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Lavendelherz mit Kuss

von Mathilda Grace (Autor:in)
380 Seiten
Reihe: Liebe im Ruhrpott, Band 1

Zusammenfassung

Seit der Kindheit ein Faible für Lavendel zu haben, ist nichts, was ich einem schwulen Jungen wünsche, aber ich habe es genauso überlebt wie mein Outing mit Ende Dreißig, nachdem meine Ex-Frau mir erst mal erklären musste, dass es einen Grund hat, warum ich gerne Männer anstarre und in unserem Ehebett nichts mehr läuft. Mittlerweile ist sie wieder verheiratet und wenn es nach ihr, unseren Söhnen und ihrem neuen Mann Dirk geht, sollte sein schwuler Bruder möglichst bald mein Lover werden. Blöd nur, dass Hannes gegen Lavendel allergisch ist und mit bärtigen Mittvierzigern leider so gar nichts anfangen kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Vorwort

 

Dieser Roman enthält folgende Dinge: schrägen Humor, jede Menge Koch- und Backszenen, zu viel Lavendel, verschrobene Charaktere, einen unmöglichen Polizisten mit Faible für Handschellen und einiges an Schmuddelkram.

 

Absolut nicht ernst zu nehmen.

Könnte sogar einen Zuckerschock auslösen.

 

Ach ja, die Autorin übernimmt keine Haftung für nach dem Lesen zu eng gewordene Hosen. Die Rezepte der verschiedenen Gerichte im Buch können gerne bei mir nachgefragt werden.

 

 

Seit der Kindheit ein Faible für Lavendel zu haben, ist nichts, was ich einem schwulen Jungen wünsche, aber ich habe es genauso überlebt wie mein Outing mit Ende Dreißig, nachdem meine Ex-Frau mir erst mal erklären musste, dass es einen Grund hat, warum ich gerne Männer anstarre und in unserem Ehebett nichts mehr läuft. Mittlerweile ist sie wieder verheiratet und wenn es nach ihr, unseren Söhnen und ihrem neuen Mann Dirk geht, sollte sein schwuler Bruder möglichst bald mein Lover werden. Blöd nur, dass Hannes gegen Lavendel allergisch ist und mit bärtigen Mittvierzigern leider so gar nichts anfangen kann.

 

 

Prolog

 

 

 

 

Lavendel.

Ich liebe Lavendel.

In Seifen, Deos, Ölen, Kerzen oder als Gemälde an meiner Wand. Schon als kleiner Junge war ich verrückt nach Lavendel und habe mit Begeisterung meine Sommer im Garten meiner Großmutter verbracht, um dort an ihren Lavendelpflanzen zu schnuppern und danach stundenlang den Insekten zuzusehen, wie selbige, während ich mitten in Omas großem Blumenbeet lag, um mich herumschwirrten.

Einfach hat es mir diese Liebe allerdings nicht gemacht. Als schmächtiger Junge mit einem Faible für Blumen, hat man es in der Schule nicht leicht, aber das ist lange her.

Trotzdem genieße ich meine große Liebe immer noch lieber im Geheimen. Es reicht nämlich völlig aus, dass ich in meiner neuen Nachbarschaft bereits als falscher Schwuler verschrien bin. Käme jetzt noch mein Faible für die hübschen, lilafarbenen Blüten ans Licht – ich will mir besser nicht ausmalen, welchen Ruf ich dann bekäme.

Als ordnungsgemäßer Homosexueller habe ich auf meine Frisur zu achten, stylishe Klamotten zu tragen und mir jede Woche die Finger- und Fußnägel zu lackieren. Nachdem ich mir jedes einzelne Haar vom Körper entfernt habe. Mit Wachs, versteht sich. Ein richtiger Schwuler benutzt schließlich keinen profanen Rasierer.

So sehen das zumindest meine Nachbarn und können gar nicht verstehen, dass ich gerne Jeans und löchrige T-Shirts zu einem viel zu langen Bart trage. Dass ich außerdem verheiratet war und zwei aufgeweckte Söhne habe, die es nicht die Bohne stört, dass Papa lieber heiße Männer ansabbert – was für ein Skandal. Und dass ich nicht mit Modelmaßen aufwarten kann, war dann das i-Tüpfelchen auf der Sahnetorte meiner Schande, denn welcher ernsthaft schwule Mann, der etwas auf sich hält, trägt bitteschön einen Wohlstandsbauch vor sich her und trinkt mit Begeisterung kaltes Bier direkt aus der Flasche?

Zur Verteidigung meiner Nachbarschaft sei gesagt, dass sie vorrangig aus alten Leuten besteht und im Grunde alle richtig nette Menschen sind. Nun ja, sieht man mal von ihrem etwas sonderbaren Weltbild ab.

»Lass sie reden«, sagt Monika, meine Ex-Frau immer, wenn sie sich wieder unangemeldet zum Kaffeekränzchen einlädt, weil sie mich zwar nicht mehr in ihrem Bett haben kann, aber keinesfalls bereit ist, deshalb auch gleich auf meine grandiosen Koch- und Backkünste zu verzichten. O-Ton Monika übrigens, und unsere beiden minderjährigen Rotzlöffel, genannt Dennis und Mark, stimmen ihr da jedes Mal zu.

Besonders, wenn es Schokoladen- oder Käsekuchen gibt.

Wir waren eine Bilderbuchfamilie und wären es vielleicht heute noch, aber Monika war im Kopf schon immer schneller als ich, wenn es um das Begreifen unabänderlicher Tatsachen geht, und dass ich eines Tages begann, anstatt jüngerer Frauen, fremde Männer anzugucken hat sie zwar anfänglich ein wenig irritiert, ihr aber dann ziemlich schnell klar gemacht, dass das wahrscheinlich der Grund für meine Lustlosigkeit im ehelichen Schlafzimmer ist.

Mittlerweile hat sie dafür Dirk gefunden und geheiratet. Er liebt meine Kochkünste im Übrigen auch. Außerdem liebt Dirk seinen Bruder, der in demselben Strom schwimmt wie ich, wie Dirk es gern feixend nennt, und alle paar Wochen nicht gerade subtil versucht, uns miteinander zu verkuppeln.

Dumm nur, dass Hannes absolut nicht verkuppelt werden will, sondern lieber die Welt vor bösen Menschen – allen voran die Tierhasser, die seiner Meinung nach zur Strafe ebenfalls an Autobahngeländer gekettet oder in stinkende Müllcontainer geworfen werden sollten – retten würde.

Wahlweise tut es für ihn aber auch das nächste ausgesetzte Katzenbaby, die er ständig irgendwo in stachligen Hecken oder zugeklebten Kartons findet und dann mit zu sich nach Hause nimmt, denn Hannes ist Tierarzt aus Leidenschaft, der leider überhaupt nicht auf bärtige Mittvierziger abfährt und zudem auch noch allergisch auf Lavendel reagiert.

Tja, mein Pech, würde ich sagen.

 

 

1

 

 

 

 

»Auf gar keinen Fall.«

Jürgen, mein jüngerer Bruder, kichert am anderen Ende der Telefonleitung. »Matti, er ist echt nett.«

»Ist mir egal, ich gehe nicht mit einem Arbeitskollegen von dir aus«, murre ich mit finsterem Blick auf meine abkühlenden Blaubeermuffins, die ich nach dem Frühstück schnell gemacht habe, weil Monika mir eine Nachricht geschrieben hat, dass sie heute mit unseren Jungs und Dirk vorbeikommt.

Was mir eigentlich schon gestern hätte klar sein müssen, denn es ist Sonntag und an Sonntagen laden sie sich ständig selbst zu mir zum Kaffeekränzchen ein. Aber irgendwie bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, weil ich gestern im Café war und heute vorhatte, ein paar neue Ideen für leckere Pralinen auszuprobieren.

Das muss jetzt bis morgen warten, aber mich hetzt ja, Gott sei Dank, niemand mehr. Die Zeiten sind vorbei und ich werde alles tun, um dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Mit der Hand streiche ich mir gedankenverloren über die Brust, bis mir wieder einfällt, dass ich immer noch Jürgen am Telefon habe, der gerade heiter lacht.

»Was?«

»Dabei hatte Wilhelm sich schon so darauf gefreut, meinen muffeligen Bruder kennenzulernen.«

»Wilhelm?«, frage ich verdattert und Jürgen prustet los. Er ist so ein Kindskopf manchmal. »Idiot.«

»Komm schon, Matti. Tom steht auf Bärte.«

»Ist mir doch egal«, grolle ich und stelle die Teigschüssel in die Spüle. Ich muss unbedingt noch abwaschen und die Küche aufräumen, bevor sie hier einfallen. »Und ich dachte, er heißt Wilhelm.«

»Das ist sein Zweitname, nach seinem Opa. Wir ziehen ihn regelmäßig damit auf.«

Und das wundert mich nicht im Geringsten. Jürgen arbeitet im Bergbau, zumindest hat er das, bis sie die Steinkohlezechen nach und nach dicht gemacht haben. Mittlerweile gehört er zu den Übriggebliebenen, die sich auch in Zukunft um die Stollen kümmern und dafür sorgen sollen, dass das Ruhrgebiet nicht überflutet wird. Ich habe nicht viel Ahnung von seiner Arbeit, aber ich weiß, dass sie wichtig ist. Verdammt wichtig. Und ich weiß ebenfalls, dass die Kumpel da unten eine ganz eigene Art von Zusammenhalt und Humor entwickelt haben.

Wenn Jürgen mir also seinen Kollegen vorschlägt, kann ich davon ausgehen, dass selbiger ein wirklich netter Mann ist und ernsthaft daran interessiert, jemanden kennenzulernen. Ich bin aber nicht interessiert und ich werde garantiert nicht ausgehen und dadurch vielleicht Hoffnungen wecken, die ich überhaupt nicht erfüllen will. Mir gefällt mein Single-Status.

Okay, das ist gelogen, aber ich bin einfach nicht bereit, mich auf irgendetwas einzulassen.

Oder auf irgendwen.

»Sag Wilhelm, ich bin nicht sein Typ.«

Jürgen seufzt. »Du bist so eine Spaßbremse, seit du schwul bist, Matthias. Aber ich liebe dich trotzdem. Hey, hast du heute Nachmittag Zeit?«

»Monika kommt mit der Sippe zum Kaffee.«

»Perfekt. Ich schließe mich ihnen an und bringe Julian mit. Der Junge bekommt langsam viereckige Augen, so lange wie er jeden Tag am Laptop hockt. Manchmal kommt er mir vor, wie dieser Neo aus der Matrix.«

Ich muss lachen, denn so abwegig ist Jürgens Aussage gar nicht. Julian ist mein einziger Neffe und ein 15-jähriger Nerd, wie er im Buche steht. Zurückhaltend, höflich, schmal gebaut und er sitzt tatsächlich am liebsten vor dem Computer. Jürgen erzieht ihn allein, seit Mandy, Julians Mutter, den Jungen als Baby vor seiner Tür abgelegt hat, weil sie lieber in Hamburg Party machen wollte, anstatt im Ruhrgebiet sesshaft zu werden und Mutter zu sein.

»Dafür reichen die Muffins nicht.«

»Hallo?«, empört er sich. »Bist du Konditor oder nicht? Soll ich eine gekaufte Torte mitbringen?«

Mich schaudert es unwillkürlich, weil Jürgen genau weiß, wie ich zu Kuchen vom Fließband stehe. In dieser Hinsicht bin ich ein Snob, aber ich liebe meinen Beruf und ich liebe es, Chef meiner eigenen, kleinen Konditorei zu sein, auch wenn ich dort nur noch selten hinter der Verkaufstheke stehe.

Seit meinem schweren Herzinfarkt vor vier Jahren muss ich es ruhiger angehen, aber ich habe ein tolles Team in meinem Café, das wunderbar ohne mich klarkommt. In ein paar Jahren werde ich ihnen »Süße Häppchen« vielleicht vermachen und in den Ruhestand gehen. Doch noch kann ich mich mit diesem Gedanken nicht anfreunden, also beschränke ich mich derzeit darauf, zwei- bis dreimal in der Woche nach dem Rechten zu sehen, dabei regelmäßig kleine Überraschungen für mein Team mitzunehmen und mich sonst um den anfallenden Papierkram zu kümmern, damit Bianca, Corina, Sophie und Leon sich auf die seit Monaten wachsende Zahl von Kunden und das Backen all unserer Köstlichkeiten konzentrieren können, die ein Grund für meinen kleinen Wohlstandsbauch sind, wobei ich auch den Genuss mittlerweile lieber etwas eingeschränkt habe. Meiner Gesundheit zuliebe.

»Bring eine gekaufte Torte mit, Jürgen Peter Baum, und ich werde verleugnen, dass ich je einen Bruder hatte.«

Jürgen legt lachend auf und ich lege mein Telefon grinsend zur Seite. Wenn er und Julian auch kommen, sind wir zu siebt, das heißt, ich muss wenigstens noch einen Obstboden machen. Die gehen am schnellsten und ich habe noch Dosenpfirsiche in der Vorratskammer. Frisches Obst wäre mir zwar lieber, aber das ist im Januar nun mal nicht zu kriegen und ich kaufe kein Obst, das mit Schiffen durch die ganze Welt gekarrt wird, nur damit verwöhnte Kunden im Winter Kirschen für zwölf Euro das halbe Kilo essen können.

Ich bin da ein wenig eigen, aber das bringt mein Beruf wohl mit sich. Immerhin habe ich einen Ruf zu verlieren und ich will nicht, dass meine Kunden abfällig sagen, der Matti backt nicht mehr frisch, sondern setzt nur noch auf Importware.

Nein, danke. Ich verzichte gerne.

»Süße Häppchen« gilt als Geheimtipp, gerade weil ich nicht nur auf große Torten oder Kuchen für besondere Anlässe setze, sondern vor allem die alltäglichen Köstlichkeiten immer frisch anbiete. Wer will schon jeden Tag eine dicke Torte? Manchmal reichen eine Praline oder ein paar Kekse. Oder eben Muffins, die sind ein Verkaufsschlager im Café, vor allem da ich ständig neue Rezepturen ausprobiere und die Stammkundschaft längst genau darauf lauert.

Oder uns sogar Tipps gibt, wie die Frage, ob wir nicht mal Schokoladen-Chilli-Muffins machen könnten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die richtige Rezeptur gefunden hatte, aber das Ergebnis war ein Renner im Café. Sobald die Narrenzeit vorbei ist, werde ich mich wieder nach frischen Ideen umhören, aber als nächstes steht der Karneval auf dem Plan und in dieser Zeit wollen die Leute vor allem eines – Alkohol. Ob in Flaschen, im Glas oder im Gebäck ist dabei völlig egal, und ich freue mich schon darauf, Berliner, Muffins, Quarkbällchen, Spritzkuchen, Krapfen und und und mit Creme, Mus und vor allem Alkohol zu befüllen.

Aber jetzt erst mal der Obstboden.

Mit routinierten Bewegungen suche ich mir die benötigten Zutaten, wobei mir auffällt, dass ich Nachschub brauche. Vor allem Mehl, Zucker und Eier sind fast alle. Ich rühre den Teig zusammen und stelle ihn in den Backofen. Jetzt das Obst in ein Sieb, um den Saft in einer Schüssel darunter aufzufangen, denn ich brauche ihn später für den Tortenguss.

Der Boden backt schnell, aber ich fange trotzdem schon mit dem Aufräumen der Küche an, und als eine Stunde später alles fertig ist und ich unter der Dusche stehe, fällt mir ein, dass ich auch fast keinen Kaffee mehr habe. Ich werde morgen auf dem Weg ins Café einkaufen müssen, und ich darf auf keinen Fall vergessen, vier Muffins zu verstecken, die für die Mädels und Leon gedacht sind.

Mit drei gefräßigen Teenagern zum Kaffee im Haus kann ich froh sein, wenn heute Abend noch ein Krümel übrig bleibt. Wo die Jungs das immer hin essen, ist mir ein Rätsel. So einen Stoffwechsel möchte ich auch wieder haben, aber die Zeit liegt lange hinter mir und das verrät mir der kritische Blick in den Spiegel nach der Dusche deutlich.

Ich bin nicht fett, aber ich wiege für meine Größe eindeutig zu viel. Monika sagt immer, ich bin »gemütlich«, vor allem mit dem Bart, aber sie gehört ohnehin zu den seltenen Leuten, die sich nicht die Bohne ums Aussehen ihrer Mitmenschen schert. Für sie zählt der Charakter, ganz egal ob jemand groß, klein, dick, dünn, schwarz, weiß oder sonst etwas ist.

Darum ist Dirk auch so vollkommen anders als ich. Wo ich körperlich gemütlich bin, ist er hochgeschossen und schlank. Ich bin brünett, er ist blond. Er hat blaue Augen, meine sind braun. Ihm würde nie einfallen, sich einen langen Bart stehen zu lassen, meiner muss dringend wieder gestutzt werden, was ich auch in Angriff nehme, während ich weiter über Dirk und mich nachdenke, denn charakterlich gleichen wir uns ziemlich. Ich schätze, deshalb kommen wir auch so gut miteinander aus. Er liebt seine Arbeit im Finanzamt, genauso wie ich meine als Konditor, und er ist total verrückt nach Monika, was ich auch mal war, obwohl ich mittlerweile weiß, dass ich sie mehr liebe, wenn ich in ihr nur eine kleine Schwester sehe.

