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Das Beste aller Zeiten

von Mathilda Grace (Autor:in)
100 Seiten
Reihe: Die Ostküsten-Reihe, Band 17

Zusammenfassung

Weihnachten steht vor der Tür und endlich ist es Adrian Quinlan wieder gelungen, die ganze Familie um sich zu versammeln. Glücklich und zufrieden, weil ihm ein tolles Fest ins Haus steht, vergisst Adrian, dass solche Zusammentreffen bei ihnen nie ohne Chaos vonstattengehen, und so dauert es auch nicht lange, bis aus einem Missverständnis eine Scheidung wird, Geheimnisse ausgeplaudert werden, die längst keine mehr sind, und dann wären da noch die diesjährige Weihnachtswette, jede Menge Peinlichkeiten und ein heiß geliebter Grinch.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Widmung & Vorwort

 

Für alle Fans meiner Ostküsten-Reihe, die die Storys rund um Adrian Quinlan und seine riesige Wahlfamilie seit nun mehr zehn Jahren begeistert verfolgen.

 

Diese Weihnachtsgeschichte ist für euch.

Ein kleines Dankeschön zum 10-jährigen Jubiläum der Reihe.

 

 

Achtung

 

Dieser Kurzroman gehört zu meinem Ostküsten-Universum, einer 16-teiligen Buchreihe mit zehn Haupt- und weiteren sechs Nebenbänden.

 

Um »Das Beste aller Zeiten« zu verstehen, muss man die Vorgeschichten kennen.

 

 

Noah

 

 

 

 

Weihnachten.

Das Fest der Liebe.

Und im Fall seiner dezent verrückten Familie das von allen am meisten erwartete Fest, da an den Weihnachtstagen, die sie allgemein bei Adrian und David verbrachten, eigentlich immer irgendwas schiefging, was dann üblicherweise zu jeder Menge Gelächter und frecher Sprüche führte.

In Noahs Fall war es aber vor allem das Fest für den Grinch. Und der gehört auch in diesem Jahr gefälligst wieder auf die Baumspitze, dachte er grinsend, während er in der Dunkelheit vorsichtig die Treppe nach unten schlich. Er hatte extra bis nach Mitternacht gewartet, um sicher sein zu können, dass im Haus jeder schlief, bevor er sich langsam, weil er seine Männer auf gar keinen Fall wecken wollte, aus Erics Umarmung gelöst und Tom einen liebevollen Kuss in den Nacken gedrückt hatte, ehe er sich aus ihrem Zimmer gestohlen hatte, Erics Grinch-Figur für den Weihnachtsbaum dabei sicher in der Hand haltend.

Adrian würde ihn erwürgen, das hatte ihm sein erklärter Lieblingsonkel bereits angedroht, wenn er es wagen sollte, die zwei Meter hohe Nordmanntanne erneut mit dieser hässlichen Figur zu verschandeln.

Natürlich war das eine leere Drohung, das war es immer, denn irgendwie hatte sich der Grinch in den letzten Jahren zu einem Running Gag innerhalb ihrer riesigen Familie entwickelt und Noah würde die Familienehre brav hochhalten und noch heute Nacht dafür sorgen, dass Erics »heiß geliebter Grinch« – allein für diesen Spruch würde ihm sein mürrischer Mistkerl bei nächster Gelegenheit ungeniert den Arsch versohlen – seinen rechtmäßigen Platz einnahm.

»Wir müssen es ihnen endlich sagen.«

Noah hielt auf der drittletzten Treppenstufe hastig inne, als er Davids leise Stimme in der Küche hörte. Mist. Wieso schlief sein Onkel um die Zeit nicht? Und wenn David wach war, war Adrian vermutlich auch nicht weit. Er war so was von geliefert, wenn die zwei ihn hier erwischten.

