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Elfenküsse

Magical Kisses

von Rebecca May (Autor:in)
208 Seiten

Zusammenfassung

Sona hätte Cael im Bannkreis sitzen lassen sollen. Denn zum Dank für die Rettung des Elfen wird die angehende Magierin in die Intrigen des Elfenhofs und den Kampf um den Thron gezogen. Sona muss sich den Prüfungen der Elfen unterwerfen, um ihre Magie und ihren Clan zu retten. Nur zusammen mit Cael kann sie die gefährlichen Aufgaben bestehen. Doch wie soll sie sich auf die Herausforderungen konzentrieren, wenn ihr Herz schneller schlägt, sobald er in ihrer Nähe ist?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


KAPITEL 1


Sona stand mit dem Rücken zum Waldrand. Vor ihr breitete sich die wilde Wiese aus. Langgräser und Blütenstängel wogten sich im Wind, Schmetterlinge flatterten in der Sommersonne um die Blütenkelche. Doch sie nahm das Idyll kaum wahr. Ihr Blick galt der verfallenen Hütte inmitten des Blumenmeers, die sich aus der Wiese hervorschob wie ein fauler Zahn über schöne Lippen.

Früher hatte das kleine Jagdhaus die Grenze zwischen dem Land von Sonas Magierclan und dem Gebiet der Werwölfe markiert, und die Clanälteren hatten den Kindern mit Spukgeschichten genug Angst eingejagt, dass sich die meisten weit genug von der Reviergrenze ferngehalten hatten.

Die Erinnerung an die unheimlichen Erzählungen hallte auch in Sona noch nach, obwohl sie mittlerweile wusste, dass die Geschichten nicht mehr waren als eben das und mit dem Verschieben der Grenze im letzten Jahr jede Vorsicht unnötig war. Doch im Gegensatz zum Clanrat konnte sie die Berichte der Kinder, die die letzte Woche immer wieder verstört zu ihr gelaufen waren und von geisterhaften Erscheinungen auf der Wiese erzählt hatten, nicht so einfach als überschwängliche Fantasie oder Streiche abtun.

Was, wenn sich wirklich ein magisches Wesen unerlaubt auf ihrem Gebiet niedergelassen hatte? Was, wenn es Irrlichter waren, die das nächste Kind auf fremdes Clangebiet lockten, oder gar Feen, die es kurzerhand entführen würden?

Sona reckte entschlossen ihr Kinn vor. Nicht, dass sie den Älteren und ihren Zauberkünsten nicht traute, aber Vorsicht war besser als Nachsicht. Sie strich sich die roten Haare energisch aus dem Gesicht und stapfte auf die alte Jägerhütte zu. Ja, sie hatte ihren einundzwanzigsten Geburtstag und damit das Erwachen ihrer magischen Kraft noch vor sich, aber das bedeutete nicht, dass sie sich so leicht einschüchtern lassen würde! Wenn die Götter es so wollten, würde ihre Magie erwachen, und dann … Dann würde sie vielleicht auch bald zum Rat gehören und es ihre Aufgabe sein, ihren Clan zu beschützen.

Grashalme strichen um ihre Beine, Kletten hafteten sich an den dünnen Stoff der braunen Hose, und eine Biene prallte gegen ihr Bein und summte verärgert davon. Der Geruch von warmer Erde und Gras lag in der Luft, und Sona zog einen vorwitzigen Käfer aus ihren Haaren, als sie es spürte. Etwas stimmte nicht.

Zögernd blieb sie auf der Wiese stehen. Fremde Energie knisterte unter dem Brummen der Insekten in der Luft und prickelte auf ihrer Haut wie eine Warnung. Mit einem Mal hatte die träge Nachmittagsstimmung etwas Drohendes. Der Käfer zwickte sie in den Finger, und erschrocken ließ sie ihn fallen. Sie versuchte, über ihre Schreckhaftigkeit zu lachen, doch der Laut wollte ihr nicht über die Lippen kommen. Was machte sie hier? Sie konnte hier nichts ausrichten, sie – Sona riss sich zusammen.

Sie konnte natürlich zurückgehen und dem Rat ihre Entdeckung schildern. Sie zupfte an dem blauen Hemd, das unangenehm feucht an ihrem Rücken klebte. Sie konnte sich bereits ausmalen, dass ›Die Wiese fühlt sich komisch an‹ niemanden beeindrucken würde, am wenigsten ihre Tante Dana, die das Oberhaupt des Magierclans war.

