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Finding Trust

Im Bann der Leidenschaft

von Mia B. Meyers (Autor:in)
236 Seiten

Zusammenfassung

Als die Journalistin Eva Smith und der erfolgreiche Investor Liam Benett sich vor drei Jahren kennenlernten, endete dieses Aufeinandertreffen in einer Katastrophe. Bis auf ihren Freundeskreis und der gegenseitigen Abneigung scheinen Eva und der frauenverachtende Liam keine Gemeinsamkeiten zu haben. Dennoch entwickelt sich im Laufe der Zeit unerwartet eine tiefe Freundschaft. Doch ist es wirklich nur Freundschaft, wenn man sich jeden Tag sehen will? Wenn der Puls in Gegenwart des anderen steigt und die Haut unter Berührungen beginnt, zu brennen? Gibt es Liebe auf den zweiten Blick überhaupt und wenn ja, ist sie es wert, dafür die Freundschaft zu opfern? Als wäre das nicht genug, hütet Liam ein vernichtendes Geheimnis, das er nicht einmal Eva anvertrauen kann. Oder doch? Enthält explizit beschriebene Erotikszenen. Finding trust ist KEIN Fortsetzungsroman von Dark side of trust. Beide Bücher sind unabhängig voneinander lesbar. Sollten jedoch beide gelesen werden, ist es von Vorteil, Dark side of trust vor Finding trust zu lesen, da es sich hier um ein Spin-off handelt und Spoiler enthalten sein können.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Erstauflage Mai 2016

Copyright © 2016

Mia B. Meyers

c/o F. Meyer Unternehmen

Hohenbünstorf 41

29587 Natendorf



Covergestaltung: Casandra Krammer

Covermotiv: Shutterstock.com


Korrektorat: sks-heinen.de


Alle Rechte vorbehalten!


Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit schriftlicher Genehmigung

der Autorin.

Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden.

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Ereignissen sind zufällig und unbeabsichtigt.

Markennamen, die genannt werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.


Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung korrigiert.

Widmung

Für meine Leser,

ohne die ich nie den Mut hätte weiterzumachen.

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,


um einer eventuellen Enttäuschung vorzubeugen, möchte ich dich an dieser Stelle vorwarnen.

Vermutlich wird meine männliche Hauptfigur sich stellenweise sehr speziell ausdrücken. Er liebt klare Worte, zu denen auch der ein oder andere Kraftausdruck gehört.

Und ja, er ist so, obwohl er Anfang dreißig und Mitinhaber einer großen Firma ist. Er ist eine fiktionale Figur und darf es somit. Darüber hinaus, wer weiß schon, wie die oberen Zehntausend wirklich miteinander reden?!


Sollte schon dieses Vorwort nicht deinem Geschmack entsprechen, wird es leider auch der Rest nicht tun. Das würde ich zwar sehr bedauern, aber Geschmäcker sind nun einmal verschieden.

In diesem Fall muss ich mich an dieser Stelle leider von dir verabschieden. Ansonsten wünsche ich dir ganz viel Spaß beim Lesen und hoffe sehr, dass es dir gefallen wird.


Deine Mia

Prolog

Eva

Fast drei Jahre zuvor


Heute treffe ich mich mit meiner besten Freundin Isa und ihrer großen Liebe Aiden, um ihn näher kennenzulernen. Die beiden haben sich auf einer Hoteleröffnung kennengelernt, auf die ich Isa vor ein paar Wochen mitgeschleppt habe und bei der seine Firma seinerzeit Hauptinvestor war. Da ich als Journalistin anwesend war, ist mir Aiden und die Firma Stone & Benett Investment, die er zusammen mit seinem Bruder Liam führt, natürlich ein Begriff, doch von wirklichem Kennen kann noch keine Rede sein.

An der Bar im Cold Coast angekommen, frage ich mich kurz, ob meine knappen Jeansshorts, die Riemchensandalen und das einfache schwarze Top für diese Art von Bar angemessen sind. Da es jetzt aber ohnehin zu spät ist, verwerfe ich den Gedanken wieder.

Noch im Eingang stehend, lasse ich meinen Blick über die Gesichter der anderen Gäste wandern und schnappe ein paar der Blicke auf. Verlegen zupfe ich am Bund meiner vielleicht doch zu kurzen Shorts. Bravo Eva.

Endlich sehe ich Isa und Aiden, die gerade dabei sind, sich hinzusetzen, und gehe zu ihnen.

Während Isa mich zur Begrüßung in den Arm nimmt, flüstert sie mir zu, dass sich wieder einmal alle Männer nach mir umdrehen würden. Ja genau, weil sie meinen Aufzug so unmöglich finden. Isa meint hingegen, ich wäre mit meinen langen Beinen und den blonden Locken ein Männertyp. Komisch nur, dass ich dann keinen habe.

Sie stellt Aiden und mich einander vor und teilt mir mit, dass auch sein Bruder Liam noch zu uns stoßen wird. Nachdem wir uns etwas zu trinken bestellt haben, entschuldige ich mich auf die Toilette, um mich frisch zu machen.

Als ich den Gastraum der Bar wieder betrete, sehe ich Andrew, den Mann einer Arbeitskollegin, an der Bar stehen und gehe kurz zu ihm, um »Hallo« zu sagen. Im Verlauf unserer Unterhaltung blicke ich flüchtig zu dem Tisch, an dem Isa und Aiden sitzen, und blinzle ungläubig. WOW …

Ein Blick reicht aus, um den Mann, der dort bei ihnen am Tisch sitzt, als Liam Benett zu identifizieren. Ich kenne ihn von den Fotos, die ich bei meiner Recherche über die Firma im Internet gesehen habe, und doch werden ihm diese nicht im Geringsten gerecht.

Seine Größe kann ich nur erahnen, doch ich schätze ihn auf mindestens eins fünfundachtzig. Die Ärmel seines weißen Hemdes hat er akkurat hochgekrempelt, was mir einen Blick auf seine definierten, leicht gebräunten Unterarme ermöglicht. Je nachdem wie er sich auf dem Stuhl bewegt, spannt sich das Hemd um seine Oberarme und das breite Kreuz.

Da er seitlich zu mir sitzt, kann ich sein Gesicht mit dem kantigen Kiefer und der geraden Nase nur im Profil erkennen. Seine vollen Lippen sind zu einem atemberaubenden Lachen verzogen und seine blonden, leicht verstrubbelten Haare trägt er am Oberkopf etwas länger als an den Seiten.

»Oder was meinst du?«

Völlig in diesen Anblick versunken, schüttle ich meinen Kopf, um mich zu sammeln, und wende mich wieder Andrew zu. Was hat er gesagt?

»Äh, ja richtig.« Andrew nickt zufrieden, demnach ist meine Antwort wohl ausreichend. Noch einmal sehe ich zu Liam herüber, treffe auf seinen Blick und bin restlos fasziniert. Für einen Moment nehme ich nur noch ihn und diese unglaublichen eisblauen Augen wahr, die geradezu in seinem Gesicht zu strahlen scheinen.

Mit wild klopfendem Herzen verabschiede ich mich von Andrew und gehe mit meinem hoffentlich schönsten Lächeln auf den Tisch zu, an dem Liam mit Isa und Aiden sitzt. Zwanghaft überlege ich, was ich als Erstes sagen könnte, als er von seinem Stuhl aufspringt und mir zuvorkommt.

»Endlich mal eine, die weiß, wie es läuft. Wollen wir gleich los, oder muss ich dir vorher noch einen ausgeben?«

Erschrocken erstarre ich mitten in der Bewegung, zucke zurück und frage mich, ob das ein Witz sein soll. Stirnrunzelnd sehe ich zuerst Isa an, die mit rotem Gesicht neben Liam steht, und dann zu Aiden, der sich offenbar köstlich amüsiert und sich dabei hinter der Speisekarte versteckt. Was sind das denn für Idioten? Wieder Liam zugewandt, der, wie es scheint, auf eine Antwort wartet, rutscht mir das fassungslose »Wie bitte?« eher ungewollt heraus.

Bevor er für eine Erwiderung Luft holen kann, springt Isa zwischen uns und stellt uns einander vor. Offensichtlich hatte Liam bis eben gerade keine Ahnung, dass ich Eva bin, doch anstatt sich förmlich zu entschuldigen, sieht er schockiert zu Aiden, der inzwischen hinter seiner Karte hervorgekrochen ist.

