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Nachtfalter

von Mathilda Grace (Autor:in)
400 Seiten
Reihe: Nacht - Trilogie, Band 1

Zusammenfassung

Hollywoodstar Trent Morgan hat von seinem Job als Schauspieler gestrichen die Nase voll und verabschiedet sich mit dem Kinostart seines Films 'Nachtfalter' aus dem Filmgeschäft. Das gefällt einem seiner Fans gar nicht, der Trent fortan mit Briefen belästigt und ihm schließlich eine getötete Katze vor die Tür legt. Da die Polizei gegen den unbekannten Stalker machtlos ist, engagiert Trents Agent Greg Rivers den Bodyguard Sebastian Monroe, um Trent zu beschützen. Greg ahnt nicht, dass Trent und Sebastian eine gemeinsame Vergangenheit haben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Prolog

- Sebastian -

 

 

 

 

„Er kann nicht dein Mann werden.“

„Aber wieso nicht? Ich weiß, dass er ein Tier ist.“

„Dein Tier ist erwacht, Sebastian, und du bist gerade erst fünfzehn. Er ist achtzehn und ich kann bei ihm keine Anzeichen erkennen.“

Sebastian sah seinen Vater voller Trotz an. „Vielleicht dauert es nur länger.“

„Es tut mir leid, mein Sohn.“

Das war nicht die Antwort, die Sebastian erhofft hatte und er wusste, dass ihm der Verlauf dieses Gespräches nicht gefallen würde. Sie diskutierten nicht zum ersten Mal über seine Gefühle für Trent, der seit vielen Jahren sein bester Freund war. Sein Vater hatte in den letzten Monaten mehrfach versucht, ihm das Ganze auszureden.

Ohne Erfolg.

Sebastian war sich seiner Liebe zu Trent sicher, doch er spürte, dass sein Vater heute nicht nachgeben würde. Nicht, nachdem er sich letzte Nacht zum ersten Mal in sein Tier verwandelt hatte.

„Ich liebe ihn“, erklärte Sebastian leise und erwiderte den Blick seines Vaters. Grüne Augen, die ein Ebenbild seiner eigenen waren, verdunkelten sich kurz, doch dann seufzte sein Vater und nickte.

„Ich weiß, Bast. Ich weiß es schon so lange, aber deine Mutter und ich hofften dennoch.“ Sein Vater grinste ihn schief an. „Ich hätte gerne Enkelkinder gehabt.“

Sebastian spürte, wie er rot wurde. „Dad.“

Sein Vater zwinkerte ihm zu und setzte sich danach zu ihm auf die breite Treppe, die von der Veranda auf den Gehweg führte. Es war bereits dunkel draußen und der Vollmond erhellte ihre Straße mehr, als es die Laternen taten, deren diffuses Licht dafür zu schwach war.

„Ich wünschte, ich müsste dir nicht wehtun, aber mir bleibt keine Wahl, Sebastian. Du musst gehen, solange du es noch kannst. Du darfst dich ihm nicht aufzwingen. Mach' euch beide nicht unglücklich.“

Sebastian biss sich auf die Unterlippe. Er wollte nicht gehen, aber sein Vater hatte recht und meinte es nur gut. Sebastian musste San Francisco so schnell wie möglich verlassen, um Trent nicht unbeabsichtigt in Gefahr zu bringen. Und er durfte ihm den Grund nicht nennen.

„Er wird mich dafür hassen.“

„Anfangs, ja“, gab sein Vater nach langem Schweigen ehrlich zu und legte Sebastian dabei einen Arm um die Schultern. „Aber möglicherweise werden die Menschen irgendwann bereit sein, zu akzeptieren, dass es uns gibt. Dann kannst du ihm erklären, warum du gegangen bist. Trent ist klug, er wird es verstehen.“

„Ich will nicht von hier weg, Dad.“

„Ich weiß, es ist unfair, das von dir zu verlangen, denn dein Herz ruft nach ihm, aber wir dürfen ihm nicht die Wahrheit sagen. Wir müssen gehen, damit ihr beide eines Tages vielleicht eine Chance habt.“

„Wir?“, fragte Sebastian ungläubig und blickte seinen Vater fragend an. „Du kommst mit?“ Als sein Vater samt einem Lächeln nickte, schüttelte Sebastian den Kopf. „Aber dein Laden und Mums Grab und deine Freunde und ...“

Sebastian verstummte, als sein Vater ihm sanft einen Finger auf die Lippen legte. „Du bist mein Sohn, Bast, ich lasse dich damit nicht allein. Ein Geschäft kann ich auch in einer anderen Stadt aufbauen. Wir gehen zusammen. Sieh es als ein Abenteuer fürs College oder die Uni. Du wolltest doch ohnehin nach New York City, sobald du erwachsen bist. Warum nicht schon jetzt? Ich war bereits bei deiner Mum und habe es ihr erzählt. Ich glaube, sie ist einverstanden, dass wir für ein paar Jahre woanders leben. Wir werden sie besuchen, so oft wir können.“

„Ich könnte auch alleine gehen“, schlug Sebastian vor, denn er wusste, wie sehr seine Eltern San Francisco und ihr Leben hier liebten. Seine Mutter hatte nie woanders gelebt und sie war hier begraben worden.

Sein Vater lachte und schüttelte den Kopf. „Du bist so erwachsen für dein Alter, das ist manchmal unheimlich. Aber, nein, ich komme mit. Wir fangen neu an, nur wir beide. Ich habe mit Rick gesprochen. Er hat Kontakt zu einem Rudel in New York aufgenommen. Wir sind ihnen willkommen und sie haben Kinder in deinem Alter. Rick will ebenfalls fortgehen und schließt sich einem Rudel in Sanoro an. Das ist eine Kleinstadt in Maine.“

„Gehen die anderen Tiere mit ihm?“, fragte Sebastian neugierig, denn bei den Rudelangelegenheiten blickte er noch nicht durch. Er wusste nur, dass Gestaltwandler in Rudeln lebten, sich vor den Menschen verborgen hielten und mit ihnen keine Beziehungen eingingen. Jedenfalls keine ernsthaften. Aus Gründen der Sicherheit.

Sein Vater nickte. „Soweit ich weiß, ja. Einige bleiben und haben beschlossen autark zu leben. Das ist zwar sehr selten, aber nicht verboten.“

Daran erinnerte sich Sebastian. Er nickte. „Und wann fahren wir?“

„In zwei Tagen.“

Sebastian sah zu Boden. „Dad, ich ...“

„Ich weiß“, unterbrach ihn sein Vater und strich ihm über den Kopf. „Gib die Hoffnung niemals auf, Bast. Wer weiß, was in einigen Jahren ist. Eure Zeit wird kommen, daran glaube ich fest.“

„Ich verstehe das einfach nicht“, murmelte Sebastian unglücklich. „Ich war mir sicher. Mein Herz ist es immer noch. Mein Jaguar auch. Trent ist ein Tier, Dad, ich weiß es. Ich weiß es!“

Sein Vater schwieg eine Weile und streckte die Beine aus. „Vielleicht kann er sich nicht wandeln. Vielleicht ist das Tier in ihm nicht bereit dazu. Ich habe gehört, dass es so etwas geben soll. Aber wir müssen sicher sein. Wir dürfen ihn nicht gefährden, Sebastian, und das tust du, wenn du etwas von ihm verlangst, was er dir nicht geben kann. Manchmal soll es einfach nicht sein.“

Sebastian verstand, dass er keine andere Wahl hatte, als San Francisco in zwei Tagen hinter sich zu lassen, aber eines stand für ihn fest; er würde niemals einem anderen Mann sein Herz schenken.

Er würde seine Liebe bewahren.

Für Trent.

Für die Chance, die sie, wenn sein Vater recht behielt, eines Tages haben würden.

 

 

Kapitel 1

- Trent -

 

 

 

 

Hollywood war eine Zwischenstation auf dem Weg zur Hölle.

Einer Hölle, der man nicht mehr entkam, sobald man zu tief in ihr steckte, und Trent steckte bis zum Hals in dieser Welt aus Lug und Betrug, in der sich alles nur um zwei Dinge drehte. Ein gutes Aussehen und ausreichend Kleingeld, um nachzuhelfen, falls es mit dem Aussehen nicht allzu weit her war.

Um sein Aussehen musste er sich momentan keinerlei Sorgen machen, was ein Teil seines Problems war, denn nachdem Trent genügend Geld verdient hatte, um sich irgendwo niederzulassen, möglichst weit weg von Hollywood, ließ diese verlogene Welt ihn nicht gehen. Trent brachte den Studios zu viel Geld ein, als dass sie auf ihn verzichten wollten. Dass ihn das Leben im Fokus der Öffentlichkeit und das falsche Getue auf dem Roten Teppich ankotzten, interessierte niemanden. Dass er seit mehr als fünfzehn Jahren nur im Geheimen ein bisschen Privatleben haben konnte, interessierte ebenfalls nicht.

Mit Ende dreißig war von dem neugierigen, jungen Mann nichts mehr übrig, der Trent mit zweiundzwanzig gewesen war, als er nach Hollywood zog, um ein Star zu werden. Stattdessen hatte er sich in einen verbitterten, zynischen Schauspieler verwandelt, der außerhalb seines Hauses lächelte, als würde er ein perfektes Leben führen. Fiel die Tür hinter ihm zu, verschwand das Lächeln und machte einem missmutigen Gesichtsausdruck Platz, der Trents ständiger Begleiter war, während er die Wände in seinem Haus anstarrte und darauf wartete, dass Greg ihn mit einer neuen Dose Lebensretter versorgte.

So nannte man in seinem Dunstkreis die kleinen, aber feinen Helfer, die unzählige Schauspieler über ihre Tage und oftmals auch durch Dreharbeiten brachten.

Trent kannte Kollegen, die ohne Alkohol oder dem weißen Pulver nicht mehr zurechtkamen. Er hatte selbst schon die eine oder andere Line durch die Nase gezogen, war aber nie voll drauf gewesen. Wer harte Drogen nahm, bekam zu wenig von seiner Umwelt mit, das war gefährlich. Deswegen hatte sich Trent von Anfang an auf bunte Pillen und Alkohol beschränkt, bis sein Dealer erwischt worden war.

Der Skandal konnte damals nur abgewendet werden, weil die Studios Unmengen an Geld bezahlt hatten, um dafür zu sorgen, dass dieser schmutzige Vorfall nicht ans Licht der Öffentlichkeit kam, denn Trent war nicht der einzige Kunde des verhafteten Dealers gewesen.

Danach stieg er auf Medikamente um. Die konnte man leichter beschaffen, fast so einfach wie Alkohol. Er durfte sich nur nicht beim Kauf erwischen lassen. Aus dem Grund kümmerte sich Greg darum. Wozu war der schließlich sein Agent? Filmrollen musste Greg für ihn seit Jahren keine mehr suchen, die landeten von allein auf seinem Schreibtisch. Dank ihm hatte der liebe Greg ein Vermögen gemacht, da war es ja wohl das Mindeste, dass er sich dessen erkenntlich zeigte und ihn mit Pillen und Alkohol versorgte.

Allerdings schien Greg das gerne zu vergessen.

Trent fluchte und warf die Tür vom Küchenschrank zu, denn außer Staubflusen hatte er in der hinteren Ecke nichts gefunden. Dabei war er sicher gewesen, irgendwo noch eine Notration aufzubewahren. Bloß wo? Er hatte sein gesamtes Haus auf den Kopf gestellt, ohne fündig zu werden. Dass die Pillen alle waren, wusste er, aber dass er nicht mal mehr eine Flasche Alkohol hier hatte, ärgerte ihn tierisch.

Und das ausgerechnet heute, wo er in weniger als vier Stunden auf einer Spendengala erwartet wurde, um Geld für eine neue Kinderstation im hiesigen Krankenhaus zu sammeln. Was ging ihn das an? Er hatte keine Kinder, würde auch nie welche haben. Um ehrlich zu sein, Trent konnte Kinder nicht ausstehen. Aber er hatte ein schönes Gesicht und war jederzeit in der Lage, den kinderlieben Schauspieler perfekt zu spielen, deswegen hatte man ihn eingeladen.

Was hätte er jetzt nicht alles für ein Glas Wodka oder Whisky gegeben? Im vergangenen Jahr hatte Trent alles getan, um von dem Image als Schönling wegzukommen. Zumindest alles, was möglich war, ohne dabei Ärger mit der Polizei zu kriegen. Doch nicht einmal seine Rolle in dem Thriller 'Nachtfalter' hatte geholfen.

Ein Sunnyboy, der einen sadistischen Mörder spielte? Undenkbar. Mit seiner Darstellung eines Psychopathen hatte er die Studios verschrecken und die Leute von sich wegbringen wollen.

Stattdessen war das Gegenteil passiert.

Trent hatte die Rolle nur angenommen, weil er damit gerechnet hatte, dass es die letzte in seiner Karriere sein würde. Von wegen. Regisseure von überall auf der Welt rannten Greg die Bürotür ein, seit der Film in die Kinos gekommen war, und wenn Trent Pech hatte, würde er im kommenden Jahr für seine Rolle geehrt werden.

Ein Golden Globe oder schlimmer, ein Oscar.

Er hatte von Hollywood weggewollt, doch der Schuss war eindeutig nach hinten losgegangen.

Zu allem Überfluss war dann herausgekommen, dass seine Rolle in diesem Film für ihn eine Art Abschied sein sollte. Das wiederum hatte dafür gesorgt, dass er neben Hollywood und Millionen weiblicher Fans, von denen ein Großteil altersmäßig seine Töchter hätten sein können, jetzt auch noch einen Stalker am Hals hatte, der sich Fan nannte, ihn mit Briefen und Greg mit Anrufen belästigte. Ihm offen androhte, dass Trent es bereuen würde, falls er das Filmgeschäft wirklich verließ.

Hollywood war eindeutig eine Zwischenstation auf dem Weg in die Hölle, und offensichtlich rannten in Los Angeles jede Menge Verrückte auf den Straßen herum, wenn man als Schauspieler mittlerweile schon bedroht wurde, weil man auf den Scheißjob keinen Bock mehr hatte.

Liebesbriefe war Trent gewöhnt. Autogramme geben und dabei ein strahlendes Lächeln zeigen, hatte er sich lange vor dem Spiegel antrainiert. Er kannte auch das Gegenteil in Form von neidvollen, hasserfüllten Texten, die alle Nase lang in seiner Post auftauchten. Ein Stalker war jedoch neu und es nervte Trent, dass da ein Spinner war, der offenbar glaubte, ihm sein Leben vorschreiben zu können. Als wären die Paparazzi nicht schon schlimm genug.

Trent hätte diesem Typen gern ein paar Takte erzählt, aber das konnte er sich nicht erlauben. Für die schnöde Welt außerhalb seiner Haustür war er seit vielen Jahren der perfekte Schwiegersohn und musste es bleiben.

Das Problem war, er wollte niemandes Schwiegersohn sein. Trent wollte raus aus diesem Leben, aus der Stadt. Er wollte weg von seinen bunten Pillen und dem Alkohol, ohne deren Hilfe er dämliche Veranstaltungen, wie diese Gala, schon lange nicht mehr überstand.

Er wollte frei sein.

Einfach Trent Morgan.

Nicht der Superstar, das Sexsymbol, Hollywoods Goldesel, der erstklassige Schauspieler.

Aber vor allem wollte er sich nicht länger verleugnen. Trent wollte leben, wie all die anderen Männer es taten, die händchenhaltend mit ihren Freunden durch die Stadt liefen. Er wollte beim Gay Pride mitlaufen, weil er es wollte, nicht, weil es chic war, Schwule und Lesben zu unterstützen. Trent wollte leben und lieben. Er war es leid, allein zu sein, doch als Schauspieler Trent Morgan hatte er keine Chance, eine Beziehung mit einem Mann zu führen. Ihm blieben nur heimliche Treffen in Clubs und einschlägigen Bars, oder ein schnelles Abenteuer in einer dunklen Seitenstraße.

Trent hasste diese Welt, die ihm Geld dafür bezahlte, dass er hetero blieb. Wenn er jemals ein eigenständiges Leben führen wollte, musste er schnellstens einen Weg aus diesem Irrsinn finden.

Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken.

Da er niemanden erwartete, lehnte Trent sich an die Küchenzeile. Er hatte nicht vor, die Tür zu öffnen. Seine Post wurde bei Greg abgeliefert und mit dem war er erst in ein paar Stunden verabredet. Greg würde schon dafür sorgen, dass er eine Dusche nahm, einen seiner Anzüge anzog, die ihm die Designer hinterher warfen, und eine perfekte Maske aufsetzte, um die Spendengala zu einem Erfolg zu machen.

Aber vor allem würde Greg, wenn ihm sein Leben lieb war, an den Nachschub denken.

Trent runzelte die Stirn, als es erneut klingelte. Was sollte der Mist? Er hatte keine Freunde, die ihn besuchten, jedenfalls keine richtigen. Vermutlich irgendein Fan, dem es gelungen war, am Wachpersonal seiner Wohnanlage vorbeizuschleichen, welches rund um die Uhr dafür sorgte, dass Leute wie er ihre Ruhe hatten. Es kam nicht oft vor, aber ab und zu, und meistens gaben sich Fans mit einem Autogramm und einem Foto zufrieden.

Heute hatte Trent jedoch keinen Bock auf kichernde, aufgedonnerte Teenager, die herumliefen, als kämen sie vom nächsten Straßenstrich. Es war ihm ein Rätsel, was in der Jugend von heute vorging, die sich nur noch für die Kürze ihrer Miniröcke, Highheels, Computerspiele oder das neueste Handy zu interessieren schien.

