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Catching Up

Einmal ist nicht genug

von Mia B. Meyers (Autor:in)
284 Seiten

Zusammenfassung

»Es wird Zeit, deinen Erfahrungsschatz zu erweitern. Bist du bereit?« Nach der langjährigen Beziehung mit ihrem Jugendfreund möchte die souveräne Immobilienmaklerin Mackenna Heard erst einmal das Alleinsein genießen. Diesen Plan hat sie jedoch ohne ihre Freundinnen gemacht. Deren Meinung nach hat sie reichlich Nachholbedarf in Sachen Sex und sie nötigen Mackenna daher zu einer To-do-Liste der besonderen Art. Was als Spaßprojekt beginnt, wird umso reizvoller, als Blake in ihr Leben tritt und sie unbeholfen von einem Abenteuer ins nächste stolpert – Missverständnisse und Komplikationen inbegriffen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,


um einer eventuellen Enttäuschung vorzubeugen, möchte ich dich an dieser Stelle vorwarnen.

Vermutlich werden sich meine Protagonisten stellenweise sehr speziell ausdrücken. Sie lieben klare Worte, zu denen auch der ein oder andere Kraftausdruck gehört.

Und ja, dem ist – ganz unabhängig von ihrem Alter oder ihrem beruflichen Erfolg – so.

Alle meine Protagonisten sind fiktional und dürfen es somit. Darüber hinaus, wer weiß schon, wie die oberen Zehntausend wirklich miteinander reden?!


Sollte schon dieses Vorwort nicht deinem Geschmack entsprechen, wird es leider auch der Rest nicht tun. Das würde ich zwar sehr bedauern, aber Geschmäcker sind nun einmal verschieden.

In diesem Fall muss ich mich an dieser Stelle leider von dir verabschieden. Ansonsten wünsche ich dir ganz viel Spaß beim Lesen und hoffe sehr, dass es dir gefallen wird.


Deine Mia

Prolog

»Kenna, während wir anderen uns ausgetobt und Erfahrungen gesammelt haben, hast du mit Dylan auf der Couch gesessen, um Gordon Shumway anzusehen.«

»Was ist verkehrt daran? Zeig mir einen Menschen, der Alf nicht kennt.«

»Es wird Zeit, diesen gewissen Abschnitt nachzuholen. Bist du bereit?«

1

Mackenna

Warum kann ich auch nie auf mich hören?

Einmal im Vierteljahr fahre ich mit der Subway und jedes einzelne Mal nehme ich mir aufs Neue vor, genau das nie wieder zu tun. Stirnrunzelnd sehe ich über die Schulter und versuche, der Mutter hinter mir einen möglichst bösen Blick zuzuwerfen, den sie jedoch geflissentlich ignoriert. Offenbar ist es in ihrer Welt normal, fremden Leuten unentwegt mit dem Kinderwagen in die Hacken zu fahren, in meiner ist es das nicht. Keine Chance, mich von ihr zu entfernen, die Säuglingskutsche benutzt mich als Bremsklotz und wo immer ich hingehe, folgt sie mir. Abgesehen davon bin ich auch von allen anderen Seiten eingepfercht wie eine Sardine. Der Mann vor mir ist einen Kopf kleiner als ich und präsentiert mir eine wunderbare Sicht auf seine Platte. Ich wusste gar nicht, dass Glatzen Schuppen produzieren können. Gut möglich, dass es aber auch nur Cremereste sind. Es ist wie ein Unfall, man will nicht hinsehen und trotzdem tut man es immer wieder. Resigniert schließe ich die Augen und möchte tief durchatmen, aber auch das tue ich wohl wissend lieber nicht. Wer jemals in der Subway unterwegs war, weiß, es gibt da ein paar Dinge, die man einmal und zukünftig nie wieder macht. Apropos, automatisch presse ich das MacBook noch etwas fester an die Brust und werfe einen Blick auf meine Handtasche, um zu überprüfen, ob der Reißverschluss geschlossen ist. Hier gibt es allerhand Spezialisten für Eigentumsveränderungen, sprich klauendes Pack.

Die Bahn hält an der nächsten Zwischenstation und es steigen weitere Fahrgäste ein, gefühlt um die zweihundert, ist ja auch noch nicht voll genug hier. Jemand stößt mich von hinten an und ich lasse reflexartig den Haltegriff los, um mich an dem Schuppenkopf vor mir abzustützen – igitt. Den scheint es nicht groß zu stören. Bestimmt ein Jeden-Tag-U-Bahn-Fahrer, die sind da abgehärtet. Angewidert wische ich mir die Hand am Hosenbein ab und sehe auf, als Billy Idol für Arme rüde an mir vorbeirempelt.

»Arschloch«, nuschele ich mir leise zu, nur leider nicht leise genug.

Billy wirbelt trotz der Enge herum und wirft einen wütenden Blick über die Schulter. »Wa?«

Scheiße! Meine Freundin Lynn sagt immer, ich hätte das Organ eines Drill Sergeants und solle mich bemühen, leiser zu reden.

»Wer will hier aufs Maul?« Billy stampft retour in unsere Richtung und ich sehe mich panisch nach einem Fluchtweg um. Um zu türmen, müsste ich jedoch erst mal meinen Fuß unter dem Rad des Kinderwagens befreien.

»Die war’s«, zeigt der Kürzeste aus Muttis Kinderschar mit seinem Wurstfingerchen auf mich.

Kleine Mistratte!

Augenblicklich spüre ich Wärme im Gesicht aufsteigen und kalter Schweiß bricht mir aus. Okay Mackenna, jetzt nicht in Panik ausbrechen. Slow-Motion-artig drehe ich den Kopf wieder herum und versuche, mich an eins der vielen Kommunikationsseminare zu erinnern. Ich werde mich einfach entschuldigen und …

»Noch so’n Spruch und du brauchst keine Schönheitsoperation mehr! Klar?«, spuckt er mir entgegen und zieht auf sowohl optisch wie auch akustisch ekelerregende Weise die Nase hoch. Leider lässt sein theatralisches Räuspern wenig Gedankenspielraum, was er da zusammengezogen hat. Die in unmittelbarer Nähe stehenden Mitfahrer starren ihn mindestens genauso schockiert an wie ich – er wird doch nicht … Und überhaupt, was heißt hier »brauchst keine Schönheitsoperation mehr«? Ich umklammere mein MacBook und wäge ab, ob es sich lohnt, ihm das Teil über die gebleichte Haartolle zu ziehen, entscheide mich aber dagegen. Er entscheidet sich offenbar auch dagegen, das so vielversprechend begonnene Gespräch weiterzuführen, und rempelt durch die Menschenschar von dannen. Erst jetzt bemerke ich, dass ich die Luft angehalten habe, und atme erleichtert aus. Nächstes Mal, wenn mein Auto in der Reinigung ist, nehme ich mir ein Taxi. Nie wieder Subway. Und zur Abwechslung werde ich mich in diesem Fall auch daran halten.

Zwei Haltestellen weiter schiebt die Menge mich Richtung Ausstieg – wie gut, dass ich hier sowieso raus muss – und ich atme tief durch. Wie frisch einem die schlechte Luft der U-Bahn-Station doch plötzlich vorkommen kann.

Ich klemme das MacBook unter den Arm, streiche den Blazer glatt und gehe die zwei Blocks zum New Car, um das Auto abzuholen. Meine Fußballen puckern mit jedem Schritt mehr, ein weiterer Grund trotz des New Yorker Verkehrs mit dem Auto zu fahren.

»Guten Morgen, Miss Heard. Ihr Wagen steht schon abholbereit in der Halle«, begrüßt mich Mister Keller, Inhaber des New Car. »Wenn Sie überprüfen wollen, ob alles in Ordnung ist?« Er schiebt mir die Rechnung über den Tresen, als es in meiner Handtasche anfängt zu klingeln. Innerlich verdrehe ich die Augen, lege den Laptop ab und suche mein Smartphone, das inzwischen wieder Ruhe gibt. Ach nein, doch nicht, es klingelt erneut. Ich lächle Mister Keller entschuldigend an, drehe ihm den Rücken zu und nehme das Gespräch entgegen.

»Kenna, es ist kurz nach neun«, weist Allison mich ohne Einleitung zurecht.