»Das ist Eva? Bedeutet das jetzt, ich muss mir ’ne andere zum Furchedurchackern suchen?«

Ich spüre förmlich, wie mir alles aus dem Gesicht fällt. Wie in diesen Cartoons, in denen den Figuren scherbenweise das Gesicht auseinanderfällt.

»Isa. Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Fassungslos, dass sie mir so ein Chauvi-Arschloch überhaupt vorstellen will, warte ich auf ihre Antwort, die nicht kommt. Stattdessen antwortet dieses Etwas von Liam.

»Reg dich ab, für einen guten Tittenfick sind Titt und Tott hier ohnehin zu klein.«

Mit Schnappatmung im Anfangsstadium nehme ich meine Handtasche von der Bank und halte sie mir schützend vor meine Brüste. Länger als angemessen klebt der Widerling mit seinen Augen daran, was mir eine unangenehme Gänsehaut über den Rücken jagt.

»Eva, bitte bleib hier. Liam hat nur einen blöden Spaß gemacht. Bitte.«

Da Aiden auf Liam einredet und mich ebenfalls bittet zu bleiben, setze ich mich schlussendlich – wenn auch missmutig – zu ihnen an den Tisch. Doch Liam braucht keine halbe Stunde, um mich genau das bereuen zu lassen. Wo haben sie den denn bitte rausgelassen?

Das Schlimmste ist, dass Isa seine dümmlichen Kommentare auch noch witzig zu finden scheint. Er bewertet die Frauen – Verzeihung: Schlunzen – in der Bar wie ein Auktionator bei der Pferdeauktion und wir, oder besser gesagt ich, bin genötigt, mir anzuhören, welche von ihnen seines Bestrafers würdig wäre. Was für ein armseliges, frauenverachtendes Würstchen.

Angewidert versuche ich, das, was er sagt, auszublenden, auch wenn ich leider zugeben muss, dass seine tiefe und irgendwie sinnliche Stimme mir durch und durch geht. Sowohl diese als auch sein Äußeres sind zum Niederknien. Wenn ich bedenke, wie sehr allein sein Anblick meinen Puls vorhin in die Höhe gejagt hat und wie sehr sein erster Satz mich dann auf den Boden der Realität hat aufschlagen lassen. Nein, selbst der schönste Mann verliert alles an Attraktivität, wenn er den Charakter einer Klowand hat.

Als wir endlich aufbrechen und uns vor der Bar verabschieden, atme ich erleichtert aus und sehe desinteressiert auf Liams Hand hinab, die er mir entgegenstreckt.

»Auf Wiedersehen, Eva. Es hat mich gefreut.«

Mit nach oben gezogenen Augenbrauen ignoriere ich seine Hand bewusst, die er augenblicklich zurückzieht und beide Hände in die Hosentaschen schiebt.

»Ich hoffe doch sehr, dass es ein Wiedersehen nicht geben wird.«

Lachend wirft er seinen Kopf in den Nacken und entblößt eine Reihe strahlendweißer Zähne, bevor er sich zu mir herunterbeugt. »Wenn du willst, helfe ich dir, deine Prüderie loszuwerden. Eigentlich sind Gnadenficks nicht mein Ding, aber da du Isas Freundin bist, würde ich eine Ausnahme machen. Augen zu und durch sozusagen.«

Kapitel 1

Eva

Heute

Langsam lasse ich meinen Wagen auf dem Parkplatz des Dolce in die letzte auffindbare Lücke rollen. Ein letztes Mal sehe ich kritisch in den Rückspiegel, umfahre mit dem Ringfinger meine Lippen, um überschüssigen Lippenstift zu entfernen, und es kann losgehen.

Ich habe ein Date. Jetzt. Und zwar das erste seit fast einem Jahr. Nicht, dass ich gar keine Anfragen bekommen würde, es ist nur so, dass es ja doch nie zu etwas führt. Früher hatte ich öfter mal ein Date, aber der sprichwörtliche Funke ist nie übergesprungen und einfach nur quer durch irgendwelche Betten zu hüpfen, überlasse ich lieber anderen. Irgendwann dachte ich mir, dass ich vielleicht nicht mehr danach suchen sollte und der Richtige schon von ganz alleine kommen würde, aber bisher hat er mich wohl noch nicht gefunden.

Als mich dann Daniel, der Bruder einer ehemaligen Arbeitskollegin um ein Date bat, habe ich spontan zugesagt. Er scheint recht nett zu sein, auch wenn ich bei unseren bisherigen Begegnungen nie das Bedürfnis hatte, ihn unbedingt wiedersehen zu wollen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum meine Erwartungen an diesen Abend eher dürftig sind, aber jetzt bin ich schon einmal hier.

So schnell es meine acht Zentimeter hohen Absätze zulassen, laufe ich zum Eingang des Restaurants und schlüpfe durch die gerade zufallende Tür ins warme Innere. Es ist Ende Februar und ganz sicher nicht die richtige Jahreszeit, um im Etuikleid und Pumps herumzulaufen. Aber wie gesagt, es ist mein erstes Date seit langer Zeit und niemand kann mir nachsagen, ich hätte nicht mein Möglichstes versucht.

Nur Sekunden später kommt einer der Kellner, um mir die Jacke abzunehmen und mich durch das gut besuchte Restaurant zu meinem Tisch zu begleiten. Ich kann Daniel, der schon am Tisch sitzt und auf mich wartet, bereits sehen, als mir durch die Geräuschkulisse aus Stimmen, klapperndem Geschirr und leiser Hintergrundmusik ein nur allzu vertrautes, tiefes Lachen eine Gänsehaut über die Arme laufen lässt. Sofort suche ich mit meinem Blick den Raum ab und werde sogleich fündig.

Liam …

Als würde er meinen Blick auf sich spüren, sieht er zeitgleich in meine Richtung und fixiert mich mit seinen unverwechselbaren Augen.

Ohne dass es mir bewusst ist, bleibe ich stehen und starre aus zusammengekniffenen Augen zurück. Das wagt er jetzt nicht? Warum habe ich ihm auch von diesem Date erzählt?

Aus dem Augenwinkel sehe ich den Kellner, der einige Meter vor mir stehen geblieben ist. Eiligen Schrittes laufe ich ihm hinterher und komme mit ihm zusammen bei Daniel an, der sofort aufsteht und mich mit einem Küsschen rechts und links auf die Wangen begrüßt. Unterdessen huscht mein Blick immer wieder zu Liam, der mich seit seiner Entdeckung nicht mehr aus den Augen gelassen hat. Seine Begleiterin scheint weiterhin wie ein Wasserfall auf ihn einzureden und gar nicht zu bemerken, dass er nicht mehr ganz bei ihr ist.

Sowohl Daniel als auch ich bestellen uns vorerst nur einen Rotwein und werden vom Kellner allein gelassen. Wir sitzen noch nicht richtig, als Daniel schon beginnt, mir alles von seinem Job zu berichten. Ich versuche wirklich, interessiert zu sein, und doch kann ich mich nicht dagegen wehren, dass mein Blick und noch schlimmer meine Gedanken wieder zu Liam abdriften.

Noch nie habe ich ihn zusammen mit einer anderen Frau gesehen, oder besser gesagt mit seiner Beute. Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass ich den daraus resultierenden Stich in der Nähe meines Herzens nicht restlos ignorieren kann. Natürlich könnte ich ihr sagen, dass sie nur eine von vielen ist und dass er sie fallen lassen wird, sobald er das sexuelle Interesse an ihr verliert. Aber so wie sie aussieht, ist ihr das absolut bewusst und ebenso egal. Vermutlich wird er es ihr sogar selbst gesagt haben, denn wenn Liam eines ist, dann ehrlich, und wenn die eine nicht will, sucht er sich eben eine andere. Warum das so ist, habe ich bis heute nicht herausfinden können.

Ja, Liam kann der widerlichste Mistkerl sein und doch gibt es da auch noch eine andere Seite, die ich in den letzten Jahren kennengelernt habe. Leider eine Seite, die er nach außen hin viel zu selten zeigt. Trotzdem ist er, gerade weil er ist, wie er ist, zu einem meiner engsten Freunde geworden. So verrückt sich das auch anhören mag.

Bei der Erinnerung an unser Kennenlernen muss ich lächeln, was Daniel auf sich bezieht und sich angespornt fühlt, mir auch noch etwas von seiner Mutter zu erzählen.

Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass das erste Aufeinandertreffen von Liam und mir die reinste Katastrophe war. Dennoch sind wir durch Isa und Aiden immer wieder in Kontakt gekommen und als die beiden sich dann trennten, sind wir in Verbindung geblieben. Als Isa und Aiden sich wieder versöhnten, hatten wir uns schon so aneinander gewöhnt, dass es irgendwie dabei geblieben ist.

Noch einmal hebe ich meinen Blick und sehe zu Liam hinüber. Sieht er irgendwie ärgerlich aus?

Mich von diesem Gedanken losreißend, konzentriere ich mich wieder auf Daniel, der gerade sein Selbstgespräch über die Qualitäten seiner Mutter beendet.

»Was ist mit dir, Eva, du sagst ja gar nichts.«

Ich will gerade Luft holen, um etwas zu erwidern, als er auch schon weiterschwafelt. Jetzt von seiner Exfreundin, die ihn leider, leider wegen eines anderen verlassen hat. Wie ein Fisch auf dem Trockenen klappe ich meinen Mund wieder zu, lehne mich bereits leicht genervt gegen die Stuhllehne in meinem Rücken und nippe an dem zweiten Wein, der uns soeben gebracht wurde.

Ist es inzwischen vielleicht üblich, dass man seinem Date mit Tränen in den Augen von verflossenen Beziehungen erzählt? Wieder wandert mein Blick in Liams Richtung, der mich wissend angrinst. Vermutlich kann er mir meine Begeisterung ansehen.

»Wir wollten sogar Kinder und jetzt …«, schluchzt er vor mir auf. Erschrocken blicke ich Daniel an, der wieder mehr mit sich selbst, als mit mir zu reden scheint, und das anfängliche Aquaplaning in seinen Augen wächst in diesem Moment zu einer heftigen Überschwemmung an. Mir bleibt aber auch rein gar nichts erspart.

Peinlich berührt nehme ich die Blicke der älteren Damen vom Nachbartisch wahr, die mich kopfschüttelnd ansehen und wohl denken, dass ich den armen Kerl zum Heulen bringe. Da seine Serviette inzwischen unbrauchbar ist, reiche ich ihm meine, in die er mit gefühlten hundertdreißig Dezibel reinschnäuzt. Wobei reinrotzen die Sache wohl eher beschreiben würde.

»Entschuldige mich bitte.« Eilig durchquere ich das Restaurant in Richtung der Toiletten, wohlwissend, dass Liam vermutlich jeden Augenblick dieser überaus peinlichen Vorstellung genossen hat.

Mit den Händen auf dem Waschtisch abgestützt, sehe ich das Spiegelbild vor mir an und lasse lachend meinen Kopf hängen. Dieses Date ist so grottenschlecht, dass es schon fast wieder witzig ist. Wie kann ich es nur anstellen, unter einem Vorwand von hier zu verschwinden?

Nicht dass ich viel Ahnung habe, aber dass dies mit ihm und mir nichts wird, ist selbst mir zwischenzeitlich klar geworden.

Seufzend trete ich in den Empfangsbereich des Restaurants hinaus und will zum Tisch zurückgehen, als ich Liam an der mir gegenüberliegenden Wand lehnen sehe.

Völlig in sein Handy versunken, steht er in einem perfekt sitzenden schwarzen Anzug da und einmal mehr stelle ich fest, wie verboten gut er aussieht. In den letzten Jahren haben sich kleine Lachfältchen um seine Augen gebildet und eine Narbe, die ich verschuldet habe, unterbricht seine rechte Augenbraue.

Wir hatten eine unserer unzähligen Auseinandersetzungen und ich habe ihn aus meiner Wohnung geworfen. Statt jedoch zu gehen, wollte er mir erneut in die Wohnung folgen und hat die Tür, die ich zeitgleich zuwerfen wollte, zu spät gesehen. Mein schlechtes Gewissen hat mich wochenlang gequält und Liam hat lange nicht einmal daran gedacht, mich davon zu erlösen. Ganz im Gegenteil.

Noch während ich auf ihn zugehe, oder eher stampfe, spreche ich ihn an: »Was zum Teufel machst du hier?«

Sofort hebt er seinen Kopf, stößt sich von der Wand ab und lässt seinen Blick einmal an meinem Körper herunter und wieder herauf wandern.

»Es freut mich auch, dich zu sehen, Eva. Ich gehe mit einer Bekannten etwas trinken. Ist das verboten?«

»Und da musst du mit deinem nächsten Opfer ausgerechnet hier etwas trinken gehen? Nachdem ich dir gesagt habe, dass ich hier ein Date habe?«

»Ach, das soll ein Date darstellen?« Liam unterbricht seinen Satz und grüßt jemanden, der an uns vorbei in das Restaurant geht. »Du siehst aus, als ob du jeden Moment einschläfst.«

»Ich amüsiere mich ganz ausgezeichnet.« Ärgerlich recke ich mein Kinn in die Luft und verschränke die Arme vor der Brust, was Liam auflachen lässt.

»Das ist doch nicht dein Ernst, oder?« Etwas leiser fährt er fort. »Der Typ sieht aus wie ein Furz des Schicksals. Sogar die Weiber vom Nachbartisch geben ihm schon ihre Servietten, weil er nicht aufhört zu flennen. Was bringt ihn denn so zum Heulen, deine Gesellschaft?«

Mit offen stehendem Mund und weit aufgerissenen Augen sehe ich ihn an und überlege, was ich darauf noch erwidern soll. Trotzig entscheide ich mich dann aber doch dafür, mich einfach umzudrehen und zu Daniel zurückkehren. Bis Liam mich an der Hand zurückhält.

»Wenn du willst, rufe ich dich in zehn Minuten an und du kannst so tun, als müsstest du dringend weg.«

»Du spinnst doch.« Kopfschüttelnd entziehe ich ihm meine Hand und wende mich erneut zum Gehen, sehe aber doch noch einmal über die Schulter zu ihm. »In fünf Minuten!«

Wieder bei Daniel bezahlt dieser gerade unseren Wein und entschuldigt sich mit rot verquollenen Augen für seinen sentimentalen Ausbruch. Er erklärt mir, dass er wohl noch nicht reif für eine neue Beziehung ist. Ach was? Dass wir aber Freunde sein können, und verabschiedet sich damit von mir. Jedoch nicht, ohne noch ein letztes, theatralisches Schluchzen von sich zu geben, was die Damen am Nebentisch mit einem mitleidigen »Oh« belohnen.

Meine Anziehungskraft muss ja wirklich gigantisch sein.

Seufzend lasse ich mich auf meinem Stuhl nieder und greife nach dem Weinglas, um dessen Inhalt in mich zu schütten, als mich mein klingelndes Telefon davon abhält. Natürlich ist es Liam, doch anstatt das Gespräch entgegenzunehmen, stelle ich den Ton leise und blicke auf das Foto von ihm, welches auf dem Display weiterleuchtet.

»Willst du nicht rangehen?« Liams Lippen sind direkt an meinem Ohr und seine tiefe Stimme jagt mir ungewollt eine Gänsehaut über den Rücken. Während ich versuche, dieses merkwürdige Gefühl zu verdrängen, setzt er sich auf den Stuhl mir gegenüber.

»Und was machen wir zwei Hübschen jetzt mit dem angebrochenen Abend?«

Wir? Ich blicke in die Richtung des Tisches, an dem Liams Verabredung sitzen müsste, doch er ist leer. Offensichtlich hatte auch er keine Lust mehr auf sein Date. Wie er sie allerdings losgeworden ist, will ich lieber gar nicht erst wissen. Im selben Moment kommt der Kellner und fragt uns, ob wir noch etwas trinken wollen, was Liam sofort bejaht und sich einen Kaffee und für mich einen weiteren Wein bestellt.

Schweigend drehe ich den Stiel des Weinglases in meinen Fingern und frage mich, warum es bei mir und den Männern nicht klappt. Zwar wollte auch ich das Date vorzeitig beenden und meine Erwartungen waren nicht allzu hoch, jetzt aber sitzen gelassen zu werden, fühlt sich trotzdem komisch an. Hat Liam vielleicht recht und meine Gegenwart ist wirklich so schwer zu ertragen?

»Hey.« Seine Hand, die sich auf meine geschoben hat, lässt mich zu ihm aufsehen. »Er hat keine Ahnung, was ihm entgeht. Ich hingegen muss zugeben, dass ich mich freue, dass er gegangen ist und ich stattdessen den Abend mit dir verbringen darf.«

Wenn Liam so etwas sagt, dann ist es auch ernst gemeint, was mich lächeln lässt.

