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Herzensangelegenheiten

von Mathilda Grace (Autor:in)
260 Seiten
Reihe: Die Ostküsten-Reihe, Band 6

Zusammenfassung

Überarbeitete Neuauflage, November 2018 Samuel Becks ist ein zielstrebiger Ex-Soldat der es gewohnt ist, seine Ziele und Wünsche durchzusetzen. Für ihn gibt es nichts, das nicht erreichbar wäre, egal wie hart man dafür kämpfen muss. Als er sich jedoch in Devin Felcon verliebt, den er in der Reha seines Bruders kennengelernt hat, gerät Samuel verdammt schnell an seine Grenzen, denn es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht kontrollieren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Prolog

 

 

 

 

Langsam verstand Samuel Becks die Welt nicht mehr. Das war schon die dritte Einladung, die Devin Felcon mit einem rigorosen »Nein!« und verärgert blitzenden Augen abgeschmettert hatte. Was macht er bei diesem Sturkopf nur verkehrt?

Samuel schüttelte ratlos den Kopf, während er in die Straße einbog, die ihn direkt zum Haus seiner Eltern bringen würde, und runzelte die Stirn. Dabei war er extra zu der Werkstatt von Devins Freund Colin McDermott gefahren, an deren Aufbau Devin mitbeteiligt war, um ihn nicht in der Reha vor allen anderen anzusprechen. Privatsphäre war für Devin Felcon wichtig, das wusste er von seinem Bruder Kendrick, und trotzdem hatte Devin ihn gar nicht richtig zu Wort kommen lassen, sondern ihm erklärt, dass er nicht interessiert war.

Eine Lüge, das wusste er, immerhin waren ihm Devins Blicke in der Rehaklinik, wenn er Kendrick bei dessen Übungen half, bereits vor einigen Wochen aufgefallen. Was also machte er verkehrt, dass Devin sich strikt weigerte mit ihm auszugehen? Am Rollstuhl konnte es nicht liegen, denn sein kleiner Bruder saß seit seiner Geburt im Rollstuhl und Samuel hatte sich noch nie daran gestört, ob ein Mensch behindert war oder nicht. Wo lag also der Fehler bei ihm? Hatte er Devins Signale falsch verstanden? Aber wenn er nicht interessiert war, wieso beobachtete Devin ihn dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit? Samuel fand eigentlich, dass er eine gute Menschenkenntnis besaß, was auch mit ein Grund gewesen war, warum er zur Armee gegangen war, aber aus Devin Felcon wurde er einfach nicht schlau.

Samuel seufzte und fuhr in die Einfahrt. Sein Vater stand in der offen stehenden Garage vor der Harley, die er derzeit aufmotzte, und starrte die Maschine mit finsterem Blick an. Samuel lächelte. Sein Dad hatte die Hände in die Seiten gestemmt, also ärgerte er sich über irgendwas. Er lächelte noch mehr, als ihm einfiel, dass er diese Gestik bereits vor Jahren von seinem Vater übernommen hatte und oft genauso dastand, sobald er wütend war. Er parkte den Wagen und gesellte sich zu seinem Vater.

»Will sie nicht so wie du?«

»Seit wann wollen heiße Ladys so, wie wir Männer es gerne hätten?«, fragte sein Vater ohne aufzusehen zurück und brachte ihn damit zum Lachen. »Und? Wann stellst du uns den Jungen nun vor?«

Die Frage hatte kommen müssen. Samuel verdrehte seufzend die Augen gen Himmel, da in diesem Haus einfach nichts geheim blieb. »Dad.«

Sein Vater begann zu lachen und zwinkerte ihm zu, bevor er sich wieder der Harley zuwandte. »Aha, er hat deine Einladung also zum dritten Mal abgelehnt? Kein Wunder, so wie du immer rangehst.«

»Ich hätte dir nicht davon erzählen sollen«, grummelte er und musste erneut lachen, als sein Vater ihm dafür tadelnd gegen die Schulter schlug. »Dad!«

»Du bist nun mal genauso direkt und geradeheraus wie ich, damit kann nicht jeder umgehen«, konterte sein Vater schulterzuckend und wandte sich ihm zu. »Was ist los, Sam?«

Es hätte ihn auch gewundert, wenn sein Vater ihm die Unruhe nicht angemerkt hätte. Als hochdekorierter Ex-Marine gab es wenig, was Nathaniel Becks entging, und wenn es um seine eigenen Söhne ging, war sein Vater wie eine Radarantenne auf Dauerempfang, der absolut gar nichts entging. Als Teenager hatte Samuel das oft genervt, da es ihm nie gelungen war, etwas lange vor seinem Vater zu verbergen, was besonders in puncto Sex und Liebschaften zu einigen peinlichen Gesprächen zwischen ihnen geführt hatte. Mittlerweile war Samuel alt genug, um seine Vorteile daraus zu ziehen, denn Gespräche mit seinem Vater waren im Allgemeinen sehr hilfreich, um die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Vielleicht half ihm das ja auch bei Devin.

»Ich verstehe ihn einfach nicht«, gab er deshalb ehrlich zu. »Warum lehnt er sämtliche meiner Einladungen ab, beobachtet mich bei Kendricks Reha aber trotzdem bei jeder Gelegenheit?«

»Hm«, machte sein Vater überlegend und runzelte die Stirn. »Hast du schon einmal in Betracht gezogen, dass er schüchtern sein könnte?«

»Schüchtern?« Samuel blickte seinen Vater erstaunt an. »Du solltest ihn bei der Reha reden hören. Der Mann ist alles, aber garantiert nicht schüchtern.«

»Dann wirst du dich wohl mehr anstrengen müssen, mein Junge«, war alles, was sein Vater darauf erwiderte, und irgendwie wurde Samuel auf einmal das Gefühl nicht los, dass er mit etwas hinter dem Berg hielt. »Warst du bei Amber?«

Samuel nickte lächelnd. »Sie hat mir gnädig erlaubt, mit ihr und ihren Puppen Tee zu trinken. Und sie hat gefragt, ob Oma und Opa am Wochenende mit ihr in den Zoo gehen.«

Sein Vater gluckste. »Wenn es weiter nichts ist. Das dürfte kein Problem sein. Kommst du mit oder hast du Unterricht?«

»Weiß ich noch nicht. Außerdem hat sie ohnehin darauf bestanden, dass Oma und Opa mit ihr gehen«, erklärte Samuel amüsiert und fragte sich gleichzeitig zum vermutlich tausendsten Mal, wie er es damals im Vollsuff hinbekommen hatte, dieses Wunder zu erschaffen.

»Nathaniel? Samuel? Essen ist fertig«, rief seine Mutter, bevor er nachhaken konnte.

»Wir kommen«, rief sein Vater und sah ihn an. »Hast du was im Auto oder ...?«

Er grinste. »Nein, ich gehe mir gleich die Hände waschen, dann musst du dir keine Ausrede einfallen lassen, was du mir wegen Devin eben nicht erzählen wolltest.«

»Frecher Bengel«, murrte sein Vater, grinste aber gleichzeitig, was Samuel erneut lachen ließ.

Sein Dad warf daraufhin mit einem dreckigen Lappen nach ihm und Samuel nutzte die Gelegenheit zur Flucht. Er grinste immer noch, als er ins Badezimmer trat, um sich die Hände zu waschen. Sein Vater war eine Nummer für sich und da sie sich laut seiner Mum verdammt ähnlich waren, hatte er vermutlich auch recht. Vielleicht sollte er es wirklich ein bisschen langsamer angehen lassen, was Devin betraf. Noch langsamer würde allerdings bedeuten, dass sie sich in fünfzig Jahren im Altersheim in den Hintern kniffen. Devin Felcon war eine sehr harte Nuss, die er zu knacken gedachte. Aber um das zu tun, musste er unbedingt herausfinden, warum Devin jeden Annäherungsversuch von ihm im Keim erstickte. Denn obwohl er es abstritt, Devin war an ihm interessiert und Samuel hatte nicht vor, so schnell aufzugeben.

Er sah mit einem herausfordernden Lächeln in den Spiegel. »Mach dich bereit, erobert zu werden, Devin Felcon«, murmelte er und fuhr herum, als Kendrick auf einmal hinter ihm lachte. »Musst du immer lauschen?«

Sein kleiner Bruder kam mit seinem Rollstuhl ins Badezimmer. »Kann ich was dafür, wenn du unserem Spiegel deine Eroberungspläne erzählst, während ich aufs Klo will?«

»Für einen achtzehnjährigen Frischling bist du verdammt frech«, konterte er amüsiert und wusste genau, was jetzt kam.

»Für einen so alten Knacker hast du ... Hey!« Kendrick lachte, als Samuel ihn aus seinem Rollstuhl hob und drohend über die Badewanne hielt. »Wehe. Das erzähle ich Mum und Dad.«

»Verräter«, grollte er gespielt und setzte Kendrick wieder in den Rollstuhl.

Obwohl sie fünfzehn Jahre Altersunterschied trennten, verstand er sich super mit Kendrick, dabei waren die ersten Jahre nach dessen Geburt nicht leicht gewesen. Kendricks Behinderung hatte das Leben in ihrer Familie völlig über den Haufen geworfen, aber ihre Eltern wären nicht ihre Eltern gewesen, wenn sie das nicht in den Griff bekommen hätten. Zwischen Kendrick und ihm waren kaum Unterschiede gemacht worden, obwohl sein kleiner Bruder im Rollstuhl saß, und das rechnete Samuel seinen Eltern heute noch hoch an. Sie hatten bei Problemen immer ein offenes Ohr für ihn gehabt, trotz anhaltender Reha und ihres Hausumbaus. Ein Leben ohne seinen Bruder konnte sich Samuel gar nicht mehr vorstellen, auch wenn Kendrick beizeiten eine echte Nervensäge war.

Er lächelte ihn an. »Ich liebe dich, kleiner Bruder.«

»Ich dich auch.« Kendrick grinste breit. »Aber mein Magen bringt mich um, wenn ich nicht gleich was zu essen kriege.«

Samuel prustete los.

 

 

1. Kapitel

 

 

 

 

Irgendwann würde er Devin Felcon erwürgen, so viel stand fest. Er würde sich am besten für unzurechnungsfähig erklären lassen und ganz sicher damit durchkommen.

Samuel starrte merklich verärgert auf die Straße und bog an der nächsten Kreuzung ab. Was war mit diesem Kerl bloß los? Selbst Kendrick fing mittlerweile an sich darüber zu wundern, denn in der Reha kam sein Bruder ganz wunderbar mit Devin aus, und auch mit Kilian McDermott, der über drei Ecken irgendwie ebenfalls zu den Felcons gehörte. Aber wehe Samuel fiel ein, Devin ein Lächeln zu schenken oder ihn anzusprechen. Wenn er Glück hatte, bekam er keine wütende Antwort, sondern nur einen finsteren Blick.

Samuel schnaubte frustriert, als er sich seinen letzten Versuch, Devin zu einem Date einzuladen, erneut durch den Kopf gehen ließ, und fuhr kopfschüttelnd auf den großen Parkplatz vor Chelseas Apartment. Devin hatte ihn nur angesehen und dann mit einem leisen und eindeutig abfälligen Schnauben den Kopf geschüttelt.

Vielleicht sollte er es einfach sein lassen. Immerhin versuchte er sein Glück jetzt schon seit einem Monat und Samuel hatte nicht vor, sich wegen Devin Weihnachten verderben zu lassen. Nur noch zwei Wochen, dann war Dezember. Die Weihnachtsbeleuchtungen hingen bereits seit Anfang November überall in der Stadt, ein toller Anblick. Samuel liebte Weihnachten. Seiner Meinung nach war es die schönste und auch die verrückteste Zeit des Jahres und wegen Weihnachten war er jetzt auch hier.

Chelsea und er mussten sich langsam überlegen, was sie Amber schenken wollten. Außerdem hatte Chelsea ihm vor ein paar Stunden eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen, mit der Bitte vorbeizukommen, weil sie mit ihm reden musste. So eine Nachricht bedeutete allgemein, dass sie mit ihrer Truppe einen neuen Einsatz bekommen hatte, aber Samuel hoffte, dass es dieses Mal vielleicht etwas Anderes war. Immerhin stand Weihnachten vor der Tür.