»Und wie sollen wir das anstellen? Weihnachten ist in zwei Tagen, unser Haus ist vom Keller bis zum Giebel in allen Farben geschmückt, alles andere ist auch vorbereitet und morgen früh wird Mik damit anfangen, unsere Küche in einen dieser Gourmet-Tempel zu verwandeln, bei denen man einen Antrag stellen muss, um sich ein Bier aus seinem eigenen Kühlschrank holen zu dürfen, so wie vor drei Jahren, als er mir fast mit der Pfanne eins übergebraten hat, nur weil ich nachts Hunger hatte und mich an seinem Pudding vergriffen habe.«

Noah hörte David lachen. »Daran warst du selbst schuld, immerhin hatte er dich gewarnt, diesen Pudding nicht anzurühren, wenn dir dein Leben lieb wäre.«

»Und er war wirklich köstlich«, konterte Adrian lässig und Noah hätte am liebsten mitgelacht, als seine Lieblingsonkel in der Küche anfingen wie kleine Jungs zu kichern, denn besagtes Weihnachtsfest würde er mit Sicherheit nie vergessen. Mikael hatte Adrian am nächsten Morgen, nachdem er die Überreste des Puddings entdeckt hatte, einmal quer durchs Haus gejagt und ihn anschließend gezwungen an Heiligabend in die Stadt zu fahren, um genügend frische Zutaten zu kaufen, damit er neuen Pudding machen konnte.

Adrian hatte noch an Silvester darüber gejammert, dass er im Shoppingcenter von einer alten Dame mit deren Handtasche verhauen worden war, nachdem er ihr die letzte Packung echte Vanilleschoten weggeschnappt hatte.

»Alle freuen sich wahnsinnig auf Weihnachten, Trey. Wenn wir ihnen morgen erzählen, dass ...«

»Ich weiß, aber sie sollten es wirklich vorher erfahren«, fiel David Adrian ins Wort. »Ich meine, wir haben das doch bereits vor Wochen so besprochen und wir waren uns einig, weißt du nicht mehr?«

»Doch.«

Adrians darauffolgendes Seufzen klang dermaßen schwer, dass Noah den Grinch in seiner Hand vergaß und stattdessen nervös wurde. Was war hier los? Was wollten die beiden ihnen nicht sagen?

»Sie werden am Boden zerstört sein.«

»Tja, willkommen im Club«, konterte David so frostig, dass Noah erschrocken zusammenzuckte.

Was, zum Teufel …?

»Trey, ich ...«

»Manchmal soll es einfach nicht sein, Adrian, und nein, ich finde das nicht toll. Im Gegenteil. Aber wir können nicht länger so tun, als wäre alles in Ordnung, denn das würden sie uns am Ende übel nehmen, und zwar zu recht.«

»Das weiß ich, aber ich habe einfach geglaubt, es hält ewig, verstehst du? So wie bei dem Rest von uns. Ich meine, so viele gemeinsame Jahre, Trey, und plötzlich soll das alles vorbei sein und wir reden über Scheidung? Wir hätten es merken müssen. Ich verstehe nicht, wie wir das nicht früher erkennen konnten. Das ist man jahrelang glücklich und dann …«

»Ist man es eines Tages nicht mehr«, führte David den Satz zu Ende, weil Adrian verstummt war, und Noah wurde eiskalt, als langsam in seinen Verstand sickerte, was er hier gerade von einem der Traumpaare seiner liebenden Familie gehört hatte.

Scheidung?

Oh mein Gott.

Vollkommen fassungslos ließ er sich auf die Treppe sinken und legte den Grinch neben sich auf die Stufe. Das musste ein Scherz sein. In seiner Familie ließ sich niemand scheiden, schon gar nicht David und Adrian. Blieb also nur der Scherz übrig. Genau. Das musste es sein. Ein Weihnachtsscherz. Allerdings ein verdammt dämlicher, und dafür würden die zwei jetzt was zu hören kriegen. Noah erhob sich wieder, um in die Küche zu gehen und Klartext zu reden. Wie konnten seine Lieblingsonkel ihn dermaßen erschrecken? Unglaublich.

»Verflucht, Trey, ich weiß wirklich nicht, wie wir ihnen das erzählen sollen. Kilian wird uns nie glauben, sondern denken, wir wollen ihn verarschen, und von Noah fange ich besser gar nicht erst an.«

Adrian hörte sich dermaßen deprimiert an, dass Noah wie erstarrt auf der Stufe stehenblieb.

»Weißt du noch …? Nick.«

Adrian stöhnte nach Davids Worten hörbar entsetzt.