»Danke.«

»Und jetzt sag mir lieber, ob du wirklich mit dem Typen ins Bett gegangen wärst? Solche wie der stecken sich sogar ihre Hemden in den Schlüpper.«

Warum überrascht mich das jetzt nicht? Kaum hat er einmal etwas Nettes gesagt, macht er im nächsten Zuge alles wieder kaputt.

»Liam, ich weiß, du wirst es dir nicht vorstellen können, aber man muss nicht gleich mit jedem ins Bett steigen, nur weil man eine Verabredung hat.«

Höhnisch hebt er eine Augenbraue.

»Sagt die mit den Spinnenweben vorm Loch. Und warum macht man sich bitte sonst die Mühe, wenn nicht, um hinterher zu vögeln?«

Seine Worte noch nicht ganz ausgesprochen merke ich die Ader in meinem Hals pochen. Niemand außer Liam kann mich so schnell zur Weißglut bringen, auch wenn ich inzwischen weiß, dass er vieles, was er sagt, nicht persönlich meint.

»Du hast doch heute auch nicht mit deiner Verabredung gevö...«, werde ich lauter, unterbreche mich aber, als ich es bemerke, und sehe mich um, ob mich jemand gehört hat. Die Damen vom Nachbartisch sind jedoch zu sehr in ihr eigenes Gespräch vertieft, um etwas anderes wahrzunehmen, und somit beende ich meinen Satz. »Geschlafen.«

»Den Bumsklumpen hatte ich schon, wie ein Brett im Bett. Da ist mir nichts entgangen.«

»Oh bitte …«, angewidert verziehe ich das Gesicht und halte meine Hände hoch, um ihm zu zeigen, dass ich davon nichts hören will.

»Spaß beiseite, der Lappen hat doch keine Ahnung davon, was eine Frau wie du braucht.«

Überheblich lächele ich ihn an.

»Ach, du aber schon, oder was?« Oh nein, sein typisches »Jetzt kommt ein blöder Spruch«-Grinsen erscheint auf seinem Gesicht.

»Wenn du willst, zeig ich es dir.« Dabei deutet er mit dem Kopf in Richtung des Empfangs, was mich kopfschüttelnd auflachen lässt und wieder einmal rettet er mir den Abend.

Fast zwei Stunden später kommt Liams Auto vor meinem Wohnblock zum Stehen. Zwar fühle ich mich auch nach dem Wein noch fahrtauglich, doch er hat darauf bestanden, mich zu fahren. Wie so oft steigt er zuerst aus, umrundet den Wagen und hält mir die Tür auf. Auf dem Weg zur Haustür krame ich bereits in den Tiefen meiner Handtasche und suche nach dem Wohnungsschlüssel.

Ihn endlich gefunden, drücke ich die Haustür auf und bedanke mich bei Liam für den Abend und dafür, dass er mich nach Hause gebracht hat.

Er will sich gerade zum Gehen abwenden, als er sich noch einmal in meine Richtung dreht.

»Ach und, Eva. Irgendwann kommt dein Traumprinz in glänzender Rüstung bestimmt. Ich hoffe nur, er kommt auf einem Faultier, damit er nicht so schnell hier ist, um dich mir wegzunehmen.«

Kapitel 2

Liam

Oh verdammt, das macht sie wirklich gut. Wir waren noch nicht ganz in ihrer Wohnung, da hat mir das geile Luder schon Gürtel und Hose geöffnet und ist vor mir auf die Knie gegangen. So habe ich es am liebsten, nicht lange drumrumreden, sondern gleich zur Sache kommen.

Hat die eigentlich keinen Würgereflex?

Um nicht weiter zusehen zu müssen, wie ihre rot beschmierten Lippen meinen ganzen Schwanz vollsauen, kneife ich die Augen zusammen, lege den Kopf in den Nacken und warte auf das erlösende Gefühl, das mich für wenige Sekunden vergessen lässt.

Der kalte Luftzug an meinem feuchten Schwanz lässt mich nach unten sehen, wo sie gerade Anstalten macht, aufzustehen. Nix da, jetzt wird das hier erst mal zu Ende gebracht.

Mit einer Hand an meinem Schwanz und einer an ihrem Hinterkopf zeige ich ihr deutlich, was ich will, was sie dümmlich grinsend hinnimmt und ihn weiter bearbeitet. Die Show, die sie jetzt dabei veranstaltet, dauert mir dann aber doch zu lange. Wo sind wir denn hier, bei den Dreharbeiten zu einem drittklassigen Porno?

Ungeduldig halte ich ihren Kopf fest und ramme mich mehrfach tief in ihren Mund, was sie nun doch zum Röcheln bringt. Mehrere Tränen lösen sich aus ihren Augenwinkeln, trotzdem schluckt sie gurgelnd jeden einzelnen Tropfen, den ich ihr gebe.

Nett wie ich bin, reiche ich ihr – nachdem ich Boxershorts und Hose hochgezogen habe – meine Hand, um ihr aufzuhelfen, und lasse mich gleich darauf in Richtung Schlafzimmer ziehen, als mein Handy piept. Ich bleibe stehen, ziehe es aus meiner Jackentasche und lese die Nachricht, die mich, obwohl sie so einfach ist, augenblicklich grinsen lässt.


Ich komme vor dem Essen bei dir vorbei.


Heute ist Sonntag und damit das traditionelle wöchentliche Abendessen bei meinen Eltern, Matt und Ella. Wir haben diese Tradition eingeführt, seit Aidan, der eigentlich nicht wirklich mein Bruder ist, endgültig zu unserer Familie gehört. Aber das ist dann eine andere Geschichte.

Zuerst nur wir vier, ist unsere kleine Runde in den letzten Jahren stetig gewachsen. Zuerst kam Isa, inzwischen Aidens Ehefrau dazu, dann ihre beiden Kinder Emily und Ethan und auch Eva ist – so wie heute – inzwischen regelmäßig dabei.

Unmittelbar entziehe ich Maddison, oder heißt sie doch Addison, meinen Arm, stecke mein Handy ein und schließe meine noch immer offen stehende Hose.

»Ich muss los.«

Entgeistert sieht Maddison/Addison mich an.

»Wie bitte, spinnst du? Ich blase dir einen und dann haust du ab?«

Oh bitte …

»Selbst schuld, was nimmst du auch alles in den Mund.« Damit drehe ich mich um und verschwinde unter ihren wütenden Schimpftiraden aus ihrer Wohnung.

Noch bevor Eva klingelt, öffne ich ihr die Haustür, was sie in meinen Hausflur marschieren lässt, als würde das alles hier ihr gehören.

Wie immer schlüpft sie im Gehen aus ihren Schuhen und lässt diese genau dort liegen, wo sie von ihren Füßen abfallen. Ihren Weg ins Wohnzimmer setzt sie unbeirrt fort und lässt sich – auch wie immer – längs auf mein Sofa fallen.

»Kaffee! Ich brauche Kaffee.«

»Dir auch ein fröhliches ›Hallo‹, Eva.«

Lachend gehe ich in die Küche und stelle zwei Tassen unter den Kaffeevollautomaten. So ist es jeden Sonntag, besser gesagt jeden Sonntag, an dem Eva auch zu meinen Eltern mitkommt. Vorher kommt sie bei mir vorbei und trinkt einen Kaffee, um wach zu werden, weil sie den ganzen Sonntag gammelnd auf ihrem Sofa verbracht hat.

Mit einer Tasse heißen Kaffee in jeder Hand gehe ich durch den Flur und komme ins Straucheln, weil ich über etwas am Boden Liegendes stolpere. Die Tassen weit von meinem Körper weghaltend, versuche ich, mich auszubalancieren, was mir glücklicherweise auch gelingt.

»EVAAA!«

»Tut mir leid«, kommt es aus dem Wohnzimmer. Ärgerlich schieße ich ihre beiden Treter an die gegenüberliegende Wand, wobei ich natürlich in eine Kaffeepfütze trete, die mir beim Gleichgewichthalten hinausgeschwappt sein muss.

Hörbar durch die Nase schnaubend, gehe ich ins Wohnzimmer und knalle ihre Tasse stärker als beabsichtigt auf den Couchtisch, sodass noch mehr des Kaffees überschwappt.