Vielleicht sind es nur die Reste der Grenzmagie. Vielleicht aber auch nicht. Und wenn sie endlich zum Clanrat gehörte, würde man von ihr erwarten, dass sie mit solchen Sachen eigenständig fertig wurde. Einen Wimpernschlag lang erlaubte Sona sich, diesem Gedanken nachzuhängen. Ein Teil des Clanrates zu sein, das Andenken ihrer Mutter zu ehren – ihr Mut würde den Rat beeindrucken. Oder?

Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Es konnte auf keinen Fall schaden, auf Nummer sicher zu gehen und dem Rat mehr Information zu bringen als ein unbestimmtes Gefühl.

Zufrieden mit ihrer Entscheidung schnippte sie einen weiteren Käfer aus ihren langen Haaren und stapfte auf die Hütte zu. Sie ignorierte den Teil von ihr, der missbilligend mit der Zunge schnalzte und sie eine ehrgeizige Närrin schimpfte. Es klang etwas zu sehr nach ihrer Tante, die die unangenehme Art hatte, immer Recht zu behalten. Die Blumenköpfe tappten sacht gegen ihre Hosenbeine, irgendwo brach ein Reh durch das Unterholz, und dann hatte sie die Distanz zwischen sich und der Hütte geschlossen und stand direkt vor dem verfallenen Gebäude.

Sona inspizierte die Tür, doch sie fand weder fremde Zeichen noch sonst etwas Verdächtiges im Holz oder an den Wänden daneben. Nur das eigenartige Summen in der Luft hielt an, und als sie die Tür berührte, knisterte das Holz unter ihren Fingern. Etwas schien sie davor zu warnen, einen weiteren Schritt zu tun. Sona presste die Lippen zusammen. Ihr Gesicht nahm den Ausdruck an, der ihren Clan stets wissen ließ, dass sie sich entschieden hatte und nicht von ihrer Idee abzubringen sein würde - wie klug diese auch sein mochte. Sie würde nicht umkehren. Der Platz im Rat gehörte ihr.

Sona atmete durch und versetzte dem Holz einen festen Stoß. Die Tür schwang gehorsam auf.

Energie flackerte auf, als das Summen stärker wurde, und ein Zauber lief wie warmes Wasser über ihren Rücken. Sona widerstand der Versuchung, sich zu schütteln, und machte einen vorsichtigen Schritt ins Innere. Halb erwartete sie, dass die Tür mit einem unheilvollen Geräusch hinter ihr zufallen würde, doch nichts geschah. Sona sah sich um.

Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber nicht, nun ja, nichts. Die Hütte war leer. Nicht einmal Möbelstücke oder auch nur Reste davon standen in dem niedrigen Raum. Staub lag dick auf den Steinplatten, und Spinnweben fingen das Licht auf, das durch die zerbrochenen Fensterscheiben fiel. Die fremde Kraft, die ihr eben noch wie eine Drohung entgegengeschlagen war, war verschwunden. Zögernd machte sie einen weiteren Schritt hinein - und stand mitten in Nebel.

Sona schluckte. Keine Panik!, befahl sie sich selbst. Der Nebel war nicht gefährlich, er war nichts als der Beweis, dass hier vor Kurzem ein mächtiger Zauber gewirkt worden war und die Spruchweber es verstanden hatten, ihre Energie und Anwesenheit zu verschleiern.

Von draußen drangen die Geräusche des Waldes herein, es roch nach frischem Laub und Blumen, doch es waren unwirkliche Eindrücke wie aus einem Traum. Die kühle Stille der Hütte schmiegte sich gegen ihre Haut. Sona machte einen weiteren Schritt in den Nebel hinein. Er lichtete sich bereits, und sie wusste, dass er so rasch verschwinden würde, wie er gekommen war. Sie sah sich aufmerksam um, versuchte mit Blicken das Weiß zu durchdringen. Vergeblich. Sona murmelte ein Wort, das ihre Tante nicht hören durfte, und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Steinplatten unter sich. Ihre Spuren waren die einzigen im Staub, doch etwas …

Sie sah das Zeichen auf dem Stein zu spät. Bannkreis! Sona stolperte erschrocken zurück, doch sie war zu langsam. Der Zauber erwachte mit einem Brüllen, Energie packte sie und zog sie in den Kreis hinein.

