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Die Katze und der Drache

von Shania Cranston (Autor:in)
295 Seiten

Zusammenfassung

Dalila ist eine Xeno, eine Frau, die eine zweite Natur besitzt. In ihrem Fall ist es ein Panther, dessen Fähigkeiten sie abrufen kann, was ihr bei den diversen Tätigkeiten zwecks Beschaffung von Wertgegenständen sehr hilfreich ist. Ein Tipp erweist sich als wahre Goldgrube und sie räumt den Safe des stadtbekannten Kriminellen Joseph Dyson aus. Allerdings erbeutet sie neben einer großen Menge Bargeld auch ein paar Gegenstände, die auf keinen Fall in fremde Hände geraten dürfen. Sie unterschätzt die Gefahr, in der sie nun schwebt, denn es ist nicht nur Dyson, der hinter ihr her ist. Als sie im Park Eldrik, einen faszinierenden Mann, kennenlernt und mit ihm eine heiße Liebesnacht verbringt, ahnt sie nicht, dass er ebenfalls ein Xeno ist. Er arbeitet für die Regierung und wurde beauftragt, das Diebesgut wieder zu beschaffen und den Dieb unschädlich zu machen. Während sie bereits die Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft mit Eldrik auslotet, kommt er bei seinen Ermittlungen dem Einbrecher auf die Spur. Beiden steht ein Schock bevor, als sie die Wahrheit über den anderen erfahren, aber dies ist erst der Anfang ihrer Probleme. Sie finden sich auf verschiedenen Seiten wieder. Haben sie trotzdem eine gemeinsame Zukunft?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Dalila

»Ihre Cola, Miss.«

Ich dankte dem Barkeeper, nahm das Glas und suchte mir einen Eckplatz in der Bar. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, den Platz grundsätzlich nach bestimmten Kriterien auszusuchen. Er musste abgelegen sein und durfte nicht am Fenster liegen. Außerdem wollte ich immer den Eingang im Blick haben, sodass ich mögliche Gefahren sofort erkennen konnte. Diese Vorgehensweise hatte sich schon das eine oder andere Mal bewährt.

Ich ließ mich auf einen der wackeligen Stühle nieder, stellte das Glas ab und betrachtete das Treiben um mich herum. Es war höllisch laut hier, zumindest für meine Ohren, aber wenigstens war es friedlich. Mein Bedürfnis an Kneipenschlägereien war nicht sehr ausgeprägt, wenn man mich auch bei solchen Gelegenheiten in Ruhe ließ. Selbst der ungebärdigste Kneipenschläger scheute davor zurück, eine gutaussehende Frau in eine Prügelei hineinzuziehen. Außerdem war diese Bar kein Ort, an dem die Gefahr bestand, dass hier jeden Moment eine Schlägerei ausbrechen würde. Wenn ich mich verabredete, dann immer nur an ungefährlichen Orten, wo man als Normalbürger nicht auffiel. Eine weitere Sache, die mir das Leben sehr erleichterte.

In diesem Augenblick sah ich Chris Paxton an der Tür auftauchen. Er blickte sich suchend um, erspähte mich, kam zu meinem Tisch und setzte sich auf einen freien Stuhl, nachdem er sich etwas zu trinken bestellt hatte.

»Hallo Dalila«, begrüßte er mich.

»Chris!« Ich nickte ihm zu. »Was hast du für mich?«

»Einbruch. Schwierig, aber lohnend.«

»Wo?«

»Hier in der Stadt.«

Ich rieb mir das Kinn. Das gefiel mir eigentlich nicht besonders. Normalerweise arbeitete ich nie in der Stadt, in der ich meinen zeitweiligen Wohnsitz hatte.

»Ich weiß, dass es gegen deine Prinzipien verstößt«, sagte er, während er sein bestelltes Getränk in Empfang nahm. »Aber es ist ein dicker Fisch, der mir da an der Angel zappelt. Und es kommt deinen speziellen Fähigkeiten entgegen.«

Ich trank etwas von der Cola und dachte an den Barbestand auf meinem Konto. Es war höchste Zeit, dass ich wieder zu Geld kam. Chris' Tipps waren immer Gold wert und ich arbeitete gern mit ihm zusammen, weil er im Allgemeinen keinen Unsinn erzählte und alles kühl durchkalkulierte. Wenn er mir etwas anbot, dann hatte es Hand und Fuß.

»Zwanzig Prozent?«

Er schüttelte den Kopf und lächelte mich an. »Diesmal will ich fünfundzwanzig.«

Ich stellte das Glas hart auf dem Tisch ab. »Dann wird nichts draus.«

Paxton zuckte mit den Schultern und tat betont gleichgültig. »Wie du meinst.« Er stand auf und ging zur Theke, um sein Getränk zu bezahlen.

Ich sah ihm nach und beschloss, das Pokerspiel anzunehmen. Wenn er mir einen Job anbot, dann hauptsächlich aus dem Grund, dass es keinen anderen in der Stadt gab, der dafür infrage kam. Er wusste, zu was ich fähig war, und dass ich noch nie einen Auftrag versaut hatte. Paxton würde zu mir zurückkommen, wenn er merkte, dass ich auf sein Angebot nicht einging. Schon sah er aus den Augenwinkeln zu mir herüber, doch ich tat so, als würde ich es nicht bemerken und ihn überhaupt nicht mehr beachten. Ich konnte beinahe körperlich spüren, wie er einen inneren Kampf ausfocht, bevor er sich einen Ruck gab und zu mir zurückkam.

»Du bist ein harter Verhandlungspartner, Dalila. Aber gut, ich komme dir entgegen. Sagen wie zweiundzwanzig Prozent für mich.«

»Zwanzig!«

Er fluchte leise und zog die Augenbrauen zusammen. Ich lächelte ihn nur unschuldig an und schließlich entspannten sich seine Gesichtszüge. »Also gut, du hast gewonnen. Zwanzig.«

Er hielt mir die Hand hin und ich schlug ein.

»Und um was geht es nun genau?«

Paxton deutete auf mein Glas. »Trink aus, dann zeige ich es dir.«

*****

Schweigend gingen wir durch die Straßenschluchten der Stadt. Bei dieser Gelegenheit fiel mir wieder auf, wie hässlich es hier an manchen Stellen war. Dennoch lebte ich nun schon fast zwei Jahre an dem Ort. Die Einwohnerzahl war groß genug, um in der Anonymität unterzutauchen. Sie war aber auch nicht zu groß, als dass ich mich unwohl gefühlt hätte. Die höchsten Wolkenkratzer hatten nicht mehr als vierzig Stockwerke und es gab Stadtteile, die mit ihren drei- oder vierstöckigen Häusern beinahe pittoresk aussahen. Mir gefiel diese Mischung aus Schönheit und Hässlichkeit. Die Stadt war fast ein getreues Spiegelbild des Lebens.

Paxton hatte mich an den Fuß eines der höchsten Wolkenkratzer geführt, wo er nun stehenblieb.

Ich blickte ihn fragend an. »Hier ist es?«

»Hier ist dein Ziel. Genauer gesagt, im vierzigsten Stockwerk.«

»Ich hoffe, der Aufzug funktioniert.«

Er grinste mich faunisch an. »Oh ja, der ist perfekt in Schuss. Nur wirst du davon leider nichts haben.«

»Du machst Witze, oder?« Mir schwante, was er damit andeuten wollte.

»Oh nein, meine kleine Akrobatin. Du kannst nicht einfach durch das Foyer gehen und mit dem Aufzug nach oben fahren. Du wirst einen Weg von oben her in das Gebäude finden müssen.«

Ich strich mir durch die Haare und blickte nach oben, zum Dach des Hochhauses. »Wie viel ist denn zu holen?«

»Rate mal. Ab welcher Summe würdest du denn das Risiko eingehen, dich von dem Nachbarhaus zum Dach des Zielgebäudes zu begeben?«

»Fünfzigtausend wäre das Minimum.«

Er stieß prustend die Luft aus den Lungen. »Dort oben wartet das Hundertfache auf dich, Kleine!«

»Du scherzt doch!« Ich konnte kaum glauben, was er da behauptete.

»Über so etwas mache ich keine Witze! Ich sage dir, dass dort oben im Safe mindestens fünf Millionen auf dich warten. Bargeld, Wertpapiere, Obligationen.«

Mir wurden fast die Knie weich, als ich die Geldbündel vor mir liegen sah. Ich würde nie wieder risikoreiche Jobs eingehen müssen und könnte mich zur Ruhe setzen. »Von wem hast du denn diesen Tipp? Ist der Kerl auch glaubwürdig?«

»Er ist zuverlässig, dafür garantiere ich.«

Ich war noch nicht ganz überzeugt. Irgendwo musste es einen Haken geben. »Und wer ist der Goldfasan, den ich rupfen soll?«

»Tja, der Mann, der diese Etage gemietet hat, heißt Joseph Dyson. Der Safe befindet sich in seinem Büro, Zimmernummer 40.101«

Da war also der Haken. Ich sollte einen der zwielichtigsten und gefährlichsten Männer der Stadt bestehlen. Ich hätte beinahe gelacht und dankend abgelehnt, aber dann sah ich wieder das Geld vor mir liegen, und mein Entschluss schwankte erneut. »Wie ist denn die Bewachung?«

»Ziemlich heftig, wie du dir denken kannst. Deswegen sollst du ja auch nicht den Haupteingang nehmen. Aber wenn es jemand schafft, dann du.«

»Schmier mir bloß keinen Honig um den nicht vorhandenen Bart.« Ich holte tief Luft. »Ich brauche ein paar Tage, um alles vorzubereiten.«

Er schüttelte den Kopf. »Du hast nur drei Tage. Danach wird der Safe geleert und der Inhalt abgeholt.«

»Sagt dein Tippgeber.«

»Das behauptet mein Informant und der muss es wissen, denn er sitzt direkt an der Quelle.«

Ich horchte auf. »Das heißt, er arbeitet für Dyson? Und hintergeht diesen Mann? Entweder ist er lebensmüde und somit nicht ganz bei Trost oder er führt dich an der Nase herum.«

Er winkte ab. »Für einen sechsstelligen Betrag nimmt man schon etwas Risiko in Kauf, meinst du nicht auch? Er ist jedenfalls ganz scharf auf das Geld. Also: Nimmst du an?«

Nachdenklich betrachtete ich den Wolkenkratzer. Wenn Paxton mir für den Job einen sechsstelligen Betrag angeboten hätte, dann wäre meine Antwort negativ gewesen, aber bei einer vier mit sechs Nullen vor dem Komma sah es anders aus. Außerdem traute ich mir durchaus zu, mit allen Schwierigkeiten fertigzuwerden.

Ich nickte schweigend. Paxtons Miene hellte sich auf.

»Du wirst es nicht bereuen. Nach diesem Auftrag bist du ... he, wieso ...«

Ich hatte ihn am Kragen gepackt und zog ihn wie ein Spielzeug zu mir heran. »Wenn du mir etwas verschwiegen hast, dann wirst du mich von einer äußerst unangenehmen Seite kennen lernen. Und deinen Informanten kaufe ich mir dann auch noch, ist das klar?«

»Ich hab dir alles gesagt, was ich weiß, wirklich. Ich bin doch nicht lebensmüde und versuch dich reinzulegen!«

Für einen Moment blickte ich ihm tief in die Augen und sah, wie ihm der Schweiß ausbrach. Schließlich ließ ich ihn los und er wich sofort zwei Schritte von mir zurück.

