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Orangen und Schokolade

von Amalia Zeichnerin (Autor:in)
193 Seiten

Zusammenfassung

Sarah ist Genießerin aus Überzeugung, trägt Plus-size und betreibt einen Backblog. Thomas ist Fitnesstrainer, Veganer und bloggt zum Thema Healthy Living. Auf den ersten Blick haben die beiden kaum etwas gemeinsam. Oder vielleicht doch? Ein in Hamburg angesiedelter Liebesroman über zwei sehr unterschiedliche Menschen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Titelei

Inhaltswarnungen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Einige Rezepte aus diesem Buch

Danksagung

Impressum

Amalia Zeichnerin

 

Orangen und Schokolade

 

 

© Amalia Zeichnerin 2018

 

 

 

Inhaltswarnungen zu diesem Roman

Bodyshaming (teilweise auch internalisiert), Cybermobbing, explizite Sexszenen

Kapitel 1

 

Die Frühschicht im Fitness-Studio war heute Morgen recht ruhig gewesen. Ich hatte einige unserer Mitglieder im Kraftraum betreut, die dort auf sportliche Weise in ihren Tag starten wollten.

Später hatte ich zwei Workout-Kurse und einen für Pilates gegeben. Vor allem die Workouts waren schweißtreibend wie immer gewesen, so dass ich froh war, anschließend duschen zu können. Aber ich genoss wieder mal den Kick der Endorphine, den mir die reichliche Bewegung bescherte. Außerdem war es immer schön zu sehen, wenn unsere Kunden Fortschritte machten.

Inzwischen war es Nachmittag geworden und ich steuerte auf den Supermarkt im Altonaer Einkaufszentrum Mercado zu; Gemüse für eine Rohkost-Platte stand auf meinem Einkaufszettel. Der Markt befand sich ganz hinten im Mercado und ich schlenderte vorbei an dem Bioladen und dem Bäcker. Im Supermarkt war es ziemlich voll, wie meistens um diese Uhrzeit. Gerade als ich mich in der Gemüseabteilung über die Biokarotten beugte, rempelte mich jemand mit seinem Einkaufswagen von hinten an.

Ich fuhr herum; mein erster Blick fiel auf die Waren in dem Wagen: jede Menge Schokolade – auf den ersten Blick erkannte ich vier verschiedene Sorten – mehrere Packungen Weißmehl und Industriezucker, drei Packungen Freiland-Eier und mehrere Liter Bio-Milch. Sah aus wie ein Hamsterkauf, aber wer bitte kaufte denn solche Mengen an Frischmilch? Die hielt sich doch nur wenige Tage.

Ich wandte meinen Blick der Person hinter dem Wagen zu. Eine korpulente Blondine mit einem rundlichen, durchaus hübschen Gesicht. Sie trug eines dieser bunt gemusterten Fünfziger-Jahre-Kleider mit weitem Rock und kurzen Ärmeln, für die man eigentlich eine Wespentaille brauchte. Erstaunlicherweise stand es ihr gut, sie hatte trotz der voluminösen Taille die richtigen Proportionen dafür. Ihr Haar war zu einem wippenden Pferdeschwanz zusammengebunden.

„Oh, Entschuldigung!“, sagte sie hastig.

Vermutlich hatte ich ziemlich erbost dreingeblickt. „Kein Problem“, winkte ich ab. Mir lag ein böser Witz über Körpergewicht auf der Zunge, den ich natürlich nicht laut aussprach. Dann fiel mir ein, dass ich die Frau schon einmal bei uns im Fitness-Studio gesehen hatte. Das weckte meine Neugier.

„Entschuldigen Sie, aber waren Sie nicht mal in einem Kurs im Fitness-Studio Fit & Fein?“

„Ja...“, sagte sie zögernd. „Aber ich mach jetzt was Anderes.”

„Oh, ach so. Ich frag auch nur, weil ich dort als Trainer arbeite.”

Sie blickte mich überrascht an. „Ah, verstehe.“

Ich bereute es schon, sie überhaupt darauf angesprochen zu haben. „Haben Sie für eine Party eingekauft?“, rutschte es mir heraus. Ich deutete auf ihren Wagen. Eigentlich stellte ich Fremden sonst nicht solche Fragen …

„Nein, das ist für Back-Tutorials, auf Youtube. Ich habe da einen Kanal.“

Was für ein Zufall… Das erklärte natürlich den „Hamsterkauf“. Bestimmt gab es in ihren Tutorials lauter Kalorienbomben, von denen man einen Zucker-Flash bekam.

„Ich bin auch Vlogger”, sagte ich. „Und Blogger. Darf ich Ihnen vielleicht meine Karte geben?” Welcher Teufel ritt mich eigentlich, dass ich dieser Frau meine Visitenkarte aufschwatzte? Macht der Gewohnheit vielleicht, denn ich verteilte meine Karten ziemlich häufig.

Sie betrachtete die Karte, die in frischen Grün- und Blautönen gehalten war. Darauf waren meine Webseite und auch der Youtube-Kanal vermerkt.

Thomas’ Healthy Life …”, las sie halblaut, bevor sie mich kurz ansah und die Karte dann in ihre Handtasche steckte. „Danke. Schau ich mir mal an bei Gelegenheit. Schönen Tag noch.”

„Danke, ebenfalls.”

Als sie mit ihrem Einkaufswagen von dannen zog, ertappte ich mich dabei, dass ich auf ihren großen Hintern starrte. Ausgerechnet bei solch einer molligen Frau … Ich wandte mich wieder den Karottenbündeln zu und überlegte, ob ich noch ein paar Orangen einkaufen sollte. Für mich gab es nichts besseres als frischgepressten Orangensaft. Den hatte ich schon als Kind gern getrunken. Smoothies mit Orangensaft waren fast noch besser. Wenn nicht noch zig andere Zutaten drin waren, die den Orangengeschmack überdeckten.

 

Zuhause dachte ich wieder an diese Begegnung. Ich sah oft Leute im Supermarkt, über deren Ernährungsvorlieben ich innerlich nur den Kopf schütteln konnte. Menschen, die sich offensichtlich hauptsächlich von Tiefkühlpizza, Chips und Bier ernährten, zum Beispiel. Als Healthy-Lifestyle-Blogger war mir das zuwider. Aber ich hoffte, mit meinen Beiträgen einigen Leuten Gedankenanstöße zu liefern. Seit damals der Trend zur veganen Ernährung langsam im Mainstream ankam – das muss so circa 2010 oder etwas später gewesen sein – war ich vom Fleischessen ebenfalls auf vegane Ernährung umgestiegen.

Ursprünglich war es eine Wette mit einem Freund gewesen, dass ich es schaffen würde, mich einen Monat lang vegan zu ernähren. Das gelang mir, zu meinem eigenen Erstaunen, auch wenn es eine ziemliche Umstellung war. Und ich hatte auch wenig Probleme, es meiner Umwelt zu erklären – eine Wette war halt ein guter Grund.

Aus einem Monat wurden zwei, dann drei, und schließlich stellte ich fest, dass ich mich damit ziemlich wohl fühlte und das Fleisch nicht vermisste. Ich war eh nie so der Typ Mann gewesen, der Männlichkeit mit Steak-Essen und Grillmeisterspielen gleichsetzte. Ich hatte auch schon vorher nicht viel Fleisch gegessen; ich war bereits damals ein Flexitarier und aß nur gelegentlich noch Geflügel.

