleiteten Joanne auf ihrem Rückweg, doch wenn sie sich über die Schulter spähte, konnte sie niemanden entdecken. Als ihr eigener Atem diese leisen Geräusche überdeckte, meinte sie gar ein Weinen zu hören, dessen unnatürlicher Klang sie dazu veranlasste, nicht nach dem Ursprung suchen zu wollen.

Endlich erreichte sie den Gang, in dem sich ihr Zimmer befand. Schnell zog sie die Tür auf, huschte hinein und sperrte sie hinter sich ab. In der Sicherheit ihres Raumes angekommen, kam sie sich fast lächerlich vor, war aber gleichzeitig aufrichtig erleichtert, ihren Rückzugsort mit heiler Haut erreicht zu haben. Wer von den Anwesenden hätte sie verfolgen sollen? Bestimmt liegt diese Angstattacke nur an der Geschichte, versuchte sich Joanne selbst zu beruhigen. Aber noch nie zuvor waren ihr die langen, düsteren Flure und Gänge von Redthorne Castle so unheimlich und gefährlich vorgekommen. Als sei etwas erwacht, das sie nun holen wollte. Als verfolge sie jemand und sei ihr auf den Schlichen.

Für diesen Gedanken schalt sich Joanne selbst, dass sie nicht so kindisch sein sollte. Als Erwachsene brauchte man keine Angst mehr zu haben. Nicht vor Gespenstern und auch nicht wegen Albträumen. Das lag weit hinter ihr, in ihrer Kindheit, als sie in jeder Ecke und in jedem dunklen Winkel halb voll Abenteuerdrang, halb ängstlich, etwas Gruseliges hatte lauern sehen. Auch auf dieser Burg, die ihr von je her wie ein zweites Zuhause erschienen war, hatte sie schon so manches Mal ihre beängstigende Fantasie eingeholt, aber noch nie zuvor war ihr die Gefahr so real und bedrohlich erschienen.

Sie erinnerte sich daran, wie sie als Kind vermeintliche Präsenzen gespürt hatte. Wovon, konnte sie nie sagen, und schrieb es dem alten, geschichtsträchtigen Gemäuer zu. Joanne konnte sich erst in dieser Nacht eingestehen, wie sehr sie diese Gedanken und Erinnerungen noch heute ängstigten. Lag hierin einer der Gründe, weshalb sie niemals zuvor alleine zu den Hawthornes zurückgekehrt war? Ihre Eltern, die zuletzt keine Zeit gehabt hatten, eine Reise mit der ganzen Familie zu unternehmen, hätten sie womöglich schon zu einem früheren Zeitpunkt kommen lassen, wenn Joanne es wirklich versucht hätte.

Schnell machte sie sich an ihrem Waschtischchen für das Bett fertig, schlüpfte hinein und hoffte auf einen tiefen Schlaf mit angenehmen Träumen. Sie wollte diesen düsteren Gedanken entfliehen und hoffte, sich nicht in einem Netz aus Albträumen zu verfangen.

***

Wieder hatte es, selbst nachdem ihre Angst abgeklungen war und trotz ihrer bleiernen Müdigkeit, lange gedauert, bis Joanne endlich eingeschlafen war. Sie musste tief geschlafen haben, als sie am frühen Morgen von Schreien aus ihren Träumen gerissen wurde. Sie wusste noch, dass erneut beklemmende Träume sie heimgesucht hatten, weil sie so verkrampft im Bett gelegen war, dass alle ihre Muskeln schmerzten wie nach einer zu anstrengenden Wanderung in den Bergen. Der genaue Inhalt war ihr sofort entfallen, als sie die Augen aufschlug.

Die Schreie hatten panisch, verängstigt und gleichzeitig von einem tief gehenden Ekel erfüllt geklungen. Schnell stand Joanne auf, zog sich ihren Morgenmantel über und ging vor die Zimmertür, um nachzusehen, ob jemand Hilfe benötigte. Weiter unten im Gang konnte sie die Cartwrights vor dem Zimmer des Professors stehen sehen. Neben ihr öffnete sich gerade die Tür von Hunters Zimmer. Er blickte alarmiert und müde zuerst in Richtung des Schreis und dann zu ihr.

Der Morgen war bereits angebrochen, aber im nahezu fensterlosen Flur war es noch immer sehr düster. Joanne ging an Hunter vorbei und auf Dora und Robert zu. Die beiden sahen sie nicht einmal an, sondern starrten beharrlich auf eine feste Stelle im Zimmer, weshalb sie selbst einen im gleichen Maße neugierigen wie besorgten Blick hineinwarf. Ein überwältigender Würgereiz schnürte ihre Kehle zu, als ihr die Lage deutlich wurde. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle und in ihrem Magen wurde es flau. Sie fühlte, wie ihr eine Grabeskälte aus dem Zimmer entgegenströmte.


~ Kapitel 5: Hunter Albee, 6. September 1898 ~

Hunter lief direkt hinter Joanne her, um zu erfahren, was geschehen sein mochte, da um diese unsäglich frühe Stunde ein so spitzer Schrei ausgestoßen worden war. Noch ein wenig benommen vom Schlaf wäre er beinahe gegen sie gelaufen, als sie plötzlich vor der offenen Tür stehen blieb.

Der Klang des Schreis verhieß nichts Gutes. Hunter machte sich deshalb auf so einiges gefasst. Nicht umsonst. Gerade noch hatte er selig im warmen Bett geschlafen und nun blickte er auf eine Leiche hinab.

Professor Liam Wright lag bleich im Bett.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752118773
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Gothic Novel Spuk Geister Schauerroman Geistergeschichte Gespenster

Autor

  • Tanja Hanika (Autor:in)

Tanja Hanika ist Autorin von Horror- und Schauerromanen. Geboren wurde sie 1988 in Speyer, studierte in Trier Germanistik und zog anschließend in die schaurig-schöne Eifel, wo sie mit Mann, Sohn und Katze lebt. Seit sie mit acht Jahren eine »Dracula«-Ausgabe für Kinder in die Hände bekam, schreibt und liebt sie Gruselgeschichten.
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Titel: Redthorne Castle