Lade Inhalt...

Einsame Herzen

von Mathilda Grace (Autor:in)
310 Seiten
Reihe: Die Ostküsten-Reihe, Band 9

Zusammenfassung

Süchtig, ausgestoßen, missbraucht, ohne Zukunft und Perspektive – Sozialarbeiter Jake Porter hat sein Leben all jenen gewidmet, die ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben. Einer dieser Menschen ist Liam Kendall, den ein schwerer Verlust in die Drogensucht getrieben hat. Als Liams Familie Jake um Hilfe bittet, lehnt Jake jedoch ab. Liam ist in seinen Augen noch nicht tief genug gefallen, um ihm helfen zu können. Dessen Familie ist allerdings hartnäckig und sie hat größere Probleme, als es für Jake auf den ersten Blick scheint.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Prolog

 

 

 

 

»Ich bin echt zu alt für den Scheiß.«

Adrian gluckste an Davids Schulter, während er mit geübten Griffen die Manschetten öffnete, mit denen David während ihres Liebesspiels ans Bett gefesselt gewesen war.

»Für dein Alter siehst du aber immer noch verdammt sexy aus und du stöhnst auch verdammt laut.«

»Für dein Alter hast du immer noch eine verdammt heiße Mundakrobatik.«

»Übung macht den Meister, das weißt du doch«, konterte Adrian grinsend, während er Davids Arme massierte und sich danach an die Seite seines Mannes legte. »Ist dir kalt?«, fragte er, weil sie die Decke vorhin aus dem Bett geworfen hatten, um sich freier bewegen zu können.

»Nein, ich strahle Unmengen an Hitze aus. Spürst du nicht die Wellen, die durch deinen Körper rasen?«

Adrian lachte. »Ich dachte, das wäre ich.«

David kicherte und streichelte ihm durchs Haar, das völlig verschwitzt war. »Oh nein, das bin alles ich … Und so ungern ich die Stimmung ruiniere, wir kleben.«

»Dusche?«

»Wäre wohl besser.«

»Kommst du alleine hoch? Du weißt, in deinem Alter ...« Weiter kam Adrian nicht, als David ihn von sich schubste und anfing ihn zu kitzeln. Lachend wehrte er Davids flinke Finger ab, aber sein Mann kannte keine Gnade. »Oh Gott … hör auf … Trey, ich schwöre, ich ...«

Das Telefon klingelte.

»Wer ist das denn jetzt?« David stöhnte genervt, ließ von ihm ab, und hob den Kopf, um zum Nachttisch zu sehen, auf dem seit Jahren eine Uhr stand. Neben dem Telefonanschluss, den sie hier runter verlegt hatten, als Isabell flügge zu werden begann, um im Notfall immer erreichbar zu sein. »Himmel, es ist mitten in der Nacht.«

»Siehst du, wer es ist?«

David schüttelte den Kopf. »Unbekannte Nummer.«

»Oben ist der AB an. Lass es klingeln.«

Adrian zog David wieder an seine Seite. Sie hatten in den letzten Monaten kaum Zeit für sich gehabt und diese erste gemeinsame Nacht im Spielzimmer – nach einer in Adrians Augen gefühlten Ewigkeit –, wollte er sich nicht durch einen unbekannten Anrufer ruinieren lassen.

 

»Adrian, wach auf!«

David sah beunruhigt auf ihn hinunter, als Adrian die Augen aufschlug. »Was ist los?«, fragte er und schlug die Bettdecke zur Seite, um aufzustehen. Wenn David an einem Wochenende frühmorgens komplett angezogen am Bett stand, musste etwas passiert sein.

»Wir müssen ins Krankenhaus.«

Adrian ließ die Hose sinken, nach welcher er gegriffen hatte, um David anzustarren. »Warum?«

David rieb sich die Augen. »Der Anrufer letzte Nacht war Nick. Ich war Brötchen holen und habe die Nachricht abgehört. Er ist mit Tristan im Krankenhaus, deshalb auch die unbekannte Nummer. Liam hat gestern versucht, Tristan zu beklauen. Als der ihn erwischte, ist Liam ausgetickt und hat Tristan eine Glasflasche auf den Kopf geschlagen.«

»Großer Gott.« Adrian schlüpfte fassungslos in seine Hose. »Wie geht es Tristan? Hat Nick etwas gesagt?«

»Sie mussten die Wunde nähen, aber er hatte Glück. Keine Gehirnerschütterung oder andere Verletzungen.« David reichte ihm ein Hemd. »Sein behandelnder Arzt will ihn zur Sicherheit eine Nacht dabehalten. Und wir sollten wirklich dringend mit Nick reden.«

Bei Adrian schrillten die Alarmglocken, als sein Blick Davids traf, der gequält das Gesicht verzog. »Was hat er getan?«

»Ich habe ihn angerufen, bevor ich dich wecken kam. Er ist gerade auf dem Weg ins Büro, um einen Antrag für das Gericht aufzusetzen. Nick will Liam am Montag bis auf Weiteres entmündigen lassen.«

 

 

1. Kapitel

 

 

 

 

Irgendwer zog an seiner Bettdecke, dabei hatte er eben erst das Licht ausgeschaltet.

Jake wehrte sich mit einem wütenden Fluch und fragte sich gleichzeitig, welcher Wahnsinnige es wagte, ihn jetzt zu stören, obwohl jeder im Haus wusste, dass das hier, nach einer Woche Außendienst in den gefährlichsten Gegenden von Baltimore, die erste Nacht in seinem eigenen Bett war. Eine Woche ohne Dusche, ständig draußen unterwegs, keine geregelten Mahlzeiten und vor allem kaum Schlaf. Und das im tiefsten Winter, denn seit Weihnachten schneite es. Mittlerweile war Ende Januar, aber eine Wetterbesserung nicht in Sicht. Darum war Jake mit seinem Bruder Lennox und einigen Freiwilligen unterwegs gewesen. Um dafür zu sorgen, dass die Obdachlosen auf den Straßen Decken, Schlafsäcke und etwas zu essen bekamen.

Eine alljährliche Tradition vom Porter-Haus und Jake hatte nicht vor, je damit zu brechen. Er war Sozialarbeiter geworden, um Menschen zu helfen, die sich nicht selbst helfen konnten, aber dafür bei der Stadt angestellt zu sein, hatte Jake nicht lange ausgehalten. Baltimore fehlte das Geld, um wirklich etwas ausrichten zu können, deshalb war er nach seinem Studium, einigen Praktika und einem Jahr Arbeit beim Sozialamt, in das von seinen Eltern aufgezogene Projekt für Süchtige, Obdachlose und Straßenkinder eingestiegen.

Das Porter-Haus war ein reines Familienprojekt und neben seinem Bruder Lennox, der als Streetworker mithalf, sofern er nicht als selbstständiger Computerspezialist in und um Baltimore unterwegs war, arbeitete auch seine Schwester Maggie im Haus mit. Sie kümmerte sich um die gesamte Organisation und sie war erstklassig darin. Maggie sorgte dafür, dass alles lief und Jake genug Zeit für seine Kids hatte. Sie war seine kleine Schwester und gleichzeitig auch seine beste Freundin, rechte Hand und Helferin für alle Fälle, Notfälle und Unfälle, von denen eigentlich ständig welche im Haus lebten.

Das Porter-Haus war rund um die Uhr geöffnet, falls nötig, und meistens war es das, denn Jake kümmerte sich nur um die schwierigsten Fälle, die alle anderen längst aufgegeben hatten. Problemkids, die total abgestürzt waren und im letzten Augenblick dann doch noch die Kurve gekriegt hatten. Wie alt sie waren, war Jake egal. Er half nur denen, die es wirklich wollten, und die sich bei ihrer Wahl zwischen Leben und Tod für das Leben entschieden hatten. Viele Freunde hatte er sich mit dieser kaltherzigen Einstellung in den vergangenen Jahren nicht gemacht, aber das kümmerte ihn nicht. Baltimore hatte zu viele Drogensüchtige und Problemkids auf den Straßen, und wenn er pro Jahr auch nur einen einzigen retten konnte, war das genau der Erfolg, der ihm immer wieder recht gab und der Jake weitermachen ließ.

Für Preston, der es nicht geschafft hatte, und dessen Tod seine Eltern zum Anlass genommen hatten, all ihre Zeit, Liebe und Geld in dieses Projekt zu stecken, das nun ihm gehörte.

Sein ältester Bruder war an einer Überdosis Heroin gestorben und hatte mit seinem Tod den Grundstein für ein Wohnprojekt gelegt, das seit nun mehr fünfzehn Jahren existierte, die letzten zehn davon in Jakes Hand. Jake steckte sämtliche Energie in die Rettung gefallener Kinder, junger Erwachsener und Menschen, die niemand mehr wollte und die von ihren Familien, sofern sie noch eine hatten, aufgegeben worden waren.

Als das Licht anging, gab Jake den Kampf um seine Bettdecke auf. »Verdammt, was ist denn?«

»Telefon für dich. Ein Notfall.«

Maggie hielt ihm das Telefon hin. Jake seufzte, bevor er sich aufsetzte, um den Anruf anzunehmen. »Ja?«, fragte er müde und grinste, als Maggie lautlos gähnte und sich neben ihn aufs Bett fallen ließ. Er warf ihr die Decke über den Kopf und stand auf, um sich in der kleinen Küchenzeile, die zu seinem Zimmer gehörte, einen Kaffee zu machen.

»Jake Porter?«

Jake war erstaunt. Er kannte die Stimme am anderen Ende der Leitung, obwohl er sie seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Den vielen Berichten, die nach Kilians Entführung über Wochen hinweg in allen Zeitungen gestanden hatten, war Jake absichtlich aus dem Weg gegangen, weil er sich nicht auch noch Sorgen um einen früheren Schulkameraden machen wollte. Er hatte genug andere Probleme gehabt. »Kilian McDermott, der irische Überflieger. Wie geht’s dir denn?«

»Nicht gerade super, deswegen rufe ich dich an. Sorry, dass ich so früh störe.«

Das klang nach Ärger und Jake wusste, welche Form dieser Ärger hatte. Es erstaunte ihn jedoch, dass Kilian deshalb ihn anrief. Sie kannten sich zwar von früher und hatten eine Weile die gleiche Schule besucht, bis seine Eltern Philadelphia hinter sich gelassen hatten, um nach Baltimore zu ziehen. Freunde waren sie allerdings nicht gewesen. Es hatte sich irgendwie nie ergeben. Trotzdem mochte Jake den Iren und hatte sich in den vergangenen Jahren auch einige von Kilians Bildern gekauft.

Jake setzte Kaffee auf und drehte sich dann um. Sein Blick schweifte unwillkürlich zu einem Landschaftsbild von Kilian, das neben seinem Bett an der Wand hing. Es war ein Gemälde von einer Straße, beleuchtet von der Sonne. Es hatte Ähnlichkeit mit der 'Route 66', und aus diesem Grund hatte Jake es gekauft. Diese Straße war ein Synonym für sein Leben. Frei, aber einsam.

»Es war in den Nachrichten. Rufst du deswegen an?«, hakte Jake nach, als Kilian nichts mehr sagte.

»Ja, ich weiß. Ich habe es gesehen. Das Patenkind des früheren Oberstaatsanwalts von Baltimore versinkt immer tiefer im Drogensumpf. Zum Kotzen!«

»Wie schlimm ist es?«, fragte Jake und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Er musste dringend schlafen, sonst würde er bei der wöchentlichen Teambesprechung morgen nicht bei der Sache sein, und das konnte er sich nicht erlauben. Es war auch nicht sein Stil. »Gib mir nur eine Kurzfassung. Ich war die letzte Woche auf der Straße unterwegs und bin hundemüde.«

»Okay, aber zuerst muss ich wissen … Wie gut kennst du unsere Familiengeschichte?«

Jake drehte sich wieder um und blickte sehnsüchtig auf den durchlaufenden Kaffee. »Kaum.«

»Gut, um es in wenigen Sätzen zu erklären ... Einer meiner besten Freunde, Noah Kendall, wurde bei einer Schießerei in New York City beinahe umgebracht. Ein Kopfschuss. Noah hat sein Gedächtnis verloren, und zwar dauerhaft. Sein Zwilling, Liam, kommt damit nicht klar und hat angefangen Drogen zu nehmen. Seine Väter haben ihn jetzt entmündigen lassen. Wir wissen nicht mehr weiter. Er lässt sich nicht helfen.«

Ein typischer Einstieg bei Drogensüchtigen und eine normale Reaktion der liebenden Familie. Jake zuckte nur mit den Schultern, denn dieselbe Geschichte hatte er in den vergangenen Jahren so oft zu hören bekommen, dass sie ihn nicht mehr berührte. Besser gesagt, er ließ nicht zu, dass es das tat.

»Lasst ihn abstürzen.«

Entsetztes Schweigen war die einzige Antwort, die er bekam, was er erwartet hatte. So reagierten Familien und Freunde immer wieder, wenn jemand aus dem persönlichen Umfeld süchtig wurde.

»Versteh mich nicht falsch, aber wer keine Hilfe will, bekommt keine. Nicht von mir.«

»Jake ...«, begann Kilian.

»Was nimmt er?«, fragte Jake dazwischen.

