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Kleine Häppchen

von Mathilda Grace (Autor:in)
410 Seiten
Reihe: Die Ostküsten-Reihe, Band 15

Zusammenfassung

Überarbeitete Neuauflage, Januar 2019 Eine Sammlung von 19 Kurzgeschichten in Anlehnung an meine Ostküsten-Reihe. Meine Charaktere werden sich von Geschichte zu Geschichte abwechseln. Es gibt dabei keinen genauen Plan oder gar eine feste Storyline. Inklusive zwei bislang unveröffentlichte Bonusgeschichten: 1. Happy Halloween 2. Der Baum ist weg

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Danksagung

 

Ein großes Dankeschön gilt zuallererst meinen Lesern, die seit dem Jahr 2009 die Geschichten meiner Ostküsten-Reihe mit wachsender Begeisterung begleiten und es jedes Mal kaum erwarten konnten, wenn wieder ein Abenteuer rund um Adrian und seine riesige Wahlfamilie anstand.

 

Weiterhin bedanke ich mich bei meinen geduldigen Fehlerfindeln, die es mit mir wahrlich nie leicht haben. Ich sage nur: Kommasetzung & Bandwurmsätze.

 

Auch meiner Familie gilt mein Dank, weil sie mich immer unterstützt, obwohl ich über das Schreiben regelmäßig vergesse sie anzurufen, bis Mum sich dann irgendwann zu fragen beginnt, ob ich vielleicht schon tot unterm Schreibtisch liege. Ich bin furchtbar, ich weiß. ;-)

 

Liebe Grüße

eure Matty

 

 

Süßes oder es gibt Saures

(wahlweise auch einen Tritt in den Hintern)

 

Eigentlich hat Adrian Quinlan nichts gegen Halloween. Eigentlich findet er das Fest der Geister, Untoten und Kürbisse sogar ganz lustig. Doch seit Anfang Oktober treibt irgendjemand seltsame Scherze mit ihm und als dann in seiner Garage eine Leiche hängt, wird aus dem anfänglichen Spaß plötzlich gruseliger Ernst.

 

 

Kapitel 1

 

»Hast du den Kürbis verstellt?«

»Hm?«, fragt David zerstreut und starrt mit gerunzelter Stirn auf die unfertige Skizze neben seinem Frühstücksteller. Er arbeitet seit Wochen an dem herbstlichen Landschaftsbild, das müsste der elfte oder zwölfte Versuch sein, aber irgendetwas stört ihn jedes Mal daran und er kommt einfach nicht darauf.

»Der Kürbis auf unserer Veranda. Hast du ihn auf die andere Türseite gestellt?«

»Wieso sollte ich?«, murmelt er irritiert und beißt von seinem Toast ab.

Einem trockenen Toast und das fällt ihm dann auch auf. Er verzieht das Gesicht und bringt mich damit zum Grinsen. Ich verkneife mir allerdings jeden Kommentar, während ich zusehe, wie er Erdbeermarmelade auf dem Toast verteilt und dann erneut abbeißt. Dieses Mal folgt ein genüssliches Seufzen, das bei mir augenblicklich für Platzprobleme in der Hose sorgt.

Leider habe ich keine Zeit für mehr, ich bin eh schon spät dran. Nick bringt mich um, wenn er die Eröffnung für den Prozess allein machen muss. Er und Tristan sind im Stress, denn Halloween steht vor der Tür und sie sind mit den Zwillingen zu einer familiären Kostümparty in Cumberland eingeladen.

Was natürlich auch für uns gilt. Isabell ist gestern mit Tristan und seinen Jungs vorgefahren, wir folgen ihnen heute Abend, denn der Termin für den Mordprozess war mir einfach zu wichtig. Unser Mandant ist unschuldig, davon bin ich überzeugt, und ich werde nicht zulassen, dass der Mann wegen schlampiger Polizeiermittlungen verurteilt wird, nur weil er schwarz und arm ist.

»Wenn du mich weiterhin so anstarrst, schaffst du es garantiert nicht pünktlich ins Büro, und ich möchte mir nicht in meinen schlimmsten Albträumen vorstellen, was Nick dann mit dir anstellt«, reißt mich Davids belustigte Stimme aus den Gedanken und ich kann leider Gottes nicht verhindern, dass ich rot werde, weil er mich dabei erwischt hat, wie ich seine Lippen anschmachte. Wir haben irgendwie zu wenig Sex in letzter Zeit.

»Ich sehe dir an, was du denkst, aber das muss leider bis nach Halloween warten.«

Ich weiß, ich weiß. Murrend trinke ich meinen Kaffee aus und erhebe mich. »Nicht mal Zeit für einen Quickie hat man«, nörgle ich und drücke David einen Kuss auf seinen lachenden Mund, ehe ich aus dem Haus flüchte, bevor ich etwas Dummes tue und über ihn herfalle.

Auf der Veranda fällt mein Blick unwillkürlich auf unseren ausgehöhlten Kürbis, der gestern früh definitiv noch auf der anderen Türseite stand. Ich weiß nicht, ob es wirklich Zufall ist, aber in den vergangenen Wochen sind ein paar dieser ominösen Zufälle passiert, die außer mir irgendwie niemand zu bemerken scheint, und ich bin nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist.

Ich bin definitiv überarbeitet, aber vor Weihnachten kann ich mir das Thema Urlaub abschminken, denn die Kanzlei erstickt in Arbeit. Nick hat acht offene Fälle auf dem Tisch liegen, ich aktuell sieben. Ein freier Tag oder ein, zwei Wochen sind da einfach nicht drin.

Das Garagentor ist offen.

Merkwürdig. Ich hatte es letzte Nacht zugeschlossen, da bin ich mir sicher. Mein Magen rumort leise, als ich das Tor vorsichtig öffne und einen Blick riskiere.

Es ist nichts zu sehen. Abgesehen von einer Leiche, die an der Decke baumelt.

Was zur Hölle ...?

Mein Aktenkoffer landet mit einem Poltern auf dem Boden neben mir und ich bin schon auf dem Weg zurück ins Haus, während ich noch nach meinem Handy suche.

David sieht verblüfft auf, als ich in die Küche stürme. »Hast du etwas vergessen?«

»In der Garage hängt eine Leiche.«

»Das ist nicht lustig«, erklärt David, nachdem er mich einen Moment sprachlos angestarrt hat.

»Siehst du mich etwa lachen?«, frage ich trocken und meine Finger zittern so heftig, dass ich es nicht schaffe, 911 zu wählen. Himmel noch mal, ich brauche wirklich ein paar freie Tage.

»Ich sehe nach.«

»Auf gar keinen Fall!«, fahre ich ihn an. »Das ist viel zu gefährlich.«

»Adrian, wie soll denn jemand eine Leiche in unserer Garage aufhängen können? Sie war abgeschlossen.«

»War sie nicht.«

»Was?«, fragt er verdutzt.

»Das Tor stand ein Stück offen.«

»Aber du hast es doch geschlossen.« David räuspert sich und ich weiß, was er als nächstes sagen will.

»Ja, ich habe das Tor gestern Abend geschlossen und danach abgeschlossen. Ich bin überarbeitet, nicht senil.«

»Adrian ...«

»Was?« Ich lasse verärgert das Handy sinken, um ihn wütend anzusehen. »Willst du mir jetzt auch erzählen, dass ich nur ein bisschen überspannt bin, so wie Nick es getan hat, als das mit der Tarantel war.«

»Welche Tarantel?«

Ups, davon habe ich ihm nichts erzählt. Mist. »Letzte Woche saß eine Tarantel mitten auf meinem Schreibtisch, als ich morgens ins Büro kam. Als ich Nick geholt habe, war sie weg.«

»Habt ihr sie gefunden?«

»Nein. Und Nick glaubt mittlerweile, ich hätte mir das bloß eingebildet, weil wir uns letztens diesen blöden Film über die Viecher angesehen haben.«

David erhebt sich und ist eindeutig sauer. »Also hast du einfach beschlossen, mir nichts davon zu sagen, weil ich dir bestimmt auch nicht geglaubt hätte, sehe ich das richtig?«

»Äh ...«

»Darüber unterhalten wir uns später. Jetzt gehen wir raus, sehen uns die Leiche an und rufen die Polizei.«

 

Die Garage ist leer.

Bis auf meinen Aktenkoffer, der auf der Motorhaube des BMW steht. Wie kommt er da hin? Ich hatte ihn fallenlassen, verdammt noch mal. Was ist hier eigentlich los? David wirft mir einen Blick zu, der eine Mischung aus einer Frage und leichter Sorge ist, während er sich umsieht und natürlich nichts findet. Er bleibt auf Höhe des Aktenkoffers neben meinem Wagen stehen und sieht mich nachdenklich an.

»Adrian, sei nicht sauer, aber vielleicht solltest du dir wirklich ein freies Wochenende gönnen.«

»Nein.«

»Adrian ...«

Mein warnender Blick lässt ihn verstummen. »Ich bin nicht verrückt und ich bilde mir das auch nicht alles ein. Weder die Tarantel noch den Kürbis oder diese Leiche. Von den anderen Dingen ganz zu schweigen. Krawatten verschwinden nicht einfach, schon gar nicht aus einem verschlossenen Auto. Und mein Parfüm hat sich auch nicht von selbst auf unseren Badezimmerfliesen verteilt, ebenso ist der Käfer freiwillig in den Salat gehüpft und dieses Klopfen in den Wänden ...«

»Klopfen in den Wänden?«, unterbricht David mich irritiert und ich ziehe eine Grimasse, als mir einfällt, dass ich ihm das auch nicht erzählt habe, weil ich dachte, ich hätte mich verhört. Die Leitungen und Rohre in unserem Haus machen ab und an Geräusche, das ist nichts Neues, aber ein anhaltendes und rhythmisches Klopfen gehört üblicherweise nicht dazu.

Als das mit der Krawatte und dem Parfüm passierte, glaubte ich anfangs wirklich noch an Zufälle. Immerhin ist morgen Halloween und es wäre nicht das erste Mal, dass man sich im Oktober in unserer Familie gemeine Streiche spielt. Nur scheinen weder David noch Isabell etwas bemerkt zu haben und ich glaube auch nicht, dass sie eine Leiche in die Garage hängen würden.

Davids Irritation ist längst einem beunruhigten Blick gewichen, als ich zu Ende erzählt habe. »Du hast dir als Anwalt nicht nur Freunde gemacht. Vielleicht ...«

Mein Kopfschütteln unterbricht ihn. Natürlich habe ich daran schon gedacht, aber das Parfüm lag auf dem Boden in unserem Badezimmer und dieses Klopfen kam ebenfalls von irgendwo aus dem Haus. Es gab keinerlei Einbruchsspuren an den Fenstern oder Türen, das habe ich längst überprüft.

»Ist sonst noch was passiert?«, will David daraufhin wissen und greift nach meinem Aktenkoffer, um ihn mir zu geben. »Was zum …?«

Er lässt ihn mit einem angewiderten Laut fallen und hebt seine Hand. Wir ziehen beide erschrocken die Luft ein, denn seine Finger sind rot. Ist das etwa …?

»Ach du Scheiße«, keucht David entsetzt und reagiert instinktiv, indem er sich die Hand an der Hose abwischt. Sein Blick findet meinen und als ich die Angst in seinen Augen aufflackern sehe, hält mich nichts mehr davon ab, das Handy zu nehmen und 911 zu wählen.

 

 

Kapitel 2

 

Die Polizei beschlagnahmt den Aktenkoffer und kann schon kurz darauf Entwarnung geben. Es ist Kunstblut. Ein harmloser Streich, nennt es der Beamte, wenn auch nicht im Mindesten lustig für uns. Und für ihn auch nicht, denn als ich ihm erzähle, was in den letzten Wochen noch alles vorgefallen ist, hört er auf zu grinsen und nimmt die Sache ernster.

Er fragt nach Feinden und wütenden Mandanten, ich zähle jeden auf, der mir einfällt, egal ob er im Knast sitzt oder nicht. Die Liste wird lang und eine Stunde später zieht Detective Banner wieder los, mit der Mahnung, die nächsten Tage ganz genau auf verschlossene Fenster und Türen zu achten. Zudem soll ich es vermeiden, irgendwo alleine hinzugehen und das dürfte bei der anstehenden Familienparty in Cumberland kein Problem sein.

Als mir dann endlich einfällt, dass ich eigentlich vor Gericht sein müsste, ist es natürlich längst zu spät. Nick verzichtet allerdings darauf, mir den Kopf abzureißen, nachdem er erfahren hat, was bei uns los ist.

Stattdessen befiehlt er mir, gefälligst mit dem Arsch zu Hause zu bleiben – O-Ton Nick –, auf David und mich aufzupassen und für die große Halloweensause in Cumberland zu packen. Er will uns später abholen und den Fahrer spielen. Aber vorher will er noch mal mein Büro nach der ominösen Tarantel absuchen lassen, sicher ist sicher, und vor allem, bei Gericht einige Termine auf den November verschieben.

 

»Vielleicht war es ja doch nur ein Scherz«, sagt David gegen Mittag, während er vor dem Kleiderschrank steht und mir über die Schulter einen Blick zuwirft, der mir ziemlich deutlich zeigt, dass er selbst nicht daran glaubt. »Okay, kein sehr guter, ich gebe es zu, und wenn Isa mit den Zwillingen nicht schon weg wäre, hätte ich die drei in Verdacht.«

»Nicht mal die Zwillinge würden so weit gehen, Trey. Halloweenscherze hin oder her, Kunstblut an meinem Aktenkoffer und eine aufgehängte Leiche in der Garage gehen eindeutig zu weit.«

»Die Cops haben nichts gefunden. Keine Spuren von einem Toten.«

»Eine Puppe?«, schlage ich vor und räume die bereits ausgesuchte Unterwäsche in meinen Koffer. »Witzig ist es deswegen noch lange nicht.«

»Das habe ich auch nicht ges... Oh mein Gott.«

»Was ist?« Ich fahre alarmiert zu ihm herum. David ist leichenblass und hält einen weißen Briefumschlag in der Hand, auf dem eine schaurige Fratze abgedruckt ist. »Woher hast du den?«

»Aus deinem blauen Jackett.«

»Das kann gar nicht sein, der Anzug war bis gestern Abend in der Reinigung« sage ich und sehe ihn nervös schlucken. »Ich rufe Detective Banner an.«

»Sollen wir ihn nicht vorher aufmachen?«

»Nein.« Ich schüttelte mit dem Kopf. Das könnte sonst etwas sein, bis hin zu einer Bombe. Auf gar keinen Fall will ich, dass David diesen Umschlag öffnet. »Leg' ihn auf den Boden und komm her. Aber langsam.«

»Du glaubst doch nicht …?«

Er bricht ab, als ihm klar wird, was ich vermute, und während ich dem Detective erzähle, was wir hier gerade entdeckt haben, sterbe ich gefühlte eintausend Tode, bis David den Brief nicht mehr in seinen Fingern hält und in sicherer Entfernung von dem Umschlag neben mir steht.

 

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«

Der Cop läuft in unserer Küche auf und ab und wirft David und mir abwechselnd nachdenkliche Blicke zu. Seit zwei Stunden ist er wieder da und nachdem sich der Inhalt des Umschlags als harmloses Halloween-Gedicht entpuppt hat, sind wir alle etwas ruhiger. Wobei ruhig nicht das richtige Wort dafür ist, denn langsam frage ich mich ernsthaft, was das Ganze soll. Und damit stehe ich nicht allein da.

»Verstehen Sie das bitte nicht falsch, aber eine Bombe oder Morddrohung fände ich logischer.«

»Wie bitte?«, fragt David entrüstet und der Cop hebt entschuldigend seine Hände.

»Ich sagte doch, bitte nicht falsch verstehen, denn für einen albernen Scherz geht das viel zu weit. Dieses Gedicht ist mir zu harmlos, um nicht auffällig zu sein. Ich meine ...« Er nimmt das Blatt Papier vom Tisch und zitiert daraus:

 

»Sobald die Turmuhr Mitternacht schlägt,

ein Jeder eine Maske trägt.

Ein dunkles Grauen schleicht von Haus zu Haus,

es fordert die Lebenden heraus.

Auf eine sternenklare Nacht,

bald sind die Toten wieder wach.

Wenn Geister durch die Straßen ziehen,

freut euch, bald ist Halloween.«

 

Banner sieht frustriert aus. »Das kann alles bedeuten oder gar nichts. Aber Sie sind nun mal einer der besten Anwälte der Stadt und Sie haben Feinde. Einen solchen Aufwand betreibt nach meiner Erfahrung niemand, der Ihnen zu Halloween nur einen Streich spielen will.«

»Also wird Adrian bedroht?«, fragt David leise und flucht unflätig, als der Detective ratlos mit den Schultern zuckt. »Ein Schulterzucken? Mehr fällt Ihnen nicht dazu ein? Was für ein Bulle sind Sie eigentlich?«

Ich kann ihn verstehen, aber das hilft uns leider auch nicht weiter. »Trey ...«

»Na ist doch wahr«, schimpft er und erhebt sich. Als mir klar wird, dass er Kaffee machen will, unterdrücke ich ein Schaudern und nehme ihm die Packung mit dem Pulver ab. »Ich kann das«, murrt er daraufhin und wenn ich jetzt nicht aufpasse, was ich sage, fliegen hier gleich die Fetzen, das erkenne ich an seinem Gesichtsausdruck deutlich.

»Natürlich«, stimme ich David daher nachsichtig zu und tue harmlos, als er mich böse anguckt.

»Pfft«, macht er schließlich beleidigt und verlässt die Küche mit einem: »Ich packe unsere Koffer zu Ende.«

»Wenn Sie damit einverstanden sind, schicke ich über Halloween vermehrt Streifen zu ihrem Haus, um nach dem Rechten zu sehen. Ich bezweifle zwar, dass etwas passiert, solange Sie nicht da sind, aber sicher ist sicher.« Banner faltet den Brief mitsamt der Tüte zusammen, in die er ihn gleich nach seinem Eintreffen gesteckt hat. Er hofft auf verwertbare Spuren oder Fingerabdrücke, aber ich bezweifle, dass er etwas finden wird. »Am liebsten würde ich Ihnen Begleitschutz geben, allerdings dürfte das ohne eindeutige Bedrohung schwierig werden.«

»Wir sind ab heute Abend über 20 Leute. Wenn dort irgendwer an uns rankommen will, müsste er schon das Haus in die Luft jagen«, versuche ich zu scherzen, doch das geht nach hinten los, denn der Detective sieht mich nur ernst an. »Sie hätten wenigstens so tun können, als würden Sie darüber lachen.« Mir ist jegliche Lust auf Kaffee vergangen, daher stelle ich das Pulver zurück in den Schrank.

Banner seufzt leise. »Ich habe nicht viel Humor, vor allem nicht an Halloween, denn das hier ...«, Er hebt die Hand mit dem Brief ein Stück an, »... sagt mir, dass Sie in Gefahr sind.«

 

Das hätte er mir nicht extra sagen müssen, das weiß ich auch so. Jeder in meiner Familie weiß es mittlerweile, denn als Nick am frühen Abend bei uns eintrudelt – der restliche Nachmittag verging ohne weitere Vorfälle – hat er Tristan am Telefon, dem gar nicht gefällt, dass wir mit dem Auto nachkommen wollen.

