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Herzklopfen im Paradies

Urlaubsroman

von Melina Meyer (Autor:in)
200 Seiten

Zusammenfassung

Die Seychellen – der Stoff, aus dem Flitterwochenträume gemacht sind. Doch nicht für Nina! Erstens fehlt ihr der passende Mann zum Heiraten, zweitens das nötige Kleingeld für einen Urlaub auf der herrlichen Inselgruppe im Indischen Ozean. Sie will einfach nur schnell das Hotel verkaufen, das ihr Vater ihr vererbt hat, und dann wieder abreisen. Doch das Coral Beach Hotel ist eine Bruchbude, und Nic Valmont, der einzige Kaufinteressent, ein echter Widerling. Ehe sie an den verkauft, friert die Hölle zu! Guter Rat ist also teuer. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und während sie gegen fiese Intrigen kämpft und ein paar unbequeme Wahrheiten aufdeckt, muss sie erkennen, dass Nic doch gar kein so übler Kerl ist. Oder spielt er ihr nur etwas vor ...?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog

 

„Herzlich willkommen bei Meier und Steppke, was kann ich für Sie tun?“

Nina Becker drückte die Kopfhörer des ausgeleierten alten Headsets an die Ohren, damit sie die Stimme des Anrufers am anderen Ende der Leitung hören konnte. Das Call-Center, für das sie seit ein paar Monaten arbeitete, zahlte nicht sonderlich gut, die Arbeitszeiten waren fürchterlich, und die Ausrüstung, mit der sie arbeiten mussten, war total veraltet. Doch was sollte sie machen? Sie brauchte den Job und konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein.

„Ja, hallo“, hörte sie eine leise Stimme im Hintergrund, die von einigem Rauschen und statischen Knacken durchsetzt war. „Ich … bestellt und … beschweren, weil …“

Mit einem unterdrückten Seufzen versuchte Nina sich zusammenzureimen, was die Kundin – dem Klang nach handelte es sich um eine ältere Dame – wollte. Im Grunde war es eigentlich immer dasselbe. Der Händler, für den sie telefonierte, verkaufte den Leuten über Drücker-Kolonnen an der Haustür irgendwelchen Krimskrams, der sich am Ende als vollkommen unbrauchbar herausstellte.

„Geben Sie mir doch bitte die Kundennummer, die oben rechts auf dem Lieferschein steht … Nein, das ist die Artikelnummer, die … Es tut mir wirklich leid, dass Sie unzufrieden sind, aber … Nein, bedauerlicherweise ist es mir nicht möglich, Sie mit meinem Vorgesetzten zu verbinden.“

So ging das andauernd. Nina und ihre Kollegen waren so etwas wie die Knautschzone für die Unternehmen, die versuchten, ihre Kunden am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen und sie auf diese Weise zum Bezahlen zu bringen. Es gefiel ihr nicht, und nicht selten nahm sie die Reklamation des Anrufers auch wirklich auf und schickte sie an die entsprechenden Abteilungen. Sie wusste allerdings auch, dass dieses Verhalten sie früher oder später ihren Job kosten würde.

Aber sie war ja bereits daran gewöhnt, dass ihr Leben nicht unbedingt unter einem glücklichen Stern stand. Ihr Vater hatte seine Familie im Stich gelassen, als war sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Obwohl ihre Mutter wie verrückt geschuftet hatte, war das Geld danach trotzdem immer knapp gewesen. Umso mehr motivierte Helene Becker ihre Tochter, sich in der Schule anzustrengen, damit sie später einmal studieren und eine gut bezahlte Arbeit finden konnte.

Nun, mit einem Studium hatte Nina nach dem Abitur auch begonnen. Architektur. Doch schon nach den ersten zwei Semestern war ihre Mutter schwer erkrankt, und Nina hatte sich eine Auszeit von der Uni genommen.

Eine Auszeit, die schließlich mit dem Tod ihrer Mutter geendet hatte. Tja, und dann war ihr Studienplatz futsch gewesen, und sie stand mit einem Berg Schulden da, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte.

Deshalb arbeitete sie nun in gleich zwei Jobs, um Monat für Monat das Geld für die Raten zusammenkratzen zu können.

Die Frau am anderen Ende der Leitung war inzwischen so richtig in Fahrt gekommen, und wenn Nina ehrlich sein wollte, war sie froh, dass sie nur die Hälfte von dem verstehen konnte, was die Kundin sagte.

Nina seufzte. Sie war immer freundlich zu den Kunden. Das war einfach ihre Art. Und anders als ihre Kollegen unterbrach sie für gewöhnlich auch keine Gespräche. Doch als das Handy in ihrer Hosentasche zu vibrieren begann, verabschiedete sie sich kurz und trennte dann die Verbindung.

Es war aus Datenschutz strengstens verboten, Handys mit ins Büro zu bringen, doch niemand hielt sich wirklich daran. Sie stellte ihre Telefonanlage auf Pause, zog sich das Headset ab und eilte zur Toilette.

Zu ihrer Überraschung handelte es sich bei dem Anrufer um ihre Freundin und Mitbewohnerin Kathrin. Sie hatte Nina noch nie auf der Arbeit angerufen.

Stirnrunzelnd nahm Nina das Gespräch an.

„Was ist los, Kathrin? Du weißt doch, dass ich auf der Arbeit nicht telefonieren darf.“

„Ja, ja, aber … Ich dachte, das könnte vielleicht dringend sein … Du hast Post von einem Notar bekommen.“

„Von einem Notar? Wozu denn das?“

„Das habe ich auch gedacht, deshalb hielt ich es für besser, dich anzurufen. Soll ich den Brief … öffnen?“

Nina dachte kurz über das Angebot ihrer Freundin nach. Sie vertraute Kathrin, und sie hatte keinen Grund, etwas vor ihr zu verbergen. „Ja, mach ruhig.“

Sie hörte ein Rascheln am anderen Ende der Leitung, dann ein reißendes Geräusch. Ihr Herz klopfte augenblicklich schneller, dabei wusste sie selbst nicht so genau, warum sie so nervös war. Vermutlich handelte es sich nur um irgendeine Formalität wegen ihrer Mutter.

Trotzdem flatterten ihre Nerven wie verrückt. „Was dauert denn da so lange?“

„Ich hab’s ja, ich hab’s. Also … Sehr geehrte Frau Becker, blablabla … Ihnen mitteilen … Oh …“

„Was ist denn?“, stieß Nina atemlos hervor. „Nun mach’s doch bitte nicht so spannend!“

„Es geht um deinen Vater“, sagte Kathrin.

Irritiert hob Nina eine Braue. „Meinen Vater?“ Es war eine kleine Ewigkeit her, seit sie zuletzt etwas von ihm gehört hatte. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie daran auch eigentlich gar nichts ändern. Sie seufzte. „Wenn das so ist, interessiert es mich nicht …“

„Hör zu, ich weiß, dass du auf deinen alten Herrn nicht gut zu sprechen bist, aber ich glaube, du solltest dir das hier zu Ende anhören.“

Genervt verdrehte Nina die Augen. „Wenn du meinst. Aber mach schnell, ich muss gleich wieder zurück ans Telefon.“

„Nina, es tut mir leid, aber hier steht, dass dein Vater tot ist“, sagte Kathrin leise.

„Oh …“ Mehr sagte Nina nicht. Stattdessen horchte sie in sich hinein. Suchte nach etwas, das man für gewöhnlich in solchen Situationen fühlte. Trauer. Entsetzen. Wut. Doch irgendwie war da nichts von alldem. Zumindest nicht so richtig.

„Und du hast seinen gesamten Besitz geerbt, Nina“, fügte Kathrin nach einer Weile hinzu. „Von jetzt an bist du stolze Besitzerin eines Hotels auf den Seychellen!“

 

 

1.

„Air Seychelles wünscht einen angenehmen Aufenthalt auf den Seychellen.“ Die Stewardess schenkte den Fluggästen ein besonders strahlendes Lächeln. „Wir bedanken uns, dass Sie mit uns geflogen sind, und hoffen, Sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen.“

Nicht halb so sehr wie ich … Mit einem wehmütigen Seufzen trat Nina hinaus auf die Gangway. Nach der Kühle in der klimatisierten Flugzeugkabine traf die Hitze sie wie ein Schlag. Mit einer Hand beschirmte sie die Augen gegen die Sonne, die strahlend am makellos blauen Himmel stand.