KAPITEL 2


Die Welt um Sona herum war schwarz und leer. Alles, was sie sah, waren die schimmernden Zauber, die sie umgaben. Nervosität ließ ihr Herz schneller schlagen. Bannkreise wurden verwendet, um Kreaturen gefangen zu halten, und sie wollte dem Insassen von diesem lieber nicht begegnen.

Doch jeder Kreis folgte seinen eigenen Regeln, und je nachdem konnte Sona ihn einfach verlassen – oder aber saß fest, bis ihr Verschwinden dem Clan auffallen würde. Bitte, lass es ein menschenfreundlicher Zauber sein. Langsam drehte Sona sich um ihre eigene Achse, um zu sehen, in welche Schwierigkeiten sie sich genau gebracht hat.

Die Zeichen um sie herum flirrten, um ihr das Lesen zu erschweren, doch durch ihre Studien war sie die Eigenwilligkeit von Energiesymbolen gewohnt. Auch, wenn sie sich erst beim nächsten Mond Magierin nennen dürfen würde, erkannte sie rasch, was sie vor sich hatte. Oder besser: um sich.

»Ein Elfenkreis«, murmelte sie, erleichtert und überrascht zugleich.

»Genau«, erklang es hinter ihr.

Sona fuhr erschrocken herum und schlug ziellos in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

»He, immer langsam!«, kam die ungehaltene Antwort. »Ich habe nicht vor, dir was zu tun.«

»Zeig dich!«, befahl sie und verfluchte das Zittern in ihrer Stimme und, dass ihre Schläge das Ziel verfehlt hatten. Der Unbekannte ignorierte ihren Befehl, und Sona begann langsam und leise in die Richtung zurückzuweichen, in der sie die Kreisgrenze vermutete. Als Mensch konnte sie den Elfenkreis so problemlos wieder verlassen, wie sie in ihn hineingestolpert war, aber wenn dieser Elf gefährlich genug war, dass sein Volk ihn in einem Bannkreis außerhalb ihres Reviers gefangen hielt … Sie tat gut daran, schleunigst von hier zu verschwinden. Sona stieß gegen etwas hinter sich und schrie auf.

»Kannst du das Gekreische lassen?«, fragte der Elf direkt neben ihrem Ohr. »Du -«

Sona rammte ihm den Ellbogen in den Magen und wurde mit einem Stöhnen belohnt. Sie wirbelte herum. Elfenmagie loderte um sie herum auf, und Sona duckte sich schutzsuchend, doch er griff sie nicht an. Blaues Feuer flackerte um die erhobene Hand ihres Gesprächspartners, der sie finster ansah und sich mit der anderen Hand die Stelle rieb, wo ihr Stoß ihn getroffen hatte. Seine Augen weiteten sich überrascht.

»Sona?«

»Cael?«, fragte sie ungläubig.

Der Elf lächelte säuerlich. »Derselbe.« Er pustete das blaue Feuer von seiner Handfläche. Es tanzte munter zwischen ihnen auf und ab, und Sona musterte den Thronerben der Nordelfen unverhohlen.

Wenn sie an Cael dachte - nicht, dass sie das oft tat -, hatte sie, wie bei allen Vertretern des Lichtvolkes, vor allem seine Perfektion vor Augen: Reich bestickte Kleidung, die es nicht wagte, auch nur eine falsche Falte zu werfen, kunstvoll hochgestecktes Haar, das mit den silbergefassten Juwelenzweigen darin um die Wette glänzte, das markant geschnittene Gesicht mit den silbernen Augen und Haut, die von innen zu leuchten schien.

Der Cael vor ihr war nichts davon. Seine Kleidung war staubig und verknittert, und die schwarzen Haare standen nach allen Richtungen ab. Der Zug um seinen Mund hatte den belustigt-arroganten Ausdruck verloren, und überhaupt verrieten seine Gesichtszüge mehr Emotionen, als sie es bisher bei dem Elfen gesehen hatte. Außerdem war sie sich sicher, noch nie einen Vertreter des Lichtvolks mit Bartstoppeln gesehen zu haben.

Wenn sie ehrlich war, gefiel ihr die zerknitterte Version des Elfen um einiges besser. Er wirkte nahbarer, als Herr-zu-gut-für-das-niedere-Volk es getan hatte, seit er vor einem Jahr zum Thronerben erklärt worden war. Cael begegnete ihrem Blick, und ihr Herz zog sich verräterisch zusammen.