Mein Hausarzt gab mir ebenfalls ein Go für die vegane Ernährung, er meinte nur, ich sollte meine Blutwerte regelmäßig kontrollieren lassen. Überzeugt hat mich letzendlich das Beispiel von Patrik Baboumian, ein veganer Kraftsportler, der seit den Strongman-Meisterschaften von 2011 eine Zeitlang den Titel „stärkster Mann Deutschlands” hatte. Ich hatte zwar überhaupt keine Ambitionen, bei diesen oder anderen Meisterschaften teilzunehmen, aber Leute wie Baboumian räumen mit dem alten Mythos auf, dass man unbedingt tierisches Protein braucht, um Muskeln aufzubauen oder Kraftsport machen zu können.

Ich legte die Orangen in den Früchtekorb, danach wusch und putzte ich das rohe Gemüse. Die Scheiben drapierte ich auf einem meiner grünen Teller für ein Food-Bild. Das konnte ich bei Instagram posten. Jeden Tag machte ich solche Bilder, vor allem, wenn ich neue Rezepte ausprobierte. Manchmal schnitt ich auch Videos zusammen, aber das war aufwändiger und dauerte auch länger, deshalb war es besonderen Aktionen vorbehalten.

Ich kannte einen Foodfotografen, der mich mit Tipps und Tricks versorgte, wie man Essen am besten in Szene setzte. Denn Schnappschuss-Aufnahmen von Mahlzeiten ohne die richtige Ausleuchtung sahen leider manchmal eher unappetitlich aus.

Ich setzte mir Wasser für einen grünen Tee auf und pflanzte mich kurz darauf mit meiner Tasse an mein Notebook, um einen Blogbeitrag über Superfoods zu verfassen und das Foodbild bei Instagram mit einigen passenden Hashtags zu posten.

Wieder musste ich an die Blondine aus dem Supermarkt denken, die ebenfalls Bloggerin war. Aber wenn sie tatsächlich hauptsächlich mit solchen Zutaten backte, wie ich sie in ihrem Einkaufswagen gesehen hatte, war ihr Blog für mich sicherlich völlig uninteressant. Außerdem hatte ich sie ja auch nicht danach gefragt. Vermutlich würde ich sie nie wiedersehen und schon bald vergessen haben.

Kapitel 2

 

Hier war ich nun: Vor kurzem dreißig geworden und mal wieder Single. Übergewichtig. Beides schon eine ganze Weile, und gar nicht mal besonders unglücklich darüber. Nicht mehr.

Trotzdem, ich musste an den Typ denken, der mich im Supermarkt angesprochen hatte. Der gefiel mir, mit seinen haselnussfarbenen Augen und diesem braunen Dreitagebart, der vielleicht später mal so ein Hipster-Vollbart werden wollte. Oder auch nicht, wer mochte das schon wissen? Aber musste er ausgerechnet ein Fitnesstrainer sein?

Zugegeben, es stimmte nicht, was ich ihm erzählt hatte. Im Moment machte ich „nichts anders”, außer mich gelegentlich auf meinen Heimtrainer zu setzen. Ich hatte einfach keine Lust mehr, zwischen all den schlanken Frauen im Fitness-Club herumzuhopsen. Es gab dort zwar auch einen Kurs speziell für Übergewichtige, aber damit hätte ich mich ebenso unwohl gefühlt.

Vor einiger Zeit hatte ich mit meiner besten Freundin Jeanine den Film „Embrace“ gesehen, eine Doku über Body Positivity, über Plus-Size-Modelle und warum sich so viele Männer und Frauen ihr Leben lang quälen, um einen Schönheitsideal zu entsprechen, das die meisten niemals erreichen.

Der Film war für mich ein Augenöffner. Kurz danach kündigte ich im Fitness-Club. Viel zu viel Plackerei und zu wenig, was dabei herumkam. Trainieren wollte ich trotzdem weiterhin. Nicht mehr so sehr, um abzunehmen, sondern weil mir die Bewegung gut tat. Also verlegte ich mich darauf, mir einen Crosstrainer zu kaufen und zu Hause zu trainieren. Wenn nur mein innerer Schweinehund nicht gewesen wäre. Immerhin sah ich Netflix und Fernsehen nur noch, während ich gleichzeitig auf dem Crosstrainer strampelte. Das war mir inzwischen so zu Gewohnheit geworden, dass ich das Gefühl hatte, es würde etwas fehlen, wenn ich mich einfach so berieseln ließ, ohne mich nebenbei zu bewegen.

Es war Samstag. Zeit für mich, die ich einfach vertrödeln konnte. Ohne Verabredungen, Dates oder andere Verpflichtungen. Und mal ganz ehrlich, heutzutage war es echter Luxus, einfach mal nicht erreichbar zu sein, deshalb schaltete ich auch mein Smartphone aus.

In meiner bonbonfarben eingerichteten Küche hatte ich die Einkäufe weggeräumt und machte mir einen Cappuccino. Nicht so ein Instant-Ding, die mochte ich nicht besonders, sondern einen mit richtigem Kaffee und aufgeschäumter Milch. Außerdem öffnete ich eine der Schokitafeln.

Dabei fiel mir etwas ein, was ich in einem Video der Vloggerin Mirellativegal gelesen hatte. Auf die Frage, warum sie zugenommen hätte, nannte sie zwanzig Gründe, von denen nicht alle ernst gemeint waren. Am besten gefiel mir der Satz „Meine Liebe zu Schokolade ist größer als die zu einem Sixpack.“ Das kann ich nur allzu gut verstehen, dachte ich, während die klebrig-süße Kakaomasse in meinem Mund schmolz und ich die Süße mit dem leicht bitteren Cappuccino kombinierte.

Ich war eine Genießerin, aber das durfte man heutzutage nicht mehr laut sagen, weil alle so unglaublich gesundheitsbewusst geworden sind. Gesunde Ernährung ist die neue Religion. Ich hatte nichts dagegen, solange sie mir schmeckte. Als ich im Fitness-Club gekündigt hatte, sah mich Jeanine an, als ob ich den Verstand verloren hätte. Erst nach dem Film über Body Positivity und meiner Ansage, dass ich nicht länger für einen „Beach body” trainieren wollte, den ich eh nie erreichen würde, gab sie es auf, mir Vorhaltungen zu machen.

Ich hatte lange gehadert mit meinem Gewicht. Meinem Liebesleben hatte das nicht gerade gut getan. Gelegentliche Dates in letzter Zeit, hin und wieder auch One-Night-Stands, aber mehr wurde nie daraus.

Meine letzte Beziehung war fast drei Jahre her. Bernd hatte ebenfalls Gewichtsprobleme. Er hatte die Ausstrahlung eines gemütlichen Teddybärs. Wir hatten es zusammen eine Weile mit Diäten versucht, aber die bewirkten eher den gefürchteten Jojo-Effekt. Dann verliebte sich Bernd ausgerechnet in eine Arbeitskollegin. Das war zuviel für mich und wir trennten uns. Immerhin gingen wir als Freunde auseinander, was ja nicht jedes Paar von sich behaupten kann. Inzwischen hatte er einige Pfunde verloren – davon konnte ich mich überzeugen, als wir uns zufällig neulich in Ottensen über den Weg liefen. Er machte einen recht glücklichen Eindruck auf mich und ich freute mich für ihn.