Dennoch, wir hatten eine gute Ehe und sind, dank Monika, heute die besten Freunde, obwohl sie schwer enttäuscht war, dass ich selbst als Homosexueller mit den Themen Schuhe und Shopping nichts anfangen kann.

Falscher Schwuler, wie schon gesagt.

Die Nachbarschaft kann man sich nicht immer aussuchen, die Familie hingegen schon. Zumindest in meinem Fall, denn alle in meinem engeren Umfeld leben nach dem Motto »Leben und leben lassen«, und das hat mir mein spätes Outing leicht gemacht. Besonders gegenüber meinen Kindern, denn ich hätte es nie ertragen, wenn Mark und Dennis mich abgelehnt hätten, nur weil ich Männer mehr mag als Frauen.

Eigentlich erstaunlich, dass ich so lange gebraucht habe, es zu kapieren. Aber früher gab es diese Dinge einfach nicht und man hat sich den üblichen Gegebenheiten angepasst. Ehe und Kinder gehörten für einen Mann nun mal dazu und da Monika mir den Hof gemacht hat und ich sie mochte, war der Weg vor den Traualtar nicht weit.

Wenn es doch nur genauso leicht wäre, einen guten Mann fürs Leben zu finden. Nichts gegen den unbekannten Wilhelm oder auch gegen Hannes, aber ich bin wahrlich nicht der Typ, der auf andere zugeht und Kontakt sucht. Das war ich nie und das macht es natürlich nicht einfacher, jemanden zu finden, der bereit ist, mit mir Tisch und Bett zu teilen und meine kleinen Besonderheiten zu akzeptieren.

Ich greife nach dem Deospray mit Lavendelduft und atme nach dem Sprühen genüsslich ein. Jürgen sagte mal belustigt, ich würde frisch geduscht wie eine Blumenwiese duften, und damit hat er wohl nicht ganz unrecht, aber ich liebe Lavendel nun mal, und wenn das heißt, dass ich Deodorants für Frauen benutzen muss, weil es diese Düfte für Männer schlicht nicht gibt, dann ist das eben so. Da ich alleine lebe und nicht mal ein Haustier habe, stört es ja keinen, wie ich rieche.

Wobei es vielleicht gar keine so üble Idee ist, mal über eine Katze oder einen Hund nachzudenken. Ein Hund könnte mein Haus bewachen und ich müsste regelmäßig mit ihm spazieren gehen. Eine Katze könnte im Haus bleiben oder auch raus und den Garten nutzen. Ich habe kaum Erfahrung mit Tieren, aber der Gedanke, dass da jemand wäre, der mich braucht, der hat durchaus was, und Dirk würde mit Sicherheit nicht allzu lange fackeln, wenn ich ihm sage, dass ich eine Katze will. Oder eben einen Hund. Mit einem Tierarzt in der Familie, der zu Hause einen halben Zoo hat, zumindest laut Dirk, wäre es bestimmt leicht, ein oder zwei Tiere zu bekommen.

Ich werde ein paar Nächte darüber schlafen, aber jetzt muss ich mich dringend in saubere Klamotten werfen und diesen Nachmittag überstehen, der lang und laut werden wird.

 

Jürgen hat eine prall gefüllte Tragetasche dabei, die er mir eine Stunde später, als ich ihm die Tür geöffnet habe, feixend in die Hand drückt. »Da. Nachschub für dich«, erklärt er, packt dann seinen Sohn am Arm und schiebt ihn ins Haus. Julian hat für mich nur ein schüchternes »Hallo.« übrig und kollidiert im nächsten Moment beinahe mit der Haustür, weil sein Blick auf seinem Handy klebt. Kopfschüttelnd sehe ich ihm nach, als er ins Wohnzimmer verschwindet, und tausche dann einen Blick mit Jürgen, der nur ratlos die Hände hebt.

Teenager, sagt sein resignierter Gesichtsausdruck deutlich.

Ich lache leise und werfe einen Blick in die Tasche. Zucker, Mehl, zwei Packungen frische Eier von meinem bevorzugten Markthändler und diverse Verzierungen für Muffins, Kuchen, Kekse und alles, was mein liebendes Konditorherz begehrt. Ich seufze glücklich und Jürgen gluckst.

»Wusste ich doch, dass dir das Zeug gefällt.« Er klopft mir brüderlich auf die Schultern und schiebt sich dann ebenfalls an mir vorbei. »Ich war extra auf dem Markt, wegen der Eier. Der Siegfried lässt dich grüßen und sagt, du sollst nächste Woche vorbeikommen, er legt dir neue Eier, frisches Huhn und Steak zurück. Sie haben auf dem Hof wieder geschlachtet.«

Frische Eier, Huhn und Steak – Siegfried kennt mich zu gut. Er ist Metzgermeister mit eigener Tierhaltung und auch einer Hofschlachtung, und damit einer meiner Lieblingshändler auf dem Wochenmarkt, denn was von ihm kommt, ist zwar teurer als im Supermarkt, allerdings auch von besserer Qualität und definitiv immer frisch. Ich fahre regelmäßig zu ihm, um dann den Kofferraum meines Volvos mit Köstlichkeiten vollzuladen, die, sofern es Fleisch und Wurst sind, erst mal im Gefrierfach landen, während Obst und Gemüse im Allgemeinen ruckzuck verkocht oder verbacken werden.

»Hast du noch keinen Kaffee aufgesetzt?«, ruft Jürgen aus der Küche. »Und wo sind meine Neffen?«

»Auf dem Weg«, antworte ich abgelenkt, da mein Blick auf einer Packung mit Kuvertüreschokolade liegt. Ich kenne diese Sorte, weil sie sich herrlich verarbeiten lässt, nutze sie aber nur selten, denn sie ist teuer. Verdammt teuer. Edelkakao bekommt man nun mal nicht für ein paar Cent. »Jürgen?«

»Sag einfach Danke und gut ist. Du nimmst ja kein Geld für das ganze Zeug, das du ständig für uns kochst oder backst.«

Ich schnaube empört. »Jürgen!«

Er lacht in der Küche, dann höre ich Wasser laufen. »Gern geschehen. Also? Wo bleibt der Kaffee?«

»Mach ihn dir selbst«, grummle ich mit roten Wagen, denn mein Bruder weiß genau, wie ich es hasse, wenn er mir etwas dafür geben will, dass ich gerne backe und herumprobiere.

Ich bin und bleibe eine wirklich furchtbare Naschkatze und ich verdonnere jedes Mitglied meiner Familie regelmäßig zum Probieren neuer Kreationen, bevor ich sie im Café zum Verkauf anbiete. Und ich will nicht, dass sie mir dafür etwas zahlen, ob in Form von Geld oder Naturalien. Aber da kann ich reden wie ich will, sie tun es trotzdem immer wieder.

Darum bin ich auch nicht sonderlich überrascht, dass Dirk mir wenig später, nachdem ich meine zwei Jungs und Monika umarmt habe, ebenfalls zwei Taschen in die Hand drückt, die nicht weniger prall gefüllt sind. Er grinst, klopft mir dabei auf die Schulter und geht in die Küche, um Jürgen zu begrüßen, während Mark und Dennis sich sofort Julian im Wohnzimmer anschließen, der mittlerweile den Fernseher eingeschaltet hat und über Prime irgendeinen Actionfilm guckt.

Monika lacht nur über meinen resignierten Blick, dann hilft sie mir unzählige, weitere Backzutaten und auch Dosenobst in die Vorratskammer zu räumen, die anschließend wieder richtig gut gefüllt ist. Ich liebe meine Familie über alles, auch wenn ich sie manchmal gern verhauen möchte.

So wie einige Zeit später, nachdem die Jungs vollgefressen wieder ins Wohnzimmer gewechselt sind, während wir weiter am Küchentisch sitzen, Kaffee trinken und ich mir ausgiebig den neuesten Klatsch aus Dirks Finanzamt, Jürgens Bergwelt und unserer ehemaligen Nachbarschaft erzählen lasse. Monika ist nach der Geburt unserer Jungs daheim geblieben und kennt daher Hinz und Kunz, mit denen sie vor allem im Sommer fast jedes Wochenende irgendwo ein Fest oder einen gemütlichen Grillabend organisiert, damit die älteren Nachbarn auch mal rauskommen und Spaß haben. Was mir an Geselligkeit fehlt, hat Monika dafür doppelt und dreifach abbekommen.

»Und mit Tom will er auch nicht ausgehen.«

Hm? Ich schrecke aus einer Träumerei über Bruschetta fürs Abendessen auf, da ich noch Weißbrot und Tomaten habe, die ich verbrauchen muss, aber mein Olivenöl alle ist. Dann muss halt das Sonnenblumenöl herhalten.

»Der schnucklige Blonde, den du letztens dabei hattest, als wir uns beim Netto getroffen haben?«, fragt Monika und fängt an zu grinsen, als Jürgen nickt. »Der ist sexy.« Sie sieht zu mir. »Warum willst du nicht mit ihm ausgehen?«

Waren wir nicht gerade noch beim Nachbarschaftsklatsch? Wie kommen sie jetzt auf Jürgens Bergbaukumpel? Und wieso ist schon wieder mein nicht existierendes Liebesleben Thema unserer Kaffeerunde? Vielleicht sollte ich mir einen Callboy auf Zeit mieten. Nicht dass ich mir das leisten kann, auch wenn die Einnahmen vom Café gut genug sind, um mir das Häuschen, vier Angestellte und allerlei sonstige Annehmlichkeiten – zum Beispiel regelmäßige Einkäufe bei meinem Lieblingsmetzger und auf dem Wochenmarkt – zu finanzieren.

Ein Callboy dürfte da jedoch aus dem Rahmen fallen, denn ich bezweifle sehr, dass er sich mit 11,50 Euro die Stunde, plus Wochenendzuschlägen und Weihnachtsgeld, zufrieden gibt.

»Kein Interesse«, murmle ich in meine Kaffeetasse, als mir auffällt, dass Monika immer noch auf eine Antwort wartet, die ihr dann wie erwartet gar nicht gefällt.

»Matthias Georg Baum!«

Ich ziehe instinktiv den Kopf zwischen die Schultern und setze ein harmloses Lächeln auf, ehe ich zu Monika gucke, die mich jetzt über meinen Küchentisch hinweg finster ansieht.

»Komm mir bloß nicht so«, grollt sie und seufzt leise, bevor sie resigniert die Arme hebt und ihre Augen verdreht. »Du bist ein furchtbarer Einsiedlerkrebs geworden, seit du damals den Herzinfarkt hattest.« Sie deutet mit dem Finger auf mich. »Du brauchst ein Date!«

Das fehlt mir noch. »Ich brauche kein Date. Ich bin auch so glücklich und zufrieden.«

»Sind wir Freunde oder nicht?«

Jetzt seufze ich. »Moni, ich brauche wirklich keinen Mann, um glücklich zu sein.«

»Und woher willst du das bitteschön wissen, solange du es noch nicht versucht hast?«

Da hat sie nicht unrecht, aber ich bin einfach nicht der Typ dafür, andere anzusprechen. Hätte sie mich damals nicht von sich aus zu einem Date eingeladen, wäre sie heute nicht meine Ex-Frau und Mutter meiner Kinder. Ich hätte mich nie getraut, ihr den Hof zu machen, genauso wenig wie ich mich traue, in die Welt hinauszugehen und Sex zu haben – oder wahlweise erst mal in einen entsprechenden Schwulenclub zu gehen, um überhaupt Männer kennenzulernen, mit denen ich dann, eines Tages vielleicht, sogar Sex haben könnte.

Ich kenne keinen einzigen Homosexuellen, jedenfalls nicht persönlich. Mag ja sein, dass Hannes und auch Jürgens Kollege Tom wirklich nette Männer sind, aber ich werde es ohnehin nie herausfinden, weil ich einfach zu gehemmt bin, um mich an sie heranzuwagen. Dabei würde ich mich total unwohl fühlen und das ist wohl kaum Sinn der Sache, wenn man jemanden näher kennenlernen will, oder?

Nein, ich bleibe lieber Single. Man kann auch ohne Partner oder Partnerin ein zufriedenes, ausgefülltes Leben haben, und sobald der Frühling kommt und ich wieder viel Zeit draußen im Garten verbringen kann, werde ich sowieso keine Zeit mehr dafür haben, mich nach Männern umzusehen.

Aber über diese Haustier-Idee werde ich definitiv genauer nachdenken. Und jetzt ist eigentlich die perfekte Gelegenheit, um meiner Familie davon zu erzählen. Dann sind sie vorerst abgelenkt und vergessen hoffentlich für eine Weile, mich mit Bergbaukumpeln und Brüdern verkuppeln zu wollen.

»Ich denke darüber nach, mir eine Katze zuzulegen.«

»Du? Ein Haustier?«, fragt Jürgen verdattert, während Dirk sofort anfängt zu grinsen.

»Prima. Ich rufe gleich nächste Woche Hannes an und frage ihn, ob er eine für dich hat.«

Moment. Nächste Woche? Ich wollte doch eigentlich …

»Wären zwei nicht besser?«, fragt Monika an Dirk gewandt, während mein Bruder jetzt sprachlos dasitzt. »Dann können sie miteinander spielen, wenn Matti backt oder kocht.«

»Stimmt. Hannes sagt immer, dass Katzen Gesellschaft gut brauchen können.«

»Was für Katzen?« Dennis kommt in die Küche, greift sich drei Muffins und guckt mich fragend an. Monika ist allerdings schneller mit dem Antworten.

»Dein Papa will sich ein Haustier zulegen.«

»Echt? Cool.« Er beißt in einen der Muffins und sieht dann über die Schulter. »Mark? Julian? Habt ihr gehört? Papa schafft sich 'ne Katze an.«

Soviel dazu, dass ich erst mal darüber schlafen wollte.

»Geil«, ruft Mark begeistert aus dem Wohnzimmer. »Kann ich dann endlich 'ne Schlange haben?«

»Nein!«, antworten Monika und Dirk gemeinsam und sehr entrüstet und schauen mich anschließend finster an, als könnte ich etwas dafür. Und seit wann will Mark denn eine Schlange haben? Die sind gefährlich, zum Teil hochgiftig und erwürgen ihn, wenn er nicht aufpasst.

»Dein Bruder will eine Schlange?«, frage ich schockiert und Dennis kichert albern, während er nickt.

»Oh ja. 'Ne große Boa.« Er wirft erneut einen Blick über die Schulter. »Hey, Mark? Ich glaube, Papa ist mit deiner Schlange nicht einverstanden.«

»Wieso nicht? Er kriegt schließlich auch 'ne Katze.«

»Vielleicht weil eine Katze harmlos ist?« Jürgen gluckst und gießt sich Kaffee nach. »Und vor allem keine Menschen frisst«, ruft er dann zum Wohnzimmer und ich höre Mark schnauben, bevor er zurück brüllt: »Das macht eine Boa auch nicht.«

»Darauf würde ich an deiner Stelle nicht wetten, sobald sie vier Meter lang ist und dich im Schlaf zerquetscht wie 'ne alte, vergammelte Pflaume.«

»Dennis!«, rufen Jürgen, Dirk und Monika synchron und unüberhörbar empört, während mein Sohn schallend loslacht und ich mich schweigend frage, in welchem falschen Film ich gerade gelandet bin.

Mir kommt definitiv keine Schlange ins Haus. Bei meinem Glück frisst die meine zukünftigen Katzen und das kommt ja mal so gar nicht infrage.

 

 

2

 

 

 

 

Am Mittwoch ist Markttag und ich stehe überpünktlich bei Siegfried auf der Matte, der mir lachend zwei Papiertüten voll Fleisch auf den Tresen legt, bevor er noch vier Packungen Eier für mich holt.

»Moin, Matti«, schnauft er dabei, denn Siegfrieds Bauch ist noch ein gewaltiges Stück größer als meiner. Außerdem ist er knappe zwanzig Jahre älter als ich und ein Urgestein aus dem hohen Norden, der seiner Frau zuliebe ins Ruhrgebiet gezogen ist. Er ist immer zu einem Schwatz aufgelegt und weil ich weiß, wie gern seine Frau Simone Süßes mag, lege ich ungefragt eine kleine Tüte mit Pralinen neben seine Tüten. Ich habe gestern wieder neue Kreationen, einmal mit Gewürzen und einmal mit Kräutern, versucht und ich bin sehr gespannt, wie Simone sie findet, denn sie wird mir genauso ehrlich sagen, falls ihr etwas nicht schmeckt, wie Monika das immer macht.

»Morgen, Siggi«, grüße ich zurück und lege das Fleisch in meinen Einkaufskorb. Die Eier kommen obendrauf, so passiert ihnen nichts.

Früher habe ich mir um derartige Kleinigkeiten wie Beutel, Einkaufstaschen und gute Transportkisten, in denen möglichst alles heil und unversehrt bleibt, keinerlei Gedanken gemacht. Typisch Mann halt. Aber nachdem ich einmal einen einfachen Pappkarton mit acht Packungen Eier, von denen mehr als die Hälfte nach einem ungeplanten Bremsmanöver an einer Ampel umgekippt, kaputt gegangen und dann natürlich ausgelaufen war, aus meinem Kofferraum holen und den hinterher mit der Hand sauber machen durfte, hat sich meine Einstellung dazu ziemlich gewandelt.