Er breitete die Arme aus. »Zufrieden mit dem, was du siehst?«

»Nicht wirklich«, sagte Sona, die sich von ihrer Überraschung erholt hatte. »Was hast du hier zu suchen? Das ist nicht -«

»Nicht mein Clangebiet«, beendete der Elf für sie den Satz. »Dessen bin ich mir bewusst. Hast du den Kreis vergessen? Du hast eigentlich immer einen ganz intelligenten Eindruck gemacht.«

»Danke«, sagte Sona. »Das Kompliment kann ich leider nicht zurückgeben.«

Das letzte Mal hatte sie Cael bei dem Sommerball der Werwölfe gesehen, wo er sie den Großteil des Abends mit ihrer Drachen-Faszination aufgezogen hatte. Dass Drachenwandler ebenfalls unter den Gästen gewesen waren, hatte den Ballbesuch nicht besser gemacht. Aber wenigstens hatte er mit ihr gesprochen und …

»Du warst nicht beim Sonnenfest«, sagte sie rasch. Nicht, dass sie ihn vermisst hatte.

»Ich war verhindert«, war die bissige Antwort.

»Verhindert? Seit wann sitzt du schon hier?«

»Seit dem Ball.«

»Was?« Sona starrte ihn an. Der Ball lag bereits Wochen zurück. »Wieso haben wir nichts von deinem Verschwinden gehört? Ich weiß, dass ihr Elfen unfähig seid, andere Clans um Hilfe zu bitten, aber man sollte meinen, wenn ihr Thronerbe verschwindet, dann -«

»Du sprichst schon wie ein Ratsmitglied«, unterbrach der Elf sie amüsiert. »Ich nehme an, dein Platz im Clanrat ist bereits beschlossen, sobald deine Magie erwacht ist?«

»Ich glaube«, stotterte Sona, vom plötzlichen Themenwechsel überrumpelt. Vor allem ihre Tante hatte immer wieder Anspielungen gemacht, und Sona hatte die letzten Jahre alles gegeben, um für die Ehre in Betracht gezogen zu werden und für ihre Mutter den Wunsch zu erfüllen, zu dem diese selbst nicht mehr gekommen war.

»Gut gemacht.« Er lächelte sie an, und ihr Herz tat einen verräterischen Schlag. »Ich wusste, dass du das Zeug dazu hast.«

»Danke«, murmelte Sona verwirrt. Es war das erste Kompliment, das ihr der Elf seit einer sehr langen Zeit gemacht hatte, und -

»Welcher Rat ist ohne Drachenforscherin schon komplett?«

»Haha.« Sie waren wieder auf vertrautem Boden. Sona funkelte den Elfen an. »Genug abgelenkt. Was, bei allen Göttern, machst du hier? Und warum hat dein Clan nicht um Hilfe gebeten?«

Cael seufzte. »Weil sie ganz genau wissen, wo ich bin. Den Aufenthalt hier habe ich meiner Cousine zu verdanken.« Die Cousine, die sich nach dem überraschenden Tod des Oberhauptes schon auf den Thron vorbereitet hatte, obwohl ihr Anspruch nicht größer war als der Caels.

Ein flaues Gefühl breitete sich in Sonas Magen aus, als das Bild von Yilari ungefragt in ihr aufstieg. Sie hatte die Elfe immer nur aus weiter Entfernung bei Bällen oder offiziellen Versammlungen gesehen, doch was sie über Yilari gehört hatte, war nichts Gutes. Kalt sollte sie sein, macht- und geldgierig, und darüber hinaus auch noch nachtragend und rachsüchtig. Die Elfe klang in Sonas Ohren mehr wie eine Karikatur, wie die einer Bösen aus einem alten Märchen, doch die Späher, die die anderen Clans im Auge behielten, waren mehr als besorgt über die Entwicklung gewesen, die bei den Nordelfen ins Rollen gekommen war. »Warum sperrt dich deine Cousine in einen Kreis? Ist das nicht Hochverrat?«