„Ist es nicht traumhaft schön hier?“ Die ältere Dame, die während des Fluges auf dem Platz neben ihr gesessen hatte, lächelte glücklich. „Sie müssen entschuldigen, aber ich träume schon sehr lange von so einer Reise. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich hier bin.“

Ironischerweise erging es Nina ganz ähnlich, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Unter erfreulicheren Umständen wäre sie sicher auch in der Lage gewesen, sich auf ihren Aufenthalt auf Mahé, der idyllischen Hauptinsel der Seychellen, zu freuen. Sonne, kilometerlange Sandstrände und verschwiegene Lagunen …

Vergiss es, du bist hier nicht im Urlaub, rief sie sich zur Ordnung. Es war am besten, wenn sie diese leidige Geschichte so schnell wie möglich hinter sich brachte. Womöglich war es sogar ein Fehler gewesen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, aber Nina hatte mit eigenen Augen sehen wollen, für welche hochfliegenden Träume ihr Vater sie und ihre Mutter im Stich gelassen hatte. Jetzt allerdings war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob es nicht doch besser gewesen wäre, einen Anwalt mit der Wahrung ihrer Interessen zu betrauen.

Nina seufzte. „Ich wünsche Ihnen wirklich von Herzen, dass diese Reise genauso unvergesslich sein wird, wie Sie es sich vorgestellt haben.“

„Da bin ich absolut sicher“, erwiderte die ältere Dame lächelnd, als sie in den Shuttlebus stiegen, in dem die anderen Reisenden schon dicht an dicht gedrängt standen. „Dasselbe wünsche ich Ihnen auch.“

Nun, was das anging, würden sich ihre guten Wünsche sicher nicht erfüllen, davon war Nina überzeugt. Allerdings hatte sie sich damit bereits vor ihrer Abreise abgefunden. Alles, was sie im Augenblick wirklich brauchte, war ein klimatisierter Mietwagen und dann, wenn sie ihr endgültiges Ziel erreicht hatte, eine ausgiebige kühle Dusche, um die Anstrengungen der Reise abzuschütteln.

Zuvor musste sie jedoch noch gut eine halbe Stunde an der Kofferausgabe warten, bis ihr Gepäck endlich auf dem Laufband erschien. Schweißgebadet und entsprechend finster gestimmt, lenkte sie ihren Trolley durch das hektische Gewühl, das in der Ankunftshalle des Flughafens herrschte. Der unerträgliche Lärm, der von allen Seiten auf sie eindrang, trug nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu verbessern. So war es für Nina schließlich fast eine Wohltat, das klimatisierte Büro der am Flughafen ansässigen Avis-Niederlassung zu betreten und den Krach und die Hektik hinter sich lassen zu können.

Zielstrebig steuerte sie den Serviceschalter an, hinter dem eine elegante Blondine stand, die gerade in ein Telefonat verwickelt war. Die Frau nickte ihr knapp zu und lächelte geistesabwesend. Nina seufzte. Was soll’s, wenigstens ist es hier drin schön kühl, dachte sie und ließ sich auf einen der Besucherstühle im Eingangsbereich sinken. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück. Sie wollte nur einen winzigen Moment entspannen, doch als das Glöckchen, das über der Eingangstür hing, leise klingelte, schrak sie zusammen und erkannte verlegen, dass sie eingenickt sein musste. Offenbar war sie doch erschöpfter, als sie es sich hatte eingestehen wollen.

Aber schon eine Sekunde später war ihre Müdigkeit verflogen. Der große, braungebrannte Mann, der soeben das Mietwagenbüro betreten hatte, sah einfach verteufelt gut aus. So gut, dass Ninas Herz augenblicklich schneller zu schlagen begann. Seine perfekt sitzenden Jeans und das kurzärmelige Hemd ließen deutlich erkennen, wie durchtrainiert er war. Er trug sein glattes dunkelbraunes Haar kurz geschnitten, und seine Augen waren so strahlend blau, dass Nina in ihren Tiefen hätte versinken mögen. Im Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut war der Effekt einfach atemberaubend – wie sie an ihrer eigenen Reaktion mühelos erkennen konnte.

Als er ihr jetzt den Rücken zuwandte, hatte sie sich noch längst nicht an seinem Anblick satt gesehen und empfand ein irritierendes Gefühl der Enttäuschung. Zielstrebig ging er auf den Schalter zu, wo die Angestellte gerade ihr Telefonat beendete.

Die Blondine schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Guten Tag, Sir, was kann ich für Sie tun?“

„Mein Name ist Nicolas Valmont, ich …“

Seine Stimme hatte einen rauen, aber nicht unangenehmen Klang, und er sprach Englisch mit einem leichten französischen Akzent. Sexy, schoss es Nina durch den Kopf, doch sie verdrängte den Gedanken hastig. Stattdessen sprang sie auf und schob sich an ihm vorbei, wobei ihre Hand versehentlich seinen Unterarm streifte. Sofort raste ein elektrisierendes Prickeln durch ihren Körper, und ihr Puls beschleunigte sich. Einen Sekundenbruchteil später hatte sie sich wieder unter Kontrolle, stellte aber zu ihrer Überraschung fest, dass ihr die Berührung bereits fehlte. Offenbar war ihr das feuchtheiße Klima der Insel bereits zu Kopf gestiegen.

„Entschuldigung“, sagte sie auf Englisch und maß die Frau hinter dem Tresen mit einem kühlen Blick. „Ich warte schon eine ganze Weile darauf, endlich von Ihnen bedient zu werden. Der Herr ist nach mir an der Reihe.“

„Verzeihung, Sie haben natürlich vollkommen recht.“ Die Blondine lächelte, doch Nina hatte das Gefühl, dass sie sie insgeheim für ihre Einmischung zum Teufel wünschte. Dementsprechend herzlicher fiel ihr Lächeln für ihren zweiten Kunden aus. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, noch einen Augenblick Platz zu nehmen, Mr. Valmont? Sobald ich mit der Dame hier fertig bin, werde ich mich um Sie kümmern.“

Valmont brummte etwas Unverständliches, zog sich aber schließlich zurück, was Nina fast ein wenig bedauerte, da sie nun keine Gelegenheit mehr hatte, seine durchtrainierte Figur zu bewundern. Ob der Oberkörper, der sich unter dem blütenweißen Hemd verbirgt, wohl hält, was er verspricht?, überlegte sie unwillkürlich.

„Hören Sie, Miss, wie Sie sehen, habe ich noch andere Kunden. Wie kann ich Ihnen also helfen?“

Nina schrak zusammen, als sie erkannte, dass sie schon eine ganze Weile verträumt vor sich hingestarrt hatte. Reiß dich zusammen, rief sie sich zur Ordnung.

„Becker“, sagte sie stockend und ärgerte sich über ihre eigene Schwäche. „Mein Name ist Nina Becker. Ich habe im Internet einen Wagen reserviert.“

„Moment, ich sehe mal kurz nach.“ Die Blondine tippte etwas in den Computer ein und nickte dann. „Ja, hier haben wir es. Die Reservierung ist bestätigt, eine Anzahlung erfolgt.“ Sie verschwand in einem Hinterzimmer und kehrte mit einem Autoschlüssel in der Hand zurück. Dann füllte sie ein Formular aus und reichte es Nina zur Unterschrift. „Sie haben übrigens Glück, dass Sie vorab reserviert haben. Im Augenblick sind Mietwagen auf der ganzen Insel rar.“

Nina nahm Wagenschlüssel und Papiere entgegen, drehte sich um und wollte das Büro verlassen, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, zuvor noch einen kurzen Blick zurückzuwerfen. Ausgerechnet in diesem Moment schaute Nicolas Valmont auf, und ihre Blicke kreuzten sich. Für eine Sekunde schien Ninas Herz stillzustehen. Ihr wurde schwindelig, und sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden. Hastig trat sie die Flucht nach draußen an.

