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Ein Mann namens Flora

von Amalia Zeichnerin (Autor:in)
124 Seiten

Zusammenfassung

Der englische Gärtner Florian ist schwul, liebt es Frauenkleider zu tragen und hat eine große Schwäche für Blumen. Doch im London des Jahres 1823 kann er solchen Leidenschaften nur in einem Molly House nachgehen. Dort wird er zu Flora. Während er andere Männer gern verkuppelt oder ihnen Ratschläge in Liebesdingen erteilt, will er selbst sich nicht binden. Bis er auf den verheirateten Terence trifft und sich alles verändert …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Titelei

Inhaltswarnungen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Epilog

Nachwort

Danksagung

Übersetzung des Liedes

weitere historische Gay Romance Novellen

Impressum

Ein Mann namens Flora

 

Historische Gay Romance Novelle

 

© Amalia Zeichnerin 2018

 

Inhaltswarnungen zu dieser Novelle

Andeutungen von Gewalt, Queerfeindlichkeit, explizite Sexszenen

1

 

Sonnabend, 21. Juni 1823

 

Florian

 

Florian strich über die Blätter des Rosenstrauchs. Wie gut, dass er von den Schädlingen verschont geblieben worden war. Mit der Schere schnitt er mehrere Rosen. Seine Herrschaften würden sich darüber freuen, die Dame des Hauses sie zu einem Strauß arrangieren. Er begutachtete die Blütenblätter – ein zartes Rosa, welches in ein tieferes Rot überging. Die Blüten waren perfekt, nur ein, zwei Blätter hatten einen leicht verwelkten, schadhaften Rand. Aber ihr Duft war betörend. Er schnitt die Dornen ab, denn Lady Cecily duldete derlei nicht in ihren Blumensträußen.

Florian liebte seine Arbeit als Gärtner. Er hatte eine große Schwäche für Blumen, und wie schön war es, im Freien und für sich arbeiten zu können. Sicher, es war harte körperliche Arbeit, aber immerhin konnte er dabei Handschuhe tragen, um seine Hände ein wenig zu schonen. Dennoch bekam er oft Schwielen, doch das nahm er gern in Kauf. Wie sehr sich der Garten im Laufe des Jahres veränderte, wurde er nicht müde zu beobachten. Die Gärtnertätigkeit hatte sich für ihn als Glücksfall erwiesen. Er hatte einen guten Lehrmeister gehabt, der nun im Ruhestand war.

Er brachte die Rosen zu Lady Cecily. „Wunderbar, Lettersfield, ich danke Ihnen.” Mit leuchtenden Augen griff sie nach den zarten Gebilden. „Sind Sie für heute fertig mit Ihrem Tagwerk?”

„Das bin ich. Morgen werde ich den Rasen im hinteren Bereich kürzen, wie Sie mir aufgetragen haben.”

„Sehr gut. Dann wünsche ich einen guten Abend.”

 

*

 

Zwei Stunden später stand er vor Mrs Withers’ Gaststätte. Das Haus war nicht allzu vornehm, die Farbe blätterte von den Wänden, aber er wusste, dass das Innere um einiges gastfreundlicher war … für Männer wie ihn. Er verwendete das vereinbarte Klopfsignal, welches hier als geheimes Zeichen für den Zutritt benutzt wurde.

Die ältere Dame öffnete ihm selbst. Als sie ihn erkannte, schenkte sie ihm ein verschmitztes Lächeln. „Guten Abend, es freut mich, Sie wiederzusehen.”

„Einen wunderschönen guten Abend und die Freude ist ganz meinerseits”, erwiderte er lächelnd, trat ein und legte einige Münzen in die bereit gestellte Schale neben dem Eingang. Mrs Withers’ Molly House war ebenso wenig ein Bordell, wie manch andere Etablissements dieser Art, das wusste er vom Hörensagen, aber von irgendetwas wollten ja auch hier die Rechnungen bezahlt werden. Im Grunde war es ein Club für Gentlemen, wenn auch für Gentlemen mit … speziellen Neigungen, die verboten waren. Daher musste hier alles im Verborgenen stattfinden.

Er ging hinüber in den Garderobenraum, in dem bereits mehrere „Damen” sich umzogen. Männer wie er, die hier in weibliche Rollen schlüpften. Wanton Wendy zog den Bauch ein, während die Sally ihr das Mieder schnürte. Es duftete leicht nach Lavendel und Rosen, sie hatten sich parfümiert.

Florian zog die mitgebrachte Kleidung aus der Tasche, fließende roséfarbene Baumwolle mit einem Blumenmuster am Rand. Dazu das Mieder. Die Damenmode dieser Tage bestand aus locker fließenden, zum Teil fast durchscheinenden Stoffen, die Taille hoch angesetzt und die Ärmel kurz und bauschig. Dazu eng anliegende, lange Handschuhe. Angelehnt war das an Vorbilder aus der griechischen und römischen Antike, was sich auch in den teilweise helmartig wirkenden Hauben der Damen widerspiegelte. Der Klassizismus hatte Einzug gehalten in England, und mit ihm waren die Röcke und hoch aufgetürmten Perücken vergangener Generationen verschwunden.