»Dir auch einen wunderschönen Guten Morgen und ja, ich bin mir der Uhrzeit durchaus bewusst.«

»Bist du dir auch bewusst, dass du um zehn einen Besichtigungstermin mit der Ziehtochter vom altem Benson hast?«

Mister Keller tippt mir auf die Schulter und deutet an, dass er schon vorausgeht.

»Sie ist nicht die Ziehtochter, sondern seine Frau.« Ich greife mir den Laptop und gehe ebenfalls in die Halle, in deren Mitte mein weißer Q5 steht. »Ich bin in dreißig Minuten da.«

»Eine halbe Stunde?« Allison lacht gekünstelt auf und ich kann hören, dass sie mit der flachen Hand auf irgendetwas einschlägt.

»Warte kurz«, erwidere ich, nehme das Smartphone vom Ohr und wende mich an Mister Keller, der die Fahrertür öffnet, damit ich sichten kann, ob der Wagen zu meiner Zufriedenheit gereinigt wurde.

»Danke Mister Keller, ich weiß doch inzwischen, dass ich immer von Ihrer Arbeit begeistert bin.« Dabei zwinkere ich ihm zu und steige ein.

»Wir sehen uns in drei Monaten wieder«, verabschiedet er sich, wirft lächelnd die Tür hinter mir zu und geht zurück ins Gebäude. Ich starte den Motor und warte einen Moment, bis das Telefon sich mit dem Autoradio verbunden hat. »Allison, bist du noch dran?«

»Natürlich bin ich noch dran. Beweg deinen Arsch hierher! Bis in die Upper East Side brauchst du zu dieser Tageszeit mindestens zwanzig Minuten«, referiert sie weiter.

Ich mag Allison, nein, ich liebe sie, nur manchmal … Neben Lynn ist sie meine engste Vertraute und es gibt nichts, was wir nicht voneinander wissen. Nebenbei ist sie die Juniorchefin bei Standing Immobilien, die Adresse, wenn man exklusives Eigentum sucht, und bei der ich seit inzwischen zehn Jahren als Maklerin arbeite.

Ich lege den Rückwärtsgang ein und zucke zusammen, als Allison schrill meinen Namen ins Telefon brüllt, der in doppelter Lautstärke durch den Innenraum dröhnt.

»Ja, verdammt, ich bin auf dem Weg.«

»Vielleicht solltest du dich direkt zu …«, schwadroniert sie, ohne Luft zu holen, weiter. Ich werde einfach gar nicht mehr hinhören, bin ich überhaupt schon jemals spät dran gewes… Ein Aufprall gefolgt von einem fiesen Knirschen erschüttert das Auto und ich ziehe erschrocken die Luft ein.

»Was war das?«, kommt es von Allison und ich schüttle den Kopf, was sie logischerweise nicht sehen kann. Ich schaue in den Rückspiegel, kann aber nicht wirklich etwas erkennen.

»Keine Ahnung …«, ich unterbreche mich selbst, als ich in den Seitenspiegel blicke. »Fuck! Ich bin gegen ein Auto gefahren.«

»Was?«, quiekt ihre Stimme erneut aus den Boxen. »Toll, dann kommst du also doch nicht mehr rechtzeitig.«

Entgeistert starre ich auf das Lenkrad und brauche ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass sie tatsächlich gesagt hat, was ich glaube, gehört zu haben. Ich schlucke hart und mein Herz hämmert gegen den Brustkorb – ich hatte noch nie einen Unfall. Meine Hände beginnen zu zittern. Ganz ruhig, was ist zu tun? Aussteigen! Genau, erst mal den Schaden begutachten. Vielleicht ist alles nur halb so wild.

»Kenna?«

Ohne zu antworten, drücke ich das Gespräch weg und steige aus. Ein Mitarbeiter von der Aufbereitung steht mit den Händen ins Haar gekrallt vor einem blauen Sportwagen – einem, der kostenaufwendig aussieht. An meinem Wagen ist auf den ersten Blick gar nicht viel festzustellen, es macht eher den Eindruck, als hätte das Heck meines Audi sich auf die Motorhaube des Geschosses gepflanzt. Wenn ich dieses Szenarium auf einem Bild sehen würde, könnt ich es sogar lustig finden.

»Ich nehme an, das ist nicht deiner?«, frage ich den schätzungsweise Zwanzigjährigen, dem Tränen in die Augen treten. Noch bevor er antworten kann, dröhnt ein lautes »Scheiße« aus Richtung des Büros zu uns herüber und Mister Keller kommt mit hochrotem Kopf auf uns zugeschossen. Mein Smartphone klingelt lautstark im Auto und ich blicke flüchtig auf die Armbanduhr. Verdammter Mist, ich kann den Termin mit Mrs. Benson nun wirklich nicht mehr wahrnehmen und müsste Allison zumindest Bescheid geben.

»Hast du keine Augen im Kopf?«, holt Mister Kellers Stimme mich aus den Gedanken und schon feuert er eine Tirade an Vorhaltungen auf den armen Kerl ein.

»Aber …«, will dieser sich gerade rechtfertigen, bevor ich ihn unterbreche.

»Ich habe telefoniert und war abgelenkt, da habe ich nicht auf den Warnton der Rückfahrkamera geachtet.« Hat das blöde Ding überhaupt gepiept? Was solls, spielt ohnehin keine große Rolle mehr.

Mister Keller lässt den Blick zwischen mir und seinem Angestellten pendeln, wobei er sich im Sekundentakt mit der Hand durch das ergraute Haar fährt.

»Oha.« Mit dem Kommentar gesellt sich ein weiterer Kunde zu uns und schüttelt lachend den Kopf. »Sieht aus, als würde Ihr Auto auf den Kleinen hier scheißen«, faselt er drauflos und macht ein Foto. Verdattert verfolge ich, wie er sich vor das Missgeschick hockt und zusätzlich ein Selfie schießt. Toll, wenn das unsere Zukunft ist, ist die Menschheit verloren.

Das Klingeln meines Telefons dröhnt erneut aus dem Auto und ich beuge mich in den Innenraum, um das Gespräch über das Lenkrad anzunehmen.

»Was ist denn da bei dir los?«, will Allison wissen und ich beobachte aus dem Augenwinkel, wie sich der nächste Schaulustige in unsere Richtung bewegt.

»Ich bin tatsächlich in ein anderes Auto gefahren und obendrein auch noch in so eine Hammerkarre.«

»In eine Gammelkarre?«

»Hammerkarre«, wiederhole ich lauter und füge beinahe schreiend hinzu: »Eine Art Penisprothese!«

Ich presse die Lippen zusammen und blicke über die Schulter. Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass wegen unserer Lautstärke alle, die dort stehen, mein Gespräch mitverfolgen konnten?

»Allison, du musst den Termin absagen, ich komme, sobald ich kann«, damit drücke ich sie weg und richte mich wieder auf. Das Zittern meiner Finger hat nachgelassen, allerdings verliere ich mehr Schweiß als ein Duschkopf Wasser, weshalb ich meinen Blazer ausziehe und auf den Fahrersitz werfe.

»Miss Heard«, spricht Mister Keller mich an und kratzt sich verlegen hinter dem Ohr. »Das ist Mister Sullivan.« Ich sehe auf, wende den Blick wieder zu den Autos und sofort ruckt mein Kopf zurück. Was zur Hölle …

Die Stirn meines Gegenübers runzelt sich und es sieht aus, als würden zwei Wellen übereinanderliegen. Was mich jedoch wirklich fasziniert, sind diese wasserblauen Augen, die umrandet von langen schwarzen Wimpern geradezu leuchten.

Oh, er hält mir die Hand hin. Leicht benebelt reiche ich ihm meine und überlege, was ich Geistreiches sagen könnte.

»Und Sie sind?«, frage ich betont interessiert. »Der Gutachter?« Obwohl der damit sehr schnell gewesen sein müsste und ich bin mir auch nicht sicher, ob die in offensichtlich maßgeschneiderten Anzügen rumlaufen. Wurde überhaupt schon einer benachrichtigt?

Seine Augen weiten sich für den Bruchteil einer Sekunde und mir fällt auf, dass ich noch nie eine Stirn gesehen habe, die sich auf derart faszinierende Art in Falten legt, bis er trocken antwortet: »Der mit der Penisprothese.«

2

Mackenna

»Ich hab dir ja immer gesagt, du sollst nicht beim Autofahren telefonieren«, schwafelt Allison, während sie nacheinander alle Schranktüren der kleinen Küchennische öffnet. Als Juniorchefin hat sie eine persönliche Assistentin und lässt sich ihren Kaffee am Morgen für gewöhnlich bringen, statt ihn selbst aufzusetzen.