»Erinnere mich bitte nicht daran. Ich dachte im ersten Moment, er fällt in Ohnmacht.«

»Ja, nachdem er mit Lachen fertig war und ihm klar wurde, dass das kein dämlicher Weihnachtsscherz von uns ist. Er war fassungslos.«

»Wundert dich das? Stell dir vor, wie du reagieren würdest, würden Tristan und er uns völlig überraschend erklären, dass sie sich scheiden lassen?«

David lachte nach seinen Worten, aber es klang überhaupt nicht amüsiert, im Gegenteil. Was Noah einige Meter weiter in der Küche hörte, war die pure Verzweiflung, und die war es im nächsten Moment dann auch, die ihn hastig kehrtmachen und flüchten ließ, weil er nicht fähig war, zu Adrian und David zu gehen und sie zur Rede zu stellen. Nicht jetzt.

Scheidung. Scheidung. Scheidung.

Wie eine Dauerschleife hörte er das Wort immer wieder in seinem Kopf und als Noah endlich die Tür zum Gästezimmer erreichte, das er sich mit Tom und Eric teilte, zitterten ihm so sehr die Hände, dass er drei Versuche brauchte, den Knauf zu drehen und in den Raum zu kommen. Auf dem Weg zum Bett stolperte er über eine ihrer Reisetaschen, fluchte unflätig und riss Tom aus dem Schlaf, der fragend seinen Namen rief. Aber Noah reagierte nicht darauf, schockiert wie er war, bevor er auf einmal blinzeln musste, als die Nachttischlampe eingeschaltet wurde. Eric war ebenfalls wach geworden, erkannte er, als sich seine Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten. Seine Männer tauschten einen kurzen Blick, dann setzten sie sich auf.

»Was ist los?«, fragte Tom besorgt und Noah schluckte das in ihm aufsteigende Schluchzen hinunter, weil er nicht wie ein Baby vor seinen Männern losheulen wollte. Aus dem Alter war er nun wirklich raus, aber wenn David und Adrian sich tatsächlich scheiden ließen, dann …

»Komm her!«, befahl Eric eisig und Noah reagierte darauf wie ferngesteuert, indem er sich zwischen seine Kerle aufs Bett fallen ließ. »Und jetzt rede!«

»Ich wollte den Grinch auf die Baumspitze setzen, wie wir das jedes Jahr machen«, Noah ignorierte das prompte und tiefe Seufzen von Eric, »und habe sie in der Küche leise miteinander reden gehört. Sie … Sie ...« Noah atmete einmal tief durch, um sich ein bisschen zu beruhigen. Es half leider nicht. »Sie lassen sich scheiden.«

»Was? Wer?«, fragte Tom entsetzt.

»Adrian und David.«

Eric schüttelte den Kopf. »Nein, nicht die zwei. Auf keinen Fall. Du musst dich verhört haben.«

Das wünschte Noah auch, aber mit seinen Ohren war leider Gottes alles in bester Ordnung. »An dem Wort 'Scheidung' gibt es absolut nichts, das man missverstehen könnte. Sie wollen es uns noch vor Weihnachten sagen. Zumindest David will das. Bei Adrian bin ich mir nicht sicher und ...«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn und kurz darauf trat Adrian ins Zimmer, Erics Grinch in der Hand. Den er zuvor auf der Treppe vergessen hatte, fiel Noah ein, während er seinen Onkel anstarrte, als wäre der eine Erscheinung. Und besagte Erscheinung verkniff sich gerade ein Grinsen, um stattdessen einen gespielt finsteren Blick aufzusetzen.

»Als hätte ich es nicht geahnt.« Adrian legte den Grinch auf den Nachttisch. »Eric, du solltest deine beiden Männer nach all den Jahren langsam besser unter Kontrolle haben und ...« Sein Lieblingsonkel brach mitten im Satz ab und runzelte die Stirn. »Ist alles okay? Ihr seht aus, als wäre jemand gestorben.«

»Das könnte möglicherweise daran liegen, dass du gleich ein sehr toter Mann bist«, erklärte Eric verärgert und bei jeder anderen Gelegenheit hätte Noah spätestens jetzt losgelacht, da er genau wusste, was als nächstes kommen würde, und Adrian enttäuschte ihn auch nicht.