»Wow, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte Chelsea, nachdem sie ihm die Tür geöffnet hatte.

Samuel verdrehte die Augen. »Die Laus heißt Devin Felcon.« Bevor Chelsea nachhaken konnte, sah er über ihren Kopf hinweg zum Wohnzimmer. »Ist die Maus noch wach?«

Chelsea lachte leise. »Nein. Sie hat natürlich gewartet, um ihren Daddy zu sehen, aber vor einer halben Stunde ist sie eingeschlafen und das soll auch bitte so bleiben. Komm rein und erzähl mir von der Laus. Sieht er gut aus?«

»Oh ja, verdammt gut«, antwortete Samuel und folgte Chelsea ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch setzten. Samuel grinste, als er das überall herumliegende Spielzeug entdeckte. Bei Chelsea sah es auf den ersten Blick immer aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, weil Amber ihr Zeug immer in der gesamten Wohnung verteilte. »Welcher Tornado ist denn hier durchgezogen?«

Chelsea stöhnte und lachte zugleich. »Als wenn du das nicht wüsstest. Lenk nicht ab. Du wolltest mir von der Laus erzählen.«

»Grüne Augen, braunes Haar, volle Lippen, ein umwerfendes Lächeln, und wenn ich grüne sage, dann meine ich grün.«

Samuel seufzte genüsslich, denn Devins Augen waren der Wahnsinn. Für ihn jedenfalls. Ein Blick hatte ausgereicht, seither gingen ihm das faszinierende Grün nicht mehr aus dem Kopf. Schon als kleiner Junge hatte er die Augen anderer Menschen wahnsinnig faszinierend gefunden, weil sie so viel sagen konnten, selbst wenn der Mensch, dem sie gehörten, schwieg. Und auch heute sah er anderen Menschen zuerst in die Augen, auch wenn Devin Felcons irgendwie immer nur Blitze in seine Richtung zu schießen schienen.

»Murano? Wie die Gläser?«, wollte Chelsea wissen und riss ihn aus seinen Gedanken.

Samuel schüttelte den Kopf. »Nein, noch um einiges dunkler. Mehr wie der Edelstein.«

»Du hattest schon immer ein Faible für Augen.« Chelsea zwinkerte ihm zu und Samuel grinste breit, da sie auch grüne Augen hatte. Allerdings hellere als Devin. »Und sonst?«

»Er sitzt im Rollstuhl, aber ich würde sagen, er ist etwa einen halben Kopf kleiner als ich. Schlank, mit tollen Muskeln genau da, wo sie sein sollen.«

»Hör auf, sonst werde ich neidisch«, neckte Chelsea ihm und setzte sich seitlich auf die Couch, um ihn besser ansehen zu können. »Du interessierst dich ernsthaft für ihn, oder?«

»Ich finde ihn wunderschön«, antwortete er ehrlich und daraufhin sah Chelsea ihn erst verblüfft an, um danach freudig zu lächeln.

»Sam, du bist ja verliebt.«

Tja, so sah es aus. Diese Erkenntnis hatte Samuel schon vor einigen Tagen gehabt, nachdem Devin in der Reha einen weiteren Einladungsversuch mit einem wütenden »Hast du nichts Besseres zu tun?« abgeschmettert hatte. Jeder andere, ob Mann oder Frau, hätte sich spätestens ab da anderweitig umgesehen, aber Samuel hatte nur in der Umkleide gestanden, Devin nachgesehen und sich gefragt, wie er diesen Eisblock zum Schmelzen bringen konnte.

Oh ja, er war verliebt, deswegen war Samuel auch so hartnäckig, was Devin betraf. Aber der wollte ihn augenscheinlich nicht, obwohl er ihm bislang keinen vernünftigen Grund dafür genannt hatte. Und genau das wurmte Samuel immer mehr. Wenn Devin klar und deutlich mit der Wahrheit herausrücken würde, warum er nichts mit ihm zu tun haben wollte, wäre das für ihn in Ordnung gewesen. Aber nein, Devin begnügte sich lieber mit finsteren Blicken und unwirschen Antworten.

»Er macht mich wahnsinnig«, gestand er mit einem tiefen Seufzen. »Seit ich Ken bei der Reha helfe, nachdem sein Freund Danny zur Armee gegangen ist, beobachtet er mich, aber sobald ihn anspreche und zu einem Date einladen will, blockt er sofort ab. Das geht jetzt seit einem Monat so, und wenn er damit weitermacht, erwürge ich ihn bei nächster Gelegenheit, anstatt ihm zu sagen, dass ich in ihn verliebt bin.«

»Hm«, machte Chelsea überlegend. »Vielleicht hatte er bisher noch keinen Freund. Ist er schüchtern?«

Samuel schnaubte. »Von wegen. Du solltest ihn mal hören. Dieser Mann ist nicht schüchtern, genau das ärgert mich ja so. Warum sagt er mir nicht, was ihn stört? Und dass er noch keinen Freund hatte, kann ich mir nicht vorstellen. Er dürfte in etwa mein Alter haben und mit dem Aussehen ...«

»Würdest du ihn aufgeben, wenn er dir sagt, was los ist?«

»Nur sehr ungern«, gab Samuel zu und verzog das Gesicht bei der Vorstellung. »Aber ich bin kein Schwein. Wenn er mir ehrlich sagt, warum er nichts mit mir zu tun haben will, dann höre ich auf, ihn zu belästigen. Zumindest gibt er mir immer das Gefühl, sobald ich in seine Nähe komme. Ach ja, bevor du fragst, nein, es gibt keinen anderen Mann an Devins Seite und er steht auch nicht auf Frauen. Dessen bin ich mir sicher, beziehungsweise ich habe Ken ausgehorcht.«

Chelsea grinste. »Du bist unmöglich, Sam, aber andererseits kann ich dich verstehen. Ich finde, du solltest mit Devin sprechen. Und zwar direkt. Er soll dir sagen, was Sache ist, damit du Bescheid weißt. Sonst machst du dich auf Dauer nur unglücklich. Ich meine, du bist jetzt schon in ihm verliebt. Was, wenn das Gefühl noch intensiver wird?« Chelsea zog ein finsteres Gesicht. »Wenn er dir wehtut, weil er zu feige ist, seinen Mund aufzumachen, verpass ich ihm eine, sobald ich aus Birma zurück bin.«

»Du ... Was?« Samuel sah Chelsea fassungslos an, als der Groschen fiel. Darum ihre Nachricht. »Ausgerechnet Birma? Weißt du, wie gefährlich es da drüben ist?«

Chelsea nickte und grinste ihn schief an. »Das ist mir bewusst, aber die Menschen dort brauchen Hilfe, das weißt du. Jeder aus der Truppe hat sich freiwillig für den Hilfseinsatz gemeldet, Sam, wie hätte ich es nicht tun können?«

»Für Amber?«, fragte Samuel und deutete mit der Hand in Richtung Kinderzimmer. »Birma ist lebensgefährlich, Chelsea. Wie oft haben selbst Hilfsorganisationen davor gewarnt, dorthin zu gehen?« Chelsea lächelte nur, was ihn resigniert seufzen ließ. »Wieso musst du nur immer und überall helfen wollen?«

»Weil irgendjemand damit anfangen muss, Sam«, antwortete Chelsea entschlossen. »Ich weiß, was in Birma los ist, aber wir wollen es trotzdem tun. Amber hat ein gutes Leben und ich möchte dabei helfen, dass auch Kinder in Birma ein besseres Leben bekommen. Es ist gefährlich, ich weiß, aber ich kann bei so was nicht wegsehen. Das konnte ich noch nie. Deswegen bin ich zur Armee gegangen. Um zu helfen. Das weißt du doch.«

Samuel fuhr sich durch die Haare. »Wie lange?«

Chelsea wusste sofort, was er wissen wollte. »Zu Weihnachten sind wir wieder hier. Amber bleibt solange bei meinen Eltern, wie sonst auch. Du musst dich um nichts kümmern. Ist alles längst geklärt.«

So war Chelsea. Sie sorgte für alles vor und kümmerte sich darum, dass es Amber gut ging. Obwohl ihre Tochter ein Unfall gewesen war und sie sich beide nicht mehr daran erinnern konnten, was in jener Nacht überhaupt passiert war, liebte er seine beiden Mädchen, wenn auch jede auf eine andere Weise. Chelsea war eine tolle Mutter und Amber ein tolles Mädchen. Eigentlich war sie für Samuel sogar ein kleines Wunder, denn er hatte schon immer Männer geliebt und daher auch nie erwartet, eines Tages Vater zu werden.

»Ich würde sie jederzeit nehmen«, sagte Samuel leise und schob den Anfall von schlechtem Gewissen beiseite, weil Chelsea sich die meiste Zeit um Amber kümmerte. Sie hatten gemeinsam so entschieden und es war das Beste so, denn er hatte nun mal keinen geregelten Tagesablauf und genau den brauchte ein kleines Kind.

»Das weiß ich doch.« Chelsea lächelte ihn an und sah dann kurz in den Flur, auf die Tür zu Ambers Kinderzimmer. »Dass wir mal so was Tolles hinkriegen, wer hätte das gedacht.«

Samuel musste ungewollt lachen. »Es wäre zwar nett, wenn ich mich noch daran erinnern könnte, aber leider, leider ...«

Chelsea erwiderte sein Lachen. »Geht mir nicht viel anders, aber deshalb werde ich diese Nacht noch lange nicht wiederholen. Du bist zwar ein toller Freund, Becks, aber mehr nicht.« Chelsea zwinkerte ihm zu. »Was nicht heißt, dass wir unsere Kleine nicht trotzdem groß kriegen. Und was deine nicht gestellte Frage betrifft, das wollte ich nämlich auch mit dir bereden, jetzt wo alles unter Dach und Fach ist ... Ich habe ein Testament gemacht.«

»Was?«, fragte Samuel überrascht, denn damit hatte er jetzt nicht gerechnet. »Wozu brauchst du ein Testament?«

»Sam.« Chelsea lächelte nachsichtig. »Ich weiß, wir reden so gut wie nie über die Armee, seit du ausgestiegen bist, aber die Gefahr ist nun mal da. Wenn mir wirklich etwas passiert, möchte ich, dass Amber abgesichert ist. Wir sind nicht verheiratet, wir sind nicht mal ein Paar, und daher würde sie automatisch zu meinen Eltern kommen. Aber das möchte ich nicht. Nicht einfach so. Deswegen habe ich ein Testament gemacht. Du bist ihr Vater. Du stehst in Ambers Geburtsurkunde und wenn ich sterbe, hast du die freie Wahl sie zu dir zu nehmen oder sie bei meinen Eltern zu lassen. Ich habe alles gerichtlich festlegen lassen und schon mit Mum und Dad gesprochen. Sie sind einverstanden.«

Chelsea hatte recht. Sie redeten seit seinem Ausstieg wirklich nicht über die Armee und es war auch richtig und wichtig, dass sie dafür sorgten, was im Notfall mit Amber geschah. Chelsea hatte all diese Sachen schon immer viel besser im Blick gehabt als er, aber trotzdem machte es Samuel hochgradig nervös, dass sie auf einmal davon anfing. So knapp vor ihrem Einsatz in Birma. Das war ja fast wie eine Art dunkler Vorahnung. Normalerweise glaubte Samuel nicht an derartige Dinge, aber Chelseas neuer Einsatz bescherte ihm ein schlechtes Gefühl.