Es klingelte ein drittes Mal.

„Jetzt reicht's aber“, zischte er und machte sich auf den Weg zur Tür. „Was?“

Trent stöhnte genervt, als er keine Antwort bekam. Das Gegenteil hätte ihn auch gewundert, denn draußen war niemand. Er ließ seinen Blick über den Vorgarten bis zur Straße schweifen, doch dort war ebenfalls niemand zu sehen. Toll, dachte Trent frustriert und wollte die Tür gerade wieder zuwerfen, als er aus dem Augenwinkel etwas Schwarzes auf dem Boden entdeckte.

Was war das denn? Trent brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was da auf dem Treppenabsatz lag. Das konnte gar nicht sein. Trent schloss kurz die Augen, um sicherzugehen, dass er sich das nicht einbildete, aber als er sie wieder öffnete, lag immer noch eine tote Katze vor ihm, die vom Hals abwärts bis zum Bauch aufgeschlitzt worden war.

Trent wurde übel. Er liebte Katzen. Überhaupt Tiere. Er mochte alle, egal ob sie hässlich, giftig, exotisch oder schleimig waren. Es gab kein Tier auf der Welt, vor dem er sich fürchtete. Wie konnte jemand so widerwärtig sein und ihm eine ausgeweidete Katze vor die Haustür legen? Trent wusste, dass es verkehrt war, aber es war wie ein innerer Zwang. Er ging in die Hocke und strich der Katze über das Fell.

Ihr Körper war noch warm.

Trent unterdrückte ein Würgen und wandte den Blick von der Katze ab, um aufzustehen und nach dem Handy zu greifen. „Sag' die Spendengala ab!“, befahl er, als Greg abgenommen hatte.

„Warum?“, fragte Greg verwundert. „Geht es dir nicht gut? Ich bringe später Nachschub mit, falls du ...“

„Greg!“, unterbrach Trent seinen Agenten verärgert. „Vor meiner Haustür liegt eine ausgeweidete Katze, die irgendwer eben erst hier abgelegt hat, ihr Körper ist noch warm. Ich denke, wir beide wissen sehr genau, von wem sie stammt.“

Der Stalker.

Eine andere Möglichkeit kam für Trent nicht infrage und langsam hatte er genug von diesem Spinner. Es war eine Sache, ihn mit Briefen zu belästigen, aber eine tote Katze vor seine Tür zu legen, das war ein ganz anderes Kaliber. Wer immer dieser Typ auch war, er würde nicht damit aufhören, und es stellte sich jetzt die Frage, wie weit ein Mensch zu gehen bereit war, der auf so brutale Weise ein unschuldiges Tier ermordete?

Greg atmete hörbar ein. „Ich rufe die Cops an. Auf die Gala solltest du aber trotzdem gehen. Das bringt dir du jede Menge Pluspunkte ein.“

Trent legte wortlos auf.

Er würde den Teufel tun, mit dem Bild einer unschuldigen, ermordeten Katze vor Augen, Punkte bei reichen Spendenschnöseln zu sammeln. Greg konnte manchmal wirklich abartig sein. Vielleicht sollte er sich nicht nur nach einem neuen Leben, sondern auch nach einem neuen Agenten umsehen.

Andererseits brauchte er keinen Agenten mehr, wenn er aus Hollywood weg war. Was Trent brauchte, war ein Wachhund. Ein richtig bissiger, den er auf diesen Stalker hetzen konnte, sollte der sich in seine Nähe trauen, was leider nicht so abwegig war, denn die Polizei bekam es ja nicht auf die Reihe, diese Person zu finden.

Trent sah wieder zu Boden. Das arme Tier. Von dem ganzen Blut nicht zu reden. Greg musste ihm eine Reinigungsfirma besorgen, die sich auf derartige Dinge spezialisiert hatte, denn er würde diese Lache auf keinen Fall mit der Hand wegputzen.

Obwohl er es nicht wollte, ging er erneut in die Hocke und schloss der Katze die Augen.

Das war alles, was er noch für sie tun konnte.

 

 

Kapitel 2

- Sebastian -

 

 

 

 

„Hast du noch alle Tassen im Schrank? Du kannst mir doch nicht einfach einen Bodyguard aufs Auge drücken.“

„Hättest du zugesagt, wenn ich vorher gefragt hätte?“

„Nein!“

„Siehst du.“

„Ich glaub' das nicht. Du weißt genau, wie wichtig mir mein Privatleben ist, Greg. Ich will nicht, dass irgendein Typ um mich herumschnüffelt, der ...“

„Sebastian Monroe ist momentan der beste Mann, den man in diesem Land für Geld kriegen kann, und darum habe ich ... Was ist?“

Sebastian grinste stumm in sich hinein, präsentierte der neugierigen Empfangsdame von Greg Rivers jedoch einen nichtssagenden Gesichtsausdruck. Sobald Trent sich von dem Schock erholt hatte, dass Sebastian auf ihn aufpassen sollte, würde die Frau eine Show vom Feinsten erleben. Darauf hätte er sein letztes Hemd verwettet und insgeheim wartete er schon darauf, seit Greg Rivers Büro vor zwei Tagen an 'Culpeo Inc.' herangetreten war, um für Trent Morgan, der von einem Stalker belästigt wurde, einen Personenschützer zu finden.

An sich keine bedrohliche Situation. Stalker waren im Allgemeinen einfach nur lästig in ihren Bemühungen, die Aufmerksamkeit ihrer Opfer zu erregen. Eine wirkliche Gefahr ging von den Wenigsten aus, aber Trents Stalker gehörte für Sebastian in diese Kategorie. Das hatte der Mord an der Katze bewiesen. Laut Polizei war das Tier mit einem Messer fachmännisch getötet worden, und das innerhalb kürzester Zeit, weil sie noch nicht ausgekühlt gewesen war, als Trent sie gefunden hatte.

So etwas bekam ein Anfänger niemals zustande. Wer auch immer sich an Trents Fersen geheftet hatte, meinte es ernst mit seiner Drohung. Das brachte 'Culpeo Inc.' und seinen Boss Rick Malloy ins Spiel, denn der leitete eine im gesamten Land erfolgreiche Sicherheitsfirma, die sich auf Personen- und Wachschutz spezialisiert hatte.

Rick war vor Lachen fast vom Bürostuhl gerutscht, nachdem er ihm befohlen hatte, den Job anzunehmen, denn Sebastian war nicht in der Lage gewesen, seine Verblüffung zu verbergen. Normalerweise ließ Rick seine Leute selbst entscheiden, für wen sie arbeiten wollten und für wen nicht, doch in dem Fall war Sebastian von Beginn an klar gewesen, dass er keine Wahl hatte und Widerworte Zeitverschwendung sein würden. Auf die Gelegenheit wartete Rick, seit er wusste, was sich zwischen Trent und ihm vor zwei Jahrzehnten abgespielt hatte, und aus diesem Grund hatte sein Boss die Chance genutzt und Rivers zugesagt.

„Du läufst seit zwanzig Jahren vor ihm davon, das ist genug. Klär' das endlich, sonst kommst du nie zur Ruhe, und er auch nicht“, hatte Rick lässig gefordert und ihn hinterher Packen geschickt.

Seit heute Morgen befand er sich nun in Los Angeles, hatte im für ihn gemieteten Hotel eingecheckt und war nach einer Dusche und einem Frühstück hergefahren, um mitten in den Streit zwischen Greg Rivers und Trent zu platzen, deren Gebrüll trotz geschlossener Türen für ihn wunderbar zu verstehen war.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Sebastian hatte sie schon vor dem Haus streiten gehört, als er sich einige Minuten in der Umgebung umgeschaut und dabei seinen besseren Sinnen freien Lauf gelassen hatte. So konnte er ihm unbekannte Stimmen und Gerüche später leichter zuordnen, ohne dabei zu verraten, was er war. Das wäre seinem Leben und seinem Job nicht zuträglich gewesen, denn 'Culpeo Inc.' war nur für Außenstehende eine reine Sicherheitsfirma. Für Sebastian und die anderen Männer und Frauen, die für Rick arbeiteten, war diese Firma die beste Möglichkeit, um unauffällig nach anderen ihrer Art Ausschau zu halten.

„Du hast Sebastian Monroe engagiert?“ Trents eisige Stimme fühlte sich an wie ein Peitschenschlag. „Vergiss' es! Ich lass' mich nicht von diesem Arschloch bewachen. Eher springe ich vom nächsten Hochhausdach.“

„Trent, was …? Augenblick mal, kennst du ihn etwa? Herrgott, du ... Jetzt warte doch mal!“

Sebastian sah zu den Büros, als eine Tür aufgerissen wurde, und dann musste er sich heftig zusammenreißen, um nicht zu zeigen, was Trents Anblick in ihm auslöste. Sie hatten sich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen und dennoch, die anziehende Wirkung auf ihn war unverändert stark.

Obwohl er drei Jahre jünger war, hatte Sebastian in ihrer Freundschaft immer den Ton angegeben und Trent sich ihm von Anfang an untergeordnet. Aber das würde er heute nicht tun. Ganz im Gegenteil. Trents Blick war mörderisch, als er ihn entdeckte und auf ihn zukam. Er schien so wütend, dass Sebastian sich darauf einstellte, gleich geschlagen zu werden, doch stattdessen hielt sein ehemaliger Jugendfreund vor ihm an und musterte ihn feindselig.

„Na wie schade. Ich hatte gehofft, du wärst längst von einem Auto überfahren worden“, erklärte Trent bösartig und verschränkte die Arme vor der Brust.

Rivers schnappte hinter ihm fassungslos nach Luft, während die Empfangsdame mit offenem Mund dasaß. Sebastian kommentierte Trents bissige Worte nicht, weil er dessen Wut nach seinem Abgang verdiente. Er erhob sich ruhig von dem Besucherstuhl, auf dem er gesessen und abgewartet hatte, dass die Männer mit ihrem Streit fertig wurden, nickte Rivers knapp zu und wandte sich danach an seinen zukünftigen Schützling.

Ein Blick in Trents Gesicht bestätigte ihm, was er seit der Durchsicht einiger Fotos von dessen letzter Filmpremiere ahnte. Trent hatte weit größere Probleme als diesen unbekannten Stalker, und eines davon konnte Sebastian deutlich an ihm riechen.

„Hallo Trent. Lange nicht gesehen.“

Trents hellblaue Augen verfinsterten sich bedenklich. „Das ist alles, was dir nach zwanzig Jahren einfällt? Fick dich, Monroe!“

Wenig später knallte die Tür hinter Trent ins Schloss, als er aus Rivers Büro stürmte. Sebastian sah zu Trents Agenten, der sichtlich nach Worten suchte. Er winkte ab, als der Mann den Mund öffnete.

„Ich regle das.“

„Sind Sie sicher?“, fragte Rivers leicht zweifelnd, was Sebastian leise lachen ließ.

„Keine Sorge. Schwierige Kunden gehören zu meinem Spezialgebiet.“

Vor allem Sturköpfe wie Trent. Sebastian konnte sich noch recht gut an dessen Dickschädel erinnern. Er mochte in ihrer Freundschaft zwar den Ton angegeben haben, aber wenn Trent etwas nicht gewollt hatte, war es ihm fast nie gelungen ihn umzustimmen. Aus diesem Grund würde Sebastian zu hinterhältigen Mitteln greifen müssen, um Trent dorthin zu bekommen, wo er ihn haben wollte. Er konnte niemanden schützen, wenn er dazu gezwungen war, jede Entscheidung erst zu erklären oder darüber zu streiten.

Als Sebastian das mehrstöckige Bürogebäude verließ, war Trent längst nicht mehr zu sehen, aber sein Geruch hing noch in der Luft. Er heftete sich an seine Fersen und schloss einen Block später zu Trent auf, der ihn erst überrascht ansah, dann aber ignorierte. Zumindest für einige Minuten; länger hielt Trents Geduldsfaden nicht, bevor er stehenblieb.

„Was soll das?“

Sebastian verkniff sich ein überlegenes Grinsen, weil Trent aussah, als würde ihm eine Schlägerei auf offener Straße nichts ausmachen, doch auf solche Schlagzeilen konnte Sebastian verzichten. „Ich mache meinen Job.“

„Wie schön für dich.“ Trent wandte sich ab. „Du bist gefeuert.“

Das hättest du wohl gerne, dachte Sebastian amüsiert und setzte sich in Bewegung. Dieses Mal hielt Trent nicht mal eine Minute durch, bevor er sich zu ihm umdrehte.

„Ich brauche keinen Aufpasser.“

Was du brauchst, ist eine Therapie. Sebastian sprach den Gedanken nicht aus. „Dein Agent sieht das anders und ich glaube, die tote Katze vor deiner Tür würde ihm zustimmen, wenn sie könnte.“

Trent schluckte schwer, sagte aber nichts.

„Du brauchst nicht nur Schutz, sondern eine Auszeit, und ich bezweifle, dass du die in dieser versifften Stadt bekommst.“

„Versiffte Stadt?“ Trent runzelte die Stirn. „Wenn du L.A. so abartig findest, kannst du gern wieder gehen. Das kannst du doch ohnehin am besten. Mir gefällt es hier und ob ich eine Auszeit brauche oder nicht, hast du nicht zu entscheiden.“

Perfekter konnte Trent ihm nicht in die Hände spielen. Sebastian trat dicht vor ihn. Sie waren beinahe gleich groß und Trent viel zu stur, um seinem Blick jetzt auszuweichen. Er wollte aber nicht, dass die Fußgänger hörten, was er zu sagen hatte, deshalb beugte sich Sebastian ein Stück vor, um flüstern zu können.

„Es wäre natürlich äußerst unpraktisch für dich, diese Stadt zu verlassen, das verstehe ich. Ein neues Zuhause, ein neuer Dealer ...“ Sebastian ließ den Satz unbeendet und registrierte mit Genugtuung, wie Trent blass wurde. „Du stinkst wie eine Schnapsbrennerei und hast außerdem irgendetwas eingeworfen, deine Augen verraten dich. Du bist abhängig, und sofern du nicht willst, dass ich dich damit erpresse, wirst du tun, was ich sage.“

Eigentlich hatte Sebastian nicht vorgehabt, so rabiat zu werden, aber je länger er sich in Trents Nähe aufhielt, umso wütender wurde er. Was war nur aus seinem alten Freund geworden? Ein verdammter Junkie. Sebastian hasste Drogen und es ärgerte ihn maßlos, dass Trent sich von dem Dreckszeug hatte besiegen lassen. Gleichzeitig verfluchte er sich selbst, weil Trents Geruch ihm trotz Alkoholfahne die Sinne vernebelte. Er wollte ihn an sich ziehen und das tun, was er sich vor zwanzig Jahren aus gutem Grund verweigert hatte.

Wichtiger war für Sebastian allerdings, dass er Trent aus dieser Stadt schaffte. Weg von den Drogen, bevor sie ihn umbrachten. Es fragte sich bloß wohin? Das Einzige, was ihm einfiel, war, Trent mit nach Sanoro zu nehmen. Was vollkommen verrückt war, aber bevor er sich zur Räson bringen konnte, hatte Sebastian bereits weitergesprochen.

„Du bist ein verdammter Junkie, Trent, und ich hasse Junkies. Deswegen wirst du mitkommen. Raus aus der Stadt, weg von diesem Spinner, der tote Katzen vor deine Tür legt, und vor allem weg von deinen Flaschen, Pillen und was immer du sonst noch einwirfst. Wenn du dich weigerst, gehe ich zur Presse.“

Trent starrte ihn fassungslos an. „Das kannst du nicht machen.“

„Und ob ich das kann“, widersprach Sebastian sehr ruhig, obwohl er innerlich vor Wut brodelte. „Falls du bei der Filmpremiere nicht gelogen hast, bist du raus aus dem Geschäft, also wird sich niemand wundern, wenn du für eine Weile in Urlaub fährst.“

„Ich lasse mich doch nicht von dir ...“

„Willst du wissen, warum ich damals gegangen bin?“, unterbrach er Trent mitten im Satz, denn Rick hatte recht. Zwanzig Jahre Flucht waren genug. Trent verdiente eine Erklärung und er würde sie bekommen.

„Ich weiß, warum du gegangen bist. Du hast deutliche Worte benutzt.“

„Eine Lüge“, konterte Sebastian und Trent schaute ihn überrascht an. „Ich habe dich angelogen, weil ich dir die Wahrheit nicht sagen durfte.“

„Blödsinn.“

„Kein Blödsinn. Also? Wie lautet deine Antwort?“

Plötzlich nahm Sebastian unter dem Geruch von Wut und Alkohol etwas wahr. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als er es roch. Kaum erkennbar, aber es war da. Was überhaupt nicht sein konnte. Nicht in diesem Alter, das war viel zu spät. Sebastian konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, seine Nase an Trents Nacken zu vergraben und zu schnuppern. Stattdessen sog er unauffällig die Luft ein, um sicherzugehen, dass er sich nicht irrte. Der feine Duft vernebelte ihm die Sinne und ließ ihn innerlich erschauern.

Auf einmal roch er noch etwas anderes.

Erregung.

Verdammt noch mal, Trent wollte ihn.

Immer noch.

Nach all den Jahren und trotz ihres Streits vor seinem Weggang. Wieso war ihm das im Büro nicht aufgefallen? Die Antwort auf die Frage konnte Sebastian sich selbst geben, denn er hatte nicht damit gerechnet. Weder mit der feinen Duftnote, die alles zwischen ihnen veränderte, noch mit Trents herbem Geruch nach Lust.