»Wir wissen von Clubdrogen und Alkohol. Außerdem vermuten wir, dass er mit härteren Sachen zu tun hat.«

»Wie lange und tief steckt er in der Szene?«, fragte er weiter, denn er brauchte Details, um seine Absage besser erklären zu können. Kilians resigniertes »Wir wissen es nicht.« ließ ihn die Stirn runzeln. Hinter der Geschichte steckte mehr, als Kilian ihm erzählte, aber er würde nicht danach fragen, denn Jake hatte nicht vor, Liam zu helfen. »Warum die Entmündigung?«

»Er hat ...« Kilian stoppte und in dem Augenblick verstand Jake, dass die Geschichte, die er nicht kannte, verdammt übel sein musste. »Liam hat vor einer Woche versucht, seinem Vater Tristan Geld zu klauen. Als der ihn erwischte und zur Rede stellen wollte, hat Liam ihm eine Flasche über den Kopf gezogen und ist abgehauen. Nick, sein zweiter Vater, ist Anwalt. Er hat daraufhin bei Gericht die Entmündigung erwirkt, um zu verhindern, dass Liam in den Knast geht.«

Zwei Väter? Jake gestand sich ein, dass er neugierig war, dennoch stellte er keine Fragen. Stattdessen nahm er den fertigen Kaffee, trank einen Schluck und überlegte nebenbei. Was er jetzt zu sagen hatte, würde Kilian nicht gefallen, aber er hatte Prinzipien und die würde er nicht brechen. Jake hatte es einmal getan und dadurch einen seiner Brüder verloren. Den Fehler würde er kein zweites Mal begehen.

»Ihr hättet Liam nicht entmündigen dürfen«, sagte er und hörte, wie Kilian am anderen Ende der Leitung Luft holte. »Ich weiß, wie das klingt, aber du würdest nicht anrufen, wenn du keinen Rat und keine Hilfe willst. Ich helfe Drogensüchtigen, Huren, Callboys und all den Verlorenen, die niemand mehr haben will. Ich tue das seit Jahren, aber ich verschwende meine Zeit nicht mit Junkies, die keine Hilfe wollen.«

Kilians Entsetzen war fast durch die Leitung spürbar. »Wir können ihn doch nicht fallen lassen.«

Jetzt kam der schwerste Teil. Jener Teil, den Jake am meisten verabscheute, und der zugleich der Wichtigste war. »Doch, das könnt ihr. Ihr müsst es sogar. Denn erst, wenn Liam so weit am Boden ist, dass es nicht mehr tiefer abwärts geht, kann ich ihm helfen.«

»Und wenn er dann tot ist?«

Kilian war aufgebracht, was Jake erwartet hatte. Es würde allerdings noch schlimmer werden, das wusste er aus langjähriger Erfahrung. »Ihm bleiben zwei Möglichkeiten. Leben oder sterben. Wofür er sich entscheidet, ist Liams Sache, nicht eure. Wenn er leben will, wird er es euch auf irgendeine Weise wissen lassen. Wenn nicht, so leid es mir auch tut, hat er Pech gehabt.« Jake verkniff sich ein Seufzen, als Kilian schwieg. »Sag es ruhig. Ich höre das ständig.«

»Du gefühlloses Schwein!«

Jake nickte. »Ich weiß, dass ich das bin. Ich muss es sein, weil mich mein Job sonst völlig fertigmachen würde. Ruf mich wieder an, wenn er seine Wahl getroffen und sich für das Leben entschieden hat. Dann werde ich Liam helfen.«

Jake legte auf, ohne Kilian die Möglichkeit zu geben, noch etwas zu sagen. Er trank schweigend seinen Kaffee und wartete. Allerdings hatte Maggie diesmal mehr Geduld, als er es von ihr kannte, denn normalerweise hielt sie ihm nach solchen Anrufen immer einen Vortrag darüber, dass er zu gefühllos war. Heute kam jedoch kein Wort von ihr und Jake fing an zu grinsen, als ihm ein Gedanke kam. Er stellte die Tasse in die Spüle und ging zum Bett, um vorsichtig die Decke anzuheben.

Aus seinem Grinsen wurde ein liebevolles Lächeln, als er sich vorbeugte und Maggie einen Kuss auf die Stirn gab. »Träum süß, Schwesterchen«, flüsterte er, weil er sie nicht wecken wollte, bevor er sich eine Ersatzdecke nahm und sich vorsichtig neben sie legte, um endlich ein paar Stunden zu schlafen.

 

 

2. Kapitel

 

 

 

 

Jake wurde von Gitarrenmusik geweckt.

Er brauchte eine Weile, um wachzuwerden und zu begreifen, dass im Gemeinschaftsraum des Hauses sein jüngster Bruder saß und spielte. Chris war in ihrer Familie der Einzige mit musikalischer Begabung, und hatte trotz seiner erst zweiundzwanzig Jahre bereits vor einem Jahr einen Job in einem der bekanntesten Clubs in Las Vegas bekommen. Chris versuchte im Musikbusiness Fuß zu fassen und Vegas war garantiert nicht der schlechteste Ort, um eine Karriere zu starten.

Jake streckte sich und warf dabei einen Blick auf die Bettseite neben sich. Seine Decke lag ordentlich gefaltet am Fußende, was ihn grinsen ließ. Maggie hatte einen ziemlichen Ordnungsfimmel, aber der fiel neben dem Kleidungs-, Bücher-, Taschen- und Schuhfimmel nicht sonderlich auf. Er schlug seine eigene Decke beiseite und stand auf, um sich zu strecken und danach das Bad in Beschlag zu nehmen. Obwohl er bei seiner Rückkehr vergangene Nacht ausgiebig geduscht hatte, kämpfte Jake immer noch gegen das Gefühl an, dreckig zu sein und zu frieren. Wie jedes Mal, wenn er im Winter unterwegs war. Lennox würde es nicht anders gehen.

Mit einer frisch gefüllten Kaffeetasse in der Hand, schlenderte er schließlich nach unten in sein Büro, stöhnte beim Anblick des überquellenden Schreibtisches laut auf und machte eilig wieder kehrt, um nachzusehen, ob Maggie schon in ihrem eigenen Büro saß.

Jake hatte Glück. »Morgen.«

»Selbst Morgen«, erwiderte sie, mit Blick auf einen Brief in ihren Händen.

»Hast du Neuigkeiten für mich?«, fragte Jake und ließ sich auf der Schreibtischkante nieder, was ihm einen finsteren Blick einbrachte, da Maggie das nicht leiden konnte. »Auch dein böser Blick kann meine gute Laune an diesem herrlichen Montagmorgen nicht trüben.«

»Wer an einem Montagmorgen gute Laune hat, gehört erschossen«, grummelte sie und hielt ihm den Brief hin. »Von der Bank.«

Jake verzog das Gesicht und erhob sich wieder, den Brief in ihrer Hand dabei ignorierend. »Ich meinte damit eigentlich, ob du schöne Neuigkeiten für mich hast?«

»Ich lasse dir das durchgehen, da du eine Woche im Schnee unterwegs warst«, antwortete Maggie gnadenlos und legte den Brief in die Ablage. »Er bleibt hier liegen, so lange es irgendwie geht, dann bekommst du ein gutes Antwortschreiben von mir, das du schweigend unterzeichnen wirst, verstanden? Vielleicht kriegen wir noch mal einen Aufschub.«

»Maggie ...« Ihr warnender Blick ließ Jake mit einem verlegenen Grinsen verstummen. Schulterzuckend setzte er sich zurück auf die Schreibtischkante. »Okay, was gibt es noch?«

»Rechnungen, um die ich mich kümmern werde, und Trevor hat mich angerufen und gefragt, ob wir eine Lieferung haben wollen, die für einen Kunden war, der heute früh plötzlich abgesprungen ist. Mehrere Bleche Kuchen und ein ganzer Sack Baguettes. War wohl für eine Party. Er ist jedenfalls stinksauer und gibt alles, was wir nicht wollen, an die Armenküche.«

»Was hast du ihm gesagt?«

»Das wir auf jeden Fall einen Stapel der Baguettes und ein Blech Kuchen nehmen. Die Kids freuen sich darüber und mehr kriegen wir sowieso nicht unter.« Maggie griff nach einem weiteren Brief. »Übrigens, Trevor hat mir letzte Woche beim Einkaufen geholfen.«

Jake runzelte die Stirn. »Wieso denn Trevor? Wo war Grant am Freitag?«

»Nicht hier, wie üblich.« Maggie sah zu ihm auf. »Wenn du jetzt keinen Einspruch erhebst, schicke ich noch heute die Kündigung raus. Ich brauche Leute im Haus, auf die ich mich verlassen kann, wenn du nicht da bist. Grant gehört nicht dazu.«

»Er braucht den Job«, warf Jake ein, obwohl es ihn ärgerte, dass Grant Maggie zum wiederholten Male hatte sitzenlassen.

Grant war nie zuverlässig gewesen, aber Jake kannte Grants Vater, der ein Freund seiner Eltern gewesen war, und hatte ihm einen Gefallen tun wollen. Er würde Jim anrufen müssen, um ihm zu sagen, dass Grant den Job los war. Jake seufzte innerlich. Er hasste derartige Anrufe wie die Pest, aber Jim Willows konnte nichts dafür, dass er einen Sohn hatte, der auf dem besten Weg war, sich sein Leben völlig zu versauen.

»Er will den Job aber nicht. Jedenfalls nicht mehr.« Maggie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Sei nicht böse, aber Grant ist völlig unzuverlässig, seit er mit diesen Kerlen aus dem Kavanaugh rumhängt. Ich habe Magnus gefragt, ob er mir in Zukunft aushilft.«

Jake hob eine Braue. »Du denkst, er ist bereit dazu?«

Maggie nickte und begann dabei mit ihrem Kugelschreiber zu spielen. »Er war einer der schlimmsten Typen, die du jemals in dieses Haus geschleppt hast, aber jetzt ist er clean und will es unbedingt bleiben. Um das zu erreichen, braucht Magnus eine neue Perspektive. Damit er weiter auf die Füße kommt. Die erhält er mit einem sicheren Job bei uns.«

»Wie viel Verantwortung willst du ihm geben?«

»Weiß ich noch nicht«, antwortete Maggie grüblerisch. »Ich werde sehen, wie er sich macht. Erst mal nehme ich ihn jede Woche mit zum Einkaufen und mache ihn mit der übrigen Organisation vertraut. Den Großteil kennt er ohnehin schon, er ist lang genug bei uns. Trevor hat ihm zudem einen Aushilfsjob in der Bäckerei angeboten.«

Jake schmunzelte, weil ihm plötzlich klar war, was sie wollte. »Das heißt, ich bin jetzt dafür zuständig, dass er seine eigene Bude bekommt?«

»Du hast es erfasst.« Maggie grinste. »Du kennst deine Leute und weißt, wo was frei ist. Wir haben zwar derzeit ein Zimmer leer stehen, aber er kann nicht ewig im Haus leben. Wenn es irgendwie geht, besorg ihm vorläufig ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft.«

Jake nickte nur. Magnus hatte gern Gesellschaft und war im Grunde ein pflegeleichter Typ. Kaum zu glauben, wenn er daran dachte, wie er ihn vor zwei Jahren gefunden hatte. Halb tot in einer Gasse. Niedergestochen bei einem Streit um Kokain, war Magnus blutend Richtung Straße gekrochen, weil er nicht sterben wollte. Jake hatte ganze sechs Wochen gebraucht, um Magnus' Vertrauen zu gewinnen, und mehrere Monate, um ihn wieder aufzupäppeln. Seither wohnte Magnus im Porter-Haus und Jake wusste, dass auf Maggies Einschätzung immer Verlass war. Die Zeit war reif, dass Magnus einen weiteren Schritt in sein neues Leben machte, also würde Jake sich darum kümmern, dass er die Gelegenheit dazu bekam.

»Ich erledige das«, sagte er und Maggie wandte sich zufrieden wieder ihrem Schreibtisch zu, der genauso voll war wie sein eigener. »Was hast du mir da eigentlich alles auf meinen Schreibtisch gepackt?«

»Das willst du nicht wissen.« Maggie grinste frech und Jake stöhnte. »Setz einfach deine Unterschrift unter die Briefe in der Mappe 'wichtig' und gib sie mir heute Abend zurück.«

»Ja, ja«, nörgelte Jake und stand auf, um sich etwas zu essen zu suchen und dann seinen Schützlingen im Haus guten Morgen zu sagen.

Aktuell waren es vier.

Magnus, Emma und die Brüder Zachary und Ben, die nach dem Mord an ihren Eltern vor einem Dreivierteljahr abgestürzt waren. Lennox war bei einer Tour durch die Stadt auf die beiden aufmerksam geworden und hatte sie Anfang Dezember ins Haus geholt. Da war Emma schon bei ihnen gewesen. Sie lebte seit vier Monaten hier und war Jakes großes Sorgenkind. Auch wenn sie sich nicht mehr an wildfremde Männer auf der Straße verkaufte und aufgehört hatte zu trinken, kam er einfach nicht an sie heran. Jake hatte Kontakt zu ihren Eltern aufgenommen, um mehr zu erfahren. Das hatte sich jedoch als Sackgasse entpuppt. Schlimmer noch, die Chesters waren aus allen Wolken gefallen, als er ihnen die Wahrheit gesagt hatte. Dem Ehepaar war es ein Rätsel, wieso ihre Tochter auf dem Straßenstrich angeschafft hatte, und sie waren froh, dass sie es jetzt nicht mehr tat. Für Jake war das leider zu wenig. Um Emma richtig helfen zu können, musste er wissen, was passiert war, aber darüber konnte er im Augenblick nur Vermutungen anstellen.

»Bevor ich es vergesse …«

Maggies Worte rissen ihn aus seinen Grübeleien bezüglich Emmas Vergangenheit. Jake hielt mit einer Hand am Türknauf inne und sah über die Schulter zurück. »Ja?«

»Magnus hat zu mir gesagt, dass ich einen Teil seines Gehalts einbehalten soll.«

»Mist«, murmelte Jake, der genau wusste, was Maggie ihm damit sagen wollte. »Ich regle das.«

Maggie nickte. »Du hast übrigens Besuch.«

»Wen?«

Maggie warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie sich weiter um ihren Papierkram kümmerte. »Ich denke, der Anruf von heute früh hat damit zu tun.«

»Na super.«

Jake verdrehte die Augen zur Decke und verließ mit einem Seufzen das Büro, während Maggie lachte. Warum überraschte ihn das nicht einmal? Bei seinem Glück saß Liams Patenonkel Adrian Quinlan im Gemeinschaftsraum auf dem Sofa, um ihn zu überreden, sich Liam Kendalls doch anzunehmen. Jake war nicht sauer darüber, im Gegenteil. Er hatte viel Verständnis für diese Familie, die Liam über alles liebte und ihm helfen wollte.