»Was hast du mir denn da mitgebracht?«

»Die sind für Simone«, halte ich ihn grinsend davon ab, in die Tüte zu gucken, und muss lachen, als er mir daraufhin, wie ich es erwartet habe, einen treuherzigen Blick schenkt. Für ihn habe ich natürlich auch eine Kleinigkeit dabei. Allerdings ohne Zucker, weil er da aufpassen muss. Ich ziehe eine weitere Tüte aus der Jackentasche, in der sich acht Quarkbällchen befinden. Komplett zuckerfrei. Extra für ihn.

Ich habe eine ganze Weile an dem Rezept getüftelt, bis ich damit zufrieden war, und mittlerweile gibt es sie auch im Café. Sie sind kein Renner, verkaufen sich aber gut genug, um sie alle paar Wochen für ein paar Tage wieder mit ins Sortiment zu nehmen, das bei mir ständig, mit vorherigen Ankündigungen, wechselt. So kann ich am besten auf spezielle Kundenwünsche eingehen und meine neuen Kreationen anbieten, um zu testen, wie diese bei den Kunden ankommen.

Siegfried seufzt genüsslich, während er zu Ende kaut, und ich bezweifle, dass es auch nur eins der Quarkbällchen bis zu ihm nach Hause schaffen wird.

»Du bist schuld, wenn ich dick und rund werde«, wirft er mir dann mit einem Zwinkern vor, kassiert das Fleisch und die Eier ab und in den nächsten zwanzig Minuten, zwischen vier Kunden und einem Abstecher meinerseits zu Werner Hansens Fischstand gegenüber, erfahre ich, dass Siegfrieds Nachbarin, die zänkische Cholerikerin, über die er sich seit Jahren aufregt, endlich das Zeitliche gesegnet hat, sein Sohn schon wieder eine neue Freundin hat und seine Tochter ihm im Herbst das dritte Enkelkind schenkt, worüber Siegfried überglücklich ist.

Dann wird es voll an seinem Stand und so überlasse ich ihn seinen Kunden, um zu Margerite zu gehen. Sie hat Grünkohl, Rosenkohl, Möhren und Basilikum für mich. Dazu kommen an weiteren Ständen Zwiebeln, Kartoffeln und ein paar Äpfel, die ich, sofern ich im Laufe des Jahres endlich dazu komme, mir einen Keller anzulegen, in Zukunft vielleicht selbst den Winter über lagern kann.

Ich spiele schon seit einer Weile mit dem Gedanken, mir ein bisschen Gemüse anzubauen – Tomaten, Erdbeeren, vielleicht auch Gurken und Rhabarber. Damit lassen sich unter Garantie so einige Kuchenkreationen zaubern, und vor allem Erdbeeren sind jeden Sommer ein Dauerbrenner im Café.

Am Ende bin ich mit einem vollen Einkaufskorb und zwei weiteren, ebenso prall gefüllten Tragetaschen auf dem Weg zu meinem Auto – im Kopf bereits mit der Planung für handliche, süße Apfeltörtchen beschäftigt, die ich so weit verfeinere, dass ich zu Hause schnell die Einkäufe wegräume und dann Mehl, Eier, Zucker und alles, was ich sonst noch brauche, bereitstelle. Statt Streusel obendrauf, werde ich Puderzucker nehmen, und in die Mitte jedes Törtchens kommen zerhackte Mandelstücke und ein Hauch Zimt.

Ich bin mit dem Schälen und Teilen der Äpfel beschäftigt, als mein Blick gedankenverloren aus dem Fenster gleitet und mich das, was ich draußen im Garten entdecke, völlig irritiert innehalten lässt.

In meinem Kirschbaum sitzt ein Junge.

Was im Sommer nicht ungewöhnlich wäre, denn seit sich herumgesprochen hat, dass ich mein Obst durchaus auch mal verschenke, klopfen im Sommer immer wieder Jugendliche aus der Nachbarschaft an meine Tür. Allerdings, wie schon gesagt, klopfen sie vorher an und stehlen sich nicht einfach so auf das Grundstück – und das ohne Jacke, wie mir bei genauerem Blick überrascht auffällt und mich umgehend die Stirn runzeln lässt, denn auch wenn heute endlich mal wieder die Sonne scheint, es ist Januar und die Temperaturen liegen aktuell bei knapp Null Grad.

Der Junge wird sich verkühlen, falls das nicht schon längst passiert ist. Er kann unmöglich da draußen sitzen bleiben. Ich lasse die Äpfel liegen und gehe zu dem Jungen raus. Kenne ich ihn? Nein, sein Gesicht sagt mir nichts, stelle ich fest, als ich nah genug bin, um ihn ansehen zu können.

»Hi.« Ich schaue nach oben. Er sieht kurz zu mir und guckt dann gleich wieder auf den Boden. »Ist das nicht zu unbequem da oben?«

Von der Kälte gar nicht zu reden, die ihn zittern lässt, aber ich werde mich hüten, das zu sagen. Immerhin habe ich selbst zwei Jungs in seinem Alter, obwohl ich glaube, dass er noch ein paar Jahre jünger ist als meine Söhne. Er sieht mir jedenfalls zu schmal und klein aus, um bereits im Teenageralter zu sein. Ich tippe auf zehn bis zwölf, aber auch das ist alt genug, um schon ein stolzes Ego zu haben, das man als Erwachsener besser nicht angreift, sonst endet es allgemein im Streit.

Es dauert eine Weile, bis mein überraschender Gast reagiert und blaue Augen mich sichtlich müde anblinzeln. »Mama und Papa streiten schon wieder.«

Ach je. Ich verkneife mir jeden Kommentar dazu, denn sie wären allesamt nicht nett, weil ich kein Verständnis für Eltern habe, die ihre Probleme vor den eigenen Kindern klären. Selbst wenn man sich scheiden lässt, sollten die Kinder dabei immer an erster Stelle stehen. Mir ist zwar bewusst, dass ich in dieser Hinsicht ein Glückspilz war und es leider viel zu oft nicht ganz so gut läuft, aber wenn sich das eigene Kind aus dem Haus stiehlt, weil es die Streitereien der Eltern nicht mehr aushält, läuft in meinen Augen eindeutig etwas falsch.

»Wie heißt du denn?«, frage ich neugierig und reibe mir die Hände, weil mir langsam kalt wird, da ich natürlich auch nicht daran gedacht habe, mir eine Jacke überzuziehen, ehe ich aus dem Haus bin. »Ich bin Matti.«

»Torben.«

»Hey, Torben. Hast du Hunger?« Er sieht mir zumindest so aus, außerdem habe ich zwei Kinder, die mehr essen können, als ich am Tag kochen, also würde mich wundern, wenn dieser Junge keinen Hunger hat. »Ich backe gerade Apfeltörtchen.«

»Hast du Schokolade?«

»Klar«, antworte ich und zwinkere ihm feixend zu. »Ich bin Konditor.« Damit kann er nichts anfangen, sein ratloser Blick verrät ihn. »Bäcker«, führe ich aus. »Ich mache Torten, Kuchen, Pralinen ...«

»Muffins?«

Ich nicke. »Willst du einen?« Ich habe von gestern noch ein paar übrig, mit Sauerkirschen und Puderzucker obendrauf, die sind nach der Kälte genau das Richtige für ihn. »Ich mache uns einen warmen Kakao dazu.«

»Okay«, willigt er ein, nachdem er eine Weile schweigend darüber nachgedacht hat, und klettert dann recht behände für seine Statur vom Baum.

Er ist ein richtiger Kletteraffe, schießt mir amüsiert durch den Kopf, dann gehe ich vor ins Haus. Torben folgt mir zwar etwas langsamer, aber zumindest flüchtet er nicht, und als wir ein paar Minuten später am Küchentisch sitzen, grinst er bereits zufrieden und kaut mit vollen Backen, während er neugierig zusieht, wie ich meine Apfeltörtchen fertig mache und in den Backofen schiebe.

 

Eine knappe Stunde später, die Törtchen kühlen bereits ab und Torben hat sich eben den dritten Muffin genommen, läutet es an der Tür.

»Ich schau mal nach, wer das ist. Iss ruhig weiter«, sage ich und erhebe mich. Da ich niemanden erwarte, hoffe ich, dass es vielleicht seine Eltern sind, die ihren Sprössling suchen, denn Torben wollte mir auf meine Fragen hin nicht mehr erzählen, und so haben wir die letzten dreißig Minuten zwar einträchtig, aber schweigend zugebracht, was ihn genauso wenig zu stören schien wie mich.

Zwei Polizisten stehen vor meiner Tür. Damit habe ich nun nicht gerechnet und ziehe daher auch nicht gleich die richtigen Schlüsse. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Wir suchen jemanden.«

»Bei mir?«, wundere ich mich verblüfft, was mir ein kurzes Grinsen von dem jüngeren Beamten einbringt, Marke: blonder Surferboy mit blauen Augen.

»Wir fragen überall in der Nachbarschaft. Es geht um ein vermisstes Kind«, antwortet sein Kollege, der einige Jahre älter ist, und da fällt bei mir dann der Groschen. Den Eltern ist wohl endlich mal aufgefallen, dass ihr Sprössling weg ist. Warum sie ihn nicht selbst suchen, ist mir allerdings ein Rätsel. So weit weg können sie nicht wohnen, wenn Torben ohne Jacke bei mir im Kirschbaum landet.

»Heißt dieser Jemand, den Sie suchen, zufällig Torben?«

Die Beamten tauschen einen knappen Blick, dann nickt der Jüngere. »Er ist bei Ihnen?«

Ich nicke. »Ich fand ihn vorhin ziemlich durchgefroren in meinem Kirschbaum. Er sagte, seine Eltern würden sich schon wieder streiten. Mehr als seinen Namen wollte er mir nicht verraten, also habe ich ihn auf Kakao und Muffins eingeladen, weil ich ihn nicht länger oben im Baum sitzen lassen wollte. Er hat weder Schal noch Jacke dabei.«

Der ältere Beamte wendet sich ab. »Ich besorge ihm eine Jacke, spreche mit den Eltern ein ernstes Wort und melde mich anschließend. Bleibst du so lange hier, Samuel?«

Der blonde Schönling nickt und folgt mir ins Haus, als ich die Tür freigebe. Ich seufze leise, als die Tür hinter ihm zufällt und die Kälte aussperrt. Nachdem ich schweigend auf meine Garderobe gezeigt habe, zieht er sich brav Handschuhe, Jacke, Mütze und Schuhe aus.

»Polizeikommissar Samuel Henning«, stellt er sich danach vor und reicht mir die Hand.

»Matthias Baum«, erwidere ich, schüttle ihm die Hand und deute dabei mit dem Kopf zur Küche. »Wie schlimm ist es?«

»Schlimm genug, um das Jugendamt zu informieren. Nicht zum ersten Mal, leider«, antwortet er mit einem Seufzen. »Die Eltern schlagen ihn nicht, das ist das einzig Gute, aber meiner Meinung nach gehört der Junge aus der Familie genommen.«

Aber natürlich hört niemand auf den Rat eines Polizisten. Der Kommissar muss es nicht laut aussprechen, sein Blick ist eindeutig und das ist scheiße. Sogar ziemlich scheiße. Ich frage mich, warum Torben nicht schon eher in meinem Kirschbaum gelandet ist, doch bevor ich das sagen kann, nickt er, als würde er mir ansehen, was ich wissen will.

»Torben streift seit Jahren durch die Nachbarschaft, sobald sie wieder streiten. Das war den Eltern irgendwann so peinlich, dass sie umgezogen sind. Seit letztem Sommer leben sie drei Straßen weiter und deshalb waren Sie heute dran.«

Okay, das erklärt alles. Ich seufze kopfschüttelnd. Der arme Junge. Meine Eltern haben sich zwar früher auch ab und zu gestritten, besonders nachdem Papa arbeitslos geworden war, aber Jürgen und mir hat es nie an irgendetwas gefehlt. Dafür haben sie immer gesorgt.

Ich vermisse sie.

»Muffin?«, frage ich und schiebe die Erinnerung an meine Eltern beiseite, aber ehe mir der Kommissar antworten kann, klingelt es erneut an der Tür. »Mein Haus ist heute offenbar der Hauptbahnhof«, murmle ich und muss ungewollt grinsen, als ich Kommissar Henning hinter mir lachen höre, während ich mich auf den Weg mache.

»Hi, Bruderherz, ich wollte nur ...« Jürgen bricht ab, als sein Blick auf den Polizisten in meinem Flur fällt. Er blinzelt, dann fängt er an zu grinsen und sieht mich an. »Matti ...«

Ich verkneife mir ein Stöhnen. »Nein, Kommissar Henning ist nicht mein Freund, ich habe nichts angestellt und bestimmt wartet zu Hause eine tolle Frau mit drei Kindern auf ihn. Hör auf, mir einen Ehemann zu suchen.«

Kommissar Henning prustet hinter mir los und Jürgen tritt feixend an mir vorbei, um sich vorzustellen, bevor wir dann zu dritt in die Küche gehen, wo Torben sich eben das letzte Stück eines meiner Apfeltörtchen in den Mund schiebt, die eigentlich für das Café bestimmt sind. Aber eins weniger fällt wohl kaum auf und langsam müsste er wirklich mal satt sein. Hauptsache, die Törtchen sind mir gelungen und das glückliche Grinsen in seinem Gesicht spricht eindeutig dafür.

»Apfeltörtchen?«, murmelt Kommissar Henning und seufzt genüsslich. »Ich liebe die Dinger.«

Er setzt sich kurzerhand an den Küchentisch, reicht Torben die Hand und erzählt ihm danach, warum er hier ist und wer mein Bruder ist. Ich kann gar nicht so schnell blinzeln, wie sie sich über die Apfeltörtchen hermachen, und stehe wie bestellt und nicht abgeholt an der Tür, bis Jürgen mich angrinst.

»Wenn du dich nicht beeilst, kriegst du keins der Törtchen mehr ab. Sie sind übrigens göttlich.« Er erhebt sich abrupt. »Ich setze Kaffee auf. Kommissar, trinken Sie einen mit?«

Soviel zu meinem ruhigen Nachmittag.

 

»Ich bin übrigens nicht verheiratet«, erklärt mir Kommissar Henning zwei Stunden später leise, nachdem Torben mir ein letztes Mal zugewunken hat, bevor er ins Polizeiauto gestiegen ist, das ihn nach Hause bringen wird, und Jürgen ebenfalls in seinen Wagen gestiegen und schon gefahren ist. Ich drehe mich zu dem schmunzelnden Kommissar um. »Und drei Kinder gibt es auch nicht.«

»Ach so?«, frage ich dümmlich, während mir gleichzeitig der Gedanke kommt, dass Jürgen möglicherweise gar nicht so verkehrt gelegen hat, als er mir auf den Weg nach draußen ins Ohr flüsterte, dass der nette Kommissar definitiv etwas zu oft in meine Richtung gesehen hätte, um hetero zu sein.

Samuel Henning tritt an mir vorbei, allerdings viel zu dicht, um noch unauffällig zu sein. »Wir sehen uns, Matthias Baum.«

»Äh ...«

Weg ist er. Jedoch nicht ohne mich noch mal anzugrinsen, ehe er mit langen Schritten zu seinem Kollegen aufschließt und wenig später auch noch das Polizeiauto aus meinem Blickfeld verschwindet, während ich frierend in der Haustür stehe und mich frage, was mir gerade entgangen ist. Bis mir dann einfällt, dass ich keine Törtchen mehr habe und dringend neue backen sollte, sonst bleibt eins der Regale im Café morgen früh leer.

Wie gut, dass ich noch Äpfel übrig habe.

Und wie gut, dass ich nicht auf Diät bin.

Ich brauche jetzt dringend was zum Naschen, um ausgiebig darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass Jürgen bemerkt, wenn mich ein Mann zu oft anguckt, während ich das nicht mitkriege, und warum besagter Mann gerade aussah, als hätte er mich zu gerne geküsst. Wobei letzteres mit Sicherheit reines Wunschdenken ist. Woher soll ich auch bitteschön wissen, wie ein Mann aussieht, der einen anderen küssen möchte? Ich habe davon keine Ahnung. Na gut, ich habe früher Monika geküsst, aber das ist etwas anderes. Außerdem küsst ein Mann, der wie ein Adonis aussieht, mit Sicherheit niemanden wie mich.

In Schwulenkreisen gelte ich vermutlich als Bär, auch wenn ich mit den ganzen Einteilungen nicht viel anfangen kann. Ich habe zwar ein bisschen darüber gelesen, Neugier lässt grüßen, aber mir ist es zu hoch, warum man junge, schmaler gebaute Männer gerne als Twink bezeichnet und die Älteren als Daddy. Es kann natürlich sein, dass ich das alles vollkommen falsch verstanden habe, da ich so ein Schubladendenken albern finde, aber vielleicht bin ich auch einfach schon zu alt dafür.

Meine Söhne sind die einzigen, die Papa zu mir sagen, und darüber bin ich heilfroh. Ich käme mir vor wie ein Pädophiler, hätte ich einen Partner, der mich Daddy nennt.