In und um Cumberland herum herrscht seit Stunden ein erstklassiges Halloweenwetter, inklusive Sprühregen und derart dicken Nebelschwaden, das die Sichtweite an manchen Stellen unter fünfzig Metern beträgt. Niemand von uns hat vergessen, dass genau so ein Herbstwetter Connor einmal fast den Tod gebracht hat.

Wir werden allerdings, im Gegensatz zu ihm damals, zu dritt unterwegs sein.

Hoffentlich hilft das.

 

 

Kapitel 3

 

Nach Dreiviertel der Strecke wird der Nebel plötzlich so zäh und undurchdringlich, dass Nick beschließt, eine Pause einzulegen. Auch wenn wir gut durchgekommen und nur noch etwa eine halbe Stunde von Cumberland entfernt sind, müssen wir uns nicht abhetzen. Bei diesem Wetter ist es besser, dass jeder von uns hellwach und vor allem aufmerksam ist, was die Straße angeht.

Wir passieren im Schneckentempo ein Schild, das uns zu einer Raststätte mit angeschlossenem Restaurant und Motel führt. Notfalls könnten wir dort übernachten, aber ich glaube, ein Kaffee, etwas zu essen und ein längerer Spaziergang an der frischen Luft werden ausreichen, um heute noch ans Ziel zu kommen.

»Gehen wir rein?«, fragt Nick, nachdem er geparkt hat und öffnet die Wagentür. »Ich könnte etwas zu essen vertragen.«

»Ich würde mir vorher lieber ein bisschen die Beine vertre-ten«, antwortet David und ich schließe mich dem Vorschlag an. Ich sitze schon im Büro zu viel auf meiner Kehrseite, da brauche ich jetzt nicht vom Autositz auf einen Restaurantstuhl wechseln. »Aber zuerst muss ich ganz eilig wohin. Nick, ich würde sterben für einen heißen Kakao.«

Nick lacht und sieht mich fragend an. Mein knappes Nicken ist ihm Antwort genug. »Okay, ich besorge uns was zu trinken. Wir können später entscheiden, ob wir etwas essen. Bin gleich zurück.«

Weg ist er und nach einem ausgiebigen Kuss für mich schlägt David den Weg zu den Toiletten ein. Ich strecke mich in aller Ruhe und beschließe ein wenig durch den Nebel zu spazieren. Solange ich in direkter Sichtweite des Restaurants bleibe, laufe ich kaum Gefahr über den Haufen gefahren zu werden. Ein Automotor ist auch bei dichtem Nebel nicht zu überhören.

Der Parkplatz der Raststätte ist ziemlich leer und der langsam über den Boden wabernde Nebel verleiht dem Restaurant, vor dessen Eingangstür beleuchtete Kürbisse stehen, einen gruseligen Charme. Es sieht klasse aus und ich entschließe mich, für Isabell ein paar Bilder davon zu machen. Unsere Kleine ist verrückt nach Halloween.

Ich krame mein Handy aus der Tasche und suche mir einen guten Standort, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung ausmache. Stirnrunzelnd nehme ich den Arm runter und sehe nach links.

Um als nächstes irritiert zu blinzeln.

Da sitzt ein breit grinsendes Skelett mit Hut auf dem Kopf auf einer Parkbank und winkt mir zu.

Es trägt einen Turnschuh, ansonsten ist es ein Skelett. Mit blutig aussehenden Muskelsträngen, die an seinen Knochen herabhängen.

Ach du Schande, dieses Ding hat sogar Augen. Drehe ich jetzt durch oder sehe ich das wirklich?

»Guten Abend, Fremder.«

Ich blinzle erneut.

Hat das Skelett gerade zu mir gesprochen? Nein. Das dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Wir haben zwar Halloween, aber ein Skelett auf einer alten Bank an einer Highway-Raststätte, ist selbst mir zu schräg. Ich brauche dringend einen starken Kaffee oder wahlweise ein, zwei Tage Schlaf und dann geht’s mir wieder gut.

»Bist du immer so unhöflich?«, fragt das Skelett und bei jedem Wort bewegt sich sein Kiefer. Das Ding spricht eindeutig mit mir.

Okay, damit ist es amtlich. Ich bin durchgedreht.

»Teurer Zwirn, Fremder. Passt gut zu meinem Hut.«

Findet er? Na von mir aus.

»Du könntest ruhig mal einen Ton von dir geben, ehe noch jemand auf die Idee kommt, dass du tot bist.«

»Du bist tot«, rutscht mir heraus und das findet mein Gegenüber verdammt lustig, denn er/es/keine Ahnung lacht dreckig.

»Natürlich bin ich tot, was hast du denn gedacht?«

Hallo? Sehe ich aus, als rede ich täglich mit Skeletten, die auf Bänken sitzen? »Skelette reden nicht.«

»Behauptet wer? Morgen ist Halloween. Da rassle ich beizeiten sogar mit Ketten.«

»Ich dachte, das machen Geister«, wundere ich mich und frage mich im nächsten Moment, wieso ich mit dem Ding eigentlich rede.

Das Skelett winkt lässig ab. »Warum sollte ich denen immer allen Spaß gönnen? Ich kann gut mit Ketten.«

»Und mit Hüten«, fällt mir ein.

»Nicht wahr?«, freut sich meine Wahnvorstellung aus Knochen und seufzt zufrieden.

Ob es hilft, wenn ich mir einfach den Mund zuhalte? Ach, was soll's. Verrückt bin ich schon, da kann ich auch mit einem Skelett auf einer alten Bank reden. Wenn ich so darüber nachdenke … Hey, ich bin bestimmt in einer Pfütze ausgerutscht und liege genau in diesem Moment bewusstlos auf dem Parkplatz. Das wird es sein. Ich bin nicht verrückt, sondern außer Gefecht gesetzt.

Da fällt mir ein … »Wieso trägst du eigentlich einen Turnschuh?«

Das Skelett rollt einmal die Augen um 360 Grad, mir wird schon vom Zugucken schwindelig. »Das war so ein blöder Unfall. Ich kriege das Ding nicht ab, seit ich tot bin. Willst du mal ziehen? Vielleicht ...«

Auf gar keinen Fall! »Nein!«

»Ja, ja. Ein Feigling, genau wie die anderen«, stichelt das Skelett hämisch, schlägt die Beine übereinander und lehnt sich gemütlich auf der Bank zurück. »Ihr Lebenden habt einfach keinen Mumm in den Knochen.«

Ich werde mit diesem Toten garantiert kein Gespräch über Mut führen. Hallo? Das ist ein verdammtes Skelett, dass da vor mir sitzt, keine Reinkarnation von Abraham Lincoln. Der Mann hatte definitiv jede Menge Mumm in den Knochen.

»Welche anderen?«, will ich wissen und das Skelett macht eine weitläufige Geste mit der Hand.

»Die, die schon hier waren. Ich sitze immer auf dieser Bank. Ab und zu kommt an Halloween einer vorbei, sieht mich und denkt, er wäre irre. Ist lustig anzusehen, wenn sie dann anfangen mit sich selbst reden.« Das Ding kichert und ich muss ein Schaudern unterdrücken. »Ich wette meinen schicken Hut, dass du mich für eine nette Wahnvorstellung hältst.«

Ich werde ihm lieber nicht erzählen, dass ich glaube, bewusstlos auf dem Boden zu liegen. Wer weiß, was ihm dazu einfällt. Nein, danke. Es gibt Fragen im Leben, auf deren Beantwortung ich problemlos verzichten kann.

»Ich bin nur ein bisschen überarbeitet.«

»Sicher. Deswegen stehst du auch auf dem Rastplatz eines Highways und redest mit einem Toten.«

Pah. Halloween hin oder her, ich lasse mich nicht von einem Skelett beleidigen. »Willst du dich etwa darüber beschweren? Du hast mich doch angequatscht.«

»Klar, warum auch nicht? Mir war langweilig. Dieses Jahr ist nichts los. Zu schlechtes Wetter.« Das Skelett verneigt sich spöttisch. »Nun denn, es wird Zeit zu gehen, Fremder.«

Ich blinzle, als das Ding Anstalten macht sich von der Bank zu erheben. Und damit ist der Zenit überschritten, mir gehen endgültig die Nerven durch. Ich kreische los und weiche schockiert zurück, um zu Tode erschrocken zusammenzuzucken, als sich auf einmal zwei Hände auf meine Schultern legen.

»Happy Halloween!«, ruft mir David ins Ohr und ehe ich mich von dem Schrecken erholen kann, stolpert Nick lachend hinter einem der Bäume hervor, die in der Nähe der Bank stehen. Er hält einen viereckigen Kasten in den Fingern, betätigt einen Joystick und das Skelett sinkt zurück auf die Bank.

»Ihr ward das? Die Tarantel, der Kürbis, die Leiche in der Garage ...« Ich weiß nicht, ob meine Stimme genauso heftig vor Wut zittert, wie ich es tue, aber im Grunde ist es sowieso egal. Ich bin stinksauer. »Habt ihr sie noch alle?«, schreie ich die zwei an. »Ich denke seit Wochen, dass ich spinne und plötzlich sieht es sogar danach aus, als wäre ein Irrer hint… hmpf.«

Davids Lippen pressen sich auf meinen Mund und er legte beide Arme um mich, bevor ich mich losreißen und Nick und ihn weiter zur Minna machen kann. Das ist ja wohl der Gipfel der Frechheit, mich so zu verarschen.

Mir Angst zu machen, denn ja, ich gebe zu, ich hatte Angst. Und ich habe jetzt jedes Recht wütend auf diese beiden Spinner zu sein, nur leider kennt mich David zu gut und weiß, wie er mich besänftigen kann. Auch wenn ich es gar nicht will, das stetige sanfte Streicheln seiner Hände über meinen Rücken beruhigt mich und lässt die Wut nach und nach in den Hintergrund treten.

Meine Lippen prickeln und sehnen sich nach mehr, als er mich endlich freigibt und verschmitzt ansieht. »Du darfst nicht sauer auf uns sein, wir haben dir nur deinen Wunsch erfüllt.«

»Bitte?«, empöre ich mich und das entlockt David ein Schmunzeln, bevor er mir einen albernen Schmatzer auf die Nasenspitze gibt und fragt: »Was hast du letztes Jahr an Halloween zu mir gesagt?«

Ich habe keine Ahnung, wovon er redet. »Was?«

»Was gäbe ich nicht alles darum, mich mal wieder so richtig zu gruseln?«, fragt er mich und es dauert einige Zeit, bis mir dämmert, wann ich das gesagt habe.

Wir waren im letzten Jahr an Halloween im Kino. Ein Horrorfilm, über den ich mich mächtig geärgert habe, da ich schon nach 15 Minuten wusste, wer der Mörder ist. Draußen vor dem Kino fielen dann besagte Wörter und David hat sie in die Tat umgesetzt. Und zwar in einer Art und Weise, für die ich ihm einen Oscar verleihen würde. Ein sprechendes Skelett. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich darauf reingefallen bin. Auf alles. Und gegruselt habe ich mich. Sogar ziemlich stark, das kann ich leider nicht abstreiten.

»Ich sollte dir den Arsch versohlen. Rein aus Prinzip schon«, grolle ich unernst und muss grinsen, als David sich lachend an mich lehnt. »Das war nicht lustig.«

»Du wolltest dich doch gruseln. Ich habe dir nur den Wunsch erfüllt.«

»Pah«, murre ich und sehe zu Nick. »Wie hast du das überhaupt gemacht?«

»Ein Stimmverzerrer und sehr viel Elektronik. Mein neuer Freund hier war sauteuer«, antwortet Nick feixend und klopft dem Skelett auf die Schulter. »War eigentlich ganz leicht. Ich musste zwar ein paar Wochen üben, bis ich wusste, wie ich Joe Skeletti bedienen kann, vor allem, damit die Mundbewegungen zu meinen Worten passen, aber dein Mädchenkreischen war den Aufwand wert.«

Joe Skeletti? Mädchenkreischen? Ich bringe ihn um. Und ich werde ihn ausführlich quälen. Aber vorher will ich Antworten. »Und was ist mit diesem Detective? Oder besser gesagt, wer steckt in der Sache noch mit drin?«

Nick grinst breit. »Jeder. Die ganze Familie, damit es echt wirkt. Und der liebe Detective war auch von Anfang an eingeweiht. Er hatte die Idee mit der Tarantel, es ist nämlich seine. Und er schuldete mir einen Gefallen, weil ich vor sieben Jahren seinen Bruder vertreten habe. Max Banner, der verunglückte Dieb, erinnerst du dich?«

Der Groschen fällt und Nick setzt sich neben das Skelett auf die Bank, als ich fluche, während David schon wieder oder eher immer noch am Lachen ist »Das kriegst du wieder.«

»Süßes oder es gibt Saures, mein Schatz«, stichelt er und flüchtet glucksend vor mir, als ich ihm einen Tritt in seinen frechen Hintern verpassen will. »Wahlweise darf es auch ein Tritt in den Hintern sein. Aber nur einer und ohne Schuhe, die sind mir dafür viel zu dreckig.«

Na warte. Ich werde ihn bei nächster Gelegenheit im Spielzimmer ans Bett fesseln, und zwar für mindestens eine Woche. Aber vorher ... Ich lächle ihn betont harmlos an. »Komm mal her, Trey, ich muss dir dringend sagen, dass ich dich liebe.«

»Hältst du mich für dämlich?«, fragt er grinsend und rettet sich zu Nick, der sich einen Arm des Skeletts um die Schulter gelegt hat und mittlerweile den Hut trägt.

Das werde ich der Bande heimzahlen. Nächstes Jahr ist schließlich auch wieder Halloween. Mal sehen, was mir dazu einfällt, verdient haben sie es auf jeden Fall. So jung bin ich nun auch nicht mehr. Ich hätte vor Schreck tot umfallen können. Ein lebendes Skelett, also wirklich. Mein armes Herz.

Ich stemme meine Hände in die Seiten und werfe den beiden finstere Blicke zu, was sie leider nicht sonderlich beeindruckt. Typisch. »Ihr seid unmöglich.«

»Wissen wir«, kontern sie synchron und brechen in schallendes Gelächter aus, als ich stöhnend die Augen gen Nachthimmel verdrehe.

Wer so eine verrückte Familie hat, braucht echt keine Feinde mehr.

 

 

Spiel mit mir

 

Es gibt Gelegenheiten, da möchte Adrian Quinlan seinem jungen Lover Nick für dessen trotziges Verhalten am liebsten den Hintern versohlen. Doch anstatt genau das zu tun, entscheidet er sich für eine subtilere Methode, um Nick klarzumachen, dass Vorstellung und Realität zwei Paar Schuhe sind, die einem nicht automatisch passen müssen.

 

 

Kapitel 1

 

»Ostereier suchen?«

»Ja.«

Nick sah ihn misstrauisch an. »Ist das so ein Code für irgendwas, den ich nicht verstehe?«

Adrian schüttelte den Kopf, dabei war es eben genau das und Nick würde diese Tatsache begreifen, sobald sie Freitagabend den Club betreten hatten. Es war dringend an der Zeit Nick einen Denkzettel zu verpassen und die kleine, aber feine Osterparty im Dreamers war dafür in seinen Augen perfekt geeignet. Wer ihn immerzu damit nervte, die Art von Spielen spielen zu wollen, für die er im Grunde überhaupt nicht bereit war, der musste damit rechnen, eines Tages vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.

Außerdem wollte er Nick diesen Floh rechtzeitig aus dem Ohr ziehen, bevor er irgendwann an den Falschen geriet, der ein Nein möglicherweise nicht akzeptierte. Sie gingen zwar nur miteinander ins Bett, aber Adrian fühlte sich dennoch immer mehr für Nick verantwortlich. Vor allem für dessen Wohlergehen, seit er ihn in jener Nacht, die sein und Nicks Leben ziemlich verändert hatte, aus der Bar mit zu sich genommen hatte. Also würde er sich darum kümmern, dass sein junger Lover seine eigenen Grenzen erkannte und sie nicht überschritt.

So sehr ihn Nicks große Klappe ansonsten amüsierte, in diesem Bereich konnte das schnell gefährlich werden, und da Nick seine bisherigen Warnungen lachend in den Wind geschlagen hatte, würde er ihm eben auf die harte Tour begreiflich machen, dass ein BDSM-Club nichts für ihn war.

»Du verarscht mich doch.«

»Es ist eine Osterparty in einem exklusiven Club. Wer liegt mir denn seit Wochen damit in den Ohren, dass er sich unbedingt einen BDSM-Club ansehen will?«

Nicks misstrauischer Blick wandelte sich plötzlich in einen interessierten. »Ernsthaft jetzt?«

Adrian nickte. »Ja, ernsthaft. Wir gehen hin, du siehst dich um und wenn es dir gefällt, spielen wir eine Weile. Ein paar Regeln gibt es allerdings, an die du dich halten wirst. Falls nicht, sind wir dort schneller wieder weg, als du meinen Namen schreien kannst.«

»Welche?«, fragte Nick wissbegierig und Adrian trug seine leere Kaffeetasse zur Spüle, ehe er antwortete.

»Du ziehst an, was ich dir hinlege«, sagte er und fing an, das saubere Geschirr aus dem Geschirrspüler in die Schränke zu räumen. »Im Club herrscht Dresscode. Von der teuren Sorte, damit wir uns richtig verstehen. Also kaufe ich das Passende und du trägst es. Du wirst keinen Tropfen Alkohol trinken und du nimmst auch nichts an, das man dir anbietet. Du bist mit mir dort. Ich bezahle. Ich bestimme.«

Nick murrte leise. »Ich soll Drinks ablehnen? Vergiss es, ich bin doch nicht blöde. Danach hältst du mir dann wieder vor, ich soll mich höflicher benehmen.«

Adrian verkniff sich ein lautes Aufstöhnen, während er die letzte Tasse einräumte und die Tür schloss, ehe er sich wieder zu Nick umdrehte. Wieso hatte er sich bloß mit diesem halben Kind eingelassen? Die Frage stellte er sich nicht zum ersten Mal, denn Nick war erschreckend naiv für sein Alter. Und er war jung. Eigentlich zu jung, um ihn ins Dreamers mitzunehmen, aber jetzt noch einen Rückzieher machen, kam nicht infrage.