»Ruf mich in drei Tagen an«, sagte ich. »Dann treffen wir uns und ich gebe dir deinen Anteil - oder grill dir den Arsch über offener Flamme, wenn du mich reingelegt hast.«

Er nickte nur und richtete seinen billigen Anzug. »Ich melde mich«, brabbelte er und ich konnte die Erleichterung beinahe riechen, als er sich umdrehte und die Straße entlang hastete.

Vier Millionen! Die Zahl spukte mir im Kopf herum, während ich mich auf den Weg zu meinem Appartement machte. Es wurde Zeit, einen Plan zu schmieden und die Ausrüstung vorzubereiten.

Kapitel 2

Dalila

Immer wieder ging mein Blick auf die Skizze, die ich mir angefertigt hatte. Es war reine Routine, um mich abzulenken, denn natürlich hatte ich den Plan längst im Kopf. Normalerweise war ich in den Stunden vor einem Auftrag die Ruhe selbst, doch das, was nun vor mir lag, war etwas knifflig. In den letzten beiden Tagen hatte ich den Plan ausgearbeitet, um in das Gebäude zu gelangen. Es gab da aber ein paar Unwägbarkeiten, denn schließlich hatte ich der vierzigsten Etage keinen Besuch abstatten können. Mir lagen daher nur die allgemeinen Gebäudepläne vor, doch ich nahm wohl nicht zu Unrecht an, dass Dyson ein paar zusätzliche Veränderungen vorgenommen hatte. Dennoch machte ich mir nicht allzu viel Gedanken, denn Improvisation war eine meine großen Stärken.

Schließlich war es an der Zeit. Das Bürogebäude würde nun verlassen sein - hoffte ich zumindest. Das Nebengebäude bereitete mit etwas mehr Sorgen, da dort zum überwiegenden Teil private Mieter wohnten. Aber es würde sich hoffentlich niemand dafür interessieren, was hoch über ihnen geschah. Ich packte das Equipment zusammen und zog mir die Arbeitskleidung an, die in dem Fall aus schwarzem Leder bestand. Nachdem ich mir den Rucksack aufgeschnallt hatte, rief ich mir ein Taxi und war wenige Minuten später zu meiner temporären Arbeitsstelle unterwegs.

*****

Für ein Wohngebäude waren die Sicherheitsvorrichtungen lausig, wie ich fand. Es bereitete mir jedenfalls keine Mühe, in die Tiefgarage einzudringen und durch eine unverschlossene Tür ins Haus zu gelangen. Für einen Moment überlegte ich, ob ich nicht doch den Fahrstuhl benutzen sollte. Der Wachmann im Foyer, den ich nach meiner Ankunft durch die Glasscheibe des Eingangsbereiches beobachtet hatte, war eher einer der schläfrigen Sorte. Aber ich entschied mich dagegen, da ich das Glück nicht herausfordern wollte.

Also machte ich mich an den langen Aufstieg bis in die vierundvierzigste Etage. Das Schloss an der Tür zum Dachbereich war sehr leicht zu knacken und ich stand nach wenigen Sekunden auf der Dachterrasse.

Der Wind pfiff ordentlich hier oben, doch er kam aus einer Richtung und wechselte nicht ständig, was mir bei meinem Vorhaben sehr entgegen kam. Ich schloss die Tür hinter mir, bevor ich mich zum Rand des Daches begab. Etwas über zwanzig Meter von mir entfernt konnte ich mein Ziel erkennen - das Dach des Gebäudes, in dessen vierzigsten Stock ein Safe mit einer Menge Geld auf mich wartete. Sorgfältig suchte ich mit den Augen nach einem Ankerpunkt, wo ich das Ende des Stahlseils mittels des Widerhakens würde anbringen können. Schließlich hatte ich einen guten Platz ausgemacht und holte die kleine Armbrust aus dem Rucksack, die mir schon so viele gute Dienste geliefert hatte. Routiniert bereitete ich alles für den Schuss vor, beruhigte meinen Atem, zielte genau und drückte ab.

Es war ein glatter Volltreffer. Ich zog an dem Sicherungsseil, um die Festigkeit zu überprüfen, straffte es, damit es nicht durchhing, und suchte mir einen Platz, um das Seil auch auf dieser Seite zu befestigen.

Nun galt es. Ich zog die dicken Handschuhe an, um meine Hände zu schützen, packte das Drahtseil, hakte mich mittels eines Karabiners ein und schwang mich in die Nacht hinaus. Nun baumelte ich rund hundert Meter über dem Erdboden. Zum Glück war ich vollkommen schwindelfrei und auch geübt darin, solche Entfernungen an einem Seil zu überbrücken. Dennoch war es kein Spaziergang und der Rückweg würde noch schwieriger werden, da ich dann den Höhenunterschied nach oben überwinden musste.

Der Wind ließ das Seil hin und her schaukeln, aber ich hangelte mich daran unbeirrt weiter, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Der erste Teil war geschafft und ich gönnte mir eine kurze Erholungspause, während der ich meine Finger lockerte und die Handschuhe auszog.

Das Schloss an dieser Dachtür war noch leichter zu knacken als jenes beim anderen Gebäude. Aber es rechnete ja wohl auch niemand mit Einbrechern, die über das Dach einstiegen - was mir sehr zugutekam. Das gesamte Treppenhaus im Inneren lag in vollkommener Stille. Wie sehr ich auch lauschte, ich vernahm nicht das geringste Geräusch. Dennoch blieb ich auf der Hut. Ich nahm an, dass sich zumindest in den Etagen, die zu Dysons Firma gehörten, Wachen herumtrieben. Paxton hatte von seinem Informanten nur rudimentäre Informationen erhalten, was die Sicherungssysteme anging, aber ich war ja kein Anfänger und daher zuversichtlich, mögliche Alarmanlagen leicht aufspüren zu können.

An der Tür, die zum vierzigsten Stockwerk führte, legte ich ein Ohr an den Stahl und lauschte erneut. Nichts zu hören. Also öffnete ich beinahe lautlos die Tür und schlüpfte in den dunklen Gang. Die Notbeleuchtung erleichterte mir die Orientierung ungemein und ich fand Zimmer 101 ohne Probleme. Auch an der Bürotür fand ich keinerlei Anzeichen für eine Alarmanlage und das Türschloss war auch außerordentlich simpel zu öffnen. Für einen Moment zögerte ich, weil es mir einfach zu leicht ging, bevor ich mittels eines Dietrichs die Tür öffnete. Erneut hielt ich den Atem an, während ich die Tür aufdrückte. Kein Alarm, kein Bewegungsmelder und ... halt! Beinahe hätte Dyson mich doch noch erwischt. Auf dem Fußboden erkannte ich die untrüglichen Anzeichen für Drucksensoren. Wenn ich das Büro betreten hätte, wäre der Alarm ausgelöst worden.

Ein gewöhnlicher Dieb hätte jetzt vor großen Problemen gestanden, wenn er kein Spezialgerät mitgebracht hätte, aber ich war alles andere als der normale Prototyp eines Einbrechers. Ich trat von der Türöffnung zurück, nutzte die Breite des Ganges aus, um etwas mehr Anlauf zu nehmen und fixierte meinen Blick auf den ausladenden Schreibtisch. Drei kurze Schritte, ein kräftiger Absprung und Sekundenbruchteile später landete ich federnd auf der Oberfläche des Tisches. Laut des Informanten sollte sich der Safe hinter der rechten Tür des Schreibtisches befinden und ich hoffte, dass der Kerl sich nicht getäuscht hatte. Ich legte mich flach auf die Tischplatte und öffnete die Schreibtischtür.

Volltreffer! Meine tastenden Finger strichen über das kühle Metall einer Stahltür. Vorsichtig glitt ich mit dem Oberkörper von der Schreibtischplatte und achtete sorgfältig darauf, nicht den Halt zu verlieren, bis ich einen Blick auf den Safe werfen konnte. Bei dem Schloss handelte es sich um eine simple elektronische Sicherung. Da hatte ich meinen kleinen Freund also nicht umsonst mitgeschleppt. Ich entnahm das Gerät dem Rucksack, setzte es auf das Eingabefeld des Zahlenschlosses und wartete ab. Meine Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt, denn nach nicht einmal fünf Minuten war der Zahlencode geknackt und ich öffnete die Safetür.

Ich lehnte mich noch etwas weiter nach vorne und warf einen Blick in den Safe. Er war mit allen möglichen Papieren vollgestopft, zwischen denen ich auch einige dicke Geldbündel erkennen konnte. Jetzt hoffte ich nur, dass es sich bei den Unterlagen auch um die versprochenen Obligationen handeln würde. Vorsichtig zog ich ein Bündel nach dem anderen aus dem Tresor, stopfte alles in den Rucksack und achtete darauf, dass ja keins von ihnen den Boden berührte. Um an das hinterste Fach zu kommen, musste ich mich so waghalsig in die Tiefe hangeln, dass ich fast den Halt verlor. Doch schließlich zog ich auch das letzte Paket aus dem Safe.

War es Unachtsamkeit oder war ich nur erschöpft von den endlos langen Minuten, die ich in wackeliger Lage auf dem Tisch zugebracht hatte? Jedenfalls bemerkte ich nicht, dass der letzte Umschlag im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht verschlossen war. Fast wie in Zeitlupe sah ich mit an, wie ein dicker Packen herausrutschte und auf dem Boden aufschlug.

Im Raum flackerte eine Lampe auf und irgendwo weiter unten im Gebäude ertönte ein Alarmsignal. Ich war aufgeflogen. Hastig griff ich mir das Päckchen vom Boden, stopfte es achtlos in den Rucksack und verließ das Büro, ohne mich um die Drucksensoren auf dem Fußboden zu kümmern. Der Schaden war ohnehin schon angerichtet.

Noch hoffte ich, dass die Wachposten mehrere Stockwerke unter mir ihren Warteraum hätten. Leider war dem nicht so. Ich hatte gerade die Tür zum Treppenhaus geöffnet, um nach oben zur Dachterrasse zu eilen, als ich nur eine Etage unter mir das angestrengte Keuchen eines Mannes hörte. Trotz der Dunkelheit sah ich ihn die Stufen nach oben stürmen. Wenn ich jetzt über das Dach zu fliehen versuchte, könnte er mich ohne Probleme erschießen. Ich brauchte einen neuen Plan. In diesem Moment sah er mich, stutzte kurz und hob seine Waffe an. Gedankenschnell sprang ich über das Geländer, und noch bevor er reagieren konnte, trat ich ihm mit dem rechten Fuß genau an das Kinn. Noch während er groggy gegen die Wand prallte, sah ich zwei weitere Kerle in das Treppenhaus stürmen. Ich benutzte meinen Schwung, wirbelte den bewusstlosen Wachmann um die eigene Achse und schleuderte ihn den neuen Gegnern entgegen. Sie stürzten zu Boden und ich nutzte die Gelegenheit, um auf sie zu springen und sie mit jeweils einer schnellen Links-rechts-Kombination ins Land der Träume zu schicken.

»Da! Am Treppenhaus!«

Jemand brüllte durch den Flur, dass es mir fast in den Ohren schmerzte. Zwei weitere Kerle eilten auf mich zu und ich wartete nicht erst ab, bis ich im Zwielicht der Notbeleuchtung ein gutes Ziel abgab. Mit rasender Geschwindigkeit stürmte ich auf sie zu und sprang ab. Während sie sich noch fragten, was da auf sie zu kam, trat ich dem vorderen Wächter ins Gesicht und schlug seinem Kollegen meine Faust auf die Nase.