Ich hatte eine Dreißigstundenwoche in der Verwaltung, wo ich regelmäßig Akten schubste, ansonsten widmete ich mich gern meinem Blog und dem Vlog übers Backen. Beides ergab mittlerweile durch die Werbeeinblendungen in den Videos und kleine Kooperationen, z.B. mit Cafés und Schokoladenmanufakturen, einen nicht unerheblichen Nebenverdienst. Das machte mir viel Freude, aber natürlich blieb dann auch wenig Zeit für anderes. Für einen Mann war einfach gerade kein Platz in meinem Leben. Und ehrlich gesagt, genoss ich meine Freiheit viel zu sehr, um mich ernsthaft nach einem umzusehen.

Ich blättere in meiner Rezeptesammlung, bis ich jenes fand, welches ich später per Video aufnehmen wollte: meine heißgeliebten Schokoflash-Brownies.1 Die nannte ich so, weil sehr viel Schokolade ins Rezept gehörte, außerdem waren sie schön saftig.

In meinen Videos war ich selbst nie zu sehen, stattdessen hatte ich die Kamera über meiner Arbeitsfläche montiert, so dass sie die Zutaten und die Teigschüssel von oben einfangen konnte. Das war wichtiger als mein Aussehen, ich betrieb schließlich keinen Beautyblog. Von mir waren immer nur die Hände zu sehen und ich machte mir einen Spaß daraus, mir für jedes Video die Fingernägel anders zu lackieren. Das hatte allerdings dazu geführt, dass meine Nagellack-Sammlung beständig gewachsen war. Ich hatte sie in einem Wandschrank in meinem Bad untergebracht.

Die Aufnahmen der Videos gingen mir leicht von der Hand. Wenn ich mich zu sehr verhaspelte, setzte ich neu an und schnitt die entsprechende Stelle später heraus. Da ich immer nur dieselbe Einstellung für die Kamera verwendete und diese höchstens in der Nähe oder Distanz variierte, war auch das nicht weiter schwierig. Eher kam es vor, dass mir beim Backen Patzer unterliefen.

So war es auch diesmal, denn als ich die Milch zum Teig geben wollte, war meine Bewegung zu schwungvoll, so dass ein Teil der Milch über den Rand der Schüssel spritzte. Ich überspielte das mit einem lockeren „Hoppla – ihr seht, auch wir Blogger sind nicht vor kleinen Pannen gefeit. Aber das ist kein Problem, es ist noch genug Milch da.”

In solchen Situationen fragte ich mich oft, warum ich mir eigentlich den Stress machte, unter solchen Bedingungen meiner Leidenschaft zu frönen. Aber dann dachte ich an den Stolz, den ich jedesmal empfand, wenn ich ein neues Video zusammengeschnitten hatte und das Endergebnis bewundern konnte. Oder wenn ich lobende Kommentare erhielt oder welche, in denen Follower von mir Fotos von ihrem Gebäck teilten, das sie nach einem meiner Tutorials gebacken hatten. Ganz zu schweigen von dem kleinen Nebenverdienst, aber wahrscheinlich hätte ich das Ganze auch einfach weiter als Hobby gemacht, so wie in meiner Anfangszeit.

 

***

 

Svenja und Timo hatten mich am Sonntag eingeladen. Sie feierten ihren dritten Hochzeitstag, ganz lässig, mit einer Grillparty. Das würde eines von diesen Festen werden, wo Kind und Kegel mit dabei waren – lauter junge Paare und Eltern, die ihre Kinder mitbrachten. Und ich als Single mittendrin. Aber das kannte ich ja schon, und ich freute mich darauf, die beiden und ihre Tochter wiederzusehen. Die kleine Leonie war ein quirliger Wirbelwind.

Der Garten war nicht allzu groß und es gab nicht genug Stühle für alle. Die meisten Gäste standen einfach, mit Bierflaschen oder Weingläsern in der Hand, während Timo den Grillmeisterposten hatte und mit einem Freund über die Nackensteaks und deren selbstgemachte Marinade fachsimpelte. Zwischen den Gästen wuselten Kinder herum, ein kleiner Mischlingshund, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, sprang mir kläffend entgegen.

„Alles Liebe und herzlichen Glückwunsch”, begrüßte ich Svenja, der ich auch gleich mein Geschenk in die Hand drückte, eine selbst gebackene Torte. Nicht sehr originell für jemanden, der ständig Backtutorials machte, aber Svenja mochte das gern und hatte sich extra eine Torte von mir gewünscht.

„Oooh, die sieht toll aus, fast zu schade zum Essen. Ich muss gleich ein Foto machen!”

Auch ihre Tochter Leonie beäugte die Torte neugierig und wollte schon mit ihren Finger darauf patschen. Svenja verfiel in diesen etwas albern klingenden Tonfall, den manche Eltern bei sehr jungen Kindern verwenden. Mit honigsüßer Stimme hielt sie Leonie davon ab, auf die Torte zu fassen, befreite sie aus der Box und stellte sie auf einen Gartentisch. Anschließend schoss sie ein Foto mit ihrem Smartphone. Leonie wollte nach dem Gerät greifen, aber Svenja sagte: „Nein, meine Liebe, darüber haben wir doch schon gesprochen. Kein Handy für Leonie.”

„Tel`niiieren!”, rief Leonie weinerlich.

„Du kannst mit deinem Kindertelefon telefonieren, Schatz”, erklärte Svenja mit Engelsgeduld.

Ich schnappte mir ein Glas zu trinken, bevor ich mich umdrehte und erstarrte. Nur wenige Meter von mir entfernt, betrat ein neuer Gast den Garten. Der Dreitagebart, die braunen Haare, die freundlichen Augen – was hatte der Typ vom Supermarkt hier verloren?

Er begrüßte Svenja herzlich mit einer Umarmung und beugte sich hinunter zu Leonie, die ihn anstrahlte und kicherte, als er eine Grimasse für sie schnitt.

Da ist mir wohl einiges entgangen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich Timo und Svenja zuletzt gesehen hatte. Es war bestimmt schon einige Wochen her.

„Sarah, das hier ist Thomas. Ich war bei ihm im Fitness-Kurs für Schwangere und Timo kannte er schon vorher.“

„Hallo.” Mehr brachte ich nicht heraus und zwang mich zu einem höflichen Lächeln.

„Die Welt ist klein – wir sind uns doch neulich im Supermarkt begegnet”, sagte er mit einem Lächeln, das blendendweiße Zähne entblößte. Vermutlich hatte er sie professionell beim Zahnarzt bleichen lassen?

„Ja, das stimmt”, gab ich zu.

Er ging hinüber zum Grill und begrüßte Timo, drückte ihm eine Schale mit Gemüsespießen in die Hand. Dann schenkte er sich eine Bio-Orangenlimonade ein, eine aus dieser regionalen kleinen Limonadenfirma, die ich auch hin und wieder gern trank. „Möchtest du auch ein Glas?”, fragte er mich.

„Ja, gern.”

Ich genoss den säuerlich-fruchtigen, leicht bitteren Geschmack. In dieser Limonade war wenig Zucker und das merkte man. Ich hatte zwar eine Schwäche für süße Kuchen und Kekse, aber bei Getränken mochte ich es nicht so süß.

Mein Blick fiel auf Thomas’ Hände. Keine Ringe. Ich hatte mir angewöhnt, danach zu sehen, seit mir ein Kerl am Morgen nach einer ziemlich heißen Nacht gestanden hatte, dass er verheiratet sei. Den Ring hatte er allerdings am Abend zuvor nicht getragen. Ich habe ihn danach nie wiedergesehen. Ich bin nicht der Typ, der Ehen zerstört. Aber dieser Blick auf die Hände, wegen eines Eherings, war mittlerweile für mich zum Reflex geworden. Ebenso reflexhaft fragte ich mich, ob Thomas wohl eine Freundin hatte. Aber hätte er sie dann nicht mitgebracht? Vielleicht hatte sie heute aber keine Zeit? Ich merkte, wie sich meine Gedanken verselbständigten. Das alles waren doch nur Spekulationen. Aber einfach fragen wollte ich ihn auch nicht. Männer wie er waren einfach nicht meine Liga, also warum sich überhaupt Hoffnungen machen?