Eine alte Modeerscheinung wurde von den Mollys weiterhin gepflegt — sie schminkten sich die Gesichter weiß, wie ihre Eltern oder Großeltern es früher, vor der Revolution in Frankreich, zu tun pflegten. Es verlieh ihnen ein etwas maskenhaftes Aussehen, doch mit der weißen Schminke ließen sich sogar Bartstoppeln einigermaßen übertünchen.

Florian setzte sich vor den Spiegel und breitete die Utensilien auf dem kleinen Tisch aus. Während er sich schminkte — das Gesicht weiß, die Wangen und Lippen rot, die Augen schwarz umrandet, passierte es wieder. Zusehends verwandelte er sich in Flora.

Sie war so ganz anders als Florian, der war eher schüchtern, doch sein anderes Ich flirtete kokett mit den Herren, die hierher kamen, scheute weder unanständige Witze noch Gefummel. Und auch an dem, was die „Damen” und die Herren hier in einem der hinteren Zimmer trieben, fand Flora Gefallen. Sie entsann sich jenes Abends, als sie zum ersten Mal hierher gekommen war …

 

*

 

Florian lernte den blonden, attraktiven Mann in einem Wirtshaus kennen, setzte sich neben ihn an den Tresen.

„Guten Abend”, sagte er in der Hoffnung auf ein Gespräch.

Die Kleidung seines Gegenübers wies diesen klar als Marinemitglied aus — die blaue Jacke, die hellen Hosen und das Halstuch. Eigentlich fehlte nur noch der passende Hut dazu. Vor ihm stand ein Glas Ale.

„Auf Landurlaub?” fragte Florian ihn.

„Geht Sie zwar nichts an, aber ja”, erwiderte der Mann augenzwinkernd. Noch nie hatte ein Mann ihm zugezwinkert. Seltsam… Doch er mochte dessen Lächeln.

„Samuel Perkins.”

„Florian Lettersfield.”

„So so, und was machen Sie so, Mister Lettersfield?”

„Ich bin Gärtner.”

„Ach, was Sie nicht sagen…” Perkins wandte sich an den Wirt. „Noch ein Ale bitte.”

Eine Weile unterhielten sie sich über ihre so unterschiedlichen Berufe.

„Wussten Sie, dass Blumen eine eigene Sprache haben?”

„Wie soll das denn gehen?”

„Nun Blumen und Blumensträuße sind sehr beliebt, nicht wahr? Ein Gentleman kann einer Dame Blumen schenken und je nach den verwendeten Blumen damit unterschiedliche Dinge zum Ausdruck bringen. Nehmen Sie nur einmal Liliengewächse als Beispiel… Das Maiglöckchen steht für eine Rückkehr des Glücks, aber auch für Bescheidenheit. Orangefarbene Lilien symbolisieren Wohlstand, weiße Lilien dagegen Süße und Reinheit. Gelbe Lilien stehen für Lebensfreude, die Calla-Lilien für Schönheit.” Er überlegte kurz und erinnerte sich an die Lilien auf seinem Fächer. Taglilien. „Die Taglilie steht für das Kokettieren. Die Tigerlilie wiederum verbindet man mit Reichtum und mit Stolz.” Er lächelte. „Sehen Sie, jede einzelne Blume hat eine Bedeutung. Und je nachdem, was man jemanden mitteilen möchte, kann man gewissermaßen durch die Blume sprechen.”

„Ich verstehe. Na, das hört sich vergnüglich an. Nicht dass ich etwas damit anfangen könnte…”

„Warum nicht?”

Perkins leerte sein Glas und sah zum Wirt. Der sprach gerade am anderen Ende des Tresens mit einem Gast. Auf einmal beugte sich Perkins vor und sah Florian direkt in die Augen. „Ich habe ja Landurlaub, aber ich hoffe nicht darauf, dass mir irgendwelche Damen selbigen versüßen. Wenn Sie verstehen, was ich meine…” Er hatte seine Stimme gesenkt.

Warum war ihm mit einem Mal so warm? Lag es nur am Alkohol? Florian wich einige Zentimeter zurück, während Perkins ihn noch immer mit seinem Blick fixierte. Und das war nicht alles, denn im nächsten Moment lag dessen Hand auf seinem Knie. Florian durchfuhr diese Berührung wie ein Blitzschlag, er zuckte zusammen.

Perkins seufzte und nahm seine Hand wieder weg. „Verzeihung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.”

Florian schüttelte unmerklich den Kopf. Die Berührung … sie war so … er wollte mehr davon. Und er war nicht einmal betrunken. „Ich … ich fand es eigentlich recht angenehm”, brachte er mit belegter Stimme hervor.

Einen Moment lang musterte Perkins ihn prüfend und warf einen Blick zum Wirt herüber, der gerade einem weiteren Gast ein Glas einschenkte. „Kann ich Ihnen vertrauen, Lettersfield? Ich habe nämlich keine Lust, Bekanntschaft mit der Polizei zu schließen…”

Florian räusperte sich. „Ich auch nicht.”

Perkins warf einen Blick auf die Wanduhr, die schräg gegenüber hing.

Dann sah er ihn ein weiteres Mal eindringlich an. „Wissen Sie, immer wenn ich auf Landurlaub hier bin, statte ich einem Club einen Besuch ab.”