»Wieso erzählst du mir das ausgerechnet heute?«

»Weil du recht hast. Birma ist gefährlich und ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass dieser Einsatz mein riskantester sein wird. Daher wollte ich, dass du jetzt Bescheid weißt.« Chelsea erhob sich und begann das Spielzeug zusammenzuräumen. »Dein Blick verrät dich, Sam, und bevor du fragst, natürlich mache ich mir Sorgen.«

»Warum fährst du dann?«, fragte er missmutig und Chelsea grinste. »Weil du eben nicht anders kannst, ich weiß.« Samuel seufzte. »Wie hast du es Amber erklärt?«

»Gar nicht.« Sie zog Ambers Plastikkiste unter dem Couchtisch hervor, wo abends alle Spielsachen hineingehörten. »Sie ist fünf Jahre alt, Sam. Ich habe ihr erzählt, dass ich, falls ich eines Tages von einer meiner Reisen nicht nach Hause komme, in den Himmel geflogen bin und von dort auf sie aufpasse.«

Oh Mann, damit wollte er sich nun wirklich nicht befassen müssen. Weder heute noch sonst irgendwann. Samuel rieb sich übers Gesicht und seufzte. »Chelsea ...«

»Belassen wir es dabei, okay?«, lenkte sie ein. »Wenn ich im Einsatz sterbe, kannst du ihr die Wahrheit sagen, sobald du es für richtig hältst. Ich werde dir da nicht reinreden, das habe ich nie getan und ich werde es auch nie tun. Und jetzt verzieh dich und gib deiner Tochter einen Kuss, bevor du zu der Laus namens Devin fährst und mit der Faust auf den Tisch haust.«

Samuel musste einfach grinsen, es ging nicht anders. »Sehr wohl, Frau Feldwebel.« Als sie ihm dafür ein Kuscheltier gegen den Kopf warf, lachte er und stand auf, um spielerisch zu salutieren, ehe er nachgebend die Hände hob, weil Chelsea schon drohend ein weiteres Kuscheltier in der Hand hielt. »Wann fliegst du? Soll ich dich zum Flughafen bringen?«

»In zwei Tagen und ich nehme mir ein Taxi, das geht einfacher, da ich noch nicht genau weiß, wann wir abfliegen.«

»Okay«, meinte Samuel und seufzte, als Chelsea daraufhin lächelte und in den Flur zeigte. »Weißt du, manchmal wünschte ich, du wärst eine olle Ziege, mit der ich mich wenigstens ein Mal vernünftig streiten kann«, maulte er und wurde wie erwartet ausgelacht, was Samuel erneut seufzen ließ.

Chelsea Rea war einfach zu gut für diese Welt. Das hatte er schon am Tag ihres Kennenlernens gemerkt, und daran hatte sich in all den Jahren auch nicht das Geringste geändert. Samuel konnte sich nie richtig mit ihr streiten und er konnte ihr auch nicht böse sein. Chelsea wäre wohl die perfekte Schwiegertochter für seine Eltern gewesen, aber dazu würde es niemals kommen. Nicht zum ersten Mal beneidete Samuel den Mann, den Chelsea eines Tages heiraten würde, aus tiefstem Herzen.

 

»Was mache ich hier eigentlich?« Samuel runzelte die Stirn. »Also mal abgesehen davon, dass ich mit mir selbst rede.« Ein Lachen im Hausinneren schreckte ihn auf. »Das ist doch völlig bescheuert. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt und kriege es nicht auf die Reihe an eine Tür zu klopfen.«

Samuel seufzte und sah auf die Klingel neben der Tür. Was war an dem Ding denn gefährlich? Er sollte sie wirklich langsam benutzen, ehe einer von den Felcons auf die Idee kam diese Tür selbst zu öffnen, um den Müll rauszubringen oder sonst etwas. So einfach sich Chelseas Idee angehört hatte, so schwer tat sich Samuel mit der Umsetzung, seit er etwas weiter die Straße runter geparkt hatte und zum Haus von Devins Eltern gelaufen war, um mit Devin zu reden. Klartext, wenn möglich. Doch anstatt zu klingeln und genau das zu tun, stand er schon seit einigen Minuten vor dem Haus und starrte die Tür an.

Sehr mutig, dachte Samuel und schalt sich einen Feigling. Mehr als klare Worte sagen konnte Devin nicht tun, und Samuel brauchte genau diese Worte, damit er endlich wusste, woran er war. Sein Problem war nur, dass er im Gegenzug nicht wusste, was er tun würde, wenn Devins Antwort wirklich gegen ihn sprach.

»Ich könnte David auch wegen der Ausstellung fra... Oh ... Hi, Sam.«

Samuel starrte verdutzt auf die offene Haustür, in der Kilian stand und ihn angrinste. Er kannte den Teenager aus Kendricks Reha. Sein Bruder mochte den Neffen von Colin McDermott, Devins bestem Freund und seit kurzem auch Geschäftspartner, der eben in den Flur trat. Colin hielt inne und begann im nächsten Moment zu grinsen. Samuel war sich nicht sicher, was er von diesem Grinsen halten sollte. Es bescherte ihm allerdings eine Gänsehaut und das konnte kaum etwas Gutes bedeuten.

»Dev, du hast Besuch. Dieser nette Typ, über den du nicht reden willst und dessen Einladungen du regelmäßig, und zwar nicht gerade sehr höflich, ablehnst.«

»Colin!«

Genau diese Reaktion hatte er von Devin erwartet. Samuel wäre am liebsten im Boden versunken. »Ähm ...«

»Du hast einen Verehrer?«, fragte plötzlich eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund und Samuel verstummte entsetzt. Das war wahrscheinlich Devins Mutter und dem hinterhältigen Grinsen von Colin McDermott nach zu urteilen, hatte der Devin und ihn gerade absichtlich ins Messer laufen lassen.

Samuel wusste nicht, ob er ihm dafür dankbar sein sollte, denn so wie es sich anhörte, bekam Devin in der Küche soeben die Leviten gelesen, was vielleicht zu seinen Gunsten ausfiel. Devins Mutter schien jedenfalls nicht sonderlich darüber amüsiert zu sein, ihren erbosten Worten wie »unhöflich«, »keine Erziehung« und »schlechtes Benehmen« nach zu urteilen, die eindeutig darauf abzielten, wie Devin ihn abgewiesen hatte.

Kilians amüsiertes Kichern erinnerte Samuel wieder daran, dass er hier nicht allein stand. »Hi Kilian, was macht denn der Kunstkurs?« Von dem Kunstkurs wusste er von Kendrick. Offenbar war der Junge ein sehr talentierter Maler. »Ken hat mir davon erzählt.«

»Der ist toll, aber nur halb so aufregend wie das hier.«

Frech kam ja bekanntlich weiter. Samuel lachte leise. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«

»Kilian ...«, drohte Colin, was Kilian ebenfalls lachen ließ.

»Ich steig ja schon ein. Beeil dich lieber, sonst kommen wir zu spät und ich will Mik unbedingt noch das Bild für sein Restaurant geben, bevor ich schlafen gehe.« Kilian schob sich an ihm vorbei. »Bis bald, Sam, und grüß Ken von mir, ja?«

»Mache ich«, versprach er.

Colin zog sich seine Jacke über und kam sichtlich amüsiert neben ihm zum Stehen. »Nimm es mir nicht übel, Becks, aber das war dringend nötig. Der letzte Mann, der so viel Geduld hatte wie du, musste erst nach Australien flüchten, damit sein Partner begreift, was er gerade im Begriff ist zu verlieren.«

Samuel runzelte die Stirn. »Und damit willst du mir was sagen?«

Daraufhin verschwand der amüsierte Blick und machte einem ernsten Platz. »Ich weiß nicht, was im Augenblick mit ihm los ist«, sagte Colin leise, mit Blick ins Haus. »Normalerweise redet Devin nie lange um den heißen Brei herum, aber irgendetwas an dir irritiert ihn offenbar mächtig und ich hoffe sehr, dass du hergekommen bist, um herauszufinden, was es ist.«

»Das hatte ich vor.«

»Gut.« Colin nickte zufrieden und sah ihn an. »Dann tritt ihm in den Arsch, ehe ich es tue. Derzeit geht er nämlich nicht nur dir mächtig auf die Nerven.« Samuel konnte nicht anders als zu grinsen und das war scheinbar die Reaktion, die Colin hatte haben wollen, so wie er lachte und ihm danach auf die Schulter klopfte, bevor er Kilian folgte. »Ich bin sehr gespannt, ob wir uns nach heute Abend wiedersehen werden, Becks.«

»Abwarten«, meinte Samuel, obwohl ihn die Antwort darauf ebenfalls brennend interessierte. Wenn selbst Devins bester Freund ihn unterstützte, obwohl sie sich nicht kannten, musste Devin in den vergangenen Wochen wirklich unausstehlich gewesen sein. »Übrigens ... Mein Name ist Sam, nicht Becks.«

Colin grinste ihn über die Schulter hinweg an. »Nenn mich Colin. Bis bald, Sam.«

Samuel sah dem Mustang nach, bis er um die nächste Ecke bog. Sein Dad hätte diesen Klassiker von Wagen mit Sicherheit mit einem äußerst zufriedenen Lächeln bedacht. Dagegen kam sein eigener Ford Pick-up nicht an. Andererseits war ein Auto für ihn sowieso nur zum Fahren und Lasten transportieren da, nicht zum Schwärmen, fand Samuel und sah zurück ins Haus. Devin stand direkt vor ihm auf der Schwelle und Samuel wich erschrocken einen Schritt zurück.

»Hast du mich erschreckt.«

»Scheinbar nicht genug, immerhin bist du hergekommen.«

Samuel verkniff sich ein frustriertes Stöhnen. Na das fing ja gut an. Die bissige Antwort, die ihm dafür auf der Zunge lag, verkniff er sich und trat stattdessen weitere zwei Schritte zurück auf die Veranda, um dabei die Arme vor der Brust zu verschränken und Devin auf diese Weise eindeutig klarzumachen, dass er nicht vorhatte zu gehen. Jedenfalls nicht gleich. Falls sie sich heute Abend wirklich zum letzten Mal sahen, wollte er dafür auch einen Grund wissen. Einen vernünftigen.

»Warum willst du nicht mit mir ausgehen?«, fragte er daher und vermutlich ein wenig zu laut, aber das war Samuel gerade egal. »Und dieses Mal hätte ich gern eine richtige Antwort.«

»Ich habe meine Gründe.«

Das war keine Antwort. Wie üblich. Langsam wurde Samuel wirklich sauer. »Und welche wären das?«, hakte er nach und betete inständig um die Geduld, das hier durchzuhalten, ohne Devin an die Gurgel zu gehen. »Du bügelst mich immer nur eisig ab, wenn ich dich nach einem Date frage. Ich kann keine Gedanken lesen, Devin, also wäre es nett von dir, wenn du mir endlich klipp und klar sagen würdest, wo dein Problem liegt.«

»Ich will nicht«, konterte Devin völlig unbeeindruckt und sah ihn auch so an.

Samuel schnappte entrüstet nach Luft. »Und warum nicht? Was stört dich nur so an mir?«

»Deine Nase.«

»Meine ...« Samuel brach verdattert ab, dann schnaubte er und sah Devin wütend an. »Du spinnst doch. Meine Nase? Das ist wirklich die dümmste Ausrede, die ich je gehört habe. Wenn du nichts von mir willst, warum wirfst du mir dann bei der Reha immer solche Blicke zu? Machst du das aus Spaß?«

»Wer sagt denn, dass ich nichts von dir will?«

Wie bitte? Das war doch zum aus der Haut fahren. Samuel holte tief Luft. »Ich schrei gleich«, fluchte er und stemmte die Hände in die Seiten. »Du machst mich noch wahnsinnig. Wenn ich dir genauso gefalle, wie du mir gefällst, Devin Felcon, warum, zum Teufel, willst du dann nicht mit mir ausgehen?«

»Deswegen.«

Samuel war so schnell vor Devins Rollstuhl und hatte seine Hände um die Armstützen gelegt, dass Devin zusammenzuckte, was ihm zwar sofort leidtat, aber Samuel würde keinen Millimeter zurückweichen, bis er eine Antwort hatte. »Deswegen ist keine Antwort. Wieso? Und diesmal bitte die Wahrheit, Devin. Ich akzeptiere sie, aber ich will es endlich wissen. Das bist du mir schuldig und das weißt du.«

»Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich Angst haben könnte?«, fragte Devin, nachdem er ihn eine Weile schweigend gemustert hatte und Samuel dabei aufgefallen war, dass er in Devins Augen nichts lesen konnte.