Aber dieses Lächeln… Mensch, Sarah, hör auf damit. Du bist doch keine Fünfzehn mehr.

„Ich wusste nicht, dass wir etwas zum Grillen mitbringen sollten”, sagte ich und deutete auf die von ihm mitgebrachten Gemüsespieße.

„Sollten wir auch nicht. Aber ich bin Veganer, deshalb hab ich das für mich mitgebracht.”

„Ach so…” Ein Veganer also. Das war ja auch so ein Trend mittlerweile.

„Machst du das wegen der Tiere, oder wegen der Gesundheit?”, fragte ich frei heraus.

„Wegen beidem, würde ich sagen. Deshalb auch der Healthy Lifestyle Blog.”

Na, Prost Mahlzeit. Hätte ich mir ja denken können. Seine Visitenkarte lag noch irgendwo bei mir herum, aber ich hatte mir bisher weder seinen Blog noch den Vlog angesehen.

„Aha”, machte ich. „Also ich persönlich lege Wert darauf, dass mir das schmeckt, was ich esse. Und ich möchte auch mal was Ungesundes essen dürfen, das lecker ist, ohne dafür schief angesehen zu werden.“

„Es gibt jede Menge leckere Superfood- und Clean Food-Gerichte.“

Ich sah ihn zweifelnd an. „Ach ja? Die liegen dann wohl gerade nicht im Trend. Nehmen wir doch nur mal die ganzen Smoothies, die es inzwischen nicht nur in den Bioläden, sondern auch in den Supermärkten gibt. Die fruchtigen sind ja lecker, aber die grünen? Ich hab mal einen davon probiert – Spinat, Weizengras, Grünkohl und Brokkoli. Das war widerlich. Hab ich nicht runtergekriegt. Dabei mag ich Spinat, Grünkohl und Brokkoli. Aber nicht flüssig und kalt.“

Ich merkte, dass ich mich gerade in Rage redete, konnte mich aber nicht bremsen. „Und überhaupt, diese ganzen Superfoods. Alle paar Jahre wird da was Neues gehypt. Früher war es Spirulina, dann vor kurzem die Acai-Beeren, jetzt Matcha und Chia. Ich wette, bald kommt wieder etwas angeblich Neues auf den Markt – aus Südafrika, Neuseeland oder was weiß ich von wo, und dann werden sich plötzlich alle fragen, wie sie jemals ohne dieses Nahrungsmittel ausgekommen sind. Dabei gibt’s genug einheimische Super Foods, z.B. Leinsamen, Sanddornbeeren und noch andere.“

Thomas schwieg. Hatte ich ihn ein wenig zum Nachdenken gebracht mit meiner Tirade?

Er nickte bedächtig. „Da ist was dran. Aber so ist das nun mal mit der Lebensmittelindustrie. Die wollen sich halt immer wieder weitere Märkte erschließen und werfen entsprechend neue Produkte auf den Markt. Und wenn ich bei den Bloggern vorn mitmischen möchte, muss ich auf diese Trends auch irgendwie eingehen – ob es mir gefällt oder nicht.”

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab wohl eine andere Zielgruppe als du, bei mir geht’s mehr ums Genießen.”

„Man kann das Genießen auch gut mit Gesundem verbinden, und auch mit veganer Ernährung. Und wenn einem halt grüne Smoothies nicht schmecken, da gibt es ja noch genug andere Alternativen. Und davon mal abgesehen, gibt es ja auch noch einige Gründe mehr für Veganismus, z.B. den Umweltschutz und die schlimmen Bedingungen der Massentierhaltung. Wenn das bloß mehr Leute einsehen würden. Aber die meisten halten an ihren Gewohnheiten fest. Wie oft habe ich schon gehört, ,Ich kann nicht auf Fleisch verzichten, es schmeckt einfach zu gut.’ Ich denke dann oft, diesen Leuten ist nicht klar, dass es noch zig andere Dinge gibt, die ebenfalls sehr lecker schmecken.”

Ich unterdrückte ein Seufzen. Er war offenbar einer von diesen Veganern, die andere zu ihrer Ernährungsform bekehren wollten. Bisher hatte ich noch niemanden persönlich getroffen, der so tickte, aber ich hatte auf Facebook schon mehr als einmal entsprechende Memes oder auch Diskussionen zu dem Thema gefunden.

„Du, ich kann alle deine Argumente nachvollziehen. Massentierhaltung, Umweltschutz, all das. Aber man wird Menschen nicht überzeugen können, vegan zu essen oder zu leben, wenn man ihnen vermittelt, dass sie anderenfalls ganz, ganz schlechte Menschen seien. Ich hab jedenfalls das Gefühl, dass einige Veganer so an die Sache rangehen. Aber das bringt nie viel, würde ich sagen. Weil niemand gern ein schlechtes Gewissen gemacht bekommt.“

„Hmm ...” Er lächelte verschmitzt. „Eins zu null für dich. Und wie erklärst du es dir, dass manche Leute auf der einen Seite ihre Haustiere heiß und innig lieben, oft wie ein Familienmitglied und ansonsten kein Problem damit haben, andere Tiere zu essen? Aber nur ganz bestimmte Tiere. Wie geht das zusammen?“

Ich überlegte einen Moment lang, ehe ich antwortete. „Na ja, ich gebe zu, das ist in der Tat ein wenig merkwürdig. Aber überleg doch mal, wer ist dir wichtiger: Deine Familie, deine Freunde, deine Liebsten, oder die Menschen, die … sagen wir… in Grönland leben?“

„Hä, was ist denn das für ein Vergleich?“

„Also, ich meine, wenn einige Leute manche Tiere als Familienmitglieder betrachten, ist der Vergleich mit anderen Menschen gar nicht so weit hergeholt, finde ich. Bei Menschen gilt halt meistens, Blut ist dicker als Wasser.”

„ Ach so. Eine ähnliche Sichtweise übertragen die meisten wohl unbewusst auch auf Tiere”, sagte er nachdenklich. „Selbst wenn manche, ach was, wenn viele davon in Schlachthäusern landen.”

Timo rief: „Die Würstchen sind fertig!”

Eine Schar hungriger Gäste versammelte sich, mit Tellern bewaffnet, um den Grill. Ich wartete lieber auf anderes Grillfleisch, und nahm mir stattdessen vom Kartoffelsalat.

Ein paar der Gäste hatten weitere Klappstühle aus der Garage geholt, so dass wir nun doch alle eine Sitzgelegenheit hatten. Thomas betrachtete mich, während ich mir den Kartoffelsalat mit Mayo schmecken ließ.

„Du hast nicht zufällig schon mal etwas Veganes gebacken, oder?”, fragte er.

„Nein.” Ich hatte keine Ahnung, wie ich ohne Eier vernünftig backen sollte. Sie sorgten einfach für eine prima Konsistenz, das war bestimmt schwer ersetzbar. Oder gab es da einen Trick, den ich nicht kannte? Vielleicht wäre das für meinen Blog interessant…

„Dabei gibt es das immer öfter auch in Cafés, zumindest ein, zwei Sachen, die vegan sind…”, fuhr er fort.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich kenne mich damit nicht aus. Ich habe auch keine passenden Rezepte.”

