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Diversity in der Literatur

Essays

von Amalia Zeichnerin (Autor:in)
130 Seiten

Zusammenfassung

In diesem Essay-Band geht es um Diversität und Inklusion in der Literatur, Repräsentation von marginalisierten Menschen (z.B. queer/LGBTIAQ*, Menschen mit Behinderung, Neurodiversität, chronischen Erkrankungen u.a.). Weitere Themen sind Inhaltswarnungen, problematische Handlungsmuster (Tropes), Konsens, Sensitivity Reading, die Freiheit der Kunst, Weltenbau in der Phantastik und noch einiges mehr. Die Autorin ist intersektional; Teil mehrerer marginalisierter Gruppen. Sie möchte anderen Autor*innen Anregungen und Gedankenanstöße für mehr Diversität in ihren Werken bieten. Zu den Essays gibt es weiterführende Literatur, auch in einem Anhang.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Titel

Widmung

Vorwort

1 - Diversität und Repräsentation in der Literatur

2 - Verleidete Nostalgie

3 - Muss man die Kunstschaffenden von der Kunst trennen?

4 - Inklusive Phantastikwelten

5 - Alles ist politisch

6 - Triggerwarnungen in der Literatur

7 - Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen

8 - Ein Plädoyer für Diversität, Triggerwarnungen, respektvolle Sprache und Sensitivity Reading

9 - Die fatale Romantisierung von toxischen Beziehungen und anderen problematischen Tropes

10 - Konsens ist sexy

11 - Mehrfach marginalisiert – selten repräsentiert

12 - Über die Repräsentation von Bisexualität

13 - Muss Phantastik immer tödlich enden?

14 - Sensitivity Reading

15 - Was ist bitte »normal«?

16 - Gendergerechte Sprache in der Prosa

Anhang

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diversity in der Literatur

 

Amalia Zeichnerin

Essays

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch widme ich mit einem herzlichen Dank

all den Autor*innen, Buchblogger*innen, Verleger*innen

und allen anderen, die sich dafür einsetzen,

dass die Literatur diverser, inklusiver und vielfältiger wird.

 

Vorwort

 

Während sich in anderen Ländern, wie z.B. UK und USA, Diversität und Repräsentation von Minderheiten, von marginalisierten Gruppen, in Medien der Popkultur und der Literatur immer mehr etabliert hat, wird in der deutschsprachigen Literaturszene darüber noch immer heftig diskutiert. Manche Autor*innen fürchten angesichts von Triggerwarnungen/ Inhaltswarnungen, angesichts von Aufrufen zu gendergerechter Sprache und Sensitivity Readings um die Freiheit der Kunst oder befürchten eine Art Zensur ihres literarischen Schaffens.

Seit ca. 2018 habe ich mich als belletristische Autorin verstärkt mit Diversität und einer positiven Repräsentation von Minderheiten und marginalisierten Gruppen in der Literatur befasst. Ich bin mir auch darüber noch bewusster geworden, dass ich selbst Teil mehrerer marginalisierter Gruppen bin und was das für mich und meine schriftstellerische Tätigkeit bedeutet.

Zusammen mit der Hilfe anderer Leute habe ich eine Phantastikbücherliste erstellt, die Diversitätsthemen der Romane und Anthologien sichtbar macht. In diesem Zusammenhang habe ich 2020 auch zu einer Lesechallenge angeregt (#DiversityChallenge2020).

Bei Facebook habe ich zwei Gruppen gegründet: »Diversität und Repräsentation« und »Phantastik mit Diversität, Inklusion und Repräsentation«. Beide verstehen sich als Safe Space für Menschen, denen all diese Themen am Herzen liegen.

Die folgenden Essays, von denen sich einige speziell mit Phantastik befassen, sind ebenfalls in dieser Zeit entstanden. Sie haben keinen sozial-, geistes- oder literaturwissenschaftlichen Hintergrund und sind entsprechend keine wissenschaftlichen Texte, da ich keines dieser Felder studiert habe. Sie stellen vielmehr eine persönliche Auseinandersetzung mit den genannten Themen dar.

Ich hoffe, damit einige Anregungen und Denkanstöße zu mehr Diversität, Inklusion und Repräsentation in der Literatur zu geben. Ich muss dazu sagen, mit diesen Essays biete ich nur einen kleinen Ausschnitt zu diesen Themen, die selbstverständlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn zu all dem könnte man noch viele weitere Bücher füllen. Außerdem gibt es viele Stimmen im deutschsprachigen und internationalen Raum, die weitere vielfältige Perspektiven zum Thema Diversität bieten. Einiges ist im Anhang dieses Bandes zu finden, dort geht es um empfehlenswerte Bücher, Podcasts, Blogs und mehr.