Bis auf das Geräusch des Alarms war es nun ruhig, doch ich nahm nicht an, dass es lange so bleiben würde. Ohne Zeit zu verlieren, sprintete ich zurück ins Treppenhaus, eilte wieder nach oben ... und lief in einen Nachzügler hinein. Er war überraschter als ich und ich gab ihm nicht die Gelegenheit, den Schrecken abzuschütteln. Stattdessen deckte ich ihn mit einem wahren Schlaghagel ein und warf ihn zum Abschluss noch über das Geländer auf den Treppenabsatz, wo er bewusstlos liegenblieb.

Ich riskierte einen flüchtigen Blick in den Flur, doch ich sah nichts weiter als das einsam blinkende Alarmlicht im Büro, wo ich soeben den Safe leergeräumt hatte. Hastig stieg ich die Stufen hinauf, bis ich wieder auf der Dachterrasse stand. Noch während ich hochgeeilt war, hatte ich die Handschuhe angezogen. Nun hing ich den Karabiner ins Drahtseil und machte mich auf den Rückweg. Das Adrenalin pumpte durch meine Adern, sodass ich die Strecke wohl in Rekordzeit zurücklegte. Auf dem gegenüberliegenden Dach angekommen, löste ich die Verankerung, fierte das Seil zurück und verstaute es, bevor ich das Gebäude auf dem gleichen Weg verließ, auf dem ich gekommen war.

Es war nicht gerade meine beste Arbeit gewesen, aber wenigstens hatte ich alles erreicht, weswegen ich eingebrochen war.

Kapitel 3

Joseph Dyson hatte eine unruhige Nacht und dies lag nicht an dem schweren Abendessen, das ihm im Magen rumorte - zumindest nicht ausschließlich. Irgendetwas suchte ihn in seinen Träumen heim und ließ ihn sich hin- und herwälzen.

Das schrille Klingeln des Telefons riss ihn endgültig aus dem Schlaf. Dennoch benötigte er eine ganze Weile, bis er sich aus dem Bett bequemt hatte.

»Was ist denn?«, hörte er eine weibliche Stimme von der anderen Bettseite her. »Nun schalt diese Höllenmaschine endlich ab!«

»Ach, halt die Klappe!«, brummte Dyson, der sich schließlich doch noch von der Bettkante erhob und zum Telefon ging.

»Dyson! Gnade euch Gott, wenn es nicht wichtig ist!«, knurrte er in den Hörer. Doch schon nach dem ersten Satz seines Gesprächspartners war er hellwach. »Was? Wann? Und der Safe?« Ihm blieb fast das Herz stehen. »Ist das Gebäude abgeriegelt? ... Natürlich, wofür bezahl ich euch Versager eigentlich? ... Ich komme sofort!«

Er stürmte zurück in das Schlafzimmer, schaltete die Deckenbeleuchtung ein und begann sich in aller Eile anzuziehen.

»Was ist denn?«, fragte die Frau erneut.

»Das geht dich nichts an!« Er verzichtete auf Socken und Unterhemd und eilte halb angezogen aus dem Haus. Sein Chauffeur war natürlich noch nicht im Dienst, sodass er sich selbst hinter das Steuer setzte und mit durchdrehenden Reifen vom Grundstück schoss.

*****

Er machte sich nicht die Mühe, den Wagen in die Tiefgarage zu fahren, sondern parkte ihn direkt vor dem Eingang des Gebäudes.

Erschrocken sprang der Portier von seinem Sitzplatz hoch, als Dyson durch die Drehtür eilte.

»Gu ... guten Morgen, Sir. Wollen Sie ...«

»Lassen Sie mich in Ruhe!«, blaffte Dyson, besann sich aber eines Besseren. »Wer hat diese Nacht das Gebäude betreten oder verlassen?«

»Was ... niemand, Sir!«

»Es war aber jemand in meinem Büro!«, schrie er den verschüchterten Nachtportier an. »Sie haben eine einzige verschissene Aufgabe zu erfüllen und sind anscheinend zu dämlich, die Augen offenzuhalten!«

»Aber ... Sir ...«

Dyson winkte nur voller Zorn ab, eilte zu den Aufzügen, stieg ein und fuhr hinauf in den vierzigsten Stock. Wie ein Racheengel stürmte er über den Flur, weißglühend vor Wut. Die elenden Figuren, die sich vor seinem Büro versammelt hatten, verbesserten seine Laune auch nicht. Fassungslos starrte er auf die verbeulten Gesichter seiner Wachleute, von denen zwei immer noch ohne Bewusstsein waren.

»Was ist hier passiert? Hat euch eine Armee überfallen?«

»Ich ... wir wissen nicht ...«, stammelte der Diensthabende verwirrt.

Dyson achtete nicht weiter auf den Mann, sondern riss die Tür zu seinem Büro auf und ging zum Schreibtisch. Beim Anblick des geöffneten Safes wurden ihm die Knie weich. Panisch bückte er sich zum Tresor hinunter und hoffte auf ein Wunder. Vielleicht hatte der Dieb ja nur das Geld und die Wertpapiere mitgenommen. Aber die Hoffnung erfüllte sich nicht. Der gesamte Safe war ausgeräumt. Er ließ sich auf den Chefsessel fallen und wischte sich mit einem Taschentuch den kalten Schweiß von der Stirn.

»Sollen wir die Polizei rufen?«

Dyson sah seinen zerschrammten und von harten Schlägen gezeichneten Mitarbeiter nur mit glasigen Augen an.

»Sir?«, fragte der Mann noch einmal und endlich kehrte das Leben in Dyson zurück.

»Nein, das sollen Sie nicht! Geben Sie mir lieber eine genaue Beschreibung von den Arschlöchern, die hier eingebrochen sind.«

»Ich ... es war nur einer, Sir! Und es ging alles so schnell, keiner hat sein Gesicht gesehen. Es war wie ... tut mir leid, Sir.«

Dyson brauchte ein bisschen Zeit, um das Gehörte zu verdauen. »Was erzählen Sie mir da, Simmons? Ein einziger Mann hat ein halbes Dutzend meiner Wachen außer Gefecht gesetzt?«

Der Mann nickte stumm. »Soll ich die Polizei benachrichtigen?«, wagte der Wachmann es schließlich, seine Frage zu wiederholen.

»Unterstehen Sie sich! Das fehlte mir gerade noch, dass hier die Cops herumschnüffeln. Scheren Sie sich aus meinem Büro, ich habe ein paar Gespräche zu führen. Und nehmen Sie diesen armseligen Haufen da mit, der vor der Tür herumlungert. Da kann ich mir auch gleich das Geld sparen und ein paar Schaufensterpuppen auf den Flur stellen.«

Simmons zog den Kopf ein, verließ das Büro und zog die Tür ins Schloss.

Dyson betrachtete noch einmal den Safe, als ob er hoffen würde, dass durch ein magisches Wunder der Inhalt wieder aufgetaucht wäre. Aber natürlich war der Tresor genauso leer wie ein paar Minuten zuvor. Er griff nach dem Telefon, doch seine Hand zuckte zurück, als ob der Hörer plötzlich glühend heiß geworden wäre. Schließlich gab er sich einen Ruck, nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer. Während er darauf wartete, dass sich sein Gesprächspartner meldete, fuhr er sich noch einmal mit dem Taschentuch durch das Gesicht.

»Ha ... Hallo, hier ist Dyson ... Ja, ich weiß, dass es bei Ihnen mitten in der Nacht ist und ich bitte auch vielmals um Verzeihung ... Ich wollte ... muss Ihnen leider sagen, dass bei mir diese Nacht eingebrochen wurde ... Mein Safe wurde ausgeräumt ... Ich fürchte, der Chip ist fort ... ja, auch der Datenträger ... einfach alles ... Ich weiß ... Hören Sie, ich ...«

Dyson Gesichtsfarbe wechselte zwischen Knallrot und Leichenblass hin und her, während ihn der Mann am anderen Ende der Telefonleitung anschrie.

»Ich weiß es zu schätzen«, sagte er schließlich. »Natürlich werde ich Ihren Mann mit all meinen Mitteln unterstützen ... Nein, ich habe die Polizei nicht verständigt ... Danke ... Ich erwarte dann Ihren Mitarbeiter heute Mittag. Auf Wiederhören.«

Dyson legte erleichtert den Hörer auf die Gabel und zündete sich mit zittrigen Fingern eine Zigarette an. Noch war nicht alles verloren. Er musste die Unterlagen zurückbekommen, koste es, was es wolle. Hoffentlich taugte der Kerl auch was, den man ihm schickte. Dyson wollte gar nicht daran denken, was ihm blühte, wenn er die Sachen nicht wiederbeschaffte. Seufzend drückte er die kaum angerauchte Zigarette aus. Wenn er sich doch nur nicht mit den Kerlen eingelassen hätte. Andererseits hatte er kaum eine Wahl gehabt.

Er stand auf, um sich aus dem Haufen der Versager den am wenigsten verbeulten Kerl auszusuchen und ihm zu befehlen, später am Tag den Neuankömmling abzuholen.

Kapitel 4

Eldrik

Ich habe nie verstanden, warum das Fliegen so vielen Menschen Unbehagen bereitet. Ich genoss jede einzelne Sekunde davon. Sogar das Auspacken der Gummibrötchen aus dem Zellophanpapier war eine lieb gewonnene Zeremonie für mich. Während des Fluges konnte man außerdem wunderbar über alles nachdenken - zum Beispiel über den Auftrag, den man mir erteilt hatte. Allzu viel Informationen hatte mir mein Auftraggeber nicht mit auf den Weg geben können, aber alles Notwendige würde ich nach der Landung erfahren. Jedenfalls musste es wichtig sein, weil man mich so kurzfristig hinzugezogen hatte.

Ich streckte noch einmal meine Glieder und rekelte mich, als wir uns dem Zielflughafen näherten. Mit etwas Glück würde ich den Job schnell erledigen und mir anschließend die Stadt ansehen können, und zwar mit viel Geld in der Tasche. Die Sekretärin lächelte scheu und fast ein bisschen ängstlich, als sie mich bat, den Tisch hochzuklappen und den Sitz für die Landung vorzubereiten. Ich konnte ihr Unbehagen beinahe körperlich spüren, denn natürlich wusste sie nur zu genau, wer - oder besser gesagt - was ich war. Mit Sicherheit hatte man sie informiert, dass auf diesem Platz ein registrierter Xeno der höchsten Klasse mitfliegen würde.

Ich lächelte sie freundlich an, um sie zu beruhigen. Manchmal fragte ich mich, was sich normale Menschen unter einem Xeno vorstellten. Als ob wir uns nichts Schöneres vorstellen konnten, als unserer zweiten Natur freien Lauf zu lassen und ein Blutbad zu veranstalten.

*****

Mit der Reisetasche in der Hand sah ich mich in der Ankunftshalle des Flughafens um. Ich brauchte nicht lange zu suchen, bis ich einen Mann sah, der ein großes Schild mit meinem Namen darauf trug und in der Nähe der Ausgangstür stand.

»Sind Sie Eldrik Smith?«, fragte er, nachdem ich zu ihm hingetreten war.

Ich konnte nicht anders und musste sein Gesicht länger betrachten, als es höflich war. Zu malerisch sah er mit der bepflasterten Nase und den zwei blauen Augen aus. Er hatte entweder einen Zusammenstoß mit einem Bus gehabt oder den Schwergewichtsweltmeister im Boxen zu einem Wettkampf herausgefordert. Jedenfalls war es ihm nicht gut bekommen.