»Die Einladung zu einem gemeinsamen Drink ist in einem Etablissement wie diesem niemals gleichzusetzen mit einer Einladung auf einen netten Plausch an der Bar. Dort wird rund um die Uhr gespielt, und zwar nicht so harmlos, wie ich das mit dir tue. Wer zu einer Party ins Dreamers geht, ist auf der Suche nach Eiern. Nach echten, an denen ein Top oder Master dranhängt, der bedeutend mehr als Kuscheln im Sinn hat.«

Nick runzelte die Stirn. »Und was ist, wenn mal einer Nein sagt?«

»Hat er Pech gehabt«, antwortete Adrian schlicht und war mehr als versucht, das Ganze abzublasen, als Nick blass wurde, doch er tat es nicht.  Stattdessen sah er ihn ernst an. »Erinnerst du dich, als ich dir erklärte, dass ein Nein nicht immer Nein heißt?«

Nick entspannte sich wieder. »Ach so, du meinst, sie haben an den Abenden Safewords.«

»Nein, das haben sie nicht. Wie auch, wenn man sich nie zuvor gesehen hat? Wer dort hingeht, muss danach fragen und das macht er besser, bevor er geknebelt am Andreaskreuz hängt.« Adrian wiegte nachdenklich den Kopf. »Und ich fange an zu glauben, dass das eine blöde Idee ist. Wir gehen nicht hin.«

»Oh doch, wir gehen da hin«, widersprach Nick wie erwartet heftig und ballte beide Hände zu Fäusten. »Du hast es versprochen und ...« Er brach ab, um im nächsten Moment herausfordernd zu grinsen. »Meine Einladung ist in meiner Jacke, du hast sie mir vorhin gegeben. Ich kann allein hingehen. Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst.«

Adrian verbot sich einen triumphierenden Blick. Nick war in manchen Dingen wirklich furchtbar berechenbar, doch das würde ihm hoffentlich schon bald vergehen. In spätestens zwei Tagen, genauer gesagt. Adrian nickte.

»Also gut, wie du willst. Freitag, Punkt 19 Uhr, stehst du geduscht und rasiert vor meiner Tür. Sei pünktlich.« Er deutete zur Tür. »Und jetzt muss ich arbeiten.«

»Du wirfst mich raus?«, fragte Nick ungläubig und murrte einen Fluch, als Adrian erneut, wortlos diesmal, zur Tür deutete, da er erstens wirklich noch zu arbeiten hatte und es zweitens Zeit war, dass Nick lernte, wer in ihrer Beziehung das Sagen hatte.

 

 

Kapitel 2

 

»Die Hose ist zu eng.«

»Nein, ist sie nicht.«

Adrian schlug Nick tadelnd auf die Finger, als der zum wiederholten Male seinen Schritt richten wollte. Er musste sich mächtig das Lachen verkneifen, weil die von ihm ausgesuchte Hose nicht zu eng, sondern einfach nur gut geschnitten war. Eng anliegend, aus weichem Stoff und in einem tiefen Blau, das Nicks Augen glich, hatte er ohne zu zögern mehrere hundert Dollar ausgegeben, um Nick für diesen Abend einzukleiden. Das weiße Hemd dazu war hingegen ein Schnäppchen gewesen. Schwarze Lederschuhe rundeten das Bild ab und passten zu seinen eigenen Schuhen, die das einzige waren, was er mit Nick gemein hätte, denn Adrian trug schwarz. Abgesehen von einer rostroten Krawatte mit Ziernaht.

»Ich werde mir die Eier abquetschen.«

»Keine Sorge, ich bringe sie später wieder in Form«, erklärte Adrian trocken und grinste dreckig, als Nick ihn verdattert ansah und dunkelrot anlief, als um sie herum Gelächter aufbrandete.

Selbst der Einlasser konnte sein Amüsement nicht vor ihnen verbergen, während er ihre Karten abriss und sie in den Club winkte. Adrian ließ Nick den Vortritt, denn dessen Hintern sah in der Hose einfach umwerfend aus. Wenn er heute schon den Lehrer spielte, wollte er seinen Augen zumindest einen hübschen Anblick gönnen, weil Adrian bezweifelte, dass Nick nach diesem Abend Lust auf eine heiße Nummer haben würde. Spätestens, wenn sie sich den Keller ansahen, wo Zuschauer jederzeit und gern gesehen waren, würde der Abend für sie gelaufen sein. Sofern sie überhaupt bis in den Keller kamen, denn bereits jetzt, im harmlosen Clubbereich mit einer Bar, versteckten und offen einsehbaren Sitznischen und einer gut gefüllten Tanzfläche, wirkte Nick auf einmal mehr unbehaglich als neugierig.

»Ach du … Der ist ja nackt.«

Nick folgte mit fassungslosem Blick einem jungen Mann, der gerade alt genug schien, um in so einen Club hineingelassen zu werden, ohne Ärger mit der Polizei zu riskieren. Er trug ein Halsband, ein deutliches Zeichen dafür, dass er nicht allein hier war. Gott sei Dank, dachte Adrian insgeheim und nahm Nicks Hand, um ihn weiter in den Clubraum zu führen. Er wollte zur Bar, um für sie Cola zu ordern, doch bereits nach wenigen Schritten zog Nick an seiner Hand und blieb stehen.

»Hat der wirklich Hasenohren auf dem Kopf?«

Adrian folgte Nicks verblüfftem Blick und lachte, ehe er einen Arm um Nicks Hüfte legte, da ihm bewusst war, dass man sie beobachtete, seit sie das Dreamers betreten hatten. Und einige der besitzergreifenden Blicke gefielen ihm ganz und gar nicht. Nick gehörte zu ihm, basta.

»Es ist Ostern«, sagte er und deutete auf einen Mann ein paar Meter weiter, der zwar einen sehr edlen Anzug trug, aber trotzdem das Ostermotto aufgegriffen hatte. »Sieh mal.«

Nick schaute zu besagtem Mann, der einen Schal um den Hals trug, auf dem eindeutig Hasen und bunte Eier gestickt waren. »Das sieht bescheuert aus.«

»Auf Mottopartys darf es albern zugehen. Da drüben steht jemand auf Lack und Leder.« Adrian deutete mit der Hand nach links und versteckte sein breites Grinsen, als Nick wie erhofft der Mund offenstehen blieb. »Und? Wäre der was für dich und deine Neugier?«

Nick schüttelte umgehend den Kopf, etwas anderes hätte Adrian auch gewundert. Allerdings war der Mann in schwarzer Lederkluft, der gerade mit einem hübschen Kerl in Weiß tanzte, ohnehin nicht mehr frei, erkannte er kurz darauf, denn ein düsterer Blick vom anderen Ende der Tanzfläche sprach Bände. Offensichtlich ein Duo auf der Suche nach einem dritten Partner für die Nacht.

Ein Finger tippte auf seine Schulter und Adrian roch ein ihm bekanntes Aftershave, ehe er Gelegenheit hatte, sich umzudrehen. »Hallo, Marcus.«

»Du bist tatsächlich gekommen. Und nicht allein. Er ist verdammt niedlich.«

Adrian drehte sich mit Nick im Arm zu Marcus Wells um, dem Besitzer des Dreamers, mit dem er vor einiger Zeit angenehme Nächte verbracht hatte, und dem er die Einladung zu dieser Party verdankte. Sie gaben sich die Hände, doch Marcus' Blick war mit deutlichem Interesse auf Nick gerichtet.

»Keine Chance, Marcus«, sagte Adrian und zog eine Braue hoch, als der ihn musternd ansah. »Muss ich mich etwa wiederholen?«

Marcus fing an zu lachen und schüttelte den Kopf. »Du bist ein Bastard. Verrätst du mir wenigstens seinen Namen?«

»Nein!« Das galt Nick, der seinen Mund mit einem verwunderten Blick wieder schloss. Adrian sah zurück zu Marcus, der anerkennend nickte. Er beschloss, seinen Status eindeutig klarzumachen. »Unverkäuflich, Marcus. Absolut unverkäuflich.«

»Schade. Aber zu akzeptieren. Genießt den Abend.«

»Wer war das denn?«, fragte Nick leise, als sie wieder unter sich waren. Im nächsten Moment wurde ihm ein finsterer Blick zugeworfen. »Und was soll das bedeuten, unverkäuflich?«

»Das bedeutet, dass du mir gehörst und er gefälligst die Finger von dir zu lassen hat.« Nicks erstauntes »Oh.« kommentierte Adrian nicht weiter. »Marcus Wells ist ein ehrlicher, fairer Geschäftsmann, der sich allerdings nicht zu fein ist, anderen Leuten ihre Partner, Partnerinnen oder Sklaven auszuspannen, falls sich ihm die passende Gelegenheit bietet. Er fährt zweigleisig und er bekommt jeden in sein Bett, falls es niemanden gibt, der ihn davon abhält, was ich soeben getan habe. Marcus gehört dieser Club.«

Nick sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Ihr hattet mal was miteinander, oder?«

»Ein paar Nächte«, gab Adrian gelassen zu. »Er lädt mich seither regelmäßig zu seinen Partys ein. Das ist das erste Mal, dass ich eine Einladung angenommen habe.«

Nick nickte, doch dann schien ihm auf einmal etwas einzufallen, das ihn hochgradig verärgerte, denn Adrian hatte keine Gelegenheit zu reagieren, als Nick ihn erbost von sich stieß. »Verbiete mir nie wieder den Mund. Ich bin ja wohl alt genug, um mich selbst vorzustellen!«

Adrian packte Nick im Nacken und zog ihn zu sich, bevor Nick zwischen den übrigen Gästen in der Menge verschwinden konnte, denn das würde ihn auf direktem Weg in ein Spielzimmer oder gleich runter in den Keller führen. Für die anderen Gäste wäre das kein Problem gewesen, denn sie kannten die Regeln im Dreamers. Nick hingegen hatte keine Ahnung, dass herrenlose Subs und Männer, die ohne Begleitung zu den exklusiven Partys erschienen, als Freiwild für jedermann galten, bis sie den Club wieder verließen.

»Du schaffst es nicht mal bis zur Bar, Nick, und das ist kein Versprechen, sondern eine Warnung.«

Nick starrte ihn irritiert an. »Wovon redest du?«

»Sieh dich um«, befahl Adrian und lockerte den Griff, um es Nick zu ermöglichen seinen Kopf zu drehen, was der dann auch tat. Mit einem mehr als unwilligen Blick, der sich jedoch schnell in einen alarmierten verwandelte.

Adrian wusste wieso, denn die Blicke in den Nischen und von allein anwesenden Männern an der Bar, waren mittlerweile unübersehbar. Sie wollten Nick. Für diese Nacht. Manche vielleicht sogar für mehr als das. Wenn er Nick jetzt gehenließ, würde der in weniger als einer Minute von einer Schar von Männern umringt sein, die ihm alles versprochen oder angeboten hätten, um ihn in ihr Bett oder das nächste Spielzimmer zu bekommen.

Adrian wartete, bis Nick ihn wieder ansah. Jetzt hatte er es endlich begriffen, erkannte Adrian und war fühlbar erleichtert. »Du wolltest spielen, Nick. Das ist die Welt, nach der du neugierig warst. Gefällt sie dir immer noch? Ist es das, was du dir vorgestellt hast? Ist es immer noch spannend und aufregend? Willst du immer noch mehr? Willst du mit einem von diesen Männern mitgehen?«

Nick schluckte nervös, gab sich dann aber einen Ruck und schüttelte den Kopf: »Nein.«

»Ich weiß«, sagte Adrian leise und ließ Nicks Nacken los, um stattdessen nach dessen Händen zu greifen und ihn mit sich auf die Tanzfläche zu ziehen. »Wenn dir in den kommenden Minuten jemand den Hintern tätschelt, nicht erschrecken«, warnte er und lachte, als Nick ihn fast schon entsetzt ansah. Dann zwinkerte er ihm zu und das half, denn Nick begann zu grinsen. Schief zwar, aber er tat es, ehe er sich an ihn schmiegte und zuließ, dass Adrian ihn im Takt der Musik zu führen begann.

»Niemand wird dich anrühren, solange du an meiner Seite bist. So sind die Regeln und sie halten sich daran. Das tut ein guter Spieler immer. Aber es gibt andere, die das nicht tun. Denen egal ist, was du willst oder was du nicht willst. Und das darfst du nie vergessen, wenn du dich vielleicht doch dazu entscheidest es auszuprobieren, hast du verstanden?«

»Ja«, antwortete Nick sofort und drängte sich dichter gegen ihn. »Es tut mir leid«, sagte er schließlich, als das erste Lied zu Ende ging, und wollte von ihm abrücken, doch Adrian ließ es nicht zu.

Für ihn war Nick immer noch viel zu angespannt, das spürte er in jeder seiner Bewegungen, und darum tanzte er weiter mit ihm. Ein Lied. Zwei … Vier. Und endlich begann Nick, sich in seiner Umarmung zu entspannen. Darauf hatte Adrian gewartet. Jetzt konnte er mit ihm darüber reden und ihm erklären, wieso sie heute Abend wirklich in diesem Club waren.

»Dir muss gar nichts leidtun«, sagte er und streichelte Nick in sanften Berührungen über den Rücken. »Du bist jung, neugierig und sehr aufgeschlossen. Das ist nichts Schlechtes, aber du musst erkennen, wo deine Grenzen sind. Das Dreamers ist ein harter Spielplatz. Wer hierher kommt, will sich anbieten oder er ist auf der Suche nach jemandem, der sich ihm anbietet. Hier geht es um Sex. Um schmutzigen Sex, harten Sex, Sex abseits jeder Norm oder Normalität. Das ist nichts für mich und auch nicht für dich, Nick. Ich habe dich hergebracht, damit du das begreifst. Damit du die Blicke siehst, die sie dir von allen Seiten zuwerfen, und verstehst, dass das nichts für dich ist. Hätte ich dir das einfach gesagt, hättest du mir nicht geglaubt.«

»Mistkerl«, nörgelte Nick und boxte ihm leicht in die Seite, als Adrian leise lachte.

»Brutaler Kerl. Es ist nicht falsch, spielen zu wollen, merk' dir das. Aber du solltest erst mal ausloten, was du tatsächlich magst und nicht, was du nur machst, um mir zu gefallen.«

Nick zuckte ertappt zusammen und Adrian verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. »Dachtest du etwa, ich merke das nicht?«

»Ich war wirklich neugierig … Na ja, auf manches … Aber nicht auf so was wie hier.«

»Das weiß ich, Nick, und ich hätte dich auch niemals hergebracht, wenn du mich nicht derart genervt hättest. Solche Clubs sind nichts für dich. Für uns. Wer es mag, bitte. Jedem das Seine, ich kann es gar nicht oft genug sagen.« Adrian zog sich zurück, bis er Nick ins Gesicht sehen konnte. »Lass uns gehen.«

»Ich müsste vorher noch wohin.« Nick tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn, als Adrian Anstalten machte ihm zu folgen. »Adrian, ich will nur aufs Klo. Als ob ich da gleich von einer Horde Kerle überfallen werde. Jetzt übertreibst du aber echt.«

Das tat er nicht, aber das würde Nick gleich merken. Also sparte er sich die Diskussion darüber, sie hatten für einen Abend schon genug Blicke auf sich gezogen, und ließ Nick gehen. Er würde ihm folgen, sobald Nick außer Sicht war. Der Duft von Marcus' Aftershave ließ ihn im nächsten Moment aufmerken.

»Eine Lehrstunde in meinem Club? Ausgerechnet an einem Abend wie diesem? Du hattest schon bessere Ideen, Quinlan.«

Er sah sich nicht zu Marcus um, sondern behielt Nick im Auge. Und damit war er nicht allein, genau wie er es zuvor vermutet hatte. Dreißig Sekunden, mehr Zeit gab er sich nicht, während Nick sich durch die Paare auf der Tanzfläche in Richtung Toiletten schob.

»Auf die sanfte Tour hätte er es niemals verstanden. Er ist mir in einigen Dingen zu ähnlich. Es war sicherer ihn herzubringen und es ihm zu zeigen, als hinterher die Scherben aufzusammeln, weil ihm jemand gegen seinen Willen an die Klamotten gegangen ist.«

»Was gleich passieren wird, wenn du ihn noch länger allein lässt. Brauchst du Hilfe?«

»Das fragst du nur, weil du zu jenen gehörst, die ihm an die Klamotten wollen«, konterte Adrian trocken und warf einem Mann in Lederkluft einen warnenden Blick zu, als der ihn fragend ansah und dabei mit der Hand zu Nick deutete. Sein darauffolgendes und sehr energisches Kopfschütteln wurde mit einem Lachen und dem Heben eines Bierglases kommentiert.

»Der halbe Club würde ihn am liebsten auffressen. Er ist wirklich ein hübscher Kerl, Adrian, kannst du es mir verdenken, dass ich ihn haben will?«

»Nein. Zu beidem übrigens.«

»Sturer Bock.« Marcus klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Na los, rette deinen Kleinen. Sonst geht er heute mit mir nach Hause.«

»Wunschträume sollen etwas sehr Schönes sein, habe ich mir sagen lassen.« Adrian grinste, als Marcus hinter ihm abfällig schnaubte, und setzte sich in Bewegung.

 

 

Kapitel 3

 

Er kam gerade rechtzeitig. Nick stand mit in die Seite gestemmten Händen in den Toilettenräumen. Stinksauer und am Ende seiner Geduld, sah er zwei Hünen an, die Adrian ziemlich schnell als das Duo auf der Suche nach einem dritten Bettpartner wiedererkannte. Beide Männer lachten, als Nick sich bedeutsam gegen die Stirn tippte.

»Sehe ich aus, als hätte ich Interesse daran, mir von euch den Hintern versohlen zu lassen? Auf so was stehe ich überhaupt nicht.«

»Warum bist du dann hier, Kleiner?«

»Für eine Unterrichtsstunde im Lernen und vor allem Begreifen von Grenzen«, nahm Adrian Nick die Antwort ab und fand sich umgehend zwei grünen Augenpaaren gegenüber, die ihn amüsiert musterten. Sie warteten auf weitere Details, begriff er und schüttelte milde lächelnd den Kopf. »Ihr kommt zu spät. Er hat es verstanden und er gehört zu mir.«

»Du teilst nicht?«

Adrian schüttelte erneut den Kopf. »Einen so heißen Kerl wie ihn? Niemals.«

»Schade«, murmelte der Tänzer von vorhin, bevor er nach hinten sah, Nick frech zuzwinkerte und danach mit seinem Partner die Toilettenräume verließ.

»Meine Fresse«, fluchte Nick und trat kopfschüttelnd ans Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. »Ich komme mir langsam vor wie auf einem Basar. Fehlte nur noch, dass sie anfangen mit dir um mich zu feilschen.«

»So was kommt durchaus vor«, sagte Adrian und trat hinter Nick, als der nur schnaubte, ihm aber gleichzeitig durch den Spiegel einen nervösen Blick zuwarf. Er hatte Angst, wollte es aber auf keinen Fall zugeben. Typisch Nick. Adrian verkniff sich jeden Kommentar dazu und erklärte stattdessen: »Wir gehen jetzt. Und wir kommen nie wieder her. Oder gehen in einen anderen Club dieser Art. Ist das klar, Nicholas?«

»Ja«, antwortete Nick und drehte sich dann abrupt zu ihm um, um sich an ihn zu drängen. Das leise »Danke.« hätte Adrian beinahe überhört.

Es war wirklich Zeit, von hier zu verschwinden, und das setzte Adrian daher auch umgehend in die Tat um.