„Ich könnte dir ein veganes Backbuch leihen, wenn es dich interessiert.”

Ich war mir nicht sicher, ob er einfach nett sein oder ob er mich bekehren wollte. Aber ich wollte nicht unhöflich sein. „Gern, warum nicht. Dann kann ich mal was ausprobieren”, antwortete ich deshalb.

Ich vermutete, dass er diese Idee am Ende des Abends ohnehin vergessen haben würde.

„Ich wohne in Altona. Wenn es kein Umweg für dich ist, komm doch nachher kurz mit, dann kann ich es dir geben”, erwiderte er.

Ich verschluckte mich beinahe an einem Gurkenstückchen. Er lud mich ernsthaft in seine Wohnung ein? Wir kannten uns doch gar nicht. Beruhig dich Sarah, es ist kein Date. Er will dir nur etwas ausleihen. „Klar, das passt mir”, sagte ich so lässig wie möglich.

 

Es war ziemlich seltsam für mich, später gemeinsam mit Thomas aufzubrechen. Weil wir kein Paar waren. Weil wir Fremde waren, die sich zufällig auf einer Party getroffen hatten. Aber immerhin kannten Timo und Svenja ihn gut genug, um ihn zu ihrer Feier einzuladen, und das war ein beruhigender Gedanke für mich.

Inzwischen war es längst Abend geworden und es dämmerte schon. Wir durchquerten eine ganze Reihe an Straßen, in denen es Cafés, kleine Boutiquen, Restaurants und noch andere Läden gab, aber auch mehrstöckige Wohnhäuser. Aus einem Hinterhof drang rhythmische, lateinamerikanische Musik, die zum Tanzen einlud. Vor einer Kneipe saßen mehrere Leute, deren Gesichter von Lichtern in Teegläsern beleuchtet wurden. Ein Mann auf einem Fahrrad fuhr pfeifend an uns vorbei. Auf der Treppe vor einem der Häuser saßen zwei junge Männer, die rauchten und sich lachend unterhielten.

„War eine schöne Party“, sagte Thomas, während wir an ihnen vorbeigingen.

„Ja, das fand ich auch. Grillpartys im eigenen Garten, das ist schon was Feines.“

„Hättest du denn auch gern einen eigenen Garten?“, wollte er wissen.

„Nee, eher nicht. Ich wäre zu faul für die Gartenarbeit, das gebe ich gern zu. Mir reichen schon meine Zimmerpflanzen. Ich hab halt andere Hobbies.“

„Wie das Backen?“

Ich fühlte mich ertappte. „Ja, genau.“

„Verstehe. Woher kennst du eigentlich Svenja und Timo?“

„Svenja und ich waren früher Nachbarn, bevor sie mit Timo zusammengekommen ist. Wir haben gelegentlich was zusammen unternommen. Aber seit sie Leonie haben, sehen wir uns nicht mehr so oft. Und du kennst sie aus dem Fitness-Club?“

„Ja. Aber nicht nur, Timo ist der Bruder von einem Freund von mir. Der ist allerdings gerade im Urlaub, deshalb war er nicht auf der Party.“ Er sah an einem Altbau hoch. „So, da wären wir.“

Thomas wohnte im zweiten Stock. Seine Wohnung versprühte einen gewissen Shabby Chic Charme, denn die meisten Möbel waren gebraucht oder vielleicht schon Vintage, und alles war in hellen Farbtönen gehalten. Ich konnte keinerlei Anzeichen für ein weibliches Wesen entdecken, welches hier lebte oder regelmäßig zu Besuch kam.

Aber das musste nichts heißen. Heutzutage war ja alles möglich. Es gab ja längst nicht nur die klassische Beziehung, sondern auch offene. Oder Freunde, die gelegentlich Sex hatten, aber sich nicht binden wollten, Mingles, Polyamorie und noch vieles mehr, von dem ich vermutlich nicht mal wusste, wie es hieß, geschweige denn, wie man es nannte. Und im Zweifelsfall hieß es halt: „Beziehungsstatus? Es ist kompliziert.“

In einem Regal in seiner blitzblanken Küche befanden sich reihenweise Kochbücher. Ich musste schmunzeln, denn in meiner Küche gab es auch so ein Regal. Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr sammelte ich Rezeptbücher aller Art. Ich hatte sogar ein vegetarisches, aber bei veganer Ernährung musste ich passen.

Thomas überflog die Buchrücken und reichte mir schließlich eines mit einem bunten Einband. „Hier, das ist gut für Anfänger – ich meine, wenn es um veganes Backen geht.”

„Danke.”

„Möchtest du noch etwas trinken?”, fragte er.

Was war das jetzt für ein Angebot? War das vergleichbar mit „Möchtest du noch reinkommen auf einen Kaffee?” Oder nicht? Mir war etwas unbehaglich zumute, deshalb schwankte ich zwischen einem „Ja” und einem „Nein”.

Ich warf einen raschen Blick auf die Küchenuhr, die an der Wand hing. Bereits halb eins. „Oh… das ist nett, aber es war ein langer Tag heute.” Kaum hatten diese Worte meinen Mund verlassen, hätte ich mich ohrfeigen können. Da machte mir ein netter Mann das Angebot, mit ihm noch etwas zu trinken, und ich schlug es aus.

Thomas zuckte mit den Schultern. „Na gut. War nur so eine Idee. Dann wünsche ich dir eine gute Nacht.”

Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, ihn zu bitten, mich nach Hause zu begleiten. Aber das war lächerlich. Der Altonaer Busbahnhof war ganz in der Nähe und mit dem Nachtbus konnte ich praktisch direkt vor meine Haustür fahren.

„Dir auch, danke. Oh, eine Frage noch: Wann brauchst du das Buch zurück?”

Er winkte ab. „Das eilt nicht. Du kannst mir eine E-Mail schreiben, wenn du es mir zurückgeben möchtest. Oder eine SMS.”

„Das mit der SMS wäre einfacher.”

„Kein Problem, ich schreibe dir meine Handynummer auf.”

Ich zückte mein Smartphone. „Ich kann sie auch direkt eintragen. Dann verlier ich den Zettel nicht.”

„Wie du magst.” Er lächelte. Ich tippte seine Nummer ein und wenig später brachte er mich zur Tür. „Dann bis irgendwann mal. Ich bin gespannt, wie dir die Rezepte gefallen.”

Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, die veganen Rezepte auszuprobieren. Aber jetzt blieb mir wohl nichts anderes übrig.


1 Das Rezept findest du am Ende des Buches.

Kapitel 3

 

Puh, nach dem Grillfest bei Timo und Svenja ging bei mir alles drunter und drüber. Als erstes kam ich eines Abends in die Wohnung und holte mir nasse Füße – ein Wasserschaden in der Wohnung über mir. Und das ausgerechnet über meiner Küche. Meine Backvideos oder überhaupt das Kochen und Backen konnte ich erst mal vergessen.

Die Hausverwaltung montierte bei mir in der Küche ein brummendes Trocknungsgerät, einen ziemlich großen Kasten mit einem langen Rohr, das die Feuchtigkeit abtransportieren sollte und deshalb aus dem offenen Küchenfenster ragte. Es würde mehrere Tage dauern, bis sie das Gerät wieder entfernen konnten.