Aber Jake hatte Prinzipien und würde seine Meinung nicht ändern. Auch nicht für den ehemaligen Oberstaatsanwalt von Baltimore.

 

 

3. Kapitel

 

 

 

 

Jake war ehrlich überrascht, als er nicht den bekannten Anwalt auf seiner Couch entdeckte, sondern dessen Mann David, der Chris Gesellschaft leistete. Die beiden waren in eine gestenreiche Fachsimpelei über Musik verstrickt, was für Jake ziemlich lustig aussah. Magnus, Zachary und Ben waren auch anwesend und taten so, als wären sie schwer damit beschäftigt, im Fernsehen einer Serie zu folgen, dabei lag ihre gesamte Aufmerksamkeit auf David Quinlan. Jake stutzte, als er bemerkte, dass sogar Emma, die sich hinter einem Buch verschanzt hatte, seitlich daran vorbeisah, als David Chris die Gitarre abnahm und ein ruhiges Lied anstimmte.

U2, wenn er sich nicht irrte. Jake lehnte sich an die Wand, die den Essbereich vom Wohnraum trennte, und hörte zu. Dass Chris gut war, wusste er, aber von Davids Musiktalent hatte er keine Ahnung gehabt. Jake kannte ihn als Künstler und mochte seine Bilder genauso wie die von Kilian.

Chris entdeckte ihn und grinste. »Hey Paps, ohne den Kaffee am Morgen geht immer noch nichts, was?«

»Ich geb dir gleich Paps, du Küken«, grummelte er gespielt finster, was Chris und die anderen zum Lachen brachte.

Diese Anrede war schon seit Jahren ein Jux zwischen Chris und ihm, da Jake als Ältester in der Familie, nach dem Tod ihrer Eltern, für Chris ein Ersatzvater geworden war. Jake trat schmunzelnd in den Gemeinschaftsraum, warf seinen Kids einen prüfenden Blick zu und lachte, als das von Ben mit einer herausgestreckten Zunge kommentiert wurde. Er stellte seine Kaffeetasse auf den Couchtisch und gab David die Hand, der Chris seine Gitarre zurückgegeben und sich erhoben hatte, um ihn zu begrüßen.

»Ich hatte eigentlich mit Ihrem Mann gerechnet.«

David Quinlan schmunzelte. »Keine Sorge. Adrian ist auch hier. Er unterhält sich vor dem Haus mit einem Hünen, der wie ein echter Wikinger aussieht.«

Jake grinste. »Trevor Fairchild. Er gehört zur Familie. Besser gesagt, er wird es, sobald er Maggie endlich überredet hat, ihn zu heiraten.«

»Jake!«, schallte Maggies entrüstete Stimme zu ihnen in den Wohnraum und wieder lachten alle.

Jake winkte David zur Tür. »Lassen Sie uns eine Runde spazieren gehen. Meine Schwester hat etwas gegen das Heiraten, ich setze in dem Fall trotzdem auf Trevor. Er hat mehr Geduld als sie.« Jake zog seine Jacke an und öffnete die Haustür, ehe er über die Schulter sah. »Stellt nichts an, ich erfahre alles.«

»Ja, ja«, schallte einstimmig in den Flur und Jake ließ David den Vortritt, der sichtlich belustigt aus dem Haus trat und dabei auf Trevors Kleinlaster deutete, der mit offen stehenden Türen in der Einfahrt stand.

»Was hat es mit den vielen Baguettes auf sich?«

»Ein Kunde ist ihm kurzfristig abgesprungen und hat Trevor mit seiner Bestellung sitzengelassen. Er überlässt uns einen Teil, der Rest geht an die Armenküche.«

Jake hob seine Hand zum Gruß, als Trevor in ihre Richtung sah, was der nickend erwiderte, bevor er sich weiter mit Adrian Quinlan unterhielt, der in seiner teuren Kleidung komplett deplatziert wirkte, sich daran allerdings nicht zu stören schien. Jake betrachtete David einmal von Kopf bis Fuß. Stiefel, Jeans, gefütterte Winterjacke. Das komplette Gegenteil seines Mannes im Anzug, einem maßgeschneiderten Mantel und Schuhen, die mit Sicherheit aus echtem Leder waren.

»Er sieht das gar nicht.«

»Was?«, fragte er verdutzt und begriff, als sein Blick auf Davids traf. Dem Künstler war seine Musterung nicht entgangen. »Wie kann er das nicht sehen? Es ist offensichtlich.«

»Nur wenn man wirklich darauf Wert legt, jemanden nach Äußerlichkeiten zu beurteilen, was Adrian nicht tut. Das hat er noch nie.«

Das war deutlich. Jake nickte verstehend und ließ das Thema fallen. Stattdessen deutete er auf Trevor. »Er hat eine Bäckerei und liefert uns einmal pro Woche frei Haus Brot, Brötchen, Kuchen, Toastbrot und alles, was ihm sonst noch so einfällt. Ich habe anfangs den Fehler gemacht, ihn dafür bezahlen zu wollen.« Jake schaute zu David, dessen gerunzelte Stirn eine eindeutige Sprache sprach. »Und ich würde es Ihnen verdammt übel nehmen, wenn Sie annehmen, dass Ihr Scheckbuch etwas daran ändert, was ich zu Kilian gesagt habe.«

David seufzte. »Nehmen Sie es mir auch übel, dass ich zumindest daran gedacht habe, es zu versuchen?«

»Nein«, antwortete Jake und meinte es so. »Ich wäre eher verwundert gewesen, hätten sie nicht darüber nachgedacht. Ihr Mann hat einen Ruf, Mister Quinlan, und ich kann mir denken, dass er das Porter-Haus genau unter die Lupe genommen hat. Sie werden also bereits wissen, dass wir Geldprobleme haben. Aber auch das ändert nichts an meinen Prinzipien. Es gibt in Baltimore und der näheren Umgebung genug Entzugskliniken. Bringen Sie Liam dorthin. Hier habe ich keinen Platz für ihn.«

»Sie haben derzeit ein freies Zimmer«, warf David ein und sah ihn prüfend an.

»Und?«

Jake verkniff sich ein Grinsen, als David Quinlan ihn empört ansah, weil er so offensichtlich mit einer anderen Antwort gerechnet hatte, dass es für ihn schon fast lustig war. Mit Sturköpfen kannte Jake sich schließlich aus und David hatte offenkundig nicht vor, allzu schnell aufzugeben. Er schlug den Weg zum Wald ein, der hinter dem Haus begann, auf einen Spazierpfad zu, den er gerne benutzte. Der schmale Pfad führte bis zu einem Bachlauf, der vom Lake Roland gespeist wurde.

Jake hatte vor ein paar Jahren eine Bank und einen Tisch an der Stelle aufgestellt, und ging im Sommer mit seinen Kids oft dort picknicken oder stellte ein Zelt auf, um eine Nacht zu bleiben. Jetzt war zwar alles komplett verschneit und der Bachlauf zugefroren, aber zum Reden war dieser Platz immer gut. Das Porter-Haus stand so weit außerhalb Baltimores, dass es kein Problem war, ein Lagerfeuer zu machen und zu grillen. Es war eine wirklich schöne Gegend, die seine Eltern mit Bedacht ausgesucht hatten. Abgelegen, ruhig, mit einer grandiosen Natur, aber zugleich nah genug am Greater Baltimore Medical Center gelegen, wenn sie schnell einen Arzt brauchten.

»Wie kommt er damit zurecht?«, fragte Jake, woraufhin David ihn irritiert ansah. »Ihr Mann, meine ich. Oder ist er jeden Tag der Grund dafür, dass ein Mitglied seiner Familie von der Presse durch den Dreck gezerrt wird?«

Davids Erstaunen war echt. »Sie sind gut, Jake.«

»Das ist mein Job«, konterte er trocken und zuckte mit den Schultern, als David ihn nachdenklich ansah. »Außerdem war es logisch. Ihr Name ist nicht berühmt, aber doch bekannt, und sobald Kids reicher Eltern durch Drogen auffallen, stürzt sich die Presse wie Aasgeier auf sie. Und weil der ehemalige Oberstaatsanwalt von Baltimore in die Sache involviert ist … Mehr muss ich kaum sagen, oder?«

David verdrehte die Augen. »Nein, müssen Sie nicht. Und Aasgeier trifft es verdammt gut. Letzte Woche stand ein Reporter bei Liams Vätern vor der Tür. Adrian fand das gar nicht komisch und hätte der Zeitung am liebsten Konsequenzen angedroht. Er hatte so einige Mühe, Tristan davon abzuhalten, dem neugierigen Typen eine reinzuhauen.«

»Verständlich.« Jake runzelte die Stirn. »Ist seitdem mehr in der Richtung passiert?«

»Nein, und ich bin froh darüber«, sagte David. »Es würde das Ganze für Liam und seine Väter noch schlimmer machen, und das ist auch der Grund, warum Adrian wegen der Zeitung nichts getan hat. Was nicht heißt, dass er es vergessen hätte.«

Adrian Quinlan war stinksauer, was Jake sehr gut nachvollziehen konnte. »Hat Kilian mich angerufen, um Liam aus der Schusslinie zu bekommen?«, fragte er, weil ihm das logisch erschien, doch David schüttelte den Kopf.

»Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht einmal, dass er mit Ihnen Kontakt aufgenommen hat. Er hat es uns erst heute Morgen erzählt und danach haben Adrian und ich beschlossen herzufahren. Nachdem mein Mann ein paar Anrufe gemacht hat, um sich zu erkundigen, wer Sie sind … Wir sind mit unserem Latein schlichtweg am Ende, was Liam betrifft. Und von seinen Vätern fange ich besser gar nicht erst an.«

Jake schätzte Ehrlichkeit und dass David Quinlan ihm gegenüber kein Blatt vor den Mund nahm, verschaffte dem jede Menge Pluspunkte. Jake traf spontan einen Entschluss. »Zuerst mal, ich bin Jake, fertig. Kein Sie, kein Mister, klar? Zweitens, ich bleibe dabei, was ich Kilian gesagt habe. Sobald Liam Hilfe will, bekommt er sie. Nicht vorher. Drittens, mir ist bewusst, dass Liams Väter nur helfen wollten, aber diese Entmündigung war ein Fehler.«

»Ich weiß«, gab David zu und fuhr sich durch graues Haar, das früher braun gewesen war, so viel wusste Jake von Bildern. »Aber wir sind nicht seine Väter und Nick hat nicht mit sich reden lassen, nachdem Liam Tristan niedergeschlagen hatte. Ich kann ihn verstehen, aber es wird trotzdem nicht funktionieren. Übrigens, ich bin David, fertig.«

Jake grinste. »Geht klar, David. Wo ist Liam jetzt?«

»Wissen wir nicht.«

»Er ist verschwunden?« Jake war überrascht.

»Ja. Wir suchen nach ihm und das Ganze ist nur noch nicht bei der Presse durchgesickert, weil Adrian sich um alles kümmert. Er hat Leute engagiert, die Liam finden sollen. Nur bislang ohne Erfolg.«

»Ihr haltet die Polizei heraus«, verstand Jake und wiegte bedächtig den Kopf. »Ist vielleicht besser so.«

»Soll heißen?«

»Meiner Erfahrung nach, bedeutet die Polizei in derartigen Fällen mehr Ärger als Nutzen. Wer auf der Straße nicht gefunden werden will, der wird auch nicht gefunden. Es sei denn, er liegt tot in einer Seitenstraße.« David wurde blass und Jake sah ihn ernst an. »Stellt euch darauf ein, auch wenn das hart klingt. Ein Süchtiger, der keine Hilfe will, endet früher oder später in der Leichenhalle.«

»Nicht Liam!«

Jake sah über die Schulter. Adrian Quinlan kam auf sie zu und hatte seine letzten Worten offenbar gehört. Er drehte sich um und streckte eine Hand aus. Der Anwalt ergriff sie. »Hallo, Adrian Quinlan.«

»Hallo, Jake Porter.« Adrian drückte seine Hand und stellte sich anschließend neben David, um dessen Hand zu ergreifen. »Habt ihr schon Freundschaft geschlossen?«

»Jake hat mir einen freundlichen Vortrag darüber gehalten, dass er von meinem Scheckbuch nichts hält und mir hinterher das Du angeboten.«

»Das gilt im Übrigen auch für Sie«, mischte sich Jake ein, als das Paar einen amüsierten Blick tauschte. »Es sei denn, Sie haben vor, mit Ihrem eigenen Scheckbuch zu wedeln.«

»Ich gebe zu, der Gedanke ist mir gekommen.«

Adrian Quinlan war genauso ehrlich wie sein Mann. Jake gluckste. »Solange es bei dem Gedanken bleibt, werden wir mit Sicherheit Freunde.«

Adrian lachte und sah zu David. »Unbestechlich?«

»Absolut.«

»Also?«, fragte Jake, nachdem die beiden ihn ansahen. »Ihr seid doch garantiert nicht nur hergekommen, um auszutesten, ob ich meine Meinung ändere.«

»Nein, das sind wir nicht«, antwortete Adrian und ließ den Blick durch die nähere Umgebung schweifen. »Wir wollten uns ein Bild von dem Mann machen, der Liam möglicherweise helfen kann. Und was ich sehe, gefällt mir. Ich gebe zu, ich würde dich am liebsten überreden, Jake, aber ich werde es nicht tun und stattdessen hoffen, dass Liam selbst zu Verstand kommt, bevor es zu spät ist.«

»Wie kommen seine Väter klar?«, wollte Jake wissen, nachdem David Adrians Blick gefolgt war und auf einmal so resigniert aussah, dass Jake beinahe geflucht hätte. Er riss sich zusammen. Vorerst.