»Die Tassen stehen ganz links«, kommentiere ich ihre Ermittlung und spare mir die Bemerkung, dass sie diejenige war, mit der ich gesprochen habe.

»Und wie gehts jetzt weiter?«, fragt sie und beugt sich hinunter, um den Auslauf der Kaffeemaschine zu untersuchen.

»Ähh, drück auf den Knopf, über dem Latte macchiato steht, und das Wunderding macht den Rest von ganz allein.«

»Witzig, das weiß ich selbst. Ich meinte mit dem Typen und seinem Wagen.«

»Er hat darauf verzichtet, die Polizei zu rufen, und wir haben unsere Daten ausgetauscht.« Allison stellt ein Glas mit Latte macchiato vor mich auf den Tisch und ich gebe einen Teelöffel Zucker hinzu. »Er wollte den Wagen zu einer Werkstatt schleppen lassen, in der ein Gutachten über den Schadenswert erstellt wird.«

»Und ein geiles Gerät?« Allison setzt sich mit einem weiteren Glas an die andere Seite des Tisches und klaut mir den Löffel aus der Hand, um ihren Kaffee umzurühren.

»Könnte man sagen, ja. Definitiv nichts, was man oft aus der Nähe sieht.«

»Ich steh drauf, wenn sie groß sind. Ist er groß?«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Ähm, nein. Mein Auto hat darauf gesessen, also folglich eher klein. Flach genauer gesagt.«

»Kenna«, stößt Allison lachend hervor. »Ich rede von dem Typen. Wen interessiert denn das Auto?«

»Oh, ach so.« Ich denke an dieses außergewöhnliche, beinahe unnatürliche Blau seiner Augen. »Ganz okay.«

»Also lohnt sich kein Angriff?«

»Allison, ich habe sein Auto geschrottet, das ich vor ihm als Penisprothese bezeichnet habe. Wie hoch schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass der sich für irgendwas anderes interessieren könnte als meine Versicherungsnummer?«

Sie schürzt die Lippen und rührt demonstrativ weiter in ihrem Kaffee.

»Was soll das nun wieder?«, frage ich seufzend und lasse mich gegen die Rückenlehne des Stuhls fallen.

»Keine Ahnung, was du meinst.« Aha, sie spielt die Ahnungslose, dabei kenne ich diesen penetranten Gesichtsausdruck bei ihr nur zu genau. Ich muss einfach nur fünf bis zehn Sekunden warten, danach rückt sie ohnehin mit dem raus, was ihr auf der Zunge liegt. »Du würdest selbst dann kein Interesse erkennen, wenn sich ein Kerl nackt auszieht und dir seine Mörderlatte präsentiert.«

Pikiert lache ich auf. »Was hat das eine denn jetzt mit dem anderen zu tun? Und überhaupt, ich erkenne sehr wohl, ob ein Mann Interesse an mir hat oder nicht.«

»Ach ja?«

»Guten Morgen«, begrüßt uns David, der Keymanager, nimmt sich einen Energiedrink aus dem Kühlschrank und verschwindet umgehend wieder.

»Wie passend, nutzen wir spontan David als Beispiel«, fährt sie fort. »Wochenlang hat der Ärmste dir von sämtlichen Restaurants erzählt, in denen es ganz besonders gut schmeckt. Hast du da einmal gerafft, dass er dich möglicherweise einladen wollte?«

Genervt verschränke ich die Arme vor der Brust, nun geht das wieder los. »Er hätte auch einfach offen fragen können. Woher soll ich denn bitte wissen, dass er nicht lediglich eine krankhafte Affinität für Restaurants hat?«

»Und Jim, aus der Lohnbuchhaltung? Soweit ich mich erinnere, hat der dich ganz direkt gefragt, ob du mit ihm ins Phantom der Oper gehen willst. Hatte er nicht sogar bereits Karten besorgt?« Ich atme hörbar aus, weil ich weiß, was nun kommt. »Wie war noch deine Reaktion?«

»Da war ich bereits«, leiere ich den Satz herunter, den ich zu ihrer Erheiterung schon unzählige Male von mir gegeben habe.

»Ach ja, genau. Aber hinterher wundern, wenn er sich eine andere Begleitung sucht, bei der er nicht auf Granit beißt.« Sie nippt an ihrem Kaffee und tupft sich den Milchschaum von der Oberlippe. »Gib’s zu, wenn es darum geht, bestimmte Signale zu erkennen, ob ein Kerl Interesse an dir hat, versagst du auf ganzer Linie. Im Laufe der langen Beziehung mit Dylan bist du eben aus der Übung gekommen. Vielmehr warst du nie drin.«

»Ich bin auch noch nie in eine prekäre Lage geraten, in der ich dachte, wenn ich jetzt bloß eindeutige Signale ausmachen könnte, wäre ich gerettet.«

Allison lehnt sich ebenfalls in den Stuhl zurück und tippt sich nachdenklich ans Kinn. »Ich hab da eine Idee. Wann machst du heute Schluss?«

Ich zucke mit den Schultern und trinke den letzten Schluck Kaffee. »Ich glaube um fünf. Wieso?«

 Sie blickt auf ihre Armbanduhr und runzelt die Stirn. »Super, also heute Abend um sieben bei dir«, beschließt sie, steht auf und stellt unsere Gläser in die Spüle.

Die Stunden bis zum Arbeitsende fliegen nur so an mir vorbei, da ich wegen des Unfalls alle gestrigen Termine auf heute schieben musste. Zusätzlich hat sich das Meeting vorhin unnötig in die Länge gezogen, sodass ich heilfroh bin, als ich abends meine Wohnung betrete. Ich gehe auf direktem Weg ins Schlafzimmer, wobei ich mich der High Heels entledige und erleichtert aufstöhne, als meine Füße den kalten Laminatboden berühren. Ich streife mir Blazer, Bluse sowie den Rock ab und lasse die Sachen dort liegen, wo sie von mir abfallen. Den BH werfe ich auf den Sessel vorm Fenster und stülpe mir ein weites Shirt über. Kurz überlege ich, den Laptop mit ins Wohnzimmer zu nehmen, entscheide mich aber spontan dagegen.

Seufzend lege ich mich auf die Couch, ziehe mir die Decke bis unters Kinn und schalte den Fernseher ein, ohne ein bestimmtes Programm auszuwählen – endlich Wochenende.

Hat es eben geklopft? Ich hebe den Kopf von der Sofalehne und lausche, was genau genommen unsinnig ist. Wenn es gerade eben wirklich geklopft haben sollte, ist es eher unwahrscheinlich, dass es sofort erneut an der Tür bollert. Doch, da war es schon wieder und ein leises Lachen dringt zu mir durch. Nein, kein Lachen, eher ein Gackern und das Knistern einer Tüte oder so etwas. Reflexartig greife ich nach der Fernbedienung und stelle den Ton des Fernsehers ab. Gleichzeitig halte ich die Luft an und spüre die Vene in meinem Hals pulsieren. Obwohl es äußerst fraglich ist, dass sie mich bis in das Treppenhaus atmen hören, versuche ich, flach und langsam Luft zu holen. Ich liebe sie – meistens zumindest –, nur nicht heute. Nicht, wenn ich weiß, dass sie mich wieder dafür benutzen, um irgendeine ihrer dubiosen Analysen aufzustellen. Mackenna kann keine Signale deuten. Mackenna hatte seit der Trennung von Dylan keinen Sex mehr. Mackenna weiß nach all der Zeit einfach nicht mehr, wie man es macht.

»Kenna«, dringt Allisons genervte Stimme durch das Türblatt. »Wir wissen, dass du da bist. Du hast den Ton des Fernsehers zu spät abgestellt.«

Ich presse die Lippen aufeinander und drücke mir die Fernbedienung gegen die Stirn. Mist verdammter! Was machen sie überhaupt unmittelbar vor meiner Wohnungstür? Wer hat sich erdreistet, ihnen die Tür ins Treppenhaus zu …

»Mister Willson war so nett, uns reinzulassen«, beantwortet Lynn meine unausgesprochene Frage und ich verdrehe die Augen – das war so was von klar. »Wir dachten uns bereits, dass du vortäuschen würdest, nicht da zu sein, und daher haben wir direkt bei ihm geklingelt. Er kennt das ja inzwischen«, schwadroniert sie weiter und eine der beiden kichert.