»Meinst du, du wirst es irgendwann lernen, deine beschissenen Schuhe selbst an die Seite zu räumen?«

Ich könnte schwören, meine Lippen haben sich bewegt, aber sie nimmt wortlos ihre Tasse, lehnt sich etwas zur Seite und starrt an mir vorbei auf den Fußboden, als hätte ich überhaupt nichts gesagt.

»Hast du das mit deinen Schweißfüßen mal behandeln lassen?«

WAS? Ihrem Blick folgend, sehe ich die nassen Fußspuren, die ich hinterlassen habe. Wohlgemerkt Kaffeefußspuren.

Mit einer Mischung aus Ärger und Ungläubigkeit sehe ich sie wieder an, woraufhin sie mir über den Rand der Kaffeetasse ein zuckersüßes Lächeln schenkt und übertrieben mit ihren Wimpern klimpert.

Diese Frau macht mich noch mal wahnsinnig und so stampfe ich aus dem Wohnzimmer nach oben in mein Ankleidezimmer, um mir neue Socken anzuziehen.

Als ich wieder zurück bin, steht sie an meinem Esszimmertisch, der zur rechten in meinem Wohnzimmer steht, und studiert einige Unterlagen.

Einen Moment lang bleibe ich stehen und sehe ihr dabei zu, wie die Finger ihrer freien Hand in ihren Haaren drehen. Diese Angewohnheit zeigt sie oft. Jedes Mal, wenn sie etwas liest, über etwas nachdenkt oder wenn sie peinlich berührt ist, spielt sie mit ihrem welligen, blonden Haaren, die ihr fast bis zu ihrem wohlgeformten Hintern reichen. Überhaupt ist Eva ein Hammergerät, was ich ihr natürlich niemals sagen werde. Sie ist schlank, aber nicht dürr, mit Rundungen an genau den richtigen Stellen. Auf ihrer Nase hat sie blasse Sommersprossen, dazu diese geschwungenen Lippen und immer fragende grünblaue Augen. Vielleicht ist das noch die Journalistin in ihr.

Aber am meisten mag ich, dass ich bei ihr sein kann, wer und wie ich bin. Genauer gesagt der, zu dem ich geworden bin.

Auch wenn sie oftmals genervt von mir ist, weiß sie, dass ich es im Grunde nicht böse meine. Außerdem ist Eva mir ebenbürtig und ganz bestimmt vieles, aber nicht auf den Mund gefallen.

Rückblickend betrachtet, sollte sie mir überhaupt nicht so nah kommen. Niemand weiß so sehr wie ich, dass ich das Gefühl, das sie in mir auslöst, nicht verdient habe und trotzdem brauche ich es manchmal. Das Gefühl, restlos glücklich zu sein …

»Liam, hallo …« Stumm realisiere ich, dass Eva direkt vor mir steht und mit ein paar Zetteln vor meiner Nase herumwedelt. »Habt ihr vor, hier zu investieren?«

Stirnrunzelnd nehme ich ihr die Zettel aus der Hand und überfliege den Text. Es geht um ein Eisstadion, dessen Inhaber Investoren suchen, um es zu modernisieren.

Zusammen mit Aiden habe ich vor gut vierzehn Jahren die Firma Stone & Benett Investment gegründet. Zuerst waren wir nur zu zweit, dann aber wuchs die Firma rasant zu ihrer heutigen Größe heran und gilt inzwischen als eine der führenden Investmentfirmen überhaupt.

Unsere Investitionen gehen jedoch eher in den Bereich Hotel, Wohnungen und gelegentlich auch an junge Start-up-Unternehmen. Warum die Inhaber des Eisstadions daher bei uns angefragt haben, ist mir schleierhaft.

»Nein, das ist nicht ganz unsere Richtung. Das solltest du auch wissen.«

Eva arbeitet inzwischen seit etwas mehr als einem Jahr in unserer Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und unsere Investitionen sind ihr sehr wohl bekannt.

»Gehst du mal mit mir dahin?«

Fragend sehe ich sie an.

»Wohin? In das Eisstadion? Ich sagte doch gerade, dass ich nicht vorhabe, zu investieren.«

»Ich dachte auch eher daran, privat hinzugehen.«

Lachend gehe ich zum Esstisch und werfe die Unterlagen darauf.

»Bestimmt nicht. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich aufs Eis gehe? Niemals.«

»Bitte.« Eva kommt näher, nimmt meine Hand zwischen ihre und drückt sie sich flehend vor die Brust. Dabei blickt sie mich von unten herauf aus ihren schönen Augen an. »Biiitte. Mir zuliebe.«

Sagte ich schon, dass diese Frau mich wahnsinnig macht?

»Ich überlege es mir.«

Wohlwissend, dass sie so gut wie gewonnen hat, grinst sie mich an und hopst wie ein kleines Mädchen, das ihren Vater zu etwas überreden konnte, zurück zur Couch.

»Ich lieb dich, Laaam.« Damit küsst Emily mich von gefühlten vier Litern Spucke begleitet auf den Mund. Trotzdem ist es das schönste Gefühl überhaupt.

»Ich liebe dich auch, Prinzessin.« Mit ihr auf dem Arm gehe ich in die Küche, wobei ich sie mehrmals in die Luft werfe und sie wieder auffange, was sie zum Jauchzen und mir noch mehr Sabberfäden ins Gesicht bringt.

In der Küche angekommen, setze ich sie ab und begrüße meine am Herd stehende Mutter mit einem Kuss auf die Wange. Meinem Vater klopfe ich auf die Schulter und drehe mich zu Eva und Isa um, die kichernd in einer Zeitung versunken am Küchentisch sitzen. Da Eva bis vor zwanzig Minuten noch auf meiner Couch geschnarcht hat, gebe ich nur Isa einen Kuss auf die Wange. Danach gehe ich durch den Flur in das Wohnzimmer, wo Aiden, mit einem Arm über dem Gesicht, auf der Couch liegt.

»Hey, was ist denn mit dir los?«

Kurz hebt er seinen Arm an und sieht zu mir hoch, bevor er ihn wieder auf seinem Gesicht ablegt.

»Frag nicht! Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen habe, ich bin fix und fertig.«

Ich setze mich ihm gegenüber in den Sessel, was ihn nun doch dazu bringt, sich stöhnend aufzurichten.

»Na komm, so schlimm wird es schon nicht sein.«

»Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, wenn ein Baby die ganze Nacht …«, erschrocken sieht er mich an. »Tut mir leid, Mann, ich wollte nicht …«

»Ist schon gut … Du hast ja recht. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie das ist.«

»Liam …« Aiden unterbricht seinen Satz, als die Stimmen aus der Küche lauter werden und schließlich bei uns im Wohnzimmer landen.

Nur am Rand bekomme ich mit, dass meine Mutter anfängt, das Essen aufzutischen, und Matt und Isa mit Emily herumalbern. Alles, was ich sehe, ist Eva, wie sie den knapp zwei Wochen alten Ethan auf ihrem Arm schaukelt und ihm über das Köpfchen streichelt. Ich kann nicht erklären, warum, und doch durchströmt mich bei diesem Anblick ein undefinierbares Gefühl. Ein undefinierbares Gefühl, das sich verboten gut anfühlt.

Unsicher, was ich davon halten soll, schüttle ich den Kopf und folge Aiden, der sich bereits an den Esstisch setzt.

Sobald alle Platz genommen haben und ihre Teller befüllt sind, gehen die üblichen Gespräche los. Meine Mutter gibt Isa Ratschläge zum Muttersein, worüber sie und Eva die Augen verdrehen, und mein Vater fragt Aiden und mich, was es in der Firma Neues gibt.

»Ach übrigens, ich kann bei den Rekrutierungsgesprächen für den Pressesprecher nicht dabei sein. Ich habe da schon einen Termin mit dem Miller. Dem von der Hotelkette.«

Überrascht unterbreche ich mein Kauen, sehe Aiden mit großen Augen an und würge das Essen in meinem Mund hinunter.