Letztere hätte er mit sehr viel gutem Willen vielleicht ignorieren können. Ersteres aber nicht, denn es erklärte so gut wie alles. Den Alkohol, die Drogen, den zynischen Blick, der ihm auf vielen von Trents Bildern aufgefallen war. Trent spielte die Rolle des Schönlings von Hollywood perfekt, aber Sebastian hatte genauer hingesehen und einiges entdeckt, was ihm nicht gefiel. Jetzt hatte er eine Erklärung und er würde Trent zu Rick bringen, damit der überprüfen konnte, ob seine Vermutung stimmte. Ob Trent wirklich das war, was Sebastian glaubte.

„Du dreckiger Mistkerl.“

Trents Augen verdunkelten sich vor Wut, was ihn für Sebastian nur anziehender machte. Er riss sich mit aller Macht zusammen und trat zurück, bevor er etwas sehr Dummes tat. „Greg weiß, in welchem Hotel ich abgestiegen bin. Ich fliege heute Abend zurück nach Hause. Sei pünktlich, wenn du eine Erklärung willst.“

Trent verspannte sich spürbar. „Ich gehe nicht zurück nach San Francisco.“

Sebastian stutzte kurz, dann begriff er und schüttelte den Kopf. „Musst du nicht. Ich lebe seit ein paar Jahren in Sanoro.“

„Sanoro? Nie gehört.“

„Eine Kleinstadt in Maine, sehr kuschelig.“ Sebastian verkniff sich ein Lächeln, als Trent die Hände zu Fäusten ballte. „Ich wollte raus aus New York. Sanoro kam mir da gerade recht. Dort kennt dich übrigens kein Schwein. Du kannst ganz du selbst sein, wenn du dich traust.“

Trent verstand ihn, ohne dass er deutlicher werden musste. Seine geröteten Wangen verrieten es. „Was heißt 'heute Abend' bei dir?“

„Sonnenuntergang“, antwortete Sebastian zufrieden, worauf Trent schnaubte.

„Woher soll ich wissen, wann die Sonne untergeht?“

Hatte Trent denn überhaupt nichts aus ihrer Kindheit behalten? Sebastian seufzte innerlich tief auf. „Wenn ich du wäre, würde ich es schnell herausfinden. Wir sehen uns nachher.“

Mit den Worten ließ er Trent stehen, obwohl es ihn in den Fingern juckte, ihn umgehend mitzunehmen und nie mehr gehen zu lassen. Aber diese Entscheidung durfte er nicht für Trent treffen. Rick würde ihn dafür zuerst grün und blau schlagen und dann eiskalt aus der Stadt werfen, sofern er es versuchte. Sie hatten Rudelgesetze, und was deren Einhaltung anging, war sein Boss unerbittlich.

 

Zurück in seinem Hotelzimmer ließ sich Sebastian auf das frisch bezogene Bett sinken und zückte sein Handy, um Rick anzurufen und ihn über seine Planänderung zu informieren. Er konnte keinen Schläfer in dessen Revier bringen, ohne vorher zu fragen.

„Culpeo Inc., was kann ich für Sie tun?“

Sebastian grinste. „Hi Sienna, ist er da?“

„Wen meinst du? Den brummigen Kerl, der gerade an seinem Kaffee nippt und mir böse Blicke zuwirft, weil ich mit dir flirte?“

„Sienna!“, hörte Sebastian Rick fluchen und fing an zu lachen, genauso wie Ricks Tochter, bevor sie ihn mit den Worten: „Ich reiche dich weiter.“, an ihren Boss übergab, der sofort fragte, was los war.

„Ich glaube, er ist ein Schläfer.“

Kurzes Schweigen.

„Welche Art? Hast du einen Verdacht?“

„Nein.“ Sebastian runzelte die Stirn. „Unter den Alkoholdünsten habe ich es zuerst nicht mal bemerkt, aber es ist da, ich bin mir sicher. Irgendwie süßlich.“

„Dann war dein Verdacht also richtig. Er ist süchtig.“

„Ja. Alkohol, Pillen, vielleicht sogar Drogen.“

„Hm“, machte Rick überlegend. „Insekten riechen oft süßlich. Ich werde Jasper anrufen, er kann mir mehr sagen. Wenn dein Junge tatsächlich ein Schläfer ist, müssen wir ihm helfen, bevor er sich umbringt. So wie die anderen, die wir leider zu spät gefunden haben. Gibt es eine Art, die du von vornherein ausschließen würdest?“

„Großkatze“, antwortete Sebastian wie aus der Pistole geschossen, obwohl er es nicht erklären konnte. Es war mehr ein Instinkt.

„Dachte ich mir. Du erkennst deine eigene Art immer. Das ist manchmal unheimlich, wie gut deine Nase ist. Bleib' kurz dran ...“ Sebastian hörte Rick mit Sienna sprechen, die Jasper, den Arzt ihres Rudels, anrufen sollte, dann klappte eine Tür und sein Boss war wieder am Apparat. „Wann bringst du ihn her?“

„Ich habe noch gar nicht gefragt.“

„Meinst du mich oder ihn?“, konterte Rick amüsiert, was Sebastian zum Lachen brachte. „Das dachte ich mir. Bring' ihn her, ich will ihn mir ansehen. Vielleicht finden wir am Geruch heraus, was er ist, sobald er ausgenüchtert und clean ist. Wenn er wirklich ein Insekt ist, dürfte es unmöglich sein, die genaue Art zu erkennen.“

„Und wenn er etwas anderes ist?“

„Du weißt, dass Schläfer sich nicht wandeln. Die Tiere in uns entscheiden selbst, und wenn Trents Tier nicht will oder durch seine Größe nicht kann, können wir es nicht erzwingen. Wir können nur helfen.“

Sebastian seufzte, weil er diese Antwort erwartet und zugleich gefürchtet hatte. „Ich werde Probleme kriegen, wenn er ständig um mich ist.“

„Dein Jaguar hat ihn also wiedererkannt.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Er war kaum zu halten, als mir Trents Geruch in die Nase stieg“, gab Sebastian zu.

„Hat es jemand gemerkt?“

„Sehe ich wie ein Anfänger aus?“

Rick lachte. „Nein. Aber du weißt, dass unsere Tiere ab und zu ungestüm reagieren. Vor allem, wenn sie seit zwanzig Jahren unglücklich verliebt sind.“

Sebastian verdrehte genervt die Augen zur Decke. Musste Rick jetzt wieder davon anfangen? „Du weißt, dass ich nichts anderes tun konnte. Ich musste weg, damit ich nicht ...“

„Das war kein Vorwurf“, unterbrach Rick ihn ruhig. „Du warst ein Teenager und Trent schien ein Mensch zu sein. Dein Vater hat die richtige Entscheidung getroffen. Wir paaren uns nun mal nicht mit Normalen. Mir ist also bewusst, dass du keine Wahl hattest. Auch wenn ich es falsch finde, dass dein Vater und du ...“

„Halt' dich da raus!“, presste Sebastian zwischen den Zähnen hervor und Rick seufzte.

„Ihr seid beide Sturköpfe, aber ich werde nichts mehr dazu sagen. Vorerst. Und was Trent angeht, ich weiß, wo eine unerfüllte Liebe wie deine enden kann, also schaff' deinen Mann her. Wenn er ist, was du glaubst, habt ihr jetzt vielleicht eine Chance, glücklich zu werden.“

 

 

Kapitel 3

- Trent -

 

 

 

 

Trent ignorierte den Blick von Jane stoisch, als er ins Büro zurückkam. Er konnte sich lebhaft vorstellen, dass Gregs Sekretärin bereits jede Menge Anrufe getätigt hatte, um diverse Freundinnen über seinen Ausbruch vorhin zu informieren, und Trent wollte ihr nicht noch mehr Stoff für Geschichten liefern. Andererseits hätte sie schon blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie sauer er war. Trent war sogar so sauer, dass er auf dem Rückweg ernsthaft darüber nachgedacht hatte, Greg zu feuern, um Sebastian wieder loszuwerden. Er hatte diese Idee am Ende nur verworfen, da ihm klar geworden war, dass es nichts nutzen würde.

Sebastian war schon früher wie eine Klette gewesen und an seinem Charakter hatte sich scheinbar nichts geändert. Ganz im Gegensatz zu seinem Äußeren. Trent verfluchte sich dafür, Sebastians Anblick wie einen Schwamm aufgesaugt und abgespeichert zu haben, obwohl er es nicht wollte. Die gleichen braunen Locken wie früher, dieselben grünen Augen mit diesem Stich ins Braune, der ihn vom ersten Moment an fasziniert hatte. Dazu kam heute ein Körper, der mit Sicherheit jede Frau und auch eine Menge Männer im Umkreis von hundert Metern dazu brachte, sich nach Sebastian umzudrehen. Aus dem schlaksigen Teenager von einst war ein Mann geworden, den er zu gerne nackt gesehen hätte.

Doch dazu würde es nicht kommen. Er würde es nicht zulassen. Damals war er dumm genug gewesen, sich in Sebastian zu verlieben, das würde ihm kein zweites Mal passieren. Aber um das zu schaffen, musste er unbedingt an seiner Selbstbeherrschung arbeiten. Wenn Sebastian bemerkte, was er in ihm auslöste, war er geliefert. Es war ihm schon vorhin nur mit Mühe und Not gelungen, sich seine körperliche Reaktion nicht anmerken zu lassen. Es ging auf gar keinen Fall, dass Sebastian sein Leibwächter wurde. Trent würde den Mann entweder umbringen oder über ihn herfallen und beides war keine Option.

Was hatte Greg sich nur dabei gedacht, ausgerechnet Sebastian Monroe zu engagieren, seinen besten Freund aus Kindertagen, der ihn eiskalt verlassen hatte. Zwanzig gottverdammte Jahre war das her, trotzdem hatte sein Körper auf Sebastians Anblick reagiert. Dabei war Trent sicher gewesen, in der Hinsicht über ihn hinweg zu sein, doch offenbar hatte sich nichts geändert. Trent war mit Achtzehn bis über beide Ohren in Sebastian verknallt gewesen und er war es immer noch.

Scheiße.

Was hatte er nicht alles versucht, um die Gefühle für seinen Freund loszuwerden. Er war nie mit Männern ins Bett gegangen, die Sebastian irgendwie ähnlich sahen, er hatte niemals versucht ihn zu finden, aus Angst, erneut abgewiesen und dadurch noch mehr verletzt zu werden. Eine Weile war er sogar mit Frauen ausgegangen, in der Hoffnung, dass es funktionieren könnte. Fehlanzeige. Es hatte rein gar nichts gebracht. Ein kurzes Gespräch war ausreichend gewesen, um alles, was Trent so mühsam in sich vergraben hatte, wieder an die Oberfläche zu holen. Allein Sebastians Anblick hatte ausgereicht, um die alten Wunden aufreißen und bluten zu lassen und dafür hasste Trent ihn. Genauso wie er Greg hasste, weil der an allem Schuld war.

„Hat er dich gefunden?“, fragte Greg ruhig, nachdem Trent dessen Bürotür hinter sich zugeschlagen hatte.

„Ja, das hat er, und ich hätte gern eine Erklärung von dir, was diese Scheiße soll.“

„Du brauchst Hilfe und Schutz.“

Trent schnaubte. „Ach, hast du etwa Schiss, dass ich dir kein Geld mehr einbringe, wenn ich ausgeweidet in meiner Einfahrt ende, so wie diese Katze?“

Greg sah ihn schockiert an, doch im nächsten Moment wandelte sich das Entsetzen in seinen Augen in Resignation. „Auch wenn du mir nicht glaubst, es gibt tatsächlich Menschen, die dich gern haben. Denen es nicht nur um dein gutes Aussehen und deinen Körper geht. Denen scheißegal ist, dass du mit deinen blonden Haaren und diesen umwerfenden, hellblauen Augen wie ein Engel aussiehst. Ich mochte dich, weil du ein netter Kerl warst und weil ich genau wusste, der Junge bringt es zu was, als wir uns damals über den Weg liefen.“

Greg stand auf und kam um den Schreibtisch herum auf ihn zu, trat direkt vor ihn. Was ihm an Körpergröße fehlte, machte er mit seinem unbeugsamen Charakter tausendfach weg, das hatte Trent schon oft erlebt. Er selbst war bislang jedoch nur wenige Male das Ziel von Gregs Wut gewesen.

„Du willst wissen, was diese Scheiße soll? Das erkläre ich dir gerne, Morgan, denn das junge Talent von damals existiert nicht mehr. Stattdessen ist aus dir ein oberflächliches und egoistisches Arschloch geworden. Du siehst nur noch dich selbst. Es geht immer nur um dich. Von morgens bis abends, Trent, und weißt du was, ich bin es leid. Ich will den Mann zurück, der du warst, als wir uns kennenlernten.“ Greg wurde immer lauter. „Ich will den Trent, der Hollywood erobern wollte, statt sich von dieser Stadt unterbuttern zu lassen. Du hast keine Vorstellung, was ich darum geben und wie viel ich dafür bezahlen würde, um dich wenigstens ein Mal wieder ehrlich und lauthals lachen zu sehen.“

Das war die längste Ansprache, die er seit langer Zeit von Greg gehört hatte und Trent drängte den Anflug von schlechtem Gewissen radikal zurück. Er war nicht schuld an dem ganzen Mist, er wollte seit Ewigkeiten raus. Doch Greg hatte ihm nicht geholfen, niemand hatte das getan. Alle sahen in ihm nur den Goldesel.

„So viel kann ich dir nicht bedeuten, sonst hättest du mir nicht immer die Pillen und Flaschen besorgt.“

Trent wandte sich ab, blieb aber abrupt stehen, als er Greg plötzlich so bitter lachen hörte, dass er davon eine Gänsehaut bekam. Er schaute über die Schulter zurück, direkt in Gregs enttäuschtes Gesicht.

„Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich das getan habe, um genau darüber im Bilde zu sein, wie tief du drin steckst?“, fragte sein langjähriger Agent und Trent blieb der Mund offenstehen. „Es war mir lieber, dir das Zeug zu besorgen, als nicht zu wissen, was du nimmst und wo du es her hast. Ich wollte nicht eines Tages vor deinem Bett stehen und auf deine Leiche starren. Verreckt an einer Überdosis. Du bist ein Junkie. Ein Süchtiger, den Hollywood kaputt gekriegt hat. Ich versuche schon seit Monaten dich zu entwöhnen, ich strecke die Pillen und verdünne den Alkohol, aber das dauert, weil du es nicht merken solltest. Ich lehne alle neuen Rollen ab, weil ich weiß, dass du keinen Bock mehr hast. Aber ich kann dich nicht rauskriegen, wenn du es nicht zulässt. Dieser Typ, dieser Bodyguard, hat nicht mal eine Minute gebraucht, um dir mehr echte Emotionen zu entlocken, als ich im vergangenen Jahr von dir gesehen habe. Bin ich froh, dass er jetzt da ist und auf dich aufpasst? Ja, verdammt, das bin ich. Auch wenn ich nicht wusste, dass ihr euch kennt. Aber um ehrlich zu sein, ist mir das scheißegal, denn ich glaube, Monroe wird es schaffen. Er wird dich clean kriegen, deinem süchtigen Arsch das Leben retten. Und jetzt verpiss dich und pack' deine Sachen, denn du wirst mit ihm gehen und wenn ich dich höchstpersönlich mit Handschellen an ihm festketten muss!“

Trent hatte das Gefühl, festgenagelt zu sein. Er wollte flüchten, weit weglaufen und Gregs Worte vergessen, sie als Lüge deklarieren, obwohl sie es nicht waren, denn er hatte ein Suchtproblem und wusste das. Trents Körper fühlte sich an, als wäre er mit Blei gefüllt, und er schaffte es nur mühsam sich wieder umzudrehen und Greg in die Augen zu sehen, dessen finsterer Blick sich jetzt langsam in einen mitfühlenden wandelte.

„Die Wahrheit tut weh, nicht wahr?“, fragte Greg und überbrückte den Abstand zwischen ihnen, um eine Hand zu heben und sie an seine Wange zu legen. „Du brauchst Hilfe, Trent.“

„Wieso hast du nie ...?“

„Etwas gesagt?“ Greg seufzte leise. „Das habe ich. Du hast mir nur nie zugehört. Du bist schon so lange damit beschäftigt, dich zu bemitleiden, dass du nichts anderes mehr hörst und siehst. Bei dir sind immer die Anderen schuld. Dass es an dir selbst liegt, etwas zu verändern, ist dir in den vergangenen Jahren nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen. Ich wollte helfen und dein Freund sein, aber du wolltest keinen Freund, also war ich keiner. Du wolltest nur einen Angestellten, der ein Auge auf dein Geld hat und tut, was du willst.“

„Das ist ...“

„Die Wahrheit!“ Greg schüttelte traurig den Kopf, als Trent ihm widersprechen wollte. „Sei endlich ehrlich zu dir selbst, Trent. Ich habe dir genau das gegeben, was du wolltest. Aber jetzt kann ich mehr sein, dank Sebastian Monroe, und ich werde die Chance nutzen, selbst auf die Gefahr hin, dass du mich am Ende dafür hasst.“ Greg trat von ihm zurück und deutete auf die Tür. „Verschwinde. Ich schicke dir die Adresse von Monroes Hotel und seine Zimmernummer aufs Handy.“

Trent schluckte beschämt. „Greg, ich ...“

„Nein. Geh' einfach. Ich kann dich im Moment nicht mehr sehen.“

 

Hatte er Greg tatsächlich so falsch eingeschätzt? Aber was noch wichtiger war, hatte Greg recht, wenn er ihn als oberflächlich und egoistisch bezeichnete? Behauptete, dass er nichts anderes tun würde, als sich zu bemitleiden? Trent wollte nicht darüber nachdenken und trotzdem tat er es. Sein Kopf ließ sich nicht davon abbringen, über ihr Gespräch zu grübeln, und Trent tat es immer noch, als er zwei Stunden später neben seinen gepackten Taschen zu Hause auf dem Bett saß, ohne zu wissen, wie er hierhin gekommen war und wann er gepackt hatte.