Die Essays enthalten verschiedene Quellen, Links und weiterführende Literatur. Ich habe die Links vor der Veröffentlichung dieses Buches überprüft, übernehme aber für die entsprechenden Inhalte keinerlei Haftung und es kann auch sein, dass manche Links später nicht mehr gültig sind, z.B. wenn Blogger*innen ihre Blogs in andere Domains umziehen lassen.

Und last but not least ein Disclaimer: Ich erwähne in diesem Essayband viele marginalisierte Gruppen. Mitunter gibt es in diesen Gruppen unterschiedliche Vorstellungen zu Begrifflichkeiten über ihre Gruppe, bzw. manche Leute bevorzugen bestimmte Begriffe gegenüber anderen, z.B. „intergeschlechtlich” statt „intersexuell”.

Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen Begriffe gewählt, es kann allerdings sein, dass manche Leser*innen andere Ausdrücke bevorzugen würden. Zumal manche Begriffe weiterhin in den entsprechenden Communities diskutiert werden und ich dazu teilweise keine „offiziell gültigen” finden konnte.

Außerdem hätte es meinen persönlichen Rahmen gesprengt, für sämtliche in diesem Buch angesprochenen Themen Sensitivity Reader zu beauftragen. Für beides bitte ich um Verständnis.

Die Essays bauen nicht aufeinander auf, sie müssen nicht in der hier vorliegenden Reihenfolge gelesen werden.

 

Amalia Zeichnerin, im Juni 2020

1

 

Diversität und Repräsentation in der Literatur

 

In der deutschsprachigen Phantastikliteraturszene verfolge ich seit längerem Diskussionen über Diversität und Repräsentation. Auch in anderen Genres wird das diskutiert.

Zunächst einmal: Was ist Diversität? Sie ist ein Spiegel unserer vielfältigen, multikulturellen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der auch Minderheiten und marginalisierte Gruppen leben: Menschen mit Migrationshintergrund. Menschen mit Behinderungen. Queere Menschen (LGBTIAQ*). Menschen mit psychischen oder chronischen Erkrankungen. Menschen mit Neurodiversität. Menschen mit Körpern, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Menschen, die alternative Beziehungsformen leben, z.B. Polyamorie oder Patchworkfamilien. Menschen, die von Armut betroffen sind.

Diversität bietet die Möglichkeit, auch solchen Menschen eine Stimme zu leihen, sie zu repräsentieren – als Protagonist*innen oder Nebencharaktere. Das ist letztendlich eine Form der Inklusion. Auch in der Literatur.

Viele Autor*innen schreiben in erster Linie über Figuren ohne Behinderungen, Figuren, die weiß, allosexuell, dyageschlechtlich, cisgender, heterosexuell und neurotypisch sind.

Wer sich angesichts der Abkürzungen fragt, was das alles bedeutet:

 

allo(sexuell): Das Gegenteil zu asexuell

dyageschlechtlich: Das Geschlecht eines Menschen ist eindeutig binär, entweder weiblich oder männlich – das Gegenteil zu intergeschlechtlichen Menschen

cis(gender): Das Gegenteil zu transgender; cisgender Menschen haben das Geschlecht, das bei ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde

heterosexuell: das Gegenteil zu queer (LGBTIAQ*)

neurotypisch: das Gegenteil zu neurodivers (z.B. Menschen mit Autismus, ADHS, Asperger Syndrom oder psychischen Erkrankungen)

Hierzu möchte ich noch anmerken, dass sich vieles davon nicht absolut in Gegensatz-Paaren ausdrücken lässt, sondern dass es sich oft um ein ganzes Spektrum handelt. Das ist jeweils von Individuum abhängig und kann sehr unterschiedlich sein. Ich habe hier die vereinfachende Bezeichnung „Gegenteil” gewählt, um die Tendenz aufzuzeigen.

In vielen westlichen Ländern bilden weiße, dya/allo/cis/hetero/neurotypische Menschen ohne Behinderungen zwar die Mehrheit der Gesellschaft. Wer aber nur solche Menschen in seinen Geschichten abbildet, blendet damit viele andere kleinere Gruppen aus, die ebenfalls zu unserer Gesellschaft gehören.

 

Warum ist Diversität überhaupt wichtig?

 

Menschen, die keiner Minderheit angehören, sind in gewisser Weise privilegiert, während marginalisierte Menschen in ihrem Leben oft negative Erfahrungen machen, mitunter tagtäglich, z.B. Diskriminierung, Rassismus, queerfeindliches Verhalten, Antisemitismus oder noch andere und zwar verbal oder auch physisch, bis hin zu Gewalttaten. Mehr darüber schreibe ich in meinem Essay „Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen”.