Zu allem Übel fing ich mir dann auch noch eine fiese Erkältung ein. Und das mitten im Sommer! Das konnte ich überhaupt nicht brauchen. Mein Hausarzt schrieb mich für drei Tage krank, mit Option auf Verlängerung. Ich bewaffnete mich mit Taschentüchern und quälte mich zum nächsten Supermarkt. Dort kaufte ich mir Zitronen und Hühnersuppe – diese Tassenportionen, die man auch mit einem Wasserkocher zubereiten konnte und dazu Hustentee. Außerdem stattete ich der Apotheke in der Nähe einen Besuch ab, um Erkältungssalbe und Medizin zu besorgen.

Ausgerechnet in dieser Woche endete das regnerische Wetter und die Sonne schien schadenfroh durchs Fenster. Mit einem Mal war ich furchtbar neidisch auf all die Leute, die nach der Arbeit oder anderen Aktivitäten den Tag am Elbstrand oder in einem Park ausklingen lassen konnten. Bedauernd sah ich aus dem Fenster und musste die Augen zusammenkneifen, weil das Sonnenlicht so hell war und vom gegenüberliegenden Haus reflektiert wurde.

Ich zog mich mit einem Buch ins Bett zurück, konnte mich aber nur schwer aufs Lesen konzentrieren, weil mich mittlerweile auch Kopfschmerzen plagten. Irgendwann döste ich ein. Als ich wieder aufwachte, war es bereits abends, aber nun war ich erst einmal wach. In der Küche ratterte das Trocknungsgerät weiter vor sich hin, ein nervtötendes Geräusch, das entfernt an einen Staubsauger erinnerte.

Mein Blick fiel auf Thomas’ veganes Backbuch, welches ich ins Regal zu meinen eigenen Büchern gestellt hatte. Ich hatte es völlig vergessen, und hatte auch keines der Rezepte ausprobiert. Und jetzt stand mir erst recht nicht der Sinn danach, außerdem konnte ich gerade eh nicht gut backen wegen des Trocknungsgeräts, dessen Rattern mir den letzten Nerv raubte. Deshalb ging ich nur in die Küche, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

So wie in diesem Moment: Das brennende Gefühl des Halswehs in meiner Kehle hatte zugenommen, also setzte ich Wasser für eine heiße Zitrone auf.

Als das Getränk fertig war, setzte ich mich an meinen Rechner, denn ich wollte nach Thomas und seinem Blog googeln. Thomas’ Healthy Life, wie er seinen Blog nannte, war genau so, wie ich es erwartet hatte: Frische Grün- und Blautöne dominierten im Design der Webseite, dazu kurze knackige Texte zu verschiedenen Ernährungs-, Sport- und Gesundheitsthemen. Er schrieb gut und brachte hin und wieder auch etwas Humor mit unter.

Hier und da gab es gesponserte Beiträge zu Fitnessprodukten, auch war sein Vlog verlinkt, wo er sich vor einer Wald-Fototapete präsentierte und über verschiedene Dinge kurze Vorträge hielt, meistens ergänzt um eingeblendete Bilder und Grafiken. In einem der Videos interviewte er einen Vegan-Aktivisten und auch dort kam das Gespräch auf die gesundheitlichen Aspekte dieser Ernährungsweise. Ich schloss das Video und trank schluckweise meinen Tee, während ich weiter in den Artikeln stöberte. Bis sich die Kopfschmerzen zurückmeldeten. Blieb also nur das, was der Arzt mir geraten hatte: Bettruhe.

Das Telefon klingelte; es war Jeanine. Ich klagte ihr mein Leid und hustete mir während unseres Gesprächs die Seele aus dem Leib.

„Ach du Arme! Und das ausgerechnet jetzt, bei dem schönen Wetter. Kann ich dir irgendetwas Gutes tun?”

„Nein, danke. Ich hab alles hier, Hustentee und so. Lass uns ein anderes Mal wieder telefonieren, ja?”„Melde dich gern, wenn du etwas brauchst. Gute Besserung!”

Später versuchte ich mein Glück noch einmal mit dem Liebesroman, während ich schluckweise eine mit Honig gesüßte heiße Zitrone trank. Doch die Worte, die ich las, ergaben keinen Sinn. Verdammte Kopfschmerzen! Stattdessen wälzte ich mich im Bett von einer Seite auf die andere, wobei mich immer wieder der Husten schüttelte. Herrjeh, das würde eine anstrengende Nacht werden.

 

Am folgenden Tag fühlte ich mich wie zerschlagen, aber das war zu erwarten gewesen. Ich trank literweise Tee und versuchte mich ein weiteres Mal auf das Buch zu konzentrieren, doch das fiel mir schwer. Ich stöberte noch einmal in Thomas’ Blog und fand hier und da ein interessantes Rezept, also speicherte ich einige Lesezeichen in meinem Browser. Die Beiträge über Sport überblätterte ich, bis ich an einem über Zumba hängenblieb, was hier als Trendsportart beschrieben wurde – eine Mischung aus Aerobic und verschiedenen internationalen Tänzen. Gehört hatte ich davon schon, mich aber noch nicht näher damit beschäftigt. Es hörte sich interessant an, vor allem, weil ich gern tanzte. Ich schaute noch weiter im Internet und fand auch verschiedene DVDs mit Zumba-Workouts. Vielleicht sollte ich mir mal eine davon kaufen, um mir das in Ruhe näher anzusehen? Ich wollte nicht gleich einen ganzen Kurs irgendwo belegen.

Ob Thomas sich damit auskannte? Ach, was für ein dummer Gedanke, bestimmt tat er das, sonst hätte er doch keinen so ausführlichen Beitrag darüber geschrieben. Vielleicht ergab sich ja mal die Gelegenheit, mit ihm darüber zu sprechen. Im nächsten Moment bemitleidete ich mich, dass mir ausgerechnet jetzt dieses Zumba über den Weg lief, wo ich schon Schwierigkeiten hatte, mich vom Bett in die Küche zum Wasserkocher zu schleppen, um mir einen weiteren Tee zu machen.

Wenn es um Erkältungen ging, war ich ähnlich wehleidig wie manche Kerle, wenn sie an der gefürchteten „Männergrippe” erkrankten. Bei solchen Gelegenheiten wurde ich oft schwach und wünschte mir, nicht allein zu wohnen. Weil ich dann jemanden zur Apotheke oder zum Supermarkt hätte losschicken können, um für mich Besorgungen zu machen. Weil ich jemanden gehabt hätte, der für mich Tee kochte und mir gut zuredete. Ich überlegte, Jeanine anzurufen, aber dann fiel mir ein, dass es mitten am Tag war. Sie war natürlich auf der Arbeit. Und in ihrer Mittagspause wollte ich sie auch nicht stören. Außerdem hatten wir ja erst gestern miteinander telefoniert.

Ich gab „Zumba” bei Youtube ein und fand einige Videos dazu. Die Musik in dem ersten ging mir mit ihrem stampfenden schnellen Rhythmus bald auf die Nerven, also schaltete ich es leiser. Was hier präsentiert wurde, erinnerte mich größtenteils an die Workouts, wie ich sie aus meiner Zeit als Fitness-Club-Mitglied kannte – darunter schnelle Schrittkombinationen, die mit weiten Armbewegungen kombiniert wurden. Diese wurden allerdings mit weiteren, noch tänzerischen Elementen ergänzt. Insgesamt sah es nicht schwer aus, war aber sicherlich schweißtreibend.