Dass Nick bis in seine Wohnung schwieg, sprach für ihn ganze Bände, gegen die er etwas tun musste, bevor Nick ernsthaft zu grübeln anfing, weil das bei diesem jungen Trotzkopf auf dem Beifahrersitz leider nie ohne Blessuren abging. Aus dem Grund hielt sich Adrian auch nicht mit langen Vorreden auf, sondern kam sofort zum Punkt, nachdem er die Tür des Apartments hinter Nick geschlossen hatte.

»Okay, raus damit.«

»Womit?«

»Ich kann dich förmlich denken hören. Rede mit mir. Ich höre zu und beantworte jede Frage, egal wie dumm oder albern sie dir vorkommt.«

Nick zog einen Flunsch. »Können wir nicht lieber ein paar Eier suchen?«

Adrian lachte, schüttelte dabei aber den Kopf, weil er nicht vorhatte, sich ablenken zu lassen. Normalerweise ließ er sich in dieser Hinsicht gerne ablenken, da Sex mit Nick nichts war, auf das er freiwillig verzichtete, aber im Augenblick waren ihm andere Dinge wichtiger.

»Nein, du Osterhase. Los, rede.«

»Hey, das ist unfair. Du hast schließlich versprochen, meine Eier wieder in Form zu bringen«, schmollte Nick und biss sich verlegen auf die Unterlippe, als Adrian ihn überrascht ansah. »Das hast du draußen vor dem Club gesagt, schon vergessen?«

Das hatte er tatsächlich und es machte ihn auf einmal nachdenklich. Sollte er sich vielleicht doch auf eine heiße Nummer einlassen? Mit Nick ins Bett gehen, obwohl er das zuvor kategorisch abgelehnt hatte? Es wäre nicht das erste Mal, dass er Nick auf diese Weise von dessen meist völlig sinnlosen Grübeleien abbrachte, aber heute Abend war Adrian hin- und hergerissen. Seiner Meinung nach war es das Beste, sofort über das Dreamers zu reden, aber Nick war anders und zudem sechs Jahre jünger als er. Es wäre nur fair, das Ganze wenigstens einmal nach Nicks Art anzugehen.

»Sind sie denn abgequetscht?«, fragte er deshalb leise und legte seine Schlüssel auf die Kommode, ehe er seine Schuhe auszog und in die Küche ging, um für Nick und sich selbst je eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Nick antwortete nicht, doch als Adrian wieder zu ihm sah, war die Beule in dessen Hose unübersehbar. Er grinste innerlich. »Tut das nicht weh?«

»Ja.«

»Komm her, dann kümmere ich mich darum.«

»Nein.«

Aha, da wollte offenbar jemand ein bisschen spielen. Langsam fing der Abend an, Spaß zu machen. »Wie soll ich mich denn um deine gequälten Eier kümmern, wenn du da stehst und ich hier?«, fragte Adrian neckend und lehnte sich gegen die Küchentheke.

Er hatte Nick schon eine ganze Weile nicht mehr in der Küche gefickt, obwohl die Vorstellung, ihn über die Couch zu beugen, vor der er stand, genauso verlockend war. Er würde sich ganz spontan entscheiden, entschied Adrian, trat einen Schritt von der Küchentheke weg und begann sein Jackett aufzuknöpfen.

Langsam. Geduldig. Knopf für Knopf. Er wusste, was Nick gefiel und wie er seinen Heißsporn am schnellsten in die Knie zwang. Nick sah ihm gerne zu. Egal bei was. In der Küche am Herd, unter der Dusche, im Bett – Nick liebte es, mit seinen Augen zu genießen, und darum bot Adrian ihm eine Show vom Feinsten. Zuerst das Jackett, bei dem er sich sogar Zeit nahm, es ordentlich über eine Stuhllehne zu hängen. Hose und Socken folgten, ehe er begann das Hemd von unten nach oben aufzuknöpfen.

Nick wechselte seine Position und verzog dabei das Gesicht. Die Enge seiner Hose musste ihm mittlerweile Schmerzen verursachen, aber er machte keine Anstalten, sie auszuziehen oder wenigstens den Reißverschluss zu öffnen, um sich Luft zu verschaffen.

Adrian öffnete die Hemdsärmel und griff nach seiner Krawatte. Nick leckte sich über die Lippen. Interessant, dachte Adrian und zog langsam am Knoten. Nick atmete sichtbar ein, seine Augen hingen jetzt wie festgeklebt an seinen Fingern auf der Krawatte und Adrian musste sich ein zufriedenes Lächeln verkneifen. Er war fast am Ziel. Noch eine Minute, im Höchstfall zwei, dann würde Nick entweder vor ihm in die Knie gehen oder sich anbieten, weil er mit der Krawatte spielen wollte.

Das war nichts Neues, sie hatten schon mehrmals mit kleineren Hilfsmitteln gespielt. Einmal sogar mit einem Seidenschal als Augenbinde, aber der würde heute nicht zum Einsatz kommen, das spürte Adrian. Genauso wie er im nächsten Augenblick erkannte, dass Nick zögerte, weil er plötzlich verunsichert war. Er löste den Knoten, doch als er die Krawatte fallenlassen wollte, schüttelte Nick den Kopf.

»Bist du sicher?«, fragte Adrian leise, was ein zweites Kopfschütteln zur Folge hatte, deswegen legte er sich die Krawatte einfach locker um den Hals, damit Nick eine Entscheidung treffen konnte, sobald er dazu bereit war.

»Warte«, bat Nick, als Adrian nach seinem Slip griff, und überbrückte die wenigen Schritte zwischen ihnen, um dann vor ihm auf die Knie zu sinken. »Ich bin dran«, murmelte er und machte sich umgehend ans Werk.

Es dauerte nicht lang. Dazu war Adrian selbst viel zu erregt und Nicks heißer, williger Mund tat sein Übriges, um seine Selbstbeherrschung wie eine Blume im Wind umknicken zu lassen. Er ergoss sich mit einem Stöhnen in Nicks Rachen, der alles schluckte und ihn hinterher ausführlich sauberleckte, bevor er ihm von unten herauf einen sehnsüchtigen Blick zuwarf.

»Was willst du?«, fragte Adrian, denn er kannte diese Art von Blick. Manchmal musste Nick gelockt, verführt und zum Teil überredet werden, weil er sich und seinen Wünschen in Bezug auf Sex noch nicht traute, und das hier schien so ein Moment zu werden.

Nicks Blick fiel auf die Krawatte und Adrian zog sie langsam von seinen Schultern. Er ließ sie lässig in einer Hand baumeln und wartete ab. Nick musste jetzt selbst entscheiden, wie weit er gehen wollte, das konnte er ihm nicht abnehmen. Nicht heute. Nicht nachdem, was er im Dreamers gesehen hatte.

»Adrian ...«

Adrian schüttelte ablehnend den Kopf und auf Nicks bittenden Tonfall folgte ein sehr trotziger Blick, der ihn schmunzeln ließ. »Sag' es«, verlangte er und strich Nick liebevoll über die Wange, als der vor Scham rot wurde. Ein umwerfender Anblick, den Adrian jedes Mal genoss, weil er ihm allein gehörte. »Nur du und ich, Nick, sonst ist niemand hier und hört zu. Sag' es mir. Was soll ich mit dieser Krawatte heute Nacht tun?«

Statt einer Antwort erhob sich Nick und hielt ihm in einer unterwürfigen Geste seine Handgelenke hin.

»Bist du sicher?«, fragte Adrian, weil er immer fragte und auch immer fragen würde, denn Nick sollte niemals daran zweifeln müssen, ob er bei ihm in guten Händen war. Nick nickte, was ihn leise lachen ließ, bevor er ein weiteres Mal den Kopf schüttelte. »Antworte!«

»Ja.«

»Gut«, murmelte Adrian und legte die Krawatte um Nicks Handgelenke. »Noch mal zur Erinnerung«, fing er an und suchte Nicks Blick, »bei uns zwei heißt Nein oder Stopp auch Nein oder Stopp.«

»Ich weiß.«

Nick lächelte, als Adrian ihm einen neckischen Kuss auf die Nasenspitze gab, ehe er die Krawatte festzog und anfing Nick rückwärts in Richtung Couch zu schieben. Sie lachten beide, als er Nick einen Schubs gab, der über die Lehne fiel und auf dem Rücken in den Sitzpolstern liegenblieb. Endgültig zufrieden war Adrian jedoch erst, nachdem Nicks Kopf auf der etwas erhöhten Couchecke lag und er bereitwillig zuließ, dass Adrian ihm die Arme über den Kopf zog, um ihn dort dann mit einer Hand festzuhalten. So konnte er Nick bequem küssen, ihn aber auch im Auge behalten und außerdem seine freie Hand dafür nutzen, Nicks Hemd zu öffnen. Er wollte endlich nackte Haut sehen und vor allem fühlen.

Den Plan setzte Adrian dann auch in die Tat um und dank Nicks ungebrochener Erregung dauerte es nicht lange, bis der sich ihm förmlich entgegen hob und nach mehr bettelte. Adrian gab es ihm in der Form von heißen und langen Küssen, während er seine zweite Hand über Nicks nackte Brust und Bauch nach unten gleiten ließ. Nick stöhnte in seinen Mund, als er schließlich zupackte und die harte Beule durch den Stoff der Hose massierte. Wieder und wieder, bis Nick nach Luft schnappte und förmlich wimmerte.

Adrian schob seine Hand tief zwischen Nicks Beine, dahin, wo seine Finger bald sein würden, nur ohne jeden Stoff dazwischen, ohne jedes Hindernis. Mit den Lippen erstickte er Nicks Betteln und Stöhnen um mehr, saugte anschließend an einer, dann an der zweiten Brustwarze, bis sie sich aufrichteten. Dann biss er in die kleinen roten Knospen und leckte hinterher über sie.

Er wiederholte das Ganze mehrere Male und erst als Nick anfing ihn zu verfluchen, wandte er sich mit einem triumphierenden Grinsen dessen Hose zu, öffnete mit ruhigen Fingern Knopf und Reißverschluss, um sich im Anschluss genüsslich seinen Weg dorthin zu suchen, wo Nick ihn so dringend spüren wollte.

Der verbliebene Slip war kein Hindernis und Nicks Körper hob sich förmlich ein Stück von der Couch, als er das heiße Glied umfasste. Adrian stahl sich einen harten Kuss und begann Nick zu streicheln. Feste Berührungen, ohne Rhythmus, ohne Ziel, und es war bei weitem nicht genug. Nicks Haltung, sein lauter werdendes Keuchen und die vor Erregung verdunkelten Augen – Nick wollte mehr, viel mehr, und er wollte es jetzt gleich.

Adrian schüttelte den Kopf. »Ich entscheide, wann du kommst.«

»Adrian ...«

»Nein!«, fuhr er Nick über den Mund und ließ dabei von ihm ab. Nicks Mund öffnete sich zu einer empörten Erwiderung, doch heraus kam ein erschrockener Schrei, weil Adrian genau in dem Moment seine Hoden packte und zudrückte. »Ich entscheide«, erklärte er erneut und dieses Mal kam kein Widerspruch.

Mit einem zufriedenen Nicken wandte er sich wieder Nicks Körper zu. Er ließ sich Zeit, um mit dessen heißen Schwanz zu spielen, jede Ader und jeden Millimeter der warmen, samtenen Haut sanft mit den Fingerspitzen zu erkunden. Adrian hätte Nick jetzt am liebsten irgendwo festgebunden, um beide Hände frei zu haben, aber sie würden es niemals in sein Schlafzimmer schaffen, also musste er sich damit begnügen, eine Hand zu benutzen, während er mit der anderen weiter Nicks Handgelenke festhielt und ihm den Verstand zu Brei küsste.

Als Nick wiederholt nach Luft schnappte, beugte er sich tiefer und umschloss mit seinen Lippen die tiefrote Eichel. Adrian leckte und saugte, nahm Nicks Erektion tiefer in den Mund und schob dann seine Hand erneut zwischen dessen Beine. Er ließ zu, dass Nick in ihn stieß, seinen Mund für seine Befriedung benutzte, während er ihn von unten durch den dünnen Hosenstoff zusätzlich stimulierte.

Lange würde er sich nicht mehr beherrschen können, erkannte Adrian, als Nicks Körper unkontrolliert anfing zu zucken. Er würde ihn jetzt kommen lassen und dann würde er ihn ficken. Genau hier auf der Couch. So wie er war. Mit dem offenen Hemd, einer heruntergelassenen Hose und dem Slip, den er einfach nur beiseite schieben würde, um sich ausreichend Platz zu schaffen. Er würde Nick auf den Bauch drehen und ihn ficken, bis er nicht mehr wusste, wo oben und unten war.

»Adrian ...«

Es folgte ein langgezogenes Stöhnen und Adrian zog sich gerade rechtzeitig zurück, um zusehen zu können, wie Nick sich in heißen Schüben über seinen Bauch und seine Brust ergoss. Perfekt.

Und jedes Mal aufs Neue wunderschön anzusehen. Adrian konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, über Nick herzufallen. Die gerötete Haut, dieser Blick voller Befriedigung und das träge Lächeln, während Nick mit einem Finger durch den Samen auf seinem Bauch fuhr und den Finger hinterher ableckte.

»Willst du mal kosten?«

Beherrschung. Oh ja, die hatte er. Meistens jedenfalls. Im Moment allerdings nicht, wurde Adrian klar, als Nick  ihm ein verruchtes Grinsen schenkte, dabei die störende Kleidung von seinen Beinen strampelte und sich danach einfach auf alle Viere aufrichtete, ihm dabei den Rücken zudrehend.

Soviel zu seinen Plänen. Dieser kleine, verführerische Mistkerl. »Du bist so was von fällig.«

Adrian verbiss sich einen Fluch, als Nick leise lachte und mit dem Hintern wackelte, denn der Anblick zwang ihn dazu, sich selbst anzufassen, um den Druck etwas zu lindern, weil er sonst gekommen wäre. Einfach so. Aber den Triumph würde er Nick nicht gönnen. Nicht heute. Er würde in Nick kommen und nirgendwo sonst. Dafür brauchte er allerdings noch etwas.

»Beweg' dich ja nicht«, drohte er und verschwand mit schnellen Schritten ins Badezimmer. Irgendwo musste er hier noch die Tube Gleitgel rumliegen haben, da er Nick das letzte Mal vor dem Waschbecken stehend vernascht hatte.

Was hatte der Rotzlöffel sich auch splitterfasernackt rasieren müssen? Und dabei einen Knutschfleck auf dem Hintern haben. Den er gleich erneuern würde, beschloss Adrian, nachdem er das Gleitgel auf den Handtüchern entdeckt hatte und zurück ins Wohnzimmer ging. Nick hatte sich offenbar wirklich nicht bewegt. Manchmal war er ja doch ein braver Kerl. Adrian grinste und zwinkerte Nick nur zu, als der ihn fragend ansah.

»Gib mir deine Hände«, forderte er und Nick richtete sich auf. Der Knoten war schnell gelöst und die Krawatte flog in die nächste Ecke.

»Was …?«

Weiter kam Nick nicht, denn Adrian küsste ihn heftig und schob ihn herum, bis Nick sich mit den Ellbogen auf der Rückenlehne der Couch abstützen konnte. Ab sofort gab Adrian wieder den Ton an, und Nick ließ sich darauf ein, erwiderte seinen Kuss mit einer Inbrunst, die Adrian zeigte, dass alles in Ordnung war. Dass Nick sich ficken lassen würde, dass er es wollte oder eher ganz dringend brauchte. Genauso wie er selbst.

Nicks lautes Stöhnen, als Adrian dann mit mehreren Fingern das Gleitgel dorthin brachte, wo es hingehörte, ließ seine eigene Erregung bis ins Unermessliche steigen. Das würde eine kurze, harte Nummer werden.

Wie gut, dass sie schon seit einiger Zeit auf Kondome verzichteten, sonst hätte er das jetzt nicht tun können, war Adrians letzter Gedanke, bevor er er sich mit einem einzigen langen Stoß tief in Nicks Körper schob. Er grub seine Finger in Nicks Seiten und begann einen schnellen, wilden Ritt, ohne große Finesse, aber dafür auf ein Ziel ausgelegt, denn bereits beim dritten Stoß traf er Nicks Prostata, der darauf mit einem unkontrollierten Zucken antwortete, ehe sich seine Hände fest in die Polster des Sofas gruben, um gegenhalten zu können.

»Fuck!«, schrie Nick bei einem besonders harten Stoß, doch als Adrian sich zurückzog, folgte ihm Nicks Körper und verlangte wortlos nach mehr.

Adrian gab es ihm und mit jedem weiteren Stöhnen und Wimmern verlor er mehr die Kontrolle. Es ging nur noch um seinen eigenen Höhepunkt und darum, diesem Heißsporn vor sich zu geben, was er wollte. Einen geilen Fick und einen zweiten Orgasmus. Er stellte ein Bein auf den Boden, um einen besseren Stand zu haben, und griff um Nick herum, der längst wieder hart war.

Schon die erste Berührung reichte aus. Nick kam mit einem heiseren Stöhnen, sein Körper erstarrte für einen Moment, dann zogen sich Nicks innere Muskeln um ihn zusammen und rissen Adrian einfach mit sich.

 

»Eines Tages bringst du mich um«, nuschelte Nick ins Couchpolster, auf das Adrian ihn hinuntergezogen hatte, nachdem er schließlich wieder in der Lage gewesen war, einen klaren Gedanken zu fassen.

»Beim Sex? Eher unwahrscheinlich«, konterte Adrian trocken und gab Nick einen Kuss in den Nacken, um es sich dann halb auf, halb neben Nick liegend ein bisschen gemütlicher zu machen. »Wir könnten es ausprobieren. Aber bitte nicht mehr heute Nacht.«

Nick kicherte gedämpft. »Wenn du mich jedes Mal so hammermäßig vögelst, nachdem ich dich geärgert habe, werde ich es ohnehin bald wissen.«

Dem konnte er schlecht widersprechen, daher grinste Adrian nur.

»Ich laufe aus«, nörgelte Nick wenig später und kniff die Arschbacken zusammen, als Adrian mit dem Finger in die Spalte glitt. »Lass das. Steh' lieber auf, sonst sauen wir die Couch noch völlig ein.«

»Und? Wäre schließlich nicht das erste Mal.« Adrians Grinsen wurde etwas breiter, als Nick unter ihm unruhig wurde. »Ich könnte dich sauberlecken.«

Nick wurde ganz starr, sagte aber kein Wort, was für Adrian einer Zustimmung gleichkam, die er dieses Mal nicht verbal bestätigt haben wollte. Manchmal brauchte es keine Worte, um Wünsche zu erkennen, darum schob er sich einfach schweigend an Nicks Körper hinab und machte sich ans Werk.

 

 

Epilog

 

»Ich hätte dir den Hintern versohlen sollen.«

»Was?« Nick nahm seine Lesebrille ab und warf ihm einen irritierten Blick zu.