Florian fühlte ein Kribbeln in seinem Magen und ihm wurde immer heißer, je länger Perkins ihn mit diesen bohrendem Blick ansah.

„Was für ein Club?” Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.

„Kommen Sie, trinken wir aus, dann erzähl ich Ihnen draußen mehr darüber.”

Eine knappe Stunde später waren sie in Mrs. Withers’ Club für Herren gelandet. Der Weg dorthin war für Florian wie ein Spießrutenlauf gewesen. Das Herz klopfte ihm zum Hals und er verspürte eine eigenartige Mischung aus Erregung und ein wenig Angst, was ihn wohl erwarten mochte. Zumal Perkins ihm bereits unterwegs das Versprechen abnahm, niemandem von diesem Etablissement zu erzählen, der nicht gewisse Vorlieben mit ihnen teilte.

„Ich denke, ich muss nicht näher erläutern, was für Vorlieben?”, fragte er verschmitzt.

Florian wurde fast schwindlig, als er das hörte. Er hatte nie zu hoffen gewagt, einmal jemanden zu finden, der so war wie er selbst. Der sich nicht für Damen erwärmen konnte…

„Ah, Mister Perkins, wie war es auf See? Und wen haben Sie uns mitgebracht?”, wollte die ältere Dame in dem pastellblauen Kleid mit hoher Taille wissen, welche sie in der kleinen Eingangshalle empfing.

„Auf See? Alles bestens, liebe Mrs. Withers. Das hier ist Mister Lettersfield. Er ist vertrauenswürdig.”

Die Dame schenkte Florian ein joviales Lächeln. „Das freut mich. Wir wollen hier schließlich alle keinen Ärger bekommen.”

Florian hatte sein Glück nicht fassen können an diesem Abend, als er die anderen Herren und die Mollys sah. Wie sie miteinander umgingen, wie sie scherzten, lachten, Geige spielten und dazu sangen. Und als Samuel ihn später in eines der Hinterzimmer mitnahm und dort Dinge mit ihm tat, die er nie zu träumen gewagt hätte…

 

*

 

Vier Jahre war das mittlerweile her. Noch immer dachte er gern an Samuel zurück, den er danach nur selten bei Mrs. Withers gesehen hatte. Aber das war verständlich, da dieser nun mal zur See fuhr und nicht oft in London war.

Angesichts der anderen Mollys fand Florian später den Mut, sich ebenfalls zum Weib zu machen, auch wenn es nur ein Spiel war, ein Vergnügen, dem hier viele nachgingen. Er wurde ja nicht wirklich zu einer Frau, er tat nur so. Aber er liebte es, diese Seite von sich hier leben zu können, ohne Angst vor Spott oder schlimmeren Reaktionen. Sie alle hier bei Mrs. Withers bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft, die so ganz anders war als sein Alltag, dass es ihn immer wieder aufs Neue verzauberte.

 

Flora hatte sich zu Ende geschminkt. Dazu noch die Perücke und die Straußenfedern als Kopfschmuck, und natürlich das Kleid. Die Seidenstrümpfe, die sie so liebte, nur die Schuhe bereiteten Schwierigkeiten, denn die Füße waren einfach zu groß für die Damenmodelle. Sie konnte schlecht zu einem Schuster gehen und Damenschuhe in ihrer Größe anfertigen lassen. Das hätte nur unangenehme Fragen mit sich gebracht und ihr fehlte auch schlichtweg das Geld für solch eine Maßanfertigung. Doch auf dem Boden hier lagen Teppiche, welche die Kälte fernhielten, deshalb konnte sie in den Strümpfen umhergehen und auf die Herrenstiefel verzichten.

Jeden kannte sie hier beim Namen — von den „Damen” ausschließlich die entsprechenden weiblichen. Niemand hier wusste, wie Flora wirklich hieß, bis auf Samuel Perkins und einen Bekannten, Nicholas, aber der lebte mittlerweile in Indien.

Sie schaute sich um. Pete und Jeremy saßen engumschlungen auf einem Sofa, während Reginald — der hier im Molly House den Part eines Gentlemans gegenüber dem einer Dame bevorzugte — ein schmutziges Lied auf der Geige zum Besten brachte.

 

The tune soon I played her as low down I laid her

While with smiles she encouraged every lively strain

And sighing said never, from your Sally sever

As long as you play the tune ‚Do it again.’1

 

Als der Name Sally fiel, warfen viele der entsprechenden „Dame” verschmitzte oder anzügliche Blicke zu, und das tat auch Reginald. Sally kicherte amüsiert. Das weiß geschminkte Gesicht nahm einen rosafarbenen Hauch an. Reginald fuhr fort mit seinem unanständigen Lied:

 

My bow being relaxed which I showed to the maiden

And told her unstrung for a while t’would remain

For altho’ she lay gasping she impatiently grasped it

Which tightened each string so I played her again.

 

All this was amusing yet fear of abusing

From further performance I wished to refrain

Against this she protested, saying her happiness rested

In playing the tune they call ‚Do it again.’