Mister Willson wohnt in der Wohnung nebenan. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie er in dieser Sekunde an seinem Türspion steht und meine vermutlich wie so oft im Nachthemd angereisten Freundinnen anspannt. Sehr wahrscheinlich, um sich dabei einen runterzuholen. Nicht dass ich etwas gegen Mister Willson hätte, allerdings lässt sein allabendliches Fernsehprogramm leider darauf schließen, dass er sich gerne Dinge ansieht, die ihm Erleichterung verschaffen. Das wiederum weiß ich, weil er geschätzt um die neunundneunzig ist und weniger hören kann als eine Ameise – die wie hinlänglich bekannt ist, nicht sonderlich viel mitbekommen. Ich hingegen höre bislang recht gut und kann mir bildlich vorstellen, was es für Filme sind, wenn die Frauenstimmen unentwegt etwas von Machs mir, du Tier und Oh mein Gott, oh mein Gohooottt brüllen.

»Machst du nun die Tür auf, oder lohnt es sich, dass ich mich noch auf die Stufen hocke?«, faselt Lynn weiter und ich atme seufzend aus. Resigniert begrabe ich meinen grandiosen Nicht-da-Plan, setze mich schwungvoll auf und werfe die Fernbedienung auf den Tisch, was ein »Na endlich« aus Richtung der Tür hervorruft. Mit lustlosem Gesicht öffne ich die Tür und werde von oben bis unten gemustert, bis Lynn mit einem »Kein Wunder, dass Dylan dich verlassen hat« vorbeistolziert.

Blinzelnd sehe ich ihr hinterher, als sie, natürlich perfekt gestylt, zur Küchenzeile durchmarschiert und die Papiertüte in ihren Händen lautstark auf den Tresen krachen lässt. Lynn ist meine älteste Freundin, die ich seit der Elementary School kenne, und das, obwohl sie meistens so ekelhaft ehrlich ist. Allison betritt ebenfalls die Wohnung und wirft die Tür hinter sich zu. Zumindest hat sie ähnlich abgeranzte Kleidung an wie ich, ihre Lieblingsjogginghose. Wie immer hält sie den Bund fest, damit sie beim Gehen nicht herunterrutscht. Nein, genau genommen sieht sie eher noch wilder aus als ich. Lynn öffnet den Gürtel ihres beigen Trenchcoats und wie sollte es auch anders sein, sie trägt ein Negligé darunter, das eher für eine Nacht mit ihrem Ehemann Phil geeignet wäre, als für ein Gammel-Sit-in auf meiner Couch. Sie besitzt eine exklusive Boutique in der Fifth Avenue und ist überzeugt davon, selbst das beste Aushängeschild ihres Ladens zu sein. Aus diesem Grund ist sie sogar beim Müll-Rausbringen top gestylt.

Allison stößt einen lauten Pfiff aus, der mich kurz zusammenzucken lässt, und nimmt sich eine der Weinflaschen aus der Einkaufstüte. »Der Stoff ist dermaßen dünn, dass ich deine Nippel erkennen kann. Und damit fährst du Auto?«

Lynn runzelt die Stirn und sieht uns fragend an, woraufhin ich die Schultern zucke und drei Gläser aus dem Schrank nehme.

»Es wäre mir neu, dass hübsche Unterwäsche zu einer Gefahrenquelle beim Autofahren gehört«, erwidert Lynn, wobei sie zwei weitere Flaschen Wein und drei Tüten Chips aus ihrer Tragetasche räumt. »Kenna war gestern ganz normal gekleidet, oder? Und sie hatte trotzdem einen Unfall.«

»Haha«, mische ich mich ein und suche einen Korkenzieher. Ich bin sicher, dass ich so ein Teil habe – irgendwo.

»Stimmt. Dabei fällt mir ein, meine Mutter sagt, ich soll stets einen tadellosen Slip anziehen. Man weiß schließlich nie, wann man einen Unfall hat und möglicherweise Hilfe vom Notarzt benötigt«, klärt Allison uns auf. »Der will auch kein ausgefranztes Teil sehen, an dem schon überall die Gummis raushängen.«

Lynn wackelt überheblich mit den Augenbrauen. »Keine Sorge, der Notarzt würde voll auf seine Kosten kommen, glaub mir. Zudem hätte er lediglich diesen Hauch von Nichts zu beseitigen, um meinen Slip zu sehen.«

»Wohl eher zusammengeknotetes Nähgarn«, werfe ich ein. Na bitte, da ist der blöde Öffner ja.

Lynn legt ihren Kopf schräg und setzt dieses ganz bestimmte Lächeln auf. Das, bei dem man weiß, da kommt gleich irgendwas Fieses.

»Kann ja nicht jeder Omas Beste tragen wollen.«

Noch mal haha. Es muss knapp vier Jahre her sein, als mir bei einem Mädelsabend in der Disco die Naht der Hose geplatzt ist. Selbstverständlich nicht am Bein oder einer anderen anständigen Stelle, nein, direkt am Arsch. Wäre mir vor diesem Vorfall bewusst gewesen, dass er mich den Rest meines Lebens verfolgen wird, hätte ich den weißen Slip aus Feinripp an dem Tag sicher nicht getragen.

»Wenn mein Körper einen Baumwollschlüpper bis zu den Nieren haben will, bekommt er den auch«, erwidere ich schulterzuckend und weigere mich, weiter darauf einzugehen.

»Unter der Voraussetzung ist es jedenfalls nicht verwunderlich …«

»Wenn wir die Schlüpper für heute Schlüpper sein lassen könnten?«, ruft Allison von der Couch zu uns herüber und hält die Weinflasche in die Höhe.

Lynn füllt Knabberzeug in eine Schüssel und folgt mir. »Ah, Momentchen.«

Ich mache einen langen Hals und beobachte, wie sie ein kleines Heftchen samt Kugelschreiber aus ihrer Handtasche fischt. Mein Blick pendelt zu Allison, die betont lieblich lächelt und auf die Couch neben sich klopft.

Innerlich stöhne ich auf. Was zur Hölle haben sie jetzt wieder vor?

»Allison und ich haben uns da was überlegt«, flötet Lynn und stellt die Schalen auf den Tisch.

Großartig, ich kann mich vor lauter Freude kaum beherrschen. Seufzend lasse ich mich auf das Sofa fallen und ziehe die Beine zum Schneidersitz an mich heran. Lynn liebt es, Reden vor irgendwelchen Menschen zu schwingen, was an sich schon eine Perversion darstellt. Wer tut denn so etwas freiwillig? Besonders albern ist es, wenn sie sich vor Allison und mir aufbaut, als würde sie vor einer vollen Olympiahalle referieren. Sie hält das quietschviolette Büchlein in die Höhe und klopft mit dem Kugelschreiber auf die Buchstaben des Covers – Mackennas List. »Hast du eine Vermutung, wofür das stehen könnte?«

Ich schließe kurz die Augen und schüttle den Kopf. »Nein, Lynn, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Eine Einkaufsliste für Unterhosen nach deinem Geschmack vielleicht?«

»Sehr lustig«, kontert sie schnippisch und schlägt die erste Seite auf, auf der, oh Wunder, überhaupt nichts steht. »Obwohl die Idee nicht schlecht wäre.«

Ich greife nach der Schale mit den Erdnüssen, stelle sie mir in den Schoß und schaufele eine nach der anderen in den Mund. Leider ist das Zerkauen der Nüsse nicht laut genug, um Lynns Worte zu übertönen.

»Zurück zu unserer Überlegung.« Lynn zieht die Augenbrauen zusammen, als ihr Blick neben mich wandert und auf Allison trifft, die versucht, die Weinflasche zu öffnen. Dabei ist sie mindestens in gleicher Weise erfolgreich wie beim Kaffeekochen. Zumindest hat sie auf die Art etwas zu tun und gibt nicht ständig irgendwelche bestätigenden Kommentare zu Lynns Vortrag.

»Und was genau ist es dieses Mal?« Hierbei denke ich an ihr letztes Attentat, bei dem sie mich bei einem Kochkurs für Alleinstehende angemeldet haben, weil mein Hauptnahrungsmittel aus Haferflocken besteht. Als Nebeneffekt sollte ich dort Single-Männer kennenlernen, was mir aber natürlich nichts bringen wird, da ich ohnehin keine Signale erkennen kann. Deshalb bin ich auch gar nicht erst hingegangen und ernähre mich weiterhin von meinen Flocken.