Oftmals hat das noch dazu historische Gründe (z.B. Kolonialismus, Sklaverei, Illegalität von Homosexualität, massivste Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus und anderen totalitären Regimen und anderes).

Was hat das nun mit der Literatur zu tun? Belletristik, wie auch Theaterstücke, Comics/Graphic Novels, Filme, Serien und Spiele, also alle Medien, die Geschichten erzählen, bieten Leser*innen die Möglichkeit, sich mit den handelnden Charakteren mehr oder weniger zu identifizieren. Manche Charaktere können Mut machen, als Vorbild dienen, andere eher nicht.

Manche können Probleme erleben, die auch marginalisierte Menschen im Alltag haben und damit deren Realität widerspiegeln. Sie können in fiktionaler Form zeigen, wie man solche oder auch andere Probleme überwinden kann oder damit umzugehen lernt.

Damit bieten solche Charaktere letztendlich auch die Möglichkeit, Leser*innen Wege zu einer Art Empowerment (Handlungsfähigkeit) zu zeigen und das in einem geschütztem Rahmen, denn die Geschichten sind nicht real und bleiben sozusagen zwischen den Buchdeckeln.

Wenn in Büchern aber alle Charaktere wie oben beschrieben weiß, dya/cis/allo/hetero und neurotypisch sind, finden sich Menschen, die das nicht sind, darin nicht wieder. Natürlich können sie solche Geschichten trotzdem lesen, aber sie werden sich weniger mit den Charakteren identifizieren können, weil diese andere Lebenserfahrungen, andere Weltanschauungen oder einen anderen Sozialisationshintergrund als sie selbst haben.

Man könnte auch sagen, wer ausschließlich weiße, dya/cis/allo/hetero, neurotypische Charaktere ohne Behinderungen oder Erkrankungen schreibt, wendet sich damit letztendlich im Grunde nur an Leser*innen, die das auch sind. Und das ist zwar die Mehrheit unserer Gesellschaft im deutschsprachigen Raum, aber halt nicht die gesamte.

Ein weiteres Problem: Es gibt unzählige Bücher, die genau so gestaltet sind, es ist die Mehrheit an Publikationen. Bücher, die Diversität thematisieren – und das auf gelungene Weise – die muss man im deutschsprachigen Raum meistens noch immer suchen.

 

„Aber das ist doch alles Fantasie. Das hat doch sowieso keinen Einfluss auf das reale Leben.”

 

Auf den ersten Blick mag das stimmen. Allerdings gibt es Studien, die zeigen, dass der Konsum von fiktiven Inhalten sich durchaus auf Menschen, ihre Gedanken und ihr Verhalten auswirken kann. (1)

Entsprechend wird sich auch eine positive Repräsentation auf die eine oder andere Weise auf Leser*innen auswirken, die sich durch einen Charakter repräsentiert sehen.

Ein Beispiel: Falls du eine Frau bist und dir die Superheldinnen-Filme „Captain Marvel“ oder „Wonder Woman“ gut gefallen haben, könnte es zum Teil daran liegen, dass du dich hier als Frau durch eine Superheldin als Titelheldin repräsentiert gefühlt hast. Bis zu diesen beiden Filmen waren es fast ausschließlich männliche Superhelden, die auf der Leinwand und in Serien als Titelhelden agierten.

 

„Darf man denn gar nicht mehr frei schreiben, was man will?”

 

Während in anderen Ländern, z.B. UK und USA mittlerweile wie gesagt größtenteils etabliert ist, dass Diversität wichtig und wünschenswert ist, wird hierzulande noch viel diskutiert, ob das so ist. Ich habe mehrfach die Frage gelesen, ob man denn nun nicht mehr frei schreiben dürfe, was man wolle. Natürlich darf man das. Die Kunst ist frei. (2)

Entsprechend dürfen Autor*innen natürlich auch weiterhin Literatur ganz ohne Diversität schreiben, also mit den oben erwähnten weißen, dya/cis/allo/hetero, neurotypischen normschönen Menschen (oder Wesen) ohne Behinderungen, als Protagonist*innen und Nebenfiguren. Man muss allerdings dann damit rechnen, dass manche Leser*innen und Rezensent*innen bei solchen Büchern auf einen Mangel an Diversität hinweisen. Zumal dieses Thema auch in anderen Medien, z.B. Games, Comics/Graphic Novels, Serien und Filmen einen immer größeren Stellenwert gewinnt.