Eine ziemlich verblüffende Feststellung, aber Devins Antwort, was seine Frage betraf, toppte das um Längen. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit so einer Antwort. Samuel ließ den Rollstuhl los und trat einen Schritt zurück. Devin hatte Angst? Vor ihm? Vor einem Date? Aber weshalb? Gut, er war vielleicht etwas zu aufdringlich gewesen, doch das hätte Devin ihm jederzeit sagen können. Nein, nicht nur können. Müssen. Samuel hatte ihm nie Angst einjagen wollen.

»Oh mein Gott«, murmelte er entsetzt und wich noch weiter zurück. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Es tut mir leid, Devin. Ich wollte dir niemals Angst einjagen. Bitte entschuldige.« Samuel wandte sich ab. »Ich lasse dich ab sofort in Ruhe.«

»Sam, warte bitte«, bat Devin daraufhin und klang plötzlich ganz anders. Offener. Nicht mehr so abweisend.

Er drehte sich um, blieb aber auf der Treppe stehen. »Ja?«

»Sam ...« Devin fuhr sich seufzend durchs Haar. »Ich hatte und habe keine Angst vor dir, das hast du falsch verstanden. Sam, sieh mich an. Ich sitze nicht erst seit gestern in diesem Rollstuhl und für mich ist es nicht gerade alltäglich, dass mich jemand auf ein Date einladen möchte. Noch dazu, wenn es der erste Mann überhaupt ist, verstehst du? Davor habe ich Angst, nicht vor dir.«

»Der erste?« Samuel begriff, als Devin nickte, und seine Gefühle überschlugen sich. Die vorherige Wut und das Entsetzen über das, was er glaubte getan zu haben, verpufften ins Nichts. Chelseas Vermutung war wirklich richtig. Samuel konnte nicht verhindern, dass er rot wurde. »Oh ... Ich verstehe ... Also, ich ... Ähm ... Ich dachte, du wärst längst ... Ich meine, in unserem Alter und bei deinem Aussehen ...« Devin begann leise zu lachen und Samuel räusperte sich verlegen. »Ich sollte besser die Klappe halten, oder?«

»Ja«, gluckste Devin.

»Okay«, gab er nach und konnte nicht anders als grinsen, weil Devin ihn daraufhin amüsiert anschaute. So gefiel er ihm schon viel besser, aber da gab es noch etwas, das er unbedingt wissen musste. »Warum hast du mir das nicht einfach gesagt? Auch wenn ich ziemlich nervig war, du hättest nur etwas sagen müssen.«

»Das wollte ich aber nicht.«

»Das ist mir schon klar, aber warum nicht?«

Devin seufzte leise. »Sam, hör einfach auf mich zu bedrängen, okay?«

»Bedrängen?«, fragte er ratlos nach. »Aber ich ... Mein Gott, ich möchte dich doch nur kennenlernen. Ich hatte nie vor ...«

»Das weiß ich«, unterbrach Devin ihn ruhig. »Sam, versteh das bitte nicht falsch, aber seit wir uns kennen, benimmst du dich wie die sprichwörtliche Axt im Walde. Du kommst mir vor wie ein Jäger, der nur seine Beute vor Augen hat, die in dem Fall ich bin. Mag ja sein, dass das bei anderen Männern funktioniert, aber bei mir wird es das nicht, weil ich so etwas auf den Tod nicht ausstehen kann, klar?«

»Ich ...« Samuel brach ab, weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Ist dir schon mal aufgefallen, dass du immer nur zu mir gekommen bist, wenn du ein Ziel vor Augen hattest?«

»Was?«, fragte Sam ratlos und Devin nickte.

»Während der Reha hast du mehrfach versucht, mich auf einen Drink zu bequatschen. Vor Colins Werkstatt wolltest du mich zum Essen einladen. Seit über einem Monat tauchst du ständig in meiner Nähe auf, aber heute ist das erste Mal, dass du zu mir kommst, um mich zu sehen. Ja, du wolltest von mir wissen, was das Ganze soll, aber um ehrlich zu sein, warte ich darauf schon länger. Dass du hier aufgetaucht bist, ist das allererste Mal, dass du mir das Gefühl gibst, meinetwegen hergekommen zu sein und nicht wegen eines Hintergedankens.«

Samuel starrte Devin vollkommen sprachlos an. Sein Vater hatte so was von recht gehabt, wurde ihm klar und das machte ihn nur noch mehr verlegen, weil er es von allein nicht begriffen hatte. Sein ganzes Leben war er zielstrebig gewesen und hatte immer für das gekämpft, was ihm wichtig war. Dass er dieselbe Taktik nicht eins zu eins auf Devin übertragen konnte, war eigentlich logisch, aber trotzdem hatte Samuel es nicht verstanden. Bis jetzt.

»Ich ... Das ... Ich wollte dich nicht bedrängen ... Wirklich, Devin, das du musst mir glauben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte dich kennenlernen. Das will ich noch. Aber mehr nicht. Also nicht sofort. Ich will nicht, dass du von mir denkst, ich hätte dich angesprochen, weil ich mit dir ins Bett will oder was auch immer.« Samuel schaute verlegen zu Boden.

»Welche Musik magst du?«, fragte Devin nach einer Weile, die sie geschwiegen hatten, und Samuel sah überrascht auf.

»Alles?« Er zuckte die Schultern, als Devin die Stirn runzelte. »Querbeet, meine ich. Ich höre, was mir gefällt. Außer diesem Rap-Mist, das ist für mich keine Musik. Und mit Klassik kann ich auch nichts anfangen.«

Devin grinste. »Dito. Welche Filme?«

Was sollte das denn jetzt werden? Eben hatte Samuel noch darauf gewartet, für immer von diesem Grundstück verwiesen zu werden, da er bei Devin offensichtlich alles falsch gemacht hatte, was man falsch machen konnte, und jetzt fragte der ihn nach seinem Musikgeschmack und seinen Lieblingsfilmen? Samuel zuckte erneut die Schultern.

»Dasselbe wie bei Musik. Was mich anspricht, das sehe ich mir an.«

»Bestimmte Schauspieler?«

Samuel überlegte kurz. »Stephen Lang hat nette Muskeln, genauso wie Vin Diesel. Michael Biehn ist klasse in Aliens und Termintor, und ich mag die geheimnisvollen, mysteriösen Typen in Anzügen. Horatio Caine, Mac Taylor, Aaron Hotchner und so weiter. Warum?«

»Serienfreak?«, stellte Devin eine Gegenfrage, ohne auf seine zu reagieren, und Samuel lächelte in sich hinein. Bekam er etwa gerade eine zweite Chance? Wenn ja, würde er sie nutzen.

»Nicht wirklich«, antwortete er ehrlich. »Aber ich sehe sie gern, wenn ich Zeit und Lust dazu habe.«

»Bücher?«, kam sofort die nächste Frage. Samuel lachte leise, was Devin belustigt grinsen ließ, bevor er nickte. »Ah, ich verstehe. Du willst dich nirgends wirklich festlegen. Geht mir genauso.«

Samuel schmunzelte und trat zu Devin auf die Veranda. »Devin? Was soll die Fragerei?«

»Kannst du dir das nicht denken?«

Doch, das konnte er, aber er wollte es von Devin hören. »Sag mir einfach die Wahrheit.«

»Ich wollte wissen, ob wir zueinander passen könnten.«

»Und?«

»Als ob du das nicht wüsstest«, konterte Devin und verdrehte die Augen, aber jetzt, wo Samuel verstanden hatte, was Devin von einem Mann erwartete, würde er es anders angehen. Keine plumpen Fragen nach Dates mehr, entschied er und hockte sich vor Devin.

»Lass uns Zeit miteinander verbringen.«

»Kein Date?«

»Du willst doch keine Dates.«

Devin grinste und sah kurz an ihm vorbei in die Nacht, bevor sich ihre Blicke erneut trafen. »Meine Eltern gehen fast jeden Abend um den Block spazieren. Ich begleite sie öfter und sie würden sich auch über deine Gesellschaft freuen.«

Das war eine Einladung. »Morgen?«, fragte Samuel leise.

»Wir gehen so gegen halb neun los.«

»Ich werde pünktlich sein.«

 

 

2. Kapitel

 

 

 

 

Zwei Wochen und vier Spaziergänge später war Dezember, und Samuel lief ständig mit einem zufriedenen Grinsen durch die Gegend.

Mal abgesehen von der leichten Sorge um Chelsea, die noch weitere drei Wochen in Birma bleiben würde, hätte sein Leben nicht besser können. Er hatte einen Job, eine tolle Tochter und einen Freund. Na ja, um Devin so zu nennen, war es natürlich noch etwas früh, aber seit er Chelseas Rat angenommen und ehrlich mit Devin gesprochen hatte, verbrachten sie regelmäßig Zeit miteinander. Und wenn Samuel Glück hatte, würde sich Devin heute vielleicht sogar auf seine Einladung einlassen.

Aber das war erst für heute Abend geplant. Die nächsten Stunden gehörten Kendrick, der neben ihm im Auto saß und gerade schimpfend auf seinem Mp3-Player herumtippte. »Will er nicht?«, fragte Samuel und Kendrick schüttelte den Kopf.

»Ich glaube, er hat letztens in der Reha Wasser abgekriegt. Mist, ich habe kein Geld für einen neuen.«

»Bald ist Weihnachten. Ich schenk dir einen.«

»Du?« Kendrick sah ihn amüsiert an. »Mister, ich sprenge für mein Leben gerne technische Geräte allein durch Blicke in die Luft?«

Samuel konnte nicht verhindern, dass er rot wurde. »Das war nicht meine Schuld. Ich habe den DVD-Player nicht mal angefasst.«

Kendrick lachte. »Von wegen. Du hast den bösen Blick oder so was. Was glaubst du denn, warum Mum und Dad dich nicht mehr an den Kram im Wohnzimmer heranlassen?«

»Pfft«, machte Samuel und musste gleichzeitig ein breites Grinsen unterdrücken, als Kendrick zum zweiten Mal loslachte. Sein Bruder hatte nämlich recht. Obwohl niemand eine Erklärung dafür hatte, schaffte er es regelmäßig, technische Geräte aller Art ins Jenseits zu befördern. Ob DVD-Player, Handy, Computer oder Küchengeräte. Er bekam alles kaputt. Seinen letzten Computer hatte er neu gekauft nur an seinen Drucker anschließen wollen und was war passiert? Der Computer hatte mit einem kreischenden Ton den Geist aufgegeben und kurz darauf hatte auch noch das Stromkabel vom Drucker angefangen zu schmoren.

Technische Geräte und er waren einfach nicht kompatibel, was der Hauptgrund dafür war, dass er derzeit zwar ein Handy besaß, es aber möglichst vermied, das Teil zu benutzen, aus Angst, er könnte es in die Luft jagen. Oder es ihn. Wenigstens schienen sich Autos nicht darum zu kümmern, dass er einen bösen Blick hatte, und bei der Armee war es kein Problem gewesen, den technischen Kram seinen Männern in die Finger zu geben. Außerdem hatte er jetzt seit einiger Zeit nichts mehr kaputt gemacht. Vielleicht war das ja ein gutes Zeichen.

»Es ist schon seit Wochen nichts in die Luft geflogen oder hat Feuer gefangen. Wenn du mich also weiter damit ärgerst, stelle ich mich zur Probe aufs Exempel neben deinen nagelneuen Laptop.«

Kendrick hörte auf zu lachen und sah ihn finster an. »Untersteh dich.« Im nächsten Moment grinste sein Bruder schon wieder. »Wieso habe ich mich eigentlich von Mum überreden lassen, dich als neuen Rehapartner zu nehmen?«

Samuel gluckste. »Weil ich dein Bruder bin?«

Kendrick schüttelte den Kopf. »Das zählt nicht. Immerhin hast du gerade mein Laptop bedroht.«

»Weil dein bester Freund Danny sich entschieden hat zur Armee zu gehen?«, schlug Samuel amüsiert vor und Kendrick seufzte gespielt leidend.