 

„Mach es noch einmal!”, rief einer der Herren übermütig und applaudierte. Reginald schüttelte den Kopf. Er legte die Geige auf einem Beistelltisch ab, warf Sally eine Kusshand zu und erklärte grinsend: „Oh ja, ich werde es noch einmal mit Sally tun. Aber nicht hier, ihr Lüstlinge!”

Lachend verschwanden die beiden im Flur.

Flora wusste nur zu gut, worauf sie aus waren. Sie passten gut zusammen — ebenso wie Pete und Jeremy, die schon älter waren und einander ähnlich sahen, wie füreinander geschaffen.

Flora hatte keinen Galan, der sie umwarb. Und sie selbst hielt es lieber mit den Schmetterlingen, die bald hierhin, bald dorthin flatterten. Manche der Herren hatten einen Liebsten und waren diesem treu ergeben. Niemand kam auf die Idee, solche Beziehungen zu stören, vor allem, da sie nur hier ungestört möglich waren. Pete und Jeremy waren solch ein Paar. Andere witzelten vielleicht manchmal darüber, dass sie schon fast wie ein altes, langweiliges Ehepaar waren, doch niemand drängte sich zwischen sie.

Die blonde, korpulente Restless Ruth hatte sich des jungen schüchternen Williams angenommen und er war richtig aufgeblüht, auch wenn aus ihm wohl nie ein Draufgänger werden würde.

Flora empfand ein heimliches Vergnügen, die anderen zu beobachten und sich zu überlegen, wer am besten zu wem passte — was besonders spannend war bei Neuzugängen wie William.

Oder sie versuchte zu raten, wer wohl mit wem an diesem Abend sein Vergnügen finden würde. Meistens lag sie richtig, sie konnte Menschen gut einschätzen. Nur ihr eigenes Herz, das war ihr oft ein Rätsel. Eine Weile lang hatte sie damals von Samuel geträumt. Später von dem Tuchhändler, Nicholas Aldersmith, der mittlerweile mit einem Matrosen sein Glück in Indien gefunden hatte. Sowohl für Samuel als auch für Nicholas hatte sie ein wenig geschwärmt, aber weder der eine noch der andere hatte ihre Gefühle erwidert, auch wenn sie sich gut verstanden.

Seitdem setzte Flora alles daran, sich nicht ernsthaft zu verlieben. Nein, es war viel besser, unverbindlich zu bleiben und sich einfach ein wenig zu vergnügen. Und das hatte sie hier in Mrs Withers’ Etablissement, welches ihr zu einem zweiten Zuhause geworden war. Denn nur hier konnte sie Damenkleidung tragen, sich als Frau geben, diese feminine Seite von sich zeigen, die nirgendswo sonst erwünscht war.

Nathan kam herein mit einem Herrn, den Flora noch nie gesehen hatte. Ein Neuzugang? Sofort hatte der Mann ihre gesamte Aufmerksamkeit. Auch wenn es unhöflich war, jemanden anzustarren, kam sie nicht umhin, diesen Gentleman anzusehen, der auffallend elegant gekleidet war — selbst hier unter den Herren, die dem großen Vorbild Beau Brummell nacheiferten, ein Lebemann, der durch seine Eleganz von sich reden machte. Der Fremde trug hohe, glänzende Stiefel, eine helle Hose, dazu eine dunkle Jacke mit gestickten Verzierungen auf dem Revers, mit polierten Knöpfen in Doppelreihe dazu ein aufwändig gebundenes Halstuch und einen hohen, steifen Kragen.

Doch noch viel auffälliger war sein Gesicht, blass und voller rötlicher Sommersprossen, die Haare rötlich braun und ein wenig kraus. Seine Augenfarbe war im Kerzenschein nicht zu erkennen, doch sein Blick wirkte freundlich und offen, als er Flora streifte. Der Fremde nickte ihr leicht zu und nahm dabei seinen Hut ab.

Floras Mund wurde ganz trocken, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Dummes Ding! Wer wird denn bei einem Neuzugang gleich so reagieren. Ihrem Herz war der Tadel offenbar egal, es hämmerte in der Brust.

Immer wieder sah sie zu Nathan und dem Fremden hinüber, die an einem Tisch Platz nahmen, Wein tranken und sich leise unterhielten. Sie wirkten allerdings nicht allzu vertraut miteinander, schien es ihr. Vielleicht kannten sie einander noch nicht lang? Vielleicht war es ähnlich wie mit Samuel und ihr damals?

Kurz darauf standen beide auf und gingen herum. Offenbar wollte Nathan den Neuen mit den anderen bekannt machen. Flora klappte den mit Lilien bemalten Fächer auf und fächerte sich damit etwas Luft zu, denn auf einmal erschien ihr der Raum viel zu warm.

Nervös beobachtete sie, wie Nathan und der Andere immer näher kamen in ihrer Begrüßungsrunde. Am liebsten wäre sie aufgestanden und weggelaufen. Flora, du bist doch kein Neuling mehr hier!, gab es Schelte von einer Stimme in ihrem Inneren.

„Guten Abend, Flora.”

„Guten Abend, Nathan.”

„Darf ich vorstellen, das ist Terence.”

„Sehr erfreut, Miss Flora”, sagte der Vorgestellte mit einer angenehm tiefen, vollen Stimme.