Ich würde Kommissar Henning freundlich meiner Haustür verweisen, käme er auf diese abstruse Idee. Allerdings müsste er sich dafür erst mal wieder in meinem Haus aufhalten. Noch ein Wunschdenken, das ich gar nicht habe. Ich will ihn nämlich nicht wiedersehen und in meinem Haus will ich ihn auch nicht haben. Jedenfalls nicht noch mal.

Ich bin und bleibe ein glücklicher Single – der gerade eine Tafel Schokolade gegessen und nebenbei die Äpfel gewürfelt hat, anstatt sie in schmale Streifen zu schneiden. Toll. Wie sieht das denn bitte auf meinen Törtchen aus? Mit gerunzelter Stirn stehe ich vor dem Desaster und hebe schlussendlich resigniert die Arme. Na schön, dann mache ich statt Törtchen eben einen gedeckten Apfelkuchen vom Blech.

 

Der mir übrigens ganz großartig gelingt, stelle ich fest, als der Kuchen am frühen Abend schließlich weit genug abgekühlt ist, um ihn zu kosten, und während ich das tue, klingelt es schon wieder an der Tür. Nach einem Blick auf die Uhr runzle ich irritiert die Stirn. Wer ist das denn um diese Zeit?

Nun, ich werde es nicht herausfinden, wenn ich hier weiter kauend in meiner Küche stehe. Das restliche Stück Kuchen in der Hand haltend, ziehe ich kurz darauf meine Haustür auf.

»Oh, richtiger Apfelkuchen?« Kommissar Samuel Henning grinst mich spitzbübisch an, klaut mir den Rest Kuchen aus der Hand und beißt ab, um dann mit einem genießerischen Laut zu kauen. »Mhm, der ist köstlich.«

Er isst seelenruhig zu Ende, während ich dastehe und ihn sprachlos anstarre. Danach leckt er sich in einer Art und Weise die Finger ab, dass ich plötzlich ein Platzproblem in der Hose bekomme, und zieht hinterher den Reißverschluss von seinem Wintermantel ein Stück herunter. Langsam. Sehr langsam. Er hat übrigens schöne Finger. Lang, kräftig, kurze Nägel. Es sieht aus, als könne er mit diesen Fingern gut zupacken, was er als Cop bestimmt oft tun muss. Ich schlucke schwer.

»Hallo, Matthias.«

Was? Ach so, eine Begrüßung. Ich hebe rasch den Kopf und sehe ihn an. »Äh ...«

»Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen.«

Er freut sich, mich zu sehen? Wieso? »Uhm ...«

»Habe ich das vorhin richtig verstanden, dass du derzeit keinen Ehemann suchst, obwohl dein Bruder wohl gerne einen an deiner Seite sehen würde?«, fragt er und sein Grinsen wird breiter, weil ich ihn weiter schweigend angaffe. »Gut, ich sehe das nämlich genau wie du und suche auch keinen. Was hältst du stattdessen von einer schönen, heißen Affäre? Wer aussieht wie du, sollte ständig heiße, wilde Affären haben.«

»Öhm ...«

»Es sei denn natürlich, du bist gerade glücklicher Single.«

»Bin ich«, quietsche ich und Kommissar Henning zwinkert mir frech zu.

»Prächtig. Unser Sex wird großartig sein, da wir beide sehr glückliche Singles sind.«

Oha. Ich sollte dringend ein paar Gehirnzellen in Schwung bringen und mich vernünftig ausdrücken, sonst wird das hier gleich richtig peinlich. Also noch peinlicher als ohnehin schon, denn mein Gegenüber ist ein Polizist, dem mit Sicherheit schon aufgefallen ist, dass ich einen Knüppel in der Hose habe, der sich mehr und mehr in seine Richtung reckt.

»Ich bin nicht … Ich meine, ich habe nicht … Ähm ...«

»Was hast du nicht? Kondome, Gleitgel, ein bequemes Bett? Keine Sorge, ich bin natürlich ein ordentlicher Pfadfinder und ausgiebig vorbereitet. Und ein Bett brauchen wir nicht. Deine Couch tut es auch.«

»Keine Ahnung«, presse ich hilflos hervor. »Ich habe keine Ahnung.«

»Das macht nichts«, winkt der Kommissar gelassen ab und tritt nah vor mich. »Ich habe genug Ahnung für uns beide und ich teile sie gerne mit dir«, flüstert er mir ins Ohr und beißt im nächsten Moment kurz in selbiges. Ich japse nach Luft. »Es sei denn, du hast keine Lust auf eine heiße, wilde Affäre.«

»Uhm ...«

Kommissar Henning sucht meinen Blick. »Nenn mich Sam und bitte mich ins Haus.«

»Komm rein, Sam«, sage ich automatisch und frage mich im nächsten Moment, ob ich verrückt geworden bin. Der Mann will Sex. Mit mir. Ein hübscher, blonder Polizeikommissar will mich. Oh. Mein. Gott. »Wir sollten vielleicht ...«

Was immer ich auch sagen wollte, es ist vergessen, als die Haustür hinter uns zufällt, ich mit dem Rücken an die Wand gepresst werde und zwei Hände sich an der Schnürung meiner alten Jogginghose zu schaffen machen.

»Wann hat man dir das letzte Mal einen geblasen?«, werde ich gefragt und dann ist meine Hose auch schon offen und eine warme Hand stiehlt sich in meine Shorts.

Ach du meine Güte. »Noch nie.«

Ein strahlendes Lächeln trifft mich. »Dann wird es aber mal Zeit, findest du nicht?«

Ich bekomme keine Gelegenheit für eine Antwort, denn auf einmal ist der sexy Kommissar vor mir auf den Knien, zerrt an meiner Hose und der Shorts, bis alles frei und in Reichweite vor ihm hängt, oder besser gesagt steht, was er erreichen will, und dann höre ich das leise Reißen einer Folie. Oh, er nutzt ein Kondom, erkenne ich verspätet, und im nächsten Augenblick verschwindet meine Erektion zwischen seinen Lippen und ich verliere endgültig jede Fähigkeit Wörter zu bilden, als er mich tief in seinen Mund saugt und gleichzeitig mit einer Hand an meinen empfindlichen Eiern spielt, während die andere sanft über meinen zitternden Oberschenkel streichelt.

Es dauert nicht lange. Es dauert sogar peinlich kurz, da das, was er mit seiner Zunge an meiner Eichel anstellt, viel zu gut ist, und weil ich schon eine Weile keinen Orgasmus mehr hatte, und so einen sowieso noch nie.

Himmel hilf.

Ich glaube, ich schreie seinen Namen, weil er selbst dann noch leckt und saugt, als ich komme, und auch danach, bis ich so empfindlich bin, dass es wieder schmerzt, doch diesmal auf die unangenehme Art, die mich dann dazu bringt, ihn von mir zu schieben. Kommissar Henning lacht und klingt dabei sehr mit sich selbst zufrieden, doch auf einmal steht er wieder vor mir und nimmt mein Gesicht in seine Hände, bevor er mich so hingebungsvoll küsst, dass mir Hören und Sehen vergeht.

Ich weiß nicht, wie wir es vom Flur in mein Schlafzimmer schaffen, genauso wenig ist mir deutlich in Erinnerung, wie er es schafft, mich aus meinen Klamotten zu bekommen, von ihm selbst ganz zu schweigen.

Aber ich spüre verdammt gut, wie toll es sich anfühlt, als er mich später reitet wie ein wild gewordener Cowboy und dabei mit einem heiseren Stöhnen über meine Brust kommt.

Und ich werde auch keine Sekunde von all dem vergessen, was er einige Zeit später erst mit seinem Mund und dann mit seinen Händen überall auf mir und danach mit seiner Zunge in meinem Arsch tut, bevor er mir zeigt, was es wirklich bedeutet, mit einem Mann eng verbunden zu sein.

Was mir im Übrigen so gut gefällt, dass ich ihn mitten in der Nacht wecke und förmlich über ihn herfalle, bevor ich ihn bitte, dasselbe noch einmal mit mir zu tun.

Natürlich ist Kommissar Henning ein anständiger Polizist und erfüllt mir meinen Wunsch. Sogar zweimal.

 

 

3

 

 

 

 

»Junge, Junge«, ist das erste, was ich am nächsten Morgen gemurmelt neben mir höre, noch bevor ich meine Augen öffne. »Dafür, dass du angeblich keine Erfahrung hast, hast du mich aber ordentlich durchgefickt.«

Hallo? Wer hat sich denn wie ein Cowboy aufgeführt? Das war definitiv nicht ich. Außerdem hat er gut reden. Mein armer Hintern brennt, als hätte mir jemand ein großes Stück Ingwer reingeschoben. Wobei, reingeschoben hat der sexy Kommissar mir letzte Nacht auch so einiges, immerhin habe ich ihn selbst darum gebeten. Teilweise sogar gebettelt. Und ich kann nicht behaupten, dass es mir nicht gefallen hätte. Ganz im Gegenteil. Obwohl ich auf meinen heute schmerzenden Arsch verzichten könnte, war es die Erfahrung wert, und daher finde ich es nur recht und billig, wenn Samuels Hintern genauso schmerzt.

»Lebst du noch?«, fragt er belustigt und legt mir eine Hand auf die Brust. »Aha, da ist dein Herzschlag. Sehr gut. Es würde sich nicht gut in meinem Lebenslauf machen, wenn ich dich zu Tode gefickt hätte.« Ich schnaube nur und werde dafür prompt ausgelacht. »Da ist er ja«, neckt er mich und dann spüre ich ein Paar weicher Lippen kurz auf meinen. »Einen wunderschönen Guten Morgen, Herr Baum.«

»Morgen«, nuschle ich in unseren zweiten Kuss, der etwas ausufert, was mir ausnahmslos gut gefällt, bis der heiße Herr Kommissar sich keuchend losreißt.

»Verdammt. So gern ich das fortführen möchte, mein Arsch ist heute genauso tabu wie deiner. Und ich muss zum Dienst.«

»Morgen?«, frage ich, ohne vorher erst mal in Ruhe darüber nachzudenken, und öffne ein Auge, als er mir nicht antwortet. »Oder war es das schon mit unserer Affäre?«

Blaue Augen sehen mich einen Moment prüfend an, dann gluckst er. »Morgen Abend geht. Ich habe das Wochenende frei und verbringe es mit Freuden in deinem kuscheligen Bett.« Er drückt mir einen nassen Schmatzer auf, dann schwingt er sich aus dem Bett. »Ich setze Kaffee auf. Du hast nicht zufällig noch einen Stück Apfelkuchen übrig? Ich verhungere.«

»Ich mache am Wochenende einen neuen für dich.«

»Du bist ein Gott«, stöhnt er, kratzt sich am nackten Bauch und lacht, als ich meinen Blick unwillkürlich eine Etage tiefer richte. »Nein, nein, nein, Herr Baum, seien Sie anständig, sonst komme ich zu spät zum Dienst.«

Weg ist er und kurz darauf springt meine Dusche an.

Und ich, tja, ich bleibe liegen und starre an die Decke, weil ich mir nicht ganz sicher bin, wie ich das finde. Letzte Nacht war toll, gar keine Frage, nur was jetzt? Aber habe ich mir das mit meiner spontanen Einladung für morgen im Grunde nicht längst beantwortet? Eben. Also kann ich genauso aufstehen und Samuel schnell ein paar Spiegeleier braten, denn er macht mir nicht den Eindruck, als würde er sich selbst um ein gutes Frühstück kümmern wollen. Dabei wäre das in seinem Job mit Sicherheit wichtig. Wahrscheinlich kann er nicht mal kochen. Heutzutage können das immer weniger Leute, vor allem die in seinem Alter. Wie alt ist er eigentlich? Ich schätze, ich sollte ihn einfach fragen. Doch dazu sollte ich jetzt endlich meinen faulen Hintern aus dem Bett bewegen.

Gesagt, getan, und als Samuel zwanzig Minuten später zu mir in die Küche tritt, habe ich ihm Spiegeleier mit Schinken gemacht, Marmelade, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank geholt und dazu ein paar Toastscheiben mit Butter geschmiert. Neben dem Teller steht zudem ein großer Pott Kaffee.

»Frühstück? … Willst du mich heiraten?«

Er lacht, als ich mich prompt an meinem eigenen Kaffee verschlucke und zwinkert mir frech zu, bevor er sich setzt und über seinen Teller hermacht. »Himmel, ist das gut«, nuschelt er mit vollem Mund, erinnert sich dann an seine Manieren und kaut runter, bevor er mich anlächelt. »Danke.«

Ich werde natürlich wieder rot, während ich abwinke, und das gefällt dem Herrn Kommissar außerordentlich, so wie er in meine Richtung grinst, bevor er sich Marmelade auf die erste Toastscheibe nimmt und diese dann genüsslich verspeist.

»Willst du gar nichts essen?«, fragt er schließlich und greift nach der nächsten Toastscheibe.

Ich schüttle den Kopf. »Nicht um die Uhrzeit. So früh reicht mir ein Kaffee.«

Samuel nickt und bedient sich an dem Stück Käse. So dick, wie er sich die Scheiben schneidet, sind sie vom Toast kaum zu unterscheiden, aber es schmeckt ihm und das ist für mich die Hauptsache. Und er muss auch nicht auf sein Gewicht achten. Mir fällt wieder ein, worüber ich nachgedacht habe, bevor ich aufgestanden bin.

»Sam?«

»Hm?«, fragt er mit vollem Mund.

»Wie alt bist du eigentlich?«

Kleine Fältchen legen sich um seine blauen Augen, als er zu Ende kaut und dabei anfängt zu schmunzeln. Habe ich etwas Falsches gesagt? Mein Blick muss ihm meine Irritation deutlich zeigen, denn er lacht leise, als er aufgegessen hat, bevor er sich kurzerhand über den Tisch beugt und mir neckend gegen die Nase tippt.

»Zu jung für dich, ich weiß, aber ich steh einfach auf Ältere. Stört es dich?«

»Das war keine Antwort auf meine Frage.«

»Fünfundzwanzig.«

»Himmel«, murmle ich überrascht, denn das ist verdammt jung. Er könnte mein Sohn sein. Ich bin vielleicht altmodisch, aber das sind zwanzig Jahre Altersunterschied. Selbst für eine Affäre finde ich das zu viel, muss ich mir eingestehen. »Das ist ganz schön jung.«

Samuel gluckst heiter. »Wir sehen uns morgen Abend. Und bis dahin … Wann immer du dich fragst, ob ich vielleicht zu jung für dich bin, denk an das, was ich letzte Nacht mit meiner Zunge in deinem ...«

»Sam!«

Samuel lacht, nimmt mir die Kaffeetasse aus der Hand und stellt sie zur Seite, bevor er mich abrupt am Kragen meines T-Shirts packt und mich dann so hart küsst, dass ich am ganzen Körper erschauere. Okay, das beschreibt es nicht sehr gut, denn  eigentlich rollen sich mir die Fußnägel hoch und jedes einzelne Härchen auf meinem Körper fängt an zu beben, während mein Schwanz jubelt und nach mehr schreit. Das ist kein harmloser Kuss, das ist das Verführungsritual einer männlichen Sirene, die ihrem armen Opfer auf ewig den Kopf verdreht. Falls es so etwas wie männliche Sirenen überhaupt gibt.

Mein Gott, kann dieser Mann küssen. Unfassbar.

Ich ringe immer noch nach Luft, da hat Samuel mich längst mit einem schmutzigen Grinsen in der Küche zurückgelassen, um zur Arbeit aufzubrechen.

Was für ein Mistkerl.

Und allein die Vorstellung, wie er morgen Abend …

Ich kneife unwillkürlich beide Arschbacken zusammen, um gleich darauf zischend die Luft einzuziehen. Verdammt. Jetzt werde ich den ganzen Tag nichts anderes tun, als über seine Zunge in meinem Hintern nachzudenken, und ich wette, das war auch genau Samuels Absicht.

Den Kuss und seine Nachwirkungen abschüttelnd, trinke ich in aller Ruhe meinen Kaffee aus, räume danach die Küche auf und trete, nachdem ich mich gewaschen und angezogen habe, nach draußen auf meine Terrasse.

Der Himmel ist heute Morgen ziemlich grau und es ist eisig kalt, was mich aber nicht davon abhält, ein paar Schritte weiter in den Garten zu gehen und mich dann umzudrehen, um einen Blick auf mein Zuhause zu werfen.

Ich liebe das kleine Häuschen mit dem hellen Außenputz und dem grauen Dach, aber noch mehr liebe ich diesen Garten, der dazugehört und auch der Grund war, dass ich dieses Haus nach der Scheidung von Monika vor fünf Jahren überraschend billig kaufen konnte. Es hat fast ein Jahr gedauert, um aus dem damals wild wuchernden Dschungel einen begehbaren Garten zu machen, der seinen Namen verdient.