Auf dem Parkplatz der Autovermietung angekommen, ärgerte sie sich bereits wieder über ihre heftige Reaktion. Du benimmst dich ja fast, als wäre dir noch nie ein attraktiver Mann über den Weg gelaufen, stellte sie irritiert fest. Sie verstand beim besten Willen nicht, was dieser Valmont an sich hatte, dass sie sich plötzlich fühlte wie ein verknallter Teenager. Vor allem nach dem Fiasko mit Gregor …

Der Gedanke an ihren Ex ließ ihre Stimmung augenblicklich auf den Nullpunkt sinken, und sie wollte nur noch zum Wagen, die Klimaanlage anstellen und dann auf dem schnellsten Weg ins Hotel. Für einen kurzen Moment raubte ihr die Hitze, die ihr entgegenschlug, als sie ins Freie trat, schier den Atem. Zum Glück musste sie ihren Wagen nicht lange suchen, denn es standen insgesamt nur zwei Autos auf dem umzäunten Gelände. Eines davon war ein funkelnagelneuer Chevrolet Coupé, ein Stück weit entfernt stand ein ziemlich heruntergekommenes älteres Ford-Modell, das eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte.

Na, da wird sich jemand ganz gewiss freuen, dachte Nina ein wenig schadenfroh. Schmunzelnd versuchte sie sich den großen Mann in dem winzigen, klapprigen Ford vorzustellen, was ihr aber nicht gelang. Allerdings würde ihm wohl kaum eine Wahl bleiben, sofern er auf einen fahrbaren Untersatz angewiesen war.

Noch immer lächelnd, drückte sie den Funkschlüssel, doch es tat sich nichts. Stattdessen steckte sie nun den Schlüssel ins Türschloss. Ihr Lächeln begann zu schwinden, als sich der Chevrolet auch nach mehreren Versuchen nicht öffnen ließ. Zuerst dachte sie, das Schloss sei defekt. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie begriff, wo das Problem lag. Das Türschloss des Wagens hatte jedenfalls nichts damit zu tun. Es war schlicht und einfach das falsche Auto, denn als Nina ihren Schlüssel probehalber an dem alten Ford versuchte, passte er auf Anhieb.

Nein, das muss ein böser Scherz sein, dachte sie und stöhnte leise. Hatte sich heute denn wirklich alles gegen sie verschworen? Dieser Schrotthaufen verfügte ja nicht mal über eine Klimaanlage!

Nina gehörte gewiss nicht zu der Sorte Frauen, die leicht aus der Ruhe zu bringen waren, doch das hier war selbst für sie zu viel. Aufgebracht stürmte sie zurück in das Büro der Autovermietung. An der Tür wäre sie beinahe mit Nicolas Valmont zusammengestoßen, der gerade das Büro verließ, doch sie beachtete ihn kaum, drängte sich an ihm vorbei und knallte der Angestellten den Wagenschlüssel auf den Tresen.

„Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!“, fauchte sie gereizt. „Ich habe telefonisch einen Mittelklassewagen reserviert. Was Sie mir hier andrehen wollen, ist allerdings eine echte Frechheit!“

Die Blondine wirkte leicht irritiert. „Ich sagte Ihnen doch bereits, dass momentan ein Mangel an Mietfahrzeugen auf der Insel besteht. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen leider keinen anderen Wagen anbieten.“

Energisch schüttelte Nina den Kopf. Sie wäre nicht sie selbst gewesen, hätte sie sich diese Behandlung einfach so gefallen lassen. „Und was ist mit dem schwarzen Sportwagen da draußen?“, erkundigte sie sich. „Wenn es sein muss, zahle ich auch gerne den Aufschlag für die höhere Fahrzeugklasse.“

„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen, Miss Becker. Der Chevrolet ist soeben an einen anderen Kunden vermietet worden.“

Nina starrte die Blondine ungläubig an. „Doch nicht etwa an diesen eingebildeten Kerl von vorhin?“, stöhnte sie. „Das ist nicht fair! Ich war zuerst hier!“

„Nun, es steht Ihnen natürlich frei, Mr. Valmont um einen Fahrzeugtausch zu bitten, aber …“

Kopfschüttelnd winkte Nina ab und stürmte nach draußen. Wenn niemand ihr helfen wollte, gut und schön, dann würde sie sich eben selbst helfen müssen. Sie kochte vor Wut. In ihren Augen war es eine bodenlose Frechheit, sie mit einer alten Klapperkiste abspeisen zu wollen und den einzigen verbleibenden Wagen an einen anderen Kunden abzugeben.

Sie sah Valmont bereits hinter dem Steuer des schwarzen Chevrolets sitzen, als sie den Parkplatz erreichte. Entschlossen, ihren Willen durchzusetzen, klopfte sie an die getönte Scheibe, die sich kurz darauf mit einem elektrischen Summen herabsenkte.

Jetzt, da sie ihn gut sehen konnte, schätze Nina ihn auf Anfang bis Mitte dreißig. Seine Wirkung auf Frauen musste umwerfend sein – sie selbst war das beste Beispiel dafür. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich, als sie spürte, dass sie ihn schon eine Spur länger angestarrte hatte, als es eigentlich angebracht gewesen wäre.

„Ich …“, begann sie, doch nun, wo sie vor ihm stand, wusste sie plötzlich nicht mehr so genau, was sie eigentlich hatte sagen wollen. Ihr Kopf war wie leergefegt, und schuld daran war nur dieser verflixte Mann.

„Hallo“, sagte er und erwiderte ungerührt ihren verunsicherten Blick, wobei die ungewöhnlich blauen Augen in dem markanten Gesicht spöttisch aufblitzten. „Kann ich Ihnen helfen oder gehört es vielleicht zu Ihren speziellen Angewohnheiten, wildfremde Männer mit Ihren Blicken auszuziehen?“

Einen Augenblick lang brachte Nina kein Wort heraus. Normalerweise war sie nicht um eine schlagfertige Antwort verlegen, doch jetzt konnte sie vor Scham, Wut und einem anderen, nicht näher definierbaren Gefühl heraus nur empört nach Luft schnappen.

„Sie …“ Zu ihrem Ärger spürte sie, wie sie errötete. „Sie scheinen Ihre Attraktivität leicht überzubewerten, Mister. Aber leider muss ich Sie enttäuschen.“

„Ach ja?“

„Ja. Ich bin Ihnen nämlich nur aus einem einzigen Grund gefolgt.“

Nic musterte die junge Frau neugierig. Schon vorhin im Büro der Autovermietung war sie ihm aufgefallen. Kein Wunder, ihre zinnoberrote Lockenmähne war ein echter Blickfang. Jetzt, wo sie direkt vor ihm stand, musste er allerdings feststellen, dass sie weit mehr zu bieten hatte als eine außergewöhnliche Haarfarbe.

Mit dem dunklen Hosenanzug, der für das hiesige Klima völlig unpassend erschien, schaffte sie es nicht gänzlich, ihre wohlgeformte Figur zu kaschieren. Und ihre strahlend grünen Augen, die ihn jetzt ärgerlich anfunkelten, waren einfach atemberaubend.

Hör auf, sie wie ein verliebter Schuljunge anzuhimmeln, rügte ihn eine innere Stimme. Wirst du denn niemals aus deinen Fehlern lernen?

„Und was für ein Grund wäre das?“, fragte er betont kühl.

„Also, es ist so“, erwiderte sie, und das nervöse Zucken ihrer Mundwinkel strafte ihren gelassenen Tonfall Lügen. „Der Dame von Avis ist leider ein kleiner Fehler unterlaufen. Ich hatte telefonisch einen Mittelklassewagen reserviert, der nun versehentlich an Sie herausgegeben wurde.“

Lässig zuckte er die Schultern. „Mon dieu, das tut mir natürlich leid für Sie, ma belle, aber was erwarten Sie jetzt von mir?“

„Na, ich dachte, das wäre offensichtlich. Ich möchte, dass Sie sofort mit mir zurück in das Büro der Autovermietung gehen und das Missverständnis aufklären.“

Er starrte sie für einen Augenblick verblüfft an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Je suis desolé, es tut mir leid, aber ich muss Ihr freundliches Angebot leider ablehnen. Mir gefällt dieser Wagen nämlich. Nennen Sie mir einen Grund, warum ich ihn wieder abgeben sollte.“

Sie schnappte hörbar nach Luft. „Warum Sie …“ Sie schüttelte aufgebracht den Kopf. „Wenn Sie ein Gentleman wären, würden Sie mir diese Frage gar nicht stellen, Mister!“

„Na gut, ma chére. Sie haben ganz offensichtlich einen völlig verkehrten Eindruck von mir gewonnen. Was kann ich tun, um Sie davon zu überzeugen, dass Sie mich falsch eingeschätzt haben? Ah, ich weiß! Ich lade Sie heute Abend zum Essen ein. Und keine Sorge – ich hole Sie selbstverständlich ab.“ Er zwinkerte ihr zu. „Mit Ihrer Rostlaube können Sie sich ja nirgendwo blicken lassen.“ Flirtete er etwa gerade mit ihr? Nic konnte selbst nicht glauben, was ihm da soeben entschlüpft war.