»Genau. Das war es. Eine Notsituation. Und du hast ihn mit deiner Karriere bei der Armee auch noch weichgemacht. Nicht dass ich was gegen deine super Karriere hätte, Commander außer Dienst, aber dir ist klar, dass du ein Sklaventreiber bist?«

Samuel griff sich mit einem theatralischen Seufzen an die Brust. »Willst du mir damit etwa sagen, ich würde dich bei deiner Reha zu hart rannehmen?«

Kendrick grinste. »Ich wollte eigentlich sagen, dass du mir mit deinem heißen Adoniskörper jede Chance auf ein Date versaust. Ich meine, guck dir Devin an. Der ist doch richtig lecker, oder etwa nicht?«

»Na warte, das kriegst du wieder«, grollte Samuel und sein Bruder prustete los, während Samuel ihm einen Seitenblick zuwarf und dann grinste. Kendrick war unmöglich, aber aus dem Grund liebte er seinen kleinen Bruder ja auch so sehr.

 

Samuel sah Devins Eltern nach, wie die beiden nach einem Lächeln und Winken in ihre Richtung ins Haus verschwanden.

Er mochte die Felcons, und zwar alle drei. Nummer vier hatte er bisher nicht kennengelernt, aber laut Devin müsste die Welt am Abgrund stehen, um seinen großen Bruder Dominic freiwillig aus dessen Haus an den Klippen in Cape Elizabeth zu locken. Der ältere Felcon war ein Eigenbrötler und lebte lieber für sich allein, wobei Samuel es doch erstaunlich fand, dass Dominic einen festen Freund hatte, inklusive Hund und Kater als Haustiere. Dieser Cameron musste ein besonderer Mensch sein, wenn Dominic ihn in seinem Leben duldete.

Er selbst konnte sich ein Leben in Abgeschiedenheit nur mit Mühe vorstellen. Samuel war damit aufgewachsen, immerzu Menschen in seiner Nähe zu haben. Allein schon wegen Kendricks Behinderung, der aktiven Zeit seines Vaters in der Armee und später, als er selbst mit mehr als zwanzig Leuten eine Baracke bewohnt hatte. Privatsphäre, Ruhe, Abgeschiedenheit – das alles hatte es bei der Armee nicht gegeben. Und das gab es auch jetzt nicht für ihn, immerhin unterrichtete er eine Horde lauter Kinder und hatte ein eigenes, was er Devin noch erzählen musste. Aber nicht heute, denn er hatte etwas anderes für Devin und sich geplant.

»Bist du müde?«

Devin schüttelte den Kopf. »Nein.«

Samuel zwinkerte ihm zu. »Begleitest du mich? Ich würde dir gern etwas zeigen.« Er hob eine Hand, als Devin den Mund öffnete. »Keine Fragen. Es ist eine Überraschung.«

Devin lachte und nickte danach, und kurz darauf lenkte Samuel seinen Wagen durch die einsamen Straßen der Stadt. Um diese späte Uhrzeit war in der Gegend kaum noch was los. In manchen Teilen von Philadelphia ging es in seinen Augen wie in einem typischen Dorf zu, denn Abend für Abend wurden um die gleiche Zeit die Bürgersteige hochgeklappt. Genau wie seine Eltern lebten auch Devins in einem Familienviertel, wo sich Haus an Haus reihte und man die Nachbarn mit Vornamen kannte. Allerdings hatte die Ecke seiner Eltern einen Vorteil, nämlich eine seit Anfang Dezember für Jedermann geöffnete Eislaufbahn.

»Wie hast du ...?« Devin sah ihn verblüfft an und Samuel grinste, während er den Wagen parkte.

»Mein Dad. Er und der Besitzer kennen sich schon seit der Schulzeit. Er hat mir die Schlüssel besorgt, wir sind also völlig ungestört.«

Er holte Devins Rollstuhl von der Rückbank und half ihm beim Hineinsetzen, denn auch wenn sein Pick-up für Transporte richtig gut geeignet war, allein ein und auszusteigen war für Rollstuhlfahrer schwierig. Devin sah sich neugierig um, nachdem sie die große Halle betreten hatten und Samuel ließ ihn schauen, während er sich nach dem Schlittschuhverleih umsah. Er war schon eine Weile nicht mehr hier gewesen und die Bahn war renoviert worden, das wusste er von seinem Vater. Aber er fand sich schnell zurecht und verschwand im Verleih, um sich ein Paar passende Schlittschuhe zu suchen.

»Ich hätte nie erwartet, dass du Schlittschuh läufst.« Devin warf ihm einen amüsierten Blick zu, als er zurückkam. »Was hast du denn sonst noch alles für faszinierende Geheimnisse in petto, Mister Becks?«

»Es wären ja keine Geheimnisse mehr, wenn ich sie dir alle verraten würde, oder?« Samuel grinste und setzte sich auf die Bank, um sich die Schlittschuhe anzuziehen. »Am Ende findest du mich mit meinen Geheimnissen todlangweilig und suchst dir einen Bad Boy.«

Devin schmunzelte kopfschüttelnd. »Bad Boy? Du hast Ideen. Also? Wie kommt ein Ex-Marine wie du dazu, Schlittschuh zu laufen?«

Samuel zuckte lässig die Schultern. »Ich war früher nie der Typ für die normalen Sportarten.« Samuel setzte das normal in Gänsefüßchen und widmete sich dann wieder den Schlittschuhen. »Baseball, Hockey oder so was. Damit konnte man mich jagen. Den Sportunterricht an der Schule fand ich einfach nur öde, obwohl ich durchaus begabt war. Ich hätte ein Sportstudium kriegen können, aber ich wollte nicht. Ich wollte nicht studieren, sondern lieber etwas machen, wo ich meinen Kopf benutzen konnte. Dad hat sich deswegen die Haare gerauft, aber Mum meinte trocken, dann gucken wir einfach, was dir sonst noch gefällt.«

»Und herausgekommen ist Schlittschuhlaufen?«

Samuel sah auf und nickte. »Sie nahm mich mit zu einem Eisballett und ich war hin und weg. Das wollte ich auch können, also habe ich so lange gebettelt, bis sie mir den Unterricht bezahlten. Als ich älter wurde, fing ich an mich für Kampfsport zu interessieren, und ab da war es nicht mehr weit bis zur Armee.«

»Vom Schlittschuhlaufen über Kampfsport hin zur Armee, finde ich doch sehr unterschiedlich.« Devin sah ihn nachdenklich an. »Du wusstest nichts mit dir anzufangen, oder?«

Samuel nickte erneut und grinste dabei. Das war wieder so typisch Devin, ihn mit einem Blick zu durchschauen. »Ich war wirklich gut in der Schule. Das Lernen fiel mir leicht, aber ich wollte nichts daraus machen. Es gab viele Sachen, die ich ausprobiert habe, aber nichts hat mich auf Dauer begeistern können. Abgesehen von den Schlittschuhen und dem Kampfsport. Ich habe es mit Handwerken versucht, der Arbeit in einer Gärtnerei, mit Tieren, und überlegte eine Weile sogar zur Polizei zu gehen. Aber allein die Vorstellung, jeden Tag dasselbe zu tun, hat mich verrückt gemacht. Mum und Dad machten sich damals Sorgen um mich, das weiß ich, aber sie hatten gleichzeitig mit Ken zu tun, worüber ich froh war, denn so konnte ich in aller Ruhe nachdenken und überlegen, was ich mit meinem Leben mache. Am Ende entschied ich mich für die Armee.«

Devin ließ seinen Blick über die Eisbahn schweifen. »Ich wusste immer, was ich wollte. Autos. Von klein an waren Autos meine Welt. Ich habe es geliebt, mit Dad an ihnen herumzuschrauben und daran hat sich nichts geändert.«

»Trotz des Unfalls?«, fragte er nach, weil ihn das schon von Anfang an interessiert hatte.

Devin nickte. »Ich habe mich auch darüber gewundert, um ehrlich zu sein. Aber es änderte nichts. Und ich war so erleichtert, dass sich für meinen Boss ebenfalls nichts änderte. Er hat nach dem Unfall einen Blick auf mich geworfen, als er mich auf der Intensivstation besuchte, dabei die Ärmel hochgekrempelt und dann trocken gemeint: Wenn du nicht mehr zu meinen Autos kommen kannst, werde ich eben dafür sorgen, dass sie zu dir kommen können

Samuel verstand nicht. »Was?«

»Er hat seine Werkstatt für mich umgebaut, während ich in der Reha war und lernte mit dem Rollstuhl umzugehen. Als ich wieder zur Arbeit kam, war alles behindertengerecht umgebaut. An dem Morgen haben wir allerdings nicht gearbeitet, sondern uns total zum Affen gemacht.«

Das verstand er allerdings sofort. »Ihr habt geheult, oder?«

Devin seufzte. »Und wie. Wir haben es männlich durchgestanden und nie wieder erwähnt.«

Samuel musste unwillkürlich lachen. »Dein Chef muss ein toller Kerl sein.«

»Ja, das ist er.«

»Warum wechselst du dann zu Colin?«

»Tue ich nicht. Nicht komplett.« Devin rollte an das Geländer um die Eisbahn herum. »Ich will beides machen, aber im Moment arbeite ich noch an einem Zeitplan, wie ich es am besten hinkriege. Und du bist dir sicher, dass du da raus willst?«, fragte Devin plötzlich und deutete aufs Eis.

Samuel stand auf und ging zu Devin hinüber. Es war ungewohnt. Er hatte seit Monaten keine Schlittschuhe mehr unter den Füßen gehabt, aber Samuel wusste, dass er den Dreh nach ein paar Minuten auf dem Eis mit Sicherheit wieder raus haben würde. So lange musste Devin sich noch gedulden und dann ... Samuel lachte in sich hinein. Devin würde ihn erwürgen wollen, aber das war es allemal wert. Falls er auch nur halb so begeistert sein würde, wie Kendrick es gewesen war, würde es jeden Mordversuch wert sein.

»Ja, das will ich«, sagte Samuel daher und trat aufs Eis, beide Hände an der Umrandung, um sich erst einmal einen festen Stand zu suchen.

»Ich rette dich definitiv nicht, wenn du ausrutscht«, drohte Devin und sah unbehaglich auf die glitzernde Eisfläche. »Sam, sei bloß ...«

Samuel stieß sich ab und fuhr aufs Eis. Es war perfekt präpariert und einfach nur super zu fahren. »Vorsichtig? Wolltest du das eben sagen?«, fragte er neckend über die Schulter und drehte dann eine Pirouette. Elegant war vermutlich etwas anderes, aber dafür war er zu lange raus. Für Devin reichte es allerdings, denn der starrte ihn mit offenem Mund an, als Samuel sich ihm zuwandte. »Was denn? Sah es so scheiße aus?«

Devin schnaubte. »Du bist ein Idiot.«

Samuel lachte und fuhr an Devin vorbei. »Wie wär's mit einem Sprung?«

»Ein Sprung? Sam, wie gut warst du eigentlich?«

Er war als Junge verdammt gut gewesen. Samuel zwinkerte Devin beim nächsten Vorbeifahren zu und drehte eine lange Runde, um dabei zu überlegen. Einen Toeloop müsste er noch aus dem Stand hinbekommen. Dafür brauchte es keine große Übung. Zumindest nicht, wenn man wie er jahrelang auf den scharfen Kufen gestanden hatte, dachte Samuel und fuhr nach hinten, damit er den Sprung vorne bei Devin machen konnte.