»Wie alt warst du damals? 22 oder 23? Ich weiß es gar nicht mehr genau.« Adrian lachte und legte den Stift zur Seite, mit dem er sich gerade ein paar Notizen für einen neuen Fall gemacht hatte. »Als du auf die glorreiche Idee kamst, unbedingt in einen BDSM-Club zu wollen.«

Es dauerte einen Augenblick, dann fiel der Groschen und Nick wurde knallrot. »Oh Gott, erinnere mich doch nicht daran. Ich hatte ein Trauma von Hasenohren.«

Adrian klappte grinsend die Akte zu und erhob sich. »Komm. Lass uns was essen gehen.«

»Wie kommst du eigentlich darauf?«

»Marcus, der Besitzer, erinnerst du dich? Heute früh war eine Anzeige in der Zeitung. Sein Sohn, Zachary Wells, hat geheiratet. Ich wusste gar nicht, dass Marcus Kinder hat.« Adrian hielt Nick die Tür auf und streckte sich, als sie in die warme Frühlingssonne traten. »Ich bin bei seinem Namen hängengeblieben. Da fiel es mir ein. Du warst so niedlich damals.«

Nick sah ihn entrüstet an. »Niedlich?«

Adrian nickte amüsiert. »Niedlich, total naiv und ein Trotzkopf ohne gleichen.«

»Das ist er immer noch.«

»Tris. Was machst du …? Hmpf.«

Weiter kam Nick nicht und Adrian grinste, während er ihnen ein paar Sekunden zusah, wie sie sich küssten, bevor sein Blick auf David fiel, der einige Schritte hinter Tristan an einer Straßenlaterne lehnte und ihn mit einem Finger zu sich winkte, als sich ihre Blicke trafen.

»Tze, anderen Männern beim Küssen zugucken, dabei steht dein eigener Gatte nur drei Meter weiter«, neckte David ihn frech, als Adrian den Abstand zwischen ihnen mit wenigen Schritten überbrückte und ihn in die Arme nahm. »Schämen Sie sich, Herr Anwalt.«

»Später«, konterte Adrian trocken und David lachte in ihren Kuss, der in seinen Augen viel zu schnell endete und viel zu oberflächlich war. Aber sie standen nun mal an einer öffentlichen Straße, da konnte er David schlecht die Klamotten vom Körper reißen.

»Wir wollten euch überfallen und zum Mittagessen in ein schickes, kleines Café schleifen«, erzählte Tristan, ehe Adrian zu einer Nachfrage kam, was die beiden vor der Kanzlei machten, und deutete im nächsten Moment an ihnen vorbei. »Allerdings hatte da noch jemand dieselbe Idee und hat sich gleich mal für ein Wochenende bei uns eingeladen«, erklärte er belustigt.

Adrian sah über die Schulter und stöhnte hörbar auf, um gleich darauf breit zu grinsen und sich umzudrehen, weil Noah ihm wie erwartet mit der Faust drohte. »Habt ihr das gehört? Und so was schimpft sich Lieblingsonkel. Leg' ihn übers Knie, Eric!«

»Wieso denn ich? Er hat deinetwegen gestöhnt. Was er übrigens jedes Mal macht, weil du immer wieder auf ihn reinfällst und dich aufregst.«

»Das stimmt doch gar nicht«, empörte sich Noah und sah ihn gleich darauf böse an. »Stimmt das etwa?«

Da Noah nicht der einzige war, der ihn jetzt feixend, amüsiert oder resigniert ansah – sie kannten ihn einfach alle viel zu gut, leider -, entschloss sich Adrian zu einem harmloses Lächeln, das ihn natürlich verriet.

»Onkel Adrian!«

»Was?«, gab sich Adrian unschuldig. »Ich kann nichts dafür, dass das bei dir immer funktioniert.«

»Du bist unmöglich.«

»Weiß ich.« Er breitete lässig die Arme aus. »Aber du liebst mich trotzdem.«

»Pah.«

»Oh doch, du tust es. Und jetzt komm rüber und lass dich umarmen. Dann kann ich dir nämlich heimlich ins Ohr flüstern, wo deine Väter dein Geburtstagsgeschenk versteckt haben.«

»Adrian!«, empörten sich Nick und Tristan unisono, während David, Tom und Eric anfingen zu lachen und Noah sich von ihm umarmen ließ.

 

 

Ei Ei Ei

 

Ein albernes Ostergeschenk für seinen Schwiegersohn Eric entpuppt sich für Nick Kendall als Bumerang, denn sein dritter Sohn im Herzen braucht keine angemalten Eier, sondern dringend einen väterlichen Tritt in den sturköpfigen Hintern. Und Nick wäre nicht Nick, wenn er diesen Job nicht anständig

erfüllen würde.

 

 

Kapitel 1

 

»Noah? Was machst du hier?«

»Ähm, nichts?«

Noahs Grinsen war so betont unschuldig, dass Nick sofort auf der Hut war. Außerdem verriet ihm der Koffer hinter Noah eindeutig, dass irgendwas im Busch war. Es schien allerdings nichts Schlimmes zu sein, sonst hätte sein Sohn nicht dermaßen gegrinst und … Nick runzelte die Stirn.

»Wieso hast du blaue Farbe an den Fingern?«

»Könnten wir vielleicht reingehen?« Noah deutete ins Haus und lächelte harmlos, als Nicks Stirnrunzeln tiefer wurde. »Wo hast du Dad gelassen?«

»Mit David auf Shoppingtour für Ostern. Farbe und Eier und ...« Nick brach ab, als Noah auf einmal knallrot wurde, und da fiel endlich der Groschen. »Das hast du nicht wirklich getan. Oder etwa doch?«

»Na ja ...«

»Noah!«

»Hey, es war dein Paket. Also ist es deine Schuld. Du hättest übrigens beim Kaufen besser hinsehen sollen, das Blau war nämlich gar keine Lebensmittelfarbe.«

Nick wollte nicht lachen. Wirklich nicht. Aber Noahs entrüsteter Blick, seine blauen Finger und die Tatsache, dass er genug Fantasie hatte, um zu ahnen, warum sein Sohn hergekommen war und wo er zuvor die Farbe zum Einsatz gebracht hatte, ließen nichts anderes zu.

»Sehr lustig«, maulte Noah und lehnte sich mit dem Rücken schnaubend gegen die Haustür. »Mein Mann hat deinetwegen blaue Eier und du lachst. Aber das Lachen wird dir bald vergehen, denn er weiß, wem er das Paket zu verdanken hat.«

Nick verschluckte sich vor Schreck und sah Noah mit einem entsetzten Blick an, woraufhin jetzt der zu lachen anfing. »Du hast es ihm verraten? Noah!«

»Das musste ich nicht. Eric kennt deine Handschrift, du Genie. Da half es auch nicht, dass du einfach keinen Absender aufs Paket geschrieben hast.«

»Mist«, murmelte Nick und Noah streckte ihm frech die Zunge raus, bevor er erneut auf die Haustür deutete. »Wieso stehst du eigentlich hier draußen und gehst nicht rein?«, fragte Nick irritiert und gab sich die Antwort im nächsten Augenblick selbst. »Hast du mal wieder deinen Schlüssel vergessen?«

»Du kennst mich doch«, antwortete Noah grinsend und nahm seinen Koffer, nachdem Nick die Tür geöffnet hatte. Er stellte ihn im Flur bei der Treppe ab und warf einen neugierigen Blick auf die Tüte, wegen deren Inhalt sich Nick extra früher und vor allem ganz allein von der Shoppingtour abgeseilte hatte. »Was hast du denn da in der Tüte? Das riecht verdächtig nach Zwiebeln.«

Nick tippte sich vielsagend gegen die Stirn, während er den Weg in die Küche einschlug. Noah folgte ihm auf dem Fuße, aber Nick dachte nicht im Traum daran, sein Mittagessen zu teilen. »Erjag' dir selbst was, du Vielfraß. Das ist mein doppelter Hotdog mit extra Zwiebeln, Senf, Gurken Käse, Ketschup und ...«

»Wenn du teilst, erzähle ich Dad, dass ich ihn gekauft habe. Dann kann er dir wegen dem Mundgeruch beim Küssen nachher keinen bösen Blick zuwerfen«, bot Noah feixend an und Nick nickte glucksend.

»Deal.«

 

Eine Stunde später kam Nick aus dem Lachen kaum noch heraus, da Noah ihm in seiner bildhaften Art, unter Zuhilfenahme von beiden Händen, sehr anschaulich von Erics bunt angemalten Körperteilen erzählte, und dazu zählten nicht nur dessen Hoden. Scheinbar hatte sich die Verkäuferin bei den Lebensmittelfarben einfach vertan, denn die übrigen Farben hatten sie nach ihrer Malrunde problemlos abbekommen. Nur das dunkle Blau, in dem auch Noahs Finger weiterhin erstrahlten, erwies sich als äußerst hartnäckig.

»Weiß Eric, dass du bei uns bist?«, fiel Nick verspätet ein und Noah kicherte. »Ah, ich verstehe. Tom bewacht die Zwerge und ihr könnt euch rumtreiben.«

Sein Sohn nickte amüsiert. »Er sagt, dass er Erholung von uns Spinnern braucht, und drei Kinder sind leichter zu hüten als zwei Ehemänner. Deswegen wird nur Eric übers Wochenende nachkommen.« Noah warf ihm einen begeisterten Blick zu. »Glaubst du, Dad lässt sich zum Milchreis kochen überreden?«

Nick schmunzelte. »Wann hat dein Vater sich jemals nicht zu Milchreis überreden lassen, wenn du da warst? Allein schon wegen Erics angewiderten Blick, wird er dir einen riesigen Topf kochen.«

Noah lachte und lehnte sich auf der Couch zurück, um dabei die Beine auszustrecken. Er sah gut aus, stellte Nick fest. Gesund. Rosige Haut. Mittlerweile mit einem einigermaßen anständigen Gewicht. Es schien ihm auch sonst gut zu gehen, Nick war erleichtert.

»Dad, lass das.«

Noah kannte ihn entschieden zu gut. Nick versuchte sich an einem ebenso harmlosen Grinsen, wie sein Sohn zuvor. »Was?«

»Denkst du echt, dass zieht bei mir? Was glaubst du denn, von wem ich diesen Unschuldsblick gelernt habe? Mir geht’s gut.«

Noah betonte den letzten Satz ein wenig zu sehr, um Nick nicht misstrauisch zu machen. »Aber Eric nicht«, konterte er ruhig und wurde in seinem unguten Gefühl bestätigt, als Noah ertappt zusammenzuckte. Damit war Nick dann auch klar, aus welchem Grund Noah wirklich auf einen Spontanbesuch hier eingefallen war. »Weiß er, dass Tom und du vorhabt, mich auf ihn zu hetzen?«

Sein Sohn sah ihn entsetzt an. »Bist du verrückt? Er wäre nie freiwillig hergekommen. Die wasserfeste Farbe hat uns die perfekte Ausrede geliefert, das Ganze gleich in Angriff zu nahmen, anstatt auf die nächste, passende Gelegenheit zu warten.«

Die Angelegenheit schien ernster zu sein, als Nick im ersten Moment erwartet hatte. Das war nicht gut. Schon gar nicht in Anbetracht von Erics Dickschädel. »Was ist los?«, fragte er beunruhigt nach.

Noah wiegte nachdenklich den Kopf. »Wir sind uns nicht ganz sicher. Ich dachte anfangs, es läge an Ostern. Du weißt, Eric und seine Aversion gegen Feiertage. Aber das ist es nicht. Jedenfalls nicht nur. Dazu verhält er sich einfach zu normal.«

Nick runzelte irritiert die Stirn. »Normal?«

Noah nickte seufzend und warf ihm hinterher einen resignierten Blick zu. »Er lacht oft in letzter Zeit und er hat ohne Murren bei dem Farbspiel mitgemacht. Er hat nicht mal protestiert, als Tom einen großen Osterstrauß für unseren Küchentisch besorgt hat, weil Nico und die Zwillinge verrückt nach Ostern sind. Daraufhin habe ich die Probe aufs Exempel gemacht und einen Eimer voller bunter Eier zum Anhängen besorgt. Reaktion: gar keine. Kein herablassender Spruch, kein Augenrollen, absolut nichts. Stattdessen hat er den Kindern beim Aufhängen geholfen.« Nick verzog das Gesicht und Noah deutete mit einem Finger auf ihn. »Siehst du? Genau das meine ich. Sogar dir fällt das auf. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm, und ich hatte eigentlich gehofft, er würde mit uns reden, nachdem du ihm Weihnachten klargemacht hast, dass er immer und jederzeit zu uns kommen kann. Aber er tut es nicht. Und glaub' mir, wir haben gefragt. Mehr als einmal. Eric sagt nur, es wäre nichts. Hält er uns für doof oder glaubt er wirklich, Tom und ich merken nicht, wenn er uns anlügt?«

»Also habt ihr euch gedacht, weil es in Kanada so gut funktioniert hat, soll ich ihn mir zur Brust nehmen?«

Noah nickte nur und sah ihn bittend an, was unnötig war. Nick konnte seinen Söhnen ohnehin wenig bis gar nichts abschlagen, und weil Eric schon längst ein großes Stück seines Herzens besaß, würde er sich auch diesmal um ihn kümmern.

Das war schließlich sein Job als Vater und Nick hatte vor, diesen Job mit Bravour zu meistern.

 

 

Kapitel 2

 

»Du wirst mir dabei helfen, den Strauch im Garten zu schmücken«, erklärte Nick am frühen Abend, nachdem Tristan mit drei vollen Einkaufstüten heimgekehrt und auf den neuesten Stand gebracht worden war.

Gerade rechtzeitig, denn kurz darauf hatte Eric in der Tür gestanden, Noah fast besinnungslos geküsst und sich hinterher darüber ausgelassen, dass das ganze Haus nach Milchreis stinken würde. Anschließend hatte er sich neben Noah gesetzt und dem schweigend beim Essen zugesehen.

Das war mittlerweile einige Stunden her und in Nicks Augen hatte er genug Geduld bewiesen, darum drückte er dem verblüfft dreinschauenden Eric eine Packung mit ausgeblasenen, bunt angemalten Eiern in die Hände, ehe er sich auf den Weg nach draußen machte.

Diese Eier waren Überbleibsel aus Noahs und Liams Kunstunterricht in der Schule, deswegen hatten sie jedes Jahr einen Ehrenplatz im Garten, in dem Nick dann eine Weile wie bestellt und nicht abgeholt herumstand, denn es dauerte recht lange, bis Eric auf der Veranda erschien, ihm von dort einen finsteren Blick zuwarf, bevor er sich schnaubend auf einen ihrer Gartenstühle setzte und die Eier neben sich auf dem Boden abstellte.

Offenbar hatte er eine Menge an Subtilität eingebüßt, erkannte Nick, denn dass Eric Lunte gerochen hatte, war unübersehbar. Und da er schon ertappt war, konnte er es genauso gut zugeben. »Zu offensichtlich?«, fragte er mit einem amüsierten Lächeln.

»Noch offensichtlicher ging es nicht. Meine Männer halten mich scheinbar für dämlich.«

Ah, da war er ja endlich wieder. Der mürrische Eric-Burrows-Tonfall, den Nick den ganzen Nachmittag über vermisst hatte. Erics Worte gefielen ihm allerdings ganz und gar nicht. Nick verschränkte tadelnd seine Arme vor der Brust.

»Im Gegenteil, sie lieben dich und machen sich daher Sorgen.« Er ging langsam auf Eric zu. »Und sie kennen dich gut genug, um zu wissen, dass du komplett dicht machst, wenn sie dich noch mal fragen, was los ist. Also habe ich entschieden, diesen Job für sie zu übernehmen und dich im schlimmsten Fall wie die berühmte Zitrone auszuquetschen, bis du mir erzählst, was dir schon seit Wochen im Kopf herumgeht.«

»Nichts.«

Nick verdrehte die Augen. »Können wir die üblichen ersten Lügen bitte überspringen? Ich bis langsam zu alt für diesen Unsinn.«

»Du bist nicht alt, sondern hinterhältig«, grollte Eric und wenn Blicke töten könnten, wäre Nick spätestens jetzt leblos zu Boden gesunken. So aber gönnte er sich ein freches Grinsen, von dem er wusste, dass es Eric nur noch weiter auf die Palme treiben würde.

»Oh gut, du gehst gleich zu den Beleidigungen über. Nur weiter so.«

»Was sollte dieser Quatsch mit der Farbe?«

Nicks Grinsen wuchs. »Von wegen Quatsch. Ich wette hundert Mäuse, du hattest dank meiner Superidee den besten Sex deines Lebens.«

Eric wurde tatsächlich rot, es war unglaublich. Seiner Laune war diese Stichelei allerdings weniger zuträglich und Nick schraubte sein Grinsen etwas zurück, als Eric kurz abschätzend zwischen der Eierpackung und ihm umherschaute. Er wollte verhindern, dass die schief und krumm bemalten Erinnerungsstücke seiner Söhne dem Zorn seines dritten Jungen zum Opfer fielen.

Schließlich beruhigte sich Eric etwas, indem er einige Mal tief Luft holte und dann förmlich knurrte: »Das geht dich gar nichts an.«

»Weiß ich«, stimmte Nick ihm amüsiert zu. »Und das ist auch der einzige Grund, warum ich dich noch nicht gefragt habe, ob ich einen Blick auf deine blauen ...«

»Nick!«

Lachend nahm Nick den freien Gartenstuhl an Erics Seite in Beschlag. »Schon gut, behalte deine Eier für dich. Das andere Geheimnis ist mir wichtiger.«

»Es gibt keins.«

Nick stöhnte frustriert. »Bitte keinen Rückfall in die Lüge. Fällt dir etwa keine neue Beleidigung ein?«

»Du bist ein mieses Arschloch!«

Das war direkt und die Lautstärke, mit der Eric diese fünf Worte aussprach, ließ Nick überrascht stutzen. Dass Eric zudem seinem Blick fast schon krampfhaft auswich, war ein weiteres Indiz dafür, dass Noah und Tom richtig gelegen hatten. Irgendetwas stimmte mit Eric ganz und gar nicht und deswegen entschloss sich Nick, Nägel mit Köpfen zu machen.

»Sag' es mir einfach, Eric. Umso eher können wir uns wieder wie zwei dumme Kleinkinder kabbeln und Noah und Tris damit in den Wahnsinn treiben.«

»Herrgott, wieso kannst du nicht einfach …?«

»Aufhören, mich wie ein Vater zu benehmen?«, fiel er Eric ins Wort und als der daraufhin abrupt blass wurde, war ihm auf einmal alles klar. »Dein Vater also.«

»Du verdammter ...«

Nick hielt ihn sofort fest, als Eric aufsprang und vor ihm, oder eher vor sich selbst, flüchten wollte. Er zog an Erics Arm, bis der sich mit einem tiefen Seufzen zurück in den Stuhl sinken ließ, dort wie ein schmollendes Kind die Arme vor der Brust verschränkte und auf den Boden starrte. Nick tippte ihn mit der Schuhspitze an, was ihm ein Schnauben einbrachte.

»Nun sag' schon. Du weißt, dass ich keine Ruhe gebe und wenn du es mir nicht erzählst, gibt es andere Leute in unserer Familie, die dir gerne auf deinen sturen Zahn fühlen werden. Allen voran ein gewisser Quinlan. Sagt dir der Name was?«

»Manchmal hasse ich dich.«

»Damit kann ich leben. Und jetzt raus damit.«

Es dauerte einige Minuten, aber schlussendlich gab Eric mit einem genervten Schnauben nach und fing an zu reden.