»Ich?«, empörte sich sein Lieblingsonkel nämlich prompt und stemmte die Hände in die Seiten. »Wer wollte denn bitte meine wunderschöne Tanne mit deinem Grinch verschandeln? Ich oder Noah?«

»Das ist nicht mein Grinch!«

»Na meiner ist es ganz sicher nicht, weil ich nie auf die Idee käme, einen grandios geschmückten Baum mit einem Grinch zu verschandeln, und das Ganze ist ohnehin allein deine Schuld.«

»Meine Schuld?«

»Wessen sonst?«, konterte Adrian trocken und ein Lachen zupfte an seinen Mundwinkeln, das Noah allerdings gewaltig verärgerte, statt ihn wie sonst zu amüsieren. »Würdest du dich nicht Jahr für Jahr wie der sprichwörtliche Grinch aufführen, sobald Weihnachten vor der Tür steht, würde Noah sich nicht immer nachts durch mein Haus schleichen, um ...«

»Schluss jetzt!«, fauchte Noah unbeherrscht und sprang aus dem Bett, um sich nach wenigen Schritten vor Adrian aufzubauen und ihm mit einem Finger ruppig auf die Brust zu tippen. »Du kannst dir den Grinch dahin schieben, wohin die Sonne nicht scheint, damit das mal klar ist.«

Adrian starrte ihn verdattert an. »Noah ...«

»Nichts Noah, scheiß auf Noah«, unterbrach er Adrian und stemmte die Hände in die Seiten. »Wie kannst du hier stehen und dich mit Eric wegen seines blöden Grinch streiten. Wer hat dir eigentlich ins Hirn geschissen?«

Adrian war unübersehbar verblüfft von seinem Ausbruch, sagte aber nichts und das brachte Noah erst so richtig in Fahrt. Dass ihm mittlerweile vor Wut und Trauer die Tränen über die Wangen liefen, ignorierte er.

»Ihr seid gefühlt seit einem Jahrhundert verheiratet und ihr wart all die Jahre überglücklich, und jetzt werft ihr das einfach so weg? Und als wäre das nicht schon Frechheit genug, erzählt ihr uns das noch nicht einmal, sondern versucht hier einen auf heile Welt zu machen. Wann hätten wir denn bitteschön davon erfahren, hm? Wenn ihr die Scheidungspapiere unterschrieben habt? Oder nächstes Weihnachten, wenn David ausgezogen ist und wir plötzlich zwei Weihnachtsfeste in zwei Häusern feiern müssen, nur weil ihr … Hmpf.«

Der Rest seiner wütenden Tirade ging an Adrians Pyjama unter, weil Adrian ihn an sich gezogen hatte, und Noah boxte ihm verärgert in die Seite, als er sich von seinem ab sofort nicht mehr Lieblingsonkel lösen wollte, der das aber mit einer festen Umarmung verhinderte.

»Dirk und Jesse.«

Es dauerte eine ganze Weile, die Noah vor lauter Angst fast panisch, denn er konnte einfach nicht fassen, dass David und Adrian sich scheiden lassen wollten, an Adrians beschützender Schulter weinte, bis dessen gemurmelter Satz in seinem unter Schock stehenden Gehirn ankam.

»Was?«, nuschelte er in den nach Weichspüler und Adrian duftenden Stoff von dessen Pyjamaoberteil.

»Dirk und Jesse lassen sich scheiden, Noah.« Adrian strich ihm sanft durchs Haar. »Du hast uns in der Küche reden gehört, hm?«

»Ja«, gab er zu und Adrian gluckste leise.

»Du musst wirklich aufhören, immer nur halbe Gespräche zu belauschen.«

Noah schnaubte und boxte ihm erneut in die Seite.

»Aua«, nörgelte Adrian gespielt und löste sich weit genug von ihm, damit sie sich ansehen konnten. Er sah amüsiert, aber zugleich auch traurig aus. »Wir wissen seit Wochen Bescheid, wussten aber nicht, wie wir es euch sagen sollen. Die zwei sind todunglücklich und wir lieben sie genauso wie jeden von euch, darum sind Trey und ich genauso unglücklich.«

»Aber sie passen so perfekt zusammen und sie haben doch erst geheiratet. Was ist denn passiert?«

Noah verstand es absolut nicht. So erleichtert er gleichzeitig war, dass es nicht David und Adrian betraf, so fassungslos war er wegen Dirk und Jesse. Die beiden waren für ihn das perfekte Paar. Und jetzt sollten sie es auf einmal nicht mehr sein?

Adrian seufzte und zuckte die Schultern. »Das Leben.«

»Manchmal soll es einfach nicht sein«, sagte Tom leise und Noah wollte ihm widersprechen, weil das keine Erklärung war, sondern eine Ausrede, und außerdem galt das für seine Familie nicht, denn in der ließ man sich niemals scheiden und das hatte gefälligst auch für Jesse und Dirk zu gelten, denn die beiden waren ein tolles Paar und außerdem ihre Freunde.