„Sie … Sie … Was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie halten sich wohl für unwiderstehlich, wie? Aber ich sage Ihnen was, Mister: Keine Frau mit ein bisschen Verstand würde sich mit einem Ekel wie Ihnen verabreden.“ Ihre Augen wurden schmal. „Nicht für alles Geld der Welt – und ganz sicher nicht für einen Mietwagen!“

Ihre Worte trafen ihn wie eine kalte Dusche. Ohne es zu wissen, hatte sie einen empfindlichen Punkt bei ihm getroffen. Seine Züge wurden hart. „Na, dann bin ich aber froh, dass wir das geklärt haben“, sagte er kalt. „Sie erlauben, dass ich mich jetzt verabschiede? Ich habe noch einen dringenden Termin und kann es mir nicht leisten, noch mehr Zeit in Ihrer, zugegebenermaßen entzückenden, Gesellschaft zu verbringen. Au revoir!“

„Aber …“, rief sie noch protestieren, doch Nic hatte bereits den Motor angelassen und rollte los. Im Rückspiegel sah er, wie sie ihm fassungslos nachblickte. Rasch schaute er weg. Sein rüdes Verhalten tat ihm jetzt schon fast wieder ein bisschen leid, er hatte einfach überreagiert.

Vergiss sie endlich, sagte er sich selbst. Doch das war, wie er knapp eine Stunde später feststellte, gar nicht so leicht.

„Fichtre!“, fluchte er in seiner Muttersprache. „Verdammt, das kann doch nicht wahr sein!“

Es war bereits das dritte Mal, dass er an der hübschen, weißgetünchten Kapelle vorbeifuhr. Mach dir nichts vor, Nic, du hast dich hoffnungslos verfahren, dachte er frustriert. Und warum? Wegen einer Frau, die du alles in allem gerade mal fünf Minuten gesehen hast. Es war ihm die ganze Zeit nicht gelungen, sie aus dem Kopf zu bekommen. Und das, wo er sich eigentlich um ganz andere Dinge kümmern sollte.

Seufzend fuhr er an den Straßenrand und checkte noch einmal sein Navi, das steif und fest behauptete, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Blieb nur zu hoffen, dass sich wenigstens der Rest der Angelegenheit, wegen der er hergekommen war, nicht so schwierig gestaltete. Aber eigentlich erwartete er da keine größeren Probleme.

Auf seinem Gebiet war Nicolas ein absoluter Experte. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich bei seinem neuen Arbeitgeber, der Hôtel Etoile Hotelgruppe, in die oberste Führungsebene hochgearbeitet. In weniger als acht Monaten hatte er mehr lukrative Geschäfte an Land gezogen als all seine Konkurrenten. Es machte ihm nichts aus, dass er dafür oft achtzehn Stunden am Tag oder länger im Büro verbringen musste. Ihm fehlte nur noch ein winziger Schritt, um sich bis ganz an die Spitze des erfolgreichen Touristikunternehmens zu katapultieren. Und zu Hause – wenn man das Penthouse, in dem er eigentlich nur seine Nächte verbrachte, so nennen wollte – machten ihn die Stille und die Einsamkeit ohnehin nur verrückt.

Er lenkte den Wagen von der Hauptstraße, an der sich Fünf-Sterne-Hotel an Fünf-Sterne-Hotel drängte, und bog in eine kleine, von Kokospalmen und gelbblühenden Allamandabüschen gesäumte Seitenstraße ein. Nach etwa einer halben Meile folgte eine scharfe Kurve, und plötzlich sah er das türkisblau glitzernde Meer vor sich.

Es war ein atemberaubender Anblick, doch Nic hatte im Moment einfach keinen Sinn für die Schönheiten der Natur. Stattdessen klappte er die Sonnenblende herunter, um seine Augen gegen das grelle Sonnenlicht zu beschirmen. Dabei fiel sein Blick in den kleinen Spiegel, der an der Rückseite der Blende angebracht und normalerweise durch einen Schieber verdeckt war. Jetzt lag der Spiegel frei. Nic runzelte die Stirn. Der mürrisch dreinblickende Kerl, der ihm daraus entgegenblickte, war ihm selbst fremd.

Früher war er ein fröhlicher, lebenslustiger Mensch gewesen. Früher – das schien ihm schon eine Ewigkeit her zu sein …

„So, nun haben Sie alles gesehen, Miss Nina.“ Die rundliche Spanierin, die sich als Rosalinda Gonzales vorgestellt hatte, lächelte strahlend. „Und? Was sagen Sie? Es ist nicht gerade ein Fünf-Sterne-Hotel, ich weiß, aber das Coral Beach hat viel mehr Charakter als diese monotonen Touristenbunker, finden Sie nicht?“

„Nun ja.“ Nina wusste beim besten Willen nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Ich …“

„Ach, wo bin ich nur mit meinen Gedanken?“, rettete Rosalinda sie aus der Klemme. „Der lange Flug, die Klimaumstellung. Sie müssen völlig erledigt sein, Miss Nina. Sicher möchten Sie sich erst einmal ein Weilchen ausruhen, nicht wahr?“

„Bitte, nennen Sie mich doch einfach Nina.“ Sie lächelte. „Das ‚Miss‘ klingt so förmlich. Und ausruhen kann ich mich auch später noch. Eigentlich würde ich lieber einen Blick in die Bücher werden.“

„Natürlich, ich führe Sie in das Büro Ihres Vaters.“

Die Bezeichnung ‘Büro’ erschien Nina angesichts des kleinen, vollgestellten Raumes, der sich direkt hinter der Rezeption befand, ein wenig übertrieben. Der Schreibtisch sah aus, als wäre eine Bombe darauf eingeschlagen, und die Aktenschränke an den Wänden quollen beinahe über. Nina konnte sich gerade noch zusammenreißen, um nicht die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen.

„Und wo ist der Computer?“, fragte sie Rosalinda.

„Computer?“ Die Frau lachte schallend. „Es tut mir leid, aber ich fürchte, Ihr Vater ist kein großer Freund von technischen Geräten.“ Dann wurde sie plötzlich ernst. „Ich meine natürlich, er war …“ Sie seufzte. „Es fällt mir noch immer schwer, von ihm in der Vergangenheit zu sprechen. Ihr Vater war ein so liebevoller Mensch. Er wird uns allen hier schrecklich fehlen.“

Mühsam schluckte Nina einen abfälligen Kommentar herunter. Rosalinda hatte sie sofort freundlich empfangen, und ihre Worte schienen wirklich von Herzen gekommen zu sein. Es erschien ihr nicht richtig, sie vor den Kopf zu stoßen – auch wenn sie selbst ein völlig anderes Bild von Roland Becker hatte.

„Ich lasse Sie dann mal allein. Es sind zwar nicht allzu viele Zimmer belegt, aber die Arbeit macht sich trotzdem nicht von selbst.“

„Natürlich.“ Nina war regelrecht erleichtert, als sie endlich für sich war. Stöhnend barg sie das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. Vor knapp zwei Stunden hatte sie das Coral Beach Hotel erreicht – und seitdem einen Schock nach dem anderen erlebt.

Schon von außen war kaum zu übersehen gewesen, dass das Hotel ihres Vaters seine guten Tage längst hinter sich hatte. Im protzigen Kolonialstil errichtet, war von seinem einstigen Glanz kaum noch etwas übrig. Die blaue Farbe der Fassade blätterte ab, die Fensterläden hingen schief in den Angeln, und auch das Dach brauchte zweifellos dringend eine Überholung.