Oberflächlich. Egoistisch. Selbstmitleid. Alles Worte, die er oft genug in Bezug auf Kollegen gedacht hatte. War er wie sie? Selbstsüchtig, arrogant, unhöflich? Wann war er ihnen so ähnlich geworden, ohne es zu bemerken?

Trent dachte an seine letzte Filmpremiere. Erinnerte sich daran, wie sehr ihn das alles genervt hatte, wie stark er um ein Lächeln für die Kameras der Fotografen hatte kämpfen müssen, während er ihnen innerlich die Pest an die neugierigen Hälse gewünscht hatte. Trent strich sich durch die Haare. Er war ein Heuchler. Ein Lügner, der in der Öffentlichkeit die heile Welt spielte. Das taten jedoch so gut wie alle in Hollywood, es gehörte schon zum guten Ton, andere zu belügen und zu täuschen.

Ich freue mich sehr auf den Film.

Die Dreharbeiten haben sehr viel Spaß gemacht.

Ich möchte unbedingt noch ein weiteres Mal mit dem Regisseur zusammenarbeiten.

Die Kollegen waren sehr nett, ich mag sie.

Ich liebe meine Fans.

Ganz typische Lügen auf Filmpremieren. Abgesehen vom letzten Satz, schließlich wusste man, wem man den eigenen Erfolg verdankte. Kein Schauspieler würde sich öffentlich hinstellen und über seine Fans herziehen, falls die ihm nicht gerade eine tote Katze vor die Tür legten. Es gab Grenzen in dem Bereich und dieser Stalker gehörte in Trents Augen dazu. Dennoch blieb man als Darsteller meistens höflich und anständig, zumindest solange eine Kamera auf einen gerichtet war.

Von der einen oder anderen Ausfallerscheinung mal abgesehen, wenn ein Kollege an der Bar zu tief ins Glas schaute. Aber derartige Dinge wurden, sofern es möglich war, unter Verschluss gehalten. Und wenn es nicht mehr geheimgehalten werden konnte, tat der Betroffene Buße, und zwar vor der Kamera, und gelobte Besserung. Solche werbewirksamen Szenen, wenn man sich in eine Klinik einweisen ließ, funktionierten fast immer und bescherten neuen Filmen der Darsteller allgemein ein saftiges Plus in der Kasse.

Trent stützte sich mit den Ellbogen auf beiden Knien ab und vergrub sein Gesicht in den Händen. Hollywood hatte ihn untergebuttert und er hatte es zugelassen. Die schnöde Wahrheit, an der, auch wenn er es nicht hören wollte, nicht zu rütteln war. Und Greg hatte es gewusst. Wahrscheinlich schon sehr lange, wenn das mit dem gestreckten Alkohol und den Tabletten stimmte, und beides traute er ihm zu.

Apropos Pillen …

Trent richtete sich auf, zog sein Handy aus der Tasche und begann, nachdem er die neueste Nachricht von Greg gelesen hatte, im Internet nach dem Zeitpunkt des heutigen Sonnenuntergangs zu suchen. Er musste sich unbedingt Nachschub besorgen, bevor er zu Sebastian fuhr, denn Greg war als Quelle ab sofort gestorben.

 

Pünktlich, genau 12 Minuten vor sieben Uhr abends, wie es ihm das Internet verraten hatte, klopfte Trent an die Tür eines Hotelzimmers, das auf ihn nicht sonderlich einladend wirkte. Das gesamte Haus wirkte schäbig, die Möbel waren alt und die Teppiche verblichen. Trent war weitaus bessere Unterkünfte gewöhnt. Niemand hätte es gewagt, ihn in so einer Bruchbude einzuquartieren, nicht einmal für Dreharbeiten am Arsch der Welt.

Neben sich einen großen Koffer, in dem eine Monatsration verschiedener Pillen versteckt war, und eine volle Reisetasche über der Schulter, verdrehte Trent genervt die Augen, als Sebastian drinnen, „Moment.“ rief. Er hätte sich gerne irgendwo abgestützt, denn seine Tasche war schwer, aber sie auf dem Boden abzustellen, wie den Koffer, kam für Trent nicht infrage. Wer wusste schon, was er sich dabei für Dreck oder Bakterien einhandelte. Der Koffer hatte Rollen, die abwaschbar waren.

Sebastian öffnete die Tür, warf einen kurzen Blick auf sein Gepäck und trat dann grinsend einen Schritt zurück. „Komm rein. Ich bin gleich fertig.“

Trent blieb, wo er war. Er würde keinen Fuß in dieses schmuddelige Zimmer setzen. „Hast du gedacht, dass ich nicht komme?“

„Ja.“

Eine andere Antwort hätte ihn auch gewundert. Trent schnaubte. „Deine Einladung war unwiderstehlich. Aber nur so aus Neugierde, was hättest du gemacht, wenn ich nicht aufgetaucht wäre?“

Sebastian nahm einen benutzt aussehenden Rucksack vom Bett, mehr Gepäck schien er nicht zu haben, und legte ihn sich über die Schulter, bevor er zu ihm in den Flur trat und das Zimmer abschloss. „Ich hätte dich geholt.“ Im nächsten Augenblick fuhr er mit eisigem Blick herum. „Du hast getrunken!“

Verflucht, woher wusste dieser Mistkerl das? Er hatte seinen Atem überprüft, bevor er hergekommen war, und er würde den Teufel tun, sich vor Sebastian eine Blöße zu geben. Trent zuckte betont lässig die Schultern. „Und?“

„Um eins von vornherein klarzustellen, Trent, solange ich auf dich aufpasse, gibt es keine Drogen und keinen Alkohol, ist das klar?“

Trents aufgesetzte Ruhe fing an zu bröckeln. „Ich mache bei diesem Quatsch mit, weil ich keine Lust auf weitere tote Katzen habe, was für dich heißt, du wirst dafür bezahlt, auf mich aufzupassen. Mehr nicht!“

Sebastian grinste selbstgefällig. „Okay.“

Trent sah Sebastian verblüfft nach, als der in Richtung Fahrstuhl davonging. Okay? Mehr sagte er dazu nicht? Das roch in seinen Augen verdächtig nach einer Falle. Er würde sich vorsehen müssen. Sebastian war zuzutrauen, dass er seinen Vorrat heimlich entsorgte und solange er nicht wusste, wo er in dieser Hinterwäldlerkleinstadt an Nachschub kam, waren die Pillen alles, was er hatte. Mal abgesehen vom Alkohol, aber den konnte er sich überall besorgen.

„Willst du da Wurzeln schlagen?“, fragte Sebastian im nächsten Moment belustigt und hielt dabei die Tür vom Fahrstuhl auf. „Komm schon, wir müssen los. Unser Flug geht in zwei Stunden.“

Trent seufzte und nahm seinen Koffer. Worauf hatte er sich mit diesem Bodyguard nur eingelassen? Vielleicht hätte er dem Stalker einfach nachgeben und für den Rest seines Lebens Filme drehen sollen. Das wäre garantiert leichter gewesen, als sich mit Mister Vollarsch, Sebastian Monroe, herumzuärgern.

„Wir fliegen nach Portland. Dort steht mein Wagen. Den Rest der Strecke fahren wir.“

Trent runzelte die Stirn und sah Sebastian fragend an. „Das klingt, als würde Sanoro am Arsch der Welt liegen.“

„Tut es auch“, antwortete Sebastian trocken. „Es gibt eine Bar mit integrierter Post und einen Kindergarten, der gleichzeitig auch die Schule ist. Wir haben einen Arzt und zwei von ansässigen Familien geführte Geschäfte für Lebensmittel und Haushaltswaren. Und natürlich unsere Sicherheitsfirma. 'Culpeo Inc.', die außerdem den Job eines Sheriffs übernimmt. Für eine eigene Polizeistation sind wir zu klein. Aber keine Sorge, du wirst nicht vor Langeweile sterben. Wir haben einen Internetanschluss, Telefon und für altmodische Leute gibt es Bücher und wöchentliche Treffen verschiedenster Gruppen.“

„Zum Beispiel?“

„Sport, Handarbeiten, Nachhilfe, Spielgruppen für die Kleinsten. Ach ja, und den Kochclub.“

Oh Gott, das war keine Stadt, sondern ein Kuhkaff der allerschlimmsten Sorte. „Wie weit liegt die nächste Ortschaft entfernt?“, fragte Trent ahnungsvoll.

„Mit dem Auto etwa eine Stunde. Zumindest noch. Im Winter sind wir manchmal tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Um Sanoro herum gibt es nur Wald und jede Menge wilde Tiere. Laut Wetterbericht erwarten wir Ende Oktober den ersten Schnee, das dürfte es deinem anhänglichen Stalker schwerer machen, dir auf die Pelle zu rücken.“

Und ihm machte das so gut wie unmöglich, die Stadt ohne Hilfe zu verlassen. Das hatte Sebastian zwar nicht gesagt, aber Trent verstand die Botschaft hinter dessen Worten auch so. Er verkniff sich ein entsetztes Stöhnen.

Die kommenden Wochen würden lang werden.

Sehr lang.

 

 

Kapitel 4

- Rick Malloy-

 

 

 

 

Wären die Temperaturen nachts ohnehin nicht schon dicht am Gefrierpunkt gewesen, hätte Rick Malloy garantiert die Abkühlung in der Luft gespürt, als Sebastian mit seinem neuen Schützling sein Büro betrat. Er wusste, dass sie einen Nachtflug genommen hatten und den Rest der Strecke ohne Pause durchgefahren waren, um frühmorgens in Sanoro zu sein.

Rick wusste ebenfalls, dass Trent am gestrigen Nachmittag von seinem Agenten eine ziemlich deutliche Ansprache zu hören bekommen hatte, und so wie der Mann aussah, hatte er die vergangenen zwölf Stunden mehr als einmal über Greg Rivers Worte gedacht. Vermutlich zwischen den Momenten, die er damit verbracht hatte, Mordpläne für seinen möglichen zukünftigen Lebenspartner zu schmieden. Natürlich würde Rick nichts in der Richtung verlauten lassen, das sollten die beiden selbst klären, aber er würde es sich nicht nehmen lassen dabei zuzusehen, wie Sebastian mit Hollywoods Schönling und Superstar, Trent Morgan, aneinandergeriet.

„Rick Malloy. Ich leite 'Culpeo Inc.'“, begrüßte er den Mann, den Sebastian seit nun mehr zwanzig Jahren über alles liebte und dessen finsterer Blick weniger dominante Wandler in die Flucht getrieben hätte. Rick reichte Trent eine Hand und musste sich das Lachen verkneifen, weil der sie erst nach einem Rippenstoß von Sebastian ergriff. „Nett, Sie kennenzulernen.“

„Nett?“ Trent sah Sebastian scharf an. „Was hast du ihm über mich erzählt?“

„Nicht mehr, als ich dir bereits auf der Fahrt hierher gesagt habe“, antwortete Sebastian angesäuert und Rick ließ Trents Hand wieder los, als der abfällig schnaubte. „Was? Ich lüge nicht. Ganz im Gegensatz zu dir.“

„Fängst du schon wieder davon an? Wenn es dir nicht passt, kann ich ja wieder gehen!“, fluchte Trent, offenbar vergessend, dass sie einen Zuschauer hatten.

„Das hättest du wohl gerne“, giftete Sebastian zurück, was allgemein gar nicht seine Art war. Der gestrige Tag musste stark an seinen Nerven gezerrt haben. „So leicht mache ich es dir aber nicht, mein Freund, und damit das gleich mal klar ist, hier habe ich das Sagen, nicht du.“

„Nur weil du hier wohnst, lasse ich mich von dir noch lange nicht herumschubsen.“

„Bin ich der Bodyguard oder du?“

Rick amüsierte sich königlich, trug nach außen hin aber einen nichtssagenden Gesichtsausdruck zur Schau, während er sich an seinem Schreibtisch setzte und unter dem Tisch genüsslich die Beine ausstreckte. Er schob die Streiterei der beiden zur Seite und ließ stattdessen seine Sinne zu Trent Morgan schweifen. Rein von der Statur her hätte er ein Wolf, eine Großkatze, sogar ein Bär, wie er selbst, sein können. Doch Sebastians Vermutung traf zu. Trent war nichts davon und trotzdem gehörte er zu ihnen. Sein Geruch war eindeutig vorhanden, sofern man sich die Mühe machte, hinter den Ausdünstungen von Alkohol und irgendetwas anderem, das Rick aus der Ferne nicht genau definieren konnte, danach zu suchen.

„Du bist ein Arschloch!“

Sebastian stöhnte genervt. „Danke. Das hast du in den letzten zwölf Stunden wie oft gesagt? Hundert Mal. Lass dir was Neues einfallen.“

„Du blöder ...“

Rick räusperte sich.

„Was ist?“, fauchten sie ihn gemeinsam an und Rick deutete wortlos zur Tür.

„Bring Trent nach Hause, damit er sich ausruhen und bei dir einrichten kann. Wir reden später weiter.“

„Wenigstens einer, der hier Manieren hat“, murmelte Trent arrogant und Sebastian knurrte, bevor er auf dem Fuße kehrtmachte und zur Tür lief, um sie aufzureißen und sich danach vor Trent zu verbeugen.

„Bitte sehr, Eure Majestät.“

Trent schnappte erbost nach Luft. „Es ist dein Glück, dass wir nicht alleine sind, sonst würde ich ...“

„Gar nichts würdest du, weil ich nämlich schneller bin als du“, fiel Sebastian Trent biestig ins Wort, der das mit einem Fluch kommentierte, bevor er an Sebastian vorbei aus dem Büro stürmte.

„Du bist so ein Dreckskerl!“

„Das sagt der Richtige, du mie…“

„Moment mal, was hat dein Boss damit gemeint, dass du mich nach Hause bringen sollst?“, fiel Trent plötzlich ein und Rick biss sich auf die Zunge, um nicht zu lachen. Dieses kleine Detail hatte Sebastian seinem alten Freund wohl verschwiegen. „Hast du mir etwa kein Hotelzimmer gemietet? Gibt es so was bei euch überhaupt?“

„Nein, deshalb wohnst du bei mir.“

„Bei dir?“

Ungläubiger ging es kaum. Rick grinste in sich hinein. Er hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass es einen Mann gab, der Sebastians Dickkopf ebenbürtig war, aber dieser Schauspieler schien ein guter Kandidat zu sein, es zumindest zu versuchen. Stur genug war jedenfalls.

„Vergiss es! Ich miete mir irgendwo ein Zimmer oder ich fahre zurück.“

„Hier gibt es keine Hotels, Ferienhäuser oder was du sonst an piekfeinen Unterkünften gewöhnt bist. Du wohnst bei mir oder du schläfst im Wald auf einem Baum.“

„Hast du sie noch alle, Monroe? Ich lasse mich nicht noch mal von dir erpress... Wieso auf einem Baum?“

„Weil Wölfe und Bären nicht vor einem arroganten Schauspieler Halt machen, wenn sie Hunger haben.“

„Das wirst du büßen, verlass dich drauf.“

„Oh, jetzt habe ich aber Angst.“

Rick begann zu lachen, als die Eingangstür hinter den zwei zugefallen war. Einer unwilliger als der andere. Oh ja, diese beiden würden sich anschreien, bevor die Woche vorbei war, und er war jetzt schon gespannt, wer dabei am Ende als Sieger hervorging.

 

 

Kapitel 5

- Sebastian -

 

 

 

 

'Du hast recht, er ist einer von uns. Wir werden uns um ihn kümmern.'

Kurz und schmerzlos, so war Rick, seit er ihn kannte, und offensichtlich nahm er weder Trent noch ihm ihren unmöglichen Auftritt in seinem Büro übel. Er würde sich trotzdem entschuldigen. Das war das Mindeste, was er tun konnte, wenn er sich von Trent schon so sehr reizen ließ, direkt vor Ricks Augen zu streiten.

Der schwieg übrigens eisern, seit sie wieder im Wagen saßen und Sebastian versuchte gar nicht erst, Trent in ein Gespräch oder einen weiteren Streit zu verwickeln. Irgendwie schien das die einfachste Art zu sein, ihn aus seinem Schneckenhaus zu locken, doch im Augenblick verspürte Sebastian darauf keinerlei Lust. Er hatte Trent aus gutem Grund verschwiegen, wo er in nächster Zeit wohnen würde. Sollte er darüber sauer sein, solange er wollte, aber in seiner Nähe war Trent sicher. Auf jeden Fall sicherer, als in einem Hotel oder Ferienhaus. Nicht, dass es in Sanoro so etwas überhaupt gab, doch noch war es zu früh, um Trent zu erklären, dass in dieser Stadt ausschließlich Gestaltwandler lebten.

Sie hielten zwar ein paar leer stehende Häuser bereit, um kurzfristige Besucher unterbringen zu können, aber von denen waren im Moment nur zwei bewohnbar. Eines wurde renoviert und das andere war von Jasper belegt, der es, wenn es nach Sebastian ging, bald kaufen würde. Jasper war der Arzt ihres Rudels, wohnte und arbeitete jedoch außerhalb. Das würde sich ändern, wenn er endlich den Schritt mit einer eigenen Klinik wagte, aber momentan war Jasper dazu nicht bereit.