 

„Die Sexualität meiner Charaktere

interessiert mich nicht.”

 

Oft höre ich dieses Argument in Bezug auf queere Charaktere, oder auch: „Es gibt sowieso keinen Sex in der Geschichte”. Allerdings führt das zu folgendem Problem: Wenn man die sexuelle Identität und Orientierung seiner Charaktere nicht einmal ansatzweise andeutet, wird ein Großteil der Leser*innen sie einfach heteronormativ als cisgender/heterosexuell wahrnehmen – weil dass die Mehrheit an Menschen nun einmal ist und weil man es aufgrund der in vielen Fällen diversitätsarmen Literatur gewohnt ist, über solche Charaktere zu lesen.

Selbst wenn Sex keine Rolle spielt – Charaktere sind auf die eine oder andere Weise aufgewachsen, haben ihre Erfahrungen gemacht, hatten eventuell schon mal Sex (oder auch nicht), hatten eine Beziehung (oder auch nicht). Es ist ein Teil ihrer Sozialisation, möglicherweise sogar ein wichtiger. All das prägt sie, auch das Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen und das Zusammenspiel mit dem eigenen oder dem anderen Geschlecht bzw. anderen Geschlechtern. Oft reichen schon wenige Sätze in einer Geschichte, um zumindest anzudeuten, welche sexuelle Identität und Orientierung ein Charakter hat. Übrigens: Queere Charaktere müssen in einer Geschichte keinen Sex haben, um queer zu sein. (3)

 

„Aber ich kenne keine marginalisierten Menschen. Wie soll ich dann über sie schreiben?”

 

Für die meisten Geschichten muss man recherchieren, das gilt auch für die Genres der Phantastik. Also warum nicht auch über das Leben von Minderheiten recherchieren? Es gibt Erfahrungsberichte, (Auto-)Biografien, Blogs, Podcasts und vieles mehr, was sich dazu lesen/hören lässt oder auch Dokumentarfilme und Leute bzw. Gruppen in Social Media, in denen man Fragen stellen kann. Ja, das macht mehr Arbeit und man muss dafür eventuell seine Komfortzone ein Stück weit verlassen – aber es lohnt sich. Außerdem gibt es Sensitivity Reader: Menschen, die selbst zu einer oder mehreren marginalisierten Gruppen gehören und einen Text anhand der eigenen Lebenserfahrung beurteilen können. Solche Leser*innen können auf problematische Mikroaggressionen, Klischees und Stereotypen oder andere Probleme hinweisen (siehe dazu auch meinen Essay über Sensitivity Reading).

Und damit es keine Missverständnisse gibt: Niemand verlangt, dass Autor*innen in ihren Werken sämtliche marginalisierte Gruppen abbilden, die es gibt. Es müssen auch nicht direkt die Protagonist*innen sein, schließlich können auch Nebenfiguren eine Minderheit repräsentieren.

Und noch etwas: Immer wieder lese ich darüber, dass Klischees, Stereotypen und problematische Tropes im Zusammenhang mit Charakteren verwendet werden, die aus einer marginalisierten Gruppe stammen. Wer sich fragt, was Tropes sind, das sind typische Handlungsmuster, die innerhalb eines Genres, oder auch genreübergreifend häufig in verschiedenen Varianten auftauchen. (4)

 

Einige Beispiele für problematische Tropes

 

  • Die einzige Figur mit Behinderung wird ausschließlich über ihr Leid und ihre Behinderung definiert.

  • Die einzige Schwarze Figur ist Mitglied einer üblen Gang, Drogendealer oder auf andere Weise kriminell.

  • Die einzige Person of Color dient ausschließlich als „Funny sidekick” für den Protagonisten oder die Protagonistin

  • Die einzige queere Figur stirbt auf dramatische Weise (Trope „Bury your gays”)

  • Die einzige neurodiverse Figur wird nur über ihre „Andersartigkeit” und ihre Probleme mit sozialer Interaktion definiert, oder als einsames, verschrobenes „Wunderkind” dargestellt (z.B. Autismus, Asperger-Syndrom, Hochbegabung)

  • Die einzige schwule Figur ist der beste Freund der Protagonistin. (Trope „Gay best friend”)

  • Eine eigentlich heterosexuelle Figur „wird” für diese eine ganz besondere Person schwul (Trope „Gay for you”) – was eigentlich auch noch zum Problem der Unsichtbarkeit von Bisexualität führt (Trope: „No bisexuals”)

 

Diversität bedeutet nicht, eine marginalisierte Figur in seine Geschichte einzubauen und diese einfach um des Drama willen leiden zu lassen oder Stereotypen über die entsprechende Gruppe Menschen zu reproduzieren. Wenn solche Charaktere einfach als Plotdevice benutzt werden, um Spannung oder Emotionalität zu erzielen, ist das falsch verstandene Diversität.