Falls er die Töne gut halten kann, ist er gewiss ein guter Sänger. Ach, was für ein unnützer Gedanke in dieser Situation.

Terence griff nach ihrer Hand und deutete einen Handkuss an, während er sich leicht verneigte.

Flora fühlte ein Kribbeln in der Magengegend … und noch ein Stockwerk tiefer.

„Hast du Lust, mit uns einen Wein zu trinken, liebe Flora?”

Das war im Grunde zweideutig, denn aus dem Weintrinken mochten sich noch andere Dinge entwickeln. Oder auch nicht. Aber diese Einladung nahm sie nur zu gerne an, auch wenn ihr die Sprache anscheinend vorübergehend abhanden gekommen war. Deshalb nickte sie einfach nur und schlug die Augen nieder, was sie gewiss wie ein schüchternes Mädchen erscheinen ließ.

Sie folgte den beiden zum Tisch, strich sich über das Kleid und nahm neben Terence Platz. „Woher…” Sie musste sich räuspern. „Woher kennt ihr euch?” Ach, wie dumm, gleich so mit der Tür ins Haus zu fallen, schalt sie sich. Warum war sie auf einmal so nervös? „Verzeiht meine Neugier, das war unhöflich.”

„Es tut nichts zur Sache, wie wir uns kennengelernt haben”, sagte der Neue. „Aber ich freue mich sehr, dass Nathan mich hierher eingeladen hat. Es gefällt mir hier.” Er lächelte, so dass winzige Lachfalten an seinen Augen erschienen.

„Kannst du singen?”, fragte Flora.

„Ein wenig. Warum?”

„Wir singen hier gern hin und wieder.”

Nathan kicherte. „Wunderbar schmutzige Lieder. Gelegentlich aber auch romantische.”

„Nun, vielleicht kann ich die Sänger dann ja verstärken”, erwiderte Terence und trank einen Schluck.

Sie plauderten ein wenig mehr, doch Terence gab so gut wie nichts preis über sich. Flora ärgerte das ein wenig, aber es machte sie auch neugierig. Auf der anderen Seite fiel es schwer, sich über diesen bezaubernden Neuzugang ernsthaft zu ärgern, der sie noch dazu immer wieder intensiv betrachtete. Wenig später strich er wie zufällig mit seiner Hand über Floras Arm. Die Berührung war flüchtig, dennoch zuckte Flora leicht zusammen, denn ihr war, als ob ihre Haut Feuer gefangen hatte. Der Eindruck verging wieder, so rasch, wie er gekommen war.

Nathan klatschte mit einem Mal in die Hände. „Ich finde, der Abend ist nicht nur zum Trinken da. Was haltet ihr davon, wenn wir drei uns ein wenig zurückziehen?”

Flora bekam augenblicklich wieder einen trockenen Mund, obwohl sie doch gerade eben noch Wein getrunken hatte.

Terence blickte ihn fragend an. „Ich möchte mich keinesfalls aufdrängen…”

„Keine Sorge, so empfinde ich es nicht. Ich würde mich freuen, wenn wir drei uns ein wenig vergnügen.”

Der Gedanke, es mit Nathan und diesem Herrn hier zu tun, versetzte ihren Unterleib in Brand. Auch Nathan schien es eilig zu haben. Sie verließen den Hauptraum und gingen in den Flur.

Aus einem der beiden Hinterzimmer kamen unmissverständliche Geräusche. Ein Kichern und Stöhnen. Ein Ächzen und ein Körper, der im schnellen Rhythmus gegen einen anderen klatschte, wieder und wieder. Flora hatte derlei schon oft hier gehört, doch neben dem Neuen wurde sie auf einmal verlegen angesichts dieser Geräuschkulisse. Rasch wandte sie den Blick ab.

„Ist es euch unangenehm?”, fragte Terence, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Nein. Ich bin nur etwas verlegen, denn wir kennen uns ja noch nicht.”

„Ich möchte nicht, dass … bitte, fühle dich nicht gedrängt, wie ich schon sagte…”

Flora lachte, doch es war nicht das übliche eher weibliche Lachen. Es klang rau, doch sie brachte es nicht anders heraus. „Keine Sorge, ich bin schon lange hier zu Gast und ich weiß genau, was hier in diesen beiden Zimmern vor sich geht. Und ich fühle mich keineswegs von dir oder Nathan gedrängt etwas zu tun, was ich nicht will.”

„Danke für deine offenen Worte”, erwiderte Terence. „Ich muss gestehen, dass ich selbst etwas nervös bin, doch ich freue mich, dass ihr … also dass ihr …”

Er schien um Worte verlegen. Nathan blieb lachend stehen und küsste ihn. Flora betrachtete die beiden. Ob sie wohl ein gutes Paar abgeben würden? Die Frage war auch, wen Terence bevorzugte … eine Molly, also einen femininen Mann? Oder eher einen, der ihm selbst glich? Vielleicht würde sie das gleich herausfinden…

Nathan klopfte an der Tür des zweiten Zimmers an. Undeutlich erklang eine Stimme. „Gebt uns noch fünf Minuten.”

„Ist gut”, rief Nathan.