»Warum geht das denn nicht?«, motzt Allison, woraufhin ich ihr die Flasche und den Korkenzieher abnehme.

»Wie alt warst du, als du mit Dylan zusammengekommen bist?«, schwafelt Lynn weiter.

»Das weißt du doch.«

»Wie alt?«, wiederholt sie sich und ich schnaube missmutig aus.

»Vierzehn.«

»Und das bis vor einem Jahr, richtig?«

Genervt sehe ich zu ihr auf. »Komm zum Punkt, Lynn!«

»Kenna, während wir anderen uns ausgetobt und Erfahrungen gesammelt haben, hast du mit Dylan auf der Couch gesessen, um Gordon Shumway anzusehen.«

»Was ist verkehrt daran? Zeig mir einen Menschen, der Alf nicht kennt.«

»Es wird Zeit, diesen gewissen Abschnitt nachzuholen. Bist du bereit? Du magst doch Listen zum Abstreichen.«

Allison, der das Ganze nun etwas zu lange zu dauern scheint, mischt sich ein. »Kurzum, wir machen eine Sex-To-do-Liste.«

Ich erstarre mitten in der Bewegung und konzentriere mich darauf, die Sicht weiterhin auf mein Projekt mit der Flasche zu richten.

»Hast du gehört?«, erkundigt sich Lynn und ich kann ihren Blick auf meinem Gesicht spüren. Das laute Ploppen des Korkens hallt durchs Wohnzimmer und ich schenke stumm etwas in die Gläser, von denen ich mir direkt eins nehme.

»Erörtert ihr auch, was genau ich mir darunter vorstellen darf?« Ich lehne mich in die Couch zurück und sehe von ihr zu Allison. »Da ihr euch diese schwachsinnige Idee ausgedacht habt, gehe ich davon aus, die Liste wäre nur für mich?«

Allison lacht hysterisch auf und legt sich die flache Hand auf die Brust. »Lynn und ich haben besagte Phase bereits durch, außerdem sind wir verheiratet.«

»Aha.« Ich nicke, als wäre dadurch alles erklärt. »Und warum steht da nix drin?« Ich winke Lynn zu, damit sie mir das Büchlein reicht, und blättere es wie ein Daumenkino durch. 

»Weil du bei der Erstellung natürlich dabei sein musst«, begründet Allison und ich stecke mir eine weitere Ladung Nüsse in den Mund.

»Das ist wirklich enorm großzügig von euch«, sage ich schmatzend und schlucke. »Ich nehme an, ihr habt schon ein oder zwei Ideen für mich?«

»Da du es ansprichst …« Lynn hüpft zu ihrer Tasche und zieht einen zerknitterten Zettel daraus hervor, den sie an ihrem Bauch glatt streicht. »Wir haben tatsächlich ein paar Denkanstöße zusammengetragen. Möchtest du sie hören?«

»Bringt es was, wenn ich Nein sage?«, erkundige ich mich unnötigerweise und weiß bereits beim Aussprechen der letzten Silbe, dass die Frage eher rhetorischer Natur ist.

Lynn und Allison wechseln einen vielsagenden Blick und ich schenke mir vorsorglich vom Wein nach. »Na dann los«, fordere ich sie auf und proste ihnen mit meinem Glas zu.

3

Mackenna

»Punkt eins«, beginnt Lynn und ich muss mich beherrschen, nicht mit den Augen zu rollen. »Allein einen Porno ansehen.«

Ich verziehe den Mund und sehe kurz zu Allison, bevor mein Blick wieder auf Lynn landet. »Ich soll mir einen Porno ansehen?«

»Ja.« Lynn zuckt mit den Schultern und wackelt auffordernd mit dem Kopf in Richtung Allison.

»Ach stimmt, mein Einsatz. Wie wir wissen, war Dylan na ja … ebenso aufregend wie die Tapete an deiner Wand und euer Sexualleben dem entsprechend … Egal.« Sie winkt ab und zieht sich ein Kissen auf den Schoß. »Wir dachten also, dass es sinnvoll für dich wäre, herauszufinden, was du magst und was nicht.«

»Ich würde es mögen, wenn ihr frustrierten Ehefrauen mir nicht immer eure unerfüllten Träume aufbürden würdet«, brumme ich vor mir her und nippe am Wein.

»Mein Sexleben ist mehr als erfüllt«, protestiert Lynn und stemmt eine Faust in ihre Hüfte.

»Ach wirklich?«, frage ich schnippisch. »Jede Wette, dass Phil dir noch nie vor Geilheit das Höschen zerreißen durfte. Die gute Wäsche.«

»Was hat das denn jetzt hier zu suchen?«

Ich schüttle den Kopf und deute auf ihre Liste. »Was steht da sonst noch für geistiger Nonsens?«

»Zweitens: Sex mit einem Toy.«

Ich verschlucke mich am Wein und Tränen schießen mir in die Augen, während ich nach Luft ringend huste.

»Gehts?«, fragt Allison und drischt mir auf den Rücken.

Nickend trinke ich schnell einen weiteren Schluck, röchele noch einmal und wische mir eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel.

»Ihr denkt also wirklich, ich hätte noch nie mit einem Vibrator masturbiert?« Ungläubig lache ich auf. »Da stellt sich doch eher die Frage, wer von uns hier eine derartige Liste nötiger hat.« Dabei lasse ich meinen Zeigefinger zwischen den beiden hin und her pendeln.

»Gut«, ergreift Lynn wieder das Wort und kritzelt auf dem Zettel herum. »Streichen wir diesen Punkt und nehmen als Nummer zwei: Einen Swingerklub besuchen.«

»Nein, das mach ich nicht!«

»Wieso nicht?«, will Allison wissen und leert ihr Glas mit einem großen Schluck.

»Ich treibe es keinesfalls mit einer ganzen Fußballmannschaft und lass deren Weiber auch noch zugucken.« Um meine Aussage zu unterstreichen, schüttle ich resolut den Kopf.

»Wir können doch zusammen hingehen. Lynn und ich begleiten dich natürlich und wir sehen einfach, was sich ergibt.«

»Was?«, quiekt Lynn auf. Offensichtlich ist diese Einlage von Allison spontan und ich grinse sie breit an.

»Klar, wenn wir zu dritt gehen, bin ich dabei. Wir können auch Max und Phil fragen, ob sie mitkommen«, schlage ich vor.

»Ganz sicher nicht!« Lynn zieht ihre Augenbrauen dermaßen stark zusammen, dass die zwei kurzen wie eine lange wirken.

»Was ist der nächste Punkt?«, will ich wissen und finde langsam Gefallen daran. Allison schenkt sich nach und ich halte ihr mein Glas hin, damit sie es ebenfalls auffüllt.

»Voreinander Masturbieren.«

Ich nicke, als würde ich ernsthaft darüber nachdenken, und lege den Kopf schräg. »Super Idee und vor wem genau soll ich es mir selbst machen? Vor euch?«

»Es erklärt sich von allein, dass wir dir noch ein geeignetes Übungsobjekt suchen müssen.«

Ich lache trocken auf und schüttle den Kopf. Was soll einem dazu auch sonst einfallen?

»Punkt vier wäre Sex unter der Dusche.«

»Wofür ich natürlich auch besagtes Übungsobjekt brauche«, stelle ich fest und Lynn sieht mich genervt an, sodass ich die Hände hochhalte und andeute, den Mund zu halten.

»Punkt fünf: o… auf d… Tisch.«

Verwirrt setze ich mich auf. »Was war das? Ich hab kein Wort verstanden.«

Lynns Gesicht nimmt die Farbe einer glühenden Herdplatte an und sie räuspert sich mehrmals. »Na ja, also …« Sie deutet auf ihren Schritt. »Lecken halt.«

Ich zwinkere verständnislos und komme nicht drauf. »Was soll ich lecken? Den Tisch?«

»Boah Mensch, Kenna«, stöhnt sie auf und fuchtelt mit dem Zettel vor meiner Nase herum. »Du sollst dich auf dem Tisch …«

Sekundenlang herrscht Ruhe und nur das Schmatzen von Allison ist zu hören, bis sie genervt die Arme in die Luft wirft. »Herrgott, du sollst dich auf einem Tisch lecken lassen.«

Ich lache laut auf. »Na wenns weiter nichts ist. Sonst noch was?«

»Punkt sechs ist Sex an einem öffentlichen Ort und sieben müsste …«, will Allison die Prozedur offenbar abkürzen und reibt sich nachdenklich über die Stirn. »Ah«, schnippst sie mit den Fingern. »Coitus Analis.«

»Aha.« Ich nicke anerkennend und tue einfach so, als wüsste ich, was zur Hölle das bedeuten soll. »Kein Problem.«

»Das heißt, du machst es? Ohne Diskussion und Gemecker?«, will Lynn irritiert wissen. Ekelhaft durchstrukturiert, wie sie immer ist, hat sie vermutlich eine weitere Liste in der Handtasche, auf der Pro-Sexliste-Gründe aufgeführt sind.