Viele marginalisierte Menschen möchten in Büchern auch nicht mit Klischees und Vorurteilen über ihre Gruppe konfrontiert werden, denn das erleben sie ohnehin viel zu häufig in ihrem Alltag, bis hin zu Diskriminierungen, Übergriffigkeit oder Gewalt.

Viele von ihnen wollen dann nicht auch noch Geschichten darüber lesen. Vor allem nicht von Autor*innen, die davon nicht selbst betroffen sind und keine entsprechende Lebenserfahrungen gemacht haben. Deshalb gibt es die „Own Voices”-Bewegung, bei der betroffene Autor*innen über ihre eigene Erfahrungen schreiben oder diese in ihre Bücher mit einfließen lassen. (5)

 

Du möchtest diverser schreiben?

Hier ein paar Tipps:

 

  • Schreibe lebensnahe, realistische Charaktere, die nicht einfach als Plotdevice dienen und auch nicht nur als (lustiger) Sidekick.

  • Mach sie authentisch und menschlich, gib ihnen eigene Motivationen (eine eigene Agenda) und mehr Eigenschaften als nur das, was sie als Mitglied einer Minderheit kennzeichnet. Definiere sie nicht allein über ihr „Anders-Sein“, denn das ist Othering. (6)

  • Und keine Sorge, natürlich dürfen sie auch Schwächen und Macken haben, das macht sie menschlich. Vermeide aber Klischees und Stereotypen.

  • Sprich mit Leuten, die zu dieser Minderheit gehören, lerne von ihnen und suche nach Sensitivity Readern.

 

Diversität und Repräsentation in der Literatur stecken im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen.

Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Verlage kaum damit werben, dass ihre Bücher divers sind und auch aus Klappentexten und Leseproben ist das selten ersichtlich. Deshalb kann ich nur dazu aufrufen: Wenn du Rezensionen schreibst oder wenn du selbst divers schreibst, und die Möglichkeit dazu hast, weise darauf hin, z.B. im Klappentext oder zumindest in einen Buchbeschreibung. Das geht in den meisten Fällen auch ohne Spoiler.

 

Fußnoten


(1) Siehe: „The Psychology of Entertainment Media – Blurring the Lines Between Entertainment and Persuasion”

https://numerons.files.wordpress.com/2012/04/14psychology-of-entertainment-media.pdf

 

(2) Artikel 5 des Grundgesetzes, hier nachlesbar:

http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html

 

(3) Siehe auch:

https://alpakawolken.de/mein-charakter-hat-keine-sexualitaet/

 

https://alpakawolken.de/der-fluch-der-heteronormativitaet/

 

https://alpakawolken.de/repraesentation-geht-auch-ohne-sex/

 

(4) Hier eine englischsprachige Seite dazu:

https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/GenreTropes

 

(5) Siehe z.B. https://alpakawolken.de/ownvoices-sind-wichtig/

 

(6) Othering ist die Abgrenzung der eigenen Gruppe von anderen, meistens unter sehr negativen Vorzeichen, siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Othering

 

Ein weiterer Text zum Thema

 

https://www.tor-online.de/feature/und-der-ganze-rest/2017/04/can-we-talk-ein-plaedoyer-fuer-mehr-diversitaet-in-der-fantastik/

2

 

Verleidete Nostalgie


Inhaltswarnung: Rassismus, N-Wort, Queermisia


Manchmal bin ich frustriert, dass Popkulturelles, was ich als Kind oder Jugendliche mochte, sich nun für mich als -istisch herausstellt. Rassistisch. Sexistisch. Queerfeindlich. Ableistisch, oder noch anders menschenverachtend oder zumindest verletzend.

Das Kinderlied „Drei Chinesen mit dem Kontrabass”? Rassistisch. (1)

Ganz zu schweigen von all den vielen älteren Büchern, in denen vollkommen unreflektiert das N-Wort genannt wird. Ich erinnere auch daran, dass ein langjährig etablierter Fantasyautor vor einiger Zeit auf einer Veranstaltung davon sprach, er werde das N-Wort auch weiterhin verwenden.