»Gar nicht«, antwortete Adrian betont gelassen, doch damit konnte er Jake nicht täuschen. Er hatte gelernt, die Mimik und Gestik von Menschen zu durchschauen, und Adrian Quinlan war sehr aufgewühlt, obwohl er es sich auf gar keinen Fall anmerken lassen wollte. Es erklärte zudem, warum die Quinlans bei ihm aufgetaucht waren und nicht Liams Väter. Liam Kendall war nicht der einzige in der Familie, der Probleme mit sich herumschleppte, dessen war Jake sicher.

»Soll ich mal raten? Sie streiten, schweigen sich an, streiten wieder und nebenbei macht jeder sein eigenes Ding. Aber sie bekommen es nicht auf die Reihe, sich an einen Tisch zu setzen und ihre Probleme anzupacken.«

»Ja, das kommt in etwa hin«, antwortete David, weil Adrian mittlerweile mit zusammengepressten Lippen auf den zugefrorenen Bachlauf starrte. Noch offensichtlicher ging es nicht.

Jake sah David sauer an, was der mit einem hilflosen Schulterzucken kommentierte, das gleichzeitig wohl eine Entschuldigung sein sollte. Also hatte David sich bereits den Mund fusselig geredet, um Adrian in die Schranken zu weisen, und war dabei nicht sehr erfolgreich gewesen. Nun gut, dann würde er das eben übernehmen.

»Das würde also bedeuten, wenn ich Liam helfe, muss ich gleichzeitig Therapeut für seine Väter spielen?«

Adrians Kopf fuhr abrupt zu ihm herum. »Wie bitte?«, fragte er giftig, doch Jake kam nicht zu einer Erklärung, denn David lachte leise und lenkte Adrian damit ab. »Ich wüsste nicht, was daran lustig sein soll!«

»Er meint es auch nicht so, Adrian, und das wäre dir längst klar, wenn du Jake endlich mal ansehen würdest, statt ständig zu überlegen, wie du ihn doch noch dazu überreden kannst, Liam zu helfen. Seine Frage eben war ein Test und du bist mit Pauken und Trompeten durchgefallen.«

Jake konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Er war augenscheinlich nicht der Einzige von ihnen, der in der Lage war, Menschen zu durchschauen. David wurde ihm mit jeder Minute sympathischer. Was Adrian betraf, war Jake sich noch nicht ganz sicher, wie und wo er den Anwalt einordnen sollte. Aber vielleicht konnte er den beiden ein wenig entgegenkommen, was Liam betraf.

»Habt ihr ein Foto von Liam?«

»Ja.« David zog seine Geldbörse aus der Hosentasche und kramte darin herum. »Hier.«

Jake besah sich das Bild. Sexy, dachte er, obwohl ihm klar war, dass Liam heute kaum noch so aussah wie auf dem Foto. »Ich werde meine Kontakte auf der Straße anzapfen. Wenn ihn jemand gesehen hat, erfahre ich es und gebe euch Bescheid.«

Adrian öffnete seinen Mantel, zog einen Stift aus der Innentasche seines Jacketts und nahm ihm das Foto ab, um auf die Rückseite eine Reihe von Telefonnummern zu schreiben. »Handy, Festnetz, Büro«, sagte Adrian, als er ihm das Foto zurückgab. »Irgendwo erreichst du uns immer.«

»Gut.« Jake nickte. »Wie alt ist Liam eigentlich?«

»Siebenundzwanzig«, antwortete David und runzelte die Stirn. »Spielt das eine Rolle?«

»Nein.« Jake steckte das Foto ein. »Ich frage, da ich bei Minderjährigen das ansässige Jugendamt einschalten muss, und er ziemlich jung aussieht.«

»Jake?«

Jake sah überrascht in Richtung Haus, von wo Maggies Ruf gekommen war. »Ich bin am Bach«, rief er zurück und stöhnte laut, als ihm einfiel, was seine Schwester wollte. Er hatte die Zeit vergessen. »Ich komme gleich«, setzte er nach und warf einen Blick auf seine Uhr, ehe er zurück zu den Quinlans schaute. »Ich muss los. Meine wöchentliche Teambesprechung hat eigentlich schon vor zehn Minuten angefangen.«

David nickte. »Kein Problem. Danke, dass du dir trotzdem Zeit für uns genommen hast.«

Jake zuckte mit den Schultern. Dafür war kein Dank nötig, fand er. »Ich melde mich, falls Liam irgendwo auf meinem Radar auftaucht.«

»Und wir melden uns, wenn er abgestürzt ist«, sagte Adrian trocken, wofür er von David prompt einen Boxhieb in die Rippen bekam, inklusive eines bösen Blicks.

Jake ließ sie einfach stehen. Sie würden sich nicht in seiner Gegenwart streiten, aber sobald er außer Hörweite war, dürften am Bachlauf die Fetzen fliegen. Was Jake in Anbetracht der Umstände nicht verwunderte. Er würde nach der Besprechung noch mal herkommen, sicher war sicher. Und er würde Liams Foto so schnell wie möglich vervielfältigen und an seine Kontakte weiterleiten.

 

 

4. Kapitel

 

 

 

 

Lennox, Trevor und Maggie sahen ihm grinsend entgegen, als er in sein Büro trat und sich erst mal frischen Kaffee nahm. Maggie dachte an alles und um sie nicht gleich wieder gegen sich aufzubringen, setzte Jake sich anständig an seinen Schreibtisch, statt auf die Ecke, wie er es sonst gerne tat.

»Was?«, fragte er, weil die drei immer noch grinsten. »Es ist Montagmorgen. Ihr müsstet stöhnen, fluchen und jammern, weil eben Montag ist, statt dumm zu grinsen.«

»Adrian Quinlan? Der Superanwalt?« Lennox tauschte mit Maggie und Trevor einen kurzen Blick. »Bist du auf dem Weg in den Knast und brauchst einen Anwalt, oder was hast du angestellt?« Sein Bruder lachte, als Jake ihm mit der Faust drohte. »Allerdings hätte er kaum seinen Ehemann mitgebracht, wenn es um Rechtssachen ginge. Also, was wollten die zwei?«, fragte Lennox danach mit dem Ernst, den Jake an ihm kannte und jederzeit schätzte, sobald es um das Porter-Haus ging.

»Sie sind die Patenonkel eines möglichen Neuzugangs und wollten die Lage checken.«

»Zwei Patenonkel, von denen einer Armani trägt, als wäre er darin geboren worden«, merkte Maggie an, die neben Trevor in einem der beiden Besucherstühle saß, der nach ihren Worten die Augen verdrehte und seufzte. Maggie grinste ihn frech an. »Du weißt, dass ich einen Klamottenfimmel habe.«

»Was glaubst du denn, warum ich dir letztens diesen Fetzen von einem Nichts gekauft habe, der ...«

»Aus!«, riefen Jake und Lennox zusammen und sein Bruder steckte sich je einen Finger in die Ohren, was Maggie und Trevor lachen ließ. »Das Sexleben meiner kleinen Schwester wird nicht in diesem Raum thematisiert, klar?«

»In welchem Raum dann?«

»Trevor!«, fluchte Lennox, der zwar jünger als Maggie war, aber genauso beschützend wie Jake selbst, während er den aus Maggies Büro mitgebrachten Stuhl ein wenig vorschob, um an den Obstteller zu kommen, den Maggie neben der Kaffeekanne auf Jakes Schreibtisch abgestellt hatte. Lennox nahm sich eine Banane und Jakes Magen knurrte bei dem Gedanken an Essen begehrlich. Später, dachte er und klopfte einmal auf den Tisch, damit Ruhe einkehrte.

»Okay, kommen wir zur Tagesordnung«, sagte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Die Quinlans gehören zur Familie eines Neuzugangs. Ich korrigiere, eines möglichen Neuzugangs.« Jake zog das Foto aus der Tasche und legte es auf den Tisch. »Ich habe zwar nicht zugesagt, ihn aufzunehmen, aber der Kerl, Liam heißt er, ist verschwunden, nachdem er seinen Vater mit einer Flasche angegriffen hat. Der Vater hat ihn erwischt, wie er versuchte, Geld zu klauen … Ach ja, wir reden in dem Fall von zwei Vätern.«

»Liam hat zwei Väter?«, fragte Lennox interessiert, legte die Bananenschale auf den Tisch und nahm sich einen Apfel. »Gibt es auch eine Mutter?«

Jake nickte und ignorierte sein erneutes Magenknurren, da er auf Obst keine Appetit hatte. »Ja, zwei Väter. Ich kenne noch keine Details, was eine mögliche Mutter angeht, und bevor die Frage kommt, ich weiß ebenfalls nicht, wieso Liams Väter nicht persönlich hier waren. Aber ich habe seinen Patenonkeln versprochen, sein Bild bei unseren Kontakten auf der Straße herumzuzeigen. Vielleicht hat ihn jemand gesehen.«

Lennox nahm das Foto und sah es sich an. »Ich frage mich, wie er jetzt aussieht.«

»So jedenfalls nicht mehr«, meinte Trevor, nachdem er und Maggie ebenfalls einen genaueren Blick auf das Foto geworfen hatten. »Genau dein Typ, oder Jake?«

Jake zuckte lässig die Schultern. Normalerweise wäre Liam Kendall durchaus sein Typ gewesen, wenn auch ein wenig zu jung, aber zu seinen Prinzipien gehörte ebenfalls, dass er mit den Kids aus seinem Haus, oder solchen die es vielleicht bald wurden, weder Sex hatte noch eine Affäre begann, und damit war Liam Kendall aus dem Rennen.

»Ich kopiere das Bild nachher«, sagte Maggie und hob eine Mappe an, die auf ihrem Schoß gelegen hatte. »Hier drin ist ein Arbeitsvertrag für Magnus, plus eine Kündigung für Grant. Ihr wisst bereits, worum es geht. Noch irgendwelche Kommentare oder Einwände? Wenn nicht, bekommt Magnus den Job.«

Dreifaches Kopfschütteln war die einzige Antwort, die seine Schwester bekam, denn auch wenn das Porter-Haus offiziell ihm gehörte, trafen sie die meisten Entscheidungen immer in der Gruppe. Die einzige Ausnahme waren seine Schützlinge. In seine Arbeit mit ihnen ließ Jake sich nicht reinreden, zumindest meistens nicht.

Maggie lächelte zufrieden. »Gut. Ansonsten habt ihr letzte Woche nichts verpasst. Abgesehen von einem Streit zwischen Ben und Zachary. Keine Ahnung, was los war. Magnus hat die Sache geklärt.«

»Emma?«, fragte Jake und seufzte leise, als Maggie schweigend den Kopf schüttelte. Es wäre zu schön gewesen, endlich einen Durchbruch bei Emma zu erreichen. »In Ordnung, dann sehen wir uns hier in einer Woche, wenn nichts anderes dazwischenkommt.«

Maggie stand auf und sah ihn an. »Du rufst jetzt Jim an und isst danach endlich was. Dein knurrender Magen geht mir auf die Nerven.«

Trevor und Lennox lachten, während sie Maggie aus Jakes Büro folgten, der ihnen beleidigt und grinsend zugleich nachsah, ehe er das Telefon nahm und einen resignierten Blick auf den Obstteller warf, den seine Schwester mit voller Absicht auf dem Tisch hatte stehen lassen, so gut kannte er sie. Seufzend nahm sich Jake einen Apfel und lauschte auf das monotone Tuten in der Leitung.

»Hi, Jim, Jake hier«, begrüßte er Grants Vater, nachdem der abgenommen hatte. »Wir müssen reden. Es geht um Grant.«

 

Zwei Stunden später hatte er immer noch nichts zum Frühstück gehabt, aber zumindest war es Jake gelungen, Jim wieder zu beruhigen und ihn davon abzuhalten, den eigenen Sohn aus dem Haus zu werfen. Das würde Grant weder helfen noch etwas daran ändern, dass er langsam aber sicher auf die falsche Bahn geriet. Vielleicht konnte Grants Mutter ihn zur Vernunft bringen, bevor er völlig abrutschte.

Jake brachte den Obstteller und die mittlerweile leere Kaffeekanne in die Küche und warf dabei einen Blick in den Aufenthaltsraum. Ben und Zachary spielten Karten, Emma las, nur Magnus war nirgends zu sehen. Jake sah aus dem Fenster. Es schneite wieder. Das würde Magnus zwar nicht davon abhalten nach draußen zu gehen, aber er beschloss, sein Glück trotzdem erst mal im obersten Stockwerk vom Porter-Haus zu versuchen, wo jeder seiner Schützlinge ein eigenes Zimmer hatte.

Was das anging, war die Villa perfekt aufgebaut. Über zwei Stockwerke verteilten sich je drei große Zimmer mit Bad, während das Erdgeschoss alle Gemeinschaftsräume und ein Gästezimmer beherbergte. Seine Eltern hatten nachträglich nur die Badezimmer einbauen müssen, der Rest war genauso, wie sie das Haus damals gekauft hatten.

Jake war der Einzige seiner Familie, der fest im Porter-Haus wohnte. Maggie und Lennox hatten nach dem Tod ihrer Eltern schnell eigene Apartments bezogen, und als Chris nach Las Vegas umgesiedelt war, hatte Jake nach einem Gespräch mit seinen Geschwistern ihr Elternhaus verkauft, um damit einen Teil des Kredits für die Villa auslösen zu können.

Ein Tropfen auf den heißen Stein, aber darüber wollte Jake jetzt nicht nachdenken. Magnus war wichtiger. Er hatte Glück, denn Magnus räumte sein Zimmer auf und bemerkte ihn nicht, als er sich an den Rahmen der offen stehenden Tür lehnte und ihm zusah. Maggie hatte recht, Magnus war der allerschlimmste Kandidat gewesen, den er je ins Haus gebracht hatte, aber gleichzeitig auch der Einzige, der sich von Anfang an an seine Hausregeln gehalten hatte.