Sebastian hielt vor dem Flachbau, den er Rick letztes Jahr abgekauft hatte, und stellte den Motor aus. „Wir sind da.“

„Gehört das Haus dir?“, fragte Trent und sah sich um. „Ziemlich abgelegen.“

„Den meisten war es zu weit draußen, darum stand es lange leer. Mich stört das nicht, also habe ich es gekauft.“ Sebastian stieg aus und wartete schweigend, bis Trent es ihm nach tat. „Knapp 120 qm, kleine Veranda inklusive, wie man sieht. Komm rein, ich zeige dir alles.“ Er schloss die Haustür auf und deutete in den Raum, der rechts abging. „Hauswirtschaftsraum mit Waschmaschine und Trockner, mein Arbeitszimmer ist das nächste, danach folgt das Schlafzimmer. Daneben liegt ein Gästezimmer, dort schläfst du. Direkt gegenüber befindet sich das Bad und der Rest vom Haus besteht aus einem großen Raum, den ich als Wohn- und Esszimmer eingerichtet habe. Meine Küche ist offen und hat einen extra abgetrennten Bereich für Vorräte. Du kannst alles nutzen, sogar die Pornosammlung unterm Fernseher.“

Trent reagierte nicht auf den kleinen Scherz, sah ihn nicht einmal an. Sebastian verkniff sich ein Seufzen und ging ins Wohnzimmer durch.

„Der Waffenschrank in meinem Arbeitszimmer ist für dich tabu und ohnehin immer abgeschlossen. Ansonsten hast du freien Zugang zu allem, was es gibt.“

„Du hast Waffen im Haus?“, fragte Trent verblüfft.

„Ich bin Bodyguard, schon vergessen? Ich habe dafür eine Erlaubnis und übe regelmäßig auf dem Schießstand hinter dem Firmengebäude. Wir haben dort auch eine Kampfsportschule, in der ich unsere Jugendlichen unterrichte.“

Trent runzelte nachdenklich die Stirn. „Kannst du mir das beibringen?“

„Selbstverteidigung?“

„Nein, schießen.“

Jetzt war es an Sebastian, die Stirn zu runzeln, weil er nicht sicher war, ob ihm die Richtung gefiel, in die dieses Gespräch abzudriften drohte. „Du hasst doch Waffen.“

„Früher mal.“ Trent ließ seinen Blick langsam durchs Wohnzimmer schweifen. „Man ändert seine Meinung, wenn einem ein Irrer tote Katzen vor die Tür legt.“

„Es war nur eine.“

„Macht es das besser?“

„Nein“, gab Sebastian zu und überlegte. „Ich muss das mit Rick besprechen. Er hält nichts davon, Zivilisten mit Waffen herumspielen zu lassen. Willst du etwas essen?“

„Nein.“ Trent wandte sich ab. „Ich hole mein Zeug.“

Sebastian ließ ihn gehen und beobachtete Trent durch die breite Fensterfront des Wohnzimmers. Es war noch dunkel draußen, dennoch sah Sebastian, wie Trent neben dem Auto stehenblieb, die Hände zu Fäusten ballte und den Kiefer so heftig zusammenpresste, dass es ihm allein vom Zusehen schmerzte.

Mit Trent in einem Haus zu leben, würde nicht leicht werden. Das war ihm von Anfang an bewusst gewesen, aber Sebastian hatte nicht erwartet, dass es so schlimm um Trent stand und dass ihn die Ablehnung in dessen hellblauen Augen, die ihr Leuchten von früher verloren hatten, derart treffen würde. Dabei konnte er von Glück reden, noch keine Bekanntschaft mit Trents Fäusten gemacht zu haben. Er hätte es verdient, darüber machte sich Sebastian keine Illusionen, und früher oder später würde es wohl dazu kommen. Aber vielleicht war es auch gut, wenn sie mit den Fäusten aufeinander losgingen. Trent hatte eine verdammt hohe Mauer um sich errichtet und Sebastian würde spätestens Ende der Woche damit anfangen, diese Mauer Stück für Stück niederzureißen.

Sein Handy klingelte.

„Wie sieht es aus?“, fragte Rick ernst, als er den Anruf entgegengenommen hatte, und Sebastian verzog gequält das Gesicht.

„Rick, wegen vorhin ...“

„Schwamm drüber“, unterbrach ihn sein Boss sofort. „Es hat für einen ersten Eindruck ausgereicht, der Rest findet sich. Ich gebe ihm eine Chance, wenn er alle seine Sinne beisammen hat. Im Moment ist er viel zu sauer auf dich, um sich darum zu kümmern, welchen Eindruck er bei einem Außenstehenden hinterlässt. Also? Wie geht es ihm? Hat er dir schon eine verpasst?“

Sebastian musste ungewollt grinsen. „Nein, aber das kommt bald, schätze ich. Er steht gerade draußen neben dem Wagen und scheint zu überlegen, ob er ihn mit den Fäusten in seine Einzelteile zerlegen kann.“

„Er ist wirklich gut drauf“, sagte Rick sarkastisch und Sebastian seufzte leise. „Geduld, Bast. Ihr habt zwanzig Jahre verloren, da hat sich eine Menge Enttäuschung und Wut angestaut. Nicht nur bei ihm, das weißt du.“

„Ja, schon klar.“ Sebastian fiel etwas ein. „Er hat mich gefragt, ob ich ihm das Schießen beibringe.“

„Kannst du vergessen. Wenn er clean ist, können wir darüber reden, vorher nicht.“

Sebastian hatte mit einer Abfuhr gerechnet, er kannte Rick lange genug. „Soll ich ihm das so sagen?“

„Kannst du gerne tun. Ich komme damit klar, wenn er mir ans Bein pinkeln will.“

„Du hast eine Ausdrucksweise, da kräuseln sich meine Nasenhaare.“

„Du hast Nasenhaare?“, konterte Rick albern und brachte ihn damit zum Lachen. „Habt ihr schon was gegessen?“, fragte sein Boss anschließend, was Sebastian verneinte. „Für eine Einladung zum Frühstück bei uns ist es noch zu früh, glaube ich, aber sieh zu, dass er in den nächsten ein, zwei Tagen vernünftig isst, bevor sich seine ersten Entzugssymptome zeigen.“

Sebastian erstarrte. „Du weißt schon Bescheid?“

„Ich weiß immer, was in meiner Stadt vorgeht, das müsstest du eigentlich wissen. Und ja, mir ist zu Ohren gekommen, dass du Caruso und Alex in den Geschäften und natürlich Wilson in seiner Bar dazu angehalten hast, Trent nichts zu verkaufen.“ Rick gluckste. „Dein Kleiner wird dir so was von den Arsch aufreißen, sobald er das spitzkriegt.“

„Mein Kleiner?“

„Ich könnte auch Küken sagen, aber das bist du, da er der Ältere von euch beiden ist“, erklärte Rick lässig und Sebastian grinste. „Hast du Jasper informiert?“

„Natürlich. Er übernimmt die Bereitschaft, falls Trent ärztliche Hilfe braucht, aber er würde ihn nur ungern ins Krankenhaus bringen und ich stimme ihm dahingehend zu. Wenn Trent dort erkannt wird, wirbelt das viel zu viel Staub auf, und das wäre gefährlich. Erstens wegen dem Stalker, der hoffentlich nicht mitbekommen hat, dass er nicht mehr in L.A. ist, und zweitens wegen seines Rufs. Ich will Trent nicht schaden, ich will ihm nur helfen.“

„Ein kalter Entzug ist nicht ohne, Bast, sei dir dessen bewusst“, warf Rick ein und das wusste Sebastian auch, dennoch hielt er es für das Beste. Freiwillig würde Trent kaum die Finger von seinen Pillen und hochprozentigen Freunden lassen, und er war für Trents Schutz engagiert. In seinen Augen gehörte es dazu, dafür zu sorgen, dass der Klient unversehrt blieb. In jeglicher Hinsicht.

Außerdem dachte Greg Rivers genauso wie er. Eines Tages würde die Sucht Trent in den Abgrund reißen, und Sebastian hatte nicht vor tatenlos danebenzustehen und zuzusehen.

Trent nahm sein Gepäck aus dem Wagen und schlug den Rückweg zum Haus ein. Sebastian konzentrierte sich wieder auf Rick. „Es hat bei Jasper geklappt und Trent wird es auch schaffen. Ich muss jetzt Schluss machen, er kommt zurück.“

„Viel Glück.“

 

 

Kapitel 6

- Trent -

 

 

 

 

Der nächste Morgen begann mitten in der Nacht. Das Gefühl hatte Trent zumindest, als er wach wurde, weil jemand im Vorratsraum herumkramte. Kurz darauf rumste es und Trent zuckte bei dem folgenden, unflätigen Fluch heftig zusammen. Sebastians Arsenal an Schimpfwörtern hatte sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten offenbar beträchtlich erweitert und Trent ahnte, dass er sehr bald wieder in den Genuss kommen würde, sich einiges davon anzuhören.

Der gestrige Tag war das beste Beispiel dafür, weil sie ihn damit verbracht hatten, entweder zu schweigen oder einander anzuschreien. Trent war natürlich klar, dass er daran mitschuldig war, immerhin hatte er keinerlei Hehl daraus gemacht, stinksauer zu sein, weil er die nächsten Wochen in einem Haus im Wald festsaß. Am Arsch der Welt und mit einem nervenden Mitbewohner, dem er am liebsten eigenhändig den Hals umgedreht hätte.

„Verdammte Scheiße“, fluchte Sebastian nebenan und Trent verdrehte die Augen, bevor er mit der Faust gegen die Wand hämmerte.

„Es gibt Leute in diesem Haus, die gerne ausschlafen würden!“

„Du müsstest eigentlich wissen, dass ich noch nie ein Langschläfer war!“, brüllte Sebastian zurück. „Steh' auf, ich habe Frühstück gemacht.“

„Hab' keinen Hunger!“

„Wir können natürlich bei dir im Bett essen, wenn dir das lieber ist, mein Schatz.“

Trent knurrte und schlug die Bettdecke zur Seite. „Gib mir zehn Minuten, ich will erst duschen. Und wag' es ja nicht, mich noch mal Schatz zu nennen!“

Er hörte Sebastian nebenan lachen und holte tief Luft, um sich ein bisschen zu beruhigen, bevor er etwas sagte, das ihm hinterher leidtat oder zu einem weiteren Streit zwischen ihnen führte. Darauf hatte er um diese Uhrzeit nun wirklich keine Lust. Trent gähnte und kramte eines seiner großen Handtücher aus dem Schrank, bevor er ins Badezimmer ging und die Tür hinter sich abschloss. Er wollte in Ruhe duschen und Sebastian war zuzutrauen, dass er ohne zu fragen in den Raum platzte.

Ein Blick in den Spiegel ließ ihn eine Grimasse ziehen. Er musste sich dringend rasieren und seine Augen sahen aus, als hätte er zwei Tage ohne Pause gesoffen. Apropos saufen ... die Stadt hatte doch eine Bar. Der würde er im Laufe des Tages mal einen Besuch abstatten.

Trent betrat die Dusche und stand kurz darauf wieder vor dem Spiegel, den Rasierer in der Hand und das nasse Badetuch um die Hüften, weil er vergessen hatte, frische Kleidung mitzunehmen. Seine Pillen hatte er im Übrigen auch vergessen, fiel Trent ein, während er sich die Zähne putzte. Dieser spontane Urlaub brachte seinen ganzen Tagesablauf durcheinander.

Die Nähe zu Sebastian brachte allerdings noch ganz andere Dinge durcheinander. Was bei dem Körper, den der Kerl sein eigen nannte, auch kein Wunder war. Trent hatte sich gestern nur mit Mühe davon abhalten können, Sebastian mit offenem Mund hinterher zu sabbern, als sie sich im Badezimmer abgewechselt hatten. Er konnte sich seit ihrem Zusammentreffen leider viel zu gut an die körperlichen Attribute erinnern, die Sebastians schon als Teenager besessen hatte. Die waren allerdings nichts zu der Person, die gestern nur in hautengen Shorts an ihm vorbei in sein Schlafzimmer gegangen war.

Lange, schlanke Beine. Von der Sonne gebräunt, den Unterschied erkannte Trent sofort, und mit der richtigen Menge Muskeln an genau den richtigen Stellen. Von der leichten Behaarung gar nicht zu reden, die sich über dem Rand der Shorts fortgesetzt hatte. Und diese Brust. Trent war förmlich das Wasser im Mund zusammengelaufen. Er hatte ein Faible für Männer, die auf sich achteten und dabei nicht aussahen, als lebten sie im Fitnessstudio um die Ecke. Kollegen wie Hugh Jackman waren genau sein Typ, aber selbst der kam nicht gegen Sebastian an.

„Trent?“ Es klopfte an der Tür. „Ist alles okay bei dir? Du hast gestöhnt.“

Gestöhnt? Trent blinzelte, spuckte die Zahnpasta aus und starrte dann finster auf das Handtuchzelt zwischen seinen Beinen. „Nichts passiert, hab' mich nur gestoßen“, log er und trat vom Waschbecken weg.

So konnte er das Bad unmöglich verlassen, Sebastian würde sich ausschütten vor Lachen. Und ihn zu bitten, sich um das Problem zu kümmern, kam schon gar nicht infrage. Eher behielt er für den Rest seines Lebens einen Ständer.

„Ich komme gleich“, rief Trent nach draußen und griff derweil nach einem Lappen. Kaltes Wasser sollte helfen und in Zukunft würde er auf derartige Fantasien besser verzichten. Ehe er Sebastian Monroe in sein Leben und vor allem sein Bett einlud, fror die Hölle zu. Es gab Millionen anderer, gut aussehender Männer überall auf dem Planeten und selbst am Arsch der Welt, wie hier in Sanoro, dürften die Bewohner so etwas profanem wie Sex nicht gänzlich abgeneigt sein. Trent entschied, sich die ansässigen Kerle bei nächster Gelegenheit mal etwas genauer anzusehen.

 

Sebastian wartete mit frischem Kaffee und Toast auf ihn, als Trent in die Küche trat. Er nickte ihm zu, setzte sich wortlos an den Tisch und ignorierte das angebotene Essen. Trent aß frühmorgens nur in Ausnahmefällen und er hatte nicht vor, das zu ändern.

„Frühstück?“

„Ich esse morgens nichts“, antwortete er und zuckte die Schultern, als Sebastian ihn erstaunt ansah. Früher hatte er es getan und daran erinnerte sich Sebastian mit Sicherheit noch, immerhin hatten sie oft genug zusammen gegessen. Aber früher war ein gefühltes halbes Leben her und lange vergessen.

„Na gut, dann das Wichtigste zuerst, weil wir gestern irgendwie nicht dazu gekommen sind.“ Sebastian trank einen Schluck Kaffee, bevor er weitersprach. „Dir gehört das Gästezimmer und ich akzeptiere deine Privatsphäre. Bei allem anderen herrscht allerdings Arbeitsteilung. Du wirst deine Wäsche waschen, Essen kochen, aufräumen, die Küche sauber halten und den Müll wegbringen. Wir legen einen Plan an. Ich weiß, dass du in L.A. seit Jahren eine Haushälterin hast, aber das kannst du dir vorerst abschminken. Ich räume dir nicht den Arsch nach.“

Trent konnte nicht verhindern, dass er rot wurde, und er ärgerte sich umgehend darüber. „Dann beschwer' dich hinterher aber nicht, wenn dein Haus überflutet ist, weil ich die Waschmaschine in die Luft gejagt habe. Kochen kann ich übrigens auch nicht.“

Sebastian verdrehte die Augen. „Habe ich gesagt, dass du damit allein dastehst? Ich zeige dir, wie alles funktioniert, und für etwaige Nachfragen hast du deine große Klappe. Benutz' sie. Was das Kochen betrifft ...“ Sebastian zuckte lässig mit den Schultern. „Ich mache es, bis du die ersten Grundlagen gut genug beherrscht, dass wir nicht mehr Gefahr laufen, wegen einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus zu landen. Bis dahin übernimmst du den Abwasch.“

Was war das hier? Eine Kaserne? Es fehlten nur noch feste Aufsteh- und Zubettgehzeiten. Vielleicht sollten sie auch einen Plan für die Benutzung von Dusche und Klo aufstellen. Trent schluckte den spöttischen Kommentar herunter, der ihm dazu einfiel, und verdrehte stattdessen die Augen.

„Mir war schon klar, dass dein Hauswirtschaftsraum nicht nur Zierde ist.“

„Schön für dich“, konterte Sebastian trocken und ließ dabei deutlich heraushören, was er von ihm und seiner Art zu leben hielt.

Trent schnaubte. Er war eben verwöhnt, na und wenn schon? Wer zweistellige Millionenbeträge für jeden Film bekam, konnte sich Personal leisten, und er nutzte das auch, weil er keinen Bock hatte, die Küche aufzuräumen oder Wäsche zu waschen.

„Wann hast du zum letzten Mal selbst deine Wäsche gewaschen?“, fragte Sebastian auf sein Schnauben hin und Trent musste nicht lange überlegen. Die erste Zeit in Los Angeles, bevor er seinen Durchbruch geschafft hatte, war er oft in Waschsalons gewesen. Er hatte dort sogar ab und zu übernachtet, da sein Geld weder für ein Dach über dem Kopf noch für regelmäßige Mahlzeiten gereicht hatte. Trent dachte allerdings nicht im Traum daran, Sebastian davon zu erzählen.