Es war nicht so, dass Nina ein Luxushotel erwartet hatte, doch diese heruntergekommene Bruchbude übertraf sogar ihre schlimmsten Befürchtungen. Es grenzte an ein Wunder, dass hier überhaupt jemand ein Zimmer reservierte – und das lag wahrscheinlich auch nur an den extrem günstigen Preisen.

Und das war er nun, Papa? Dein großer Traum, für den du Mama und mich im Stich gelassen hast?

Es war jetzt knapp zwei Wochen her, dass ihr das Schreiben des Notars ins Haus geflattert war. Noch immer konnte sie nicht gerade behaupten, dass die Nachricht vom Tod ihres Vaters sie völlig aus der Bahn geworfen hatte. Es war ja nicht gerade so, dass sie eine besonders enge Bindung zu ihm gehabt hätte. Ganz im Gegenteil sogar. In all den Jahren hatte sie nicht einen einzigen Brief von ihm erhalten. Kein Anruf zu ihrem Geburtstag, ja, nicht einmal eine Postkarte zu Weihnachten! Die wirkliche Überraschung war für sie im Grunde gewesen, dass ihr Vater sein Hotel auf Mahé vererbt hatte – und das, obwohl sie sich seit ihrem dreizehnten Lebensjahr nicht mehr gesehen hatten.

Sie schüttelte den Kopf und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Es machte keinen Sinn, diese alte Geschichte ständig von neuem aufzuwärmen. Was das Coral Beach Hotel betraf, hatte Nina ohnehin nicht vor, es zu behalten. In ein paar Tagen schon würde sie sich nach einem Käufer umsehen. Danach wollte sie so schnell es ging in ihr altes Leben zurückkehren. Nicht, dass es etwas Besonders gab, zu dem sie zurückkehren konnte. Abgesehen von ihrer Freundin Kathrin, mit der sie seit der Trennung von Gregor zusammenwohnte, vermisste sie also eigentlich so gut wie nichts, vor allem nicht ihre beiden Callcenter-Jobs.

Ein schrilles Klingeln riss Nina aus ihren Gedanken. Irritiert blickte sie sich um. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass jemand die Glocke an der Rezeption geläutet hatte – und noch einen weiteren Moment, bis ihr klar wurde, dass niemand außer ihr da war, der sich um den potenziellen Gast kümmern konnte.

Na los, worauf wartest du noch, dachte sie ironisch. Immerhin bist du jetzt stolze Besitzerin eines Hotels. Zeit, ein bisschen Einsatz zu zeigen!

Sie trat durch den Vorhang, der das Büro vom Empfang trennte. Der Mann, der auf der anderen Seite der Rezeption stand, drehte ihr den Rücken zu.

„Kann ich Ihnen helfen, Sir?“

Er drehte sich langsam um, und Nina schnappte verblüfft nach Luft. An Zufälle glaubte sie so wenig wie an den Weihnachtsmann. An Schicksal schon eher. Und als sie erkannte, wen sie da vor sich hatte, hatte sie keinen Zweifel mehr: Es musste ein Wink des Schicksals sein, dass sie sich schon wieder begegneten.

Ihr erstes Zusammentreffen mit ihm lag gerade einmal ein paar Stunden zurück, und obwohl es alles andere als erfreulich verlaufen war, war Nicolas Valmont ihr doch einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und sie war sich nicht sicher, ob es tatsächlich ihre Wut auf ihn war, die sie ihn nicht vergessen ließ.

„Sie?“ stieß sie erstaunt hervor.

Valmont schien ebenso überrascht zu sein wie sie. Die sorgsam zur Schau getragene Maske der Überlegenheit begann zu bröckeln, und für einen Moment wirkte er geradezu erfrischend verunsichert. Doch in Rekordzeit hatte er sich wieder gefangen und schaffte es sogar, dieses leicht herablassende Lächeln auf seine Lippen zu zaubern, das sie so auf die Palme brachte.

„Was für eine nette Überraschung“, sagte er und klang dabei wieder so nüchtern wie eh und je. „Wären Sie nicht offensichtlich bereits vor mir hier eingetroffen, müsste ich doch tatsächlich annehmen, dass sie mich verfolgen.“

„Das hätten Sie wohl gern, aber ich fürchte, Sie überschätzen sich mal wieder“, bemerkte sie ärgerlich. „Aber lassen wir das. Verraten Sie mir lieber, was mir die zweifelhafte Ehre Ihres Besuches verschafft. Oder warten Sie, ich wage einfach mal einen Schuss ins Blaue: Sie sind es nicht gewohnt, von Frauen abgewiesen zu werden und erhoffen sich nun eine zweite Chance, um Ihr angekratztes Ego aufzupolieren.“

„Falsch, aber zweimal dürfen Sie noch raten. Ich gebe Ihnen sogar noch einen Tipp: Ein Mann mit Koffer betritt ein Hotel – was wird er wohl wollen?“

„Sie wollen ein – Zimmer?“ Zweifelnd kniff Nina die Augen zusammen. „Kommen Sie schon, Sie wollen mir doch einen Bären aufbinden. Ein kleiner Hinweis: Im direkten Umkreis gibt es mindestens zwei Fünf-Stern-Hotels. Die dürften doch wohl eher in Ihre Preisliga fallen, oder?“

„Lassen Sie das mal ruhig meine Sorge sein.“ Er lächelte, und sofort begann Ninas Herz so laut zu schlagen, dass er es einfach hören musste. Was hatte dieser Mann bloß an sich, dass er sie so durcheinander brachte? Er brauchte sie nur anzusehen, und ihre Hormone schienen sofort verrückt zu spielen. Keine Frage, dieser Mann konnte ihr gefährlich werden. Doch dazu würde sie es auf keinen Fall kommen lassen. Nicht nach der Sache mit Gregor …

Sie räusperte sich angestrengt. „Tut mir leid, aber ich kann Ihnen kein Zimmer geben. Wir … sind völlig ausgebucht.“ Sie hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als ihr auch schon ihr Fehler bewusst wurde. Das Coral Beach wirkte nicht gerade wie ein Hotel, das sich vor Reservierungen kaum retten konnte.

Fragend zog er eine Augenbraue hoch und musterte Nina forschend. „Eh bien, dann würde ich jetzt gerne den Geschäftsführer sprechen.“

„Den Geschäftsführer?“, wiederholte sie überrascht.

„Allerdings.“

„Und warum, wenn ich fragen darf?“

„Ich will es mal so ausdrücken: Ich würde lieber mit jemandem sprechen, der, was mich betrifft, vielleicht nicht ganz so voreingenommen ist wie Sie.“

Ärgerlich funkelte sie ihn an, zuckte aber schließlich mit den Schultern. „Na gut, wie Sie wünschen.“ Dann verschwand durch den Vorhang ins Büro ihres Vaters, wo sie sich gegen einen Aktenschrank lehnte und für einen Moment die Augen schloss. Von diesem Schock musste sie sich erst einmal erholen, soviel stand fest. Ihr Puls raste, und ihre Knie zitterten. Was stellte dieser Mann bloß mit ihr an?

Als sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte, kehrte sie zu ihm zurück.

„Alors?“ fragte er. „Hören Sie, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, ma belle.“

Lächelnd streckte sie ihm die Hand entgegen. „Gestatten? Nina Becker, frischgebackene Inhaberin des Coral Beach Hotels.“

Das fassungslose Begreifen, das sich in seinem Gesicht abzeichnete, versöhnte Nina fast schon wieder damit, dass er eine so irritierende Wirkung auf sie ausübte.

„Das … Sie sind doch nicht …“

Nina lächelte. „Ich kann Ihnen versichern, ich bin es. Also – möchten Sie immer noch ein Zimmer in meinem Hotel?“      

2.      