»Also gut, aufgepasst und hingeschaut«, rief er Devin übermütig zu und schüttelte den Kopf, als der prompt etwas erwidern wollte. »Und bitte ruhig bleiben, weil ich mich dafür konzentrieren muss.«

Oh ja, Devin würde ihn erwürgen wollen, so viel stand jetzt schon fest. Samuel blendete den finsteren Blick in seine Richtung aus und fuhr los. Kein Zögern, kein Überlegen. Es ging wie von selbst. Die Drehung, das Rückwärtsfahren, der kurze Stopp, gefolgt vom dem einfachen Sprung. Samuel landete sicher wieder auf dem Eis und sah zu Devin, der ihn verblüfft anschaute. Von der vorherigen Wut war kein Zeichen mehr zu sehen. Samuel fuhr zu ihm an den Rand.

»So was hast du als Kind gelernt?«, fragte Devin leise und schien kaum fassen zu können, was er gerade gesehen hatte.

Samuel nickte und stützte sich auf der Umrandung ab. »Ein einfacher Toeloop. Kinderkram. Den konnte ich schon nach einem Monat.«

»Sam? Das ist kein Kinderkram. Jedenfalls nicht für mich.« Devins Blick war mehr als eindeutig. »Es sah toll aus.«

»Ich bin völlig aus der Übung«, wehrte er ab.

»Na und? Ich bin kein kritisches Publikum und ich bleibe dabei, es sah toll aus.«

»Na dann ...« Auf zum Rest seines Plans, dachte er, sprach das aber nicht aus, sondern ging vom Eis zu Devin, der ihn erst ratlos und dann misstrauisch ansah, was mit Sicherheit an dem Grinsen in seinem Gesicht lag, das er nicht unterdrücken konnte. »Wie gut ist eigentlich dein Gleichgewicht?«

»Was meinst ...?« Devins Augen weiteten sich begreifend. »Oh nein, vergiss es.«

Samuel lachte nur und hob Devin trotz dessen Proteste aus dem Rollstuhl, um mit ihm zurück aufs Eis zu gehen. »Wenn du weiter so zappelst, landen wir gleich auf der Nase.«

»Hast du sie noch alle?« Devin sah sich unruhig um, hörte aber auf, sich weiter so stark zu bewegen. »Bring mich zurück in meinen Rollstuhl.«

»Ich lass dich nicht fallen«, konterte Samuel belustigt, denn ihm war klar, was Devin jetzt im Kopf herumging. Anderen die Kontrolle zu überlassen, war sein Freund nämlich absolut nicht gewöhnt. Das hatte er in den letzten Wochen mehr als einmal erlebt. Devin ließ sich ungern etwas abnehmen, auch im Bezug auf seinen Rollstuhl, und das hier konnte er nun gar nicht kontrollieren. Devin war ihm praktisch ausgeliefert und das gefiel ihm überhaupt nicht.

»Darum geht es doch gar nicht.« Devin sah ihn wütend an. »Das ist Eis, Sam. Es ist kalt, glatt und darauf brechen sich Leute gerne diverse Knochen, weil sie entweder zu dämlich zum Schlittschuhlaufen oder überhaupt zum Laufen sind.«

»Ich kann beides«, neckte er Devin, worauf der schnaubte. Samuel ließ sich davon nicht stören und drehte mit Devin auf seinen Armen eine Pirouette. Es wäre zumindest eine gewesen, wäre er allein auf dem Eis gelaufen. So aber wurde es mehr der Versuch, weil er nicht auf die Nase fallen wollte und gleichzeitig natürlich Devin sicher festhalten musste. Aber es funktionierte, obwohl es schwer war, so das Gleichgewicht zu halten. Es half, dass Devin jetzt stillhielt und keine plötzlichen Bewegungen machte.

»Sam?« Devin räusperte sich und klang auf einmal verlegen. »Ich bin zu schwer.«

»Bist du nicht«, hielt er dagegen und grinste in sich hinein, als Devin rot wurde. »Noch eine Drehung?« Devin sah ihn an und nickte. »Vertraust du mir?«, fragte er daraufhin, denn er hatte gerade eine Idee.

»Daran arbeite ich noch«, murrte Devin und Samuel lachte.

»Ich formuliere es anders, vertraust du mir soweit, dass ich dich nicht fallen lasse?«

»Ja.«

»Okay«, sagte er und zog seinen Arm unter Devins Beinen weg. »Nicht erschrecken. Leg die Arme um meinen Nacken«, bat er und hielt Devin fest. Der tat es ohne nachzufragen, woraufhin Samuel beide Hände unter Devins Achseln hindurchschob, um sie auf dessen Rücken miteinander zu verschränken. »Ich halte dich so fest und du bist selbst durch deine Hände noch mal abgesichert.«

»Das merke ich, aber wozu ist es gut?«, fragte Devin und sah ihn neugierig an. »Noch eine Pirouette?«

»Nein, eher eine abgewandelte Form der Todesspirale. Ken hat mich mal auf die Idee gebracht. Er fand das toll, als er klein war. Es ist auch ganz einfach.« Samuel grinste unschuldig. »Ich drehe mich und du lernst fliegen.«

»Ähm ...«

»Vertrau mir, Dev. Ich halte dich fest, ich verspreche es.«

»Wehe, wenn nicht«, murmelte Devin und verdrehte seufzend die Augen, weil Samuel daraufhin grinste. »Ich hoffe, ich werde nicht seekrank oder so was.«

Samuel lachte. So mürrisch Devin sich gerade auch gab, die Neugierde in den grünen Augen war nicht zu übersehen. Deshalb stieß er sich ab und begann langsam zu laufen. Da Devin etwas kleiner war als er selbst, passte es größenmäßig perfekt und Samuel brauchte nur eine Runde, um genug Schwung aufzubauen, sodass er stoppen und in die Drehung gehen konnte. Er hätte alles gegeben, was er besaß, um diesen Blick für ewig festhalten zu können, dachte Samuel, als Devins anfängliche Verblüffung in ehrliches Staunen und danach in totale Begeisterung umschlug.

Deshalb hatte er sich in der Reha in Devin verliebt. Dieses laute, begeisterte Lachen und dazu diese wunderschönen, grünen Augen waren völlig ausreichend gewesen. Samuel konnte seinen Blick nicht von Devin abwenden, selbst als er nach und nach langsamer wurde, um ihn wieder auf die Arme zu nehmen. Am liebsten hätte er Devin hier und jetzt gesagt, was er für ihn fühlte, aber Samuel tat es nicht. Sie kannten sich doch kaum und außerdem hatte er Angst, Devin damit zu überrumpeln. Vor allem wegen Amber, fiel ihm ein, und er blieb stehen, mit Devin in den Armen, der ihn grinsend und mit geröteten Wangen ansah.

»Na? Habe ich zu viel versprochen?«

»Nein, hast du nicht«, antworte Devin und wurde auf einmal ernst. »Ich hatte eigentlich gedacht, dass es länger dauert.«

»Länger dauert?«, fragte er ratlos und bekam eine Gänsehaut, als Devin ihn ansah. Vielleicht irrte er sich, aber konnte es sein, dass Devin ähnlich fühlte wie er selbst? Samuel entschied, es hier und jetzt herauszufinden. »Ich mag dich sehr.«

»Nur mögen?«, hakte Devin leise nach und da wäre Samuel fast auf dem Eis gelandet, so überrumpelt war er. Scheinbar sprach sein Blick Bände, denn Devin fing an zu lächeln. »Als echte Männer dürfen wir dieses große Wort mit fünf Buchstaben natürlich nicht aussprechen.«

Samuel musste unwillkürlich grinsen. »Du meinst also, wir dürfen es nur umschreiben?« Devin nickte amüsiert. »Na gut, dann lass mich schnell überlegen ...«, begann er und lachte, als Devin das mit einem »Tze.« kommentierte. »Keine Hektik, gut Ding will Weile haben. Also schön ...« Er räusperte sich übertrieben. »Du bist eine Nervensäge, widersprichst mir ständig und willst keine Dates. Aber du wählst Musik und Filme nach denselben Kriterien aus wie ich. Du magst Autos, was dir auf jeden Fall einen großen Pluspunkt bei meinem Vater einbringt. Oh, und deine Eltern mögen mich.«

»Drei zu Drei«, erklärte Devin grinsend. »Unentschieden.«

»Hm«, machte Samuel und sah sich um. »Dir gefallen meine Hobbys.«

»Okay, vier zu drei Punkte dafür, dass du mich magst. Findest du das nicht etwas zu dürftig?«, neckte Devin und Samuel zwinkerte ihm zu.

»Ich könnte auch kitschig werden und dir erzählen, dass ich deine Augen umwerfend finde, genauso wie dein Lachen.«

»Oh mein Gott.«

Samuel gluckste, was Devin schmunzeln ließ, bevor er eine Hand, die zuvor locker in seinem Nacken gelegen hatte, fest in seinen Haaren vergrub. Er sah Devin an und dessen Blick war mehr als eindeutig. »Du willst mich küssen, oder?« Devin nickte stumm. »Warum tust du es dann nicht?«

»Vielleicht willst du ja gar nicht.«

Und ob er wollte. »Du hast keine Vorstellung wie sehr.«

»Und wenn ich nicht gut küsse?«

Samuel lächelte. »Versuch es einfach.« Statt einer Antwort starrte Devin auf seine Lippen und leckte sich im nächsten Moment über die eigenen. Es war völlig unwillkürlich, das wusste Samuel, es machte ihn aber trotzdem kirre. »Devin, mach das lieber nicht noch mal.«

»Was meinst du?«, fragte Devin verblüfft.

»Dir über die Lippen lecken.«

»Wieso nic...?« Devin brach mitten im Satz ab, als er verstand. »Und wenn ich es doch tue?«

»Wirst du schon sehen, was du davon hast«, drohte Samuel und wie erwartet ließ sich Devin darauf ein. Er beugte sich im selben Augenblick vor, wie Devin erneut seine Zunge sprechen ließ, was in einem Keuchen endete, als er Devins Mund mit seinem verschloss und erst wieder von Devin abließ, als dessen zweite Hand sich fest in seine Jacke verkrallte. »Siehst du? Das passiert, wenn du mich wild machst.«

Devin brauchte einige Sekunden, um zu begreifen. »Wenn das wild ist, brauche ich keine Angst davor zu haben, an Luftmangel zu sterben.«

Samuel blinzelte verdattert, dann lachte er los. Devin Felcon war einfach unglaublich. Keinerlei Erfahrung, aber frech wie Oscar und neugierig noch dazu. Und er hatte Angst gehabt, zu schnell zu sein oder Devin zu überrumpeln. Das Thema konnte er beiseite legen, und zwar umgehend. Devin würde ihm immer sagen, was Sache war. Direkt, ehrlich und ohne langes drum herum Gerede. Gott sei Dank, dachte er und gab Devin einen Kuss auf die Nase, was der mit einem Schnauben kommentierte.

»Nicht genug?«

»Noch lange nicht.«

»Na dann«, murmelte Samuel zum zweiten Mal heute und küsste Devin erneut.

Lange und genüsslich, bis er bemerkte, dass es Zeit war, die Eisbahn zu verlassen, da ihm langsam die Arme wehtaten. Außerdem war es mittlerweile auch ziemlich kalt, weshalb Samuel Devin nach ihrem Kuss zu dessen Rollstuhl zurückbrachte. Sie schwiegen, während er die Schlittschuhe auszog, sie reinigte und verstaute, um dann die große Halle zu verlassen. Samuel schloss ab und warf die Schlüssel wie abgesprochen in den Briefkasten, bevor er die Hände in seine Jackentaschen schob. Vorhin war es ihm noch nicht so kalt vorgekommen.

»Wie spät ist es eigentlich?«

»Fast Mitternacht«, antwortete Devin und sah zu ihm auf. »Geht es nur mir so oder ist das eiskalt geworden?«

»Ich friere auch«, gestand er und entriegelte den Wagen, als sie den Parkplatz betraten. »Vielleicht bekommen wir ja Schnee an Weihnachten.«

»Das wäre schön.«

»Fände ich auch.«

»Sam?« Devin sah zu ihm auf. »Dieser Abend ... Was macht der jetzt aus uns?«

Gute Frage. Die hatte er sich eben auch schon gestellt. »Was wir beide wollen, würde ich sagen.«

»Und was willst du?«

»Dich.« Samuel zuckte mit den Schultern, als Devin ihn forschend ansah. »Ich könnte es umschreiben. Du weißt ja, echte Männer und so.« Devin lachte leise, was ihm Antwort genug war. »Dev? Wenn ich dir erzähle, dass ich in dich verliebt bin, läufst du dann weg?«

»Nein.«

»Ich bin in dich verliebt«, murmelte er daraufhin und nahm Devins Hand, um ihre Finger miteinander zu verschränken. »Ich dachte, ich sag´s dir mal.«

Devin lächelte. »Ich denke, ich bin bis über beide Ohren in dich verknallt, Becks. Ich dachte, ich sag´s dir auch mal.«

Samuel prustete los.