Zimmer aufräumen, Wäschewaschen, Putzplan – im Porter-Haus gab es keine Putzfrau. Jeder kümmerte sich selbst um seine Sachen oder um die Ordnung im Haus. Nur die Lebensmittel stellten Jake und Maggie zur Verfügung, zusätzlich zu benötigten Medikamenten für den Entzug, Wasser, Strom, Internet und Heizung. All das kam zum Schluss auf die Rechnung für die Familien seiner Schützlinge oder für die der Stadt, sofern es keine Familie gab. Oft genug blieb Jake allerdings auch auf den Kosten sitzen, was bei Magnus der Fall sein würde.

Genau aus diesem Grund war Jake hier, um Magnus davon abzuhalten, den Großteil seines zukünftigen Gehalts ins Porter-Haus zu stecken, um seine Rechnung abzustottern. Jake wollte nicht, dass Magnus von einer Abhängigkeit in die nächste geriet. Das würde ihm nicht helfen, sondern im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass Magnus in seiner Therapie zurückgeworfen wird. Und Jake hatte nicht die vergangenen zwei Jahre um Magnus' Leben gekämpft, um das zuzulassen.

»Maggie hat es mir erzählt.«

Magnus zuckte zusammen und sah kurz zu ihm, bevor er die Bettdecke zurückschlug und danach in aller Ruhe begann das Kopfkissen aufzuschütteln. Jake seufzte und stieß sich vom Türrahmen ab, um ganz ins Zimmer zu treten. Manchmal war Schweigen auch eine Antwort.

»Mag, rede mit mir, denn ich bin der Boss in diesem Haus.« Magnus' Mundwinkel zuckten, aber er schwieg weiterhin. »Na gut, dann bin ich eben dein König, wenn Boss nicht mehr ausreicht. Also? Wo drückt der Schuh? Mal abgesehen vom Geld, meine ich.«

»Ich hab Schiss, okay?«

»Du weißt, dass das normal ist.«

Magnus schüttelte den Kopf und ließ das Kissen mit einem Schulterzucken sinken. »Ja, klar. Aber ich bin jetzt zwei Jahre hier bei euch, Jake. Ich weiß einfach nicht, ob ich alleine draußen klarkomme.«

Nervosität war immer gut, wenn es darum ging, sich sein Leben neu aufzubauen. Ihm selbst war es nach dem Tod seiner Eltern nicht anders gegangen, wobei er in den ersten Wochen blanke Panik verspürt hatte. Das war mit Magnus' Angst allerdings nicht zu vergleichen, und deshalb war es jetzt so wichtig, dass er Magnus noch mal verdeutlichte, dass er im Porter-Haus jederzeit willkommen war. Dass er mit seinen Sorgen nicht allein sein würde, so wie Jake damals.

»Das erfährst du nur, wenn du es versuchst. Und scheinbar vergisst du gerade, dass mein Haus dir immer offen steht, auch nach deinem Auszug. Außerdem hast du hier schließlich einen Job zu erledigen. Maggie versohlt dir den Hintern, wenn du sie sitzenlässt, nur weil du auf einmal Muffensausen vor der eigenen Courage hast.«

»Das traue ich ihr sogar zu«, murmelte Magnus und grinste schief, bevor er sich wieder um sein Bett kümmerte. »Jake, du hast nie was gesagt, aber … ich kann dich nicht bezahlen. Noch nicht jedenfalls.« Magnus sah kurz zu ihm. »Ich bin nicht blöd. Ihr habt Geldprobleme und meine Rechnung ist nach zwei Jahren mit Sicherheit ...«

»Hör auf damit!«, unterbrach er Magnus ruppig und setzte sich an dessen Schreibtisch. »Ja, deine Rechnung ist verdammt hoch. Ja, ich weiß, dass du sie nicht bezahlen kannst und das Geld der Krankenversicherung hat gerade mal die Kosten deines Entzugs gedeckt. Aber ganz ehrlich, das ist mir im Moment scheißegal. Ich habe zwei Jahre damit zugebracht, deinen Hintern wieder hoch zu kriegen, und ich will, dass du ihn oben behältst, verstanden?«

Magnus nickte. »Ich will clean bleiben, und ich zahle euch alles zurück, sobald ich kann.«

»Das weiß ich«, sagte er und streckte seine Beine aus. »Aber wehe, du behältst von deinem Gehalt nicht genügend für dich, dann kriegen wir zwei mächtig Ärger miteinander. Denk dran, wer bald deine Schecks ausstellt. Maggie wird dich eiskalt verpetzen, wenn du nicht auf mich hörst.«

Magnus salutierte. »Jawohl, mein König.«

»Du bist ein braver Untertan«, stichelte Jake und wich lachend aus, als Magnus das Buch auf seinem Nachttisch nach ihm warf. »Daneben.« Er hob das Buch grinsend auf und legte es auf Magnus' Schreibtisch. »Sag mal, der Streit zwischen Ben und Zachary … Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«

Magnus winkte ab und begann, seine dreckige Wäsche zusammenzusuchen. »Sie sind kleine Jungs und benehmen sich auch so.« Magnus sah ihn an. »Wieso hat das Jugendamt sie eigentlich nicht in ein Heim gesteckt? Das wollte ich dich schon lange fragen, aber es hat sich nie ergeben.«

Jake verschränkte beide Arme vor der Brust. »Es wäre die Stadt teurer gekommen, sie ins Heim zu stecken, als sie bei mir unterzubringen. Ich hatte das bessere Angebot.« Magnus blieb der Mund offen stehen, was Jake verriet, dass er ihn genau verstanden hatte. »Ja, ich habe die zwei praktisch gekauft, was in dem Fall die bessere Entscheidung war. Heime bieten dir zwar ein Dach über dem Kopf, aber für individuelle Probleme bleibt kaum Zeit. Ihre Eltern sind ermordet worden. Es wird dauern, bis sie das verarbeitet haben.«

»Falls sie es überhaupt jemals tun«, warf Magnus ein und runzelte nachdenklich die Stirn. »Len hat zu mir gesagt ...« Magnus brach ab. »Vergiss es.«

Jake hatte ihn trotzdem verstanden. »Sie sind dir ähnlich. Nur, dass sie nicht blutend wie ein Schwein in einer Seitenstraße herumkrochen, als Len sie damals fand. Das Ergebnis ist allerdings das Gleiche, Mag. Wer sich in voller Absicht die Pulsadern aufschneidet, der hat Probleme. Aber wer sich mitten im Sterben plötzlich die Wunden abbindet, der hat noch ein bisschen Hoffnung. In einem Heim hätten Ben und Zachary diese Hoffnung mit Sicherheit gänzlich verloren, deshalb wollte ich sie hier im Haus haben.«

»Hat die Polizei mittlerweile irgendwas herausgefunden?«

Jake schüttelte den Kopf. »Es war ein Einbruchdiebstahl mit anschließendem Mord. Ben und Zachary leben nur noch, da sie zur Tatzeit nicht zu Hause waren. Ich bezweifle, dass die Cops die Mörder jemals finden.« Jake stieß sich vom Schreibtisch ab. »Und jetzt lasse ich dich mit deinen stinkenden Socken alleine. Ich werde einen riesigen Stapel Briefe unterschreiben, um meine Schwester damit zu einer glücklichen Frau zu machen.«

Magnus lachte, als Jake sein Zimmer verließ, um nach unten in sein Büro zu gehen, wo sich auf wundersame Weise ein Teller mit vier Sandwichs, einem Joghurt und einer neuen Kanne Kaffee eingefunden hatte. Und einem Zettel, auf dem stand: Iss uns gefälligst, sonst verhaut dich deine Schwester. 

Jake kicherte und trat zur Wand, die ihn von Maggies Büro trennte, um dagegen zu klopfen. »Danke.«

Maggie lachte nebenan und Jake setzte sich grinsend an seinen Schreibtisch. Sein Telefon klingelte, bevor er in das erste Sandwich beißen konnte. Seufzend legte er es zurück auf den Teller und ignorierte seinen zum x-ten Mal knurrenden Magen, während er abnahm.

»Porter-Haus. Jake am Apparat.«

»Ich rufe an, um mich zu entschuldigen.«

Jake lehnte sich überrascht in seinem Stuhl zurück. »Kilian? Warum willst du dich entschuldigen?«

»Wegen meines Anrufs heute früh. Oder besser gesagt, meiner Wortwahl.«

Jake seufzte leise. »Glaubst du ernsthaft, dass du mir damit die Laune verhageln kannst? So etwas höre ich alle paar Tage. Du warst da noch harmlos.«

»Es war trotzdem nicht richtig, dich zu beleidigen.«

»Kilian, du ...« Jake brach ab, weil ihm ein Verdacht kam. »Hast du heute zufällig schon mit einem gewissen Anwalt oder seinem Künstlerehemann gesprochen?«

»Ähm … nö?«

Jake lachte und nahm sich ein Sandwich. »Ja, ja. Du musst jetzt übrigens damit leben, dass ich dir gleich was vorkaue. Ich habe den ganzen Vormittag über noch nichts zu gegessen.« Kilian lachte und Jake biss schmunzelnd in sein Sandwich. »Und wo du schon mal dran bist, kannst du mir auch gleich etwas erklären. Nämlich den Grund dafür, dass die Quinlans heute bei mir auf der Matte standen, statt Liams Vätern.«

Kilian seufzte resigniert. »Nick und Trist haben seit Monaten große Probleme. Deswegen kümmert sich Adrian um viele Dinge, die eigentlich ihr Job wären, soweit ich das hier in Philadelphia mitbekomme.«

»Erzähl mir mehr darüber«, bat Jake und runzelte die Stirn, während er Kilian zuhörte und weiter aß. Offenbar stand den Kendalls das Wasser bis zum Hals, denn was Kilian ihm in den nächsten Minuten über Liams Väter und seinen niedergeschossenen Zwillingsbruder Noah preisgab, stellte für Jake auf den ersten Blick sogar Magnus in den Schatten.

Auf den zweiten Blick war es ein Familiendrama, wie es in diesem Land leider an der Tagesordnung war, wenn er bedachte, wie viele Familien es heutzutage gab, die daran zerbrachen, wenn das eigene Kind süchtig wurde, auf den Strich ging, kriminell war oder eines Tages einfach von zu Hause verschwand; im schlimmsten Fall irgendwann in einem Sarg endete. Er hoffte für die Kendalls, dass Liam nicht zu jenen gehörte, andererseits hätte es ihn auch nicht gewundert, dass es so kam. Er hatte schon zu viele seiner Schützlinge verloren, und Jake war abgestumpft, was das betraf.

»Moment«, unterbrach er Kilian, als der ihm auf einmal von einem Devin erzählte, der vor ein paar Tagen mit Kilians Vater Colin überlegt hatte, ob es möglich war, Liam aus Baltimore zu holen und sich in Philadelphia um ihn zu kümmern. »Devin … Wer ist das? Ich weiß zwar, dass deine Familie riesig ist, aber ich komme gerade nicht mehr mit. Devin gehört wohin?«

»Zu Sam, Amber und Nathan.«

Jake blinzelte irritiert. »Um es wie Ben, einer meiner Jungs, auszudrücken: Hä?«

Kilian lachte. »Sam ist Devins Mann, Amber und Nate ihre Kinder. Devin ist Colins Freund, bester Kumpel, Bruder ehrenhalber, such dir was aus. Er und Mik haben … Äh, dass Mikael mein zweiter Vater ist, weißt du?«

»Nein«, antwortete er mit einem Grinsen, was bei Kilian für neues Gelächter sorgte, während Jake ernsthaft überlegte, ob er Papier und Stift nehmen sollte, um sich das Ganze zu notieren. »Wie viele Leute seid ihr eigentlich? Ich meine, als wir auf der Schule waren, hat sich natürlich rumgesprochen, dass du zwei Väter und jede Menge Anhang hast, aber ich habe darauf nicht weiter geachtet.«

»Dreißig? Grob geschätzt«, antwortete Kilian und Jake war sprachlos. »Soll ich dir einen Stammbaum zeichnen?«

Er musste lachen. »Schick mir am besten ein Fax mit sämtlichen Namen und Verbindungslinien, wer bei euch wohin gehört.« Kilian prustete los und Jake goss sich schmunzelnd eine neue Tasse Kaffee ein, ehe er sich ein zweites Sandwich nahm. »Liam aus Baltimore holen und zu deinem Familienteil nach Philadelphia rüber schaffen, solltet ihr aber lieber sein lassen«, kam er dann auf ihr ursprüngliches Thema zurück.

»Warum?«

»Nach dem, was du mir über ihn, seine Väter und eure Familie überhaupt erzählt hast, würde es nicht viel bringen. Liam braucht die Nähe zu ihnen. Wenn ihr ihm die wegnehmt …« Jake wiegte bedächtig den Kopf. »Es ist natürlich schwer zu sagen, wie er reagieren würde, aber ich halte es für riskant. Meiner Erfahrung nach, verlieren Junkies wie er den letzten Halt, wenn man sie von zu Hause wegholt.«

»Ich dachte, Abstand soll bei solchen Fällen helfen«, widersprach Kilian. »Das habe ich zumindest gelesen … Ich meine, deshalb schickt man doch so viele Süchtige woanders hin, oder habe ich da etwas falsch verstanden?«

»Ja und Nein«, antwortete Jake, denn auch diese Form von Therapie hatte er bereits angewandt. »Manchmal ist Abstand durchaus richtig und vor allem wichtig, um den Betroffenen einen Neuanfang zu ermöglichen. Aber hier ist Liams gesamte Familie betroffen, und aus diesem Grund solltet ihr lieber versuchen sie alle an einen Tisch zu bringen, anstatt sie durch eine Trennung noch weiter auseinanderzuzerren.«

Kilian schnaubte. »Das kannst du vergessen. Wir müssten sie an den Tisch ketten, um etwas zu erreichen. David hat letztens überlegt, Nick und Tristan mit den Köpfen zusammenzuschlagen, und er hasst Gewalt.«

»Wenn sonst nichts hilft, warum nicht?«, fragte Jake trocken und Kilian schnappte nach Luft. »Sorry, aber für Kuschelkurse bin ich nicht zuständig. Die bringen einen in meinem Job nicht viel weiter.«

»Du meinst … ernsthaft?«

Jake griff nach einem dritten Sandwich. »Ich rede nicht von verprügeln, aber ein Faustschlag kann durchaus hilfreich sein, um jemandem den Sturkopf zu waschen.« Kilian schwieg nach seinen Worten zu lang, um Jake nicht misstrauisch zu machen. »Was ist los?«

»Ich glaube, wir sollten es gewaltfrei versuchen.«

Jake wollte gerade nachhaken, als der Groschen fiel. »Familiäre Gewalt?«

»Ja«, antwortete Kilian leise. »Sowohl Nick selbst, als auch die Zwillinge. Aus dem Grund haben Nick und Tristan sie adoptiert. Aber mehr sage ich dazu nicht, ich weiß nicht, ob ihnen das recht wäre.«

»In Ordnung«, erklärte Jake und entschied, vorerst das Thema zu wechseln. »Hast du schon etwas gehört? Wegen Adrians Suche nach Liam, meine ich.«

»Nein, und ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll.«

Das konnte Jake nachvollziehen, aber er hatte gelernt, keine Nachrichten als gute Nachrichten anzusehen, auch wenn sie es nicht immer waren. »Mein Angebot steht. Ruf an, wenn er abgestürzt ist«, erklärte er schließlich und legte auf, bevor Kilian darauf reagieren konnte.