Sie blieben im Flur stehen. Terences Gesicht hatte sich leicht gerötet, er wirkte mindestens so nervös, wie Flora sich fühlte. Es war schon eine Weile her, seit er sich mit zwei Männern zugleich vergnügt hatte. Einer von ihnen war Jeremy gewesen, aber damals war Pete noch kein Gast des Clubs. Wie lange war das schon her... die beiden waren ja schon seit mehr als einem Jahr ein festes Paar. Der andere Herr war aus London fortgezogen und Flora hatte ihn nie wieder gesehen.

In ihrer Anfangszeit hier hätte sie das nie gewagt, mit zwei Herren gleichzeitig, ja sie hatte bei solchen Anfragen gescherzt, dass sie „ein anständiges Mädchen” sei. Doch mit der Zeit war sie wagemutiger geworden.

Endlich öffnete sich die Tür. Reginald und Sally kamen heraus, beide etwas zerzaust, aber mit glühenden Gesichtern. Offenbar hatte Reginald sich sein Lied ,Do it again’ zum Vorbild genommen und Sally mehr als einmal bespielt ...

Nathan machte sie mit Terence bekannt, danach gaben sie den Weg zum Zimmer frei, in dem sich ein Bett befand. Es war schmal, doch nicht zu sehr, als dass sie es nicht nutzen konnten. Das Fenster stand leicht offen, die Nachtluft wehte hinter der zugezogenen Gardine herein. Gewiss hatte Reginald es mit dem Gedanken geöffnet, nach dem, was er hier mit Sally getrieben hatte, ein wenig zu lüften. Doch es wurde kühl hier, deshalb ging Flora hinüber und schloss das Fenster wieder.

Nathan und Terence sprachen leise miteinander, begannen sich gegenseitig zu entkleiden, bis auf die Hosen. Was für einen heißen Anblick die beiden dabei boten ... Flora betrachtete sie und fächelte sich Luft zu, weil ihr immer wärmer wurde. Am liebsten hätte sie die Perücke abgenommen, doch sie war ein Teil von Flora.

„Und wie ist es mit dir, liebe Flora?”, fragte Nathan.

„Ich muss doch sehr bitten. Ich bin eine Dame”, kokettierte sie scherzend. „Ich werde mich gewiss nicht ausziehen vor euch. Aber ich werde meinen Haarschmuck abnehmen.”

Vorsichtig entfernte er den Haarkamm, an dem die Straußenfedern befestigt waren. Das Kleid und die Perücke anzubehalten, war die einzige Möglichkeit, die spielerische Illusion einer Frau aufrechtzuerhalten. Außerdem forderte es Geschick, das Mieder zu öffnen, weil die Schnürung hinten war.

Angesichts der Tatsache, dass die beiden Hinterzimmer heiß begehrt waren, verzichtete Flora stets darauf, sich auszuziehen, um Zeit zu sparen. „Wenn ihr wissen wollt, wie es unter meinem Kleid aussieht, dann findet ihr es gewiss auch so heraus”, sagte sie mit einem anzüglichen Lächeln.

„Oh, das möchte ich wirklich gern”, sagte Nathan mit einer eben solchen Miene. Terence schwieg. Ob er Nathan begehrte oder sie, oder überhaupt einen von ihnen beiden, das vermochte Flora nicht zu erkennen. Das irritierte sie. Gleichwohl, sie würde es schon noch herausfinden ...

„Meine Liebe, möchtest du es dir vielleicht auf dem Bett bequem machen?”, fragte Nathan – als ob er einen Ehemann spielte, der mit seiner Frau in ihrem Schlafzimmer sprach.

Flora lächelte und deutete einen Knicks an. „Gewiss doch.”

„Ich denke, ich werde etwas Feuerholz im Kamin nachlegen”, sagte Terence plötzlich und wandte sich ab. Nathan sah kurz zu ihm hinüber, ehe er sich zu Flora auf das Bett legte.

Nathan, erinnerte sie sich, war oft ein wenig ungestüm und musste manchmal ein wenig gebremst werden. Da, wie erwartet, schon schob er seine Hand unter das Kleid und ließ sie zielstrebig nach oben wandern. Floras Blick wanderte zu Terence hinüber, der sich am Kamin zu schaffen machte. Ob er plötzlich Angst bekommen hatte vor dem, was sie hier taten? Oder ob er einfach schüchtern war, wenn es um die Fleischeslust ging? Oder irritierte es ihn, dass sie sich dieser zu dritt widmeten?

Nathans Berührungen lenkten Flora von diesen Überlegungen ab. Sehr, denn sie fühlte wie das Blut dort hinein floss und das Geschlecht füllte, hart werden ließ und die Nerven bis zum Zerreißen spannte. In solchen Momenten wusste sie nicht mehr, was sie war. Ein weiblicher Mann, das traf es wohl am ehesten. Oder eine männliche Frau? Aber nein, das ergab keinen Sinn, oder doch?

Die Gedanken versiegten, als sie sich mehr und mehr dem reinen Gefühl hingab, denn auch wenn Nathans Berührungen ein wenig ungelenk und grob waren, verfehlten sie doch nicht ihr Ziel. Terence … ein Blick zu ihm hinüber. Er stand am Kamin, sein Gesicht beleuchtet von den Flammen. Sah zu ihnen herüber, beobachtete sie. Anzeichen von Erregung suchte Flora allerdings vergeblich bei ihm … waren sie und Nathan denn so unansehnlich?