»Und das fällt dir jetzt ein?«

»Tut mir leid, ich habe es wirklich vergessen, aber vielleicht kann Eva ihren freien Tag verlegen und daran teilnehmen?! Sie hat davon doch ohnehin mehr Ahnung als wir.« Alle Blicke am Tisch drehen sich in Evas Richtung, was ihr sichtlich unangenehm ist. Fragend blickt sie von einem zum anderen, vermutlich hat sie wieder einmal gar nicht zugehört und so wiederhole ich Aidens Frage: »Könntest du vielleicht nächsten Mittwoch deinen freien Tag umlegen und statt Aiden an den Rekrutierungsgesprächen für den Pressesprecher teilnehmen?«

»Ja klar … Das heißt … nein, ich kann doch nicht.« Flüchtig huscht ihr Blick zu Isa, bis sie wieder mich ansieht. »Tut mir leid, immer gerne, aber an dem Tag kann ich nicht.«

Ach, sie kann nicht. Warum? Ist sie wieder mit so einem schwanzlosen Zellhaufen wie vor zwei Wochen verabredet?

Um nicht meine neu auferlegte, eigene Regel, sie vor den anderen nicht mehr blöd anzumachen, zu brechen, stecke ich mir die nächste Gabel mit Nudeln in den Mund.

Soeben mit dem Essen fertig fangen meine Mutter, Isa und Eva bereits an, den Tisch abzuräumen. Gerade will Eva die letzte Schüssel in die Küche bringen, als ihr diese zu Boden fällt. Eigentlich würde ich ihr jetzt beim Aufsammeln helfen, aber die Frage, warum sie am Mittwoch keine Zeit hat, wurmt mich.

»Na, heute wieder im Trampeltiermodus, oder bist du über einen Ameisenknochen gestolpert?«

Mit zu Schlitzen verengten Augen sieht Eva, die sich über die Scherben gebückt hat, über den Esstisch zu mir und setzt gerade zu einer Antwort an, als die Stimme meiner Mutter durch den Raum peitscht.

»LIAM, habe ich dich so erzogen? Sieh zu, dass du Handfeger und Schaufel holst und die Scherben wegräumst.« Dabei sieht sie mich an, wie sie es immer getan hat, wenn ich als kleines Kind nicht Bitte und Danke gesagt habe.

Stöhnend erhebe ich mich aus meinem Stuhl, um in die Küche zu gehen. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Eva ihr Gesicht hinter ihren Haaren verbirgt, damit meine Mutter ihr schadenfrohes Grinsen nicht sieht.

Mit Handfeger und Schaufel bewaffnet, stehe ich vor Eva, die mit hochgezogenen Augenbrauen in Richtung der Scherben auf den Boden nickt und weiterhin dreckig grinst. Miststück.

Widerwillig knie ich mich auf mein rechtes Knie und kehre die Scherben zusammen.

»Liam.«

Meine Fresse kann die Frau nerven. Ich lege meinen Kopf in den Nacken, um zu ihr aufzusehen.

»Was denn, Eva?«, frage ich übertrieben freundlich. Bis sie mit einem »Du hast da was übersehen« eine Scherbe weiter unter den Tisch kickt.

Ganz ruhig ein- und ausatmend, bemerke ich das Puckern meiner Halsschlagader, krieche aber ohne ein weiteres Wort unter den Tisch und fege auch diese letzte Scherbe auf.

Für gewöhnlich setzen wir uns nach dem Essen noch an den Wohnzimmertisch und trinken etwas. Heute ist mir aus für mich unerklärlichen Gründen jedoch die Stimmung vergangen. Daher beschließe ich, meine Jacke zu nehmen und aufzubrechen, als Eva in den Flur kommt und mich am Arm berührt.

»Willst du schon los?«

»Ja«, erwidere ich heftiger als gewollt und entziehe ihr meinen Arm. Als ich die Jacke überziehe, sehe ich im Augenwinkel, wie sie die Arme vor ihrer Brust verschränkt und mir näher kommt, um nicht so laut sprechen zu müssen.

»Wartet schon wieder eine von deinen Hechelhasen auf dich?«

»Was geht dich das an?«, blaffe ich zurück, nehme ärgerlich meinen Schlüssel von der Anrichte und öffne die Hautür. »Du sagst mir doch auch nicht, warum du Mittwoch keine Zeit hast, oder?!« Damit gehe ich hinaus und knalle die Haustür hinter mir zu.

Meine Fresse, was war das denn? Ich bin doch sonst nicht so empfindlich. Eigentlich kann es mir doch vollkommen egal sein, was Eva macht. Trotzdem muss ich mir eingestehen, dass mir der Gedanke, dass sie was auch immer mit einem anderen Mann macht, so ganz und gar nicht gefällt.

Keine zehn Minuten später habe ich mich wieder etwas beruhigt und halte vor meiner Stadtvilla, steige aber noch nicht aus. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen, ich bin … eifersüchtig, was natürlich vollkommen absurd ist.

Ich hoffe, du und dein Geld werden glücklich miteinander.

Müde fahre ich mir mit den Händen durch das Gesicht und versuche krampfhaft, diese verdammten Gedanken so schnell zu vertreiben, wie sie gekommen sind. Dann ziehe ich mein Handy aus der Jackentasche, um mich bei Eva zu entschuldigen, und sehe, dass bereits eine Nachricht von ihr eingegangen ist.


Am Mittwoch ist der zehnte Todestag meiner Mutter.


Scheiße …

Kapitel 3

Eva

Noch im Übergang vom Schlaf zum Wachwerden versuche ich verzweifelt, mein Unterbewusstsein zu überreden, nicht vollständig zu erwachen. Bitte, nur dieses eine Mal, nur heute nicht und schon schlage ich, ohne dass ich es wirklich steuern kann, meine Augen auf. Minutenlang starre ich regungslos an die Zimmerdecke und versuche, die Erinnerungen zu verdrängen, die wie auf Knopfdruck auf mich einprasseln.

Mühsam schlage ich die Decke zurück, quäle mich aus dem Bett und gehe in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Während die Kaffeemaschine mit knurrenden Geräuschen das heiße Wasser durch das Kaffeepad drückt, sehe ich aus dem Fenster. Es ist noch immer stockdunkel, nur im Schein der Straßenlaterne kann ich erkennen, dass es ein wenig nieselt. Genau wie vor zehn Jahren.

Es war ein Tag wie jeder andere. Ich war neunzehn und lebte noch bei meiner Mutter, der ich sehr nahestand. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Vielleicht war das Band, das meine Mutter und mich verband, auch deswegen so stark.


»Hallo mein Schatz, ich komme heute etwas später. Fängst du schon mal an, uns etwas zu essen zu machen?«

»Was denkst du denn, ich bin doch schon dabei«, antworte ich meiner Mutter lachend. Als würde ich nicht immer, wenn ich vor ihr zu Hause bin, anfangen, uns etwas zu essen zu machen. Ich beende das Gespräch und mache mich daran, den Blumenkohl zu putzen und anschließend in Röschen zu teilen, als es wenig später an der Tür klingelt. Wie oft vergisst sie eigentlich ihren Haustürschlüssel? Lachend reiße ich die Tür auf. »Na, haben wir mal wied…«

Doch statt meiner Mutter stehen zwei Polizisten vor mir, die mich mitleidig ansehen.

»Miss Smith?«

Sie brauchen nichts mehr zu sagen, ich weiß bereits, was sie mir mitteilen wollten, doch wahrhaben will ich es nicht. Augenblicklich wird mein Körper von einer eisigen Kälte überzogen und ich spüre sprichwörtlich, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht weicht.

»Nein! Nein!« Für die Polizisten kaum sichtbar schüttle ich den Kopf und gehe ein paar Schritte rückwärts in die Wohnung zurück. »Wir haben vor wenigen Minuten noch miteinander gesprochen. Sie wird gleich hier sein …« Ein weiterer Blick in die Gesichter der Polizisten und ich weiß, dass ich mich irre. Sie wird nicht kommen. Nie wieder.


Sie ist unachtsam gewesen, vermutlich, weil sie sich so beeilt hat, und ist vor ein Auto gelaufen. Die Verletzungen an ihrem Kopf waren so schwer, dass sie noch am Unfallort verstorben ist.

Automatisch wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, nehme meinen Kaffee und gehe ins Wohnzimmer, um mich mit den alten Fotoalben auf dem Sofa zu verkriechen. So ist es jedes Jahr. Ich sitze hier, sehe mir die Bilder an und weine. Weine um meine Mutter, die gleichzeitig meine beste Freundin und der wichtigste Mensch in meinem Leben war.

Das Schlimmste ist, dass es jedes Jahr so ist, als wäre sie wirklich erst heute gestorben. Die Zeit heilt eben doch keine Wunden, sie betäubt sie nur. Aber wenn man sich auf den Schmerz konzentriert, wie ich an ihrem Todestag, dann ist rein gar nichts betäubt.