Gefühlt eine Million romantischer Komödien der letzten Jahrzehnte – heteronormativ, frauenfeindlich, sexistisch, mit veralteten oder sehr konservativen Vorstellungen von Gender. Oft sind auch toxische Tropes enthalten, wie Stalking (gern romantisch verklärt als „das Erobern einer Frau”) oder Gaslighting. (2)

Dass die einzige queere Figur in einem Film auf dramatische Weise stirbt, war lange Zeit so sehr der Standard, dass ich es früher nicht einmal hinterfragt habe. Dieser Trope nennt sich „Bury your gays”. (3)

Ich könnte nun noch viele Beispiele nennen. Man schaue sich einmal an, was Latina und BI_PoC (Abkürzung für Black, Indigenous, People of Color) in Hollywood häufig früher – und auch noch heute – für stereotype Nebenrollen angeboten bekommen (haben). Zum Beispiel: Raumpflegerin, Nanny, Kleinkriminelle, Gang-Mitglied, Service-Kraft, Drogensüchtiger oder auch der funny Sidekick der weißen Protagonist*innen.

Ich bin frustriert. Filme/Serien, die älter als zehn bis zwanzig Jahre sind, sind oft voll solcher problematischen Tropes. Bücher ebenso. Ich habe keine Lust mehr darauf, mir das anzusehen oder es zu lesen. Die Nostalgie, die ich dabei empfinden könnte, weil es mich an früher erinnert, wird angesichts all solcher Tropes ganz schnell schal.

Aber eigentlich ist diese Frustration ein gutes Zeichen. Denn ich bin nicht allein damit und es zeigt mir, wie sehr sich die Gesellschaft und der Zeitgeist verwandelt hat. Dass es immer mehr Menschen gibt, die solche -ismen, solche Tropes hinterfragen. Die das nicht mehr hinnehmen wollen. Die sich inklusiveres Entertainment wünschen, authentischere Repräsentation. Das kommt allmählich auch in den Köpfen der Kunstschaffenden an, bei Autor*innen, in der Filmindustrie und noch anderen Kunstgattungen.

Klar, es gibt noch immer die, die dann als erstes die Freiheit der Kunst mit Händen und Füßen verteidigen wollen. Das sind z.B. Leute, die verlangen, man müsse „die Kunst vor den Moralaposteln” retten (siehe den Essay „Muss man die Kunst von den Kunstschaffenden trennen?”) Nein, das muss man nicht. Und die Etablierten, die Privilegierten, die am Alten festhalten, weil es für sie bequemer ist, die werden nicht ewig kreativ sein. Machen wir es anders.

 

Fußnoten

 

(1)

Gründe dafür kann man hier nachlesen: https://interculturecapital.de/drei-chinesen-mit-dem-kontrabass-rassismus-chinesisch-deutschland/

 

(2)

Gaslighting ist eine Form von psychischer Manipulation, siehe z.B.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gaslighting

 

(3)

https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/BuryYourGays

3

 

Muss man die Kunstschaffenden
von der Kunst trennen?


Ein Kommentar –


Disclaimer: Im folgenden Text spreche ich von Kunst und Künstler:innen. Damit ist in diesem Fall nicht nur die bildende Kunst gemeint, sondern alle Kunstgattungen: Schriftstellerei, Musik, Schauspiel, Tanz, Bildhauerei, Film und andere.

Inhaltswarnung: Ich erwähne hier sexuelle Belästigung und Vergewaltigung


Die Forderung nach der absoluten Freiheit der Kunst habe ich in den letzten Monaten, auch im Zusammenhang mit der viel diskutierten Meinungsfreiheit, immer wieder gehört.

Das Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V. (PAN) ist der größte deutschsprachige Verein für Phantastikautor*innen mit über 270 Mitgliedern. Ende 2019 veröffentlichte der Verein sein Programm für das für 2020 geplante Branchentreffen (welches wegen der Coronakrise später abgesagt wurde).

Einer der Programmpunkte stieß teilweise auf Befremden, sowie mehrfach auf offenen Protest und wurde heftig in Social Media diskutiert – der Vortrag „Rettet die Kunst vor den Moralaposteln!“ von dem Künstler Peter Kees. (Ein entsprechender Artikel von ihm ist auch online zu finden.)

Der Programmpunkt wurde nach längerer Diskussion, bei der sich sowohl Vereinsmitglieder als auch Externe zu Wort meldeten, schließlich abgesagt und durch einen anderen ersetzt.

Wie steht es um die Kunst heutzutage und vor allem die Trennung von Kunst und Kunstschaffenden? Die #metoo-Bewegung hat vieles ins Rollen gebracht, nicht nur in Hollywood. Der Schauspieler Kevin Spacey wurde sexuellen Missbrauchs angeklagt und infolgedessen aus einem Film herausgeschnitten, der noch nicht fertig gedreht war. Mehr und mehr Menschen (vor allem, aber nicht nur, Frauen) aus dem Showbusiness meldeten sich zu Wort, berichteten von Missbrauch, sexueller Belästigung, Vergewaltigungen.