„Was? Nein, Gerald, das ist absoluter Unfug! Ja, ja, du kannst dich auf mich verlassen. Ich hab die Sache im Griff, du hast mein Wort. Ja, natürlich melde ich mich bei dir, bis bald.“

Nic beendete das Gespräch, schleuderte das Handy aufs Bett und unterdrückte einen Fluch. Was erwartete der Mann eigentlich von ihm? Ein Wunder? Immerhin war er gerade einmal vor ein paar Stunden auf Mahé gelandet, und schon erkundigte sich der Seniorpartner von Hôtel Etoile nach seinen Fortschritten. Aber wahrscheinlich war er daran selbst nicht ganz unschuldig, so, wie er vor seiner Abreise getönt hatte. Allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt Nina Becker noch nicht gekannt.

Eigentlich hätte diese ganze Angelegenheit ein reines Kinderspiel werden sollen, zumindest hatte er es sich so vorgestellt. Das Coral Beach war eine heruntergekommene Bruchbude, das war selbst für einen Laien nicht zu übersehen. Das Hotel wieder in Schuss zu bringen und damit rentabel zu machen, würde ein kleines Vermögen verschlingen – auf jeden Fall mehr, als man in absehbarer Zeit damit erwirtschaften konnte. Kein halbwegs vernünftiger Mensch würde lange zögern, sein großzügiges Kaufangebot dankbar anzunehmen, davon war er überzeugt.

Allerdings war Nick sich fast sicher, dass Nina Becker es ihm nicht ganz so leicht machen würde.

Es war wie verhext. Nic war immer stolz darauf gewesen, in geschäftlichen Dingen stets einen kühlen Kopf zu behalten. Doch genau diese Fähigkeit schien ihn in Gegenwart von Nina Becker schändlich im Stich zu lassen. Wenn er sie sah, dann wollte er sie am liebsten …

Bist du wahnsinnig? Wütend über seine eigene Schwäche, stöhnte er auf. Das hier war ein Job wie jeder andere, und er würde ihn zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Darauf hatte er Gerald Dumont sein Wort gegeben, und er pflegte, seine Versprechen zu halten. Außerdem ging es hier nicht nur um seine Karriere …

Die Voraussetzungen waren allerdings denkbar schlecht, und das hatte er sich selbst zu verdanken. Nic war klar, dass er sich nicht gerade von seiner besten Seite gezeigt hatte. Doch was sollte er tun? Diese Frau störte seine innere Balance erheblich.

Verschwinde von hier, ehe es zu spät ist, warnte ihn eine leise Stimme eindringlich. Doch einfach zu gehen, stand nicht zur Debatte, auch wenn er wusste, dass Nina Becker ihm gefährlich werden konnte. Nicht, ehe er seinen Job erledigt hatte.

Nachdenklich öffnete er die Knöpfe seines Hemdes, dann ließ er das Kleidungsstück achtlos aufs Bett fallen. Sekunden später landeten seine Schuhe in der Zimmerecke und seine Jeans auf dem Boden. Eine Dusche war jetzt genau das, was er brauchte. Am besten gleich eine eiskalte, dachte er ironisch. Vielleicht bringt dich das wieder zu Verstand.

Im Vorübergehen streifte sein Blick den großen Spiegel, der an der Tür des Kleiderschranks angebracht war. Augenblicklich wurden seine Züge hart, und seine Miene verfinsterte sich. Rasch sah er weg, atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Wann wirst du dich endlich mit der Realität abfinden?, fragte er sich, nicht zum ersten Mal. Nüchtern betrachtet war ihm klar, dass es durchaus schlimmer hätte kommen können. Er sollte froh sein. Doch die Erinnerungen, die jeder Blick in den Spiegel aufs Neue in ihm heraufbeschwor, ließen nur eisige Kälte in ihm aufsteigen.

Nicolas seufzte. Es brachte nichts, sich über alte Geschichten den Kopf zu zerbrechen. Sinnvoller war es, sich Gedanken über eine Strategie zu machen, damit er Gerald bei seinem nächsten Kontrollanruf positivere Nachrichten übermitteln konnte.

Und er hatte da auch schon eine Idee.

Nina stieg aus der Dusche, wickelte sich in ein Badetuch und trat ins Schlafzimmer. Sie frottierte gerade ihre langen roten Locken, als es an der Tür klopfte.

„Miss Becker? Miss Becker, sind Sie da?“

Genervt verdrehte Nina die Augen. Sie musste nicht lange überlegen, um zu erraten, wer da vor der Tür stand. Die Stimme war einfach unverkennbar. „Was wollen Sie, Mr. Valmont?“, rief sie und trocknete dabei weiterhin ihre langen Locken. „Sie haben, wie gewünscht, ein Zimmer bekommen. Sollten Sie mit der Ausstattung nicht zufrieden sein und sich nun doch lieber ein anderes Hotel suchen wollen, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an meine Mitarbeiterin, Mrs. Gonzales. Sie wird Ihnen sicher gern beim Auschecken behilflich sein.“

Doch offensichtlich hatte Valmont nicht vor, sich so einfach abfertigen zu lassen. Schon polterte er wieder gegen die Tür. „Würden Sie bitte aufmachen? Ich muss dringend etwas mit Ihnen besprechen, aber das ist unmöglich, solange ich Ihnen dabei nicht in die Augen sehen kann.“

„Mr. Valmont, bitte, ich …“

„Ich verspreche Ihnen auch, dass es nicht lange dauert. Höchstens fünf Minuten!“

„Sie sind ganz schön hartnäckig“, stöhnte Nina und legte das Handtuch beiseite. Wenn sie ihn loswerden wollte, führte wohl kein Weg daran vorbei, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Allerdings öffnete sie die Tür nur einen winzigen Spalt weit, gerade breit genug, um mit einem Auge hindurch zu spähen. „Also? Was gibt es so Dringendes? Wie ich schon sagte, ich habe nicht … Hey!“

Ehe sie sich versah, hatte Valmont die Tür aufgedrückt, und nun stand sie vor ihm, mit tropfnassem Haar und nichts am Leib außer einem knappen Badetuch.

„Mon dieu!“ Valmonts Gesichtsausdruck wechselte von absolutem Erstaunen zu amüsierter Bewunderung, und Nina war sich seines anerkennenden Blickes quälend bewusst.

Peinlich berührt zupfte sie am Saum ihres Badetuchs, was jedoch nur zur Folge hatte, dass sich der locker geschwungene Knoten, der es an seinem Platz hielt, löste.

Hastig verschränkte sie die Arme vor der Brust, um wenigstens einen Hauch von Haltung zu bewahren.

„Was fällt Ihnen ein?“, fauchte sie Valmont an, der sich offenbar noch immer nicht von seiner Überraschung erholt hatte. Er schien wie aus einer Trance zu erwachen, bewies dann aber immerhin noch so viel Feingefühl, endlich den Blick abzuwenden, sodass Nina ihren Morgenmantel überstreifen konnte, der auf dem Bett lag. „Also?“, fragte sie anschließend. „Da Sie nun schon einmal hier sind, können Sie mir Ihr Anliegen auch gleich vortragen – aber bitte machen Sie es kurz.“

„Nun, ich …“ Valmont atmete tief durch. „Eigentlich wollte ich mich bei Ihnen entschuldigen und …“

„Entschuldigen?“ Sie lachte auf. „Wofür denn? Etwa dafür, dass Sie ungebeten in mein Zimmer geplatzt sind und mich damit in eine äußerst unangenehme Situation gebracht haben?“

„Nein“, erwiderte er lächelnd. „Zumindest nicht ursprünglich … Alors, ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden und gleich auf den Punkt kommen.“

„Ich bitte darum.“

„Darf ich Sie heute Abend zum Dinner einladen?“

Fassungslos starrte Nina ihn an. „Wie bitte?“ Dann schüttelte sie den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage!“

„Nein? Aber warum denn nicht?“

„Nun, es gibt eine Menge Gründe, die dagegen sprechen“, begann sie aufbrausend, doch dann fiel ihr einfach nicht mehr ein, was sie eigentlich hatte sagen wollen. Sein strahlendes Lächeln ließ ihren Widerstand dahin schmelzen. „Also …“

„Ich wusste, dass Sie es sich überlegen würden! Ich hole Sie dann hier ab, sagen wir, um halb acht?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte er sich um und ging davon. Ungläubig schaute Nina ihm nach. Erst als er fast an der Treppe angelangt war, fand sie ihre Sprache wieder.