 

 

3. Kapitel

 

 

 

 

»Quatsch.«

»Wetten?«

Samuel sah Colin verblüfft an, der knallrot war. »Im ernst?«

»Na ja ...«

»Du bist ihm wirklich bis nach Australien gefolgt?«, fragte er und grinste, als Colin mit einem Seufzen die Augen verdrehte. »Wow, das muss Liebe sein.«

»Hört ihr jetzt endlich damit auf?«, murrte Colin und wurde dafür von Devin und Mikael ausgelacht, was Colin stöhnen ließ. »Das ist sechs Monate her. Ein halbes Jahr. Aber nein, sie müssen mich immer wieder damit aufziehen. Herrje.«

»Glaubst du ernsthaft, dass ich mir so eine Gelegenheit entgehen lasse? Sam kannte die Geschichte noch nicht«, stichelte Devin und streckte Colin frech die Zunge raus, als der ihm dafür den Stinkefinger zeigte. »Sei froh, dass Adrian nicht da ist. Unser Anwalt für alle Fälle würde dich nur ansehen und dann grinsend fragen, ob er seine FBI-Freunde anrufen soll.«

Colin seufzte, während Samuel belustigt zwischen den drei auf den ersten Blick so unterschiedlichen Männern umher sah, die dennoch beste Freunde waren. Er hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wer dieser Adrian war und wo die ganzen anderen Namen hingehörten, die Devin, Colin und Mikael ständig in den Raum warfen, aber das würde er mit der Zeit schon verstehen. Offenbar gehörte Devin um mehrere Ecken herum zu einer gewaltigen Großfamilie. Damit hatte er zwar keine Erfahrung, aber wenn der Rest dieser Truppe genauso war wie Colin und Mikael, würde er mit ihnen klarkommen.

Dabei war er anfangs etwas nervös gewesen, als Devin ihn vor drei Tagen gefragt hatte, ob er am Wochenende mit zu Colin und Mikael kommen wollte. Ein Männerabend. Filme ansehen, Bier trinken, Chips essen, einfach gemütlich beisammen sitzen. Das hatte er schon ewig nicht mehr gemacht. Aber es machte Spaß. Sogar sehr. Da störte ihn auch nicht, dass es statt Bier alkoholfreie Getränke und statt der Chips ein von Mikael gekochtes Abendessen gab. Aber auf einen Film hatten sie sich bislang nicht einigen können, deswegen lief gerade irgendein Nachrichtensender.

»Dieser Adrian, wer ist das? Und überhaupt, die vielen Namen. Wer gehört da eigentlich zu wem und wohin?«, fragte Samuel schließlich und Devin deutete auf eine Schrankwand, in der jede Menge eingerahmter Bilder standen.

»Guck sie von links nach rechts an. Wir sagen dir, wer jeder ist und wo er hingehört«, sagte Mikael.

Samuel stand auf und trat an die Schrankwand. Er war neugierig und wollte mehr über all diese Menschen auf den Fotos wissen. Mikael, Colin und Kilian waren genauso leicht zu erkennen wie Devin und seine Eltern. Er vermutete, dass die beiden Männer auf einem Bild neben Devin dessen Bruder Dominic und Cameron, Dominics Freund waren.

»Sind das Dominic und Cameron?«, fragte er und nahm das Foto in die Hand, ehe er zu Devin sah, der nickte.

»Links von mir steht Dom, rechts Cam.«

Samuel betrachtete das Paar. Es war deutlich zu erkennen, dass sie sich liebten, was ihn lächeln ließ, während er das Bild zurück ins Fach stellte und sich dann den anderen zuwandte, die er noch nicht kannte. Erstaunt stellte er fest, dass auf einem Bild ein Baby zu sehen war. Samuel hatte ja mit Vielem gerechnet, aber nicht, dass dieses Baby zu zwei Männern gehörte. So wie sie lächelten, konnte es nicht anders sein. Er runzelte irritiert die Stirn. Irgendwie kam ihm der Mann, der das Baby im Arm hielt, bekannt vor, aber Samuel wusste nicht, wo er ihn einordnen sollte.

»Zu wem gehört das Baby?«

»Das ist Isabell.« Colin trat neben ihn, nahm das Foto in die Hand und tippte auf jenen Mann, der das Baby hielt. »Das ist Adrian.« Colin zeigte auf den Mann daneben. »Sein Mann David. Sie sind verheiratet und haben Isa im letzten Jahr zu Weihnachten adoptiert.«

Samuel nickte und ließ sich von Colin die übrigen Mitglieder dieser mehr als großen Familie erklären, die über das gesamte Land hinweg verteilt lebte. Angefangen in Los Angeles, wo Davids bester Freund und zugleich Musiker zu Hause war, weiter über Baltimore, Cape Elizabeth und Cumberland, bis zu ihnen hierher nach Philadelphia. Er würde eine Liste brauchen, um sich das alles merken zu können, dachte Samuel amüsiert und sah Devin an.

»Na? Raucht dir der Kopf?«, fragte der amüsiert und lachte, als Samuel nickte. »Wenn wir nächstes Mal zusammen campen gehen, kommst du am besten mit, dann kannst du dir den Irrsinn live und in Farbe ansehen.«

Samuel gluckste und wandte sich wieder der Schrankwand zu, als der Fernseher auf einmal mit einem Zischen den Geist aufgab. Mikael, Colin und Devin sahen verblüfft auf das Gerät, während Samuel sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte. Nicht schon wieder. Was hatte er bloß an sich, dass ihm das immer wieder passierte? Und dann ausgerechnet hier und heute?

»Was ist denn jetzt los? Der ist doch brandneu«, fragte Mikael verwundert, während Samuel spürte, dass er knallrot anlief, was Devin nicht entging.

»Sam? Du siehst aus, als hättest du uns etwas zu sagen.«

Oh nein. Devin wusste es. Woher auch immer, aber Samuel erkannte es an seinem erstaunt belustigtem Blick. »Äh ...«

Devin fing an zu grinsen. »Es stimmt also wirklich? Ich fass es nicht.«

»Was stimmt wirklich?«, wollten Mikael und Colin wissen.

»Sam killt gerne technische Geräte, hat Ken mir verraten«, petzte Devin und Samuel schnappte entrüstet nach Luft.

»Das hat er dir erzählt? Ich bringe ihn um.«

Devin prustete los.

»Wie ist das gemeint?«, wollte Mikael ratlos wissen, grinste aber gleichzeitig. »Bist du falsch gepolt oder so was?«

Samuel stöhnte und trat sicherheitshalber einen Schritt vom Fernseher weg, bevor der noch in die Luft flog. Das hatte er alles schon erlebt und wollte ungern dafür verantwortlich sein, dass heute Abend das Wohnzimmer seiner Gastgeber abbrannte. So viel Geld hatte er im Moment nicht auf der hohen Kante, um so einen Schaden zu ersetzen, denn Mikael und Colin lebten definitiv auf etwas größerem Fuß als er.

»Ich weiß es nicht. Das passiert dauernd. Schon immer. Ich mache gar nichts und trotzdem geht alles zu Schrott.« Er seufzte leise, als die drei einen Blick tauschten und schallend anfingen zu lachen. Genau diese Reaktion hatte er erwartet. »Das ist überhaupt nicht komisch. Der letzte DVD-Player meiner Eltern ist in die Luft geflogen.« Das sorgte nur für weiteres Gelächter. »Ich sage lieber nicht, was mit meinem Computer passiert ist.«

Colin wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht. »Hast du ihn etwa böse angeguckt und er ist auseinandergefallen?«

Samuel verdrehte frustriert die Augen zur Decke und das Gelächter wurde lauter. Er würde Kendrick umbringen, so viel stand fest. Sein kleiner Bruder konnte so eine Klatschtante sein, dabei war ihm das Ganze auch so schon peinlich genug. Andererseits war es natürlich zu lustig, zumindest für den Betrachter. Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als Devin ihn anlachte und sah auf den Fernseher, um im nächsten Moment ahnungsvoll die Stirn zu runzeln. Bildete er sich das ein oder roch es auf einmal nach angeschmorten Kabeln?

»Was stinkt hier so abartig?«, fragte Colin, ehe er etwas sagen konnte. »Ist das der Fernseher?«

»Habt ihr einen Feuerlöscher hier im Haus?« Samuel wich sicherheitshalber weiter vom Fernseher zurück. Gleich krachte es, da war er sich ganz sicher.

»Ja. Wieso?« Mikael erhob sich alarmiert.

Samuel kam nicht zu einer Antwort, denn im nächsten Moment schoss eine Stichflamme hinter dem Fernseher die Wand hoch bis zur Decke und alle zuckten erschrocken zusammen.

»Ach du Scheiße.« Colin sprang über die Couchlehne, während Mikael bereits kehrtgemacht hatte und das Zimmer verließ, um hoffentlich einen Feuerlöscher zu holen. »Dev, ruf die Feuerwehr an. Sam, komm da weg.«

»Eure Fotos ...«

»Scheiß auf die Fotos, die können wir nachmachen lassen. Scher deinen Hintern hierher, aber dalli!«

 

»Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

»Kein Thema.« Der Feuermann lachte und schaute in seine Richtung. Samuel seufzte leise. »Halten Sie ihn in Zukunft lieber von Ihrem Fernseher fern.«

Heiteres Gekicher aus unzähligen Kehlen war zu hören, bis Mikael hinter den Feuerwehrmännern die Haustür geschlossen hatte, während er zu Tode verlegen neben der Couch stand. Wieso immer er? Und wieso hatte er ausgerechnet heute auch noch das Pech gehabt, auf zwei Feuerwehrleute zu treffen, die Samuel bereits aus früheren Einsätzen nach diversen Vorfällen mit technischen Geräten kannten? Das würde wieder auf allen Feuerwehrwachen in der Gegend die Runde machen, er wusste es. Und wenn er Pech hatte, stand es morgen oder übermorgen in irgendeiner Zeitung, wie damals, als er bei der Beantragung seines ersten Führerscheins zufällig den Computer der Bearbeiterin angefasst hatte. Es hatte einen lauten Knall gegeben, danach war das gesamte System ausgefallen.

»Du kennst also Feuerwehrmänner?«, fragte Devin belustigt und rollte neben ihn.

»Sogar mit Namen«, antwortete Samuel nickend und wich Devins amüsierten Blick aus, um zu Colin zu sehen, der kopfschüttelnd und gleichzeitig mit breitem Grinsen vor den verkohlten Resten des Fernsehers stand. Er würde den Fernseher ersetzen und die Renovierung der Wand, die mit den schwarzen Streifen zwar nicht mal schlecht aussah, aber das würden Colin und Mikael kaum gelten lassen. »Hast du was dagegen, wenn ich mich erschieße?«

Devin prustete los. »Wenn du schon so fragst, ja, habe ich.«

»Gott, das ist mir so peinlich«, murmelte Samuel beschämt und rieb sich übers Gesicht.