Doch nichts davon verließ seinen Mund. Stattdessen lehnte er sich gegen Adrian, der ihn sofort wieder umarmte, weil sein Onkel ihn gut genug kannte, um zu wissen, was in Noahs Kopf vor sich ging. Er hatte nie gut mit Verlusten umgehen können, vor allem seit er damals fast gestorben und sein eigenes Leben plötzlich das eines Fremden gewesen war.

»Sind sie hier?«, fragte er leise und seufzte zufrieden, als er im nächsten Moment zwei Paar weiche Lippen links und rechts an seinem Hals fühlte, ehe Tom ihm zuflüsterte, dass sie nach unten gehen und für alle Kakao machen würden. Er hatte zwei eigene Traumkerle und die würde er niemals loslassen, soviel stand für ihn fest.

»Nein«, antwortete Adrian und zog ihn aufs Bett, nachdem Eric und Tom sie alleingelassen hatten, wo sein Lieblingsonkel sich kurzerhand hinlegte und ihn eng an seine Seite zog. »Dirk ist gestern los, er besucht alte Freunde über Weihnachten. Jesse ist vergangenen Monat ausgezogen und zu seiner Familie nach Boston gegangen.«

Noah wusste nicht, was er dazu sagen sollte, also schwieg er hilflos, bis die Tür ein weiteres Mal klappte und David sich wenig später an seinen Rücken schmiegte. Seine Kerle mussten ihn nach oben geschickt haben, dafür würde er die zwei später ausgiebig küssen.

»Warum hast du gedacht, wir lassen uns scheiden?«, fragte David nach ein paar Minuten, die sie einfach still beieinander gelegen hatten.

»Eure Stimmen. Onkel Adrian klang so frustriert ...«

»Deshalb bist du nicht stinksauer reingeplatzt und hast uns zur Rede gestellt, oder?«, fragte David weiter und Noah nickte.

»Ich wollte es nicht wahrhaben. Nie und nimmer lasst ihr euch scheiden … Ich konnte einfach nicht glauben, was ich da gehört hatte.«

»Ehen sind verdammt harte Arbeit, das weißt du genauso gut wie wir«, sagte David leise und strich ihm liebevoll durchs Haar. »Wir würden lügen, wenn wir dir sagen, dass es bei uns immer leicht war. Um ehrlich zu sein, ist das Gegenteil der Fall.«

Noah sah erschreckt über seine Schulter. »Was?«

David schmunzelte. »Du hast das wahnsinnige Glück, dass du mit deinen Männern unter demselben Dach lebst und meist auch arbeitest. Ihr seid zu dritt, seht euch jeden Tag und habt die Kinder noch um euch. Bei Adrian und mir gab es eine Zeit, nachdem Isa aus dem Haus war, in der wir es nicht einfach hatten. Er hat sein Büro in der Stadt, ich male hier – manchmal haben wir uns tagelang kaum gesehen und das hat nicht lange funktioniert.« David tippte ihm neckend auf die Nasenspitze und Noah grinste schief, denn offenbar dachten sie im Moment das gleiche. »Ich sehe dir an, was du denkst, und ja, wir haben uns ziemlich gestritten. Und es war keiner von diesen albernen Streits, die wir meist haben, wenn er wieder versucht, eine Axt an mir vorbei zu schmuggeln, um Bäume zu fällen.«

»Das war einmal und außerdem ging es gar nicht um einen Baum, sondern nur um einen Ast, und ich hätte es hingekriegt, hätte Eric mich nicht im Flur erwischt und … Äh ...«

Adrian verstummte abrupt und als Noah zwischen David und ihm hin und her sah, musste er sich ein Lachen verkneifen, als offensichtlich wurde, dass Adrian kurz davor stand, für den Rest der Weihnachtstage auf das Sofa verbannt zu werden, und das hatte sein Lieblingsonkel jetzt offenbar auch begriffen, dem harmlosen Lächeln nach zu urteilen, das er gerade aufsetzte.

»Siehst du? Das meine ich«, sagte David und Noah prustete los, als Adrian daraufhin auf japanisch fluchte.