»Der bin ich«, beantwortete ich schließlich seine Frage.

»Ich soll Sie zu Mr. Dyson bringen.« Erst jetzt fiel mir auch seine undeutliche Aussprache auf. Vermutlich hatten nicht nur seine Augen und Nase etwas abbekommen. Ich bedeutete ihm, dass er vorgehen und mich zum Wagen führen solle.

Während der gesamten Fahrt sprach er von sich aus kein Wort und beantwortete meine Fragen reichlich einsilbig. Das lag aber wahrscheinlich an den Kopfschmerzen, an denen er ganz sicher litt. Nach einer halbstündigen Fahrt steuerte er den Wagen in eine Tiefgarage, von der aus wir mit dem Aufzug bis in den vierzigsten Stock hinauffuhren. Auf dem Weg zum Büro seines Vorgesetzten begegneten wir zwei weiteren Männern, die ebenso gezeichnet waren wie mein bedauernswerter Chauffeur.

»Ich bringe Ihnen Mr. Smith, Sir!«, sagte er noch, nachdem wir das Büro erreicht hatten, bevor er grußlos verschwand.

Dyson stand in Gedanken versunken am Fenster und starrte auf das Gewimmel weit unter sich.

»Ich hoffe, Sie wollen nicht runterspringen, Mr. Dyson«, sagte ich, nachdem er mir zunächst kaum Beachtung geschenkt hatte.

»Wenn Sie den Chip nicht wiederbesorgen können, wäre dies eine Alternative«, erwiderte er dumpf.

»Ich habe noch nie versagt und ich habe nicht vor, ausgerechnet jetzt damit zu beginnen.«

Immerhin drehte sich Dyson nun um und betrachtete mich nachdenklich. Es machte mir nichts aus, denn ich war diese neugierigen Blicke gewohnt.

»Sie fragen sich bestimmt, warum man es mir nicht ansieht, habe ich recht?«

Dyson nickte. »Verzeihen Sie bitte, Mr. Smith, aber ich bin noch nie wissentlich einem Xeno begegnet. Fangen wir besser an, damit wir keine Zeit verlieren.«

Ich war damit einverstanden. »Sagen Sie mir doch zunächst einmal, was Sie wissen.«

Er hob hilflos die Arme. »Ich weiß kaum etwas, außer, dass jemand hier bei mir eingebrochen ist und meine Wachen ausgeschaltet hat. Er hat den Code vom Safe geknackt und komplett ausgeräumt, bevor er wieder verschwunden ist.«

»Hat der Portier niemanden gesehen?«

Dyson lachte spöttisch. »Der hat wahrscheinlich selig vor sich hin geschnarcht. Nein, der hat nichts bemerkt.«

»Überwachungskameras?«

»Die gibt es nur im Eingangsbereich vor den Aufzügen und dem Haupttreppenhaus.« Er massierte sich die Schläfen, bevor er weitersprach. »Der Dieb ist aber über das kleine Treppenhaus gekommen, das nur vom Dach bis zum fünfunddreißigsten Stock geht.«

»Wieso verbindet es nur diese Etagen?«

»Weil diese Stockwerke als Einheit vermietet werden. Der Einbrecher muss es irgendwie in den fünfunddreißigsten Stock geschafft haben und ist dann von dort aus hierher vorgedrungen. Meine Leute haben bereits jeden Raum in dieser und den darunterliegenden Etagen abgesucht, aber keinerlei Spuren gefunden.«

»Was ist mit dem Dach?«

»Glauben Sie an einen Seiltänzer?«

Ich stand auf und ging zur Zimmertür. »Irgendwie muss der Kerl ja ins Gebäude gelangt sein.«

*****

Dyson hatte mir einen seiner Mitarbeiter mit dem Schlüssel für das Dach zur Begleitung mitgegeben und der Mann staunte nicht schlecht, als sich die Tür zum Dach als unverschlossen entpuppte. Für mich war das bereits der Beweis, dass der Eindringling tatsächlich den Weg gewählt hatte.

Das nächstgelegene Hochhaus war nur wenig mehr als zwanzig Meter entfernt. Ich kalkulierte die Entfernung und den besten Winkel, um vom Dach des anderen Hauses auf dieses hier zu gelangen. Als Transportmittel kamen Gleitschirm und Ähnliches meiner Meinung nach nicht in Betracht. Ich suchte daher nach einem Widerhaken, einem kleinen Anker, und wurde auch schon nach kurzer Zeit an einem Mauervorsprung fündig.

»Glauben Sie wirklich, dass jemand an einem Seil hier herübergeklettert ist?«, fragte Dysons Mitarbeiter ungläubig, nachdem ich ihm meinen Fund gezeigt und erklärt hatte. »Wir sind bestimmt hundert Meter über der Erde. Das ist doch viel zu risikoreich ... in der Dunkelheit und bei dem Wind.« Vorsichtig näherte er sich dem Dachrand und spähte hinunter. »Keine zehn Pferde brächten mich dazu, so etwas zu riskieren«, sagte er, bevor er sich bleich zurückzog.

Ich warf noch einen letzten Blick auf das Gebäude nebenan, bevor ich in das Treppenhaus zurückging.

*****

»Wie viele Ihrer Mitarbeiter wussten, was Sie im Safe aufbewahren?«, fragte ich Dyson, als ich wieder in seinem Büro stand.

Er versuchte sich an einem Lächeln, was aber mehr an ein Zähnefletschen erinnerte. »Das hier ist keine ganz normale Firma.«

»Ich weiß, womit Sie hier ... handeln. Dennoch werden Sie ja wohl nicht jedem auf die Nase binden, was Sie im Tresor herumliegen haben.«

»Von dem Chip und dem USB-Stick wusste niemand, das schwöre ich Ihnen!«, erwiderte er energisch.

»Und vom Geld?«

»Nur die engsten Mitarbeiter ... manch einer wird vielleicht etwas geahnt haben, da wir in letzter Zeit eine Menge ... Geschäfte getätigt haben. Und einfach auf die Bank bringen kann ich das viele Bargeld ja auch nicht ... Sie verstehen ...«

Natürlich verstand ich. Leider erweiterte das den Kreis der Verdächtigen. Zudem erklärte es noch nicht, warum ausgerechnet jemand von außerhalb hier einbrechen musste. Eine Person mit Zugang zu diesen Stockwerken hätte es doch wesentlich einfacher gehabt.

»Haben Sie schon eine Vermutung?«, riss mich Dyson aus meinen Gedanken.

»Wer der nächtliche Besucher war? Ich denke, ein Xeno hat Sie beraubt. Zumindest deutet die Art, wie er hier eingedrungen ist und Ihre Wachen ausgeschaltet hat, darauf hin.«

Dyson wurde blass. »Das ist ... sind Sie sicher?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Erst dann, wenn ich Ihren Gast zu fassen bekommen habe, wissen wir es. Ich werde mich im Nebengebäude umsehen. Vielleicht gibt es dort Überwachungskameras, damit unser Unbekannter wenigstens ein Gesicht bekommt. Sie stellen bitte einstweilen eine Liste mit den Namen auf, die von dem Geld im Safe gewusst haben könnten.«

*****

Wieder ein Fehlschlag! Eine Stunde lang hatte ich mir die Bänder der Überwachungskameras aus dem Nachbarhaus angesehen und dafür auch noch einen Hunderter als Bestechungsgeld geopfert. Aber zu dem fraglichen Zeitpunkt hatte niemand Unbekanntes das Gebäude betreten oder verlassen.

»Was ist mit der Tiefgarage?«, hatte ich noch wissen wollen.

»Keine Kameras im Außen- oder Schrankenbereich«, war die Antwort des Portiers gewesen.

Nun stand ich vor dem Gebäude, die Hände in den Taschen und genauso schlau wie zuvor. Der mysteriöse Unbekannte wollte sich nicht zu erkennen geben. Für einen Moment überlegte ich, ob vielleicht die sechs verbeulten Wachen diesen Coup durchgezogen und sich als Alibi selber so zugerichtet hatten. Aber ich verwarf den Gedanken direkt wieder. Dagegen sprachen auch die Hinweise, die ich auf dem Dach gefunden hatte.
Sei’s drum. Dann musste ich eben ganz von vorn beginnen. Wenn meine Vermutung zutraf, dann würde der Kerl in dieser Stadt bestimmt einige Spuren hinterlassen haben. Vielleicht fand ich auf Dysons Liste einen Fingerzeig, oder aber ich schnappte in irgendeiner Kneipe etwas auf. Außerdem sollte ich mal nachhören, welche registrierten Xenoi sich in den letzten Tagen in der Umgebung aufgehalten hatten. Doch bevor ich mich in das Nachtleben stürzte, sollte ich mir ein Hotelzimmer besorgen.

Kapitel 5

Dalila

'Ich bin reich!'

Das war mein erster Gedanke nach dem Aufwachen und um es mir noch einmal zu bestätigen, nahm ich den Rucksack und legte ihn neben mir auf das Bett. Das Rascheln des enthaltenen Papiers ließ mich beinahe schnurren, so wohl fühlte ich mich bei der Vorstellung, Millionärin zu sein. Ich empfand sogar so etwas wie Dankbarkeit, wenn ich an Paxton dachte. Schließlich hatte er mir den Tipp gegeben, auch wenn seine Beschreibung der Sicherheitsvorkehrungen nicht vollständig gewesen war.

Mein morgendliches Training reduzierte ich auf ein Minimum, duschte kurz und zog mich an. Diesmal wählte ich nicht meine Arbeitskleidung, sondern trug etwas Unauffälliges - Jeans und Pullover. Nun sah ich aus wie eine graue Maus und niemand würde erahnen, dass ich gestern sechs Wachen ausgeschaltet und einen Safe leergeräumt hatte.

Noch einmal breitete ich die Geldbündel auf dem Bett aus, bevor ich sie - bis auf einen - zurück in den Rucksack stopfte. Ich hatte es mir wohl verdient, einen kleinen Einkaufsbummel zu tätigen. Doch zunächst musste ich das Geld in Sicherheit bringen. Hier im Zimmer konnte und wollte ich es nicht lassen.

*****

Es war eine dieser typischen mittelgroßen Bauten, in der die Bankfiliale untergebracht war. Es entsprach meiner Vorgehensweise, auf keinen Fall aufzufallen. Also hatte ich mir ein Konto und ein Fach bei einer gewöhnlichen 08/15-Bank eingerichtet. Nicht zu groß und nicht zu klein, genau so, wie ich es haben wollte. Mit einem kurzen Kopfnicken begrüßte ich die Angestellte am Schalter und ging ohne weitere Umschweife hinunter in den Raum mit den Schließfächern. Zum Glück hatte ich ein verhältnismäßig großes Fach angemietet. Dennoch musste ich ganz schön stopfen, um das Geld und die Wertpapiere unterzubringen.

Erst jetzt fiel mir ein dünner Umschlag auf. Ich öffnete ihn und holte einen USB-Stick und einen kleinen Chip heraus. Nachdenklich betrachtete ich die Gegenstände und in einem ersten Impuls wollte ich sie einstecken, um sie später zu entsorgen. Ein Peilsender war es offensichtlich nicht, die kannte ich in allen Formen und Farben. Schließlich legte ich sie zum Geld in das Schließfach. Die Daten auf dem Stick würde ich mir ansehen, bevor ich Paxton seinen Anteil brachte. Vielleicht waren sie wertvoll und ich könnte sie verkaufen. Möglicherweise wusste der Informant, um was es sich dabei handelte. Jetzt wollte ich mich für meine Arbeit aber erst einmal selbst belohnen.