»Wir haben vor einigen Wochen die Kammer und den Dachboden aufgeräumt. Tom hat dabei einen Karton mit meinem Namen drauf gefunden. Ein total eingestaubtes, uraltes Ding. Ich wusste anfangs überhaupt nicht, wo er herkam, aber irgendwann fiel es mir ein. Die Tussi vom Jugendamt, die damals für mich zuständig war, hat den Kram aus dem Haus geholt, nachdem ich meinen Vater … Du weißt schon. Sie dachten, ich hätte vielleicht gerne ein paar Erinnerungen an ihn. Fotos von meiner Mutter, von ihm, von mir, von ihrer Hochzeit. Sogar von seiner Beerdigung gibt es Bilder.« Eric machte ein abfälliges Geräusch. »Sie hielt das wohl für eine nette Geste. Dass ich nicht lache. Ich hätte den Scheiß verbrennen sollen.«

Kein Wunder, dass sein Schwiegersohn völlig von der Rolle war. Und es war ebenfalls kein Wunder, dass Tom und Noah sich Sorgen machten. Selbst wenn sie keines der Bilder gesehen hatten, waren die beiden nicht dumm und Erics merkwürdiges Verhalten unübersehbar. Wer hätte sich in dieser Situation keine Sorgen gemacht?

Dennoch musste sich Nick nach längerem Nachdenken eingestehen, dass er nicht nur besorgt um Eric war, sondern auch verärgert. Warum hatte er diese vermaledeiten Fotografien nicht einfach verbrannt, und warum hatte er seinen Mund nicht aufgemacht? Wie oft musste man es Eric in den Schädel hämmern, dass er zu einer Familie gehörte, die füreinander einstand und vor allem, die immer füreinander da war?

»Warum hast du es nicht getan?«, fragte Nick leise, nachdem er Erics Worte ein bisschen hatte sacken lassen. »Warum hast du die Fotos nicht einfach genommen und mit ihnen ein nettes Feuer gemacht?«

»Warum wohl?« Eric sah ihn wütend an und deutete dabei zum Haus. »Was glaubst du, wie Noah oder Tom reagiert hätten, hätte ich den Karton genommen und den Inhalt in einen Haufen Asche verwandelt?«

Jetzt fing Eric wieder damit an, dass er seine Männer vor allem behüten und beschützen musste, und dass er dabei natürlich unbedingt den starken Mann zu spielen hatte, weil … Warum auch immer. Nick verkniff sich ein abfälliges Schnauben und tippte sich vielsagend gegen die Stirn.

»Schieb' nicht deine Männer vor, Eric, nur weil du es nicht auf die Reihe bekommst, ihnen zu vertrauen. Willst du wissen, was ich glaube? Nein, antworte mir nicht, ich erzähle es dir so oder so. Du bist nämlich ein Vollidiot!«

»Wie bitte?«, fragte Eric und bei seinem entrüsteten Blick ging Nick endgültig der Hut hoch.

»Was denkst du denn, wie sie reagiert hätten, hm? Na los, sag' es mir, du sturer Bock. Nein? Gut, dann mache ich das. Sie wären da gewesen, wie sie immer da sind. Weil sie dich lieben. Weil du bei ihnen nicht rund um die Uhr den starken Mann spielen musst. Ja, Eric, du bist ein Vollidiot, weil du offenbar nicht begreifen kannst oder willst, dass man in unserer Familie auch schwach sein darf.« Nick erhob sich und sah stinksauer auf Eric hinunter. »Stattdessen müssen Noah und Tom jedes Mal erst einen Plan schmieden, um dich wieder aus deinem Schneckenhaus zu locken, was unnötig wäre, hättest du den Arsch in der Hose, den Mund aufzumachen, sobald du Hilfe brauchst. Dabei dachte ich, du hättest letztes Weihnachten begriffen, was es bedeutet, ein Teil unserer Familie zu sein. Aber scheinbar habe ich in der Hinsicht zu viel von dir erwartet.«

 

 

Kapitel 3

 

»Was machst du denn hier?«, wollte Nick am späten Abend verwundert wissen, als er, auf Geheiß von Tristan hin, den Müll rausbrachte, und währenddessen plötzlich ein schwarzer BMW in ihre Einfahrt bog.

»Dem Notruf deines Ehemannes folgen«, antwortete Adrian mit einem Grinsen, während er aus dem Wagen stieg. »Er hat mir allerdings nicht verraten, was du jetzt wieder angestellt hast. Also?«

Ach deswegen hatte Tristan so geschmunzelt. Er würde seinen Mann später dafür küssen, entschied Nick und zog eine Grimasse, als ihm wieder einfiel, dass es seine Schuld war, dass Eric seit über drei Stunden im Garten saß und finstere Löcher in die Luft starrte. Und das wiederum sorgte für wütende Blicke bei Noah, die allerdings ihm galten. Nick seufzte leise.

»Ich glaube, ich habe es übertrieben.«

»Bei was genau hast du übertrieben?«, fragte Adrian und folgte ihm ins Haus.

»Eric die Leviten zu lesen.«

»Ah, die Sache mit seinen blauen Eiern, über die ich offiziell natürlich gar nichts weiß«, konterte Adrian mit einem Grinsen und Nick musste unwillkürlich lachen.

»Hat Noah es dir erzählt?«

»Sicher hat er. Nachdem ich ihn damit erpresst habe, dir zu sagen, dass er deine blaue Farbe ausgetauscht hat, um Eric zu ärgern und es dir anzuhängen.«

Nicks Lachen fiel in sich zusammen. »Was?«

Adrian tat harmlos. »Ups.«

»Dieser kleine ...«

Nick brach mit einem Schnauben ab, als Adrian leise lachte. Verraten vom eigenen Sohn, nicht zu fassen. Und gleichzeitig auch kein Wunder, immerhin kannte er Noah lange genug und solche Scherze waren in ihrer Familie an der Tagesordnung. Vor allem, seit Noah mit Tom und Eric verheiratet war.

»Ja, ja, unsere Kinder. Was soll man dazu noch sagen? Wir haben sie alle perfekt erzogen, nicht wahr?« Adrian warf ihm einen neckischen Kussmund zu, als Nick sich vielsagend an die Stirn tippte. »Ich schätze, Noahs Plan hätte auch wunderbar funktioniert, hätte Eric ihm nicht dazwischengefunkt. Was ist passiert?«

Nick erzählte es Adrian, der im Anschluss daran laut stöhnte. »Dummer Junge. Du hast recht und es ist nicht im Mindesten übertrieben, ihm das auch unter die Nase zu reiben. Ich rede mit ihm.«

»Adrian ...«

»Such du lieber deinen Junior. Die Gerüchteküche hat mir zugetragen, dass er die blaue Farbe mitgebracht hat, um irgendetwas damit anzustellen.«

»Hört diese ominöse Gerüchteküche rein zufällig auf den Namen Liam?«

Adrian tat überrascht. »Wow, du bist eindeutig unter die Hellseher gegangen.«

»Nein«, widersprach Nick mit einem Kopfschütteln. »Ich kenne nur meine Söhne, von denen einer momentan leider stinksauer auf mich ist.«

»Wegen Eric?«, fragte Adrian und winkte ab, als Nick nickte. »Er macht sich nur Sorgen, also schnapp' ihn dir und nimm ihn in die Arme. Das hat euch beiden schon immer geholfen.« Adrian streckte seine Finger, bis sie knackten. »So, und ich schnappe mir jetzt den Blödmann und bewerfe ihn mit Eiern, bis er heult.«

Nick sah Adrian amüsiert und erstaunt gleichzeitig an. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast auf dem Weg hierher ein paar Kekse mit lustig machendem Inhalt genascht.«

Adrian warf ihm einen finsteren Blick zu. »Fang' jetzt nicht wieder davon an. Ich wusste nicht, dass Haschisch in den Keksen ist, sonst hätte ich sie niemals gegessen. Außerdem ist das schon gefühlt hundert Jahre her.«

»Du hast Haschischkekse gegessen?«, mischte sich im nächsten Augenblick Noah überrascht ein, der gerade in den Flur kam. »Weiß David das und hat dich deswegen mal wieder aus dem Haus geworfen?« Noah fing an zu grinsen. »Du weißt schon … So wie damals, nach deiner Prügelei mit Colin.«

»Ich frage besser nicht, woher du das weißt.« Adrian sah Nick böse an, der jedoch den Kopf schüttelte, denn er hatte es Noah nicht erzählt. »Ich habe übrigens auch keine Haschischkekse gegessen. Das ist eine schamlose Unterstellung deines Vaters, dem ich soeben von deinem geplanten Farbattentat auf ihn erzählt habe.«

Noah wurde knallrot. »Onkel Adrian!«

»Bedank' dich dafür bei deinem zweiten Vater. Hätte Tristan mich nicht eiskalt erpresst, damit ich ...« Adrian verstummte abrupt, räusperte sich einmal und machte sich dann ohne ein weiteres Wort der Erklärung auf den Weg in den Garten.

Nick tauschte einen ahnungsvollen Blick mit seinem Sohn, dann wandten sich beide der Küche zu, wo Tristan gerade den fertigen Geschirrspüler ausräumte. Als er sie entdeckte, stellte er die Teller in seinen Händen auf die Arbeitsplatte und sah sie amüsiert an.

»Na? Hat Adrian gepetzt?« Tristan begann zu lachen, als Nick und Noah daraufhin gemeinsam die Arme vor der Brust verschränkten. »Ihr seid eindeutig Vater und Sohn, aber ich werde euch trotzdem nicht sagen, was ich gegen Adrian in der Hand habe. Und was dich betrifft«, Noah traf ein tadelnder Blick, »wirst du umgehend diese dämliche Farbe entsorgen, dich bei deinem Vater für den Unsinn entschuldigen und danach werdet ihr Eric daran hindern, Adrian zu erwürgen, was in spätestens fünf Minuten der Fall sein dürfte, wie ich die beiden kenne. Und jetzt raus aus meiner Küche.«

»Aber ...« Weiter kamen sie nicht.

»Nichts aber«, fuhr Tristan ihnen kopfschüttelnd über den Mund und nahm weiteres Geschirr aus dem Spüler. »Den eigenen Vater bzw. Ehemann mit Ölfarbe anmalen. Wo sind wir denn hier? Im Kindergarten?« Tristan deutete mit sehr strengem Blick in den Flur. »Abmarsch. Kümmert euch um Eric.«

»Dad ist wirklich sauer auf uns, oder?«, fragte Noah, nachdem die Küchentür hinter ihnen zugefallen war

»Ich denke nicht«, antwortete Nick, obwohl er sich da nicht ganz sicher war. »Er fand es schon nicht lustig, als ich das Paket mit den Farben für Eric gepackt habe. Ich schätze, das Ganze ist ihm einfach zu kindisch. Okay, er hat recht, es ist kindisch, aber ...«

»Er macht sich Sorgen um Eric«, nahm Noah ihm die nächsten Worte aus dem Mund und Nick nickte.

Keinen Wimpernschlag später schallte ein lästerlicher Fluch aus dem Garten zu ihnen ins Haus, dicht gefolgt von einem lauten Scheppern und einem schmerzhaften Aufstöhnen.

Und dann ging es los.

»Was zur Hölle …? Gib den blöden Hammer her!«, schimpfte Eric lautstark. »So eine Scheiße, das blutet wie Sau. So danebenhauen muss man auch erst mal können. Respekt. Was war das? Eine Blumenampel? Quinlan, die Dinger hängt man mithilfe eines Hakens irgendwo an, man hämmert sie nicht gegen Wände.«

»Das war ein Unfall«, nörgelte Adrian und Noah und Nick stöhnten unisono auf, während sie nebenbei gegen ein Lachen ankämpfen mussten. Adrians ständige und jedes Mal garantiert peinliche Unfälle beim Handwerken waren mittlerweile legendär.

»Unfall? Der Finger sieht übel aus. Das sollte sich ein Arzt einsehen. Junge, Junge, Quinlan, nur weil ich nicht mit dir reden will, musst du dich aus Protest nicht gleich wie Jesus ans nächste Kreuz nageln.«

»Ich will nicht ins Krankenhaus.«

»Was du willst, ist mir gerade völlig wurscht, Anwalt. Wer mich so wütend macht, dass ich kurz davor stehe, ihm eine reinzuhauen, der hat ja wohl kaum Angst vor einem harmlosen Arzt … Oder vielleicht doch?«

»Du klingst gerade frappierend wie mein Ehemann.«

»Das nehme ich als Kompliment.«

»Es war keins!«

»Ist mir egal. Nick?«

Nick grinste mittlerweile so breit, dass eine Melone vermutlich quer in seinen Mund gepasst hätte. »Ja, mein allerliebster Schwiegersohn?«

»Lass den Blödsinn und fahr' den Wagen vor. Hier ist jemand, der dringend ins Krankenhaus muss.«

»Ich muss in kein Krankenhaus.«

»Klappe, Anwalt.«

»Gleich klebt er Adrian den Mund zu«, meinte Noah feixend und nickte sofort, als Nick fünf Finger hochhielt, was gleichbedeutend war mit fünfzig Dollar, die er zu setzen gedachte. »Ich rufe Liam und den Rest der Bande an. Sie wetten garantiert mit. Wenn du David anrufst, lenke ich Dad ab und schmuggle meine blaue Farbe ins Krankenhaus, damit wir Onkel Adrians Gips später ein bisschen verschönern können.«

»Du glaubst, dass er einen Gips bekommt?«, fragte Nick überrascht und Noah verdrehte sichtlich amüsiert die Augen.

»Wie gut kennen wir Adrians Handwerkertalent?«

»Auch wieder wahr.«

»Deal?«, fragte Noah breit grinsend, während sie Eric im Garten weiter fluchen hörten und Adrian das Ganze mit seiner lange bekannten Nörgelei, dass es überhaupt nicht schlimm wäre, kommentierte.

Nick nickte belustigt. »Deal.«

 

 

Epilog

 

»Ich kann nicht glauben, dass du da mitgemacht hast. Obwohl … Du und Noah zusammen, das endet immer im größten Chaos.«

»Sagt der Mann, der es mit nur einem Hammerschlag geschafft hat, sich den Finger zu brechen. Zweimal.«

»Das war ein Unfall.«

Nick prustete los und wich dem halbherzigen Schlag von Adrian mühelos aus, woraufhin der ein Kissen nach ihm warf, das allerdings auch daneben ging. Sie grinsten sich an und schließlich seufzte Adrian und warf seiner Gipshand einen ungläubigen Blick zu, ehe er seinen Arm kopfschüttelnd auf dem Kissen hoch lagerte, dass David ihm vor kurzem extra dafür hingelegt hatte.

»Will ich wissen, was unsere Männer in der Küche da schon die ganze Zeit tuscheln?«

»Nein«, antwortete Nick, der ahnte, dass er für seine Malnummer mit dem Penis auf Adrians Gips noch eine Strafe bekommen würde. Tristan war da beizeiten recht erfinderisch. Nicht, dass es ihn gestört hätte. »Ich würde lieber wissen, was Noah und Eric machen. Sie sind jetzt schon zwei Stunden unterwegs. Wer geht denn freiwillig zwei Stunden spazieren?« Adrian gluckste und Nick sah ihn fragend an, um im nächsten Moment den Kopf zu schütteln. »Dafür ist es zu kalt draußen.«

Adrian kicherte albern. »Das glaubst auch nur du.«

»Noah tut so was nicht.«

»Wetten?«

»Adrian!«

Der grinste frech, schaute anschließend prüfend zur Tür und beugte sich danach in seine Richtung. »Fünfzig Mäuse und einen Abzug von den Bildern, die Noah für dich gemacht hat, sonst erzähle ich Tristan davon.«

Nick zuckte ertappt zusammen. »Woher …?«

»Ich kriege alles raus, Kleiner, schon vergessen?«

»Fieser Erpresser«, murrte Nick, was Adrian nicht die Bohne störte. Stattdessen sah er ihn fragend an.

»Wie schlimm sieht es aus?«

Nick biss sich umgehend auf die Zunge, um nicht mit dem Lachen herauszuplatzen, das ihn überfallen wollte, als er an die Fotos dachte, die Noah in der letzten Nacht heimlich von Erics blau-karierten Hoden gemacht hatte. Und von dem verwackelten Herz mit einem Romeopfeil in der Mitte, das auf Erics Hüfte prangte.

»Du hast keine Vorstellung«, murmelte er schließlich und Adrian begann zu lachen.

 

 

Du und ich, wir sind vier 

 

Manchmal braucht es ein halbes Leben, um zu begreifen, dass man einen Menschen, der einem sehr viel bedeutet, nicht lieben oder küssen muss, um zu wissen, wie wichtig er für das eigene Herz ist.

 

 

Kapitel 1

 

»... zwei Meter hohe Verwehungen angehäuft und in einigen Teilen unserer Stadt ist die Stromversorgung zusammengebrochen. Falls möglich, bleiben Sie bitte zu Hause. Wir halten Sie weiter über alle Neuigkeiten rund um den Blizzard, der Baltimore seit einer Woche fest in seinen Klauen hat, auf dem Laufenden.«

Adrian schaltete kopfschüttelnd den Fernseher aus und ging zu David in die Küche, der mit finsterem Blick die Kaffeemaschine beäugte, was ihn grinsen ließ.

»Hast du etwa Kaffeedurst, mein Schatz?«

David schnaubte. »Nein.«

Leise lachend nahm Adrian den Wassertank aus der Maschine, um eine Kanne Kaffee aufzusetzen, ehe David noch auf die Idee kam, seinen tausendsten Selbstversuch zu starten, und das musste nun wirklich nicht sein. Sein lieber Ehemann jagte zwar nicht die Kaffeemaschine in die Luft, wie Sam es letzten Monat geschafft hatte, aber trinkbarer war sein Gebräu in den letzten Jahrzehnten deswegen noch lange nicht geworden.

»Ich bin froh, dass ihr die Kanzlei zugemacht habt«, sagte David nach einem Blick aus dem Fenster. »Bei dem Wetter hätte ich keine ruhige Minute, wenn du mit dem Auto unterwegs wärst.«

»Dito. Allerdings werden wir Ende der Woche nicht mehr um einen Einkauf rumkommen.«

»Bis dahin sind noch vier Tage Zeit. Vielleicht haben wir Glück und der Sturm lässt zum Wochenende etwas nach.« David lachte leise. »Weißt du noch, als Isa so klein war? Ihr erster Schnee und dann musstest du mit ihr den Schneemann bauen.«

»Eine wunderbare Skulptur.«

»Ähm ...«

»Sag' jetzt nichts«, murrte Adrian gespielt und David zwinkerte ihm glucksend zu, ehe er seinen Blick wieder aus dem Fenster richtete. »Noah hat vorhin angerufen, als du unter der Dusche warst. Nico ist letzte Woche einer Hilfsorganisation beigetreten und will nach dem Studium als Kriegsberichterstatter arbeiten.«

Adrian zog eine Grimasse. »Weiß Nick das schon?«

»Nein. Es ist ganz frisch. Eric dreht am Rad und Tom ist darüber auch nicht sonderlich glücklich.«

»Und Noah?«

»Hat Angst um Nicos Sicherheit.«

»Verständlich«, murmelte Adrian und füllte Pulver in die Maschine. Kriegsberichterstatter. Er hatte es kommen sehen. Schon vor zwei Jahren, als Nicholas das erste Mal darüber gesprochen hatte. Mittlerweile war der einzige Sohn des Trios 21 Jahre alt und wurde von Jahr zu Jahr mehr ein Ebenbild seines leiblichen Vaters. Sehr zu Erics Leidwesen, wie er von Nick wusste.