Mit Blumenbeeten, die mir hoffentlich bald ein Blütenmeer bescheren, und vielen Obstbäumen, die im Frühjahr weiße und rosafarbene Blüten tragen. Vergangenes Jahr hatte ich eine tolle Kirschernte und hätte mich mit Pflaumen und Äpfeln förmlich erschlagen können. Mal sehen, wie es dieses Jahr wird, ich bin gespannt. Das gilt auch für die Flieder- und Magnolienbüsche, und für meine neuen Rundbeete mit Frühblühern, die ich erst vergangenen Herbst angelegt habe, und von denen die ersten Zwiebeln schon im Dezember austrieben. Vor allem die Tulpen und Narzissen sind schon mehrere Zentimeter aus der Erde raus und ich hoffe, sie überstehen die derzeit kalten Tage ohne Probleme. Laut des Verkäufers im hiesigen Gartencenter stört Winterwetter diese robusten Frühblüher aber nicht, solange sie noch keine Blüten entwickelt haben.

Wenn ich nicht backe oder koche, vertreibe ich mir die Zeit oft mit Pflanzen, sehr zur Freude meines Kardiologen, obwohl er weiter regelmäßig versucht, mich zu einer Mitgliedschaft im Fitnessstudio zu überreden. Er sagt, dass der Abbau von Stress wichtig für ein gesundes Herz ist – noch besser ist es laut ihm, wenn man sich dazu gesund ernährt und Sport treibt.

Das mit der gesunden Ernährung kriege ich mittlerweile ganz gut hin, sieht man mal von den Muffins und Keksen ab, von denen ich leider nicht die Finger lassen kann, aber deshalb auch noch Sport treiben? Nein, danke. Man muss es mit dem gesunden Lebenswandel nicht gleich übertreiben.

Zählt herumkriechen im Garten und dabei gotteslästerlich fluchen eigentlich als sportliche Betätigung? Immerhin macht mein Blumenmeer eine Heidenarbeit, und nachdem ich letztes Jahr zwanzig Zehn-Liter-Eimer voller Äpfel gesammelt hatte, hatte ich die Faxen dicke und habe ein paar Kinder aus meiner Nachbarschaft dafür bezahlt, den Rest aufzusammeln und mit nach Hause zu nehmen oder wegzuwerfen.

Eine plötzliche Windböe lässt mich schaudern und ich gehe zurück ins Haus, wo mein Blick automatisch zur Uhr wandert.

Mist, ich bin spät dran.

Schnell schneide ich den Apfelkuchen, zumindest das, was davon noch übrig ist, da Samuel mitten in der Nacht plötzlich Hunger hatte, in handliche Stücke, verpacke sie gut und dann ab ins Café.

Meine Mädels werden sich ausschütten vor Lachen. Ich war noch nie zu spät und bei meinem Glück reicht den Frauen ein Blick auf mich, um zu wissen, wieso ich es ausgerechnet heute bin. Sie stimmen nämlich allesamt mit meiner Familie überein, was mein Liebesleben angeht. Der einzige auf meiner Seite ist Leon, der allerdings jede Woche um eine neue Frau oder auch mal um einen Mann rumscharwenzelt. Zumindest bin ich mir sicher, ihn schon mit einem Mann gesehen zu haben. Aber das ist seine Privatsache. Mich geht nichts an, was er außerhalb der Arbeit tut oder mit wem, solange er seinen Job macht und den liebt er, denn er ist, sobald ich hinten in der Backstube stehe, regelmäßig bei mir und sieht mir über die Schulter.

Ich habe ihn noch nicht gefragt, ob er irgendwann vielleicht Konditor werden will, weil Leon auf mich momentan eher den Eindruck erweckt, dass er nicht mal ansatzweise weiß, was er mit seinem zukünftigen Leben anfangen soll. Andererseits ist er auch erst Anfang zwanzig und hat daher in meinen Augen noch genug Zeit, sich darüber klarzuwerden. Es kann ja nicht jeder in dem Alter schon einen Beruf haben, den er liebt, so wie Dirk, Jürgen oder Kommissar Henning. Oder so wie ich. Leon wird schon seinen Weg finden, da bin ich sicher, und wer weiß, vielleicht bleibt er meinem kleinen Café eines Tages ja wirklich als neuer Konditor erhalten.

 

Als der Mittagsansturm endlich vorüber ist – ich bin gerade dabei die erschreckend leeren Regale wieder neu mit Muffins, Törtchen, Keksen und anderen Köstlichkeiten zu bestücken, meine letzte Tat für heute, ehe ich nach Hause fahre –, bimmelt überraschend die kleine Glocke über der Tür und ich sehe auf. Um diese Zeit kommen nur selten Kunden ins Café und auch heute ist der Besucher kein normaler Kunde. Ich nicke ihm mit einem lockeren Grinsen zu.

»Hey, Dirk«, begrüße ich meinen Schwager im Geiste. »Was verschafft mir denn die große Ehre eines persönlichen Besuchs in meinen heiligen Hallen?« Vor allem um diese Uhrzeit. Hat er seine Mittagspause verschoben? Das darauffolgende und in meinen Augen recht böse Grinsen, gepaart mit einem finsteren Blick, lässt mich verdutzt stutzen. Hat er schlechte Laune? »Ist alles okay?«

»Ich bin nicht Dirk.«

»Äh … Hä?«

Hatte ich schon erwähnt, dass ich im Kopf nicht immer der Schnellste bin? Und das beweise ich auch heute wieder, denn es dauert eine ganze Weile, bis mir dämmert, wer hier vor mir steht, was gar nicht sein kann, wobei, es kann sehr wohl, weil ich ihn noch nie gesehen habe. Wann auch? Während Monika geheiratet hat, lag ich noch im Krankenhaus und habe mich von meinem Herzinfarkt erholt. Sie wollte die Feier eigentlich für mich absagen, aber ich habe sie überredet, es nicht zu tun, ergo, ich hatte nicht die Möglichkeit, Dirks Bruder an dem Tag live und in Farbe zu sehen.

»Ach du Scheiße«, rutscht mir schließlich heraus und das lässt ihn leise lachen, während der finstere Blick verschwindet.

»Er hat es dir wirklich nicht gesagt, oder?«

»Nein. Von Zwillingen war bislang nie die Rede«, antworte ich und weiß nicht, ob ich schockiert sein oder lieber gleich tot umfallen soll.

Dirk und Hannes sind Zwillinge, ich fass es nicht.

Die Glocke über der Tür bimmelt erneut und ich muss mir ein Stöhnen verkneifen, als Frau Schultze und Frau Weiß mein Café betreten. Die beiden sind Stammkundinnen und kommen jede Woche mindestens einmal hier vorbei, auch wenn ich mir gerade sehr eindringlich wünschte, dem wäre nicht so. Gleich darauf fällt es mir wieder ein. Sie haben in der letzten Woche bei uns vorbestellt. Für heute. Das hatte ich völlig vergessen.

»Du willst also eine Katze haben?«

Ich blinzle irritiert. »Äh ...«

»Hast du Erfahrung mit Tierhaltung?«

Was für Erfahrung braucht man denn für das Halten einer Katze? Wenn Mark volljährig ist und er dann immer noch eine Boa haben will, werde ich darauf bestehen, dass er irgendeinen hochoffiziellen Schein macht, der ihm mit Stempel, Urkunde und Unterschrift bestätigt, dass er mit einer Schlange umgehen kann, aber seit wann braucht man für eine unschuldige Katze gleich ein polizeiliches Führungszeugnis?

»Es geht nur um eine harmlose Katze und nicht um eine tödliche Giftschlange.«

Und das hätte ich lieber nicht sagen sollen, denn sein Blick wird wieder finsterer, während Hannes die Arme vor der Brust verschränkt, die muskulöser sind als die seines Bruders, wenn auch nicht so muskulös wie die von Samuel, was mir eigentlich gar nicht auffallen sollte. Verflixt.

»Eine Katze braucht genauso ein liebevolles Zuhause wie eine Giftschlange, und ohne Katzenklo, Kratzbaum, Spielzeug und Sicherungen, sofern du sie drinnen halten willst, gebe ich dir keins meiner Tiere.«

»Garten … Ich habe einen«, stottere ich und ärgere mich im nächsten Moment darüber, denn Frau Schultze und Frau Weiß stecken flüsternd die Köpfe zusammen, was Hannes nur leider nicht bemerkt, denn er nickt und wirkt sofort versöhnlicher.

»Wenn sie nach einer Eingewöhnungsphase nach draußen kann, brauchst du regelmäßige Impfungen und einmal im Jahr sollte eine Wurmkur gemacht werden. Du musst natürlich auf Zecken und Krankheiten achten. Ich gebe nur kastrierte Katzen ab und lasse jedes Tier mit einem Chip versehen. Und ich sehe mir vorher ganz genau die Haushalte an, in denen ich meine Tiere später unterbringe.«

Also langsam fühle ich mich etwas überrumpelt. Er klingt, als wäre das alles schon beschlossene Sache. »Ich weiß noch gar nicht, ob ich überhaupt ...«

Hannes runzelt die Stirn. »Also willst du gar keine Katze?«

»Doch, aber ...«

»Stören dich die Kosten?«

Jetzt bin ich derjenige, der die Stirn runzelt. Ist eine Katze etwa so teuer im Unterhalt, dass er das immer extra erwähnen muss? »Welche Kosten?«

»Futter, Kratzbaum, Besuche beim Tierarzt … Eben alles, was so anfällt, sobald man ein Tier hält, das ein guter Jäger ist und beim Spielen und Toben gern mal die Krallen ausfährt.«

Wofür hält er mich? Glaubt er, ich setze die Katze gleich an der nächsten Straßenecke wieder aus, wenn sie mich kratzt? Langsam werde ich sauer und das liegt nicht nur daran, dass Leon und meine Mädels sich mittlerweile feixend in der Nähe aufhalten und ungeniert lauschen. Genauso wie Frau Schultze und Frau Weiß, die leider Gottes in meiner Straße wohnen und jetzt auf den neuesten Klatsch hoffen. Ein Skandal wäre ihnen dabei am liebsten.

»Was auch immer Dirk dir gesagt hat, ich überlege wirklich ernsthaft, mir ein Haustier zuzulegen. Aber ich mache daraus keine Hauruckaktion, ohne mich vorab zu informieren, was für eine Katze oder einen Hund alles gebraucht wird, um ihnen ein sicheres Zuhause zu bieten. Und das habe ich bisher noch nicht getan. Bevor ich mich also für oder gegen ein Haustier entscheide, will ich in Ruhe darüber nachdenken.«

»Ich habe ein älteres Geschwisterpaar, das ein neues Heim sucht. Sie wurden … ausgesetzt.«

Und das auf eine Art und Weise, die Hannes absolut nicht gefallen hat. Sein Blick spricht Bände und er drängt mich damit in eine Ecke. Ich kann nur schwer Nein sagen, darum hatte ich auch den Herzinfarkt, und so schwer kann es nicht sein, eine Katze zu halten. Oder sogar zwei. Vielleicht sollte ich wirklich einfach mal ins kalte Wasser springen und etwas Neues wagen, so wie Monika, Dirk und Jürgen es mir regelmäßig vorhalten. Meine Güte, es sind nur zwei Katzen.

»Ich habe aber nichts da. Kein Futter, kein Klo, nichts.«

»Budget?«

»Ähm … Keine Ahnung, du bist hier der Experte«, gebe ich den Staffelstab an ihn zurück, was vielleicht keine so gute Idee ist, denn als Tierarzt wird er vermutlich kaum das Katzenfutter für weniger als fünfzig Cent pro Dose aus dem Netto kaufen.

»250 Euro.«

Ich starre ihn fassungslos an.

»Du kannst natürlich gern Billigfutter aus dem Discounter, Plastikfutternäpfe und mieses Katzenstreu nehmen, aber glaub mir, wenn ich dir sage, dass du dann zweimal kaufen wirst.« Er schiebt die Hände in seine Hosentaschen. »Ich weiß, was die beiden gerne fressen und überlasse dir ihr Spielzeug und ihre Katzenkissen. Den Rest kann ich besorgen.«

Irgendwas an der ganzen Sache erscheint mir nicht koscher, ich kann nur nicht den Finger darauf legen, was es ist. »Wieso willst du sie eigentlich so plötzlich loswerden?«

Hannes schnaubt, dann verdreht er die Augen und sieht aus dem Fenster. »Mir geht der Platz aus. Sechs Neuzugänge vor zwei Tagen, die alle drei Stunden gefüttert werden müssen, nachdem sie in einen dreckigen Schuhkarton geworfen und im Müllcontainer hinter dem Zoogeschäft entsorgt wurden. Man kennt mich dort, weil ich öfter Futterspenden hole, und als sie die Kitten fanden, haben sie mich sofort angerufen.«

Mein Gott. Solche Menschen werde ich nie verstehen. Wie man einem kleinen, unschuldigen Tier so etwas antun kann, ist mir unbegreiflich. Tierquäler sind mit das Widerwärtigste, das es auf diesem Planeten gibt.

Ich seufze leise. »Werden sie durchkommen?«

Er zuckt mit den Schultern. »Bei vier bin ich mir sicher, die anderen zwei – abwarten.«

Ich werde Dirk umbringen, denn er wollte seinen Bruder anrufen und erst einmal nachfragen, ob Hannes eine Katze für mich hätte. So hätte ich noch genügend Zeit gehabt, darüber in aller Ruhe nachzudenken. Aber dass Hannes gleich persönlich im Café aufschlägt, beweist mir, dass es dringend ist. Er greift nach jedem Strohhalm und der ist im Augenblick der Ex-Mann seiner Schwägerin, den er nie zuvor gesehen hat.

Ach, was soll´s. Es sind Katzen, keine Löwen. Ich bekomme das schon irgendwie hin. »Heute Abend?«

Hannes' Schultern sacken erleichtert nach unten, dann nickt er und macht abrupt kehrt. »Ich besorge alles und verdonnere Dirk, mir zu helfen. Er weiß ja, wo du wohnst. Sieben Uhr bei dir?«, fragt er, die Hand schon am Türgriff.

Mein »Okay.« geht im Zugleiten der Tür unter und ich sehe dem Mann überrascht nach, bevor ich mich Leon zuwende, der ebenso verwundert die Schultern zuckt und anschließend mit einem »Merkwürdiger Typ.« nach hinten verschwindet, um die Bestellungen für Frau Weiß  und Frau Schultze zu holen.

Fünfzehn Berliner mit Mus und Marmelade, ebenso viele Krapfen und zwanzig Eierlikör-Bällchen. Für eine Feier zum bestandenen Abitur ihres Enkels, wenn ich das bei Frau Weiß noch richtig im Kopf habe.

Bei Frau Schultze waren es ein Obstboden und Kalter Hund mit Schuss für eine Kaffeerunde, die sie eigentlich ständig mit Freundinnen aus ihrer Seniorenrunde abhält. Früher hat sie die Kuchen dafür selbst gebacken, aber in den letzten Jahren fehlt ihr dazu die Kraft in den Händen und daher bestellt sie gerne und viel bei uns, auch wenn ich nicht jedes ihrer Rezepte ohne Kommentar durchwinke. Ich will nicht schuld sein, wenn eine ihrer Freundinnen durch den »guten Schuss Rum«, den sie im Kalten Hund immer haben will, auf dem Heimweg betrunken aus dem Rollstuhl fällt.

Da Leon und meine Mädels gut allein klarkommen und ich nicht vorhabe, zwei tratschsüchtigen, alten Damen heute Rede und Antwort zu stehen, flüchte ich lieber nach hinten, um Dirk anzurufen und ihn am Telefon erst mal so richtig zur Schnecke zu machen. Wie konnte er mir nur verschweigen, dass Hannes und er Zwillinge sind?

»Ich sollte dich erwürgen«, knurre ich ins Telefon, nachdem Dirk abgenommen hat.

»Äh … Matthias? Ist was passiert? Wieso rufst du mich im Büro an?«

»Wieso erzählst du mir nicht, dass ihr Zwillinge seid?«

»Oh, das ...«

»Ja, das«, äffe ich ihn nach und verdrehe die Augen, bevor ich mir eine Praline in den Mund stecke. Schokolade ist einfach das beste Mittel, sobald man ein bisschen Trost braucht. »Isch daschte, isch fall tot um«, nuschle ich mit vollem Mund. »Du bischt so ein Arsch.«

»Kau erst mal runter, Blödmann. Und iss nicht zu viele von den Pralinen, du weißt, dass du das nicht darfst.«

Ich kaue schnell runter. »Ich esse, was ich will, und ...«

»Moni und unsere Jungs wären untröstlich, wenn dich der nächste Herzinfarkt ins Grab bringt«, unterbricht er mich ruhig und liefert mir damit leider Gottes das perfekte Argument, um die zweite Praline zurückzulegen und tief zu seufzen.

»Du bist trotzdem ein Arsch.«

Dirk lacht leise. »Danke, ich liebe dich auch. Und du hättest ihn längst kennengelernt, wenn du nicht so ein Einsiedlerkrebs wärst, der kaum noch aus seinem Haus kommt.«

»Hallo? Ich stehe gerade im Laden.«

»Nein, du bist hinten in der Küche, wie die meiste Zeit, und ja, du bist alt genug, dein Leben so zu führen, wie du es willst, erspar uns den Spruch, aber wir sind Freunde, Matti, und es ist nicht gesund, was du machst. Geh wieder aus, hab Spaß, such dir einen Freund. Ich sag ja gar nicht, dass du gleich zu einem Partylöwen mutieren sollst, der jede Woche einen anderen Kerl an der Hand hat, aber mein Gott, du bist erst fünfundvierzig Jahre alt. Du hast dein halbes Leben noch vor dir.«

In meinem Alter zählt man als Schwuler schon zum alten Eisen, aber das sage ich Dirk nicht, denn das würde er einfach zur Seite wischen und ich habe eh kein Interesse daran, mich in Schwulenclubs oder anderweitig herumzutreiben. Dafür habe ich ja jetzt Kommissar Henning – zumindest so lange, wie wir Lust darauf haben oder ich ihm nicht zu langweilig werde.