»Na ja«, meinte Mikael, der eben ins Wohnzimmer zurückkam. »Ich steh zwar auf schwarz, aber nicht unbedingt auf unserer Wand.«

»Ich ersetze euch alles.«

Colin lachte leise. »Mach dir keinen Kopf deswegen.«

»Oh Mann.« Mikael lehnte sich neben ihn gegen die Couchlehne und Samuel runzelte die Stirn, als er das belustigte Grinsen in dessen Gesicht sah. »Was ist?«

»Ich erinnere mich an eine Geschichte. Ist schon sehr lange her. Ich hatte meinen Führerschein verloren.« Samuel stöhnte schockiert auf und verriet sich damit. »Das warst wirklich du?« Mikael lachte schallend los und weckte dadurch natürlich die Neugierde von Devin und Colin, die sie fragend ansahen. »Ich wollte eben rein und meinen neuen Führerschein beantragen, als plötzlich sämtliche Computer abgestürzt sind.« Mikael sah ihn breit grinsend an. »Wie hast du es gemacht?«

»Ich erschieße mich. Sobald ich zu Hause bin«, grollte Samuel und wurde dafür wieder einmal ausgelacht. Er verdrehte die Augen, gab aber nach, als Devin ihm gegen den Oberschenkel boxte und ihn bittend ansah. »Also schön. Ich habe zufällig einen der Computer angefasst, zufrieden?« Weiteres Gelächter war die einzige Reaktion, die er dazu bekam und Samuel verschränkte schmollend die Arme vor der Brust. »Ihr seid doof.«

Mikael winkte kichernd ab. »Das hören wir ständig. Kilian wird es übrigens super finden und seine Freunde hierher einladen, um allen das neue, supercoole Wohnzimmer seiner Väter zu präsentieren.«

»Bis dahin müssen wir mit der Renovierung warten«, sagte Colin trocken und Samuel bekam den Mund nicht mehr zu.

»Ihr findet das echt lustig, kann das sein?« Die drei lachten ihn zum x-ten Male heute Abend aus, was auch eine Antwort war. »Und ich dachte, ich werde mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt.«

Colin setzte sich aufs Sofa und schaltete eine kleine Anlage ein, die neben der Schrankwand in einem Regal stand. Leise Musik setzte ein. »Wir haben schon ganz andere Sachen erlebt, seit Whiskey bei uns ist. Da kann uns ein abgefackelter Fernseher nicht schocken.«

»Apropos Hund, wo ist er eigentlich?«, fiel ihm ein. »Mir wurde erklärt, dass ich diesen Hund unbedingt und auf jeden Fall kennenlernen muss.«

Colin blickte ihn über die Schulter hinweg misstrauisch an. »Wer hat das zu dir gesagt?« Samuel grinste nur und Colin begriff. »Devin!«

Der tat völlig unschuldig. »Was denn? Es stimmt doch.«

»Ich fass es nicht.« Colin sah Devin finster an. »Du bist ein Verräter. Aber dafür räche ich mich irgendwann.« Colin wandte sich von Devin ab. »Und was deine Frage angeht, Sam, Kilian hat unseren verrückten Hund eingepackt und schläft übers Wochenende bei seinem Freund Steven. Es wird zwar das erste und wahrscheinlich auch das letzte Mal sein, weil Whiskey garantiert irgendetwas Schlimmes anstellen wird, aber Mik und ich hoffen trotzdem das Beste.«

Samuel prustete los.

 

»Was soll ich?«

Samuel sah überrascht auf seine Mutter, die ihn anlächelte und ihm dabei einen zugeklebten Briefumschlag hinhielt. War das ihr Ernst? Devin würde im Dreieck springen, beziehungsweise ihm zuerst einen finsteren Blick zuwerfen und ihm dann diesen Umschlag um die Ohren hauen. Das konnten seine Eltern auf keinen Fall ernst meinen, sie wussten doch, wie Devin war. Einladungen aussprechen war für seinen Freund in Ordnung und Samuel ließ sich gerne darauf ein, aber andersherum war es ein Glücksspiel. Obwohl sie jetzt seit über einem Monat miteinander ausgingen, was Samuel nie so nennen würde, war Devin weiterhin auf der Hut.

Samuel hatte manchmal das Gefühl, als würde er warten. Warten und prüfen, ob er ihm wirklich vertrauen konnte. Damit hatte er kein Problem. Devin war einfach völlig anders als andere Männer, und wenn er Zeit brauchte, um sich komplett auf ihn einzulassen, würde er ihm diese Zeit auch geben. Allerdings würde dieser harmlos wirkende Umschlag seiner Eltern das torpedieren und Samuel war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Nicht dass er Devin nicht gern zum Weihnachtsessen an seiner Seite gehabt hätte, um ihn seinen Eltern vorzustellen. Im Gegenteil. Aber wie gesagt, er kannte Devin.

»Ihm diese Einladung geben«, antwortete seine Mutter und riss ihn aus seinen Überlegungen.

Samuel schüttelte den Kopf. »Das ist keine gute Idee.«

»Ach Samuel, hab ein bisschen mehr Vertrauen in uns und auch in Devin. Er mag vorsichtig sein und mehr Zeit brauchen, als so manch anderer deiner alten Freunde, dagegen ist nichts einzuwenden. Aber denk daran, er ist verliebt in dich. Das hat er dir selbst gesagt.«

»Aber ...«

»Diskutiere nicht mit mir«, wehrte seine Mutter amüsiert ab und drückte ihm den Umschlag in die Hand. »Versuch es einfach und lass ihn selbst entscheiden, ob er kommen möchte.«

»Aber ...«

Sein Vater lachte leise. »Mach es, Junge. Deine Mutter und ich planen das seit Wochen und mehr als Nein sagen kann er nicht. Du versuchst so sehr dich auf Devin einzustellen, nachdem er dir letzten Monat deutlich zu verstehen gegeben hat, dass du zu forsch bist, dass ich langsam das Gefühl bekomme, du traust dich mittlerweile gar nicht mehr, forsch zu sein. Und das ist nicht gut. Für euch beide nicht.«

Samuel seufzte und sah auf den Brief. »Ich habe Angst ihn wieder zu verschrecken.« Er überlegte kurz. »Kann schon sein, dass ich ihn zu sehr bestimmen lasse, aber ich kann nicht anders. Er bedeutet mir zu viel und er wird mir eure Einladung um die Ohren hauen, wetten?«

Seine Eltern lachten, ehe sein Vater ihm zuzwinkerte. »Wird er nicht, weil sie von uns kommt.«

»Hast du eine Ahnung«, murmelte er, was seine Eltern nur wieder lachen ließ. »Er mag so etwas nicht. Er mag ja nicht mal Dates. Er ist wirklich total anders als meine früheren Freunde.«

»Eben drum«, hielt seine Mutter dagegen. »Die Einladung, uns zu Weihnachten zu besuchen, ist kein Date. Wir möchten ihn sehr gern kennenlernen und wie gesagt, mehr als ablehnen kann er nicht. Also fahr los und frag ihn.«

 

Fahr los und frag ihn.

Als wenn das so einfach wäre. Samuel warf einen finsteren Blick auf den Umschlag, der in seinem unschuldigen Weiß vor ihm auf dem Armaturenbrett lag.

Seine Eltern hatten Ideen und Wunschvorstellungen, es war nicht zu glauben. Wie konnten sich beide nur so sicher sein, dass Devin annehmen würde? Samuel musste sich arg beherrschen, den Briefumschlag nicht zu öffnen. Er war so neugierig, was darin stand und gleichzeitig so nervös, dass er seit beinahe einer halben Stunde vor dem Haus der Felcons stand und sich nicht traute, aus dem Wagen zu steigen.

Samuel runzelte die Stirn, als ihm einfiel, was sein Vater gesagt hatte. Dass er zu sehr auf Devins Bedürfnisse achtete, sich selbst dabei aber vergaß. Stimmte das? Er begann zu überlegen und musste seinem Vater schließlich recht geben, denn er hatte es ja selbst gesagt. Aus Angst, Devin zu verschrecken und zu überfordern, hielt er sich zurück. Vielleicht war es langsam an der Zeit, einen oder zwei Schritte vorwärts zu gehen. Es zumindest zu versuchen. Wenn Devin zurückschreckte, konnte er immer noch zum momentanen Tempo zurückkehren.

Schluss jetzt, entschied Samuel und stieg aus dem Wagen. Mit dem Umschlag in der Hand ging er zur Tür und klingelte. Er hörte leise Stimmen im Haus, ein Lachen und dann öffnete ihm Devin die Tür und grinste ihn an. »Na? Hast du dich endlich aus dem Auto getraut?«

Samuel blinzelte verblüfft. »Du hast mich beobachtet?«

Devin nickte belustigt. »Dad hat dich vorhin entdeckt, aber ich dachte mir, du wirst schon einen Grund dafür haben, nachdenklich im Auto zu sitzen. Also habe ich beschlossen erst mal abzuwarten.«

Peinlicher ging es wirklich nicht. Das nächste Mal würde er besser drei Straßen weiter parken, sofern es denn ein nächstes Mal gab. »Äh ...«

Devin fing an zu lachen, als er rot wurde. »Jetzt sag nicht, du hast wieder etwas in die Luft gejagt und willst beichten.«

»Nein!«, empörte sich Samuel, musste dann aber selbst lachen, als Devin ihm frech die Zunge herausstreckte. »Du bist furchtbar, weißt du das eigentlich? Und ich stehe seit einer halben Stunde vor eurem Haus, weil ich dir etwas geben soll, was du mir vermutlich um die Ohren hauen wirst.«

»Hm«, machte Devin und sah amüsiert aus. »Na dann zeig mal her, damit ich entscheiden kann, ob ich es dir tatsächlich um die Ohren haue.«

Samuel reichte Devin den Umschlag, der zuerst überrascht auf das weiße Papier sah und danach mit den Schultern zuckte, weil Samuel auf seinen fragenden Blick hin den Kopf schüttelte. Devin öffnete den Umschlag, zog die Karte heraus, auf der ein Weihnachtsmann mit Schlitten, Rentieren und Geschenken abgebildet war, und grinste darüber, bevor er sie aufklappte.

Devins Grinsen wich einem Stirnrunzeln, dem ein verdutzter Blick in seine Richtung folgte, dann lachte er leise, sah zurück auf die Karte und schüttelte schließlich den Kopf, bevor er wieder lachte und kurz darauf zu ihm aufblickte. Samuel hatte keine Ahnung, was seine Mutter in die Karte geschrieben hatte, deswegen war er sich nicht sicher, was er von Devins Mienenspiel halten sollte.

»Was?«, wollte er leise wissen.

»Du hast unglaubliche Eltern.«

»Ist das gut oder schlecht?«, fragte er verunsichert, was ihm ein Grinsen einbrachte. »Devin? Du machst mich nervös.«

»Weil ich grinse?« Devin schob die Karte mit einem Lachen zurück in den Umschlag.

»Ja.« Samuel runzelte die Stirn. »Was steht eigentlich drin?«

Das Grinsen wurde breiter. »Soll ich etwa heulen? Und das sage ich dir nicht.«

Samuel verdrehte die Augen. »Nein, du Idiot. Und warum nicht?«

»Ja, was denn nun? Heulen darf ich nicht, grinsen darf ich nicht. Du solltest dir mal einig werden«, stichelte Devin auf ihm herum und lachte erneut, als Samuel frustriert aufstöhnte. Dieser verflixte Kerl brachte ihn irgendwann mit Sicherheit in ein frühes Grab. »Und ich sage es dir nicht, weil die Karte nur für mich ist. Ach übrigens, die Antwort ist Ja.«

Samuel blieb überrascht der Mund offen stehen, als er begriff, was Devin ihm gerade gesagt hatte. Auf einmal war ihm völlig egal, was in der Karte stand. Er brauchte eine Weile, um sich wieder einzukriegen, bevor er leise fragte: »Ja?«

Devin nickte und griff nach seiner Hand. »Natürlich Ja. Ich komme gern am vierten Adventswochenende bei euch zum Essen und ich bleibe auch über Nacht. Nur über das Schlafarrangement müssen wir noch mal reden.«

»Schlaf ... Was?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739310312
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Liebesroman Drama Ostküsten Reihe schwul Familie Liebe Romanze

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Thriller, Romanzen und Fantasy. Weitere Informationen zu meinen Büchern und aktuelle News zu Veröffentlichungen findet ihr auf meiner Autorenseite.
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Titel: Herzensangelegenheiten