*****

»Sie treiben bestimmt viel Sport, oder?«, fragte die Verkäuferin in der Boutique mit Neid und Bewunderung in ihrer Stimme.

Ich konnte und wollte ihr nicht sagen, dass ein großer Teil der sportlichen Erscheinung auf meine Gene zurückzuführen war. Es hätte sie mit Sicherheit erschreckt.

»Ja, so ungefähr zwei Stunden am Tag«, sagte ich daher nur, während ich in das Kleid stieg, was sie mir in die Kabine gereicht hatte.

»Das sieht man«, sagte sie seufzend. »Wenn ich Sport treibe, bekomme ich nur umso größeren Heißhunger auf Süßkram.«

»Sie sollten für einen solchen Fall mehr Obst in der Wohnung haben«, gab ich einen ebenso guten wie unwillkommenen Rat - zumindest, wenn ich ihre Miene richtig deutete.

Vielleicht hatte sie nur hören wollen, dass man ihr die überflüssigen Pfunde nicht ansah, aber das wäre gelogen gewesen. Außerdem wollte ich ihr nichts sagen, was nach einem Kompliment klang, denn ich hatte keineswegs die Absicht, mit ihr auszugehen - falls sie darauf hinsteuerte. Ich hatte zwar auch schon eine solche Beziehung hinter mir, aber ich stand dann doch mehr auf Männer. Und mein unterschwelliges Bedürfnis nach einem kleinen Abenteuer war auch der Grund, warum ich jetzt hier in der Boutique stand und mich mit möglichst verführerischer Kleidung eindeckte. Ich war nicht zum Einsiedler geboren und die letzte Verabredung lag nun auch schon ein paar Wochen zurück.

Schließlich hatte ich meine Garderobe ordentlich aufgestockt und verließ das Geschäft mit drei Einkaufsbeuteln und dem leeren Rucksack auf dem Rücken. Heute Abend würde ich ein schickes Restaurant aufsuchen und, falls ich dort niemanden traf, in eine Bar gehen. Jedenfalls wollte ich heute nicht einsam und verlassen in mein Bett kriechen. Für einen flüchtigen Moment dachte ich an Chris Paxton, aber den Gedanken verscheuchte ich sofort wieder. Bevor ich mich an ihn hielt, blieb ich dann doch lieber allein.

*****

Die Sonne stand hoch am Himmel, als ich aus dem Appartementgebäude hinaus auf die Straße trat. Ich hatte die Einkäufe in der Wohnung verstaut und wusste das Geld in Sicherheit. Es war an der Zeit, dass ich mich ein wenig auspowerte, zumal ich den Frühsport hatte ausfallen lassen. Der große Park war nur zwei Blocks von dem Gebäude entfernt und ich joggte im gemütlichen Tempo dorthin. Um diese Zeit waren im Park kaum Besucher unterwegs und so genoss ich es, meine Runden um den künstlich angelegten Weiher zu drehen.

Nach dem zehnten Umlauf fühlte ich meine Muskeln angenehm aufgewärmt und dehnte mich an einer Parkbank.

»Sie sind sehr gut in Form«, meinte der Mann, der vor geraumer Zeit auf der Bank Platz genommen hatte und mir bereits aufgefallen war. »Darf ich Sie zu einer Erfrischung einladen?«

Holla, der ging ja ganz schön ran! Aber genau das sagte mir zu. Kein drum herumreden, kein langatmiges Balzverhalten. Er gefiel mir und ich gefiel ihm anscheinend auch.

»Und was haben Sie sich so vorgestellt?«, fragte ich und entschied mich für ein höfliches Lächeln.

Er deutete auf einen kleinen Kiosk am anderen Ende des Parks. »Da vorne sieht es gar nicht mal so ungemütlich aus.«

Ich verzog das Gesicht. »An so etwas haben Sie gedacht?«

»Nun ... erst einmal. Der Tag ist ja noch jung.«

Ich musterte ihn ganz unverhohlen und es schien auch nichts dagegen zu haben. Das, was ich sah, gefiel mir immer noch. »Also gut, Mister. Sie dürfen mir etwas ausgeben.«

Er stand von der Bank auf und sah mich mit seinen dunkelbraunen, warmen Augen an. »Nennen Sie mich doch bitte Eldrik. Und wie heißen Sie?«

»Dalila.«

»Ein sehr prosaischer Name«, lobte er. »Er ist melodisch und verspricht den Zauber des Orients.«

Obwohl er dabei beinahe unverschämt grinste, gefiel mir das Kompliment. Normalerweise war ich dafür nicht sonderlich empfänglich, aber der Mann zupfte auf meiner inneren Gitarre die richtigen Saiten an.

»Wohnen Sie in der Stadt?«, fragte ich ihn, nachdem wir uns am Kiosk etwas zu trinken gekauft und auf den Stufen am Ufer des Weihers niedergelassen hatten.

»Nein, ich bin nur für ein paar Tage geschäftlich hier.«

Das traf sich ja gut. An einer festen Beziehung war ich nicht interessiert, aber es sprach nichts dagegen, ein paar schöne, vergängliche Stunden mit ihm zu verleben. Und er war ja anscheinend auch nicht abgeneigt.

»Als was arbeiten Sie denn?«, wollte ich wissen.

»Unternehmensberatung.«

»Das klingt langweilig. Sind Sie auch einer von denen, die den ganzen Tag in einem muffigen Büro sitzen und für irgendwelche Anzugtypen die Flipcharts vollschmieren?«

Erneut lachte er auf die Art, die mir an ihm so gefiel. »Nein, wirklich nicht. Ich berate Firmen in Sicherheitsfragen, aber das hört sich auch aufregender an, als es ist.«

Ich stimmte ihm zu. »Ich habe mir darunter immer Männer vorgestellt, die nachts auf der Lauer liegen, um Diebstähle und Einbrüche zu verhindern.«

»Da haben Sie wirklich einen ganz falschen Eindruck, denn dann wäre ich ja eher ein Nachtwächter. Aber nun würde ich auch gerne wissen, wie Sie den Tag verbringen, wenn Sie nicht gerade stundenlang durch den Park joggen.«

Ich winkte nur ab. »Sie halten mich jetzt wahrscheinlich für ein ziemlich verwöhntes Mädchen, aber ich verbrate eigentlich nur Vaters Geld. Er erwartet von mir, dass ich in seine Fußstapfen trete und dafür ein Wirtschaftsstudium absolviere. Aber bisher habe ich mich noch nirgends eingeschrieben. Vermutlich werde ich aber nicht mehr lange daran vorbeikommen.« Es war meine übliche Lügengeschichte, die ich ihm da auftischte. Natürlich hatte sie mit der Wahrheit nicht das Geringste zu tun.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr - ein teures Modell, wie mir sofort ins Auge sprang. Wenn ich nicht im Moment genügend Geld im Schließfach hätte, würde diese Uhr schon sehr bald den Besitzer gewechselt haben. Ich könnte sie problemlos für tausend Dollar verkaufen.

»Ich halte Sie bestimmt nicht für verwöhnt, sondern für äußerst reizvoll«, sagte er mit einer wundervoll einschmeichelnden Stimme. »Leider habe ich jetzt einen Termin, aber ... wenn Sie nichts dagegen haben ... könnten wir uns heute Abend treffen.«

»Und wo?«, fragte ich ein wenig zu schnell.

»Ich kenn mich in der Stadt zu wenig aus und das Restaurant im Hotel, wo ich abgestiegen bin, ist eher untere Klasse. Wissen Sie, wo man hier einen schönen Abend verbringen kann?«

»Das Madison ist ein ausgezeichnetes Restaurant«, schlug ich vor. »Es spielt in der oberen Liga, ist aber auch keins, wo man nur in Frack und Abendkleid reinkommt.«

»Dann hätte ich auch ein Problem, denn mein Frack ist noch in der Reinigung«, sagte er grinsend. »Darf ich Sie dann dorthin einladen? Soll ich Sie abholen?«

So sympathisch er mir auch war; ich wollte nicht, dass er meine Adresse erfuhr. Eine weitere Sicherheitsregel, die ich mir zueigen gemacht hatte.

»Was halten Sie davon, wenn wir uns dort um acht Uhr treffen?«

»Einverstanden!« Er erhob sich und half mir charmant beim Aufstehen. »Ich freue mich auf den Abend.«

»Ich mich auch.«

Er schenkte mir einen tiefen Blick und hielt noch ein paar Sekunden meine Hand, bevor er sie losließ. »Dann bis acht Uhr.«

Ich sah ihm nach, wie er am Kiosk vorbei in Richtung Ausgang des Parks davonging. Doch, er war ganz genau mein Fall. Die nächsten Nächte würde ich nicht alleine schlafen.

Kapitel 6

Eldrik

Beschwingt kehrte ich zu meinem temporären Arbeitsplatz zurück. Ich freute mich auf den heutigen Abend, denn Dalila hatte all das, was ich an einer flüchtigen Bekanntschaft schätzte. Zudem war sie wohl auch nicht an einer tiefergehenden Beziehung interessiert. Zumindest entnahm ich diese Einschätzung aus ihrem Verhalten. Mit dem Gedanken an ihren festen und doch weiblichen Körper fuhr ich nach oben in den fünfunddreißigsten Stock.

Zufrieden sah ich mich in dem Büro um, dass mir Dyson für die Verhöre zur Verfügung gestellt hatte. Ich war sehr gut auf solche Untersuchungen trainiert und merkte mit unfehlbarer Sicherheit, wenn mich ein Mensch belog. Atmung, Schweiß, kleine Gesten, Geruch - mit all den Dingen verriet sich ein Lügner, da konnte er noch so abgebrüht sein.

Auf diese Weise hielt ich die Verhöre recht kurz. Meistens bemerkte ich schon nach wenigen Minuten, dass der Mann oder die Frau vor mir tatsächlich nichts wusste. Langsam hegte ich die Befürchtung, dass ich mit meiner Vermutung möglicherweise falsch lag. Vielleicht gab es den Insider gar nicht und ich jagte einem Phantom hinterher. Doch als ein Mann namens James Walburg den Raum betrat, da sprang mich dessen Nervosität geradezu an. Natürlich war niemand wirklich ruhig und gelassen gewesen, der durch die Tür getreten war, aber bei ihm war es offensichtlich, dass er etwas zu verbergen hatte.

Ich deutete auf den Stuhl vor mir und begann, den Fragekatalog abzuspulen. Selbst ein weniger routinierter Betrachter als ich hätte bemerkt, dass Walburg log. Er wich meinen Blicken aus, gab sich betont lässig und merkte dabei gar nicht, wie unecht es wirkte. Mir war klar, dass ich den Tippgeber gefunden hatte. Dies war aber nur ein erster Schritt, da ich unbedingt an die Hintermänner herankommen musste. Ich entschloss mich letztendlich, mit ihm eine Abart von böser Cop guter Cop zu spielen.