„Willst du nicht zu uns kommen?”, rief Nathan ihm zu.

Terence folgte der Aufforderung zögernd.

„Nur keine Scheu. Wir beißen beide nicht … oder nur gelegentlich”, Nathan versuchte eine todernste Miene zu machen, was ihm nicht gelang. Die Mundwinkel verzogen sich zu einem anzüglichen Grinsen.

Er schob Floras Röcke hoch. Ein kühler Lufthauch strich über die Beine in den Strümpfen, über das Geschlecht, das Nathan nun losließ, um sich Terence zu widmen. Nun war es an Flora, den beiden zuzusehen, doch sie selbst blieb auch nicht untätig, sondern rieb sich selbst ... wenn auch nur halbherzig, der Anblick der beiden war einfach zu ablenkend.

Nathan trat näher zu Terence heran und knetete dessen Glied, welches ohne das geringste Anzeichen von Erregung aus dem Hosenlatz hing. Eine ganze Weile machte er das, doch es regte sich nichts.

„Hmm, da ist jemand wohl ein wenig… uninteressiert?”, fragte Nathan. „Vielleicht müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.”

Terence wirkte verlegen, er senkte den Blick. Vielleicht war das hier schlichtweg zu viel für ihn?

Jetzt sah er wieder zu Flora hinüber. Was für schöne Augen… Flora hätte darin versinken mögen. Ihre Erregung nahm zu, sie begann sich stärker zu reiben, während sie Terence immer noch ansah. Längst stand ihr Unterleib in Flammen, die Wärme dieser Glut zog bis hinunter in die Beine und bis in ihren Bauch. Das Geschlecht pochte unter ihren Fingern.

Nathan ließ auf einmal von Terence ab und räusperte sich. „Was haltet ihr davon … wenn du, liebe Flora, rätst, wer von uns beiden dich nimmt?”

Ach du liebes Bisschen... Das war etwas, was sie noch nie versucht hatte. Auch hatte Nathan sie noch nie genommen, auch wenn sie bereits andere Dinge miteinander getan hatten. Aber gewiss wäre es ein Leichtes, dies zu raten? Denn selbst mit geschlossenen Augen standen ihr ja noch andere Sinne zur Verfügung.

„Aber dich, Nathan, würde ich sofort an einem Stöhnen erkennen. Ich kenne deine Stimme nur allzu gut. Eben so deinen Geruch…”

Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie an Terences tiefe Stimme dachte, die ganz anders war als Nathans.

„Dem Letzteren können wir leicht Abhilfe schaffen”, sagte Nathan mit einem verschmitzten Lächeln und deutete auf den Parfümflakon, der sich in einem kleinen Wandregal befand und für die Mollys bereit stand. „Wir werden uns einfach alle parfümieren, so wird unser Körpergeruch zumindest überdeckt. Und Terence und ich werden einfach keinen einzigen Laut von uns geben, damit dir das Raten nicht allzu leicht fällt.”

Terence zögerte.

„Nicht so schüchtern, das wird gewiss ein Spaß!”, sagte Nathan lachend zu ihm. Wenig später erfüllt ein Duft nach Hyazinthen den Raum, den Flora angenehm fand.

„Wartet kurz”, fiel Nathan ein. „Terence und ich sollten uns absprechen, schätze ich. So, dass du es nicht hörst.”

„Dann werde ich mich einfach schon einmal umdrehen und meine Augen schließen …” Flora schob das Kleid so weit hoch wie möglich und drehte sich auf den Bauch. Sie schloss die Augen, das blendete augenblicklich die Wahrnehmung des Raumes aus. Nun konnte sie sich ganz auf die Sinnlichkeiten konzentrieren, die sie erwarteten. Ihre Haut kribbelte. Ihr eigenes Geschlecht pochte noch immer und ihre Erregung steigerte sich angesichts der delikaten Situation noch mehr. Ein Rauschen erfüllte ihren Kopf, und der sinnliche Duft der Blumen… Wer von den beiden würde … Flora hörte sie miteinander flüstern. Sie machten ihr das Raten wirklich nicht einfach, denn sie merkte, dass sich nicht ein einzelner Körper, sondern zwei zu ihr auf das Bett legten, dessen Matratze leicht nachgab.

Aber unmöglich zu sagen, welcher dieser Körper Nathan und welcher Terence gehörte…

Im Raum war es still, nur ihre Atemgeräusche waren zu hören. In ihrem Inneren rauschte das erhitzte Blut, welches dringend Abkühlung brauchte. Schweiß stand ihr auf der Stirn, lief unter der Perücke hervor, vermutlich war auch ihre Schminke schon in Mitleidenschaft gezogen, aber egal…

Flora hockte sich leicht hin. Da, erst eine Hand, dann zwei glitten die Beine hinauf, über die Strümpfe. Sie zuckte zusammen, als eine dritte Hand sich dazu gesellte.