„Keine Ahnung“, log er und goss sich Kaffee nach.

„Junge, Junge, bist du ein Snob.“ Sebastian schüttelte amüsiert den Kopf und Trent fühlte sich angegriffen.

„Na und? Ich habe genug Geld, um mir so was leisten zu können“, sagte er herablassend und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Solltest du auch mal versuchen, das würde vielleicht deine Laune heben.“

Sebastians Blick verfinsterte sich umgehend. „So was? Das sind Menschen, die für dich arbeiten. Keine Sklaven, über die man verfügt.“

„Sie werden gut bezahlt.“

„Meine Fresse, Trent!“ Sebastian sah ihn verärgert an. „Ich wette, du weißt nicht mal, wie deine Haushälterin heißt.“

Das wusste er wirklich nicht, musste Trent zugeben. Es hatte ihn nie interessiert. Seine wenigen Angestellten wechselten alle Nase lang, nur die Agentur, die Greg für ihn ausgesucht und engagiert hatte, war immer noch dieselbe. Außerdem war das Gregs Aufgabengebiet und nicht seines. Was ging es ihn also an?

Trent erstarrte, als ihm plötzlich bewusst wurde, wie herablassend er über die ältere Frau dachte, die dreimal in der Woche wie ein Schatten durch sein Haus huschte und überall für Ordnung sorgte. Er konnte nicht mal mit Gewissheit sagen, wie sie aussah. Wenn es noch dieselbe war, die ihm vor einigen Monaten im Flur über den Weg gelaufen war, wusste er nur, dass sie keine Amerikanerin war. Eine Mexikanerin vielleicht? Trent versuchte sich zu erinnern, ohne Erfolg, was seiner Laune nicht gerade zuträglich war, als ihm dabei auch noch Gregs Vorwürfe über seinen derzeitigen Lebensstil einfielen.

„Ich habe mich nie dafür interessiert, weil es mir egal war, bist du jetzt zufrieden?“, fuhr er Sebastian an, weil er sich nicht eingestehen wollte, dass er ein egoistischer, oberflächlicher und arroganter Mistkerl war, und stellte seine Tasse so heftig auf den Tisch, dass der Inhalt über den Rand schwappte.

„Maria“, sagte Sebastian leise und schob seine eigene Tasse von sich, um ihn dann ernst anzusehen. „Sie heißt Maria, ist zweiundfünfzig Jahre alt und arbeitet seit fast sechs Jahren für dich. Sie mag dich, hat sie mir erzählt, aber sie findet, dass du zu viel trinkst und dass du lieber das tun solltest, was du willst und nicht, was Hollywood von dir erwartet.“

Trent runzelte misstrauisch die Stirn. „Du hast mit ihr gesprochen?“

„Ja.“ Sebastian nickte. „Ich bin Bodyguard und wollte wissen, wer in deiner Nähe ist. Dazu zählt auch Maria.“

„Denkst du, sie könnte ...“

„Etwas mit dem Stalker zu tun haben?“, sprach Sebastian aus, was Trent nicht konnte. „Nein, das glaube ich nicht, trotzdem lasse ich sie überprüfen, was im Übrigen für alle Leute gilt, mit denen du regelmäßig Kontakt hast. Der Stalker weiß, wo du wohnst, das heißt, er kennt dich. Entweder ist es ein Fan oder ein Nachbar oder beides. Oder, was hoffentlich nicht der Fall ist, er ist ein völlig Unbekannter, der sich auf dich eingeschossen hat.“

„Was?“, fragte Trent irritiert.

„Vier von fünf Stalkern sind harmlos und wollen nur die Aufmerksamkeit der Leute, die sie beobachten. Aber es gibt Fälle, wo es nicht ganz so einfach ist.“

„Und die tote Katze spricht für diesen Fall, verstehe.“ Trent schob den Stuhl zurück und stand auf. „Wenn du mir Angst machen wolltest, Herzlichen Glückwunsch, du hast dein Ziel erreicht.“

„Trent ...“

„Ich gehe spazieren. Allein.“

Sebastian seufzte. „Du wirst vorerst rund um die Uhr bewacht, ich denke, das solltest du wissen. Solange du es nicht willst, wird sich dir niemand nähern. Ich bezweifle zwar, dass dein Stalker an der nächsten Ecke lauert, aber ich gehe lieber auf Nummer sicher.“

„Danke“, presste Trent hervor und wandte sich ab.

„Trent?“, rief Sebastian wenig später, da hatte er eben die Hand an den Knauf der Haustür gelegt.

„Was?“

„Ich hätte dich nicht an die Presse verraten.“

Sollte ihn das beruhigen? Falls ja, musste er Sebastian leider enttäuschen, das tat es nämlich nicht. „Ach? Aber mich gegen meinen Willen hierher zu verschleppen, das wäre in Ordnung gewesen?“

„Ja.“

„Arschloch!“, zischte Trent und riss die Haustür auf.

„Ich habe nachher Unterricht. Wenn etwas ist, findest du mich in der Firma. Falls sonst etwas ist, dein heutiger Beschützer heißt Adam und ist immer in Rufweite.“

Trent beschloss, dass diese Information keine verbale Antwort wert war und da er Sebastian nicht mehr sehen konnte, sparte er sich auch, den Mittelfinger zu heben, so wie er es gestern einige Male getan hatte. Oh ja, streiten hatten sie schon immer gut können.

„Nimm deine Jacke mit, es ist kühl draußen.“

„Meine Güte, ich bin kein Kind mehr“, murrte Trent und griff nach seiner Jacke.

„Neben der Tür hängt ein Schirm.“

„Und?“

„Es ist Regen angesagt, willst du nass werden und dir etwas einfangen?“

Wenn Sebastian so weitermachte, würde er gleich in die Küche zurückstürmen und ihn erwürgen. „Hör' auf, mich zu nerven, Herrgott.“

„Dann tu', was ich sage.“

„Bin ich ein Hund, oder was?“

„Der bräuchte keinen Schirm.“

„Fick dich!“, zischte Trent und ließ den Regenschirm mit Absicht hängen, als er wutentbrannt aus dem Haus stürmte.

 

 

Kapitel 7

- Sebastian -

 

 

 

 

Es dauerte keine zehn Sekunden, bis sein Handy den Eingang einer Nachricht ankündigte. Es war Adam, der fragte, ob alles in Ordnung sei und dass er sich soeben an Trents Fersen geheftet hatte. Sebastian schrieb ihm kurz zurück und nahm wenig später Ricks Anruf entgegen.

„Hängt Adam an ihm dran?“

„Ja.“

„Er hat keinen Schirm dabei.“

„Warst du im Wald?“

„Bin ich noch“, antwortete sein Boss. „Hab' in der Nähe geparkt und wollte gerade bei euch klingeln, als er aus dem Haus kam. Hat's gekracht?“

„Ja“, antwortete Sebastian knurrig und ballte die freie Hand zur Faust. „Sonst noch was?“

„Mit deiner Laune gibst du keinen Unterricht. Soll ich deine Kids übernehmen?“, fragte Rick, dem nie entging, wenn ein Mitglied des Rudels mit sich zu kämpfen hatte, und Sebastian stand kurz davor die Beherrschung zu verlieren.

„Nein. Bis dahin habe ich mich abgeregt.“

„Ich schätze, ich mag ihn.“

„Wie bitte?“, fragte Sebastian drohend.

„Kein Mann hat dich je so auf die Palme gebracht wie dieser Schauspieler. Allein das ist für mich schon Grund genug, ihn zu mögen.“

Rick legte auf, bevor Sebastian ihn dafür anschreien konnte. Er schaffte es nur mit Mühe und Not, das Handy nicht vor lauter Wut zu zerquetschen. Stattdessen legte er es betont ruhig auf den Tisch und warf mit einem erbosten Schrei die beiden Kaffeetassen gegen die Wand, ehe er sich noch in der Küche auszog und in den Wald hinter dem Haus stürmte.

Sein aufgebrachter Schrei vermischte sich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen, als er begann sich zu verwandeln. Sebastian war so wütend auf Trent, dass er die restliche Wandlung gar nicht bewusst mitbekam, wie es sonst immer der Fall war. Er fühlte nur diesen gleißenden Schmerz, der ihm heute willkommen war, weil er seinen Zorn auf ihn lenken konnte.

Dieses verfluchte, arrogante Gehabe, das Trent an den Tag legte, seit sie sich vorgestern wiedergesehen hatten, und von dem er offensichtlich glaubte, es würde darüber hinwegtäuschen, wie verunsichert und unglücklich er in Wirklichkeit war, reizte Sebastians Jaguar bis aufs Blut. Und dazu noch die unterschwellige Erregung, die ständig von Trent ausging und Sebastians Körper jedes Mal zum Kochen brachte.

Er hatte vorhin seine ganze Kraft gebraucht, um von der Badezimmertür wegzutreten, als ihm klar geworden war, was Trents Stöhnen drinnen bedeutete. Von wegen, er hätte sich gestoßen. Trent war heftig erregt gewesen und Sebastian konnte an drei Krallen abzählen, wer der Grund für diese Erregung war, ob sein Freund das nun leugnete oder nicht. Dabei würde er nichts lieber tun, als Trent zu erobern und in ihn einzudringen, wieder und wieder, bis er nach mehr bettelte. Jeden Millimeter des schlanken Körpers mit den Händen erkunden und seine Lippen auf die warme Haut pressen. Trent war in Sebastians Augen perfekt und so wie er ihn gestern angestarrt hatte, als sie sich vor dem Bad die Klinke in die Hand gegeben hatten, war Trent keinesfalls so uninteressiert an ihm, wie er sich nach außen hin gab.

Dieses widersprüchliche Verhalten machte Sebastian kirre. Der Jaguar in ihm wollte seine Krallen tief in Trents Körper schlagen und ihn beißen. Hart und fest. Bis er verstand, dass er unter Freunden war.

Dass er in dieser Stadt niemals schauspielern musste, sondern ab sofort und für immer er selbst sein konnte, mit all seinen Macken und Fehlern.

Dass er zu ihnen gehörte. Nein, zu ihm.

Dass er 'Sein' war!

Ein Knurren lenkte Sebastians Aufmerksamkeit in die Büsche vor sich, doch bevor er eine Warnung ausstoßen konnte, brach ein großer Bär durch das bunte Laubwerk hindurch und stürzte sich auf ihn.

 

„Scheiße.“ Sebastian betrachtete seinen blutigen Arm und warf Rick einen finsteren Blick zu. „Hättest du mich nicht woanders beißen können? Das sieht er doch, und ich darf mir jetzt eine Ausrede einfallen lassen. Ich kann ihm ja schlecht erzählen, ich hätte mich seinetwegen mit einem Bären geprügelt.“

„Ist nicht mein Problem“, konterte Rick trocken und lehnte sich an den Baumstamm hinter seinem Rücken. „Wie geht’s dir jetzt?“

„Besser.“ Sebastian seufzte leise. „Danke. Ich schätze, das habe ich gebraucht.“

„Was denkst du, wieso ich dich angegriffen habe? Er bringt dich ganz schön durcheinander, Bast.“ Rick stieß ihn mit einem nackten Fuß an. „Selbstbeherrschung, sagt dir das was? Du hast derzeit eindeutig zu wenig davon.“

Sebastian verdrehte frustriert die Augen. „Der Jaguar will ihm die Klamotten vom Leib reißen.“

„Schieb' es nicht auf deine Katze, Sebastian, du willst ihn genauso“, widersprach Rick in einem Tonfall, den er von niemanden sonst akzeptiert hätte. Na ja, abgesehen von Trent, aber das stand auf einem ganz anderen Blatt. „Vielleicht wäre es ratsamer, ihn bei einem der anderen Jungs einzuquartieren.“

„Nein!“, fauchte Sebastian prompt, denn das würde er niemals akzeptieren. „Nur über meine Leiche!“

Rick betrachtete ihn sehr lange, bevor er seinen Einspruch mit einem Nicken akzeptierte.

„Er bleibt bei mir. Alles andere würde den Jaguar und mich noch verrückter machen.“

„Wirst du damit zurechtkommen, dass er dich belügt, was seine Gefühle angeht?“, fragte Rick etwas später, als sie eng nebeneinander gelehnt am Stamm saßen und dabei zusahen, wie die Sonne über den Bäumen aufstieg.

„Ich muss. Zumindest bis er die Wahrheit kennt und wir offen miteinander reden können.“

„Bast, hast du je in Betracht gezogen, dass er ...“

„Nein“, unterbrach Sebastian seinen Freund und Rudelführer, denn das wollte er nicht hören. Trent gehörte zu ihm, basta. „Ich weiß, wie er auf mich reagiert hat und was er fühlt. Ich kann es sehen und riechen. Er lügt mir aus Selbstschutz etwas vor, da bin ich mir sicher.“

„Bast, er könnte einen anderen Ma...“

„Nein!“

„Du bist störrischer als gut für dich ist“, murmelte Rick und winkte ab, als Sebastian etwas sagen wollte. „Lassen wir das. Ich habe die Ergebnisse von den Überprüfungen bekommen, die du wolltest. Rivers ist sauber, genau wie seine Hausangestellten und übrigen Kontakte. Es ist niemand aus Trents direkten Umfeld.“

Genau das hatte Sebastian bereits befürchtet, obwohl er bis zuletzt der Hoffnung erlegen war, der Unbekannte wäre bloß ein verärgerter, ehemaliger Angestellter oder ein harmloser Spinner, der bei den städtischen Behörden aktenkundig war.

„Also kommt der Stalker von außerhalb und gehört in die gefährliche Kategorie.“

Rick nickte zustimmend. „Sieht ganz danach aus, und wir beide wissen, was das heißt. Ich lasse die umliegende Gegend beobachten, noch ist kein Besucher eingetroffen, aber bald kommen die ersten Winterurlauber nach 'Big Rock' und wir können unmöglich sämtliche Skigebiete in der Nähe überwachen.“

„Mist.“

„Gut ausgedrückt.“ Rick sprang auf und streckte sich, bevor er ihm die Hand reichte und ihn auf die Beine zog. „Warten wir erst mal ab, mehr können wir ohnehin nicht tun. Und jetzt beweg' deinen sturen Hintern nach Hause und verarzte den Arm, bevor du zur Schule gehst. Adam wird gut auf deinen Mann aufpassen, das weißt du.“

„Er ist nicht mein Mann.“

„Noch nicht.“

 

 

Kapitel 8

- Trent -

 

 

 

 

Am Nachmittag hatte sich Trents Laune immer noch nicht gebessert, was auch daran lag, dass er für das herbstlich kühle Wetter zu dünn angezogen und deshalb längst durchgefroren war. Aber zumindest kannte er nun die gesamte Kleinstadt, in die Sebastian ihn verfrachtet hatte. Wobei Sanoro in seinen Augen den Begriff Stadt nicht verdiente. Es gab nur eine Hauptstraße, wo sich die wenigen Geschäfte und eine größere Anzahl Wohnhäuser aneinanderreihten, wie die Perlen an einer Kette. Einige abzweigende Waldwege führten zu weiteren Häusern bis tief in die Wälder hinein.

Trent hatte sich ein paar von ihnen näher angesehen. Es waren vor allem heimelig wirkende Holzhäuser, in denen wahrscheinlich Familien mit Kindern wohnten. Urig und idyllisch fielen ihm als Beschreibung für den Ort ein und er hätte sich vermutlich sogar überreden lassen, für einen Urlaub in Sanoro ein Haus zu mieten. Sofern es in der Nähe eine Skipiste, einen Club oder sonst etwas gab, denn er war wirklich kein Typ, der seine Abende vor dem Kamin verbrachte. Am besten einem, vor dem ein Bärenfell lag.

Trent schauderte bei der Vorstellung und betrat das kleinere der zwei Geschäfte, die es hier gab. Das Angebot war größer, als er erwartet hatte, stellte Trent bei einem Rundblick fest und setzte ein Lächeln auf, als er zu dem Verkaufstresen trat, hinter dem eine hübsche, junge Frau stand, die ihn seit seinem Eintreffen neugierig ansah.

„Hi“, begrüßte er sie und deutete hinter sie. „Können Sie mir einen guten Whisky empfehlen?“

„Hi.“ Sie lächelte ihn harmlos an. „Ich könnte schon, aber ich werde es nicht tun.“

Trent war von ihrer Antwort zu verdutzt, um sauer zu sein. „Warum nicht?“

„Mir wurde verboten, Ihnen Alkohol zu verkaufen, Mister Morgan.“

Sekunde mal, woher kannte sie seinen Namen? Trent kam ein unglaublicher Verdacht und er warf der Verkäuferin einen eindringlichen Blick zu. „Sind Sie zufällig mit Sebastian Monroe bekannt?“ Statt einer Antwort fing sie an zu grinsen und Trent stöhnte frustriert auf, als er verstand, was Sebastian getan hatte. „Das ist jetzt nicht wahr.“

„Seine Drohung war ziemlich beeindruckend.“

„Er hat Sie bedroht?“, fragte er fassungslos und wurde dafür ausgelacht. So langsam kam er sich verschaukelt vor. „Was ist an einer Drohung bitteschön lustig?“

Die junge Frau ließ sich von dem scharfen Ton seiner Stimme nicht im Geringsten beeindrucken. Sie stützte sich lächelnd auf den Tresen und deutete mit der Hand hinter sich auf den Alkohol. „Das Zeug ist nicht gut für Sie, Mister Morgan. Sie trinken viel zu viel und bevor Sie fragen, ich weiß, wer Sie sind und ich habe einen Bruder, der seit Jahren trocken ist.“ Sie streckte die Hand aus. „Ich bin Cori, eigentlich Corinne, die jüngste Schwester von Jasper, dem Arzt der Stadt. Du lernst ihn in ein paar Tagen kennen, er arbeitet außerhalb.“

Trent ergriff ihre Hand. „Woher …?“

„Nach Sanoro kommen sehr selten Gäste und wenn Sebastian Monroe mit einem früheren Schulfreund hier auftaucht, der heute zu den leuchtendsten Sternen von Hollywood gehört, spricht sich das schnell rum.“

Trent verdrehte die Augen. „Ich bin Trent und schon lange nicht mehr der beste Freund von Sebastian.“

Corinne nickte. „Ja, ich hab' da was gehört.“

Klatsch und Tratsch in Kleinstädten. Schlimmer als in Hollywood, fand er, sagte aber nichts dazu. Stattdessen seufzte er und warf einen letzten Blick auf den Alkohol hinter Corinne. Er hatte ein Problem. Wenn Sebastian so weit ging und in der gesamten Stadt verlauten ließ, dass ihm niemand Alkohol verkaufen durfte, hatte er sogar ein verdammt großes Problem.