»Mr. Walburg«, begann ich, schloss die Mappe vor mir und sah ihm durchdringend in die Augen. »Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein. Sie stecken bis zum Hals in der Scheiße!«

Seine Augen wurden so groß, dass ich schon befürchtete, sie könnten ihm aus dem Kopf fallen. »Aber was ... wieso?«

»Weil Sie mich angelogen haben. Sie wussten sehr wohl, was Mr. Dyson im Safe aufbewahrt und sahen eine günstige Gelegenheit, zu Geld zu kommen.«

Entrüstet sprang er vom Stuhl auf. »Wie können Sie es wagen? Ich werde mich beschweren. Das ist eine infame Unterstellung.«

Ich lächelte ihn nur kalt an. »Wollen Sie wirklich, dass ich mit Ihnen zu Ihrem Boss marschiere? Was glauben Sie, wie Mr. Dyson wohl reagieren wird? Wird er Ihnen diese gespielte Entrüstung abkaufen oder eher meiner Erfahrung vertrauen? Ich bin Ihre einzige Chance, aus der ganzen Sache glimpflich herauszukommen. Aber wenn wir jetzt zu Ihrem Boss gehen, haben Sie diese Möglichkeit verspielt. Nun, Mr. Walburg, wie entscheiden Sie sich?«

Wenn ich nicht ohnehin sicher gewesen wäre, den Schuldigen vor mir zu haben, sein Zögern hätte es mir bestätigt. Ich deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.

»Setzen Sie sich und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir Sie aus diesem Schlamassel herausholen. Es geht mir gar nicht um Sie, ich will vor allem an die Hintermänner herankommen und Mr. Dysons Eigentum wiederbeschaffen.«

Er ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. Er hatte eine hündische Angst, das konnte ich riechen. Es war aber auch verständlich, denn Dyson würde ihn bestimmt nicht verklagen, sondern diese Angelegenheit auf seine Weise regeln. Walburg stand dicht vor einem Fußnoteneintrag in einer Vermisstenakte.

»Und jetzt?«, fragte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.

»Sie sagen mir, wem Sie den Tipp gegeben haben. Ich werde ihn und seine Helfer aufspüren und Mr. Dysons Besitz zurückbringen.«

»Und was geschieht .. ich meine ...«

»Was mit Ihnen passiert?« Ich tat so, als müsste ich darüber nachdenken. »Nun, zunächst einmal arbeiten Sie so weiter wie immer. Wenn alles erledigt ist, kündigen Sie und verlassen die Stadt.«

Er senkte den Blick. »Ich kenne nur seinen Vornamen ... Chris ... Morgen Abend sollte ich das Geld erhalten.«

»Und wie? Wohl kaum als Überweisung, oder?«

»Er wollte mich heute Nachmittag um fünf Uhr anrufen und sagen, wo ich es mir abholen kann.«

Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. »Na schön. Wenn er Sie anruft, dann sagen Sie ihm, Sie hätten einen weiteren Tipp für ihn. Es ginge um noch mehr Geld, aber Sie müssten ihm dafür eine Zugangskarte übergeben. Bitten Sie ihn um ein Treffen.«

»Darauf wird er doch nicht eingehen.«

»Er wird, da bin ich mir ziemlich sicher. Die größere Frage ist die, ob er Sie überhaupt anrufen wird. Falls ihm nämlich einfällt, das er Ihren Anteil genauso gut behalten kann, haben Sie ein Problem.«

Er schluckte trocken und ich konnte die Angst in seinen Augen lesen. Ich stand auf und sah auf das Häufchen Elend herab.

»Wir beide werden den heutigen Nachmittag zusammen in Ihrer Wohnung verbringen. Fangen Sie schon mal an zu beten, dass sich Ihr Freund Chris an die Vereinbarung hält. Und nun gehen Sie wieder an Ihre Arbeit.«

Ich ging zur Tür und wartete, bis Walburg diese ebenfalls erreicht hatte. »Versuchen Sie nicht, aus dem Gebäude oder gar aus der Stadt zu fliehen!«, warnte ich ihn. »Sie können mir nicht entkommen, dass sollte Ihnen ja wohl klar sein. Und wenn ich Sie nicht erwische, Dyson wird es ganz sicher!«

Er nickte nur und huschte aus dem Raum, nachdem ich die Tür geöffnet hatte. Mit ein bisschen Glück kam ich heute Abend dem Einbrecher einen Schritt näher.

*****

Während des restlichen Tages behielt ich Walburg unauffällig im Auge. Zum Glück arbeitete er weit von Dyson entfernt in einem Einzelbüro, denn so nervös, wie er sich verhielt, wäre es wohl jedem aufgefallen. Die Firma war kaum mehr als eine Tarnung für Dysons anrüchige Geschäfte, deswegen überarbeitete er sich auch nicht und hatte kaum Kontakt zu seinen Kollegen. Falls sich die Steuerbehörde mal für Dyson interessieren würde, bekäme er Schwierigkeiten, denn viel Geld verdiente er mit legalen Tätigkeiten bestimmt nicht. Aber das war ja nicht mein Problem. Möglicherweise genoss er ja auch Protektion von einer hohen Stelle - es war sogar ziemlich sicher der Fall.

Um halb vier folgte ich Walburg in die Tiefgarage zu seinem Wagen. Der Kerl schrak mächtig zusammen, als ich unvermittelt hinter ihm auftauchte.

»Lassen Sie uns fahren«, sagte ich nur.

Immerhin schaffte er es, das Fahrzeug ohne einen Unfall aus der Garage und durch die Straßen zu steuern, obwohl ihm der Schweiß auf der Stirn stand.

»Behalten Sie jetzt bloß die Nerven!«, ermahnte ich ihn. »Wenn dieser Chris sich nachher wirklich meldet, müssen Sie die Vorstellung Ihres Lebens abliefern, verstanden?«

Er nickte nur und wischte sich über die Stirn. »Und ... falls er nicht anruft?«

»Es wäre besser für Sie, wenn er es täte!«

Das große und nicht gerade preiswert eingerichtete Appartement, in dem Walburg wohnte, zeigte mir nur zu deutlich, dass er sich nicht das erste Mal etwas hinzuverdiente.

»Ich hoffe für Sie, dass Ihr Boss niemals diese Wohnung zu sehen bekommt«, sagte ich, nachdem ich mich in den Räumen umgesehen hatte. »Ansonsten könnte er etwas misstrauisch werden.«

»Ich brauche jetzt etwas zu trinken«, murmelte Walburg, ging zur Minibar und goss sich einen Drink ein.

Ich sah seine zittrigen Hände und schüttelte den Kopf. Wenn dieser Chris nicht völlig unfähig war, so würde er an der Stimme seines Gesprächspartners hören, dass etwas nicht stimmte.

»Nehmen Sie noch einen, wenn es Ihnen hilft«, forderte ich Walburg auf. »Trinken Sie aber nicht so viel, dass Sie nachher nur noch lallen!«

»Ich bin nun einmal nervös«, erwiderte er, folgte aber meiner Aufforderung. »Wollen Sie auch einen?«

»Nein, danke! Sie hätten sich nicht auf solche Sachen einlassen sollen, wenn Sie es nervlich nicht durchstehen können.«

»Sie haben gut reden. Wenn ich ein Xeno wäre, dann ...«

»... sind Sie aber nicht! Außerdem ist unser Leben auch nicht so einfach, wie Sie es sich vorstellen. Was glauben Sie, wie oft ich mir vorgestellt habe, wie schön es doch wäre, mit einer Frau ein stinknormales Leben zu führen. Ein kleines Häuschen in der Vorstadt, zwei Kinder, einen gut bezahlten Job, ruhiges Leben. Aber leider dürfen wir ja keine sogenannten normalen Frauen heiraten oder gar Nachkommen mit ihnen zeugen.«

»Ich weiß, Sie haben es ja ach so verdammt schwer«, erwiderte Walburg.

Der genossene Alkohol schien ihm eine Menge Selbstbewusstsein eingeflößt zu haben.

»Denken Sie nicht über mein Leben nach, sondern konzentrieren Sie sich auf Ihre bevorstehende Aufgabe. Und stellen Sie das Glas weg, Sie haben nun genug getrunken!«

»Das ist ja wohl meine Angelegenheit.«

Ich nahm ihm das Glas aus der Hand und stellte es auf den Tisch, während ich ihm in die Augen sah. »Sie tun gefälligst das, was ich Ihnen sage! Denken Sie immer daran, auf welch dünnem Eis Sie stehen!«

»Schon gut«, murmelte er und ließ sich in den Sessel fallen.

*****

Im Laufe der nächsten Stunde schwanden meine Hoffnungen, dass dieser ominöse Chris sich melden würde. Bei Walburg hatte die Wirkung des genossenen Alkohols bereits nachgelassen und er sah immer häufiger ängstlich zu mir herüber. Ich arbeitete schon an Plan B, als das Telefon doch noch klingelte.

»Falls das Chris ist: Denken Sie daran, was wir ausgemacht haben!«, schärfte ich Walburg ein.

Der nickte nur und nahm den Hörer ab. »Hallo ... Gut, dass du mich anrufst, Chris ... Nein, ich habe nicht angenommen, dass du mich reinlegen willst ... ja, ich kenne den Club ...«

Walburg sah zu mir herüber und ich bedeutete ihm, dass er langsam auf den wichtigen Punkt zusteuern sollte.

»Hör mal, Chris, ich hab da wieder etwas für dich ... Die Beute würde dieses Mal noch ein wenig höher ausfallen ... Nein, diesmal würde es sogar einfacher werden, aber du benötigst dafür eine Zugangskarte ... Nein, die kann ich dir beschaffen ... Nein, ich kann die nicht irgendwo hinterlegen. Damit es funktioniert, muss ich mit von der Partie sein ... Ein Treffen? Und wo? ... Kenn ich. Wann? ... Ich werde dort sein. Bis dann.«

Walburg legte den Hörer auf die Gabel. »Ich soll mich mit ihm treffen. Morgen Abend um acht Uhr im Nachtclub 'Night Owl'.«

Ich nickte zufrieden. Dieser Chris schien reichlich unbedarft zu sein - oder überaus geldgierig - wenn er darauf einging.

»Und jetzt?«, fragte Walburg zaghaft.

»Wir werden morgen Abend in den Nachtklub gehen, was denn sonst? Wenn alles glatt läuft, sind Sie nach dem Treffen aus dem Gröbsten raus. Sie sind ein echter Glückspilz, wissen Sie das?«

»Oh ja, was hab ich doch für ein Glück«, murmelte er nur.

Ich ging auf seine ironische Bemerkung nicht weiter ein. »Morgen finden Sie sich pünktlich an ihrem Arbeitsplatz ein. Ich werde Dyson nichts von unserer Übereinkunft erzählen und Sie sehen zu, dass Sie sich unauffällig verhalten. Gehen Sie Ihrem Chef weiträumig aus dem Weg, haben Sie verstanden?«

Kapitel 7

Dalila

Warum war ich nur so nervös? Schon seit ich aus der Dusche gekommen war, hatte ich mich gedanklich mit dem Rendezvous heute Abend beschäftigt. So kannte ich mich gar nicht. Es war doch wahrlich nicht das erste Mal, dass ich mich mit einem Mann traf. Mir war auch völlig klar, wie der weitere Verlauf sein würde. Er wollte es und ich wollte es ebenfalls. Zwei erwachsene Menschen, die miteinander Spaß haben würden, so wie Millionen andere auch.

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf und ging zurück zum Bett, auf dem ich eine Auswahl an Kleidungsstücken ausgebreitet hatte, die für den Restaurantbesuch infrage kamen. In Jeans und Pullover konnte ich dort schließlich nicht auftauchen.

»Jetzt komm endlich zum Punkt!«, spornte ich mich an und griff zu einem Kleid mit tiefem Ausschnitt und freiem Rücken.