Das Piepen meines Handys zeigt mir, dass eine Nachricht eingegangen ist. Sie ist von Isa, die mich bittet, vorbeikommen zu dürfen, doch sie weiß, dass ich diesen Tag für mich alleine brauche. Ich will niemanden sehen, nicht einmal sie.


Als wäre ich gar nicht richtig da, höre ich das Klingeln an der Wohnungstür wie durch einen Schleier. Wer auch immer es ist, er oder sie soll mich in Ruhe lassen.

Blind greife ich nach einem der vielen zerknüllten Taschentücher auf meinem Bauch und schnäuze erneut hinein. Ein Fotoalbum liegt auf meinen Beinen, eins auf dem Wohnzimmertisch und ein weiteres auf dem Boden.

Wieder klingelt es an der Haustür.

»Eva, bitte mach auf, ich weiß, dass du da bist.«

Es ist Liam und irgendwie ist er der Erste und auch Letzte, den ich heute sehen will. Einerseits ist er mir inzwischen so nah und ich mag merkwürdigerweise genau diese verrückte Art an ihm, mit der er mich regelmäßig zur Weißglut bringt. Anderseits kann ich diese heute unmöglich ertragen.

Ein leises Klopfen mit einem »Eva, bitte« dringt durch die Tür zu mir und so erhebe ich mich ergeben, schlurfe zur Tür und öffne sie.

In meinem langen, verwaschenen rosa Fleeceschlafanzug, mit dicken Wollsocken und rot verheultem Gesicht stehe ich vor ihm und warte auf einen Spruch, der aber nicht kommt. Stattdessen hält er mir ein Packung Taschentücher und eine Tafel Schokolade hin.

Warum weiß ich selbst nicht, aber ich lasse ihn rein und dirigiere ihn zum Sofa, wo er erst einmal Dutzende Taschentücher an die Seite räumen muss, um sich setzen zu können.

»Heute ist kein so guter Tag. Was möchtest du denn?«, frage ich ihn und hoffe, was auch immer er will, schnell hinter mich bringen zu können, um wieder alleine zu sein.

»Ich will nicht, dass du heute alleine bist.«

»Heute bin ich aber gerne allein und deswegen gehst du jetzt bitte wieder.«

»Ist das deine Mutter?« Liam nimmt das Fotoalbum vom Tisch, auf dessen aufgeschlagener Seite ein Porträtfoto meiner Mutter klebt. »Sie ist wunderschön.« Er sieht zu mir auf, woraufhin ich den Blick abwende. »Du siehst ihr sehr ähnlich.«

Schon wieder bemerke ich, wie mir Tränen in die Augen steigen, und schlucke mühsam, um sie am Überlaufen zu hindern.

Liam steht auf, stellt sich vor mich und nimmt meine Hände.

»Zieh dir was Warmes an und komm dann runter zum Auto. Wir fahren weg.«

Ärgerlich entziehe ich ihm ruckartig meine Hände.

»Sag mal, bist du schwer von Begriff, oder willst du es einfach nicht verstehen? Ich will alleine sein! Und ganz bestimmt mache ich heute keinen Ausflug mit dir.«

Fast sieht es so aus, als hätten ihn meine Worte wirklich getroffen. Allerdings ist mir das im Moment auch egal und so sehe ich ihn weiterhin herausfordernd an.

»Ich werde zum Auto gehen. Wenn du in zehn Minuten nicht da bist, lasse ich dich in Ruhe. Aber ich bin mir sicher, es würde dir gefallen.« Damit geht er und zieht die Wohnungstür leise hinter sich ins Schloss.

Spinnt der? Aufgebracht tigere ich durch mein Wohnzimmer und ärgere mich, dass ich überhaupt darüber nachdenke, ihm hinterherzugehen. Warum kann er meinen Wunsch, allein zu sein, nicht akzeptieren?

Ob ich wütend auf Liam oder auf mich bin, kann ich gerade selbst nicht sagen. Trotzdem steige ich sieben Minuten später in Jeans und Winterjacke gehüllt, mit Taschentüchern und Schokolade bewaffnet, in Liams Wagen.


Fast fünf Stunden später kommen wir am Friedhof in Greenville Ohio zum Stehen. Fünf Stunden, in denen Liam nicht ein Wort gesprochen hat, wofür ich ihm unendlich dankbar bin.

Inzwischen ist er ausgestiegen und hebt irgendetwas aus dem Kofferraum. Als auch ich austeige, trägt er einen riesigen Korb vor dem Bauch und wartet offenbar darauf, dass ich vorausgehe.

Viel zu lange war ich nicht hier und werde augenblicklich von meinem schlechten Gewissen im wahrsten Sinne des Wortes vor den Grabstein in die Knie gezwungen. Unmittelbar durchnässt der nasskalte Rasen meine Jeans, während ich meine Fingerspitzen küsse und diese auf den Stein lege.

»Hallo Mama«, beginne ich, werde aber sofort von einem Schluchzen unterbrochen.

»Eva, komm hoch, der Boden ist viel zu kalt.« Liam zieht mich zu sich hoch und dreht mich mit sich herum. Nur einen halben Meter weiter hat er einen großen Regenschirm aufgespannt, unter dem eine Isomatte ausgebreitet ist, auf der zwei Decken liegen.

Sprachlos lasse ich mich von ihm auf die Matte ziehen, setze mich mit ihm und lasse mir eine der Decken um die Schulter legen. Jetzt doch neugierig, sehe ich ihm dabei zu, wie er eine Thermoskanne, zwei Tassen und eine weitere Tafel Schokolade aus dem Korb nimmt.

Damit er uns einschenken kann, gibt er mir die beiden Tassen zum Festhalten und ich spüre durch die Keramik, wie die Wärme des Kaffees auf meine Hände übergeht. Dann legt er sich die zweite Decke um die Schultern, nimmt mir eine der Tassen ab und blickt in Richtung des Grabsteines. Ich sitze unterdessen da und kann kaum glauben, was er hier für mich tut. Wortlos tue ich es ihm gleich und starre auf den weißen Stein vor mir. Genieße die Ruhe, aber auch das Gefühl dennoch nicht allein zu sein.

Nicht wissend, wie lange wir schon hier sitzen, unterbreche ich die Stille.

»Sie hätte dich bestimmt gemocht. Deine ehrliche Art und sogar deine Ausdrucksweise, die wirklich manches Mal zu wünschen übrig lässt.«

Ich drehe meinen Kopf ins Liams Richtung und fange seinen Blick auf.

»Ich hätte sie auch sehr gerne kennengelernt.«

Leicht nickend, blicke ich wieder in Richtung Grabstein und versuche mühsam, gegen den immer größer werdenden Kloß in meinem Hals anzuschlucken. Wenn ich jetzt anfange, kann ich vielleicht nicht mehr aufhören, doch ich komme nicht gegen die Träne an, die sich aus meinem Augenwinkel löst und an meiner Wange herabläuft. Meine Augen brennen und ich spüre, wie sich das Schluchzen tief in mir aufbaut. Aus Angst, dass die Dämme brechen, mag ich kaum zwinkern, als mich zwei Arme umschließen und Liam mich an seine Brust zieht.

Sofort fällt alle Selbstbeherrschung von mir ab und ich lasse den Tränen freien Lauf, während er mich wie ein Kleinkind in seinen Armen wiegt. Das monotone Streicheln seiner Hand auf meinem Rücken und der mir so vertraute Geruch nach seinem holzigen Aftershave beruhigen mich, sodass nach längerer Zeit nur noch mein gelegentliches Schluchzen die Stille unterbricht. Trotzdem lasse ich Liam nicht los und sauge die Wärme und den Halt, den er mir gibt, in mich auf.


»Eva, wach auf, wir sind da.« Ein sanftes Rütteln an meinem Arm holt mich aus dem Schlaf. Blinzelnd sehe ich mich um und stelle fest, dass ich noch immer in Liams Auto sitze. Ich muss während der Heimfahrt eingeschlafen sein. Inzwischen ist es stockdunkel.

Noch nicht ganz wach, reibe ich mir über die Augen und rutsche im Autositz nach oben.

»Wie spät ist es?«

»Kurz nach zwei.«

Oh nein, schon so spät? Liam und auch ich müssen morgen wieder zur Arbeit. Daher öffne ich die Beifahrertür, als auch Liam aussteigt, um mich zur Tür zu bringen.