Ich zucke mit den Schultern. Was soll ich machen? Eine riesige Debatte beginnen, obwohl ich die Hälfte der Dinge ohne Partner sowieso nicht umsetzen kann?

»Fein.« Lynn geht zu ihrer Tasche, aus der sie eine Box und einen weiteren zerknüllten Zettel zieht.

Wieder bei uns lässt sie sich mit anmutender Eleganz, wie nur sie es kann, auf den Teppich sinken und nimmt das violette Buch an sich. »Dann schreibe ich die Liste gleich hier rein und du kannst dir unterdessen die hier ansehen.« Mit den Worten reicht sie mir das Papierstück und ich schaue sie ungläubig an.

»Warum musst du diesen Schwachsinn jetzt in das Buch schreiben? Obendrein mit bunten«, ich sehe mir die Verpackung genauer an, »Filzstiften?«

»Lass sie doch«, redet Allison dazwischen und geht in die Küche, um eine weitere Flasche Wein zu holen. »Du kennst doch ihre Zwänge.«

»Ordnung halten zu wollen, ist kein Zwang«, blökt Lynn los und reißt mit einer theatralischen Geste die Packung der Stifte auf.

Ich schüttle den Kopf, falte den Zettel auseinander und lese gleich in der obersten Zeile Porno für Paare. »Was ist das?«

Lynn sieht zu mir auf und zieht die Stiftkappe zwischen ihren Lippen heraus. »Das ist eine Liste von seriösen Pornos.« Sie konzentriert sich wieder auf die Bebilderung des Heftchens und spricht weiter. »Für deinen ersten Eintrag.«

Ich rümpfe die Nase und sehe erneut auf das Papier in meiner Hand. Kamasutra, Absolut Sex und So bringen sie ihn um den Verstand sind nur ein paar von schätzungsweise fünfzig Vorschlägen. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich erschreckender finde, den Umstand, dass die beiden diese dumme Liste scheinbar wirklich ernst meinen oder dass ich mir nicht mal die Pornos selber aussuchen darf, die ich mir ansehen soll.

»Es steht dir selbstverständlich frei, auch Filme auszuwählen, die da nicht draufstehen«, mit den Worten deutet Allison auf den Zettel. »Das dient lediglich zur Anregung.«

»Hab ich ein Glück«, spotte ich und schenke mir wiederholt von dem Wein nach. Ich merke bereits das wattige Gefühl im Kopf, aber anders werde ich das auch kaum ertragen. Ob alle Freundinnen so sind? Vielleicht sollte ich eine Art Kontaktanzeige schalten: Suche neue beste Freundinnen, die sich nicht ständig vor Langeweile irgendwelche Lektionen für mich einfallen lassen. Ach ja und natürlich unter der Voraussetzung, dass sie keine demonstrierenden Bildchen in irgendwelche Hefte malen wollen. Womöglich verlangen sie noch, dass ich es immer bei mir führe und Häkchen mache, sobald ich eine der sinnfreien Aufgaben erfüllt habe.

»Also«, quieke ich auf und die beiden zucken erschrocken zusammen. »Woher nehme ich das Übungsobjekt? Gesetzt dem Fall mir gefällt rein visuell, was ich in einem der Schmuddelfilmchen sehe, müsste ich es auch ausprobieren, um mich restlos von meinem Geschmack zu überzeugen. Richtig?«

Lynn sieht von Allison zu mir und zuckt mit der Schulter. »Würde ich schon sagen.«

»Schön. Wer von euch leiht mir ihren Mann?«

Die Art, wie Lynn in Zeitlupe ihren Stift ablegt, erfüllt mich mit einer innerlichen Freude und obwohl ich Allison gerade nicht ansehe, bemerke ich ihren brennenden Blick auf mir.

Ich will den Zettel eindrucksvoll auf den Tisch werfen, aber selbst das klappt nicht und er weht zu Boden. »Was ist? Wo soll ich denn eurer Meinung nach auf die Schnelle einen Mann finden? Oh, da fällt mir ein …« Ich lege den Zeigefinger an die gespitzten Lippen. »Ich denke, ein Dreier mit zwei Männern könnte mir vielleicht gefallen. Natürlich wäre auch hier ein Testlauf nötig.« Ich nippe an meinem Wein und genieße die kurze Stille, in der nichts zu hören ist außer dem Sekundenzeiger der Küchenuhr.

»Du spinnst«, beginnt Allison und erlöst dadurch auch Lynn aus ihrer Starre, die schlussfolgert: »Das meinst du nicht ernst?«

»Nicht?«, stelle ich die Gegenfrage. »Genauso wie ihr diesen Blödsinn nicht ernst meint?« Ich sehe auf das Büchlein und möchte bei der Ernsthaftigkeit, mit der Lynn es verziert, beinahe lachen. »Ich liebe euch, auch und vielleicht gerade weil ihr immer solch merkwürdige Ideen habt. Aber ich werde mir keinesfalls einen Kerl suchen, für den ich nichts empfinde, nur damit ihr euch an dieser Liste aufgeilen könnt.« Ich sehe beiden abwechselnd tief in die Augen, um die Aufrichtigkeit meines Entschlusses zu unterstreichen. »Niemals.«

4

Blake

»Wir könnten ihnen die Investition mit fünfzehn Prozent anbieten, alles andere würde sich nicht rechnen«, erklärt Finn mir am Telefon, als ich die Tür aufdrücke und mir auf Anhieb dieser typische Geruch in die Nase steigt. Desinfektionsmittel mit einem Hauch Angstschweiß. Im nächsten Augenblick erspähe ich Maja, die am Rezeptionstresen sitzt. Sie lächelt mich an und streicht eine ihrer brünetten Locken hinters Ohr.

»Sag ihnen, wir wollen zwanzig. Wenn sie anschließend auf fünfzehn runterhandeln können, haben wir, was wir wollten, und sie freuen sich, weil sie denken, ein gutes Geschäft gemacht zu haben«, antworte ich ihm und stelle die Starbuckstüte auf dem Tresen ab. »Ich bin bei Connor in der Praxis und melde mich später wieder.«

»Ist Maja da?« Mein Blick fällt auf das freiliegende Dekolleté vor mir. Allein die Rundungen ihres Brustansatzes kann bei Männern zum Verlust der Muttersprache führen. Nein, ich korrigiere, der Anblick kann nicht nur dazu führen, er tut es definitiv und ich muss mich zwingen, wieder in ihr Gesicht aufzusehen. Wissend schüttelt sie den Kopf und kräuselt die Lippen. »Dass du nicht reagierst, ist mir Antwort genug. Hat sie was mit einem tiefen Ausschnitt an? Nein, warte … sag es mir nicht. Ich ruf sie nachher an, ich hab da ganz plötzlich so ein komisches Ziehen am Zahn. Hau rein.«

Ganz gewiss ist sein letzter Check-up keine sechs Monate her, eher sechs Wochen.

»Blake«, begrüßt sie mich und ich wüsste nur zu gerne, ob sie meinen Namen auch auf die Art hauchen würde, wenn ich sie zu einem Wahnsinnsorgasmus treiben könnte. Womit wir auch schon beim eigentlichen Problem wären. So heiß und aphrodisierend Maja ist, so lesbisch ist sie leider auch. Und ja, ich hab versucht, sie zu bekehren, mit allem, was mir möglich ist, und einmal hat sie sich sogar darauf eingelassen. Sagen wir einfach, bei ihren Reaktionen auf meine Berührungen hätte ich genauso gut eine Schaufensterpuppe bearbeiten können und deshalb haben wir es in stummer Übereinkunft sein lassen – keine Chance.

»Was macht Connors Diät?«, versuche ich, meine triebgesteuerten Gedanken mit einem langweiligeren Thema im Zaum zu halten.