Rot war ohnehin meine Lieblingsfarbe und das Scharlachrot des Kleides hatte es mir schon in der Boutique angetan. Ebenso viel Sorgfalt legte ich auf die Auswahl meiner Unterwäsche, denn es war ja mehr als nur wahrscheinlich, dass ich sie heute präsentieren würde. Jedenfalls wäre ich enttäuscht, wenn es nicht so käme. Ich hatte mich zwar schon mit Typen verabredet, die mir alles vom Leib gefetzt hatten, noch bevor wir in der Wohnung gewesen waren, aber Eldrik schätzte ich nicht so ein. Er kam mir eher wie ein Genießer vor, der sich mit dem Auspacken Zeit ließ. Ich hoffte, dass ich richtig lag, denn mir stand heute der Sinn mehr nach einem langen, genussvollen Nachtisch als nach einer kurzen Rein-Raus-Nummer. Schließlich war ich bereit und ein Blick zur Uhr zeigte mir, dass es auch langsam Zeit wurde, mich auf den Weg zu machen.

Ich nahm mir das Privileg, eine viertel Stunde zu spät zu erscheinen. Kaum etwas ist schlimmer für eine Frau, als vor dem Restaurant auf einen Mann zu warten und nichts ist erniedrigender, von ihm vor den Augen des Portiers versetzt zu werden. In dieser Hinsicht war ich altmodisch bis auf die Knochen. Mein Herz schlug schneller, als ich aus dem Taxi ausstieg und Eldrik in einem todschicken Anzug vor dem Eingang stehen sah. Wenn er auch nur halbwegs so gut im Bett war, wie er aussah, dann stand mir heute nicht nur ein Wahnsinnsabend, sondern auch eine traumhafte Nacht bevor. Auch er schien eine äußerst altmodische Ader zu haben, denn er strahlte mich nicht nur an, als er mich sah, er begrüßte mich außerdem mit einem angedeuteten Handkuss.

»Sehr erfreut, Monsieur!«, passte ich mich dem Moment an. »Ich hoffe, Sie mussten nicht zu lange warten!«

»Ich muss gestehen, dass ich aus lauter Vorfreude viel zu früh hier war.«

Er bot mir seinen Arm an und wir betraten das Restaurant. Eldrik hatte noch im Verlaufe des Nachmittags einen Tisch reserviert und anscheinend ein hohes Trinkgeld in Aussicht gestellt. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass wir einen ausgezeichneten Platz erhielten.

*****

»Willst du noch etwas trinken, Dalila?«

Er hob die leere Flasche Champagner an, doch ich schüttelte den Kopf.

»Nein, obwohl er ganz köstlich war. Aber wenn du noch etwas willst, tu dir keinen Zwang an, Eldrik.«

Während des Abendessens waren wir völlig natürlich zum vertraulichen Duzen übergegangen. Das ausgezeichnete Essen und der berauschende Champagner hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Ich war immer näher an ihn herangerückt, um seine Wärme zu spüren und seine Männlichkeit zu riechen. Als Xeno waren meine Sinne außerordentlich gut entwickelt und in Momenten wie diesen genoss ich den Umstand. Jedenfalls drehten meine Hormone mittlerweile vollkommen durch und es kostete mich ungeheure Willenskraft, mich nicht mitten im Restaurant auf ihn zu stürzen. Bei Gelegenheiten wie diesen brach manchmal meine zweite Natur an die Oberfläche und verlangte ihr Recht. Eldrik wirkte auf mich wie eine in einen Anzug gehüllte Süßigkeit, die nur darauf wartete, von mir ausgepackt und vernascht zu werden. Ich strich wie beiläufig über seine Arme, spürte seine Muskulatur und sehnte mich danach, in seinen Armen zu liegen. Wir mussten hier weg, oder die in mir brodelnde Erregung würde die darüberliegende Schicht von Vernunft einfach wegbrennen.

»Ich sollte jetzt besser zahlen!«, sagte er und seine Stimme klang heiser. Kein Zweifel, auch er spürte mein Feuer, fühlte instinktiv, wie ich brannte.

Eldrik zog ein paar Scheine aus der Tasche und warf sie achtlos auf den Tisch, während ich an ihm hing, als ob ich mich festgesaugt hätte. Wir stießen die Stühle unseres Tisches rücksichtslos nach hinten und ich konnte die missbilligenden Blicke der anderen Gäste fast körperlich spüren. Aber es war mir vollkommen egal. Ich wollte ihn, jetzt, sofort, auf der Stelle. Nur der letzte Rest Vernunft und eine winzige Kleinigkeit Scham hielten mich davon ab, ihm die Kleidung vom Körper zu reißen.

»Sie bekommen noch fünfzig Dollar zurück!«, hörte ich den Kellner wie aus weiter Entfernung rufen.

Eldrik grunzte nur unwillig, während sein Mund meine feuchten, fordernden Lippen suchte und fand. Zum Glück warteten vor dem Restaurant genügend Taxis. Ich riss die hintere Tür des erstbesten Wagens auf, ließ mich rücklings hineinfallen und zog Eldrik mit mir. Er warf dem Fahrer irgendeinen Hotelnamen hin, den ich kaum verstand. Der Fahrer schien mit solchen Fahrgästen wie uns schon seine Erfahrungen gemacht zu haben, denn er fuhr einfach los, ohne irgendwelche Bemerkungen von sich zu geben.

»Nicht ... hier ... bitte ... noch nicht!«, sagte er stöhnend, weil sich meine Hände mittlerweile an seiner Hose zu schaffen machten.

Er war riesig, geradezu gewaltig und ich konnte es kaum erwarten, ihn endlich in mir zu spüren. Aber er hatte recht, ich musste mich noch gedulden, obwohl alles in mir vor Enttäuschung und Lust aufbrüllte. Der Panther in mir erwachte zu voller Leidenschaft, sodass ich nun an zwei Fronten zu kämpfen hatte - aber dies war nichts Neues für mich.

Ich schlang die Beine um seine Hüften und zog ihn kräftig an mich heran. Ich begnügte mich fürs Erste damit, seinen geschmeidigen Körper an mir zu spüren und Eldriks Gesicht mit Küssen zu bedecken. Im Gegenzug erforschten seine Hände meinen Oberkörper, fuhren mir in den Ausschnitt und liebkosten meine Brüste.

»Wir sind da!«, meldete der Fahrer schließlich und trotz meiner höchsten Erregung merkte ich, dass er sich prächtig zu amüsieren schien. Ich gönnte es ihm.

Eldrik zog eine Hand zurück - was mich enttäuscht aufstöhnen ließ - und nahm wohl wieder ein paar Geldscheine aus seiner Jackentasche, die er dem Taxifahrer zuwarf. Irgendwie gelang es uns, die hintere Tür zu öffnen, obwohl wir immer noch miteinander verknotet waren.

»Wollen Sie mir wirklich hundert Dollar Trinkgeld geben?«, fragte der Fahrer verblüfft, nachdem er die Scheine aufgesammelt hatte.

Erneut grunzte Eldrik eine unverständliche Antwort und wir schafften es, den Wagen zu verlassen. Noch immer hielt ich die Beine um seine Hüften geschlungen, sodass er mich quer durch die ganze Hotellobby bis zum Fahrstuhl tragen musste. Ich zerzauste mit den Händen seine Haare und küsste ihn auf alle erreichbaren Stellen, während wir halb in den Aufzug hineinfielen.

»Hast ... du ... den Zimmerschlüssel?«, fragte ich atemlos.

»Ich ... hoffe ...«

»Falls nicht ... trete ich die Tür ein ...«

Ich bekam kaum mit, wie er mich durch den Hotelflur trug, nachdem wir den Lift verlassen hatten. Seine ganze Gegenwart hatte eine berauschende Wirkung auf mich. Endlich stolperten wir in irgendein Zimmer hinein und es war mir völlig egal, ob es das richtige war oder ob wir gleich bei irgendjemandem im Bett landen würden. Ich hörte die Tür ins Schloss knallen und merkte wenig später, wie ich mit dem Rücken auf weichen Laken landete. Entschlossen und glühend vor Erregung riss ich mir die Kleidung vom Leib. Schon spürte ich seinen nackten Körper auf der Haut und stöhnte auf, als mein wildes Verlangen erfüllt wurde und er in mich eindrang. Vor meinen Augen explodierte ein buntes Feuerwerk, als meine Lust neue Höhen erklomm und mich der erste Orgasmus vor Glück fast zerspringen ließ. Ich schrie vor Vergnügen, weil er Dinge in mir wachrief, von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab. Erst als unsere Körper beinahe dampften und sich eine wohlige Erschöpfung in mir ausbreitete, beendeten wir das Liebesspiel und kuschelten uns aneinander. Ich sog seinen Duft ein und wünschte mir nur noch, dass diese Nacht nie vorbeigehen würde.

*****

Als ich frühmorgens aufwachte, war ich immer noch angenehm erschöpft und fast wie berauscht. Auch der Panther in mir war glücklich und schnurrte zufrieden. Eine solche Nacht hatte ich schon ewig nicht mehr erlebt und es tat mir mehr als leid, dass Eldrik und ich uns bald wieder trennen mussten. Aber es gab ja keine Alternative, wenn ich nicht meine Andersartigkeit offenbaren wollte. Er würde es nicht verstehen.

»Guten Morgen, meine kleine Wildkatze!«, meldete sich mein göttlicher Liebhaber und ich hätte beinahe laut aufgelacht, weil er nicht wusste, wie nahe er damit der Wahrheit kam. »Hast du gut geschlafen?«

»Besser als jemals zuvor!« Seine Worte und der Geruch unserer Liebe, der immer noch das ganze Zimmer ausfüllte, ließen mich innerlich wieder vibrieren - aber nicht so stark, als dass ich dem Empfinden nachgegeben hätte.

Es war Zeit, an das Geschäft zu denken, so sehr mich Eldriks Anwesenheit auch reizte. Ich musste Chris heute seinen Anteil auszahlen und sollte mich auch um meinen verlängerten Urlaub kümmern. Nach einem solchen Fischzug war es klug, erst einmal abzutauchen - für alle Fälle.

»Was hältst du davon, wenn wir nachher gemeinsam frühstücken und vorher noch ...«

Er klopfte auf die Matratze und lächelte verführerisch. Geschmeidig glitt ich auf die andere Seite des Bettes, legte mich halb auf seinen prächtigen Körper und küsste ihn hingebungsvoll. Himmel, sogar am frühen Morgen roch der Kerl einfach super. Wie schaffte er das nur? Ich war kurz davor, meine eigentlichen Pläne zurückzustellen und bei ihm im Bett zu bleiben, aber im Gegensatz zum gestrigen Abend hatte ich mich etwas mehr im Griff. Es hatte seine Gründe, warum ich bis zum heutigen Tag als unregistrierte Xeno in Freiheit geblieben war. Unter anderem lag es an einer großen Portion Vorsicht und an einer Abneigung gegen unnötige Risiken. Chris auf seinen Anteil warten zu lassen, wäre ein solches Risiko gewesen. Also schüttelte ich bedauernd den Kopf.

»Tut mir leid, aber ich muss los.« Für einen Augenblick überlegte ich mir, noch unter die Dusche zu springen, aber ich kannte mich zu gut. Schon jetzt konnte ich mich nur schwer von seinem Anblick losreißen, und wenn ich erst nackt unter dem heißen Wasser stand ... nein, besser nicht.