Er ist so wahnsinnig widersprüchlich. Auf der einen Seite kann er das größte Ekelpaket sein, auf der anderen Seite ist er der vorbildliche Gentleman, der mich nie den Weg von seinem Auto bis zur Haustür alleine gehen lässt. An der Tür angekommen, fällt mir ein, dass heute eigentlich die Rekrutierungsgespräche für den Pressesprecher stattfinden sollten, und so frage ich ihn danach.

»Die habe ich auf morgen verlegt.«

Bestimmt, weil ich Heulsuse meinen freien Tag nicht verschieben wollte.

»Es tut mir leid.«

»Hey.« Liam legt seine Hände um mein Gesicht und zwingt mich so, ihn anzusehen. »Ich habe die Gespräche verschoben, weil du mir wichtiger bist. Notfalls hätte ich sie auch alleine geführt, aber ich wollte heute bei dir sein und habe inständig gehofft, dass du mich nicht wieder wegschickst.« Ein unsicheres Lächeln, das ich von ihm nicht kenne, umspielt seine Mundwinkel.

Erst das zarte Streicheln seiner Daumen in meinem Gesicht zieht mich wieder ins Hier und Jetzt. Peinlich berührt bemerke ich, dass ich ihm sekundenlang auf seine Lippen gestarrt habe. Ich blicke zu seinen Augen auf und sehe, dass auch sein Blick auf meine Lippen gerichtet ist. Meine Haut unter seinen Händen beginnt zu brennen und so räuspere ich mich, um diesem merkwürdig vertrauten Moment aufzulösen. Auch Liam scheint von der Situation überfordert und so lässt er mich ruckartig los und geht in Richtung seines Wagens.

»Liam.« Noch einmal dreht er sich zu mir um. »Danke … für alles.«

Kapitel 4

Eva

Lachend werfe ich den Kopf in den Nacken und höre Amelia zu, wie sie mir von einem Mann erzählt, den sie vorgestern in einer Bar kennengelernt hat.

Amelia ist die persönliche Assistentin von Liam und Aiden und solange wir uns kennen, ist sie wie ich Single. Und wenn ich ihren Ausführungen glauben darf, dann bleiben wir das auch lieber weiterhin. Besagter Mann hält wohl nicht viel davon, es langsam angehen zu lassen. Zumindest hat er ihr ein Foto seines besten Stückes geschickt und sich … ja, was hat er sich wohl davon erhofft?

Läuft denn heutzutage wirklich alles nur noch darauf hinaus, möglichst schnell miteinander ins Bett zu steigen und sich dann den oder die Nächste zu suchen?

Vielleicht bin ich auch einfach schrecklich altmodisch, aber ich glaube noch daran, dass es irgendwo da draußen den Richtigen gibt. Bevor ich meine Zeit bis dahin mit so einem Obszönen-Foto-Schicker verbringe, bleibe ich lieber ganz allein.

Das Pling in meinem Rücken kündigt an, dass der Fahrstuhl gekommen ist. Da Aiden bereits in seinem Büro ist, kann es demnach nur Liam sein.

»Guten Morgen, Ladys.«

Grinsend stelle ich fest, dass Amelia, wann immer Liam etwas Schmeichelndes sagt, leicht errötet. Insgeheim steht sie, glaube ich, ein bisschen auf ihn und unter anderen Voraussetzungen hätte sie vielleicht sogar eine Chance bei ihm. Sie ist gerade dreißig geworden, groß und schlank, mit schulterlangen blonden Haaren. Aber sie ist eine Angestellte von Stone & Benett Investment und fällt damit raus. Aiden hatte einmal einen ähnlichen Frauenverschleiß wie Liam, dabei waren sie sich aber einig, dass man nichts mit Angestellten anfängt, und daran haben sie sich angeblich auch immer gehalten.

Ich stoße mich mit Schwung von Amelias Schreibtisch ab, auf dessen Kante ich gesessen habe, nehme die beiden Kaffeebecher und gehe vor Liam in sein Büro.

So läuft es jeden Morgen. Ich unterhalte mich ein wenig mit Amelia, während ich auf Liam warte, um einen Kaffee mit ihm zu trinken. Danach fahre ich fünf Stockwerke tiefer in die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, in der ich arbeite.

Auf dem Weg zu Liams Schreibtisch, wo ich den Kaffee abstelle, streife ich meine Pumps ab und setze mich auf seinen Bürostuhl. Sofort drehe ich mich vom Raum weg in Richtung der Fensterfront, hinter der sich gefühlt ganz Chicago erstreckt.

Der Turm, in dem sich die Firma Stone & Benett Investment befindet, steht ganz in der Nähe vom Loop, in der North Wabash Avenue. Mit seinen dreißig Stockwerken, von denen die unteren fünfzehn als Luxuswohnungen vermietet sind, ist er bei Weitem nicht der Höchste in Chicago, aber die Aussicht ist trotzdem jedes Mal überwältigend.

Erst jetzt höre ich, dass auch Liam in sein Büro kommt und die Tür schließt.

»EVA!«

Ertappt zucke ich zusammen und drehe mich in seine Richtung.

»Tut mir leid.«

Ärgerlich kickt Liam einen meiner Schuhe an die Seite und legt seinen Laptop vor mir auf dem Schreibtisch ab.

»Sag nicht immer, dass es dir leidtut, wenn es nicht so ist.«

»Okay, du hast recht. Es tut mir nicht leid.« Seine gerunzelte Stirn ignoriere ich gekonnt und frage ihn stattdessen, wie sein Wochenende war.

Seit dem Todestag meiner Mutter haben wir uns nur Donnerstagmorgen zum Kaffee und zu den Rekrutierungsgesprächen gesehen. Am Freitag war Liam nur auf Stippvisite in der Firma und gestern war ich nicht beim Abendessen der Benetts.

Ohne es beeinflussen zu können, erinnere ich mich immer wieder an Mittwochnacht, wobei mir ein wohliger Schauer über den Rücken läuft. Daran, wie er mich vor meiner Haustür verabschiedet hat. Dieser Moment war so … innig. Natürlich haben Liam und ich schon viele schöne Momente miteinander erlebt und noch öfter haben wir uns berührt und doch, dieses Mal war es anders.

Das ganze Wochenende habe ich darüber nachgedacht, wie ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten soll, bin aber stets zu dem gleichen Entschluss gekommen. Ich werde rein gar nichts machen oder sagen und einfach so tun, als hätte es diesen Moment nie gegeben.

Vielleicht hat es ihn auch nie gegeben? Schließlich war ich an dem Tag ohne Zweifel ziemlich durch den Wind und es ist gut möglich, dass ich da etwas in eine Geste reininterpretiere, die so gar nicht stattgefunden hat.

»Hallo?« Liam schnippt mit seinen Fingern vor meinen Augen herum, woraufhin ich ihn fragend ansehe. »Warum fragst du überhaupt, wenn du doch nicht zuhörst?«

Ähm ja, ich weiß auch nicht.

»Sag mal, schickst du den Frauen, die du kennenlernst, eigentlich Penisbilder?«

Liam, der gerade in seinen Unterlagen wühlt, stockt mitten in der Bewegung, starrt noch einen Moment lang auf die Papiere vor sich und dreht dann seinen Kopf in meine Richtung.

»Wie bitte? Ob ich was mache?«

Jetzt doch etwas verlegen, rutsche ich auf dem Bürostuhl herum und merke, wie meine Wangen warm werden. Ich werde jetzt einfach gar nichts mehr sagen, aber Liams Gesichtsausdruck lässt mich erkennen, dass das Thema für ihn nicht so einfach beendet ist.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739391991
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Juli)
Schlagworte
Liebesroman Millionär Leidenschaft Sex Liebe Erotik Humor

Autor

  • Mia B. Meyers (Autor:in)

Mia B. Meyers (34) schreibt (Chick-Lit) Liebesromane und veröffentlichte mit Dark Side of Trust ihr Debüt, das am 12.01.2016 bei Amazon erschienen ist. Mia hat unzählige Bücher gelesen und in Gedanken weitergesponnen. Da der Weg selbst etwas zu schreiben und zu veröffentlichen, immer viel zu weit schien, hat sie jedoch nie ernsthaft darüber nachgedacht. Bis sich ihr mit einem Kindle die wunderbare Welt der Selfpublisher eröffnete und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte .
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Titel: Finding Trust