Cael verdrehte genervt die Augen, als ob sie längst darüber Bescheid wissen sollte, als er ihr antwortete: »Weil sie mir nicht glaubt, dass ich ihr den Thron mit Freuden überlasse, den sie so unbedingt zu brauchen scheint. Oder vielleicht glaubt sie es mir auch, aber will einfach kein Risiko eingehen. Wenn ich beim Eidmond nicht zum Schwur auftauche, kommt nur sie als Nachfolge in Frage.« Er zuckte mit den Schultern. »Bei einem hinterhältigen Biest wie ihr kann man sich nie ganz sicher sein, und es gibt noch immer zu viele im Clan, die mich vorziehen würden.«

»Du überlässt ihr wirklich den Ratsvorsitz?«, fragte Sona ungläubig. »Einfach so?« Anders als der Rest der Völker legten die Elfen bei der Rangfolge noch Wert auf die familiären Verbindungen und sprachen von Thronerben, wo andere die Clanoberhäupter meinten. Es war eine sehr verstaubte Art, die Ränge zu besetzen, um es höflich auszudrücken.

»Sie wird sicher ein besseres Oberhaupt für den Clan abgeben als ich«, sagte der Elf. »Was ich ihr auch schon hundertmal gesagt habe. Ich habe ihr sogar mit Blut geschworen, dass ich ihr den Sitz am Eidmond überlassen werde, aber ich hätte wissen sollen, dass ihr das nicht reicht.« Er sah sich missbilligend in der Dunkelheit um. »Ich hätte wirklich darauf verzichten können, betäubt und in diesen neunmal verfluchten Kreis gesperrt zu werden. Aber meine liebe Cousine hatte es noch nie so mit Vertrauen.«

Sona machte ein Geräusch, das der Elf als Zustimmung deuten konnte, wenn er das wollte, und überlegte hastig. Der Eidmond der Elfen war in drei Tagen, sie war mit den anderen Ratsmitgliedern zu den Feierlichkeiten eingeladen worden, und – der Blick des Elfen ruhte nachdenklich auf ihr, und Sona wusste, was er dachte. Er braucht mich. Der Gedanke machte sie seltsam glücklich und unglücklich zu gleich.

Als Mensch konnte sie den Elfenkreis ohne Probleme wieder verlassen, er hatte sie nur hineingezogen, weil sie dumm genug gewesen war, auf den äußersten Ring zu treten. Und sie konnte Cael mitnehmen. Alles, was sie dazu tun musste, war, seine Hand zu halten, wenn sie über die Grenze trat. Doch das würde bedeuten, sich direkt in die Angelegenheit der Nordelfen zu mischen und die zukünftige Königin gründlich zu verärgern. Yilari konnte die Befreiung ihres Cousins als Beleidigung oder - schlimmer noch - als feindseliges Zeichen deuten, und wenn auch nur die Hälfte der Geschichten über den Charakter der Elfe stimmte, war Yilari keine, die Sona verärgern wollte.

»Sona«, begann Cael jetzt auch, und sie schüttelte den Kopf, bevor er weiterreden konnte.

Sie konnte Entscheidungen nicht nur als Sona, Tochter eines Magierclans treffen, sondern musste sie stets als Sona, zukünftiges Ratsmitglied ihres Clans, treffen.

»Sona«, begann er erneut, »du musst mir helfen.« Der bittende Tonfall in seiner Stimme war ungewohnt. Er passte nicht zu dem selbstbewussten Cael und ließ ihre Kehle eng werden.

»Cael«, begann nun sie und brach wieder ab. Was sollte sie ihm sagen? Dass er ihr leidtat, aber dass das Risiko zu groß war? Sie waren immerhin Freunde gewesen, auch wenn das schon eine Ewigkeit zurückzuliegen schien, und auch ohne ihre Vorgeschichte – Wochen in dieser Finsternis zu sitzen, musste alles andere als lustig sein. Der Elf konnte von Glück reden, dass sein Volk lange ohne Nahrung und Wasser auskam.

Er schien ihre Gedanken in ihrem Gesicht zu lesen, denn als sie einen vorsichtigen Schritt zurück machte, sprang er vor. »Warte!« Er packte sie fest am Arm. »Du musst mich mit hinaus nehmen!«

»Wieso sollte ich? Du tust mir weh!«

Sofort verschwand sein Griff, doch er stand noch immer zu nahe bei ihr, viel zu nahe. Seine silbernen Augen glitzerten fiebrig in der Dunkelheit, und sein Blick bohrte sich direkt in ihr Herz. »Sona, du kannst mich nicht einfach hier zurücklassen!«

Sie sollte genau das tun. Die Überlegung, dass Cael es als Rache sehen konnte, wenn sie ihn hier zurückließ, um ihm zu vergelten, dass er sie wie Luft behandelt hatte, sowie er als Thronerbe ausgerufen worden war, schoss plötzlich in ihr hoch. Aus irgendeinem Grund schmerzte das mehr, als wenn er dachte, dass sie ihn aus Feigheit in dem magischen Gefängnis sitzen ließ.