Dann ging ihr auf, was Nathan wortwörtlich gesagt hatte. Flora könne raten, wer sie am Ende nehmen würde – nicht, wer sie nun streichelte. Sie würde sich überraschen lassen müssen. Hoffentlich würde sie richtig raten. Doch diese Überlegungen wurden zweitrangig, als vier Hände sie streichelten und liebkosten. Am liebsten hätte sie sich umgedreht, die Augen geöffnet, die beiden angesehen, doch sie wollte ihnen das Spiel nicht verderben. Und es war ja nicht so, dass sie es nicht genoss… es war köstlich, auf diese Weise berührt zu werden. Aber sie fühlte noch etwas anderes, für das sie noch keine Worte fand

Sie zuckte zusammen, als eine Zunge sich zu den liebkosenden Fingern gesellte, doch dann entspannte sie sich wieder. Bald lagen Hände auf ihrem Hintern, eine Zunge folgte, bereiteten ihn vor… ihr Atem ging nun schneller, aber auch der der beiden Männer hinter ihm.

Auf eine gewisse Weise fühlte sie sich den beiden ausgeliefert, doch es war kein verzweifeltes Gefühl, denn das hier war schließlich ein Spiel, was sie jederzeit abbrechen könnte, wenn sie es nicht mehr spielen wollte. Trotz allem, das hier ist ein Vorschuss an Vertrauen, denn ich kenne diesen Terence nicht näher. Flora verließ sich auf ihre Menschenkenntnis. Falls Terence… nein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser ihr weh tun würde. Aber was, wenn sie sich irrte? Das merkwürdige Gefühl gewann an Tiefe. Ein Unbehagen, das an die Oberfläche ihres Bewusstseins drängte.

Nathan und sein Bekannter bewegten sich hinter ihr, doch nur undeutlich nahm sie wahr, wie genau.

Das schmatzende Geräusch eines Kusses ... Dann fühlte sie einen der beiden direkt hinter sich, er schob sich näher heran, die Beine an seinen. Mit einem Mal holten sie ihre Gefühle ein. Das hier mochte ein Spiel sein, doch es gefiel ihr immer weniger. Das Unbehagen gewann die Oberhand. Flora wollte denjenigen ansehen, wollte seine Stimme hören, wenn sie sich liebten. Was sie hier taten, mochte auf den ersten Blick reizvoll und gewagt sein – doch wie unwohl war ihr nun dabei! Auch wenn in diesem Haus viele Spiele gespielt wurden und sie selbst immer wieder im Grunde in eine Rolle schlüpfte, die sie nur hier mit Leben füllen konnte ... Das hier ging ihr entschieden zu weit.

Abrupt drehte sie sich zur Seite, schlug dabei gegen ein Bein, wandte sich um. Nicht Terence war direkt hinter ihr, sondern Nathan. Ein Gefühl von Übelkeit stieg in ihr auf. Was für ein vermaledeites Spiel. Flora war, als ob hier auf ihren intimsten Gefühlen herumgetrampelt wurde – selbst wenn es gar nicht in der Absicht der beiden gelegen hatte. Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen? „Auf die Gefahr hin, euch das Vergnügen zu verderben. Ich will das nicht.”

Nathan gab ein unbehagliches Lachen von sich. „Ach, Flora…”

Terence musterte ihn mit einem besorgten Blick, setzte an, etwas zu sagen.

Floras Übelkeit nahm zu, sie ließ Terence gar nicht erst zu Wort kommen. Sie musste hier heraus, sofort. „Ich… mir ist nicht gut. Entschuldigt mich.”

Das Gesicht brannte ihr unter der Schminke. Hastig raffte sie die Säume des Kleides und stürzte aus dem Zimmer, in den Flur, öffnete die Tür zum Hinterhof. Dort übergab Flora sich in eine Ecke, würgte das wenige hoch, was in ihrem Magen war.

Sie war nicht betrunken gewesen, doch die ganze Situation war aus dem Ruder gelaufen. Was für eine dumme Idee, sich auf ein solches Spiel einzulassen. War sie zu empfindlich? Sie hatte es doch anfangs auch als aufregend empfunden, genau wie die beiden anderen. Was war nur los mit ihr? Sie wollte nur noch eines. Aus den Kleider heraus, sich die Schminke abwaschen und fort von hier. Der Abend war ihr gründlich verdorben.

Während sie in die Garderobe wankte, ging ihr auf, dass dieser Ort, der ihr zweites Zuhause geworden war, sich an diesem Abend nicht mehr wie ein solches anfühlte. Und schlimmer noch, sie fühlte sich wie verraten und verkauft, und das alles wegen eines dummen Spiels.

 


1 Übersetzung siehe Ende des E-Books

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739490793
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Mai)
Schlagworte
Crossdressing Regency queer Liebesroman 19. Jahrhundert historisch Romance Gay Historischer Liebesroman Historischer Roman

Autor

  • Amalia Zeichnerin (Autor:in)

Amalia Zeichnerin ist das Pseudonym einer Hamburgerin Autorin. Amalia schreibt Phantastik, Historisches, Cosy Krimis und Romance, gern mit queeren Protagonist*innen und Diversität, denn die Welt ist bunt und vielfältig.
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Titel: Ein Mann namens Flora