Ihr Hausanschluss klingelte.

»Ich geh' schon«, sagte David und verschwand in den Flur. Kurz darauf trat er mit gerunzelter Stirn zurück in die Küche. »Nur die Mailbox? Aber tot ist es nicht? … Ja, ich sag's ihm. Nein, das machst du nicht. Du bleibst brav zu Hause, falls er doch noch auftaucht. Ich melde mich gleich wieder bei dir.«

»Wer war das?«, fragte Adrian beunruhigt, als David den Anruf unterbrach.

»Tristan. Nick wollte kurz die beiden Querstraßen an ihrem Haus runter, um bei Bill im Laden das Nötigste für die kommenden Tage einzukaufen. Er ist allerdings nie dort gekommen. Tristan hat Bill schon angerufen, der Stein und Bein schwört, dass er Nick nicht gesehen hat. Er hat extra für Tristan vor dem Laden nachgesehen, nur zur Sicherheit. Nichts.«

»Wie lange ist Nick schon draußen?« Adrian kramte bereits nach seinem Handy.

»Über eine Stunde. Tristan fragt, ob du einen deiner ominösen Freunde bitten kannst, Nicks Handy zu orten. Es ist eingeschaltet und die Mailbox geht ran.«

»Hat er die Polizei eingeschaltet?«

»Ja, aber du weißt genauso gut wie ich, wann die was machen. Noch dazu, wo sie mit dem Sturm selbst genug zu tun haben.«

Ja, das wusste Adrian nur zu gut und bei dem Wetter würde Nick tot sein, bis sich bei Polizei oder Feuerwehr etwas tat. Er suchte eine Nummer heraus, die er schon eine ganze Weile nicht mehr angerufen hatte, aber sich der Hoffnung hingeben und abwarten, ob Nick vielleicht doch gleich zur Haustür reinkam, wollte er nicht. Adrian glaubte an Vieles, aber nicht an Wunder.

»Quinlan. Die Kacke muss ganz schön am Dampfen sein, wenn du mich anrufst.«

»Kannst du für mich ein Handy orten?«

»Wann?«

»Jetzt.«

»Oh Mann. Weißt du, wie spät es bei mir ist?«

»Weißt du, wie lange ein Mensch in einem Blizzard zu Fuß überleben kann?«

»Scheiße. Moment, ich muss den Laptop hochfahren. Gib mir die Nummer. Wo soll ich suchen? Baltimore?«

»Ja«, antwortete Adrian und ratterte anschließend die Nummer von Nicks Handy und seinen grob vermuteten Standort herunter. »Er wollte einkaufen und ist seit über eine Stunde weg.«

»Hm … Ihr habt wirklich Scheißwetter. Na also, da ist ja der Ausreißer. Ich zoome dichter ran. Seltsam. Das Handy ist keine zweihundert Meter von seiner Adresse entfer... Oh.«

»Oh?«

»Da brennt was.«

Adrian runzelte die Stirn. »Was brennt da? Moment mal, woher …?«

»Echtzeitsatellit. Frag' nicht. Das ist neueste Technik. Hat mich ein Vermögen gekostet. Auf jeden Fall solltet ihr jemanden hinzuschicken. Da brennt ein Auto. Vielleicht gab es einen Unfall und er wollte helfen oder wurde angefahren. Der Schnee ist einfach zu dicht, um mehr zu erkennen.«

»Danke. Ich schulde dir was.«

»Und ich werde es nicht vergessen, Quinlan.«

Adrian legte auf und wählte umgehend eine weitere Nummer. Dabei sah er zu David. »Ruf Tristan an. Nick ist keine zweihundert Meter vom Haus weg. Da war ein Autounfall, wie es aussieht. Ein Wagen brennt. Sag' ihm, er soll sich beeilen, dick anziehen und vorsichtig sein. Ich besorge Hilfe, aber bei dem Wetter kann das dauern. Und sag' ihm ...«

»Dass er bei dem Auto kein Risiko eingehen soll, ich weiß.« David nahm das Telefon. »Und wir beide wissen ebenfalls, dass der Rat sinnlos ist. Er ist der einzige, der im Moment in Reichweite ist und Nick helfen kann, was auch immer da los ist. Also wird Tristan helfen, und im schlimmsten Fall dabei draufgehen.«

 

 

Kapitel 2

 

»Mir geht’s gut.«

»Du hast zwei gebrochene Knochen, wurdest beinahe platt gefahren und bist danach auch noch halb erfroren. Das nennst du gut, Nicholas Kendall? Und das alles nur, weil du wieder mal Supermann spielen musstest.«

»Hätte ich den Mann verbrennen lassen sollen?«

»Du hättest dich zuallererst nicht von ihm anfahren und hinterher mit deinem gebrochenen Bein noch seinen Arsch retten sollen. Sehe ich vielleicht aus, als wäre ich scharf darauf, mit Batman verheiratet zu sein? Wobei der sich bei dieser Rettungsaktion wahrscheinlich nicht mal ein Barthaar versengt hätte.«

»Batman trägt einen Bart?«

»Nicky!«

»Tris ...«

»Und dann nicht mal die Feuerwehr rufen. Ich sollte dich übers Knie legen.«

»Ich habe sie angerufen, bevor mir das blöde Handy aus der Hand gerutscht ist. Sie sind ja auch gekommen, oder etwa nicht?«

»Ja, vier Stunden später, nachdem diese Soldaten rein zufällig mit einem Hummer in unserer Straße auftauchten und uns ins Krankenhaus gebracht haben. Und ich sage immer noch, dass Adrian die Männer geschickt hat, auch wenn er es abstreitet.«

Adrian verkniff sich im Flur ein Grinsen und streckte dabei in einer gemütlichen Geste die Beine aus. Wobei es gemütlich als Beschreibung nun wirklich nicht traf. Die steinharten Besucherstühle in Krankenhäusern waren in seinen Augen das Unbequemste, was es auf der Welt an Sitzmöbeln gab. Aber wenn man sechs Tage und Nächte auf diesen Dingern verbrachte, gewöhnte man sich sogar an eingeschlafene Arschbacken.

»Oha«, machte Noah belustigt, als er bei ihm ankam und Tristan im Zimmer Nick eben als Depp und Trottel beschimpfte, und reichte ihm einen Becher Kaffee, bevor er sich neben ihn setzte. »Hat Dad zwischendurch auch mal Luft geholt?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Adrian und hob den Deckel vom Becher. »Wo hast deine Kerle gelassen?«

»Mit David draußen. Beine vertreten. Sie wollen auf Liam und Jake warten.«

Adrian schmunzelte. »Wir sind also die Wachschicht, um Tristan im Notfall daran zu hindern, Nick übers Knie zu legen?«

»Jep.« Noah gähnte und streckte dabei ebenfalls seine Beine aus. »Sag' mal ...«

»Ich war es nicht«, fiel Adrian ihm hektisch ins Wort und verfluchte sich umgehend dafür, weil das auf Noah natürlich wie ein Schuldgeständnis wirkte. Was es auch war, das würde er allerdings nicht freiwillig zugeben.

»Aha, die Soldaten kamen also wirklich von dir.«

»Sie waren von der Nationalgarde, die, wie du selbst aus den Nachrichten weißt, vom Präsidenten in die Stadt geschickt wurde, um zu helfen. Sie waren rein zufällig in der Gegend.«

»Ersteres glaube ich dir sogar«, erklärte Noah trocken und Adrian nickte zufrieden.

»Braver Junge.«

»Wen hast du bestochen, um sie dahin zu schicken?«

»Noah!«

»Wir reden hier von Dad, Onkel Adrian.«

Als wenn er das nicht wüsste. Er hatte es auch in den sehr langen fünfeinhalb Stunden gewusst, die sie an dem Tag ins Krankenhaus gebraucht hatten, nachdem von Tristan der erlösende Anruf gekommen war, dass Nick lebte. Nur um dort zu erfahren, wie dicht an der Klippe es gewesen war. Eine halbe Stunde später und Nick und der Unfallfahrer wären tot gewesen.

Der Schrecken darüber saß Adrian heute noch in den Knochen. Er seufzte leise. »Ich kenne den Truppenleiter, weil ich mal seine Tochter vertreten habe. Er war damals etwas knapp bei Kasse, wenn du verstehst.«

»Wie viele solcher Leute kennst du eigentlich?«

»Genug«, antwortete Adrian schlicht, denn er würde nicht einmal Noah verraten, dass er sich sein Honorar in all den Jahren seiner Karriere oft genug durch Gefallen hatte bezahlen lassen. Das war zwar nicht verboten, dass diverse der Gefallen gegen geltendes Gesetz verstießen, war allerdings etwas ganz anderes. Davon musste Noah nichts wissen.

Nicht mal David wusste das. Zumindest hatte er ihm nie davon erzählt. Aber was sein lieber Ehemann offiziell wusste und was er wirklich wusste, war zwei verschieden große Paar Schuhe.

»Danke.«

»Noah ...«

»Schlucks' runter, ich bedanke mich trotzdem, okay? Hättest du keine Hilfe organisiert, wäre Dad gestorben. Und jetzt umarm' mich gefälligst. Als Lieblingsonkel ist das dein Job. Vor allem, weil ich mich beschweren will.«

Oh je. Er sah Noah unschuldig an. »Ich habe nichts gemacht.«

Noah lachte leise und steckte Adrian damit an, bevor er einen Arm um ihn legte, denn die Zeiten, in denen er die Zwillinge abends in ihre Betten getragen hatte, wenn deren Väter mal ein paar Stunden zu zweit brauchten, waren lange vorbei. Ein Umstand, der Adrian gerade an Tagen wie diesem auffiel und der ihn das Familienchaos stärker als normal vermissen ließ. So schön es auch war, die Kinder in sicheren Beziehungen zu wissen, das Haus war manchmal erschreckend leer, seit Isabell und Kilian es verlassen hatten, und dabei war der nicht einmal sein leiblicher Sohn. Nicht, dass es ihn je gekümmert hätte.

»Ich will mich auch nicht über dich beschweren. Um ehrlich zu sein, will ich über meinen Sohn jammern, weil er so ein Sturkopf ist.«

»Ah«, machte Adrian verstehend. »Die Berufswahl.«

»Von wegen Wahl. Entweder der Job oder gar keiner.« Noah schnaubte. »Du hättest ihn hören sollen. Eric ist an die Decke gegangen, nachdem Nico das Haus verlassen hatte, um sich mit seinem Freund Jared zu treffen. Kann er denn nicht etwas Normales machen?«

Normal? Adrian schluckte das in ihm aufsteigende Lachen wieder hinunter. Wenn er jetzt lachte, so gerne er es getan hätte, würde Noah ihn erwürgen. »Du meinst, so etwas wie Clubbesitzer oder Künstler, wie seine Väter es sind? Oder schwebt dir eher so etwas vor wie Anwalt, Jugendhilfe, Navy Seal, Werkstattbesitzer, Schauspieler, Polizist, Verdeckter Ermittler … Soll ich weiterreden?«

»Du bist nicht hilfreich«, nörgelte Noah, was Adrian nicht sonderlich beeindruckte.

»Und du bist ein Träumer, Noah. Bei unserer Familie könnt ihr froh sein, dass Nico nicht beschlossen hat, zum FBI zu gehen und Serienkiller zu jagen.«

»Hast du wieder Criminal Minds geguckt?«

»Die Serie ist klasse. Und Aaron Hotchner weiß, wie man im Anzug gut aussieht.«

Noah prustete los und lehnte sich an seine Schulter, was Adrian zufrieden grinsen ließ. Sein Lieblingsjunior ließ sich manchmal entschieden zu leicht ablenken, aber wenigstens brachte ihn das eine Weile von seinen Sorgen um seinen Sohn weg. Spätestens, wenn Nicholas in sein erstes Krisengebiet ging, würden alle seine Väter graue Haare bekommen.

Aber bis dahin war noch etwas Zeit und jetzt galt es ohnehin erst mal, sich um die aktuellen grauen Haare zu kümmern, die Nick ihnen beschert hatte.

 

 

Kapitel 3

 

»Wieso muss ich im Bett liegen? Die Couch geht auch und da kann ich wenigstens fernsehen.«

Adrian blätterte gelassen eine Seite in dem Buch um, das er derzeit las, und ignorierte Nicks Genörgel. Darin war er in den letzten beiden Tagen ein wahrer Meister geworden, nachdem Nick Tristan mit seiner Ungeduld, endlich wieder auf die Füße kommen zu wollen, bis zur Weißglut getrieben hatte. Woraufhin der ihm am Telefon erklärt hatte, dass er, als Nick zweite bessere Hälfte, sich ab sofort um ihn zu kümmern hätte, da Tristan ihn sonst umbrachte. Nachdem er vorher Nick umgebracht hatte, versteht sich.

»Adrian? Können wir nicht …?«

»Nein.«

»Aber ich langweile mich.«

»Lies ein Buch.«

»Langweilig.«

»Arbeite an deinen Fällen.«

»Hallo? Ich bin krankgeschrieben.«

Adrian verdrehte innerlich die Augen. Warum wohl? Wer beinahe erfror und jetzt ein Bein hatte, das von einer gefühlten Million Schrauben zusammengehalten wurde, der hatte ja wohl jedes Recht krankgeschrieben zu sein. Er blätterte auf die nächste Seite um. »Warum schläfst du nicht ein paar Stunden?«

»Ich mache seit zwei Wochen nichts anderes und bin hellwach. Unterhalte mich.«

Adrian ignorierte ihn.

»Adrian«, quengelte Nick daraufhin und hörte sich an wie ein trotziger Teenager. »Ich will doch bloß runter ins Wohnzimmer. Da kann ich bequem auf der Couch liegen, fernsehen, bis ich viereckige Augen habe, und du hast deine Ruhe.«

»Ich habe es hier ruhig genug, danke.«

»Und ich langweile mich zu Tode.«

Adrian ignorierte ihn.

»Wir könnten Poker spielen.«

Adrian ignorierte Nick weiter, auch wenn es ihm mit jedem weiteren Wort von ihm schwerer fiel.

»Oder du bringst einen Fernseher rauf. Dann kannst du mir den DVD-Player anschließen.«

Als wenn er Lust gehabt hätte, für diese Nervensäge einen Fernseher und auch noch den DVD-Player durchs Haus zu schleppen. Auf Nicks Nachttisch stapelten sich an die 20 Bücher, dazu hatte er sein Handy hier, um ins Internet gehen zu können, und auf einem Stuhl, den ihm Tristan ans Bett geschoben hatte, lagen einige von Nicks aktuellen Fällen. Das war mehr als genug Auswahl, sich beschäftigt zu halten, entschied Adrian und blätterte demonstrativ eine Seite weiter.

»Dann gehe ich eben allein nach unten.«

Adrian verkniff sich ein breites Grinsen. Ohne Hilfe kam Nick nicht mal aufs Klo, denn noch beherrschte er das Gehen an den Krücken mehr schlecht als recht. »Viel Spaß dabei«, sagte er daher trocken und vertiefte sich in sein Buch.

Ein paar Minuten war Ruhe, bis ...

»Ich verstehe wirklich nicht, warum ich unbedingt im Bett liegen muss. Wenn ich tatsächlich so schwerverletzt wäre, wie ihr mich glauben lassen wollt, hätte man mich wohl kaum entlassen, oder?«

Adrian knallte das Buch zu und verpasste Nick damit einen Schlag gegen die Schulter. Dessen empörtes »Hey.« beantwortete er mit einem weiteren Schlag. Soviel dazu, dass er ruhig und geduldig sein würde, wie er es Tristan versprochen hatte, nachdem der mit Sack und Pack nach New York City geflogen war, um dort die Wogen wegen Nicholas' Berufswahl zu glätten. Und natürlich, um aus dem Haus zu kommen, da Nick seine Nerven einmal zu oft strapaziert hatte.

Was das anging, waren die Männer in ihrer riesigen Familie alle gleich. Sobald sie verletzt waren, führten sie sich allesamt auf wie Verrückte. Er selbst eingeschlossen. Behauptete David zumindest und der musste es wissen.

»Du liegst im Bett, weil dein Arzt das befohlen hat.«

»Aber ...«

Adrian hob drohend das Buch an. »Und du wirst in diesem Bett bleiben, bis derselbe Arzt sein Okay gibt, dass du es verlassen darfst.«

»Aber … Aua!«

»Und sollte ich heute noch eine einzige Beschwerde von dir hören, versohle ich dir den Arsch, Gipsbein hin oder her.«

Nick setzte an, etwas zu sagen, doch als Adrian mit der freien Hand drohend auf das Buch zeigte, räusperte er sich nur und nickte, um danach selbst ein Buch in die Hand zu nehmen.

Für eine Weile herrschte himmlische Ruhe, bis Nick ihm auf die Schulter tippte.

Adrian verbiss sich ein Lachen. Öfter mal was Neues, dachte er und blätterte in seinem eigenen Buch um. Drei Seiten weiter versuchte Nick es erneut, diesmal mit mehr Nachdruck. Adrian ignorierte ihn. Allerdings nicht, weil er wütend war, sondern mit Absicht, weil er jetzt wissen wollte, wie lange es Nick noch aushielt, still zu sein.

Neben ihm raschelte es, dann riss Papier und ein Stift kratzte kurz darauf über selbiges. Adrian verbot sich zur Seite zu sehen, auch wenn er gern gewusst hätte, was Nick gerade trieb.

Ein paar Buchseiten später hielt der ihm plötzlich ein abgerissenes Blatt seines Schreibblocks unter die Nase, der auf den Akten gelegen hatte.

 

Ich muss aufs Klo. Dringend.

 

Adrian sah verblüfft auf das Geschriebene, dann fing er an zu lachen.

»Das ist nicht komisch«, maulte Nick prompt. »Ich muss wirklich, aber du haust mich ja lieber mit Büchern anstatt mir zuzuhören. Hilfst du mir jetzt zum Klo oder nicht?«

 

 

Kapitel 4

 

»Du bist so still.«

»Ich denke nur nach.«

»Darf ich fragen worüber?«

Tristan lächelte auf dem Beifahrersitz. »Uns.«

Adrian runzelte die Stirn. »Uns im Sinne von, dir und mir, oder …?«

»Unter anderem.«

Nanu? Was kam denn jetzt? Ein ernstes Gespräch auf dem Rückweg vom Flughafen nach Hause? Adrian warf Tristan in den nächsten Minuten immer wieder fragende Seitenblicke zu, der sein Lächeln zwar beibehielt, aber nichts mehr sagte, und das machte ihn schlussendlich so nervös, dass er irgendwann kurzerhand vor einem Park in der Nähe von Nicks und Tristans Haus hielt und den Motor abstellte.