 

 

5. Kapitel

 

 

 

 

Kilians zweiter Anruf kam Ende Februar.

Liam Kendall war endgültig abgestürzt und lag nach einer Überdosis Kokain auf der Intensivstation. In einem Einzelzimmer, ans Bett fixiert, ruhig gestellt. So viel hatte Jake nach einigem Nachfragen aus einem völlig aufgelösten Kilian herausbekommen, ehe er plötzlich dessen Mann Dale in der Leitung gehabt hatte. Dale war ein ehemaliger Polizist, der heute seine eigene Sicherheitsfirma leitete, und er hatte ihm die Details des ganzen Dramas um Liam in wenigen Sätzen erklärt. Jake war ihm dankbar dafür, denn so wusste er jetzt, als er in den Fahrstuhl stieg, der ihn zur Intensivstation bringen würde, was ihn dort oben erwartete. Und Kilians Mann behielt recht, denn im Besucherraum, den Jake zuerst ansteuerte, saßen ein übernächtigter Adrian, neben seinem Ehemann David, und zwei weitere Männer, die Jake persönlich nicht kannte, aber als Liams Väter identifizierte.

David entdeckte ihn als erstes. »Jake. Hallo.«

Jake nickte nur und sparte sich den Versuch, mit einem Lächeln die Stimmung aufzulockern. »Welches Zimmer?«, fragte er stattdessen nur und erwiderte die Blicke von Nick und Tristan Kendall abwartend, als beide ihn irritiert anschauten. »Wir unterhalten uns später. Liam ist jetzt wichtiger. Also? Welches Zimmer?«

»384«, antwortete Adrian, woraufhin Jake ihm zunickte, bevor er ohne ein weiteres Wort kehrtmachte.

Jake wusste, was er gleich sehen würde. Er hatte schon viele Süchtige gesehen. Ob mit Überdosis oder ohne, tot oder lebend, schreiend oder weinend, kämpfend oder sich apathisch in ihr Schicksal fügend. Jake kannte die Gesichtsausdrücke von Menschen wie Liam. Er wusste ganz genau, welcher Blick was bedeutete oder aussagen sollte, dennoch war Liams Anblick erschreckend. Es war jedes Mal furchtbar zu sehen, zu was Menschen fähig waren. Sowohl gegenüber anderen, aber vor allem gegen sich selbst.

Jake nahm einen Stuhl und setzte sich, nachdem er Kilians Freund von der Tür aus einige Zeit schweigend beobachtet hatte. Liam Kendall musste vor seiner Sucht ein wirklich ansehnlicher Typ gewesen sein. Jetzt war er bloß noch ein Schatten seiner selbst. Graublaue Augen blickten stumpf in seine Richtung, das hellbraune Haar war fettig und dreckig, die Wangen eingefallen. Spröde und an unzähligen Stellen eingerissene Lippen, rundeten das Bild eines kaputten Süchtigen ab.

Von Liams Körper konnte Jake nicht viel erkennen, aber die Arme waren eindeutig zu dürr für seinen Körper und die Einstichstellen an den Ellbogen stachen auf der Haut hervor, die wie feines Papier wirkte, das über Blutgefäße und Reste von Muskeln gezogen worden war. Jake ließ seinen Blick hinunter zu Liams Händen wandern. Dessen Finger zitterten leicht, ihre Nägel waren abgeknabbert, eingerissen und völlig verdreckt. Als hätte er im Sand gewühlt. Die Ärzte und Schwestern hier mussten einige Mühe gehabt haben, Venen an Liams Körper zu finden, um ihn zu versorgen und am Leben zu halten.

»Willst du raus aus der Hölle?« Liam antwortete ihm nicht, aber das darauffolgende spöttische Lächeln sprach Bände. Da war jemand sehr tief abgestürzt und wusste es. Jake stand auf und brachte den Stuhl zurück zum Tisch für Besucher. »Vergiss die Frage. Du würdest es eh nicht schaffen.«

»Fick dich!«

Jake grinste. »Sorry, Kleiner. Ich stehe zwar auf Kerle, aber nicht auf so ausgemergelte Wracks, wie du eines bist.«

»Wer bist du überhaupt?«

Neugierde? In dem frühen Stadium? Sehr interessant, fand Jake, da die meisten Süchtigen zu diesem Zeitpunkt völlig auf Abwehr schalteten. Er trat wieder ans Bett. »Jake Porter. Deine Familie hat mich angerufen, um dir den Hintern zu retten.«

»Ich brauche keine Hilfe.«

Natürlich nicht. Das taten Süchtige nie, wenn es nach ihnen ging. Jake nickte. »Sagte ich doch, du schaffst es nicht. Mach´s gut, Kleiner.«

»Ich würde es sehr wohl schaffen, wenn ich wollte«, murrte Liam beleidigt, was Jake innerlich zufrieden grinsen ließ. Liam hatte Feuer. Hoffentlich war es genug, um ihn aus dem Dreck ziehen zu können.

»Weißt du, wie oft ich solche Sprüche höre? Wie alt bist du? Zwölf? Aussehen tust du jedenfalls so.«

»Das geht dich einen Dreck an.«

»Zickig bist du auch. Wie ein Teenager. Niedlich«, stichelte Jake böse und erreichte genau das, was er wollte, denn Liams empörter Blick war Gold wert.

Es würde ein verdammt harter Kampf werden, durch dessen Dickschädel zu dringen, aber Jake war klar, dass Liams nächster Absturz mit großer Wahrscheinlichkeit auch sein letzter sein würde. Problemfälle wie Liam starben jung und dreckig. Zumindest die meisten. Zudem hatte er die trostlosen Blicke von Nick und Tristan draußen im Besucherraum nicht vergessen. Keiner von ihnen würde es psychisch heil überstehen, wenn Liam eines Tages tot in einer versifften Seitenstraße lag, und Kilians Freund war auf dem besten Weg dahin, auf diese Weise zu enden.

»Du würdest es also schaffen, ja?«

»Klar«, kam großspurig zurück und in dieser Sekunde traf Jake die Entscheidung, den Versuch zu wagen.

»Und warum machst du es dann nicht?«, fragte er und verschränkte seine Arme vor der Brust. Eine eindeutige Herausforderung, die Liam sofort annahm.

»Wozu sollte ich denn?«

Jake schüttelte enttäuscht den Kopf. »Wenn du das wirklich nicht weißt, tust du mir leid, Kleiner. Schade um deine Väter. Sie werden dich bald beerdigen müssen. Es fragt sich nur, ob du das wert bist.«

Liam runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«

Jake durchquerte den Raum und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Zimmertür, damit sie niemand störte. Nicht an diesem heiklen Punkt. »Wenn einem Menschen sein Leben so scheißegal ist wie dir, ist er es auch nicht wert, dass man um ihn trauert.«

Das saß. Liam presste die aufgesprungenen Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und schwieg trotzig. Jake stieß sich von der Tür ab, um das Zimmer zu verlassen. Jetzt war Liam dran, und zwar mit nachdenken. Wenn es gutging, traf Kilians Freund die richtige Entscheidung. Wenn nicht, darüber wollte Jake sich im Moment keine Gedanken machen. Er zog die Tür auf und sah direkt in die Gesichter von Liams Familie, die im Flur stand und ihn hoffnungsvoll anschaute.

Jake hielt inne, als Liam etwas murmelte. »Was?«

»Mein Leben ist mir nicht egal.«

»Wieso zerstörst du es dann?«, fragte Jake, ohne sich umzudrehen, und verließ das Zimmer, bevor Liam ihm eine Antwort geben konnte. Das musste er nicht, denn Jake kannte die Antwort. Er hoffte nur, dass Liam stark genug war, um sie sich einzugestehen und endlich das zu tun, was er tun musste.

Um Hilfe bitten.

»Und?«, fragte David leise, nachdem Jake die Tür zu Liams Zimmer geschlossen hatte. »Kannst du ihm helfen?«

Jake schüttelte den Kopf und hob die Hand, als David widersprechen wollte. »Es geht nicht darum, ob ich Liam helfen kann, denn das kann ich. Aber er muss es wollen. Und solange er nicht von selbst um Hilfe bittet, werde ich nicht meine Zeit mit ihm verschwenden.«

»Ihre Zeit verschwenden?« Einer von Liams Vätern, Nick, vermutete er aufgrund von Kilians Erzählungen, runzelte verärgert die Stirn. »Das Leben unseres Sohnes retten, halten Sie für Zeitverschwendung?«

»Nick, bitte«, murmelte Liams zweiter Vater Tristan, ehe er ihn entschuldigend ansah. »Es tut mir leid, dass wir uns nicht einmal vorgestellt haben. Ich bin Tristan.« Er deutete auf Nick. »Mein Mann Nick.«

Jake nickte dem Paar grüßend zu, machte aber keine Anstalten, ihnen die Hand zu geben. Da war irgendetwas an Nick, das ihn störte und auch ein wenig auf die Palme brachte. Jake war ehrlich genug, sich das einzugestehen. Er würde es allerdings nicht gegen die beiden einsetzen, das wäre unprofessionell. Im Moment interessierte Jake ohnehin etwas anderes bedeutend mehr, als die von Nick ausgehende, unterschwellige Aggressivität.

»Kilians erster Anruf kam Ende Januar. Das ist einen Monat her. Und bisher habe ich von Ihnen weder etwas gesehen noch gehört. Kein Anruf, kein Besuch, nichts. Obwohl es um das Leben ihres Sohnes geht. Warum nicht?«

Jake hatte darauf geachtet seine Stimme ohne jeglichen Vorwurf zu halten, trotzdem sprach die darauffolgende Reaktion von Liams Vätern dicke Bände, in denen Jake lesen konnte, wie in den Fachbüchern für Therapien von Drogensüchtigen. Nick und Tristan Kendall hatten keine Probleme, sie standen in den letzten Zügen einer Ehe, die längst keine mehr war.

Er bekam keine Antwort auf seine Frage. Stattdessen wich Tristan seinem forschenden Blick aus und starrte zu Boden, die Hände hilflos zu Fäusten geballt, während sein Mann Nick ihn nur ansah, sämtliche Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske voller Gleichgültigkeit versteckt, die so falsch war, dass es Jake wehtat, und ihm eines deutlich vor Augen führte; wenn er entschied, Liam ins Porter-Haus aufzunehmen, würde er dessen Väter im Paket gleich mit dazu bekommen.

Und das konnte er allein nicht entscheiden. Er würde sich noch heute mit Lennox, Trevor und Maggie an einen Tisch setzen müssen, um zu klären, ob Liam Kendall für das derzeit freie Zimmer im Haus infrage kam.

 

»Du bist einfach gegangen?«, fragte Lennox ihn am späten Abend erstaunt und streckte die Beine aus. »Wow.«

Jake zuckte lässig mit den Schultern. »Es gab in diesem Augenblick nichts weiter zu sagen. Liams Väter haben einen Haufen Probleme und mich würde nicht wundern, wenn sie zum Teil mit daran schuld sind, dass ihr Sohn sich in die Drogen geflüchtet hat.«

»Mit solchen Vorwürfen wäre ich vorsichtig«, mahnte Trevor ruhig an und trank einen Schluck Cola. Sie hatten sich zum Abendessen in Maggies Büro getroffen, um in aller Ruhe über Liams Fall zu reden, ohne dass Magnus und die anderen Kids im Essbereich etwas mitbekamen. Heute war Pizza-Abend und dem Gelächter nach, das alle paar Minuten durch die geschlossene Tür zu hören war, würde die Küche nach dem Pizza machen aussehen wie ein Schlachtfeld.

»Das war nicht als Vorwurf gemeint«, sagte Jake und nahm sich von den gebratenen Nudeln, die Lennox aus der Stadt mitgebracht hatte. »Ich betreibe reine Ursachenforschung. Hättest du die beiden erlebt, wäre dir klar, was ich damit meine. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie verheiratet sind, wäre ich mir nicht mal sicher gewesen, ob sie sich kennen.«

»So schlimm?«, fragte Maggie und er nickte. »Das ist nicht gut. Weder für Liams Väter, noch für ihn selbst. Ich finde, du solltest ihm das letzte Zimmer geben.«

»Ich bin dagegen«, widersprach Trevor und stellte die Coladose auf den Tisch, um sich ebenfalls etwas zu essen zu nehmen. »Ihr habt mit den Brüdern und vor allem mit Emma derzeit drei schwere Fälle im Haus. Gut, Magnus kümmert sich gern und viel um Ben und Zachary, aber er ist selbst noch nicht wieder komplett auf den Beinen. Wenn du Liam herholst, würde er direkt gegenüber von Emma schlafen. Hältst du das für eine gute Idee?«

Trevors Einwand war nicht von der Hand zu weisen, aber vielleicht war Liams Einzug ja auch der letzte Tropfen, der das Fass namens Emma zum Überlaufen brachte. Er versuchte seit vier Monaten an sie heranzukommen und hatte nichts erreicht. Jake war bereit, es durch eine Provokation zu versuchen, denn das würde es sein, wenn Liam Emma gegenüber einzog.