»Die läuft bestens«, brummt es rechts von mir und Connor kommt neben mir zum Stehen. »Schon mal was von Datenschutz gehört, du Verräter?«, blafft er mich an und schüttelt entrüstet mit der Starbuckstüte vor meinem Gesicht herum, was Maja kichern lässt.

»Klar, habe ich«, mit den Worten reiße ich ihm den Beutel aus der Hand. »Die sind für mich.«

»Danach einen Kaffee?«, fragt Maja und ohne Zutun spinnt mein Kopf sich schräge Gedanken zusammen. Für ein danach mit ihr würde ich sogar eine Catch-Veranstaltung besuchen, auf der ich abfällige Bemerkungen über den Intelligenzquotienten von Kraftsportlern fallen lasse. Kein Opfer wäre mir zu groß. Irgendwo in mir ermahnt mich eine Stimme, dass ich mir den Sabber aus dem Mundwinkel wischen soll, und ich nicke ihr dankbar zu.

 »Mit fettarmer Milch«, erinnert Connor sie und ich beiße mir auf die Lippen.

»Sylvie hat mich gebeten, 0,3-prozentige zu besorgen. Soll ich also die nehmen?«, will Maja wissen, woraufhin Connor die Augen aufreißt und mich empört ansieht.

»Ja, bitte«, mault er, als ob sie etwas dafür könnte, dass seine Zukünftige ihn drei Monate vor der Hochzeit auf JoJo-Diät setzt.

»Dann wollen wir mal. Schön, wie regelmäßig ihr alle zur Vorsorge kommt.« Connor klopft mir auf die Schulter und wir gehen ins Behandlungszimmer. Er zwinkert mir zu und das Erste, was ich erblicke, ist das Tablett mit allerhand Gerätschaften darauf.

»Wir gucken heute nur, oder?«

»Setz dich hin, du Frauenflüsterer, sonst bitte ich Maja, mir zu assistieren, und sie wird feststellen, was für ein Schlaffi du in Wahrheit bist.«

»Fettarmer Kaffee macht dich äußerst zickig«, stelle ich fest, werfe nebenbei die Tüte auf die Anrichte links von mir und nehme widerwillig auf dem Behandlungsstuhl in der Mitte des Raumes Platz.

Ich konnte mir bereits mit zehn Jahren nichts Schöneres vorstellen, als neben Dad zu sitzen, wenn er mit Firmen verhandelte oder Zahlen jonglierte. Connor hingegen war ebenso früh klar, dass er nicht in das Familienunternehmen einsteigen wird. Stattdessen ist er Zahnklempner geworden, was mich in dem Glauben bestärkt, dass man sadistische Züge haben muss, um diesen Beruf auszuüben.

»Lach du nur. Eines Tages hat die Waschbrettbauch-Ära auch bei dir ein Ende«, er unterbricht sich, weil Maja ins Zimmer kommt und seinen Kaffee auf die Anrichte stellt, »… und wird von Waschbärbauch abgelöst. Urplötzlich ist es vorbei mit: Oh du hast aber schöne Muskeln, kann ich die mal anfassen oder Bitte, bitte, bespring mich«, äfft er Sylvies schrille Stimme nach. Zumindest nehme ich an, dass sie es sein soll. »Dabei habe ich sehr wohl ein Waschbrett, das ist nur zurzeit … gut getarnt.«

Connor zieht sich mit einem lauten Klatschen die Gummihandschuhe über. Meistens glaube ich, er macht das mit Absicht – Sadist, sag ich ja. Die Tür geht erneut auf und Maja schiebt ihren Kopf durch den Spalt. »Sylvie ist dran.« Damit hält sie Connor sein Smartphone entgegen.

Er nimmt es an sich und blafft ein »Kann man hier nicht mal in Ruhe einen fettfreien Kaffee genießen?« hinein. Das muss Liebe sein. »Nein Schatz, natürlich nicht … das war doch nur ein Scherz … Liebling, ich… Selbstverständlich.« Er verdreht die Augen und steckt sich den Finger andeutend in den Mund. »Blake ist gerade hier, ich frage ihn dire… ich denke an nichts anderes. Ich liebe dich auch.« Er macht ein paar knutschende Geräusche und legt auf. »Lass dir einen guten Rat von deinem älteren und viel weiseren Bruder geben – schwängere nie eine Frau – niemals.« Er grapscht nach der Starbuckstüte, setzt sich auf seinen Stuhl und rollt an meine rechte Seite.

»Danke für den Tipp, steht zurzeit ohnehin nicht ganz oben auf meiner Agenda.«

Er zieht einen der Muffins aus der Tüte und bewundert ihn mit leuchtenden Augen. »Sie ist nur am Fressen: Connor, ich möchte Chips. Natürlich mitten in der Nacht und wehe dem, ich springe nicht sofort, und ohne Fragen zu stellen, ins Auto und bringe ihr ohne weitere Instruktion eine zusätzliche Schokolade mit.« Er beißt in den Kuchen und stöhnt auf. »Iff daf fut.« Kopfschüttelnd sieht er mich an. »Zudem heult sie deswegen, ehrlich ohne Scheiß.« Ich ziehe die Augenbrauen hoch, was wohl in etwa der Reaktion entspricht, die er haben wollte. Connor nickt und stopft sich nahezu das ganze restliche Gebäck in die Futterluke, sodass er kurz Schwierigkeiten hat, den Mund beim Kauen zu schließen.

»Wann bekommst du deinen Wagen wieder?«, fragt er und grapscht nach dem zweiten – meinem Muffin.

»Nimm dir ruhig«, gebe ich zurück, während er bereits dabei ist, den Kuchen zu inhalieren. »Der Wagen wird morgen gebracht.«

»Und?«

»Es sah schlimmer aus, als es war. Die Motorhaube und ein Kotflügel mussten ausgetauscht werden.«

Er lacht auf, wobei er seine mit Muffinmatsche geschmückten Zähne präsentiert. »Eine riesige Halle, in der nur ein einziges Auto steht, und sie fährt drauf. Im wahrsten Sinne … Auf deine Penisprothese.« Er schlägt sich auf den Schenkel, als hätte er den Brüller schlechthin gerissen. »Ein Wunder, dass du ihr nicht gleich das Gegenteil bewiesen hast.«

Ohne dass ich reagieren kann, bewegt sich die Untersuchungsliege in eine horizontale Position und mein Herzschlag beschleunigt sich automatisch. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, hilflos auf dem Stuhl zu liegen oder das ekelhafte schabende Geräusch der Werkzeuge. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem. Connor rollt kurz zur Tür, ruft in den Flur nach seiner Assistentin Kate und kommt wieder zu mir.

»Würde ich ja, aber an die Frau ist schwer ranzukommen.« Connor sieht mich fragend an, also erkläre ich: »Miss Perez sollte ihr mitteilen, dass mit der Versicherung alles geklappt hat und der Wagen praktisch repariert ist, kann sie unter der angegebenen Nummer jedoch nicht erreichen.« Ich überlege kurz, ob ich weiterspreche, und entscheide mich spontan dafür. »Ich habe es sogar schon selbst probiert, bin aber nur in einer Maklerfirma gelandet.«

»Wow, du hast es also schon selbst probiert? Hoffentlich war es nicht zu viel Aufwand, ein paar Nummern auf dem Display zu drücken?«

»Hey Blake, schön dich zu sehen.« Kate taucht links neben mir auf und lenkt mich damit von Connor ab. Sie füllt den Becher mit Wasser, das bedeutet, es geht los. »Keine Angst, wir untersuchen doch nur.« Sie streichelt meine Schulter und ich verdrehe innerlich die Augen. Schlimm genug, dass mir der Schweiß bereits jetzt die Arschrinne runterläuft, aber muss man es mir auch immer ansehen können? Ich gebe es ja zu, ich bin eine Memme.

»Dann wollen wir mal«, kommt es von Connor, weshalb ich das Gesicht zu ihm drehe und mein Blick fällt auf den bläulich glitzernden Stock in seiner Hand. »Hier«, mit den Worten legt er mir das Teil auf den Bauch. »Wenns wehtut, hebst du einfach den Zauberstab und ich höre auf, okay?« Kate lacht und ich atme schnaubend aus.