»Jedenfalls haben wir uns damals ernsthaft gestritten, denn ich wollte keine Ehe mit einem leeren Haus führen. Wir haben uns angeschrien, wir waren wütend, verletzt, enttäuscht – aber vor allem waren wir plötzlich wieder nur zu zweit und das zu verstehen und damit umzugehen, hat gedauert. Wenn man auf einmal von einer Familie mit Kind wieder zu einem Ehepaar wird, wirft das die Dynamik durcheinander, die wir uns in den Jahren zuvor aufgebaut hatten. Es hat gedauert, bis wir dazu in der Lage waren, einen Schritt zurückzutreten und uns als Paar wiederzufinden, aber in all der Zeit haben wir niemals an Scheidung gedacht. Nicht mal in jenen Nächten, die Adrian auf der Couch verbracht hat, weil wir uns beleidigt angeschwiegen haben und beide zu stur waren, den ersten Schritt zu tun und uns beim jeweils anderen zu entschuldigen.«

»Oh ja, und dreimal darfst du raten, wer von uns in diesen Nächten schlechter geschlafen hat«, konterte Adrian lässig und Noah gluckste, als David hinter ihm leise lachte.

»Was ich dir damit eigentlich sagen will, Noah, wir haben es geschafft, einen Weg für uns zu finden, und ich glaube, das ist bei unserer Familie ganz normal. Wir kriegen es hin. Immer. Völlig egal, wie schwer es ist oder wie lange es dauert, bei uns lässt man sich nicht scheiden. Das heißt aber leider nicht, dass alle anderen um uns herum auch dieses Glück haben.«

Noah ließ sein Gesicht stöhnend auf Adrians Brust sinken. Er benahm sich albern und wusste es, trotzdem konnte er nicht aus seiner Haut. »Sie sollten es aber hinkriegen.«

»Das liegt nicht in unserer Hand.« Adrian tippte ihm gegen die Stirn und Noah murrte beleidigt, sah aber trotzdem auf. »Dirk und Jesse lassen sich scheiden, Punkt. Das gefällt mir genauso wenig wie dir oder Trey, aber wir werden damit leben müssen, so wie die beiden auch. Und wir haben nichts gesagt, um euch Weihnachten nicht zu verderben.«

»Und Dad?«

Adrian nickte. »Er kümmert sich um den Papierkram, weil sie das Haus verkaufen.« Noah zog eine Grimasse und Adrian seufzte. »Ja, ich weiß, und glaub mir, wir haben alles versucht. Wir haben zugehört, wir waren für sie da, weil gute Freunde das nun mal füreinander tun, aber man kann nicht retten, was nicht länger da ist. Sie lieben sich immer noch, nur reicht Liebe manchmal einfach nicht aus. Mit ein bisschen Abstand werden sie sich zusammenraufen und enge Freunde bleiben, davon bin ich überzeugt, doch es war zum Schluss unübersehbar, dass sie nur noch nebeneinanderher leben. Das mag uns nicht gefallen, doch für Dirk und Jesse ist ein Schlussstrich vorläufig die beste Lösung.«

Dagegen konnte Noah schlecht argumentieren, was Adrian auch wusste, seinem leichten Grinsen nach zu urteilen, für das Noah ihm schnaubend in den Bauch boxte. Natürlich nicht zu stark, er wollte Adrian nicht ernsthaft wehtun. David gluckste hinter ihnen und hielt prompt seine Hand fest, als Noah ihm dafür ebenfalls tadelnd in die Seite boxen wollte. Seufzend ließ er sich wieder an Adrians Seite sinken und von David hinter sich umarmen.

»Ihr habt uns nie etwas davon erzählt«, fiel ihm ein und als Adrian nichts dazu sagte, schaute Noah über die Schulter zu David, der sich daraufhin auf einen Ellbogen stützte und ihn milde lächelnd ansah. »Wieso nicht?«

»Aus demselben Grund, warum du uns nie alles aus deiner Ehe erzählen würdest … Privatsphäre.«

»Seit wann hat man in dieser Familie Privatsphäre?«, fragte Noah verblüfft und David lachte, was ihn grinsen ließ, denn er verstand natürlich, was sein Onkel damit sagen wollte, obwohl ihm die Vorstellung gar nicht behagte, dass David und Adrian einmal kurz davor gestanden hatten, ernsthafte Eheprobleme zu bekommen.