Lennox schnaubte. »Das ist gefährlich, Jake. Ich kann dir an der Nasenspitze ansehen, was du versuchen willst, aber wenn das schiefgeht, verlierst du Emma.«

»Was keinerlei Unterschied zum jetzigen Zustand machen würde«, konterte Jake, was ihm von Trevor und Lennox verärgerte Blicke einbrachte, bis Maggie seufzend die Hand hob.

»Bleiben wir bitte bei den Tatsachen, denn was das angeht, hat Jake recht. Wir haben uns oft genug Gedanken über Emma gemacht und ich denke, dass wir in ihrem Fall die gleiche Position vertreten.« Maggie schürzte die Lippen. »Ich gebe zu, ich halte nichts davon, es auf diesem Wege zu versuchen, weil dabei viel schiefgehen kann. Aber ich vertraue darauf, dass Jake weiß, was er tut. Außerdem können wir Liam nicht abweisen, nur um Emma damit einen Gefallen zu tun. Das wäre ihm gegenüber unfair.«

»Okay, okay ...« Lennox hob nachgebend beide Hände und verzog überlegend die Lippen. »Sehen wir das Ganze bitte rein hypothetisch. Wenn Emma jahrelang sexuell missbraucht worden ist, was wir ja vermuten, ist es dann klug ihr einen Kerl vor die Nase zu setzen, der drogensüchtig ist und sich nicht unter Kontrolle hat?«

»Jake wohnt im selben Stockwerk wie Emma.« Maggie griff nach einem Stift und begann mit ihm zu spielen. »Sie vertraut ihm. Zumindest so weit, um zu wissen, dass er niemals irgendwem erlauben würde, ihr zu nahe zu kommen.«

»Emma sollte es zumindest erfahren, und zwar bevor Liam hier einzieht«, sagte Trevor und Jake nickte, denn darin waren sie sich beide einig.

»Len?«, fragte Jake anschließend. »Trevor ist dagegen, Maggie dafür. Deine Stimme steht noch aus.«

Lennox ließ sich Zeit mit seiner Antwort und das hieß bei ihm allgemein, dass er zwar an sich dafür war, aber gleichzeitig zögerte, was allgemein einen guten Grund hatte. Deshalb schätzte Jake die Meinungen von Maggie, Trevor und Lennox auch so sehr. Sie waren ehrlich, selbst über die Schmerzgrenze hinaus, wenn es nötig war.

»Ich bin dafür, aber ich finde es nicht gut, Emma auf diese Weise herauszufordern. Ich verstehe, warum du es so machen willst, Jake, aber ich denke dabei an Emma und bin strikt dagegen. Meinetwegen hol ihn ins Haus, nur lass dir um Himmels willen etwas anderes einfallen, was Emma betrifft.« Sein Bruder sah zu Maggie. »Du hast gesagt, es wäre nicht fair, Liam ihretwegen auszuschließen. Der Meinung bin ich auch, aber ist es andersherum fair, Emma die Pistole auf die Brust zu setzen und Liam dafür auszunutzen? Ich denke nicht.«

Jake fuhr sich seufzend mit einer Hand durchs Haar. Von der Seite aus gesehen, war sein Plan sowohl für Liam als auch gegenüber Emma ziemlich mies. Und eben deswegen besprach er solche Entscheidungen mit der Familie, denn sie scheuten sich nicht, ihm den Kopf gerade zu rücken, wenn er Blödsinn machte. Obwohl das in dem Fall gleichzeitig leider bedeutete, dass er in Bezug auf Emma wieder bei Null stand.

»Wie wäre es mit einem Kompromiss?«, schlug er vor und stellte die leere Essensschachtel auf den Tisch. »Liam kommt her, der Plan mit Emma ist gestrichen. Ich will aber dazu noch sagen, dass ich nicht glaube, dass Liam in irgendeiner Hinsicht eine Gefahr für Emma darstellt. Eher im Gegenteil, da er selbst ein Opfer von Missbrauch ist.«

»Sexuell?«, wollte Maggie wissen.

»Nein. Sein Vater hat ihn und den Bruder geschlagen. Die Kendalls haben ihre Söhne adoptiert, nachdem das Jugendamt sie mit zehn Jahren von zu Hause weggeholt hatte. Liams Vater Nick, und das bleibt bitte unter uns, ist ebenfalls ein Opfer von Gewalt durch den Vater.«

»Wie schlimm sieht es mit Liams Vätern aus?«, hakte Trevor nach. »Wären sie überhaupt dazu in der Lage, dir mit Liam zu helfen?«

Jake schüttelte den Kopf. »Nein. Ich sehe derzeit eher Adrian und David Quinlan als Ansprechpartner, wenn es um Liam geht, und solange ich mir kein genaueres Bild von der familiären Lage bei den Kendalls gemacht habe, will ich sie nicht hier im Haus haben.«

»Kann ich verstehen.« Lennox schaute ihn fragend an. »Was denkst du? Wird Liam sich helfen lassen?«

»Ich tippe auf sechzig zu vierzig für uns«, antwortete Jake, nachdem er darüber nachgedacht hatte. »Er meinte, dass ihm sein Leben nicht egal ist. Falls das die Wahrheit ist, werden wir es bald erfahren. Wenn nicht ... tja, auch das dürften wir dann wohl sehr bald erfahren.«

 

 

6. Kapitel

 

 

 

 

Mitte März fing es an zu tauen, was die nähere Umgebung vom Haus in den ersten Tagen in eine Schlitter- und Schlammgrube verwandelte. Jake, Lennox und Trevor verbrachten Stunden damit, die angehäuften Schneeberge von ihren Wegen zu schippen und abends, wenn im Haus endlich Ruhe eingekehrt war, saß Jake oft bis weit in die Nacht vor seinem Computer und jonglierte mit Zahlen. Ohne Erfolg. Wie er es auch drehte und wendete, sie würden das Porter-Haus an die Bank verlieren, falls er innerhalb der nächsten Monate nicht zufällig einen Koffer voll Geld im Straßengraben fand.

Er führte deshalb gefühlte tausend Diskussionen mit Maggie und sie wägten immer wieder das Für und Wider ab, das gegen die Aufnahme von Schickimicki-Gören sprach, wie Jake die Kids reicher Eltern oft nannte, die Drogen nahmen oder zu viel Alkohol tranken, da es in ihrer Altersklasse gerade wieder 'in' war. Er konnte Maggies Argumentation, dass diese Kids ihnen ihren Lebenstraum erhalten würden, nicht von der Hand weisen, dennoch sperrte er sich dagegen, wie der sprichwörtliche Teufel gegen das Weihwasser. Jake kam nicht gegen seine Prinzipien an. Er wollte keines dieser Kids in seinem Haus haben, selbst wenn das bedeutete, dass er das Porter-Haus dichtmachen musste.

Maggie verstand ihn, das wusste er, deswegen drängte sie ihn nicht. Und aus diesem Grund hielt sie dicht, damit Lennox, Trevor und Chris nicht erfuhren, wie schlimm es um das Haus mittlerweile stand. Vielleicht ein Jahr noch, wenn es hochkam. Dann brauchten sie alle einen neuen Job und seine Kinder ein neues Zuhause. Aber noch war dieses Jahr nicht vorbei. Noch konnte er helfen.

Liam Kendall zum Beispiel, dem es gelungen war, die Entgiftung ohne Probleme zu überstehen. Das wusste er von Kilian, der sich ab und zu meldete, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Adrian Quinlan hatte sich ebenfalls bei ihm gemeldet. Nur von Liams Vätern hatte er kein einziges Wort gehört, was Jake nicht sehr verwunderte. Er würde sich mit ihnen befassen, falls Liam hier einzog, wonach es im Augenblick jedoch nicht aussah.

Laut Kilian hatte Liam nach seinem Besuch völlig auf stur geschaltet und war offenbar der Meinung, sich ohne Hilfe wieder aus dem Dreck ziehen zu können. Möglich war das durchaus. Jake kannte Jungs, denen es gelungen war, nach ihrer Entgiftung aus reinem Willen sauber zu bleiben. Allerdings hatten die andere Voraussetzungen gehabt, als es um den Start in ein neues Leben ging. Was Liam betraf, sagte sein Gefühl ihm eindeutig, dass Kilians Freund mehr als einen Arschtritt brauchen würde, um clean zu werden und es zu bleiben.

Jake gähnte, rieb sich die Augen, und lehnte sich nach hinten an die Lehne des Stuhls. Sein Rücken protestierte bei der abrupten Bewegung, da er schon seit Stunden hier saß und Berichte aktualisierte, abschloss oder neu anlegte. Maggie konnte ihm Vieles abnehmen, aber die Einschätzungen seiner Schützlinge erledigte er selbst, was ihn jeden Monat Stunden kostete. Er war erleichtert, als das Telefon zu klingeln begann.

»Ja?«

»Liam ist auf dem Weg zu dir«, sagte Adrian ohne eine Begrüßung und Jake richtete sich in seinem Stuhl auf.

»Warum zu mir?«

»Weil er leider seinen Arzt belauscht und dabei zufällig das mit der Entmündigung gehört hat.«

Jake stöhnte frustriert auf. »Läuft die etwa immer noch? Ich habe euch von Anfang an gesagt, dass das scheiße ist.«

»Das ist mir bewusst und ich denke genauso, nur sieht Nick das anders und er ist nun mal Liams Vater. Sein Arzt hat mich eben angerufen und Bescheid gesagt. Niemand weiß, wie lange er schon weg ist. Beim Abendessen war er noch da und das gab es um sechs.«

Jake sah auf die Uhr. Es war fast Mitternacht. Ausreichend Zeit um herzukommen, sofern man das Geld hatte, um sich ein Taxi zu nehmen oder mit dem Bus oder der Bahn zu fahren. »Hat er Geld?«

»Ja«, murrte Adrian und Jake verdrehte resigniert die Augen, weil der Tonfall des Anwalts alles verriet.

»Wem hat er es geklaut?«

»Einem Pfleger. Er hat in der Umkleide einen Spind aufgebrochen, um an Kleidung zu kommen. Nur aus dem Grund haben sie überhaupt bemerkt, dass Liam weg ist.«

Jake verkniff sich ein Grinsen, weil ihn diese Geschichte an andere Schützlinge erinnerte. Nicht, dass er Diebstahl amüsant fand, Jake fand eher die Tatsache lustig, dass sich manche Dinge immer wiederholten. Und wie er es sonst tat, würde er auch in Liams Fall dafür sorgen, dass der Pfleger sein Eigentum zurückbekam.

Eines interessierte Jake im Moment allerdings viel mehr als der Diebstahl. »Wie kommst du eigentlich darauf, dass Liam zu mir will?«

»Er und Nick hatten einen heftigen Streit, nachdem die Katze aus dem Sack war, und in dessen Verlauf hat er zu seinem Vater gesagt, dass er eher zu dir gehen würde, als jemals wieder freiwillig einen Fuß in sein Elternhaus zu setzen.«

Jake schüttelte resigniert den Kopf. »Das überrascht mich nicht mal.«

Adrian seufzte leise. »Uns geht es ähnlich. Tristan hat daraufhin die Nerven verloren und Nick Vorhaltungen gemacht, und als sie deshalb in Streit gerieten, hat der Arzt sie schlussendlich aus Liams Zimmer geworfen. Das war am Nachmittag. Beim Abendessen schien alles wie immer, die Schwester hat jedenfalls nichts bemerkt. Und jetzt ist er weg.«

»Wie viel Geld hat er mitgehen lassen?«

»Dreißig Dollar.«

Jake runzelte irritiert die Stirn. »Damit kommt er nicht weit. Zumindest nicht, wenn er aus der Stadt raus will.«

»Ich weiß«, stimmte Adrian ihm zu. »Aber da er weder Kreditkarten noch sonst etwas gestohlen hat, glaube ich, dass er zu dir will.«

Das sah Jake etwas anders. »Adrian ...«

»Mir ist bewusst, dass das Wunschdenken ist, aber irgendwo müssen wir ja anfangen zu suchen«, unterbrach der ihn ruhig. »Wenn er bis morgen nicht auftaucht, schalte ich die Cops ein, aber ich wollte, dass du Bescheid weißt. Für alle Fälle.«

Jake wusste nicht, ob er lachen oder sich lieber die schwarzen Haare raufen sollte. Am Ende tat er beides, bevor er entschlossen aufstand und mit dem Telefon am Ohr den Computer herunterfuhr. »Falls Liam nur halb so dickköpfig ist, wie er mir vorkommt, kriege ich ihn clean. Ich melde mich, falls er bei mir auftaucht.«

»Danke Jake.«

»Keine Sorge, ich schreib´s auf die Rechnung.«

Er hörte Adrian lachen, während er auflegte und sein Büro verließ, weil er die Straße hierher abfahren wollte. Jake wusste nicht, woher sein Instinkt kam, aber er hörte auf ihn und zog sich auf dem Weg zum Wagen die Jacke über. Den Autoschlüssel in der Hand hielt er inne, als er hinter sich auf der Veranda eine Bewegung wahrnahm. Jake drehte sich langsam um und stemmte die Hände in die Seiten, als er erkannte, wer dort im Dunkeln auf der Bank saß.

»Von Klingeln hast du noch nie was gehört, oder? Wie hast du mein Haus überhaupt gefunden?«

»Telefonbuch … Der Taxifahrer hat den Rest erledigt«, antwortete Liam trocken.