»Sehr lustig, Mister Cholesterin.«

Kate kichert und steht mit einer Akte bewaffnet neben mir. Okay Blake, alles bestens. Ich konzentriere mich krampfhaft auf das dämliche Wimmelbild, das über mir an der Decke hängt, und höre den Zahlenkombinationen von Connor zu. »Zwei-drei und vier in Ordnung«, er kratzt mit eine der Gerätschaften und ich knete den dusseligen Zauberstab, bis das erlösende »fünf auch okay« kommt. Ob man sehen kann, dass ich in den Schuhen die Zehen verkrampfe? Connor schabt wieder an irgendeiner Stelle, wodurch sich schlagartig eine Gänsehaut auf meinen Armen bildet, widerlicher Laut. Ich glaube, ich habe mich entschieden, das Geräusch ist definitiv noch schlimmer, als hier wie kurz vor der Obduktion auf dem Rücken zu liegen. Wenn man bedenkt, dass Sylvie seine Patientin war und ihn auf die Weise kennengelernt hat … Krank, mehr fällt mir dazu nicht ein. Wie kann man seinen Zahnarzt freiwillig öfter treffen wollen, als es wirklich notwendig ist? Brüder einmal ausgenommen.

»Gut gemacht, du Held, du hast es überstanden.« Connor zieht sich den Mundschutz vom Gesicht und richtet den Stuhl wieder auf. Kate sammelt die Werkzeuge ein und verlässt den Raum.

»Ist es wichtig, dass diese Frau weiß, dass ihre Versicherung alles abgehandelt hat? Darüber wird sie doch ohnehin informiert.«

Ich grinse schief und reibe mir über den Nacken.

Connor schüttelt lachend den Kopf und fragt: »Was ist das für eine Maklerfirma?«

»Immobilien.«

»Zeig mal ein bisschen Engagement und warte nicht immer, dass sie dir vor die Füße fallen. Reservier einen Besichtigungstermin bei ihr und du hast dein Treffen.« Erstaunt blinzle ich ihn an, dass ich darauf nicht von selbst gekommen bin. »Dilettant, du«, lacht er auf. »Frag Mister Cholesterin und du weißt Bescheid.«

5

Mackenna

Mit einem letzten Blick auf die Uhr stelle ich den Motor ab, nehme die Konzeptmappe und meine Handtasche an mich und steige zwanzig Minuten zu früh aus dem Wagen. Sollte ich die heutige Besichtigung zu einem positiven Abschluss bringen, bräuchte ich dieses Jahr kein weiteres Haus mehr verkaufen und käme mit der Provision trotzdem einigermaßen gut über die Runden. Ich sehe an der grauen Stuckfassade der Stadtvilla empor und will gerade das Exposé aufschlagen, um mir die wichtigsten Daten noch einmal anzusehen, als mein Telefon klingelt. Ich wühle in den Tiefen der Handtasche und akzeptiere den Anruf, ohne aufs Display zu achten. Ich weiß ohnehin, wer dran ist.

»Kenna«, flötet Allison durch den Hörer, und bevor sie ausholen kann, unterbreche ich sie.

»Ich bin an der Upper East Side.«

»Oh.« Sie hasst es, wenn ich schon vorher weiß, was sie eigentlich will. »Ich wollte mich auch nur erkundigen, ob du den Code für die Alarmanlage hast.«

»Nein, natürlich nicht. Dies ist meine erste Besichtigung und deswegen denke ich nicht an solche Nebensächlichkeiten«, erwidere ich ironisch und sehe nach rechts die Allee hinunter. Zwei Villen weiter steht doch tatsächlich ein Portier vor der Tür – armer Kerl. Wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Familie aus vier Personen besteht und er den lieben langen Tag darauf wartet, dass einer von denen nach Hause kommt, damit er ihnen die Tür öffnen darf … Da kann die Zeit ganz schön lang werden.

Das Geräusch eines dröhnenden Auspuffs lässt mich zur Straße sehen, und genau neben meinem Wagen, in zweiter Reihe, verstummt das Wummern. Ein blaues, ziemlich flaches Auto und mich überkommt eine Vorahnung.

Ich drehe mich eilig auf dem Bürgersteig herum und versichere mich, dass mein Kunde noch nicht da ist, bevor ich in Richtung Fahrbahn gehe. Im gleichen Augenblick, als ich hinter meinem Wagen hervortrete, geht die Fahrertür auf und er steigt aus. Das Erste, was mir durch den Kopf schießt, ist, wie kann ein so großer Mensch in solch ein kleines Auto passen. Das Zweite: Runzle deine Stirn für mich. Ich schüttle den Gedanken ab und spreche ihn an, ehe er auf mich aufmerksam wird.

»Wie ich sehe, wurde der Schaden bereits behoben.«

Er sieht auf und im Gegensatz zu mir scheint er überhaupt nicht überrascht zu sein, mich hier anzutreffen, was eine weitere Ahnung aufkommen lässt.

»Macht es Ihnen etwas aus, dass ich Sie zuparke?« Er deutet auf meinen Wagen.

Irgendwas sagt mir, dass er ziemlich genau weiß, dass ich die nächste Stunde sowieso nirgends hinfahren werde. Ich gehe in Gedanken die Termindaten durch, bin mir allerdings sicher, dass in der Auftragsbestätigung der Name einer Frau stand.

»Vorerst nicht.« Ich lächle ihn an und unter meiner Haut macht sich ein Kribbeln breit, als er mit geschmeidigen Schritten auf mich zukommt. An jedem anderen würde der graue Anzug – der ihm wie auf die Haut geschneidert sitzt – vielleicht bieder wirken. In Kombination mit seinen wild liegenden Haaren und dem locker aufgeknöpften Hemd ohne Krawatte hat es dennoch etwas. Er kommt vor mir zum Stehen und streckt mir mit einem Funkeln in den Augen seine Hand entgegen.

»Miss Heard, wir haben einen Termin.«

Aha, Vorahnung bestätigt.

Ich sehe vermutlich leicht pikiert aus, weshalb er fortfährt: »Eine Miss Perez hat die Verabredung für mich arrangiert.«

Weiteres Aha.

Er sieht die Fassade herauf und wieder zu mir. »Wollen wir?«

Ähm, ja. Hör auf zu starren und reiß dich zusammen, Kenna!

»Gern.« Ich deute mit der Hand zum Aufgang, der uns zur Haustür führt, und bin froh, als er vorgeht. Keine Ahnung, was mich gerade dastehen lässt wie eine Minderbemittelte, aber es gefällt mir nicht. Ich folge ihm die Stufen hinauf und öffne per Fingerabdrucksensor die Tür, hinter der ich direkt im Anschluss den Code für die Alarmanlage eingebe. Na bitte, endlich bin ich in meinem Element und fühle mich der Situation auf Anhieb wieder überlegen. Na gut, ein bisschen überlegen – ansatzweise.

Ich höre seine Schritte, die in dem großflächigen Eingangsbereich widerhallen und schließe kurz die Augen. Was wollte ich noch während der Besichtigung sagen, wenn nicht ausgerechnet er mein Kunde gewesen wäre? Und wie war noch gleich sein Name? Ich bin mir sicher, dass er sich am Tag des Unfalls vorgestellt hat – Hank oder Blake? Und weiter?

Ich setze mein bestes Maklerinnenlächeln auf und drehe mich schwungvoll zu ihm herum. »Diese Villa verfügt über ein großes Wohnzimmer mit offenem Kamin und großräumiger Küche im Erdgeschoss.« Ich deute auf die Tür mir gegenüber und gehe auf ihn zu, um ihm das Exposé auszuhändigen. »Selbstverständlich befinden sich auf jeder Etage Vollbäder sowie ein weiterer Wohnbereich mit Fernsehraum im Untergeschoss. Die drei Schlafzimmer im Obergeschoss sind mit dazugehörigen Bädern en suite ausgestattet. Alle Wohnräume sind hell und …«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752116373
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (September)
Schlagworte
Millionär Leidenschaft Liebe Erotik Humor

Autor

  • Mia B. Meyers (Autor:in)

Mia B. Meyers schreibt (Chick-Lit) Liebesromane und veröffentlichte mit Dark Side of Trust ihr Debüt, das am 12.01.2016 erschienen ist. Mia hat unzählige Bücher gelesen und in Gedanken weitergesponnen. Da der Weg selbst etwas zu schreiben und zu veröffentlichen, immer viel zu weit schien, hat sie jedoch nie ernsthaft darüber nachgedacht. Bis sich ihr mit einem Kindle die wunderbare Welt der Selfpublisher eröffnete und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte ...
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Titel: Catching Up