»Ich schätze mal, Hannes war bei dir im Café.«

»Ja«, antworte ich brummig. »Er hat mir eben zwei Katzen aufgeschwatzt und bringt sie heute Abend bei mir vorbei. Ach ja, er dürfte bald bei dir anrufen, weil du ihm helfen sollst und meine Adresse kennst.«

Dirk seufzt leise. »Von wegen. Er traut sich nur nicht allein zu dir.«

»Warum das denn?«, frage ich verblüfft und da seufzt Dirk ein weiteres Mal.

»Weil mein Bruder noch viel schlimmer ist als du. Er ist so gehemmt und schüchtern, dass er das seit jeher mit schlechter Laune oder einer großen Klappe überspielt, weil er sonst kein einziges Wort rausbekommt. Na ja, zumindest solange du kein Tierquäler bist, die verprügelt er im Allgemeinen, sobald er sie in die Finger bekommt.«

»Er macht bitte was?«

»Matti, sei nicht böse, aber es hat einen guten Grund, wieso ich ständig versuche, euch zu verkuppeln. Ihr seid tolle Kerle, aber eben auch, jeder auf seine Weise, ganz schön schräg. Was nichts Schlechtes ist, im Gegenteil, aber Moni sagt ständig, ihr passt zusammen wie der Deckel zum berühmten Topf und du weißt, dass sie in der Hinsicht immer recht hat. Hannes ist seit einer Ewigkeit alleine, genau wie du. Warum also nicht? Einen Versuch wäre es wert.«

»Dirk ...«

»Ja, ja, ja, ich weiß, dass man Gefühle nicht erzwingen kann und so weiter, sag nichts. Aber du hast dich verändert, seit du aus der Reha zurück bist, und Hannes wird immer maulfauler und seltsamer. Ich will doch bloß nicht, dass mein Bruder und mein bester Freund für den Rest ihres Lebens allein bleiben.«

Ich ziehe eine Grimasse. Wahrscheinlich ist es der falscheste Zeitpunkt überhaupt, aber … »Ich bin nicht mehr allein … Da gibt es jemanden.« Dirk schweigt verblüfft und ich nehme eine neue Praline in die Hand. »Er ist etwas, ähm …  überwältigend … Aber wir haben … Wir sehen uns am Wochenende wieder.«

»Oh.«

Dirks Reaktion verunsichert mich ziemlich und ich beiße in die Praline. Pflaumenlikör. Lecker.

»Wie heißt er denn?«, fragt Dirk schließlich und ich nuschle ein leises »Sam.« heraus. »Kenne ich ihn?«

»Nein.«

»Wow, ich bin … überrascht, aber positiv. Wenn auch etwas enttäuscht, ich gebe es zu.« Dirk ist ehrlich bis aufs Blut, selbst wenn das manchmal wehtut. »Weißt du, ich hatte gehofft, dass du und Hannes … Aber du hast ja recht, Gefühle kann keiner steuern und solange du glücklich bist, ist Sam der Richtige.«

Ich weiß gar nicht, was ich bin, aber das sage ich Dirk nicht, genauso wenig wie ich ihm sage, dass ich daran zweifle, dass Kommissar Samuel Henning der Richtige für mich ist. Was wir hatten, war toll, gar keine Frage, aber ich glaube ihm, dass er es bei einer Affäre belassen will, und ich kann mir irgendwie gar nicht vorstellen, mit Samuel ein Leben zu teilen. Selbst wenn er nicht von vornherein deutlich klargestellt hätte, dass das nicht zu seinen Lebenszielen gehört. Er ist nett, sieht toll aus und im Bett kann er Dinge – mein lieber Schwan. Ich habe zwar keine Vergleichsmöglichkeiten in dieser Hinsicht, aber falls Sex alles ist, was uns verbindet, ist das vollkommen okay.

Außerdem war er mir doch ohnehin viel zu jung, nicht dass ich noch den wichtigsten Grund, der gegen etwas Langfristiges zwischen uns spricht, vergesse.

»Boss? Kommst du bitte mal?«, ruft Corina und ich lege die dritte Praline mit einem enttäuschten Seufzen wieder zurück in ihre Form, ehe ich mir den Einweghandschuh abstreife, die wir ständig tragen, damit die Lebensmittel vor dem Verkauf vorne sauber und keimfrei bleiben, und ihn in den Mülleimer werfe.

»Ich muss los. Wir sehen uns heute Abend.«

»Alles klar. Sollen wir Abendessen mitbringen? Asiatisch? Döner? Pizza? Oder lieber einen gesunden Salat?«

Ich schnaube abfällig. »Wenn ich mir schon innerhalb von zehn Minuten gleich zwei Katzen aufschwatzen lasse, will ich mich dafür wenigstens einmal richtig belohnen dürfen. Ich will eine dicke Currywurst mit doppelt Pommes, Majo, Ketchup und eine große Cola!«, befehle ich und höre Dirk noch lachen, da habe ich das Handy längst vom Ohr genommen.

Na das kann ja heute Abend heiter werden.

 

 

4

 

 

 

 

Samuel sieht mich mit großen Augen an, blinzelt verdattert und bricht danach in schallendes Gelächter aus. Sehr lustig. Ich brumme nur und lasse ihn an der Haustür stehen, während ich mir den Eisbeutel fester auf die unangenehm pochende Wange presse, in die der kätzische Satansbraten vorhin seine scharfen Krallen geschlagen hat.

Ich muss dringend lernen besser aufzupassen, wenn ich mit den beiden spiele, aber es hat einfach zu viel Spaß gemacht, die Angel über meine Möbel gleiten zu lassen und zuzusehen, wie meine rotzfrechen Mitbewohner ihr miauend und knurrend nachjagen. Dass ich mich anschließend kaputt aufs Sofa sinken lasse, ohne daran zu denken, dass der Angelköder, ein buntes Federbüschel, immer noch auf der Couchlehne liegt – tja, mein Fehler. Hätte ich mich nicht so erschreckt, als der Kater abrupt auf mir landete, hätte er mir auch nicht die Krallen ins Gesicht gehauen. Seither sitzen beide verschreckt in ihrem Kratzbaum und ich habe keine Ahnung, wie ich den zwei klarmachen soll, dass ich ihnen nicht böse bin.

Sie sind tolle Tiere, obwohl ich ihre Namen echt dämlich finde. Wer nennt seine Katzen bitteschön Selma und Louis? Ein Filmfan wahrscheinlich. Aber gut, ich werde mich schon daran gewöhnen. Hannes hat mir abgeraten, sie umzubenennen, weil sie dafür schlicht zu alt sind.

»Hast du dich geprügelt?«, fragt mein sexy Kommissar und lässt sich neben mir auf die Couch sinken, nachdem ich ihn ein paar Minuten erst im Flur und danach im Schlafzimmer gehört habe. Er wird seine Tasche nach oben getragen haben. Und er hat sich umgezogen, denn als mein Blick auf ihn fällt, entdecke ich, dass er, statt der Jeans von eben, jetzt eine bequeme und alt aussehende Jogginghose trägt. »Zeig mal her.« Er nimmt mir den Eisbeutel ab und inspiziert den Kratzer. »Guter Treffer. Wo ist denn der freche Übeltäter?«

Ich deute auf meinen neuen, großen Kratzbaum, der direkt neben dem Bücherregal in der Ecke steht. Samuel gluckst und erhebt sich, um wenig später vor dem Kratzbaum in die Hocke zu gehen, der mehrere Ebenen, eine mit einem Fell ausgelegte Höhle und zwei Liegeflächen hat.

»Wow, gleich zwei. Und alle beide tiefschwarz. Junge oder Mädchen?«

»Beides.«

»Nenn mich verrückt, aber die waren Mittwoch noch nicht hier, oder?«

Ich grinse schief, als sich unsere Blicke treffen. »Ich habe sie erst gestern Abend bekommen. Ein spontaner Entschluss.«

»Sehr spontan, würde ich mal sagen«, murmelt Samuel und richtet seinen Blick wieder auf die Höhle im Kratzbaum. »Hey, ihr zwei. Ich bin Sam. Verpasst ihr mir auch eine scharfe Linke, wenn ich versuche, euch zu streicheln?«

 

Sie lieben ihn. War ja klar.

Freche, vierbeinige Verräter. Aber wie es wohl jeder andere Katzenbesitzer nachvollziehen kann, kann ich ihnen nicht böse sein, oder besser gesagt, ich war es ohnehin nicht. Wir müssen uns erst mal aneinander gewöhnen und ich hoffe, ich mache es richtig. Aber da sie eine Stunde später bereits leise schnurrend an der Küchentür sitzend darauf warten, dass ich ihre Näpfe fülle, mache ich es zumindest nicht völlig falsch.

Samuel sieht mir breit grinsend zu, wobei ich ihn eher in Verdacht habe, mir unverhohlen auf den Arsch zu starren, aber da ich das bei ihm auch bei jeder Gelegenheit mache – nun ja.

Dass er seit gestern nicht mehr der einzige Kerl in meinem Leben ist, dem ich gerne auf den Hintern starre – ähm, darüber will ich im Moment ehrlich gesagt lieber nicht nachdenken.

Natürlich tue ich es doch, weil ich seit gestern Abend kaum noch etwas anderes mache, und natürlich merkt Samuel bald, dass ich abgelenkt bin. Sein Ego ist allerdings groß genug, um es nicht sofort auf sich zu beziehen, und vor allem ist er höflich genug, nicht weiter nachzuhaken, als ich auch seiner zweiten Frage in dieser Richtung ausweiche. Stattdessen verlegt er sich darauf, mir beim Kochen Gesellschaft zu leisten, brav meinen Vorkoster zu spielen und mich nach dem Abendessen zu einer neuen Spielrunde mit Selma und Louis zu überreden. Als die beiden Felltiger schließlich keine Lust mehr haben, machen wir es uns auf meiner Couch gemütlich und sehen uns irgendeinen Film an, von dem ich so gut wie nichts mitbekomme, weil ich die ganze Zeit über Hannes nachdenke und ihn insgeheim mit Samuel vergleiche.

Was beiden Männern gegenüber unfair ist, vor allem aber Samuel, denn er liegt hinter mir auf der Couch und streichelt mit der Hand gedankenverloren über meinen Arm, während er über etwas im Fernseher lacht.

Noch dazu sind die beiden grundverschieden.

Zumindest von ihrem Verhalten her, denn Hannes würde nie und nimmer einfach seine Hand in meine Hose schieben, wie Samuel es auf einmal tut, was mich scharf einatmen lässt. Das hält ihn allerdings nicht auf, genauso wenig stoppt es die Hand mit diesen kräftigen Fingern, die sich dann um meinen Schwanz legt, der von dieser unerwarteten Berührung richtig begeistert ist und das auch deutlich zeigt. Samuel streicht mit dem Daumen über die Spitze und ich stöhne leise auf.

»Letzte Gelegenheit nein zu sagen und mir stattdessen zu erzählen, was dir schon den ganzen Abend im Kopf rumgeht«, murmelt er plötzlich an meinem Ohr, ehe er das Ohrläppchen zwischen die Lippen nimmt und es so obszön mit seiner Zunge bearbeitet, dass ich fast in meine Hose komme.

»Und wenn ich nicht nein sage?«, frage ich keuchend, denn ich bin noch nicht bereit darüber zu reden und seine Art, für Ablenkung zu sorgen, gefällt mir bisher ausnahmslos gut.

»Wenn du nicht nein sagst«, beginnt er und packt meinen Schwanz fester, »werde ich an dem hier so lange saugen, bis du meinen Namen schreist und danach ficke ich dich hier, einfach über die Couch gebeugt, bis du zuerst darum bettelst, kommen zu dürfen, und dann ein zweites Mal meinen Namen schreist, wenn ich es dir erlaube.«

Na da bleiben doch keine Wünsche offen.

 

»Erzählst du mir jetzt, worüber du schon die ganze Zeit so angestrengt grübelst?«, fragt Sam mitten in der Nacht plötzlich und ich schrecke zusammen, weil ich der Meinung war, dass er längst tief und fest schläft.

Mein sexy Kommissar ist aufmerksamer und einfühlsamer, als mir im Augenblick lieb ist, aber andererseits wäre es wohl selbst einem Blinden mittlerweile aufgefallen, dass ich mit den Gedanken ganz woanders bin. Ich kann mir das alles nur noch nicht erklären und das gefällt mir gar nicht. Ich meine, wie oft haben Dirk und meine Familie in den letzten Jahren versucht, mich und Hannes an einen Tisch zu bringen, um uns dann zu verkuppeln, und am Ende reichen ein Zehn-Minuten-Gespräch in meinem Café und ein Abend bei mir, um diesem mürrischen Kerl hemmungslos zu verfallen?

Das ist doch nicht normal. Jedenfalls nicht für mich.

Glaube ich. Ähm …

Samuel beugt sich in der Dunkelheit über mich, als ich ihm nicht antworte, weil ich einfach nicht weiß, was ich sagen soll. »Was ist los, Matthias?«

»Ich bin bescheuert«, sage ich schließlich und Samuel lacht leise, bevor er mir neckend auf die Nasenspitze tippt.

»Und wie kommen Sie ausgerechnet mitten in der Nacht zu dieser wahrhaft bahnbrechenden Erkenntnis, Herr Baum?«

»Weil meine Familie leider recht hatte und wenn ich ihnen das sage, werden sie den Rest ihres Lebens so was von ekelhaft selbstzufrieden sein, das kannst du dir nicht vorstellen.«

Samuel schaltet die Nachttischlampe auf seiner Bettseite ein und macht es sich dann auf meiner Brust gemütlich. »Okay, die Geschichte will ich im Ganzen hören.«

Also erzähle ich es ihm. Von dem gestrigen Abend, den wir zu dritt, nun ja, eigentlich sogar zu fünft, wenn man die Katzen mitzählt, verbrachten, geduldig dabei zusahen, wie Selma und Louis ihr neues Zuhause erkundeten, danach einen Kratzbaum aufbauten, jede Menge Spielzeug und Katzenfutter verstauten und am Ende eine Weile überlegten, wo das Katzenklo stehen kann, das schließlich seinen Platz im Gäste-WC gleich neben der Haustür gefunden hat.

Alles völlig harmlos, doch seit Hannes und Dirk mein Haus verlassen haben, bekomme ich ersteren einfach nicht mehr aus dem Kopf. Was hat der Kerl nur an sich, dass ich mich gestern ständig davon abhalten musste, ihm auf den Arsch zu starren? Hannes ist ein Ebenbild seines Bruders und hat den gesamten Abend über keine zehn Worte zu mir gesagt, trotzdem konnte ich kaum den Blick von ihm nehmen, was mich völlig irritierte, denn vorher im Café war das nicht so.

Im Gegenteil, ich war heilfroh, ihn wieder los zu sein, und nur einen Tag später kann ich auf einmal nicht mehr aufhören, an ihn zu denken? Das ist eindeutig nicht normal. Es ist ja nicht so, als wäre Hannes der neue Captain America oder gar Thor, denen ich gern ein, zwei oder auch drei Blicke schenke, sobald ich im TV über einen Film mit den beiden stolpere. Hannes hat definitiv keine Ähnlichkeit mit einem der Schauspieler, obwohl seine Oberarme wahrlich nicht von schlechten Eltern sind, aber egal. Die von Samuel sind besser und der liegt neben mir, also habe ich mich, als anständige Hälfte unserer Affäre, gefälligst auf ihn zu konzentrieren.

Auf sein Haar, das genauso blond ist wie Hannes', und auf seine jetzt amüsiert dreinschauenden Augen, die dasselbe tiefe Blau besitzen, wie die von Hannes.

Verdammt.

Ich zucke ertappt zusammen und Samuel fängt prompt an zu grinsen, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Was ist?«, maule ich, weil er nichts sagt.

»Du findest den dir bis dato unbekannten Zwillingsbruder also scharf, obwohl dir dein Schwager, der genauso aussieht, am sprichwörtlichen Hintern vorbeigeht? Und das findest du reichlich schräg, weil du hier mit mir im Bett liegst und mich auch extrascharf findest?«

»Von extrascharf war nie die Rede«, widerspreche ich ihm sofort mit finsterem Blick, der bei Samuel leider Null Eindruck hinterlässt, denn er gluckst nur heiter.