Ich beschloss mir diese Sportart zu merken und demnächst genauer anzusehen. Vielleicht war so ein Workout-Video schon mal ein guter Anfang. Ich schaute mir noch weitere Clips zum Thema Zumba an, in der Hoffnung auf bessere Musik. Nach einigem Suchen fand ich eines, das mir recht gut gefiel, deshalb setzte ich mir ein Lesezeichen in den Browser. Wenn es mir besserging, würde ich das ausprobieren. Das wiederum war ein Vorteil, wenn man allein lebte – man konnte nach Lust und Laune durchs Wohnzimmer tanzen und Workouts ausprobieren, ohne sich lächerlich zu machen. Hoffentlich würde mich diese Erkältung nicht mehr allzu lange plagen...

Kapitel 4

 

Eine Woche später hatte ich fast vergessen, dass ich Sarah das vegane Kochbuch geliehen hatte. Es fiel mir erst wieder ein, als in meiner Timeline bei Facebook jemand ein ziemlich pornöses Tortenbild postete. Ein bisschen wie die Schokotorte, welche Sarah zu der Party von Svenja und Timo mitgebracht hatte. Ich sendete ihr eine SMS.

 

Moin Sarah,

ich hätte das vegane Backbuch gern wieder, was ich dir geliehen habe. Kann ich es bei dir abholen?

 

Ich zögerte kurz. Wir kannten uns ja nicht näher, und vielleicht war es ihr nicht recht, dass ich zu ihr kam. Deshalb schrieb ich:

 

Wir können uns ansonsten auch gern auf einen Kaffee treffen, wenn du magst.

 

Ihre Antwort kam zwei Stunden später.

 

Hallo Thomas,

gut, dass du mich erinnerst. Ein Kaffee wäre nett. Wo?

 

Sie schrieb nichts davon, ob sie eines der Rezepte ausprobiert hatte. Aber ich wollte nicht weiter nachhaken, ich würde sie einfach persönlich fragen. Ich war allerdings neugierig, ob ich vielleicht eine weitere Person davon überzeugt hatte, dass veganes Essen verdammt lecker schmecken konnte und meistens gar nicht mal so schwer zuzubereiten war.

 

Kennst du das Pappsatt? Das ist ein veganes Café. Ihr Cappuccino mit Mandelmilch ist sehr lecker.

 

Hab davon gehört, schrieb sie zurück. Von mir aus gern.

 

Wir vereinbarten eine Zeit und verabschiedeten uns. Ein Ton zeigte mir eine neue Nachricht an, doch sie war nicht von Sarah, wie ich erst dachte, sondern von meiner Ex.

 

Ich muss übernächste Woche für den Job nach Hamburg, wegen der Messe. „Gesund + Aktiv“, kennst du ja sicher. Kann ich bei dir übernachten? Hotels sind voll. Gruß, Patty

 

Oh Mann. Patty war eine Nummer für sich. Seit über einem Jahr waren wir getrennt, und noch immer stellte sie Ansprüche. Das hier toppte alles Bisherige. Aber was sollte ich ihr schreiben? Ich konnte schlecht sagen, dass ich auf Reisen sei, denn ich postete in jedem Urlaub entsprechende Fotos bei Facebook und Instagram. Wir waren dort immer noch befreundet und sie folgte auch meinem Blog. Sie würde mich sicher fragen, wo denn meine Urlaubsfotos seien.

Inzwischen wohnte Patty in Berlin und hatte sich einen Hund zugelegt. Meine Wohnung hatte ein Gästezimmer. Gerade mal groß genug für ein Einzelbett, einen Stuhl und eine Kommode, aber es war ein eigener Raum. Vermutlich spekulierte Patty darauf, weil sie es nicht hinbekommen hatte, sich rechtzeitig ein Hotelzimmer zu reservieren. Es gäbe ja noch andere Möglichkeiten, z.B. Hostels, Couchsurfing oder Bed & Breakfast Unterkünfte, aber damit brauchte ich ihr nicht zu kommen. Sie würde sich nicht abwimmeln lassen, da war ich mir sicher. Ich überlegte kurz und schrieb ihr zurück:

 

Die ganze Woche?

 

Ja, und das Wochenende, bitte.

 

Kannst du nicht bei deinen Freunden übernachten?

 

Nee, die will ich nicht fragen. Tine zieht gerade um, und Amélie muss ihre Küche renovieren.

 

Dann fiel mir ihr Hund ein.

 

Was ist eigentlich mit Bibo?

 

Meine Eltern machen Dogsitting. Also, geht das bei dir? Wäre toll!

 

Mist, mir fiel keine vernünftige Ausrede ein. Einen Moment lang überlegte ich, ihr einfach zu schreiben, dass ich ihr das erst morgen sagen könnte. Um mehr Zeit zu haben, mir etwas auszudenken. Aber dann fiel mir ein, dass ich Patty im Gegenzug um einen Gefallen bitten konnte.

 

In Ordnung. Wenn ich ein Wochenendticket für die Messe bekomme.

 

Geht klar. Dankeschön. Ich schreib dir dann noch mal, wann ich ankomme.

 

Erwartete sie, dass ich sie irgendwo abholte? Da gab man jemanden den kleinen Finger, und er griff nach der ganzen Hand…

 

Kann sein, dass ich dann arbeite, warnte ich sie vor.

 

Mal sehen, kam ihre Antwort.

 

Ich würde da auf jeden Fall arbeiten. Und wenn es Mitternacht wäre. Ich konnte ja sagen, es hätte eine interne Feier im Fitness-Studio gegeben.

Einige Zeit später rief mich mein Vater an. Er hatte eine Frage wegen seines Laptops, er hatte ein Problem mit seinem Textverarbeitungsprogramm. Ich ließ mir von ihm schildern, wo es hakte und konnte ihm weiterhelfen.

„Danke dir. Was würde ich nur manchmal ohne dich machen? Auf der Arbeit haben wir ein anderes Textprogramm, da komme ich oft durcheinander”, erzählte er.

„Und wie geht’s dir sonst so?”, erkundigte ich mich.

„Ach, eigentlich ganz gut. Wenn nur der Stress auf der Arbeit nicht wäre.”

Mein Vater war Abteilungsleiter in einem Großhandel. Er klagte in letzter Zeit häufiger über Stress dort und erzählte auch jetzt davon. Von Kollegen, die längere Zeit krank waren und wie dann die anderen meckerten, weil sie deren Arbeit mit übernehmen mussten. Azubis, die Abläufe versehentlich durcheinander brachten. Oder Mitarbeiter, die in seinen Augen schlichtweg inkompetent waren oder in einer anderen Abteilung besser aufgehoben wären. Eine Weile lauschte ich seinen Schilderungen schweigend. Gelegentlich hatte ich ihm nahegelegt, es mal mit Entspannungsübungen zu versuchen, und kam nun noch einmal darauf zu sprechen.

„Ach, Thomas, weißt du, das liegt mir einfach nicht”, entgegnete er. „Still liegen und mir vorstellen, mir wird warm? Ich werde davon nur ganz kribbelig. Du weißt doch, ich brauche immer was zu tun.”

„Hast du schon mal an Joggen gedacht? Um mal den Kopf frei zu kriegen?”

„Nee ... das machen meine Gelenke nicht mehr mit. Ich geh manchmal schwimmen, mit deiner Mutter. Das geht ganz gut.”

„Na, immerhin.” Ich wettete im Stillen, dass er das nur alle paar Monate mal machte. Sport war noch nie sein Ding gewesen.

Aber ich hatte keine Lust, ihm weiter Vorschläge zu machen. Er war schließlich erwachsen und musste selbst wissen, was gut für ihn war. Wir unterhielten uns noch ein paar Minuten.

„Grüß Mama von mir”, bat ich ihn später.

„Das mach ich. Bis bald.” Er legte auf.