In Windeseile zog ich meine Kleidung an, die allerdings bei unserer leidenschaftlichen Entkleidungsphase arg gelitten hatte. Bei dem Gedanken, dass ich dieses Kleid nach langem Aussuchen gekauft hatte und es nun ruiniert war, wurde mir fast ein bisschen wehmütig zumute. Aber dann fiel mir das viele Geld im Schließfach ein, für das ich mir Hunderte solcher Kleider kaufen konnte, ohne dass mein Kontostand spürbar sinken würde.

»Gibst du mir deine Telefonnummer?«, hörte ich ihn fragen, als ich gerade in meine Schuhe stieg.

Sollte ich? War es klug? »Gib mir lieber deine!«, schlug ich vor. »Ich fürchte, ich habe mein Handy gestern im Taxi verloren.«

»Kein Festnetzanschluss?«

»Schon lange nicht mehr.«

Geschmeidig glitt er aus dem Bett, ging hinüber zum kleinen Schreibtisch und kritzelte etwas auf das Briefpapier des Hotels. Nackt, wie ihn Gott geschaffen hatte, kam er zu mir und gab mir den Zettel. Sein Anblick brachte meinen Entschluss, das Hotelzimmer zu verlassen, beinahe wieder ins Wanken, aber dieses eine Mal hielt ich den inneren Panther im Zaum. Die Katze sollte ruhig noch etwas weiter dösen.

»Ich ruf dich an«, versprach ich und verstaute das Papier mit der Telefonnummer in meiner Kleidung.

»Meld dich bitte«, sagte er, bevor wir uns ein letztes Mal küssten.

»Bestimmt!«, versicherte ich und meinte es in diesem Moment völlig ernst.

Kapitel 8

Eldrik

Da ging sie aus dem Zimmer! Auch aus meinem Leben? Ich hoffte, dass dem nicht so wäre. Es war erstaunlich. Gestern hatte ich von ihrer Existenz noch nichts gewusst, doch schon einen Tag später hätte ich viel dafür gegeben, dass sie noch bei mir bleibt.

Lag es nur an der unglaublichen Nacht? Nein, das war nicht der Grund. Ich hatte schon einige Frauen gekannt, mit denen der Sex ebenfalls fantastisch gewesen war. Bei Dalila kam noch etwas hinzu, was das Zusammensein mit ihr unvergleichlich machte. Ich konnte es mir nicht erklären. Noch nicht.

Während ich zum Badezimmer ging, überfiel mich eine große Sorge. Was war, wenn sie sich nicht mehr bei mir meldete? Wenn sie mich nicht anrief? Ich kannte ja noch nicht einmal ihren Nachnamen und hatte auch keine Ahnung, wo sie wohnte. Etwas in mir drängte mich, ihr sofort nachzulaufen. Vielleicht war sie noch in der Hotellobby. Und falls nicht, könnte ich wieder zurück an den Weiher gehen. Mit etwas Glück würde sie dort im Laufe des Tages auftauchen und ihre Runden drehen.

»Hast wohl noch nicht genug?«, spottete ich, bevor ich über mich den Kopf schüttelte. Da hielt ich erneut Zwiesprache mit meinem inneren Drachen, der mir diese Gedanken mitgeteilt hatte - wenn man es so nennen konnte. Falls das jemals ein Mensch mitbekam, würde er mich wohl für verrückt erklären. Andererseits; was gingen mich die Menschen an?

In der Dusche drehte ich das heiße Wasser bis zum Anschlag auf und genoss es, wie die fast kochende Flüssigkeit über meinen Körper lief. Das ist nun einmal der Preis dafür, wenn man als zweite Natur etwas in sich hat, dem es gar nicht heiß genug sein kann. Ich spürte, wie er an die Oberfläche drängte, aber ich konnte ihn leicht im Zaum halten. Gestern im Bett war es mir deutlich schwerer gefallen. Falls es mir nicht gelungen wäre, hätte ich Dalila zu Tode erschreckt.

Ich drehte den Wasserhahn erst zu, als das ganze Badezimmer voller Dampf war. Das hatte ich gebraucht. Nun wurde es aber auch höchste Zeit, mich meinen Aufgaben zu widmen.

*****

Heute war mir danach, das schöne Wetter auszunutzen und ging daher zu Fuß zum Bürogebäude, in dem Dysons zweifelhafte Firma seinen Sitz hatte. Auf dem ganzen Weg dachte ich an nichts anderes als an die vergangene Nacht und an Dalila. Immer wieder kontrollierte ich das Handy, ob es eingeschaltet war und ob sie mir vielleicht eine Nachricht geschickt hatte. Es war schon fast krankhaft, was ich da tat. Außerdem registrierte ich tief in mir eine Unruhe, die mich mit Besorgnis erfüllte. Sie wurde von meinem inneren Drachen ausgelöst, als ob er mich auf etwas hinweisen wollte, aber ich wurde aus den Andeutungen nicht schlau. Das war eine weitere Besonderheit von uns Xenoi. Unser zweites Ich kommunizierte manchmal mit uns, aber wir redeten nicht in derselben Sprache. Dies verkomplizierte die Angelegenheit. Falls irgendjemand mal dafür einen Universalübersetzer erfand, würde er damit sehr viel Geld verdienen können.

Mein erster Weg führte mich in die Etage, wo Walburgs Büro lag. Zu seinem Glück hatte er sich am Morgen dort eingefunden, und auch wenn er leichenblass wurde, als ich in den Raum hineinblickte, so war er doch noch am Leben.

»Sie machen es gut«, sagte ich zu ihm. »Halten Sie sich an unseren Plan, und Sie kommen mit heiler Haut aus der ganzen Sache heraus.«

Er nickte nur stumm und widmete sich wieder dem Monitor, während ich zu Dysons Büro ging. Der Mann war sogar noch wesentlich nervöser als Walburg, jedenfalls sprachen sein Verhalten und die Unmenge gerauchter Zigaretten im Aschenbecher dafür. Wahrscheinlich traten ihm meine Auftraggeber gehörig auf die Füße.

»Was ist nun?«, fragte er, kaum dass ich sein Zimmer betreten hatte. »Haben Sie schon eine Spur? Wann kann ich damit rechnen, dass Sie mir mein Eigentum wiederbeschaffen?«

Ich setzte mich und ließ ihn noch ein wenig zappeln. Besonders sympathisch war mir der Kerl wahrlich nicht und er konnte ruhig ein bisschen leiden.

»Ich habe erste Hinweise und werde heute Abend hoffentlich Genaueres erfahren.«

»Warum erst so spät? Wissen Sie nicht, wie wenig Zeit wir haben?«

»Ich kenne Ihren Zeitrahmen nicht, Mr. Dyson, aber es hilft uns nicht, wenn wir vor lauter Eile Fehler begehen und damit die Spur verlieren.«

Er zündete sich eine neue Zigarette an, sog gierig an ihr und blies den Rauch an die Decke. »Sie haben gut reden, Mann! Ihnen will man ja nicht ans Leder. Ich muss etwas abliefern, was nicht mehr in meinem Safe ist. Und die Leute, mit denen ich zu tun habe, scherzen nicht!«

»Ich weiß, aber um unschöne Sachen zu verhindern, bin ich ja hier.«

Dyson lachte nur hämisch, stand auf und trat ans Fenster. »Wissen Sie eigentlich, was das für Zeug ist?«

»Was Ihnen abhandengekommen ist?«

Er drehte sich um und starrte mich verärgert an. »Na klar, was glauben Sie denn, was ich meine? Was ist auf diesem Stick so Wichtiges, dass es nicht einfach reproduziert werden kann?«

Ich zuckte nur mit den Schultern. »Es ist nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern. Ich vermute mal, dass es nicht in die falschen Hände kommen soll.«

»Und warum der geheimnisvolle Austausch über mich?«, fragte er wütend und ängstlich zugleich. »Will man mich auf diese Weise fertigmachen? Mir daraus einen Strick drehen? Warum benutzt man dafür nicht die offiziellen Kanäle?«

»Sie sollten sich keine Gedanken über Dinge machen, die Sie nicht zu interessieren brauchen. Sie haben die notwendigen Kontakte und man hat Sie außerordentlich gut dafür bezahlt, um als Zwischenhändler zu fungieren.«

Dyson trat an den Schreibtisch und stützte seine Fäuste darauf ab. »Wenn es um mein Leben geht, mache ich mir Gedanken! Und Sie sollten mir lieber behilflich sein, denn sonst bin ich nicht der Einzige, dem es ans Fell geht.«

Fast hätte ich ihm ins Gesicht gelacht, obwohl ich mich auch etwas ärgerte. »Soll das eine Drohung sein, Mr. Dyson?«

»Sehen Sie es als Hinweis, dass ich nicht alleine fallen werde.«

Ich stand auf, trat einen Schritt vom Tisch zurück und ließ den inneren Drachen ein klein wenig von der Leine, aber nicht genug, um die Kontrolle über ihn zu verlieren. Doch die kaum sichtbaren Veränderungen an meinem Äußeren reichten vollkommen aus, dass Dyson die Zigarette aus dem Mund fiel und er bis ans Fenster zurückwich.

»Wagen Sie es ja nicht noch einmal, mir zu drohen!«, donnerte ich mit der dunklen, angsteinflößenden Stimme, die ich bekam, wenn mein zweites Ich an die Oberfläche drängte.

Schon spürte ich, wie die scharfen Schuppendornen an den Unterarmen den Stoff des Jacketts zerrissen, bevor ich dem Drachen befahl, sich zurückzuziehen. Aber nicht nur ich benötigte einen neuen Anzug, auch Dyson würde sich umziehen müssen, wenn er nicht den restlichen Tag mit einem feuchten Fleck im Schritt rumlaufen wollte.

»Bitte entschuldigen Sie«, flüsterte er unterwürfig. »Ich habe es nicht so gemeint. Es ist nur die Sorge, was passiert, wenn es Ihnen nicht gelingt ...«

»Ich habe noch nie bei einer Aufgabe versagt«, unterbrach ich ihn. »Ich melde mich morgen Früh wieder bei Ihnen.«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ ich das Büro und bekam noch mit, wie sich der vor Angst schlotternde Kerl auf den Stuhl fallenließ.

*****

Vor der Tür zog ich das ramponierte Jackett aus und ging hinunter in mein mir zugewiesenes Büro. Schon nach kurzer Zeit begann ich mich zu langweilen und dachte zurück an die intensive Nacht. Noch immer glaubte ich, Dalilas aufregenden Körper in meinen Händen zu spüren und genoss noch einmal in Gedanken ihre pulsierende Lust.

Das Handy riss mich aus den Wachträumen. War sie es? Hastig holte ich es aus den Überresten des Jacketts und warf einen Blick auf das Display. Die mir nur allzu bekannte Nummer raubte mir jede Vorfreude.

»Eldrik Smith«, meldete ich mich betont förmlich.

»Hier Colonel Krayton«, erwiderte der Anrufer. Dabei handelte es sich um meinen direkten Vorgesetzten, wenn man es so nennen wollte. Er leitete das Xeno-Team - oder XTeam, wie es jeder nannte. »Wie gehen die Ermittlungen voran?«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752104868
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Leidenschaft Gefahr Fähigkeiten Freundschaft Gestaltwandler Zuneigung Hilfe Urban Fantasy Romance Fantasy

Autor

  • Shania Cranston (Autor:in)

Shania Cranston lebt und arbeitet in Köln. Sie schreibt seit 2019 Romane in den Genres romantische SF und Fantasy.
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Titel: Die Katze und der Drache