„Ich schätze, es ist egal, wohin ich gehe?“

Corinne nickte. „Niemand wird dir etwas verkaufen, dafür hat er gesorgt. Und falls du darüber nachdenkst, es außerhalb zu versuchen ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Er würde es erfahren und du hättest danach mehr Ärger am Hals, als dieses Zeug hinter mir wert ist.“

Er würde Sebastian umbringen. Ganz langsam, und er würde sich Hilfsmittel besorgen, um den Mistkerl leiden zu lassen. Trent verabschiedete sich von Corinne, die ihm belustigt nachsah, als er aus dem Laden stapfte, und atmete auf dem Gehsteig erst mal tief durch. Oh ja, diese männliche Ratte war fällig, sobald er ihn in die Finger bekam. Trent war keine zehn Schritte unterwegs, als es plötzlich wie aus Eimern zu schütten begann. Herbst in Maine, wundervoll. Aber er hatte den Regenschirm ja unbedingt im Haus lassen müssen.

Trent war klatschnass und stinksauer, als er 'Culpeo Inc.' endlich erreichte, und stieß mit mehr Kraft als nötig die Tür auf. Eine junge Frau sah von ihrem Schreibtisch auf, ihre Augen weiteten sich.

„Oh, oh. Kann ich Ihnen helfen, Mister Morgan?“

Natürlich kannte sie seinen Namen. Die ganze Stadt schien zu wissen, wer er war, wo er herkam und dass er gerne einen über den Durst trank. Wahrscheinlich hatte Sebastian ein Memo verschickt oder ein Infoblatt in der Stadt verteilt, damit auch der letzte Hinterwäldler wusste, dass er hier war. Trent baute sich vor dem Tisch der Frau auf und ballte die Hände zu Fäusten.

„Wo ist er?“

Statt zu antworten, wurde ihm erneut eine Hand entgegengestreckt. „Hallo, ich bin Sienna. Ricks Tochter. Ich kümmere mich um unser Büro und habe gehört, Sie waren gerade ein bisschen einkaufen?“

Trent schnaubte, ergriff aber ihre Hand. „Trent. Und es war nur der Versuch etwas zu kaufen, was du sehr gut weißt. Jetzt sag' mir, wo der Mistkerl ist, damit ich ihn umlegen kann!“

Sienna gluckste und deutete nach links. „Hinten im Trainingsraum. Einfach den Gang entlang bis zum Ende. Du kannst es nicht übersehen.“

„Danke“, knurrte Trent fuchsteufelswild und stapfte durch eine unscheinbare Tür, die in den hinteren Bereich des Gebäudes führte. Er entdeckte mehrere Büros, zwei Gemeinschaftsduschen für Männer und Frauen und eine weitere Tür, die nach draußen führte. Vermutlich auf den Schießstand, von dem Sebastian ihm erzählt hatte. Trent ignorierte die Räumlichkeiten und strebte auf die letzte Tür des Ganges zu.

Er war so nass, dass seine Schritte von schmatzenden Geräuschen und quietschenden Sohlen begleitet wurden, was seine Laune nicht sonderlich hob. Trent gönnte sich einen kurzen Blick zurück auf die Duschräume, weil er mittlerweile erbärmlich fror, aber die gewünschte heiße Dusche musste warten, bis er Mister Großkotz Monroe an die Gurgel gegangen war.

Der erwartete ihn schon, als er die breiten Flügeltüren aufstieß, denn Sebastian stand mitten im Trainingsraum auf einer großen Matte, einen Kampfstab in beiden Händen, und grinste ihn an. So ein Ding hatte er selbst schon bei Dreharbeiten benutzt, doch das war Jahre her. Trent war wütend, aber kein Dummkopf. Er wusste, dass er es mit Sebastian nicht aufnehmen konnte, daher versuchte er es gar nicht erst, sondern warf einen kurzen Blick auf die Gruppe Jugendlicher, die auf mehreren Bänken an der Wand saßen und ihn neugierig beäugten.

Sein nächster Blick galt wieder Sebastian und in dem Augenblick fiel der Groschen. Das war Absicht. Sebastian wollte ihn aus der Reserve locken, aber was das betraf, würde er früher aufstehen müssen. Obwohl es ihn in den Fingern juckte, jede Regel zu vergessen, zog sich Trent die Schuhe aus, da man mit ihnen nicht die Matte betrat, und lief auf Socken zu Sebastian, bis sich ihre Nasen fast berührten.

„Was ist mit deinem Arm passiert?“, wollte er wissen, denn der Verband an Sebastians Arm war heute Morgen noch nicht da gewesen.

„Kleiner Unfall mit der Waschmaschine.“

Trent verdrehte die Augen, als die Teenager anfingen zu kichern, und deutete mit dem Kopf auf sie. „Schick' die Jungs nach Hause. Was ich dir zu sagen habe, ist nicht jugendfrei.“

Sebastians Grinsen wurde noch etwas breiter, aber er nickte und sah zu seinen Schülern. „Okay, Schluss für heute. Wir sehen uns nächste Woche.“

Unter freudigem Gejubel und amüsierten Blicken, die Trent klarmachten, dass soeben Gerüchte über Sebastian und ihn entstanden, liefen die Jungs und Mädchen aus dem Raum. Er wartete, bis sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten und es im Gang ruhig geworden war.

„Ich komme eben von Cori. Du weißt schon, die nette Verkäuferin, der du, wie dem Rest dieses Dorfs, verboten hast, mir Alkohol zu verkaufen.“

Sebastian nickte lässig. „Ja, das habe ich. Und?“

„Und?“ Trent blinzelte verdutzt. „Das ist alles, was dir dazu einfällt?“

„Du kennst meine Meinung über Süchtige, Trent. Sie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht geändert. Bei mir wirst du nirgends an Alkohol rankommen, dafür habe ich gesorgt, und deine versteckten Pillen reichen auch nicht ewig.“

Den Nachsatz kommentierte Trent lieber nicht, sonst kam Sebastian noch auf die Idee, sein Zimmer völlig auf den Kopf zu stellen. Falls er das nicht bereits getan hatte. Trents Blick schweifte ein weiteres Mal über Sebastians Verband, aber er würde nichts sagen, solange er die Verstecke in seinem Zimmer nicht überprüft hatte.

„Dazu hast du kein Recht. Du kannst den Leuten nicht einfach verbieten, dass sie ...“

„Ich kann“, unterbrach Sebastian ihn und wandte sich ab, um den Kampfstab wegzubringen. „Da du offenbar nicht genug Verstand hast, dich selbst um deinen Entzug zu kümmern, werde ich das übernehmen.“

Auf diese Frechheit fiel Trent kein Widerwort ein, was möglicherweise auch daran lag, dass er auf einmal damit beschäftigt war Sebastian anzustarren. Als er den Raum betreten hatte, hatte er auf dessen Äußeres vor Wut nicht geachtet. Er musste verdammt sauer gewesen sein, dass ihm erst jetzt auffiel, dass Sebastian nichts weiter trug, als eine tief sitzende Jogginghose, die seine Fantasie auf Hochtouren brachte. Trent begann sich zu fragen, ob Sebastian unter der Hose Unterwäsche trug. Er zweifelte daran und das machte es ihm nicht leichter, sich darauf zu konzentrieren, dass er mit Sebastian streiten wollte.

Was für ein heißer Arsch, dachte Trent bewundernd und seufzte leise, um sich im nächsten Moment dafür zu verfluchen, aber da war es schon zu spät, denn Sebastian schaute fragend über die Schulter. Es dauerte höchstens zwei Sekunden, bis er verstand, was los war. Trent wich instinktiv einen Schritt zurück, denn diese Art von Blick, mit dem er plötzlich gemustert wurde, kannte er. Wenn er nicht sofort von hier wegkam, würden sie etwas sehr, sehr Dummes tun.

„Du schaffst es nicht mal bis zur Tür“, sagte Sebastian in seine Überlegung hinein und drehte sich zu ihm um. „Willst du es versuchen?“

Trent schüttelte den Kopf. „Das dürfen wir nicht.“

„Sagt wer?“

„Bast, wir hatten früher Unmengen von blöden Ideen, aber das wäre der Gipfel an Dummheit und ...“

Trent keuchte vor Schreck auf, als er sich abrupt mit dem Rücken auf der Matte wiederfand, Sebastian direkt über sich. Wie war er so schnell durch den Raum zu ihm gekommen? Stand er dermaßen neben sich, dass er nicht einmal mehr mitbekam, wenn sich jemand in Bewegung setzte? Scheiße! Er musste schon auf Entzug sein, anders konnte Trent sich das nicht erklären.

„Du willst mich“, flüsterte Sebastian und das dunkle Grün seiner Augen erschien Trent beinahe schwarz. „Gib es zu.“

Natürlich wollte er Sebastian. Ihn zu wollen, war nie sein Problem gewesen. Das Problem war, dass Sebastian ihn abgelehnt hatte und das konnte Trent einfach nicht vergessen. Er würde dieser puren Verführung auf seinen Hüften nicht nachgeben, auch wenn das, was sich immer härter gegen seinen Oberschenkel drückte, es ihm nicht gerade leicht machte.

„Nein!“

„Lügner.“

Trent stemmte die Hände gegen Sebastians Brust, als der sich vorbeugte. „Ja, ich will dich. Ich wollte dich vor zwanzig Jahren und ich will dich auch heute noch, aber wenn du tatsächlich glaubst, dass ich mich für einen schnellen Fick hergebe, bist du dümmer als ich dachte.“

Sebastian wich zurück, als wäre er soeben geschlagen worden. „Ich habe in dir nie einen Fick gesehen.“

Trent lachte verbittert. „Das ist mir sehr wohl bewusst. Du hast gar nichts in mir gesehen, deshalb hast du mich damals schließlich sitzengelassen. Auf deine Erklärung dafür warte ich übrigens immer noch, obwohl ich bezweifle, dass ich sie dir glauben werde.“

„Das ist nicht wahr!“

„Ach so? Dann nenn' mir den Grund. Nur darum habe ich mich schließlich auf diesen Quatsch eingelassen.“

„Ich dachte, du hast dich wegen dem Stalker auf mich eingelassen“, konterte Sebastian und Trent schnaubte.

„Hör' auf, abzulenken. Sag' mir endlich die Wahrheit, verdammt noch mal!“

Sebastian betrachtete ihn einen sehr langen Moment, bevor er sich mit einer nervösen Geste durchs Haar fuhr, die Trent irritierte, weil er sie noch niemals an Sebastian gesehen hatte. „In einem Punkt hast du recht. Du wirst mir nicht glauben, wenn ich es dir sage.“

„Lass es darauf ankommen“, verlangte er und blickte Sebastian ernst an, bis der ihn losließ, um aufzustehen. Danach hielt er ihm seine Hand hin und Trent nahm sie, um sich hochziehen zu lassen.

„Ich muss ins Büro, Papierkram erledigen, dann gehe ich einkaufen und koche für uns, wie versprochen. Heute Abend erzähle ich dir, warum ich dich verlassen musste.“

Trent runzelte die Stirn. „Musste?“

Sebastian nickte. „Ja, Trent, ich musste gehen. Hätte ich eine Wahl gehabt, wäre ich geblieben, hätte dich ins Bett geschleift und nie wieder gehenlassen. Stattdessen muss ich mich zurückhalten, seit du in meiner Nähe bist, und mir ständig einreden, ein anständiger Kerl zu sein, obwohl ich dich schon auf dem Gehweg in L.A. packen und in Grund und Boden ficken wollte.“

Sebastian war schon durch die Tür verschwunden, da starrte Trent immer noch verblüfft auf die Stelle, wo er gerade gestanden hatte. Das war deutlich. Sehr deutlich sogar. Und es bescherte ihm eine unangenehme Enge in seiner nassen Jeans.

Er brauchte eine kalte Dusche, und zwar gleich.

 

 

Kapitel 9

- Sebastian -

 

 

 

 

Das auf ihn niederprasselnde Wasser war lausig kalt und half trotzdem nicht. Irgendwann gab Sebastian auf, gegen seine heftige Erregung anzukämpfen, drehte den Hahn für warmes Wasser auf und umfasste gleichzeitig den Schwanz, der aufrecht zwischen seinen Beinen stand und pochend sein Recht einforderte.

Er konnte es nicht genießen. Das tat er nie, wenn es rein um die Befriedigung ging. Selbst seine kurzweilige Affäre mit Jasper, dem Rudelarzt, war weitaus herzlicher gewesen, als das, was er sich gerade selbst zugestand. Er war frustriert bis über die Haarspitzen hinaus und lange würde er sich nicht mehr zurückhalten können. Trent in der Nähe zu haben, ihn aber nicht berühren zu dürfen, war genauso quälend, als hätte jemand einem Kind sein Lieblingsgericht vor die Nase gestellt, ihm aber verboten es zu essen.

Sebastians Nerven lagen blank und seinem Jaguar ging es nicht viel besser. Er biss sich auf die Zunge, als er seinen Samen gegen die Fliesen spritzte, bevor er zu Ende duschte, frische Kleidung anzog und den Trainingsbereich verließ. Seine Überlegung, den Schießplatz zu besuchen, um sich etwas abzureagieren, schob er beiseite, als ein Wagen vor dem Haus hielt, den er sehr gut kannte. Ein Lächeln legte sich in Sebastians Gesicht, während er nach draußen trat, wo Jasper Baker gerade aus dem Auto stieg.

„Hey, du Sack. Ich dachte, du kommst erst morgen. Oder war's übermorgen?“

„Du solltest dringend was gegen dein Alzheimer tun, Trottel“, stichelte Jasper trocken zurück und lachte, weil Sebastian daraufhin knurrte, bevor er zu dem Arzt ging und ihn in eine Umarmung zog. „Schön, dich zu sehen.“

„Gleichfalls.“ Sebastian trat einen Schritt zurück. „Na sag' schon, hast du freibekommen oder haben sie in der Klinik endlich gemerkt, dass du nichts kannst und dich vor die Tür gesetzt?“

Jasper grinste schief. „Ich glaube, das mache ich bald selbst. Mich vor die Tür setzen, meine ich.“

Sebastian hob fragend eine Braue. „Jetzt hast du mich neugierig gemacht.“

„Ich habe mir ein paar Wochen freigenommen, um zu entscheiden, ob ich den Job behalte oder nicht.“

Das kam aber plötzlich und es machte ihn stutzig. „Ist was passiert?“, fragte Sebastian und schloss seine Jacke, als es zu nieseln begann.

„Nein“, antwortete Jasper und winkte ab. „Jedenfalls nichts Schlimmes. Der Job geht mir einfach auf die Nerven. Ich habe in der letzten Woche dreimal die Schicht wechseln oder Überstunden schieben müssen und das nur, weil diverse Kollegen zu dämlich sind, ihre Arbeitszeiten vernünftig zu planen. Ich liebe es, Arzt zu sein, aber ich will es zu meinen Bedingungen tun und nicht zu denen des lieben Chefarztes, der sich für ein Genie in Weiß hält.“

„Du weißt, dass Rick dir sofort eins der leeren Häuser verkaufen würde“, erklärte Sebastian nicht zum ersten Mal, seit Jasper die Stelle im Krankenhaus angenommen hatte. „Wir brauchen einen guten Arzt und deine Familie würde vor Freude an die Decke springen, wenn du deine eigene Praxis aufmachst.“

Jasper lachte leise. „Ja, ich weiß, und ja, ich denke in letzter Zeit häufig darüber nach. Daher der Urlaub. Ich habe jetzt vier Wochen Auszeit und wenn die um sind, werde ich mich entscheiden, wie es beruflich weitergeht. Aber genug von mir“, Jasper schlug den Kragen seiner Jacke hoch und deutete zum Firmengebäude, „Lass uns reingehen, bevor der Regen stärker wird. Ich will wissen, wie es bei dir und deinem Schauspieler läuft. Auf dem Weg hierher lief ein blonder Kerl wutentbrannt den Gehsteig entlang und schien in Gedanken Mordpläne zu schmieden. Ich schätze, die galten dir.“

Sebastian verzog das Gesicht und machte kehrt. „Wir hatten Streit … Na ja, so etwas ähnliches jedenfalls. Wir sind gestern angekommen, seither kracht es eigentlich ständig.“

„Ich schätze, ich komme genau richtig“, sagte Jasper und grinste, als Sebastian die Augen verdrehte. „Lädst du mich zum Abendessen ein?“

„Hast du keine eigene Küche?“, fragte Sebastian, weil er Trent eine Erklärung versprochen hatte, Jasper aber auch nicht einfach abbügeln wollte. Er hielt ihm die Tür auf und sie schüttelten gemeinsam die Feuchtigkeit von ihren Jacken, als sie im Trockenen waren.