Auch wenn der Gedanke dahinter anderen vielleicht albern erscheinen würde, es gefiel Noah schlicht nicht, wenn er nicht Bescheid wusste. Wer nichts wusste, konnte im Notfall nicht helfen. Was das anging, hielt er es mittlerweile wie Adrian und das wusste sein Lieblingsonkel ganz genau, so wie er ihn im nächsten Moment angrinste.

»Was?«, maulte Noah und als Adrian und David daraufhin zusammen loslachten, begriff er, dass er ertappt war. »Mist.«

»Keine Sorge, mein junger Padawan, eines fernen Tages wird dir die Ehre zuteil werden, den Staffelstab in dieser Familie in meinem Namen weiterzuführen. Das heißt, wenn du die Prüfung bestehst.«

»Welche Prüfung denn?«, wunderte sich Noah, während er gleichzeitig gegen ein in ihm aufsteigendes Lachen ankämpfte. Adrian war beizeiten ein echter Kindskopf, dabei hieß es doch immer, dass Menschen im Alter irgendwann ruhiger wurden. Auf seinen Lieblingsonkel traf das definitiv nicht zu.

»Das, mein immer noch so unwissender Jüngling, musst du ganz allein herausfinden«, dozierte Adrian in seinem perfekten Anwaltston und mit einem überheblichen Grinsen im Gesicht, und Noah warf David einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Hast du ihn etwa schon wieder Star Wars gucken lassen? Du weißt doch, wie er danach immer drauf ist.«

David gab sich unschuldig. »Lieber für ein paar Tage einen nervenden Yoda im dreiteiligen Anzug überstehen, als einen dauerhaft beleidigten Grinch im Eric-Kostüm.«

»Onkel David!«

»Trey!«

David prustete los.

 

 

David

 

 

 

 

Es hatte noch nicht begonnen zu dämmern, als David sich am folgenden Morgen, nach einem Kuss auf Adrians Schulter, der neben ihm selig schlummerte, heimlich aus dem Bett stahl, um einen prüfenden Blick in das Zimmer von Noah, Eric und Tom zu werfen, die dicht aneinandergeschmiegt im Bett lagen und schliefen.

Sehr gut.

Mit einem Lächeln auf den Lippen zog er die Tür lautlos zu und ging zum nächsten Zimmer weiter, in dem ihre Mädchen schliefen, und keines rührte sich, als er näher herantrat, um im sanften Schein eines Nachtlichts je einen Blick in die Gesichter der vier zu werfen, die ihren Vätern so ähnlich sahen.

Nico war allerdings das einzige von den Burrows-Kindern, dessen Vaterschaft unmöglich zu leugnen war, und David war daher nicht sonderlich überrascht, als er im Zimmer gegenüber auf dem Nachttisch neben Nicos Bett die Grinch-Figur für den Weihnachtsbaum entdeckte.

Er wollte gar nicht wissen, wann Adrian sich letzte Nacht, nachdem sie alle endlich wieder in ihren jeweils eigenen Betten gelegen hatten, aus ihrem Schlafzimmer geschlichen hatte, um den Grinch herzubringen, wohl wissend, dass Eric seinen Sohn wecken und die Figur entdecken würde. Sein frecher Ehemann konnte es einfach nicht sein lassen, Eric mit diesem Grinch zu ärgern. Andererseits konnte Noah es ebenfalls seit Jahren nicht lassen, Adrian zu ärgern, indem er die Figur als Spitze auf den Weihnachtsbaum setzte, also waren sie wohl quitt.

David ging heiter kichernd runter in die Küche, warf ihrer Kaffeemaschine einen bösen Blick zu und füllte in heimeliger Stille den Wasserkocher, um sich Tee zu machen. Die Heizung erwachte mit einem Gluckern zum Leben und ein kurzer Blick aus dem Fenster ließ David zufrieden lächeln, denn den knapp zehn Zentimetern Schnee, die Baltimore gestern überraschend in eine wunderschöne Winterlandschaft verwandelt hatten, waren letzte Nacht mindestens weitere zehn hinzugekommen.

Er liebte diese frühen Morgen, wenn im Haus und draußen noch alles ruhig war. Nicht, dass er freiwillig jeden Tag so früh aufstand, aber an den Weihnachtstagen konnte David nie früh genug aus dem Bett kommen, um möglichst viel Zeit mit der Familie zu haben.