Auch bislang mehr oder wieder unangetastet gebliebene Filmgrößen wie Woody Allen und Roman Polanski gerieten dadurch stark (bzw. noch stärker als bisher) in Kritik. Viele erinnern sich sicherlich auch an den Prozess gegen den Film-Mogul Harvey Weinstein. Die Autorin J K Rowling erntete einen Shitstorm, als sie transfeindliche Äußerungen von TERFs (Abkürzung für „trans-exclusionary radical feminist”) mehrfach unterstützte. (1)

Die Vergabe des Literaturnobelpreises an den Österreicher Peter Handke geriet zum Politikum, da dieser auch in seinem Werk umstrittene politische Haltungen äußerte.(2)

Aber wer sagt eigentlich, dass man die Kunstschaffenden von der Kunst trennen muss? Ich gehe davon aus, dass diese These besonders gern in den Kultur- und Geisteswissenschaften gesehen wird. Dass sie von Kunstkritikern genutzt wird, um sich allein auf das Werk einer Person zu konzentrieren, ganz unabhängig von deren Leben. Das erleichtert sicherlich auch die Analyse eines Werks, denn für eine solche gibt es in den entsprechenden Wissenschaften klare Vorgaben. Allerdings wird bei solchen Analysen von Kunstkritikern oft sehr klar unterschieden, ob es sich bei der kunstschaffenden Person um einen Mann oder eine Frau (oder nonbinäre Person) handelt.

Ist es ein Mann, so sprechen Kritiker*innen gern davon, welche künstlerischen Vorbilder dieser offenbar hatte (oder auch nicht), bei wem er seine Kunst gelernt hat und ähnliches. Auf das Privatleben der Person wird eher selten eingegangen und das ist ja auch nicht notwendig, wenn man die Kunst ganz klar von ihrem Schöpfer trennt.

Ist die Kunstschaffende allerdings eine Frau oder nonbinäre Person, gehen Kritiker*innen oft stark auf deren Biografie ein, im Sinne von „in ihrer Kunst spiegelt sich ihre Biografie in diesen/jenen Punkten wieder…” Auch auf Lebensgefährt*innen oder andere Beziehungen – oder auf andere wichtige Personen im Leben der kunstschaffenden Frau oder nonbinären Kunstschaffenden wird oft wesentlich stärker eingegangen als bei Künstlern. Das als solches zeigt deutlich die noch immer nicht vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter, auch im Kulturbereich.

Natürlich erleichtert es die Analyse und die Kritik an einem Werk, wenn man sich dieses ganz unabhängig von der Person dahinter anschaut. Man könnte sogar sagen, es ist deutlich bequemer, das zu tun.

Aber wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert, in dem die Aufgabe der Kunstkritik größtenteils allein beim Feuilleton großer Zeitschriften lag, bei entsprechend gebildeten Journalist*innen und Kulturwissenschaftler*innen.

Wir müssen heutzutage die Kunstschaffenden nicht von ihrer Kunst trennen – weder die noch Lebenden, noch die Toten. Wir leben in einer Zeit, in der sich viele Kunstschaffende direkt öffentlich zu Wort melden, in den Social Media. Dort wird anhand von Äußerungen oder auch einfach von Likes meist recht schnell klar, was für Lebenshaltungen und Weltanschauungen die Kunstschaffenden vertreten – in Bezug auf Kultur, Politik und noch anderes. Viele Künstler*innen sind heutzutage öffentlich wie nie zuvor. Das hat alles seine Vor- und Nachteile, dies steht außer Frage.

Und so wie sich Kunstschaffende öffentlich zu Wort melden, können das auch die Kunstkonsument*innen tun. Und das sind nicht nur Kulturexpert*innen und Kulturwissenschaftler*innen, sondern auch Laien, – z.B. Buchblogger*innen und andere Menschen, die Rezensionen schreiben. Heutzutage kann jede Person ihre persönliche Meinung zu einem Kunstwerk öffentlich teilen. Entsprechend müssen Kunstschaffende heutzutage auch unter Umständen mit deutlich mehr kritischen Rückmeldungen rechnen, als wenn ihre Werke nur (wenn überhaupt) wie vor Jahrzehnten, in entsprechend spezialisierten Publikationen rezensiert werden würden.

Ich bin keine Kulturwissenschaftlerin, aber ich schreibe und illustriere. Meine persönliche Erfahrung damit zeigt mir: Ich kann meine Kunst nicht von meiner Person trennen. Meine persönliche Lebenserfahrung, auch Haltungen und Überzeugungen, Wahrnehmungen und Empfindungen, all das fließt in mein Werk mit ein.