„Sicher, aber du kannst besser kochen. Außerdem will ich deinen Kerl kennenlernen. Ich muss doch prüfen, ob er gut für dich ist.“

„Jasper ...“, murrte Sebastian, der wusste, was dessen Worte bedeuteten. Das fehlte ihm gerade noch, dass sein Freund und Trent aneinandergerieten. Jasper war zwar nie der eifersüchtige Typ gewesen, aber wie das bei Trent aussah, konnte Sebastian nur raten.

Andererseits war es vielleicht gar nicht so übel, einen Puffer zwischen Trent und sich zu haben. Jasper war ein wirklich netter Kerl und Trent konnte ein paar echte Freunde gut gebrauchen.

„Hey, ich bin Arzt. Mein Wort ist Gesetz.“ Jasper wich seinem gespielten Boxhieb lachend aus. „Um ehrlich zu sein, will ich wissen, wie es ihm geht. Hat er schon erste Entzugserscheinungen?“

Sebastian wurde ernst. „Nein. Er weiß, dass niemand in Sanoro ihm Alkohol verkaufen wird, aber er hat noch irgendwo Pillen versteckt.“

„Du hast sie ihm gelassen?“, fragte Jasper überrascht und Sebastian schnaubte.

„Hätte ich etwa seine Sachen durchwühlen sollen? Er ist nicht du, Jas. Du wolltest damals Hilfe, um trocken zu werden, an dem Punkt ist Trent noch lange nicht.“

„Verstehe“, murmelte Jasper mitfühlend. „Na gut, ich fülle deinen Kühlschrank und gehe euch dafür nachher ein paar Stunden auf den Keks, einverstanden?“

Sienna kam aus der Damentoilette, entdeckte sie und stürzte sich auf Jasper. „Du Blödmann. Warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du früher kommst? Weiß die Familie schon, dass du da bist? Wir müssen die Tage mal wieder zu Wilson gehen. Ich habe Lust auf einen Cocktail und vor allem habe ich Pläne für meine Geburtstagsparty, die dich betreffen.“

„Oh Gott“, murmelte Jasper entsetzt, wofür er einen empörten Schlag in den Nacken bekam. Sienna lockerte ihre Umarmung so weit, um über ihre Schulter in seine Richtung sehen zu können.

„Und? Was ist mit den Akten?“

Sebastian zuckte ertappt zusammen. „Ich gehe schon. Jas, wir sehen uns später.“

„Später? Hey, macht ihr zwei etwa schon wieder einen Männerabend? Das ist diskriminierend.“

Sebastian verschwand in sein Büro, bevor Sienna auf die Idee kommen konnte, sich ebenfalls für heute Abend bei ihm zum Essen einzuladen. Normalerweise wäre das kein Problem gewesen, aber Trent sollte sich erst mal in Ruhe eingewöhnen und Sebastian hielt es für klüger, ihn nach und nach mit seinen Freunden bekanntzumachen.

 

Jasper hatte jedoch seine ganz eigene Vorstellung von 'nach und nach', stellte Sebastian fest, als er Stunden später nach Hause kam und seinen Freund mit Trent im Wohnzimmer vorfand. Beide hatten je eine Coladose in der Hand und amüsierten sich offenbar prächtig. Ihren Worten und dem Gelächter nach zu urteilen, lästerten sie über einen von Trents Schauspielkollegen, denn was Film und TV betraf, war Jasper immer bestens informiert. Er interessierte sich für Hollywoodfilme und die Darsteller in selbigen, und in dieser Hinsicht hatte er in Trent einen begeisterten Zuhörer gefunden.

Sebastian wusste nicht, ob er deswegen beleidigt oder eifersüchtig sein sollte. Er wurde von Trent entweder angeschrien oder ignoriert und Jasper brauchte bloß an seine Haustür klopfen und wurde umgehend zum besten Freund erklärt?

Der Gedanke war lächerlich, das war Sebastian klar, aber er konnte ihn nicht abstellen. Wütend zog er seine Jacke aus und stapfte in die Küche durch, ohne die zwei eines Blickes zu würdigen. Auf der Arbeitsplatte standen drei volle Einkaufstüten. Jasper hatte, wie abgesprochen, für ihr gemeinsames Abendessen eingekauft, was Sebastian unverständlicherweise noch zusätzlich ärgerte.

„Mann, sind wir heute Abend aber wieder freundlich“, ätzte Trent, was er ignorierte, doch im nächsten Moment keuchte es hinter ihm auf. „Was zum … Ist das eine Bisswunde?“ Trent kam zu ihm in die Küchenzeile und griff nach seinen verletzten Arm. Sebastian kommentierte das mit einem schmerzhaften Laut. „Scheiße, was hast du heute Morgen getrieben? Und komm' mir jetzt ja nicht mit der blöden Ausrede von vorhin. Woher ist diese Bisswunde?“

„Mach' dir nicht ins Hemd, die ist doch harmlos.“

Er zog seinen Arm aus Trents Griff und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn dieser spontane Kontakt durcheinanderbrachte. Diese warmen, kräftigen Finger auf seiner Haut, er konnte sie immer noch fühlen, obwohl Trent bereits von ihm zurückgewichen war.

„Bist du gegen Tetanus geimpft?“

Musste Trent jetzt auch noch so tun, als würde er sich um ihn sorgen? Sebastian schnaubte nur und fand sich im nächsten Augenblick mit dem Rücken hart gegen die Arbeitsplatte gedrückt wieder.

„Spiel' das nicht runter, daran sterben Menschen, du blödes Arschloch!“

Trent boxte ihm fest gegen die Brust und verschwand danach türknallend in seinem Zimmer. Sebastian starrte ihm verdattert nach und schalt sich einen Vollidioten, als ihm kurz darauf der Unfall bei den Dreharbeiten wieder einfiel. Vor einigen Jahren waren Trent und mehrere Mitglieder des Filmteams in einem Wald in Europa von einer Gruppe wilder Hunde angegriffen worden und zwei der Leute waren nach den Bissen infolge von Infektionen gestorben. Der Vorfall war wochenlang durch die Presse gegangen und hatte einen Riesenskandal verursacht, der die Sicherheit von Filmteams infrage stellte und einige Schadenersatzklagen in Millionenhöhe nach sich zog. Er hatte darüber in Trents Akte gelesen, die Rick für ihn vor seiner Abfahrt nach Los Angeles zusammengestellt hatte, aber nicht mehr daran gedacht.

„Mist“, stöhnte er und sah zu Jasper, der ihnen vom Wohnzimmer aus schweigend zugesehen hatte, ihm jetzt allerdings einen tadelnden Blick zuwarf. „Sprich dich nur aus.“

„Oh, keine Sorge, das habe ich vor. Nachdem ich mir deinen Arm angesehen habe.“ Jasper kam in die Küche und setzte sich an den Tisch. Er deutete auf den Stuhl zu seiner Rechten und Sebastian setzte sich, weil er wusste, dass jedes Widerwort sinnlos war. Sobald es um ärztliche Fragen ging, stand Jaspers Wort sogar über Ricks. „Sieht nach Bär aus“, sagte Jasper leise, um zu verhindern, dass Trent sie zufällig hörte, während er die Wunde näher in Augenschein nahm. „Hast du dich mit Rick angelegt?“

„Nein. Ich war sauer auf Trent. Rick hat mich wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.“

Jasper nickte verstehend. Freundschaftliche Kämpfe gehörten bei ihnen dazu. Besonders unter Freunden gab es sie immer, wenn jemand Probleme hatte, die ihm über den Kopf zu wachsen drohten. Ihre Tiere waren nun mal wilde Kreaturen und die konnten manchmal am leichtesten besänftigt werden, indem man ihnen eine Tracht Prügel verpasste. Nicht unbedingt logisch, aber es funktionierte und darauf kam es an. Aus dem Grund mischte sich Rick in solche Schlägereien nur äußerst selten ein, das wusste Sebastian aus eigener Erfahrung.

„Dein Impfschutz ist aktuell und es heilt gut. Lass den Verband weg. In ein paar Tagen dürfte die Sache erledigt sein.“ Jasper lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Und jetzt sag' mir, was wirklich zwischen euch beiden los ist. Du rennst praktisch mit einem Dauerständer durch die Gegend, seit ich aus dem Auto gestiegen bin, und Trent“, Jasper deutete in den Flur, „ist so heiß auf dich, dass du in Flammen stehen müsstest, wenn er sich nicht wie ein Berserker dagegen wehren würde. Und wie zum Teufel kommst du auf die blöde Idee, eifersüchtig auf mich zu sein?“

Sebastian zuckte zusammen. „Ich bin nicht ...“

„Lüg' mich nicht an!“, fuhr Jasper ihm verärgert über den Mund. „Ich kenne dich lang genug und dein Blick, als du reinkamst, sprach Bände. Was soll die Scheiße?“

„Ich kann nichts dagegen machen. Er lacht mit dir und erlaubt dir Nähe. Mich brüllt er an, wenn er nicht damit beschäftigt ist, vor mir davonzulaufen“, platzte unbeherrscht aus Sebastian heraus und er ärgerte sich sofort darüber, als sich Jaspers Augen weiteten. „Und bevor du danach fragst, die Antwort ist nein.“

„Kein Körperkontakt?“

„Nicht freiwillig, abgesehen von eben, als er den Biss entdeckt hat“, sagte Sebastian und strich sich das Haar aus der Stirn. „Ich habe kein Recht irgendetwas in dieser Richtung von ihm zu verlangen, dazu habe ich Trent zu sehr verletzt, aber meinem Jaguar ist das egal. Erinnerst du dich noch, wie ich dir von unserer Zeit als Kinder und Jugendliche erzählt habe?“

Jasper nickte. „Ja, ihr wart die besten Freunde, bis du gehen musstest.“

„Ich habe dir aber nie gesagt, mit welchen Worten ich Trent damals abgebügelt habe, als er den Grund wissen wollte.“ Er seufzte auf Jaspers fragenden Blick hin und erzählte ihm anschließend von seinem letzten Gespräch mit Trent.

„Ach du Schande. Ein Wunder, dass er dir noch nicht die Eier abgeschnitten hat.“

„Jas ...“

„Ich hätte es getan, darauf kannst du Gift nehmen, du Trottel.“ Jasper schnaubte. „Du wirst auf Knien vor ihm rutschen müssen, um das wieder gutzumachen.“

„Ich weiß“, murmelte Sebastian beschämt, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte.

„Tja“, Jasper erhob sich, „dann fang' besser gleich damit an und viel Glück. Ich denke, das Abendessen heben wir uns für ein andermal auf.“

„Aber ...“

„Nein!“, wehrte Jasper ab und sah ihn finster an. „Du hast es vermasselt, also bieg' es gefälligst wieder gerade. Das ist das Mindeste, was du Trent schuldest. Ich gehe mich verabschieden und lasse euch dann allein.“

 

 

Kapitel 10

- Trent -

 

 

 

 

„Trent? Kommst du etwas essen?“

Es war Sebastians dritter Versuch ihn wieder aus dem Zimmer zu locken, seit Jasper sich vor einer Stunde von ihm verabschiedet hatte. Trent hätte sich besser gefühlt, wenn der jüngere Mann dageblieben wäre. Er hatte ihn vom ersten Augenblick an gemocht, nachdem der an die Tür geklopft und sich als Jasper Baker, Nervensäge und Arzt vorgestellt hatte.

Sich mit ihm zu unterhalten war völlig unkompliziert und lustig gewesen. Jasper kannte sich in der Filmfabrik aus und scheute sich nicht, seine ehrliche Meinung über diverse Filme und Schauspieler kundzutun. Eine wahre Erholung zu den ganzen Lügen, mit denen Trent so lange zu tun hatte. Doch auch abseits seines Berufs hatten sie Themen gefunden und einen Moment lang hatte sich Trent gefragt, was wohl passiert wäre, wenn er Jasper in Los Angeles getroffen hätte.

Doch das war reines Wunschdenken, so ehrlich war Trent sich selbst gegenüber. In Hollywood hätte er Jasper kaum eines Blickes gewürdigt und hier in Sanoro gab es Sebastian. Diesen mürrischen, launigen Kerl, der so gar nichts mehr mit dem Jungen gemein hatte, an den Trent sich erinnerte, und der ihn trotzdem so heftig anzog, wie die Motte das Licht.

„Trent? Jasper hat vorhin einen Blick auf die Wunde geworfen und ich schwöre, dass ich geimpft bin. Es war ein alter Bär. Ich habe nicht aufgepasst und bin förmlich über ihn gestolpert. Er hatte mehr Angst als ich, deshalb hat er mich gebissen, bevor er geflüchtet ist.“

Trent verdrehte die Augen. Die Geschichte glaubte er Sebastian genauso wenig, wie Jaspers Erklärung zuvor, dass sie ihr Abendessen verschieben mussten, weil seine Familie ihn gebeten hatte, heute mit ihnen zu essen. Na gut, möglich wäre es, aber warum hatten sich die beiden vorhin solche Mühe gegeben, leise zu streiten? Sebastian verheimlichte ihm etwas, dessen war sich Trent sicher, und Jasper wusste garantiert Bescheid. Aus dem Grund war er gegangen. Damit Sebastian und er reden konnten.

„Trent? Wenn Jasper erfährt, dass wir das Essen, das er bezahlt hat, in den Abfall geworfen haben, können wir uns was anhören. Willst du das riskieren?“

Das Grinsen erschien in seinem Gesicht, ohne dass er es verhindern konnte, und Trent seufzte nachgebend, als Sebastian zum vierten Mal leise anklopfte. „Schon gut, ich komme“, sagte er und setzte sich im Bett auf. „Gibt es Nachtisch?“

„Was willst du haben?“

Gute Frage. Trent entschied spontan. „Vanillepudding mit Erdbeeren.“

„Ich bin nicht sicher, ob ich Erdbeeren habe. Gibst du dich notfalls mit einem Früchtecocktail zufrieden?“

„Ja“, stimmte Trent zu und erhob sich. Er öffnete die Tür und trat prompt einen Schritt zurück, weil Sebastian direkt davor stand. „Wenn ich das Zimmer verlassen soll, musst du mir auch die Gelegenheit dazu geben.“

„Äh, klar … Sorry.“ Sebastian wich zurück und wandte sich ab. „Ich kümmere mich um den Pudding.“

Das Essen verlief zu großen Teilen schweigend und so verkrampft, dass Trent sich zu fragen begann, ob es nicht das Beste für sie beide war, wenn er wieder auszog. Nicht nur, um Sebastian loszuwerden, obwohl er das als Grund natürlich nicht von der Hand weisen konnte. Er wollte vor allem gehen, um dieser unangenehmen Stimmung zwischen ihnen zu entkommen, die von Tag zu Tag schlimmer zu werden schien.

„Kann ich dich etwas fragen?“, durchbrach Sebastians Stimme überraschend die Stille und schreckte Trent aus seiner Grübelei auf. Er nickte automatisch. „Warum bist du nicht einfach abgehauen? Aus Hollywood, meine ich? Wieso dieses Theater mit deinem Ausstieg?“

So eine Frage konnte ihm nur jemand stellen, der von dem, was sich hinter den Mauern Hollywoods abspielte, keinerlei Ahnung hatte. „Jemand wie ich packt nicht mal eben seinen Hausstand ein und zieht weg.“

„Warum nicht?“, fragte Sebastian. „Es ist dein Leben, also auch deine Entscheidung. Wenn du in Zukunft keine Filme mehr drehen willst, züchtest du halt Kürbisse. Wer will dir das verbieten?“

„Glaubst du wirklich, dass es so leicht ist?“

„Ja.“ Sebastian blickte ihn verständnislos an. „Du sitzt schließlich nicht im Knast.“

„Du hast doch keine Ahnung“, murrte Trent abfällig und schob die leere Puddingschüssel von sich. „Wenn ich mich ohne eine Erklärung aus dem Staub gemacht hätte, wären keine fünf Tage vergangen, bis die Studios mich mit ersten Klagen überhäuft hätten. Denkst du wirklich, die lassen eines ihrer besten Pferde kampflos aus ihrem Stall verschwinden?“

„Es ist einzig und allein deine Sache, was du wann, wo und wie tust, Trent, nicht die von Hollywood oder sonst jemandem“, konterte Sebastian vorwurfsvoll, was Trent umgehend auf die Palme brachte.

„Ich habe Verträge einzuhalten!“

„Das weiß ich!“, schrie Sebastian ihn plötzlich an. „Ich habe sie gelesen und ich werde nie begreifen, wie jemand so etwas unterschreiben kann. Du lässt fremde Leute über dein Leben bestimmen. Du bekommst Geld dafür, dass du für die Öffentlichkeit hetero bleibst. Mach' endlich die Augen auf, Trent. Die haben dich gekauft, wie einen Stricher von der Straße.“

Seine Hand landete mit einem lauten Klatschen auf Sebastians Wange und Trent war sich nicht sicher, wer von ihnen beiden darüber erstaunter war. Er erhob sich, räumte sein Geschirr und das Besteck schweigend in die Spüle und ging wortlos in sein Zimmer.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739326832
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Fantasy Gestaltwandler Spannung Homosexuelle Erotik Romanze Liebesroman Liebe Krimi Thriller

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Autorin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Romanzen und Fantasy. Weitere Informationen zu meinen Büchern, aktuelle News zu Veröffentlichungen findet ihr auf meiner Homepage.
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Titel: Nachtfalter