„Woher wussten Sie eigentlich, in welchem Zimmer ich wohne?“, rief sie ihm nach.

Er blickte sich zu ihr um und lachte. „Die junge Dame unten an der Rezeption war so freundlich, mir Ihre Zimmernummer zu verraten“, verriet er, dann war er verschwunden.

Nina nahm sich vor, bei Gelegenheit ein ernstes Wörtchen mit Rosalinda zu sprechen.

    

„In diesem Aufzug kann ich unmöglich vor die Tür gehen!“, stöhnte Nina und zupfte verzweifelt am Saum ihres Kleides, wodurch es jedoch auch nicht länger wurde. Als sie in Köln ihren Koffer gepackt hatte, wäre sie im Traum nicht darauf gekommen, dass sie während ihres Aufenthaltes auf den Seychellen Abendgarderobe benötigen könnte. Dementsprechend hatte sie nur praktische Kleidungsstücke wie leichte Hosenanzüge und luftige Sommerkleider eingepackt.

„Sie sehen bezaubernd aus, Nina“, widersprach Rosalinda lächelnd. „Ich wusste doch, dass Sie ungefähr dieselbe Figur wie meine Nichte Carla haben. Das Kleid passt Ihnen wie angegossen.“

Kritisch betrachtete Nina sich im Spiegel. Bis zur Hüfte wirkte das schlichte Kleid aus schwarzem Seidenstoff ziemlich elegant. Das Dekolleté war vielleicht ein wenig zu offenherzig, doch das ließe sich leicht mit ihrem kirschroten Seidenschal kaschieren. Wirklich Sorgen bereitete ihr dagegen, dass der Saum des Kleides gerade einmal ihre Schenkel bedeckte und zudem bei jeder noch so kleinen Bewegung nach oben rutschte.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das geht überhaupt nicht“, murmelte sie und begann noch einmal hektisch, ihren Koffer zu durchwühlen. „Vielleicht sollte ich doch lieber das geblümte Sommerkleid …?“

„Also, ich an Ihrer Stelle würde das Schwarze anbehalten, Nina. Bei Ihrer Figur können Sie es sich doch erlauben. Alle Männer werden sich die Köpfe nach Ihnen verdrehen.“

Genau das ist es ja, was mir Sorgen bereitet. Besonders im Hinblick auf einen ganz bestimmten Mann …

Nina konnte sich im Grunde selbst nicht erklären, warum sie so nervös war. Eines aber wusste sie ganz genau: Sie wollte auf keinen Fall, dass Nicolas Valmont aus ihrem Outfit voreilige Schlüsse zog. Aber das würde er ganz sicher – immerhin war er ein Mann.

Doch es war zu spät, um jetzt noch etwas zu ändern, denn schon klopfte es. „Miss Becker? Sind Sie soweit?“

Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab und öffnete die Tür. Als sie Valmont erblickte, war sie beinahe froh, dass sie sich doch gegen ihr altes Sommerkleid entschieden hatte. Er sah einfach fantastisch aus. Die Jeans und das lässige Hemd hatte er gegen einen hellen Designeranzug getauscht, der ihm geradezu alarmierend gut stand. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

„Hallo.“

Valmont ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten, und das, was er sah, schien ihm zu gefallen, denn er nickte anerkennend. Nina spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, und unterdrückte ein Stöhnen. Jetzt nimm dich endlich zusammen, schalt sie sich ärgerlich. Wenn du willst, dass er dich für einen unreifen Teenager hält, bist du auf dem besten Weg, dein Ziel zu erreichen!

„Können wir aufbrechen?“ Lächelnd streckte er ihr die Hand entgegen.

Nina nickte stumm, dabei hätte sie ihm am liebsten die Tür vor der Nase zugeknallt und sich unter ihre Bettdecke verkrochen. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen? Schon jetzt flatterten ihr die Nerven, wie sollte sie da gleich mehrere Stunden in Valmonts Gesellschaft überstehen?

Und es wurde sogar noch schlimmer, denn das Mirage, das Restaurant, das er für das gemeinsame Dinner ausgesucht hatte, wirkte schon von außen betrachtet einschüchternd elegant und teuer.

„Ich hoffe, Sie mögen die französische Küche. Ich habe mir sagen lassen, dass es hier das beste Coq au vin geben soll, das man außerhalb Frankreichs bekommen kann.“ Er lächelte. „Hühnchen in Weißweinsauce.“

„Ich weiß, was Coq au vin ist“, erwiderte Nina gereizt, bedauerte ihre übertriebene Reaktion aber im nächsten Moment auch schon wieder. Sicher hatte Valmont es nur gut gemeint, doch inmitten all dieses Prunks fühlte sie sich völlig fehl am Platze, und das machte sie unruhig.

Der Oberkellner führte sie durch das geschmackvoll eingerichtete Entree des Mirage bis zu ihrem Tisch auf der Terrasse des Restaurants. Nina hielt für einen Moment den Atem an. Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick auf den von Palmen gesäumten Strand. Die Luft war erfüllt vom leisen Rauschen der Brandung und gedämpfter Pianomusik. Es war einfach herrlich, aber trotz des traumhaften Ambientes fühlte Nina sich immer unwohler in ihrer Haut. Gleichzeitig ärgerte sie sich darüber, dass sie sich durch ein wenig Luxus so leicht verunsichern ließ.

Sie nahm die Speisekarte entgegen, doch es fiel ihr schwer, sich darauf zu konzentrieren. Als der Kellner an ihren Tisch zurückkehrte, pickte sie sich einfach das erstbeste Gericht heraus, das ganz oben auf der Karte stand. „Ich hätte gern das Seezungenfilet Coquelin, und als Dessert Pfirsich Melba.“ Erst nachdem sie ihre Bestellung ausgesprochen hatte, fiel ihr auf, dass es sich um das kostspieligste Menü auf der ganzen Karte handelte. Als sie den Preis erblickte, schwanden ihr beinahe die Sinne.

Ganz im Gegensatz zu Valmont, dem dies offensichtlich kein Kopfzerbrechen bereitete. Nachdem auch er bestellt hatte, fügte er noch hinzu: „Außerdem hätten wir gern eine Flasche von Ihrem besten Champagner.“ Er lächelte Nina zu. „Zur Feier des Tages.“

„Und was gibt es zu feiern, wenn ich fragen darf?“, erkundigte sie sich scheinbar gelassen.

„Mon dieu, ist ein romantisches Dinner mit einer bezaubernden Frau nicht Grund genug zur Freude?“

Nina lächelte bloß, doch insgeheim fragte sie sich, was Valmont wirklich bezweckte. Er hatte sie doch sicher nicht in dieses sündhaft teure Lokal eingeladen, nur um einen schönen Abend mit ihr zu verbringen. Nein, er führte etwas im Schilde, davon war sie überzeugt. Fragte sich bloß, was.

Das Essen wurde gebracht, und nach dem ersten Glas Champagner fing Nina an, sich zu entspannen. Bisher hatte Valmont sich als formvollendeter Gentleman erwiesen. Er war höflich und charmant, und es gelang ihm sogar, ein Gespräch in Gang zu bringen, obwohl Ninas Beiträge dazu sich lediglich auf einsilbige Antworten beschränkten. Vielleicht hast du dich ja doch in ihm getäuscht, überlegte sie. Möglicherweise ist er gar nicht so ein Ekel, wie du geglaubt hast.

„Einen Penny für Ihre Gedanken.“

Verlegen bemerkte sie, dass sie schon eine geraume Weile verträumt ins Leere gestarrt hatte. „Ich … Es ist nichts.“ Sie lehnte sich zurück und lächelte. „Nicht einmal einen Penny wert …“

Valmont seufzte. „Also, was ich mit Ihnen besprechen wollte, ist Folgendes …“

Aha! Augenblicklich richtete Nina sich kerzengerade auf. Die seltsam entrückte Stimmung, in die sie der Champagner und die romantische Atmosphäre des Mirage versetzt hatten, verrauchte. Hatte sie es doch gewusst, dass Valmont sie nicht ohne Hintergedanken eingeladen hatte! Instinktiv wappnete sie sich gegen das, was nun unweigerlich folgen musste.