 

***

 

Am Donnerstag ging ich ins Pappsatt. Es hatte diese typische Mischung aus Vintage-Charme, Postkarten mit Sinnsprüchen in Schnörkelrahmen und fröhlich-bunten Wohnaccessoires, die eindeutig aus dem bekannten schwedischen Möbelhaus stammten, aber vorgaben, es nicht zu tun. Ich fand es behaglich und freundlich.

Sarah saß bereits im Café, in einem türkisfarbenem Kleid, das einen schönen Kontrast zu ihren blonden Haare bildete und ihre blauen Augen zur Geltung brachte. Sie hatte einen Tisch am Fenster gewählt, was mir nur recht war. Ich ging zu ihr hinüber.

„Ah, hallo, Thomas”, begrüßte sie mich. Sie schien sich ehrlich zu freuen, mich zu sehen. Oder bildete ich mir das nur ein?

„Moin, Sarah. Freut mich, dich wiederzusehen.”

Sie hustete leicht. „Entschuldige, ich habe gerade eine Erkältung hinter mir.”

„Oh, nein. Und das bei dem Wetter…”

„Ja. Das hat meine beste Freundin auch gesagt.”

Ich sah mich im Café um. Uns gegenüber befand sich ein „Tauschbuchregal”, wie das kleine von Hand gemalte Schild darunter verriet. Mehrere Taschenbücher standen dicht an dicht gedrängt darin, zusammen mit einigen Reclamheften, wie ich sie zuletzt in der Schulzeit gesehen hatte. Nur wenig Gäste waren da – zwei junge Frauen und eine Mutter mit einem Kleinkind, außerdem ein Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug, der auf einem Netbook herumtippte. Er telefonierte dabei und schlürfte gleichzeitig einen Kaffee. Im Hintergrund spielte leise, unaufdringliche Musik, die sich für mich nach einem „Café del Mar“-Sampler oder etwas in der Art anhörte.

Ich studierte die Speisekarte – in Braun und Türkis gehalten, und vermutlich von einem Designer gestaltet.

„Was darf ich euch bringen?”, fragte uns die rothaarige Service-Kraft.

„Einen Pfefferminz-Ingwer-Tee.”

„Und für mich einen Cappuccino mit Mandelmilch”, sagte Sarah und warf mir einen Blick zu. Ich freute mich, dass sie daran erinnerte. „Der wurde mir schon wärmstens empfohlen”, wandte sie sich mit einem Lächeln an die Rothaarige.

Diese lächelte zurück und ließ uns allein.

Sarah zog das vegane Backbuch aus ihrer Shoppertasche. „Ich habe eines der Rezepte ausprobiert”, sagte sie mit einem Blick darauf und zuckte mit den Schultern. „Aber es ist leider nichts geworden, der Teig war viel zu krümelig.”

„Welches Rezept war das denn?”

„Da muss ich mal eben nachschauen.” Sie griff nach dem Buch und blätterte darin herum, zeigte schließlich auf Schokoladenbrownies.

„Was hat du als Ei-Ersatz genommen?”, fragte ich.

Sie zögerte. „Ähm … dieses Zeug. Wie heißt das denn noch?”

„Sojamehl?”, fragte ich. „Oder den Ei-Ersatz mit Stärke?”

„Sojamehl.”

„Vielleicht hast du die falsche Mehlsorte erwischt. Vollfett ist besser, wenn man es statt Eiern nehmen möchte”, erklärte ich.

Sie sah mich mit einem eigentümlichen Blick ein. War sie genervt oder ratlos? Schwer zu sagen…

Mir fiel ein, dass ich wieder mal ein Backvideo drehen wollte – „Vegan backen für Anfänger”. Pedro, ein Freund von mir, hatte sich bereit erklärt zu filmen. Aber es war netter, wenn man zu zweit backte. Ich musterte Sarah einen Moment lang, bis mir einfiel, dass es unhöflich war, jemanden so lange anzustarren.

Mit ihrem Übergewicht war sie nicht gerade der ideale Typ, um in meinem Blog in Erscheinung zu treten. Andererseits gehörten Leute mit Übergewicht ja auch zu meiner Zielgruppe. Und letztendlich war es diskriminierend, jemanden aufgrund seines Gewichts oder Aussehens abzulehnen. Es ging hier schließlich nicht um einen Model-Job. Dann fiel mir noch etwas anderes ein: Vielleicht konnten wir ein Crossmarketing machen?

Ich berichtete ihr von meinen Plan und fragte, ob sie Lust hätte, mitzumachen. „Ich könnte deinen Blog verlinken.”

„Du meinst, wir könnten gegenseitig Werbung machen?” Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und schaute mich überrascht an.

„Du könntest, während wir backen, von deinem Blog erzählen und von deinen Backtutorials…”

Plötzlich lächelte sie. „Und ich könnte ein Video machen, in dem ich auch etwas Veganes backe. Später meine ich, nach deinem Video. Wenn alles geklappt hat. Ich traue dem noch nicht so ganz, also ohne Eier und Milch backen. Margarine ist ja auch gewöhnungsbedürftig. Jedenfalls, falls es klappt, wenn wir gemeinsam backen, dann probiere ich auch noch mal etwas aus und filme es. Und setze dann einen Link zu deinem Video. Weil du mich darauf gebracht hast, mit dem veganen Backen.Wann willst du das denn machen?”

„Ich weiß noch nicht genau, ich muss mal mit Pedro sprechen, wann es ihm passt. Wann würde es dir denn passen?”

„Schlag was vor“, sagte sie.

„Nächste Woche würde es bei mir passen, die Woche drauf nicht, da habe ich Besuch. Aber ich frage Pedro und melde mich dann bei dir.”

„Alles klar.” Sie lächelte. Ihre Augen versanken dabei ein wenig in ihrem leicht pausbäckigen Gesicht, was mich an die heitere, gelassene Mimik dieser dicken chinesischen Buddhafiguren erinnerte. Eigentlich sah das nicht einmal unattraktiv aus, stellte ich überrascht fest.

In diesem Moment wurden uns die Getränke serviert. Der Tee roch köstlich. Hier wurde weder mit Pfefferminzblättern, noch mit Ingwerscheiben gegeizt.

In Sarahs Gegenwart musste ich an meine Ex denken, die so ungefähr das Gegenteil von ihr war – schlank, um einiges größer und dunkelbraunes Haar. Patty aß immer wie ein Spatz, und manchmal vergaß sie das Essen einfach, wenn sie mit anderen Dingen beschäftigt war. Das hatte damals, als wir noch zusammen waren, bei ihren Freunden zu Gerüchten geführt, sie sei magersüchtig. Seitdem zwang sie sich zu drei Mahlzeiten am Tag, selbst dann, wenn sie eigentlich keinen Appetit hatte.

Ich warf Sarah einen Blick zu. Auf ihre Weise sah sie richtig hübsch aus, wenn sie lächelte. Der Gedanke irritierte mich. Ich stand nicht auf mollige Frauen. Zumindest hatte ich das bisher immer gedacht.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739490526
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Liebesroman Blogger Body Shaming Romance Cybermobbing vegan Rezepte Body Positivity Fitness

Autor

  • Amalia Zeichnerin (Autor:in)

Amalia Zeichnerin ist das Pseudonym einer Hamburgerin Autorin. Amalia schreibt Phantastik, Historisches, Cosy Krimis und Romance, gern mit queeren Protagonist*innen und Diversität, denn die Welt ist bunt und vielfältig.
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Titel: Orangen und Schokolade