Dabei waren noch nicht mal alle da. Bis auf Mik, Colin und Noah samt Anhang, würde der Rest erst im Laufe des heutigen Tages nach und nach eintrudeln. Den Anfang machten Tristan und Nick, die sich zum Frühstück eingeladen hatten, deshalb verbrannte sich David auch fluchend die Zunge am heißen Tee, als er nach einem Blick auf die Uhr feststellte, dass er sofort los musste, wenn er halbwegs pünktlich beim Bäcker sein wollte, um das bestellte Brot und die Brötchen abzuholen.

Dick eingepackt lief er wenig später den Gehweg entlang. Es war eisig kalt, aber die Luft dabei so klar, dass David jeden Atemzug genoss und er es gar nicht erwarten konnte zuzusehen, wenn nachher die Sonne hinter den Bäumen emporstieg, denn die Wettervorhersage versprach über Weihnachten traumhafte Tage mit jeder Menge Sonne, weiterem Schnee über Nacht und bis mindestens Silvester dauerhaft eisige Temperaturen. Also die perfekten Voraussetzungen für lange Spaziergänge mit den Kids und Schneeballschlachten gegen eine gewisse Oberglucke ihrer Familie, die garantiert wieder versuchen würde, ihn mit Schnee einzuseifen, genauso wie im letzten Jahr. Und im Jahr davor. Eigentlich in jedem Jahr, sobald der erste Schnee vom Himmel fiel.

Sein Handy begann zu klingeln und David zog es grinsend aus der Manteltasche. Nach einem Blick auf das Display wuchs sein Grinsen noch ein Stück in die Breite.

»Bist du aus dem Bett gefallen, Frechdachs?«

»Haha, sehr komisch«, grollte Kilian am anderen Ende und David prustete los, denn sein Junior war in der Zeit, als er für das Studium bei ihnen gewohnt hatte, ein Morgenmuffel vom Feinsten gewesen, und daran würde sich trotz zweier Kinder, die er jetzt mit Dale großzog, wohl niemals etwas ändern. »Ich hatte noch keinen Kaffee, weil Gabby unbedingt ein Geschenk auspacken wollte, bevor wir uns auf den Weg zu euch machen, und mein bald ziemlich toter Ehegatte der Meinung war, wenn wir eh schon wach sind, können wir auch vor dem Frühstück ein bisschen an die frische Luft gehen, denn es hat geschneit. Hast du eigentlich eine Vorstellung, wie kalt es hier ist?«

David gluckste. »Wahrscheinlich genauso kalt wie bei uns. Das Thermometer zeigte vorhin minus acht Grad an.«

»Gott, sag mir nicht, dass du auch schon draußen bist.«

»Nick und Tristan kommen zum Frühstück vorbei. Ich bin auf dem Weg zum Bäcker.«

»Alles klar«, fiel bei Kilian der Groschen. »Statt Frühstück mitzubringen, futtern sie sich lieber bei euch durch. Wieso ist mir das nicht eingefallen?«

»Weil du noch keinen Kaffee hattest.«

»Das wird es sein«, grollte Kilian und kurz darauf schallte lautes Gelächter durch die Leitung. »Woah, der Schneeball war ein Volltreffer. Guter Schuss, Rio!«

»Als mein mich liebender Ehemann hast du gefälligst mich zu unterstützen«, drang daraufhin Dales entrüstete Stimme an sein Ohr und David legte mit einem amüsierten Kopfschütteln auf, als ein dumpfes Popp-Geräusch zu hören war und Kilian danach erschrocken aufschrie. Da hatte eindeutig noch jemand einen Schneeball abbekommen und es würde nicht der letzte in den kommenden Tagen sein, dessen war er sich sicher.

»Kinder«, murmelte er liebevoll und stöhnte belustigt, weil sein Handy just in dem Augenblick erneut anfing zu klingeln. Er sah aufs Display und verdrehte die Augen. »Guten Morgen, du Frühstücksschnorrer vor dem Herrn. Hat mein Mann dich angerufen, um sich bei dir darüber zu beschweren, dass ich mich heimlich aus dem Bett gestohlen habe?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739477084
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
Liebesroman schwul Familie Weihnachten Romanze Humor

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Fantasy, Thriller und Romanzen. Weitere Informationen zu meinen Büchern, sowie aktuelle News zu kommenden Veröffentlichungen, findet ihr auf meiner Homepage.
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