»Du wirst dem Pfleger seine Sachen zurückgeben und auch das Geld ersetzen, was du ihm geklaut hast.«

»Pfft.«

Jake steckte den Autoschlüssel ein und trat an die Veranda, um sich ans Geländer zu lehnen und Liam ernst anzusehen. »Das ist mein Haus, also gelten meine Regeln. Regel Nummer eins: kein Diebstahl!«

Liam zog die Beine auf die Bank. »Von mir aus.«

»Regel Nummer zwei: keine Drogen! Und keine heißt keine, kapiert? Dazu zählt weißes Pulver in Tüten ebenso wie Alkohol, Pillen oder Kippen.«

»Kapiert.«

»Regel Nummer drei: du bist für deinen Kram alleine verantwortlich. Hier wird niemand für dich putzen oder die dreckige Wäsche für dich waschen. Dafür haben wir Pläne, an die wird sich gehalten. Ansonsten sitzt du irgendwann nackt oder dreckig am Tisch.«

Liam sagte nichts dazu, aber er nickte, und damit war Jake fürs Erste zufrieden. Es würde sich zeigen, ob Liam sich an die Regeln hielt oder nicht. Falls nicht, nun, dann würde er andere Saiten aufziehen. Er hatte sich noch nie von einem seiner Kids auf der Nase herumtanzen lassen, und er hatte nicht vor, daran etwas zu ändern.

»Eine Sonderregel für dich ...« Jake brach ab, trat auf die Veranda und schaltete das Außenlicht ein, ehe er sein Handy aus der Tasche zog und es Liam reichte. »Ruf deine Familie an und sag ihnen, dass du hier bist. Wen du anrufst, ist mir egal.«

Es dauerte eine Weile, bis Liam aufhörte ihn beleidigt anzusehen und das Handy nahm. Jake wich zurück, um sich wieder gegen das Geländer zu lehnen, weil er nicht vorhatte, Liam alleinzulassen. Wirkliche Privatsphäre würde Kilians Freund in der nächsten Zeit nur bei geschlossener Tür in seinem Zimmer haben, und daran konnte er sich ruhig schon mal gewöhnen.

»Hi … Ja, bin ich … Nein, mir geht’s gut … Ja … Ja, ich zahle das Geld zurück … Ja, ich …« Liam seufzte. »Onkel Adrian … Nein … Wieso denn? … Gar nichts muss ich … Er hat angefangen … Pfft … Ich leg gleich auf, wenn du … Verdammt, ich bin kein Kind mehr und du … Nein, ich rede nicht weiter mit dir! … Anschreien lassen kann ich mich auch zu Hause!«

Liam beendete das Gespräch abrupt und verschränkte wütend die Arme vor der Brust. Es dauerte keine Minute, da begann das Handy erneut zu klingeln. Jake streckte schmunzelnd die Hand danach aus. Liam stand auf und reichte es ihm. Jake drückte den Anruf weg und  öffnete die Haustür, damit Liam endlich ins Warme kam.

»Geh rein. Die Büros rechts sind tabu, geradeaus sind Küche, Essbereich, Wohnzimmer. Toilette ist links neben der Treppe. Den Rest zeige ich dir morgen. Mach dir etwas zu trinken. Tassen stehen im Schrank über der Spüle, im Regal neben dem Kühlschrank findest du Cappuccino, Heiße Schokolade, Kakao und verschiedene Teesorten.«

Liam nickte und verschwand wortlos ins Haus. Jake zog die Tür wieder zu und rief den Anwalt zurück. »Ruhe bewahren, heißen die beiden Zauberwörter«, sagte er, als Adrian abnahm. »Kilian meinte, du wärst gut darin.«

»Seit Monaten sehe ich dabei zu, wie diese Familie langsam den Bach runtergeht. Wer soll dabei ruhig bleiben? Der Junge ruiniert sich sein Leben mit diesem Dreckszeug und ...«

»Adrian!« Der verstummte abrupt und Jake atmete einmal tief durch, bevor er weitersprach. »Ich weiß, dass es nicht leicht ist. Du liebst Liam und willst helfen, aber ab sofort ist er mein Job … Ich werde mich um ihn kümmern. Ich werde helfen. Du wirst dich raushalten, solange ich nichts anderes sage, und das gilt auch für den Rest deiner Familie.«

»Jake ...«

»Nein!«, unterbrach er Adrian sofort. »Darüber gibt es keine Diskussion. Ihr wolltet meine Hilfe, ihr habt sie. Besser gesagt, Liam hat sie. Ich werde weder dich noch die anderen ausschließen, das ginge auch gar nicht, da ich euch brauchen werde, aber wenn ihr mir in die Quere kommt, gibt es Ärger.«

Adrian schwieg eine Weile und Jake konnte sich ziemlich gut vorstellen, wie sehr dieser sturköpfige Anwalt dagegen ankämpfen musste, das Zepter wieder an sich zu reißen. Adrian Quinlan ging die Familie über alles und das war etwas, was sie gemeinsam hatten.

»Wofür brauchst du uns?«, fragte Adrian schließlich.

»Vorrangig um Liams Vätern den Kopf zu waschen, wobei mich langsam das Gefühl beschleicht, dass ich das selbst erledigen muss.« Keine Antwort war in diesem Fall definitiv auch eine Antwort, dachte er, als Adrian dazu nichts sagte. »Ihr seht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, kann das sein?«

»Deswegen möchte ich, dass du die Sache übernimmst. Wir stecken seit Monaten fest, du hast einen vollkommen anderen Blickwinkel«, antwortete Adrian und klang dabei so frustriert und besorgt in einem, dass er Jake leidtat, und es ihm gleichzeitig eine Idee bescherte.

»Tu mir einen Gefallen.«

»Welchen?«

»Ich brauche einen Überblick der letzten Monate, seit Noah niedergeschossen worden ist. Schreib mir einen Bericht. Nüchtern. Trocken. Ich habe bereits mit Kilian und Dale gesprochen, aber ich will es von deiner Sichtweise erfahren. Fass alle Ereignisse zusammen und schreib mir dazu, was du denkst. Kriegst du das hin?«

»Du willst herausfinden, ab wann es bei Nick und Tristan so schiefgelaufen ist?«

Jake wiegte bedächtig den Kopf. »Auch. Wichtiger ist mir, irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, der Liam hat abstürzen lassen. Ich vermute, dass sein Bruder der Grund ist. Zumindest einer der Gründe. Aber momentan kann ich ihn nicht ausquetschen, dafür ist es zu früh … Und seien wir ehrlich, Nick und Tristan kann ich, was das angeht, vorläufig vergessen, oder?«

»Ja«, gab Adrian nach einer Weile zu. »Ich … Egal.«

»Nein, ist es nicht. Was wolltest du sagen?«

»Sie werden immer mehr zu Fremden für mich. Ich kenne Nick schon ewig, aber den Mann, der dir im Krankenhaus fast an die Gurgel gesprungen ist, kenne ich nicht.«

Jake lehnte sich gegen das Geländer und seufzte leise. »Entfremdung. Normal bei derartigen Erlebnissen, aber gleichzeitig leider das völlig Falsche.«

»Wie sind deine Erfahrungen damit?«

Jake rieb sich die Augen. Er wusste genau, worauf der Anwalt mit der Frage anspielte. »Adrian ...«

»Sag es mir!«

»In acht von zehn Fällen kommt es zur Trennung.«

»Scheiße.«

»Adrian, sie könnten durchaus zu den Paaren gehören, die es schaffen.« Er stieß sich vom Geländer ab. »Mach dich nicht verrückt, das hilft ihnen nicht. Schreib mir den Bericht. Ach ja, Liam braucht Kleidung, Schuhe, Waschzeug etc., könnt ihr das besorgen? Wenn nicht, fahre ich mit ihm einkaufen.«

»Nein, er hat genug. Ich bringe morgen was vorbei.«

Jake hielt, mit dem Hausschlüssel in der Hand, abrupt inne, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss, der vielleicht ein erster Schritt in die richtige Richtung war. »Zu wem hat Liam im Moment den besseren Zugang? Nick oder Tristan?«

»Bist du sicher?«, fragte Adrian nachdenklich, der ihn ohne weitere Erklärung verstanden hatte.

»Ja.«

»Tristan«, beantwortete Adrian dann seine Frage. »Liam gehört zu Tristan, Noah zu Nick. So war es immer und daran hat sich nichts geändert.«

Das erklärte für Jake eine Menge. Aus diesem Grund drehte Nick Kendall dermaßen am Rad. Für ihn musste es so aussehen, als hätte er beide Söhne verloren. Noah konnte sich nicht mehr an ihn erinnern und Liam hatte sich den Drogen zugewandt. Logisch betrachtet war das natürlich Unsinn, aber einem liebenden Vater mit Logik kommen zu wollen, war ähnlich sinnlos, wie den Kopf gegen eine Steinmauer zu schlagen. Jake würde sich etwas einfallen lassen müssen, um Liams Vätern begreiflich zu machen, dass sie endlich zusammenhalten mussten, um ihre Ehe zu retten und ihren Kindern zu helfen.

»Schick mir Tristan her, und zwar allein.«

»In Ordnung.«

 

Liam saß mit einer Heißen Schokolade in der Essecke, als Jake ins Haus trat, nachdem er sein Gespräch mit Adrian beendet hatte. Er schloss hinter sich ab und schaltete die Alarmanlage ein, ehe er sich zu Liam gesellte und sich ebenfalls etwas zu trinken machte. Im hellen Licht der Küche sah sein Gegenüber abgekämpft und müde aus. Jake ließ seinen Blick über ihn gleiten, suchte dabei nach Anzeichen für körperliche Beschwerden, aber außer einem kaum erkennbaren Zittern der Hände, schien Liam in Ordnung zu sein.

»Hat er sich beruhigt?«, fragte Liam und sah ihn an.

Jake nickte. »Hat er. Wie stellst du dir das nun vor?«

Liam zuckte mit den Schultern und legte beide Hände um die Tasse. »Woher soll ich das wissen? Du bist doch der Fachmann für Junkies wie mich.«

»Das bin ich. Aber ich habe dir schon im Krankenhaus gesagt, dass du es nicht schaffst.«

»Ich bin hier, oder?«

»Stimmt.« Jake verkniff sich ein Lachen. »Also? … Ich frage dich noch mal: Willst du raus aus der Hölle?«

»Bin ich hier oder nicht?«

Jake musste sich auf die Lippe beißen, um nicht zu lachen. So ein Sturkopf. Er langte über den Tisch, packte Liams Kinn und zwang den dazu ihn anzusehen. Wenn Blicke töten könnten, wäre Jake jetzt vom Stuhl gefallen.

»Ja oder nein?«

»Mann, ja.« Liam schlug seine Hand weg. »Idiot.«

»Danke«, konterte Jake trocken und ließ Liam los. »Gut. Du bekommst das letzte, freie Zimmer. Morgen kommt dein Vater und bringt dir einige Sachen vorbei.«

Liam sah alarmiert auf. »Welcher?«

»Tristan.«

Liam wurde blass und wich seinem Blick aus. Jake nickte zufrieden. Da fühlte sich jemand schuldig für das, was er getan hatte, und das war richtig. Jake hatte bereits eine Idee, wie er Liam mithilfe dieser Schuldgefühle dazu bringen konnte, sich bei Tristan zu entschuldigen, aber das hatte Zeit. Das Wichtigste war jetzt, dass Liam die Finger von den Drogen ließ, und mit viel Zeit und noch mehr Geduld wieder auf die Füße kam.

»Du musst noch nicht mit ihm reden, das übernehme fürs Erste ich. Aber irgendwann wirst du es ihm erklären müssen. Den eigenen Vater mit einer Flasche angreifen, nur weil er dich beim Klauen erwischt hat, ist kein dummer Jungenstreich.« Liam presste seine trockenen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und Jake entschied, dass das ausreichend Tadel für den ersten Abend gewesen war. »Nimm die Tasse mit. Ich zeige dir dein Zimmer. Wir reden morgen weiter. Du kannst ausschlafen. Die ersten Tage gewöhnst du dich in aller Ruhe bei uns ein. Ab nächster Woche wirst du zum Putzen eingeteilt, so wie alle anderen im Haus.«

»Ich muss nicht zurück ins Krankenhaus?«

Liam sah ihn misstrauisch an und Jake schüttelte den Kopf. »Nein. Es sei denn, es wird medizinisch notwendig.«

»Hm«, machte Liam nur und Jake stützte sich beim Aufstehen auf der Tischplatte ab.

»Merk dir eines, Liam. Ab sofort bin ich für dich der liebe Gott, und wenn du Scheiße baust, reiße ich dir den Arsch auf.«

 

 

7. Kapitel

 

 

 

 

»Ich konnte mich nicht entscheiden … Na ja … Ich ...« Tristan schaute auf die zwei prallgefüllten Reisetaschen zu seinen Füßen und zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich kann es wieder mitnehmen, falls er es nicht will. Seine Bücher vermutlich. Liam hat schon ewig keines mehr in die Hand genommen. Ich weiß gar nicht, ob ihm überhaupt etwas passt, er ist so dünn.«

»Was liest er denn gern?«, fragte Jake und stellte den Besen beiseite, mit dem er gerade die Veranda gefegt hatte, als Tristan Kendall vorgefahren war.

Liams Vater grinste schief, bevor er aufsah. »Alles? Er und Noah konnten sich nie auf ein Genre festlegen. Wenn einer der beiden mit etwas Neuem ankam, wollte der andere das Buch auch lesen.«

»Zwillinge«, sagte Jake nur und Tristan lächelte. Jake deutete hinter sich. »Wollen Sie reinkommen?«

»Ich … Ist er …?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739310336
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Drama Ostküsten Reihe schwul Familie Liebe Romanze

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Thriller, Romanzen und Fantasy. Weitere Informationen zu meinen Büchern und aktuelle News zu Veröffentlichungen findet ihr auf meiner Autorenseite.
Zurück

Titel: Einsame Herzen