„Ich möchte Ihnen ein Angebot machen“, fuhr er fort. „Ein äußerst großzügiges Angebot, wie ich bemerken will.“

„Fahren Sie nur fort, Mr. Valmont“, erwiderte Nina kühl. „Ich bin schon hochgespannt.“

„Ich wusste, wie würden uns verstehen.“ Lächelnd nahm er etwas aus dem Aktenkoffer, den er unter dem Tisch verstaut hatte, und reichte es Nina. „Hier, bitte sehr.“

Nina nahm die Aktenmappe entgegen und musterte sie unschlüssig. „Und? Was soll das sein?“

Valmont blinzelte überrascht. „Na, der Kaufvertrag.“

„Kaufvertrag? Was für ein Kaufvertrag?“

„Für das Coral Beach Hotel, natürlich. Ich, oder besser die Hotelgruppe, die ich vertrete, möchte das Objekt gerne von Ihnen übernehmen.“

Für eine Sekunde starrte Nina ihn fassungslos an, dann sprang sie so hastig auf, dass ihr Stuhl beinahe umkippte. Die anderen Gäste des Restaurants begannen bereits zu gaffen und schauten sie an, als hätte sie den Verstand verloren, doch das war ihr egal. Sie fühlte sich, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggerissen.

„Gute Nacht, Mr. Valmont“, sagte sie, mit einer Stimme, die vor Kälte klirrte. Dann wandte sie sich abrupt ab und verließ hocherhobenen Hauptes das Restaurant.      

3.

Verblüfft sah Nic ihr nach, dann beglich er die Rechnung und lief Nina hinterher. Verdammt, er wurde einfach nicht schlau aus dieser Frau! Er hatte ihr die Möglichkeit geboten, all ihre Probleme mit einem Schlag zu lösen, und sie führte sich auf, als hätte er ihr ein unmoralisches Angebot gemacht.

Aber vielleicht ist es ja auch genau das, worauf sie gewartet hat …

Blödsinn! Er schüttelte den Kopf. Im Laufe des Abends hatte er mehr und mehr den Eindruck gewonnen, dass Nina Becker ganz genau wusste, worauf er hinauswollte. Sie musste zumindest etwas geahnt haben! Doch wenn er jetzt darüber nachdachte: Hatte er ihr gegenüber wirklich, auch nur ein einziges Mal, etwas von seinen Absichten, das Coral Beach Hotel zu kaufen, verlauten lassen? Oder es wenigstens angedeutet?

Nicolas unterdrückte einen Fluch und beschleunigte seine Schritte. Nina stieg gerade in ein wartendes Taxi, als er aus der Eingangshalle des Mirage trat.

„Nina! Warten Sie!“, rief er. Sie blickte kurz zurück, doch dann zog sie die Tür zu, und der Wagen fuhr los.

Wütend, mehr auf sich selbst als auf Nina, schüttelte Nic den Kopf. Er hatte es auf der ganzen Linie vermasselt, anders ließ es sich nicht ausdrücken.

Nachdem der Portier seinen Wagen gebracht hatte, fuhr Nic auf dem schnellsten Wege zum Coral Beach zurück. Er hatte nicht damit gerechnet, Nina an der Rezeption stehend vorzufinden, dennoch war er beinahe ein bisschen enttäuscht, als sich seine Erwartungen bestätigten.

„Wo ist sie?“, wandte er sich ohne Einleitung an die kleine Spanierin, die schon am Nachmittag am Empfang Dienst gehabt hatte.

„Entschuldigung, Sir?“

„Sie wissen genau, wen ich meine!“, brauste er auf, dann atmete er tief durch. Es gab keinen Grund, seine schlechte Laune an der Hotelangestellten auszulassen. Etwas freundlicher fuhr er fort: „Ich nehme an, Nina ist bereits vor mir eingetroffen. Wären Sie wohl so freundlich, ihr mitzuteilen, dass ich sie sprechen möchte?“

„Es tut mir leid, Sir, aber Miss Becker hat mir mitgeteilt, dass sie heute Abend keinesfalls mehr gestört werden möchte.“

Scheinbar beherrscht zuckte Nicolas mit den Schultern. „D’accord, in Ordnung, dann werde ich es ihr eben selbst sagen. Bemühen Sie sich nicht, ich kenne den Weg.“

Doch er hatte die Rechnung ohne die kleine Spanierin gemacht. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit trat sie hinter dem Empfangstresen hervor und stellte sich ihm in den Weg. Ihre geringe Körpergröße tat ihrer Autorität keinen Abbruch, als sie sich vor ihm aufbaute und ihn ärgerlich anfunkelte. „Wie ich bereits sagte, Sir: Miss Becker ist heute Abend für niemanden mehr zu sprechen.“

Für einen Moment starrte er sie völlig verblüfft an, dann begannen seine Mundwinkel zu zucken, und er konnte ein Lachen nicht mehr zurückhalten. „Sie sind eine echte Perle“, stieß er kopfschüttelnd hervor. „Nina kann sich wirklich glücklich schätzen. Eine loyale Angestellte ist heutzutage alles andere als leicht zu finden.“

Dann ließ er sich seinen Schlüssel geben und ging auf sein Zimmer. Sein Blick fiel auf sein Handy, das er auf dem Bett zurückgelassen hatte. Sechs Anrufe in Abwesenheit. Er hörte die Mailbox ab, und dieses Mal hielt er sich nicht mit einem Fluch zurück.

Gerald. Schon wieder! Nic war es nicht gewöhnt, bei seiner Arbeit ständig von einem Vorgesetzten kontrolliert zu werden. Auch nicht, wenn es sich dabei um den Generaldirektor von Hôtel Etoile persönlich handelte. Dennoch, er würde Gerald wohl oder übel zurückrufen müssen. Allerdings nicht mehr heute Abend. Er war im Augenblick einfach zu aufgewühlt, um über Geschäftliches sprechen.

Noch immer ärgerte er sich darüber, dass er Nina so völlig falsch eingeschätzt hatte. Langsam fragte er sich, ob es mit seiner Menschenkenntnis, auf die er sich immer so viel eingebildet hatte, tatsächlich so weit her war. In den letzten Jahren hatte er sich jedenfalls nicht mehr bedingungslos auf seine Erfahrung verlassen können. Mehr als einmal hatte er Menschen vertraut, die dieses Vertrauen nicht verdienten. Einmal sogar mit katastrophalen Auswirkungen …

Hör auf, ständig zurückzublicken, ermahnte er sich, doch es war zu spät. Die Flut der Erinnerung brach über ihn herein, ehe er sich dagegen wappnen konnte. Das Bild einer atemberaubend schönen Frau blitzte vor seinem inneren Auge auf. Wie sehr hatte er sie geliebt! Und er war sich so sicher gewesen, dass sie seine Gefühle erwiderte. Zu spät hatte er seinen Fehler erkannt. Er hatte bereitwillig sein Leben riskiert, um ihres zu retten. Und zum Dank hatte er bloß Hohn und Spott von ihr erhalten. Wie unter Schmerzen krümmte er sich, als die Geister der Vergangenheit auf ihn einstürmten und nichts zurückließen als ein Gefühl unendlicher Leere.

Dann war es plötzlich vorbei, und Nic fühlte sich kalt und taub, doch wenigstens sah er endlich wieder klar. Für eine kurze Weile hatte er sein Ziel beinahe aus den Augen verloren. Jenes Ziel, das in den vergangenen Monaten zu seinem einzigen Antrieb, ja, dem Motor seines Lebens geworden war. Und das alles wegen einer Frau.

Wenn es nicht so absurd gewesen wäre, hätte Nic beinahe darüber lachen können.

    

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739410432
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Februar)
Schlagworte
Wohlfühlbuch feel-good Seychellen humor humorvoller Frauenroman Urlaubsroman Reise & Abenteuer romantische Komödien Sommerroman Seeabenteuer Liebesroman Liebe Humor Erotik Roman Abenteuer

Autor

  • Melina Meyer (Autor:in)

Melina liebt es, zu reisen. Neben den klassischen Urlaubsländern zieht es sie auch immer wieder in entlegenere Winkel der Erde, und auf den langen Flügen macht sie am liebsten das, was sie am besten kann: schreiben ...
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Titel: Herzklopfen im Paradies