Tristan lachte leise. »Du hast länger gewartet, als ich dachte, obwohl dir die Neugier ins Gesicht geschrieben steht.«

»Tris, was wird das hier?«, fragte Adrian verwundert und Tristan winkte ab.

»Nichts Schlimmes, ich schwöre. Mir ist nur in New York etwas klargeworden, das ich eigentlich schon lange weiß, aber irgendwie habe ich mir nie zuvor bewusst Gedanken darüber gemacht. Es war einfach da und hat mich auch nie gestört.«

»Du meinst Nick und mich?«

»Ja und Nein«, antwortete Tristan nachdenklich und öffnete die Tür, um auszusteigen. Es schneite mal wieder und als Adrian ihm folgen wollte, zeigte Tristan tadelnd auf seine vergessene Mütze auf dem Armaturenbrett. Es war immer noch tiefster Winter, auch wenn der Blizzard Gott sei Dank weitergezogen war.

»Du bist schlimmer als Trey.«

»Wir müssen uns schließlich gut um unsere Männer kümmern. Ihr beide könnt das nicht alleine.«

Oh nein, diese Art Gespräch hatte er erst vorgestern wieder mit David geführt, weil er ohne Handschuhe und bei Minus 15 Grad Außentemperatur einkaufen gefahren war. Und ihm warf man immer vor eine Glucke zu sein, dabei waren David und Tristan, ach, einfach alle, keinen Deut besser.

»Tristan? Warum spazieren wir hier bei Minusgraden durch den Park?«, fragte Adrian nach einiger Zeit, die er damit verbracht hatte, einer Gruppe von Spatzen bei der Suche nach etwas Essbarem zuzusehen.

»Weil du angehalten hast?«

»Tris!«, murrte Adrian, doch der zwinkerte ihm nur frech zu und zog dabei etwas aus seiner Jackentasche. Es war ein kleines, tiefrotes Glasherz, erkannte Adrian, als Tristan es ihm reichte. »Was …?«

»Tom hat es mir geschenkt, nachdem er merkte, dass ich es stundenlang anstarrte. Ich weiß gar nicht, wie ich darauf kam, denn eigentlich hatten wir lautstark wegen Nico debattiert.« Tristan rieb sich sichtlich genervt über die Augen. »Wobei man das im Grunde kaum so nennen kann. Er wird das Ganze mit seinen Vätern früher oder später selbst klären müssen, sie sind vor Sorge um ihn völlig verbohrt. Jedenfalls stand auf dem Tisch eine Schale mit Dekosand, Steinen und dergleichen.«

»Und diesem Herz?«, fragte Adrian und reichte es an Tristan zurück, als der nickte.

»Es lag in der Mitte, drumherum waren vier Steine angeordnet. Zufall, schätze ich, aber während Eric und Noah sich stritten, hatte ich auf einmal diesen Gedanken im Kopf.« Tristan wich seinem Blick aus und seufzte, um anschließend mit den Schultern zu zucken, was Adrian klarmachte, dass er nachfragen musste, wenn er wissen wollte, worum es ging.

»Welchen?«

»Dass wir immer zu viert waren. Du, ich, David und Nick. Es gab nie ein Du und ich. Wir sind seit jeher vier gewesen.« Tristan schüttelte den Kopf, als er etwas sagen sollte. »Es stört mich nicht. Das hat es nie. Ich frage mich nur, ob ...«

»Was?«, hakte Adrian nach, als Tristan mitten im Satz abbrach und ihn nachdenklich musterte.

»Hätte es etwas geändert?«

Adrian verstand immer noch nicht, worauf Tristan hinauswollte. »Meinst du, wenn du nicht gewollt hättest, dass ich weiterhin zu Nicks Leben gehöre?«

»Nein, wenn ich dich geküsst hätte, so wie ich es mit David getan habe.«

Adrian ging die Luft aus. Sprachlos starrte er Tristan an, der daraufhin erneut und eindeutig verlegen mit den Schultern zuckte. Der ruhige und oft so zurückhaltende Tristan hatte seinen David geküsst? Wann?

»Er hat es dir nie erzählt, ich weiß. Frag' mich nicht warum, ich habe es Nick auch nie gesagt.«

»Wann habt ihr …?«

»Das ist schon eine Ewigkeit her. Es gab auch keinen besonderen Anlass dafür.« Tristan schürzte die Lippen. »Wir waren einfach neugierig, ob zwischen uns vielleicht mehr sein könnte. So wie bei dir und Nick.«

»Und?«

Tristan schüttelte den Kopf. »Ich liebe ihn wie einen Bruder, aber mehr war da nie. Ich weiß auch nicht, warum mir nach all der Zeit auf einmal die Frage nicht mehr aus dem Kopf geht, aus welchem Grund ich dich nie geküsst habe. Ich werde jetzt auch garantiert nicht losziehen und Nick fragen, ob er irgendwann mal David geküsst hat. Es ist einfach nur ein Gedanke.«

Der eine Menge für sich hatte, entschied Adrian nach kurzer Überlegung. Nicht, weil er auf einmal seine große Liebe zu Tristan entdeckt hätte, sondern aus demselben Grund, warum der David geküsst hatte. Neugier. Pure, unverfälschte Neugier. Allerdings war er sich bewusst, dass Tristan ihm gegenüber niemals freiwillig den ersten Schritt machen würde.

Es sei denn, er brachte ihn weit genug auf die Palme, um eine Kurzschlussreaktion zu provozieren. Und das war eine ihn so mächtig lockende Herausforderung, dass Adrian nicht widerstehen konnte.

Er schob seine Hände in die Manteltaschen und warf Tristan ein neckisches Grinsen zu. »Du willst also gerne deine heißen Lippen auf meine umwerfenden drücken, um zu sehen, ob da was geht?«

»Wie bitte? Nein!« Tristans erste Empörung wich sehr schnell einem finsteren Blick. »Ist dir eigentlich klar, wie albern das klingt? Wir sind doch keine zwölf mehr.«

»Gott bewahre, ich war schlimm mit zwölf.«

»Daran hat sich nichts geändert.«

»Rieche ich da eine Beleidigung?«, fragte Adrian und lachte leise, als Tristan frustriert aufstöhnte. Im nächsten Moment entschied Adrian, seine Taktik zu ändern. »Tris, mach' es einfach. Und bevor du anfängst zu grübeln, es stört mich nicht, dass du Trey geküsst hast. Ich muss dir allerdings gestehen, ich wäre gerne dabei gewesen.«

»Oh. Du … Äh ...«

Tristan war sichtlich überrascht und Adrian hob eine Hand, um ihn mit einem Finger zu sich zu locken.

»Nein«, wehrte Tristan nervös ab. »Ich meine, ich kann dich doch nicht einfach … Wir können nicht … Du weißt schon.«

»Warum sollten wir nicht können? Trey hast du doch auch geküsst.«

»Das ist ewig her.«

Adrian gluckste amüsiert. »Nach so vielen Jahren in einer glücklichen Ehe, mit jeder Menge wildem Sex …«

»Adrian!«

»... wirst du plötzlich schüchtern?«, sprach er weiter, als hätte Tristan nichts gesagt. »Wie niedlich.«

»Ich bin nicht schüchtern.«

»Oh doch, bist du. Das erzähle ich Nick.«

»Adrian!«

Adrian breitete lachend die Arme aus. »Er wird mich dafür lieben und dich ewig damit aufziehen, wetten?«

»Du bist unmöglich«, schimpfte Tristan und stemmte die Hände in die Seiten, doch Adrian winkte lässig ab.

»Das höre ich ständig. Na los, küss mich. Er wird dir und mir, weil du es mir erzählt hast, ohnehin keine Ruhe mehr lassen, bis wir es wissen.«

»Aber ...«

»Du und ich, wir sind vier. Das waren deine Worte.« Adrian trat langsam auf Tristan zu, der ihn misstrauisch ansah, aber nicht zurückwich, als er den letzten Abstand zwischen ihnen schloss. »Willst du oder soll ich?« Tristan biss sich nervös auf die Unterlippe, was in dem Fall auch eine Antwort war. Adrian nickte. »Na schön, weil ich der Ältere bin, fange ich an. Aber nicht beißen.«

»Ich würde nie … hmpf.«

Es gab keine Fanfaren. Kein Feuerwerk. Neben ihnen explodierte keine Atombombe und in seinen Magen zog auch nicht überraschend eine Horde Schmetterlinge ein.

Es war allerdings kein schlechter Kuss. Tristan konnte sogar recht gut küssen, nachdem er endlich aufhörte, ihn mit geweiteten Augen anzustarren und sich steif wie ein Brett zu machen. Dennoch. Es fühlte sich für Adrian an, als würde er den eigenen Bruder küssen. Genauso wie es Tristan mit David ergangen war. Nicht schlimm, aber auch nichts, was man unbedingt wiederholen musste.

»Hm«, machte Tristan unverbindlich, als Adrian von seinen Lippen abließ und sie sich ansahen.

»Und? Hast du gerade deine unsterbliche Liebe für mich entdeckt und willst mit mir durchbrennen?«

»Nein. Du?«

»Nicht die Spur.«

»Na dann.«

Bis drei konnte er innerlich zählen, dann fing Tristan lauthals an zu lachen und Adrian stimmte ein, während er ihn an sich zog und umarmte.

 

 

Epilog

 

Nick stellte eine Tasse mit heißer Schokolade vor ihn auf die Verandabrüstung, lehnte seine beiden Gehhilfen daneben, die er immer  noch ungern benutzte, aber er tat es wenigstens, und legte wenig später ein ihm bekanntes Glasherz in den Pulverschnee, der auf der Brüstung lag.

Adrian schmunzelte und nahm es in die Hand, bevor er Nick ansah. »Hat er es dir endlich erzählt?«

»Ja.«

»Hast du ihn zuerst auch sprachlos angestarrt?«

»Oh ja«, gab Nick zu und lachte kopfschüttelnd. »Es war ihm peinlich, weil er mich nicht vorher gefragt hat, kannst du dir das vorstellen? Ich habe eine geschlagene halbe Stunde gebraucht, um ihm klarzumachen, dass es mich nicht im Geringsten stört, dass er David und dich geküsst hat. Wobei ich ja zugebe, ich fühle mich langsam vernachlässigt. Jeder wird geküsst oder küsst von selbst, nur meine Lippen trocknen aus.«

»Das liegt am Winterwetter.«

»Das wird’s sein«, stimmte Nick ihm seufzend zu und kramte einen Lippenpflegestift aus der Tasche, mit dem er sich dann demonstrativ seine Lippen befeuchtete und einen Kussmund machte, ehe er ihn frech angrinste. »Und? Kriege ich jetzt einen Kuss? Oder muss ich David fragen, ob er mir noch einmal aushilft, weil mein zweiter Mann mich sträflich vernachlässigt?«

Adrian stemmte gespielt entrüstet beide Hände in die Seiten. »Du hast meinen Ehegatten geküsst? Ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen?«

Nick nickte feixend. »Jep.«

»Das verdient bestraft zu werden.«

»Ach ja?«, konterte Nick, dessen Grinsen mit jedem Wort etwas breiter wurde. »Weißt du schon wie? Fesselst du mich ans Bett und zwingst mich eintausend Bücher zu lesen, so wie letzten Monat, als ich krank, einsam und pflegebedürftig danieder lag und du mich mit Büchern gehauen hast, anstatt mich zu verwöhnen, wie ein netter Ehemann es getan hätte.«

»Deiner ist vor dir nach New York geflüchtet.«

»Was ich ihm noch heimzahlen werden, verlass' dich drauf«, erklärte Nick und zog dann einen hinreißenden Schmollmund. »Kriege ich jetzt einen Kuss oder nicht?«

Adrian lachte und packte Nick am Kragen. »Komm' schon her, du Nervensäge.«

 

 

Familienbande

 

Wer eine Familie wie seine hat, der braucht wahrlich keine Feinde mehr, denkt sich Noah und weiß nicht, ob er lachen, heulen oder fluchen soll, weil sich alle gegen ihn verschworen haben und eigentlich nur das Beste für ihn wollen. Ergebnis des Ganzen ist ein Barbecue im Familienkreis, inklusive peinlicher Unfälle und jeder Menge rosafarbener Lampions.

 

 

Kapitel 1

 

»Du bist ein arroganter Mistkerl und ich werde ganz sicher nicht ...« Sein Handy unterbrach Noahs wütenden Fluch in Richtung seines grinsenden, überaus dämlichen Ehemannes, und er wandte Eric mit einem Schnauben den Rücken zu, bevor er das Telefon aus der Tasche zog und aufs Display sah. Ein Lächeln erschien in seinem Gesicht. »Hi, Onkel Adrian.« Dessen Antwort bestand aus sehr vielen unflätigen Verwünschungen, gefolgt von schmerzerfülltem Gejammer, das Noah aufstöhnen ließ. »Was hast du jetzt wieder angestellt?«

»Nichts.«

»Adrian ...«

»Es war ein Unfall.«

Noah stöhnte erneut. Die Ausrede setzte schon lange Staub an und war oft die Einleitung für einen Besuch in der Notaufnahme oder einer saftigen Standpauke von David, wenn der Adrian irgendwo mit Handwerkszeug erwischte. Meistens sogar beides.

»Hast du ein Körperteil verloren?«

»Natürlich nicht.«

»Blutest du?«

»Ein bisschen.«

»Reicht ein Pflaster?«

»Ja.«

Noah verbot sich eine genauere Nachfrage. Wenn er nichts wusste, konnte ihm später auch keiner vorwerfen, ein Mitwisser zu sein. »Wo ist David? Und warum rufst du mich an, wenn du Dummheiten machst? Beim letzten Mal hast du dir dabei fast in den Fuß geschossen.«

»Kann ich was dafür, dass diese blöde Nagelpistole in Nicks Garage offen herumliegt?«, nörgelte Adrian. »Ich war einfach neugierig. Aber keine Sorge, als ich vorhin ankam, war sie weg. Wahrscheinlich hat er sich heimlich einen Tresor angeschafft und sie weggeschlossen. Dabei wollte ich sie mir nur noch mal etwas genauer angucken. Ohne sie anzufassen, ich schwöre.«

»Wer's glaubt«, murmelte Noah und warf Eric einen finsteren Blick zu, weil der kopfschüttelnd und zugleich leise lachend sein eigenes Handy hervorzog. »Ruf' David an«, formte er lautlos mit den Lippen und Eric nickte, ehe er ihm eine Kusshand zuwarf und das Wohnzimmer verließ. »Mistkerl«, fluchte er leise, weil er spürte, wie er weich wurde. So wie jedes Mal, wenn er sich mit Eric in die Haare bekam, und der ihn anschließend mit solchen Gesten besänftigte.

»Wer ist ein Mistkerl?«

Noah verdrehte die Augen. »Wer wohl?«

»Ah, Eric also. Habt ihr euch wieder gezankt?«

»Wieso wieder?«, wunderte sich Noah.

»Weil ihr euch mindestens einmal in der Woche über irgendwelchen Blödsinn streitet. Nick und ich schließ...« Adrian brach hastig ab, aber da hatte Noah schon längst begriffen, was sein Vater und sein Onkel taten.

»Ihr wettet, wie oft ich mich mit Eric streite? Ich fass' es nicht. Onkel Adrian!«

»Was?«, tat sein Onkel betont unschuldig und Noah seufzte resigniert. »Da brauchst du gar nicht zu seufzen. Weshalb habt ihr euch denn heute gestritten?«

»Er hat beschlossen, dass ich ein freies Wochenende brauche und selbiges schon, ohne mich zu fragen, in der Galerie klargemacht.« Noah stieß verärgert die Luft aus. »Wie stellt er sich das vor? In drei Wochen ist Eröffnung, ich ersticke in Arbeit, da kann ich nicht mal eben für ein Wochenende wegfahren. Und dann will er mir nicht mal sagen wohin, was eine Frechheit ist. Das gilt im Übrigen auch für Tom, der genauso schweigt. Sie haben die Kids praktisch von Freitag bis Sonntagabend verkauft und ich soll mich fügen? Pah! Von wegen.«

»Das klingt nach einem gemütlichen Wochenende, du solltest es genießen«, schlug Adrian vor und Noah fuhr sich tief einatmend durch die Haare.

»Rede ich eigentlich chinesisch? Ich muss noch zwei Bilder fertig malen, nächste Woche stehen drei oder vier Interviews für irgendwelche Kunstmagazine an und die Druckerei hat die Einladungen für die Sammler versaut, die müssen wir jetzt alle per Telefon einladen. Und wer darf das machen? Ich natürlich, weil ich der Künstler bin und angeblich eine tolle Telefonstimme habe. Nebenbei wollen die Kids bespaßt werden, was jeden Nachmittag meine Aufgabe ist, weil Eric und Tom sich um das Velvet kümmern müssen. Und zwischendurch würde ich gerne auch mal essen und schlafen. Adrian, ich habe keine Zeit für einen Kurztrip sonst wohin, obwohl ich nichts lieber täte, als in Urlaub zu fahren, glaub's mir. Aber nicht jetzt. Es geht einfach nicht.«

»Noah, ich sage das nur ungern, aber du bist ein Trottel.«

Noah blinzelte verblüfft, zu einer Nachfrage kam er allerdings nicht.

»Du bist ein toller Künstler und hängst dich immer in alles rein, was ich wirklich bewundere. Aber denk' mal ein paar Minuten darüber nach, welchen Grund Eric haben könnte, dich vor vollendete Tatsachen zu stellen, statt vorab zu fragen.«

»Ach, jetzt bin ich also wieder schuld?«, schnappte er trotzig und ließ sich beleidigt auf die Couch fallen, als Adrian seinen Namen seufzte. »Na ist doch wahr. Zuerst wollen meine Kerle unbedingt, dass ich die Ausstellung mache und schleifen mich förmlich an den Haaren in die Galerie, und jetzt, wo ich sie unbedingt machen will, ist es auch nicht richtig. Ihr spinnt doch alle.«

Adrian lachte leise. »Nein, mein Lieblingsjunior, ganz im Gegenteil. Wir machen uns nur Sorgen, weil du seit vier Monaten keinen einzigen freien Tag hattest und auf dem Zahnfleisch gehst, ohne es zu bemerken.«

»Wir?« Noah merkte auf. »Sekunde mal ...«

»Nick hatte die Idee. Ihr kommt das Wochenende zu uns nach Baltimore. Wir machen ein Familienbarbecue bei Trey und mir im Garten. Natürlich mit den Kindern, dass sie nicht dabei sind, war eine Lüge, damit du nicht zufällig vorher herausfindest, wo es hingeht. Und jetzt entschuldige dich bei Eric, dass du ihn angebrüllt hast.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739442112
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Drama Ostküsten-Reihe schwul Familie Liebe Romanze

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Fantasy, Thriller und Romanzen. Weitere Informationen zu meinen Büchern, sowie aktuelle News zu kommenden Veröffentlichungen, findet ihr auf meiner Homepage.
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Titel: Kleine Häppchen