»Dich kann man immer so gut necken, Matthias, aber seien wir doch mal ehrlich. Wir waren uns einig, dass das zwischen uns eine Affäre bleibt, vor allem, weil ich dir zu jung bin.«

»Das habe ich nicht ...«

»Ich habe Augen im Kopf«, unterbricht er mich ruhig und ich verziehe gequält das Gesicht. »Hey, ich werde es überleben, wenn du schon bald mit dem geilen Zwilling glücklich in den Sonnenuntergang reitest. Und nein, das ist nicht schräg, weil Hannes nicht automatisch sein Bruder ist, nur weil er dank der gleichen Gene zufällig genauso aussieht. Er hat einen anderen Charakter und der zieht dich gerade mächtig an, habe ich recht oder habe ich recht?«

Damit könnte er durchaus recht haben, obwohl ich mir im Augenblick noch nicht sicher bin, was es genau ist, das mich in Hannes' Richtung zieht. Vielleicht, weil er mich ein bisschen an mich selbst erinnert. Nur dass er offensichtlich ein noch viel schlimmerer Eigenbrötler ist als ich. Dirk kennt seinen Bruder da definitiv besser als ich.

»Für dein Alter bist du ganz schön weise«, antworte ich am Ende und Samuel zwinkert mir zu.

»Das bringt der Job so mit sich.«

»Bist du schon lange dabei?«

»Das Auswahlverfahren habe ich mit Achtzehn absolviert, danach kam das duale Studium, inklusive Praktika. Drei Jahre. Seither bin ich im Dienst.«

»Wow«, murmle ich und kann mir vorstellen, dass das für einen Polizisten bereits ziemlich viel ist. Ich möchte gar nicht wissen, was er schon alles zu sehen bekommen hat. Mir hat der Vorfall mit Torben gereicht. Apropos … »Wie geht es Torben?«

Samuel seufzt und verdreht die Augen. »Dasselbe wie oft in solchen Fällen. Das Jugendamt klopft den Eltern verbal auf die Finger, guckt sich die Wohnverhältnisse an, gibt Ratschläge und Tipps, wo sie Hilfe finden, die ohnehin nie angenommen werden, und am Ende wird er wieder in einem Baum hocken, sobald seine Eltern sich das nächste Mal streiten. Und das wird so lange weitergehen, bis er erwachsen ist und auszieht oder seine Eltern es irgendwann zu weit treiben und das Jugendamt ihn am Ende doch aus der Familie nimmt.«

Was in den meisten Fällen nicht passiert. Samuel muss es nicht in Worte fassen, ich habe ihn auch so verstanden, da sein Gesichtsausdruck Bände spricht. Es gibt zu viele Kinder, die schlimmer dran sind als Torben, deshalb fällt er durchs Raster, ganz gleich, ob seine Eltern sich den lieben, langen Tag streiten und ihm damit auf Dauer mehr psychische Schäden zufügen, als es ein Klaps auf den Hintern wohl jemals könnte. Trotzdem werden Eltern, die ihre Kinder mit eben jenem Klaps erziehen, heutzutage fast schon geächtet, während man bei Eltern, wie denen von Torben, immer wieder wegsieht und so tut, als hätte man nichts bemerkt. Bis es dann zu spät ist.

Ich streichle Samuel durchs Haar, woraufhin er seinen Kopf auf meiner Brust ablegt und tief seufzt. Es tut ihm weh, dass er für den Jungen nichts tun kann und das macht ihn für mich zu einem sehr guten Polizisten. Und von denen bräuchten wir im Grunde tausende mehr, nicht nur in Nordrhein-Westfalen.

»Also?«

»Was?«, frage ich irritiert, weil ich keine Ahnung habe, was er von mir wissen will.

»Wirfst du mich jetzt aus deinem Bett?«

»Es ist mitten in der Nacht.«

Samuel kichert an meiner Brust und sein warmer Atem auf meiner Haut beschert mir eine Gänsehaut, was ihm natürlich nicht entgeht. Ich keuche leise, als er plötzlich mit den Lippen meine rechte Brustwarze umschließt, sie mit der Zunge zärtlich umspielt und danach zu seinen Zähnen wechselt. Er knabbert vorsichtig, leckt wieder, knabbert erneut – bis sich mein Körper ihm ohne jedes Zutun entgegendrängt und seine Hand sich auf einmal um meine pochende Erektion schließt.

Ich dachte nicht, dass das heute Nacht noch mal klappt, er hat mir vorhin schließlich förmlich den Verstand rausgesaugt und mich hinterher gefickt, bis ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Dafür weiß ich jetzt aber ganz genau, wozu die berühmte Prostata gut ist und ich weiß auch, dass man sie von innen und außen reizen kann. Was ich bei Samuel hinterher so lange ausprobiert habe, bis er haltlos stöhnend in meine Hand gekommen ist. Ich werde nie wieder auf meiner Couch sitzen können, ohne rot zu werden, das steht mal fest.

Okay, wenn er so weitermacht, werde ich die nächsten Tage überhaupt nicht mehr sitzen können, egal wo, aber es ist leider zu gut, was er jetzt mit seiner Zunge in meinem Bauchnabel macht, während sich ein feuchter Finger behutsam in meinen Hintern schiebt. Es dauert nicht lange, bis ich kurz davor stehe, wieder einmal zu betteln, weil Samuel eindeutig der Meinung ist, meine Prostata wäre sein neuer, bester Freund, doch das verhindert er, indem er mich abrupt auf den Bauch dreht und danach dafür sorgt, dass ich das erst heute früh gewechselte Bettlaken morgen gleich wieder austauschen kann.

Gut, dass ich fünf oder sechs von den Dingern habe, sonst müssten wir wohl bald auf der blanken Matratze schlafen.

 

Nachdem wir es irgendwann auf wackligen Füßen in meine Dusche geschafft haben und ein Handtuch notdürftig für die Reinigung des versauten Bettlakens herhalten musste, liegen wir gegen zwei Uhr früh schließlich eng aneinandergeschmiegt im Bett. Samuel hat sich an meinen Rücken gekuschelt und es fühlt sich ein wenig seltsam an, seinen Penis zwischen meinen Pobacken zu fühlen, aber gleichzeitig ist es auch verrucht und ein bisschen erregend. Ich kriege zwar heute Nacht garantiert keinen mehr hoch, doch meinem Bauch reicht eindeutig auch die reine Vorstellung aus, um mir mit einem wohligen Gefühl mitzuteilen, dass ihm gefällt, was ich hier tue.

Ob es sich mit Hannes genauso gut anfühlen würde?

Ob es überhaupt jemals dazu kommen wird?

Und falls ja, was dann?

»Sam?«, murmle ich in die angenehme Stille hinein, was er mit einem schläfrigen »Hm?« beantwortet. »Ich will dich nicht aus meinem Bett werfen.« Weil ich nicht weiß, wie ich das, was ich noch sagen muss, so ausdrücken kann, dass ich ihn damit nicht verletze, rede ich nicht weiter, aber ich habe meinen sexy Kommissar unterschätzt.

»Aber du brauchst den Platz, falls Hannes sich entschließt, es mit dir zu versuchen.«

Woran ich insgeheim nicht einmal glaube, aber es käme mir trotzdem falsch vor, weiterhin mit Samuel tollen Sex zu haben, obwohl ich eigentlich einem anderen Kerl nachschmachte. Ich bin wohl altmodischer als ich dachte.

»Du bist nicht altmodisch, sondern anständig«, flüstert Sam und macht mir damit klar, dass ich laut gedacht habe. »Und warum sollte er dich nicht wollen? Du bist ein ehrlicher, guter Kerl, der noch dazu toll aussieht.«

»Nicht jeder steht auf Mittvierziger mit Lavendelmacke.«

»Lavendelwas?«

Ich grinse schief. »Ist dir die Bettwäsche nicht aufgefallen? Oder die Bilder an den Wänden? Mein Duschbad?«

Samuel kichert, dreht mich auf den Rücken und küsst mich. »Ja, sicher, aber mein Gott, es sind nur Bilder und Bettwäsche, wen stört´s? Und das Duschbad riecht echt gut. Außerdem, ich liebe Äpfel.«

»Im Kuchen?«

»Überall. Saft, Kuchen, Kompott, einfach frisch vom Baum gepflückt und gegessen. Ich bin verrückt nach Äpfeln.«

Ich seufze leise. »Hannes ist allergisch gegen Lavendel.«

»Wie stark?«

»Er musste gestern immer wieder niesen.«

»Hm«, macht Samuel und überlegt dann kurz. »Tausch Deo und Duschbad aus, kauf einen anderen Weichspüler für deine Bettwäsche und räum am besten die Lavendelpflanzen von der Fensterbank in deiner Küche raus auf die Terrasse. Das müsste eigentlich schon helfen. Wäre er stark allergisch, hätte er sich überhaupt nicht in deinem Haus aufhalten können, ohne dabei einen allergischen Schock zu bekommen.«

Okay, das leuchtet mir ein. Im nächsten Augenblick schalte ich die Nachttischlampe ein und starre ihn baff an. »Du hast ja doch hingesehen.«

»Ich bin Polizist, natürlich fällt mir so was auf, aber es stört mich auch nicht. Und wenn es Hannes stört, Allergie hin oder her, ist er ein Idiot.«

»Er ist noch schüchterner als ich«, gebe ich zu bedenken, obwohl ich mich langsam frage, weshalb ich hier eine Ausrede nach der anderen suche, warum das mit Hannes und mir ja eh nichts werden kann.

»Das könnte ein Problem werden, wenn du ihn in deinem Bett haben willst.« Samuel stützt sich neben mir auf, sodass er mir ins Gesicht sehen kann. »Mach es einfach so wie ich mit dir am Mittwoch. Überrumpel ihn.«

Ich soll bitte was tun? Hannes rennt schreiend vor mir weg, wenn ich ihm einfach an die Hose gehe, so wie Samuel es bei mir getan hat. Oder er haut mir kräftig eine runter. Keine sehr erhebende Vorstellung, finde ich.

»Äh ...«

»Oh nein, das ist dann sein Part«, unterbricht mich Samuel feixend. »Du wirst in seiner Nähe ab sofort ganze Wörter und Sätze bilden müssen. Aber keine Sorge, ich übe natürlich gerne mit dir, bis er dich erhört, und kriege dafür weiter regelmäßig ein schönes Blech köstlichen Apfelkuchen nur für mich.«

»Sam!«

Samuel prustet los.

 

Als er am Samstagmorgen endlich aus dem Bett findet, ist er völlig verknautscht und gähnt in einer Tour, während er wie betäubt zur Kaffeemaschine geht und sich eine Tasse eingießt. Da ist offensichtlich jemand ein Morgenmuffel. Grinsend halte ich inne, die frischen Champignons für das geplante Omelette klein zu schneiden, und sehe ihm belustigt zu, wie er mit viel zu kleinen Augen vorsichtig den Tisch umrundet, noch mal gähnt und wenig später höre ich ihn die Katzen begrüßen. Es dauert eine Weile, bis er wieder in meiner Küche auftaucht und dabei ein wenig wacher wirkt. Seine Augen stehen zumindest zur Hälfte offen und die Kaffeetasse ist bereits zu einem Viertel geleert.

»Morgen«, nuschelt er und drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich an den Tisch setzt, wo ihm dann auffällt, dass der mit Zutaten für unser spätes Frühstück Schrägstrich frühes Mittagessen bedeckt ist. Er stibitzt sich einen länglich geschnittenen Paprikastreifen und grinst dann kauend zu mir hoch. »Ich bin gleich wach, versprochen.«

Ich lache leise. »Donnerstag warst du ansprechbarer.«

»Donnerstag hatte ich auch Dienst.«

»Ah, wenn du frei hast, wirst du also zum Morgenmuffel?«, necke ich ihn und grinse, als er schnaubt.

»Hey, wer hat mich denn mit tief greifenden Gesprächen von meinem wohlverdienten Schönheitsschlaf abgehalten?«

»Wenn ich den Schönheitsschlaf vorschieben würde, hätte ich eine Ausrede, die glaubhaft wäre.«

»Willst du etwa einem Polizisten unterstellen zu lügen?«

»Nein, nur einem guten Freund.«

»Pfft«, macht er und widmet sich mit einem genießerischen Seufzen wieder dem Kaffee.

Ich gluckse und schneide die Champignons weiter klein. Er ist zu ablenkend mit seiner Jogginghose und nichts drunter, da er es offenbar auch nicht für nötig hielt, ein Shirt anzuziehen. Sein Glück, dass ich beim Heizen nicht spare, denn wenn ich eines hasse, ist es, in meinem eigenen Haus zu frieren.

»Also?«, fragt er, als die Champignons in einer Schüssel für die Pfanne bereitliegen und ich gerade aufräume. »Machen wir einen Plan für die Eroberung deines Tierarztes?«

»Er ist nicht mein Tierarzt.«

»Aber er soll es werden und um das hinzukriegen, müssen wir dich vorbereiten.«

Bei dem Wort 'vorbereiten' kommt mir prompt etwas ganz anderes in den Sinn und ich laufe knallrot an. Samuel sieht es und kichert.

»Dafür können wir dich natürlich auch jederzeit und sehr ausführlich vorbereiten. Aber ich glaube, dein Hintern könnte jetzt erst mal ein paar Tage Pause vertragen.«

Er zwinkert mir zu, als ich ihn tadelnd angucke, und es ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit, ihm böse zu sein. Er weiß wahrscheinlich genau, was dieser Unschuldsblick, gepaart mit den blauen Augen, anrichtet, und außerdem ist er nun mal die Verführung pur, jedenfalls für mich. Das zu leugnen wäre eine dicke, fette Lüge und Samuel würde sie sofort durchschauen. Mit einem Seufzen mache ich mich daran, das zum Schneiden des Gemüses benutzte Geschirr abzuspülen, und zucke ertappt zusammen, als er sich plötzlich an meinen Rücken schmiegt.

»Du kannst wirklich froh sein, dass ich so ein anständiger Kerl bin, Matthias, denn ich mag dich und ich will, dass du mit diesem Tierarzt glücklich wirst.« Er schweigt kurz. »Aber ich werde dich nicht anlügen und dir sagen, dass es mir egal wäre, denn, wie gesagt, ich mag dich.«

»Du stehst auf Ältere, ich weiß.« Er beißt mir strafend in den Nacken und es dauert etwas, bis mir klar wird, wie das bei ihm angekommen sein muss. »So meinte ich das nicht«, sage ich leise und sehe über die Schulter zu ihm. »Ich … Wenn du älter wärst … Und … Na ja ...«

»Wenn dir nicht vorgestern aufgefallen wäre, wie heiß dein Hannes ist«, nimmt er mir die Worte aus dem Mund, obwohl ich es anders ausgedrückt hätte. Ich nicke, weil ich Angst habe, ihn noch mehr zu verärgern, und Samuel tippt mir spielerisch auf die Nase. »Liebe hat nichts mit dem Alter zu tun, Matthias, das nur nebenbei gesagt, aber wir hatten uns geeinigt und ich werde jetzt nicht den bösen Nebenbuhler spielen. Das ist nicht mein Ding. Aber du wirst mir trotzdem im Bett fehlen und das werde ich dir auch ehrlich sagen, egal ob dir das unangenehm ist oder nicht. Dennoch werde ich dir mit dem Arzt alles Glück der Welt wünschen, weil ich ein netter Kerl bin.«

»Bist du nicht«, rutscht mir heraus, weil ich plötzlich so ein Gefühl habe, dass er normalerweise den Teufel tun und mich einfach kampflos aufgeben würde.

Samuel lacht und löst sich von mir. »Stimmt. Allgemein bin ich wirklich kein Kostverächter und wer mir gefällt, den will ich natürlich auch für mich behalten.« Sein Blick verändert sich und wird nachdenklicher. »Das liegt an dir, weißt du? Du hast irgendetwas an dir … Ich möchte, dass wir Freunde sind, aber um das hinzukriegen, müssen wir aufhören zu ficken.« Samuel fährt sich durch die Haare und wirft mir anschließend einen finsteren Blick zu. »Aber ich will verdammt sein, wenn ich das toll finde. Du warst der Erste, seit langer Zeit, wo ich dachte … Ich dachte ...«

Oh, Shit. Ich begreife sofort, was er meint. »Aber wir hatten doch gesagt ...«

»Ja!«, blafft er mich überraschend an. »Aber man darf seine Meinung doch auch mal ändern, oder etwa nicht? Und komm mir jetzt nicht damit, dass wir uns noch nicht mal eine Woche kennen.« Er wendet sich hastig ab. »Ich gehe duschen.«

Mist. Mist. Mist.

Geh ihm nach!, befehle ich mir wieder und wieder, aber ich brauche eine gefühlte Ewigkeit, bis meine Beine sich endlich in Bewegung setzen.

Gott sei Dank ist er ein ausgiebiger Duscher und noch nicht aus meinem Haus geflüchtet, als ich die Tür zum Badezimmer öffne, nachdem ich rasch ins Schlafzimmer geschaut habe, aber seine Tasche war noch da. Genauso wie Samuel und er sieht so gut aus, wie er unter dem heißen Wasserstrahl steht, den Kopf nach vorne gebeugt, und sich mit einer Hand an den Fliesen abstützt. Er wirkt traurig und ich kann nicht anders, als mich auszuziehen und zu ihm in die Kabine zu treten.