Kunst entsteht nicht in einem luftleeren Raum. Es ist nicht so, dass ich mich hinsetze – wie es der ziemlich deutsche „Genie-Gedanke” gern heraufbeschwört – und mir eine Muse, die absolut und vollkommen unabhängig von meiner Person ist, Dinge einflüstert, die ich dann zu Papier bringe.

Ein Teil des kreativen Schaffensprozesses ist immer bewusst. Dieser Teil hat mit dem erlernten künstlerischen Handwerk zu tun. Dies ist auch der Teil, der in einer Kunstanalyse oder in Rezensionen nach klaren Kriterien recht objektiv bewertet werden kann. Bei Autor*innen geht es an dieser Stelle darum, wie sie die Sprache verwenden, ob und wie sie zum Beispiel Metaphern, Vergleiche, Auslassungen und/oder die vielen anderen Stilmittel einsetzen, die es gibt. Bei einem Musiker kann ganz klar die Technik bewertet werden, mit der er sein Instrument spielt. Auch in der Kunstmalerei basiert sehr viel auf dem erlernten Handwerk der Künstler*innen und ähnliches lässt sich auch für alle anderen Kunstgattungen sagen.

Aber es gibt auch einen unbewussten Anteil im kreativen Prozess, der unter anderen auf das Kollektive Unbewusste(3) zurückgreift. Das alles gilt sowohl für die schriftstellerische Tätigkeit, als auch für Musik, Kunstmalerei, Schauspiel, die Bildhauerei und vermutlich auch für den Tanz. Und bei diesem Anteil speist sich vieles nicht nur aus dem Kollektiven Unbewussten, sondern auch aus der persönlichen Lebenserfahrung der kunstschaffenden Person, – und die muss nicht immer positiv sein. Auch seelische Verletzungen, Frustrationen, Kummer, Aggressionen oder destruktive Züge können in einem künstlerischen Prozess verarbeitet werden.

Ich wiederhole es noch einmal: Ich kann meine Kunst nicht von meiner Person trennen. Das, was ich in meine Kunst lege, dafür gibt es zum Beispiel den Begriff „Herzblut”. Ich leide mit meinen Protagonist*innen, versetze mich in sie hinein, folge ihnen bis hin zu Gedankengängen und Empfindungen, die mir persönlich fremd sind, und dennoch vertraut, weil vieles davon im Kollektiven Unbewussten verankert ist. Oder auch durch persönliche Beobachtungen oder weil ich durch andere Geschichten, durch Austausch und Interaktion mit real existierenden Menschen die Beweggründe, Motivationen und ähnliches bei diesen fiktiven Figuren nachvollziehen kann.

Wenn mir also durch meine persönliche Erfahrung bewusst ist, dass ich meine Kunst nicht von mir selbst trennen kann, wage ich zu fragen: Warum sollte ich das bei anderen Kunstschaffenden tun? Zumal wenn sie noch leben und im Licht der Öffentlichkeit stehen, sich vielleicht auch öffentlich in Social Media austauschen und dort präsentieren?

Wie ich schon weiter oben schrieb, wer sich öffentlich zeigt, der muss immer auch mit Kritik rechnen. Natürlich ist das unkomfortabel und natürlich kann man sich darüber aufregen, aber es ändert nichts daran. Wenn jemand kontroverse, provozierende Meinungen oder Geisteshaltungen vertritt, muss diese Person mit Gegenwind rechnen, vielleicht auch mit Shitstorms.

Mir ist durchaus bewusst, dass die „Cancel”-Kultur problematisch sein kann – wenn z.B. Äußerungen von Prominenten aus dem Zusammenhang gerissen werden oder wenn es unbewiesene Anschuldigungen gibt, die sich später als falsch herausstellen. Im Zweifel für den Angeklagten.

Wenn es allerdings zu Anschuldigungen kommt, die sich als wahr erweisen – auch Kunstschaffende stehen nicht über dem Gesetz. Auch nicht, wenn sie renommierte Genies auf ihrem Gebiet sind.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739499123
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juni)
Schlagworte
People of Color queer Diversität Inklusion Diversity Literatur Representation

Autor

  • Amalia Zeichnerin (Autor:in)

Amalia Zeichnerin ist das Pseudonym einer Hamburgerin Autorin. Amalia schreibt Phantastik, Historisches, Cosy Krimis und Romance, gern mit queeren Protagonist*innen und Diversität, denn die Welt ist bunt und vielfältig.
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Titel: Diversity in der Literatur