Er zuckt zusammen, als ich ihn mit dem Rücken an meine Brust ziehe, doch nach ein paar Sekunden atmet er hörbar aus und entspannt sich. So stehen wir eine Weile, bis ich nach dem Schwamm greife, ein bisschen Duschbad nehme und anfange ihn einzuseifen. Samuel lässt es wortlos geschehen. Nach einer Weile, als ich ihn längst herumgedreht habe, schließt er sogar seufzend die Augen und lässt mich einfach machen. Weil ich will, dass er es so richtig genießen kann, lasse ich mir viel Zeit, und es wundert mich kein bisschen, dass er, als ich seine Mitte erreiche, schnell hart wird und sich auf die Lippe beißt, um nur kein verräterisches Geräusch zu machen.

Und ich, tja, ich denke Ach, scheiß drauf und spüle dann den Schaum von seiner Erektion, ehe ich in die Knie gehe und mich vorbeuge, um ihn in den Mund zu nehmen. Samuel keucht über mir und seine Hände zucken kurz, als wisse er nichts mit ihnen anzufangen, aber dann legt er sie auf meine Schultern und schiebt sich mir entgegen. Ich interpretiere das als Zeichen dafür, dass es okay ist und ich weitermachen kann, also tue ich genau das.

Obwohl ich davon keine Ahnung habe und im Grunde nur das nachmache, was er bei mir getan hat – und ich bin längst nicht so gut darin wie er, weil er dafür viel zu groß ist und ich Angst habe, würgen zu müssen, wenn er zu tief kommt. Aber sein Geschmack auf meiner Zunge ist interessant und ich habe schließlich zwei gesunde Hände, die ich benutzen kann, was ich auch ungeniert tue, bis er schließlich stöhnt und die Finger in meine Schultern krallt. Doch er hält sich immer noch zurück, das habe ich im Gefühl, also gehe ich mit einer Hand tiefer, die Finger voll Seifenschaum, und stupse damit gegen das kleine, runzlige Loch. Es wäre doch gelacht, wenn ich ihn nicht wieder genauso außer Konzept bringen kann, wie er das immerzu bei mir schafft.

Samuel stöhnt haltlos auf, als ich schließlich finde, was ich suche, und meinen Finger über die Erhebung in ihm streichen lasse, während ich an ihm sauge und meine Zunge und Zähne einsetze, bis er anfängt zu zittern.

»Matthias ...«

Genau so will ich dich haben, denke ich sehr zufrieden und verstärke meine Bemühungen, bis er mit meinem Namen auf den Lippen in meinen Mund spritzt. Woah, das ist seltsam. Ich schlucke hastig und trotzdem läuft mir ein Teil seines Samens aus dem Mund, was Samuel allerdings nicht zu stören scheint, so hastig, wie er mich plötzlich auf die Füße zerrt, rabiat gegen die Fliesen drückt und währenddessen bereits seine Zunge in meinen Mund schiebt.

Gott, kann der Mann küssen.

Ich keuche, als ich seine warme Hand an meiner Erektion spüre, die ich eigentlich ignorieren wollte, weil das hier nur für ihn war, aber Samuel ist ganz eindeutig der Meinung, dass hier nichts ignoriert werden sollte, denn er umfasst mich fester und nimmt einen schnellen Rhythmus auf, der mich ruckzuck an den Rand der Beherrschung bringt. Dass er mich immer noch küsst, ist keine Hilfe, denn mir geht die Luft aus, und doch ist das alles so gut, dass ich gar nicht anders kann, als einfach nur noch mehr zu wollen.

Plötzlich ist Samuels Mund verschwunden, ich ringe hastig nach Sauerstoff und schreie gleich darauf überrascht auf, als er mich tief in den Mund nimmt. Es dauert keine zwei Atemzüge, bis ich ebenfalls komme, und er schluckt so lange und leckt mich danach so ausführlich sauber, dass ich allein davon fast schon wieder erregt werde. Himmel, ich wusste gar nicht, dass das überhaupt möglich ist.

»Du bringst mich noch um«, murmle ich mit einem leichten Keuchen, denn mir fehlt immer noch ein wenig Luft in meinen strapazierten Lungen.

Er lacht mich von unten herauf an. »Nein, im Gegenteil. Ich mache dich nur wieder geil.« Dann zwinkert er mir neckend zu und erhebt sich, um das Wasser abzudrehen und sich an mich zu schmiegen. »Als anständiger Cop sollte ich jetzt etwas über safe und Kondome sagen, aber da wir beide eben unanständig waren, lasse ich es einfach. Ich bin gesund.«

»Ich auch.« Das haben meine Ärzte nach dem Herzinfarkt sichergestellt und mich von Kopf bis Fuß durchgecheckt.

»Gut.«

Samuel schnappt sich den Schwamm und dreht das Wasser wieder an. Wir sprechen nicht mehr miteinander, während wir uns gegenseitig einseifen und abduschen, und auch danach, als ich das Omelette mache und er den Tisch deckt, sind wir beide mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt. Sie werden nur ab und zu von meinen zwei neuen Mitbewohnern unterbrochen, die Aufmerksamkeit wollen, und Samuel gibt sie ihnen gerne, damit ich in Ruhe zu Ende kochen kann.

Doch als wir dann beim Essen zusammensitzen, muss ich ihm noch etwas sagen, denn wenn er ehrlich zu mir ist, will ich auch ehrlich zu ihm sein. »Sam?«

»Hm?«, fragt er kauend.

»Ich mag dich auch. Sogar sehr.«

Jetzt sieht er von seinem Teller auf. »Aber nicht genug.«

»Nein«, stimme ich ihm zu, denn da ist kein Herzklopfen, kein Kribbeln im Bauch, keine Schmetterlinge. Ich habe Samuel gern, aber ich bin nicht in ihn verliebt. Nicht mal ansatzweise. Und ich will es auch nicht sein, weil ich herausfinden möchte, was das mit Hannes ist. Vielleicht wird daraus nichts, vielleicht ist es Einbildung oder bloß ein Wunschtraum meinerseits, ich weiß es nicht, aber ich muss es herausfinden. Und selbst wenn da wirklich rein gar nichts ist, bin ich nicht der Richtige für den sexy Kommissar. »Aber ich will, dass wir Freunde sind.« Und das ist die Wahrheit. In so einer Situation würde ich nie lügen. »Falls dir das zu wenig ist, sag es mir bitte, dann akzeptiere ich das natürlich.«

»Sind wir nur Freunde oder Freunde mit Extras?«

Es dauert etwas, bis ich verstehe, was er damit meint, und unwillkürlich rot werde, was Samuel zum Schmunzeln bringt. Doch er schweigt und wartet geduldig meine Antwort ab.

»Bin ich ein Schwein, wenn ich …?«

Ich breche eilig ab und verfluche mich selbst. Das kann ich unmöglich sagen. Wir wollen Freunde sein und Freunde ficken nicht miteinander. Nur weil meine Prinzipien da offensichtlich löchriger sind als ein Schweizer Käse, muss das nicht auch für Samuel gelten. Immerhin habe ich ihn vorhin unter der Dusche vernascht, obwohl wir vorab geklärt hatten, dass es keinen Sex mehr zwischen uns geben wird. Weil er zu jung ist.

Und jetzt wird mich bestimmt gleich der Blitz treffen, denn dieses Argument, so klug ich es Donnerstagmorgen noch fand, ist, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, einfach nur dämlich. Ich will Sex mit ihm, aber ich will auch Hannes – irgendwie. Doch weil Letzterer nicht zur Verfügung steht, kann ich dann nicht wenigstens Samuel haben? Das klingt nicht gerade nett und es lässt mich seufzen, denn so bin ich eigentlich nicht. Zumindest war ich vor einer Woche noch nicht so. Aber letzte Woche um die Zeit hatte ich auch noch nie schwulen Sex gehabt, kannte Kommissar Samuel Henning nicht und hatte nicht stundenlang Hannes' knackigen Arsch vor Augen.

Um ehrlich zu sein, war mein Leben vor einer Woche noch ziemlich eintönig, im Gegensatz zu heute, und mir gefällt, dass es jetzt nicht mehr so ist. Mir gefällt es, mit Samuel in meinem Bett aufzuwachen. Ich mag es, mit ihm zu duschen. Ich mag es, für ihn zu kochen und ich mag es auch, dass er sich weder an meinen Katzen noch an meiner Lavendelmacke oder meinem Bauch stört. Ich mag ihn in meinem Leben und ich will nicht, dass er daraus verschwindet, nur weil ich die Hoffnung habe, dass irgendwann vielleicht Hannes Wendermann seinen Platz einnimmt.

»Das tut weh, oder?«

Ich sehe irritiert zu Samuel. »Was?«

»Zu erkennen, dass man schon so lange derart eingefahren in seinem Leben und gleichzeitig unglaublich einsam ist, dass es einem vorher gar nicht bewusst war.«

»Ich liebe mein Leben«, widerspreche ich Samuel leise und irgendwie auch halbherzig, schiebe den halb leeren Teller von mir und stehe auf, um mit dem Abwasch anzufangen, weil ich jetzt irgendetwas tun muss, sonst flüchte ich, denn Samuel hat den Nagel auf den Kopf getroffen und ja, das tut weh. Richtig weh sogar.

Ein Stuhl schabt über den Boden und ich weiß, dass er sich jetzt ebenfalls erhebt, noch ehe ich Samuels Schritte hinter mir höre. Dann greift er an mir vorbei, dreht den Wasserhahn zu und dreht mich zu sich um. Seine Hände legen sich an meine Seiten, aber sonst berührt er mich nicht.

»Das sieht man dir an, Matthias. Du hast ein sicheres, gutes Leben. Ein tolles Haus, einen Beruf, der dir alles bedeutet, und eine liebevolle Familie, die eng zusammenhält, sofern ich das aus der Begegnung mit deinem Bruder schließen kann. Du hast alles, was sich andere ihr Leben lang wünschen.«

»Aber?«, frage ich, weil ich weiß, da kommt noch etwas.

»Reicht das?«

»Ich verstehe nicht.«

»Bist du glücklich, Matthias?«

»Ich ...«

Er legt einen Finger über meine Lippen. »Denk nach, bevor du antwortest. Bist du mit all dem, was du besitzt und was du tust, wirklich glücklich? Es gibt Menschen, die das sind, denen das, was du hast, vollkommen ausreicht, das will ich gar nicht bestreiten. Dennoch … Bist du glücklich, Matthias Baum?«

Ich dachte, ich wäre es. Das habe ich wirklich geglaubt und Samuel sieht mir meine Gedanken an, denn er nickt erneut und küsst mich danach zärtlich. Dass ich mit einem Seufzen fest die Arme um ihn schlinge, kommentiert er nicht, sondern macht es einfach genauso, bevor er kurz an meinem Ohrläppchen saugt und mir danach liebevoll durch die kurzen Haare im Nacken streichelt.

»Wir zwei gehören zu diesen Typen, die sehr wohl mit dem zufrieden sein können, was sie bereits haben, aber ich glaube, wir werden erst richtig glücklich sein, wenn da ein Kerl ist, mit dem wir all das teilen können. Und wer weiß, vielleicht ist dein Hannes dafür der Richtige.« Samuel rückt von mir ab, bis wir uns wieder anschauen. »Aber um endlich mal deine Frage zu beantworten: Nein, du bist kein Schwein. Du lernst gerade erst, wer du wirklich bist, und dabei bin ich dir gerne behilflich.« Er grinst neckisch. »Was in meinen Augen natürlich vollkommen uneigennützig ist. Immerhin bekomme ich dafür regelmäßig schweißtreibenden Sex und grandiosen Kuchen.«

»Sam«, grolle ich und muss selbst grinsen, als er mich dafür auf die Nase küsst. Das scheint irgendwie so eine Marotte von ihm zu sein. Ich finde es niedlich.

»Probier dich aus, Matthias, und nimm ruhig mit, was du kriegen kannst. Ein Schwein wärst du erst, wenn Hannes dich erhört und du trotzdem weiter mit mir ins Bett gehst. Aber das wird nie passieren, weil ich dir nämlich in deinen geilen Arsch treten würde, kämst du auf diese Idee. Klar?«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

»Gut. Und jetzt waschen wir ab und gucken uns hinterher diesen tollen Garten an, der mich schon am Mittwoch durchs Fenster angelacht hat. Und hinterher bespaße ich deine Katzen, während du mir einen Apfelkuchen backst.«

Ach so? Wann haben wir das denn beschlossen? »Sie sind ganz schön fordernd, Mister.«

Samuel zwinkert mir zu. »Das ist eine Berufskrankheit, also pass lieber auf, dass du spurst, sonst hole ich die Handschellen raus und tue unaussprechliche Dinge mit deinem Arsch.«

»Nur mit dem?«

»Matthias ...«, murrt er mit gespielt drohendem Blick, dabei kann ich an meiner Hüfte ziemlich gut fühlen, wie sehr ihm die Vorstellung gefällt.

Allerdings sind Handschellen nicht so wirklich mein Ding, daher wende ich mich lachend ab und beginne erneut, heißes Wasser in die Spüle laufen zu lassen. Sein übriger Plan gefällt mir nämlich und da heute die Sonne scheint, ist gegen einen schönen Spaziergang durch meinen Garten nicht das Geringste einzuwenden.

 

Eine Stunde später frage ich mich allerdings, ob Samuel die eisige Kälte hier draußen nicht bekommt. Anders lässt sich der Vorschlag nicht erklären, den er mir gemacht hat und den ich energisch kopfschüttelnd ablehne. Bereits zum dritten Mal in den letzten paar Minuten, aber das hält ihn nicht davon ab, mir weiter in den buntesten Farben auszumalen, dass es eine mehr als grandiose Idee ist, den lieben Hannes, wie er ihn nennt, ein bisschen eifersüchtig zu machen, indem ich Samuel als meinen neuen, besten Freund der Familie vorstelle.

Natürlich werden alle spekulieren, wenn wir uns vielleicht ab und an ein kurzes Lächeln oder einen schmachtenden Blick zuwerfen, aber das gehört nun mal zum eifersüchtig machen dazu, sagt Samuel.

»Nein.«

»Das wird perfekt, Matthias«, begeistert er sich und erzählt weiter über Pläne, die Händchenhalten und Berührungen bei passender Gelegenheit beinhalten.

Natürlich muss Hannes dafür beim nächsten Kaffeetrinken anwesend sein, was ein bisschen knifflig wird, schließlich will man ihn ja nicht gleich mit der Nase darauf stoßen, dass er mal eben verkuppelt werden soll. Ich kann mich gerade so davon abhalten, Samuel vorzuschlagen, sich einfach mit Monika, Dirk und Jürgen zusammenzutun, was das betrifft.

Und dann fällt mir auch noch ein, dass ich Dirk schon von ihm erzählt habe, und der garantiert sofort glaubt, ich wäre mit Samuel …

Nun ja. Ich hätte bei Dirk besser die Klappe halten sollen, aber die Einsicht kommt mir leider zu spät.

»Dirk weiß schon von dir.«

Samuel stockt und dreht sich zu mir um. »Ach ja?«

Ich erzähle ihm von dem Telefonat und als er aufjauchzt, bekomme ich eine Gänsehaut. »Was?«

»Das ist einfach perfekt«, freut er sich und grinst mich breit an. »Dirk wird glauben, wir haben was am Laufen, was ja auch stimmt, also wird er mir finstere Blicke zuwerfen, weil sich das nun mal so gehört, immerhin ist Hannes sein Bruder und alle wollen dich mit ihm verkuppeln.« Samuel überlegt kurz. »Hey, ich muss vorher unbedingt deine Familie kennenlernen. Wenn wir uns nämlich zusammentun, um … Was ist?«, fragt er, als ich aufstöhne. »Das wird funktionieren, wetten? In einem Jahr, spätestens, bist du verliebt, verlobt und vielleicht sogar schon verheiratet.« Er lacht, als ich hilflos die Arme in die Luft hebe. »Aber vorher müssen wir dein Haus ein wenig lavendelfreier machen. Los, komm mit. Ich habe zu tun und du musst backen und deine Familie für heute Nachmittag zum Kaffeekränzchen einladen.«

»Was? Nein! Sam ...«

Er grinst spitzbübisch und tritt dicht vor mich. »Du kannst natürlich auch mich heiraten, wenn dir das lieber ist.«

Mein finsterer Blick prallt leider völlig wirkungslos an ihm ab, stattdessen lacht er, schnappt sich meine Hand und zerrt mich hinter sich her zurück ins Haus.

Ich bin so was von erledigt, genauso wie der arme Hannes, der keine Ahnung hat, was ihm blüht. Und das nur, weil ich seinen knackigen Arsch scharf finde? Vielleicht sollte ich nicht meine Familie wegen Samuels spontan geplanter Kaffeerunde anrufen, sondern Hannes, um ihn vorzuwarnen. Das wäre nur fair, immerhin soll er bald mit mir verheiratet werden und hat davon keine Ahnung.

»Und komm ja nicht auf die Idee, ihn zu warnen, Matthias, das würde zu dir passen, du anständiger Kerl. Ich versohle dir den Hintern, wenn du das machst.«

Ich zucke ertappt zusammen.

Verdammt.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739488622
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Ruhrpott Liebesroman schwul Liebe Romanze Humor

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Fantasy, Thriller und Romanzen. Weitere Informationen zu meinen Büchern, sowie aktuelle News zu kommenden Veröffentlichungen, findet ihr auf meiner Homepage.
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Titel: Lavendelherz mit Kuss