»Deine Cousine wird dich sicher holen lassen, sobald sie euren Thron sicher hat«, sagte sie, doch sie glaubte es selbst nicht, und Cael bestätigte ihren Verdacht mit einem verächtlichen Schnauben.

»Sie wird mich hier verrotten lassen«, sagte der Elf. »Für Jahrzehnte, vielleicht für immer. Ich schwöre dir, ich habe nicht vor, ihr den Thron streitig zu machen. Soll sie damit glücklich werden. Deinem Clan wird nichts passieren, Yilari wird keinen Krieg vom Zaun brechen, nur weil ich nicht mehr in ihrer Falle sitze. Alles, was sie will, ist die Herrschaft. Warum sollte sie sich mit einem Magierclan anlegen, wenn sie die bekommt?«

Sona zögerte. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass er die Wahrheit sprach, aber reichte das wirklich? Kaum. Yilari konnte das Clangebiet als Wiedergutmachung fordern, sie konnte -

»Wir stehen in einem Elfenkreis«, sagte Cael, der ihre Überlegungen offenbar mühelos mitverfolgen konnte. »Ich kann dich in ihm nicht anlügen, selbst wenn ich wollte.«

»Ich weiß«, sagte sie ungehalten. Das war nicht das Problem. »Aber Cael, du weißt doch selbst, dass ich es nicht riskieren kann. Was, wenn -?«

»Wenn was?«, fragte der Elf hart. »Wenn dein Rat nicht glücklich mit deiner Entscheidung ist und du deswegen deinen kostbaren Sitz nicht bekommst?«

Röte flammte in Sonas Wangen auf, sie wusste nicht, ob aus Scham oder Zorn. »Du musst gerade reden«, fauchte sie. »Du ignorierst mich über ein Jahr, und jetzt, wo du etwas von mir brauchst, soll ich die Sicherheit meines Clans für dich aufs Spiel setzen?«

Caels Gesicht war eine ausdruckslose Maske. »Als Thronerbe kann ich schlecht mit dir in der …«, fing er an, doch Sona fiel ihm ins Wort.

»Wenn du nicht hier verfaulen willst, sprich nicht weiter«, sagte sie bitter. Der alte Schmerz war wieder mit voller Wucht erwacht, als Cael sie von einem Tag auf den anderen ignoriert hatte. Wie wenig wert ihm die Freundschaft gewesen war, wie wenig wert sie ihm in Wirklichkeit gewesen war – Sona schluckte zornige Tränen hinunter. Zurück zum aktuellen Problem, das wieder einmal Cael war. Wer sonst?

»Der Eidmond ist in drei Tagen«, begann sie. Weiter kam sie nicht.

»Wenn du sagen willst, dass du mich danach herausholst, vergiss es. Sobald du den Kreis verlässt, wird Yilari Bescheid wissen und mich holen lassen.«

Sona starrte ihn an. »Aber das heißt, dass sie so oder so Bescheid wissen wird«, sagte sie, »und mein Clan in Schwierigkeiten kommt, wenn ich dich nicht hierlasse.« Sie biss sich sofort auf die Zunge, aber es war zu spät. Die Worte waren heraußen und hatten dem Elfen und ihr selbst verraten, dass sie ihn nicht zurücklassen wollte. Auch, wenn es wirklich besser wäre. Doch wenn sie ihn hierließ, wenn Yilari tatsächlich vorhatte, ihn im Kreis einzusperren – Cael würde wahnsinnig werden. Ein paar Jahrzehnte würde er vielleicht durchhalten, vielleicht sogar ein Jahrhundert, aber dann würde er den Verstand verlieren. Und irgendwann würde er sterben. Einen elenden, einsamen Tod, den Sona nicht einmal den schlimmsten Feinden des Clans wünschte.

»Ich kann den Zauber von außen außer Kraft setzen«, sagte Cael. »Kein Problem.«

Sona seufzte leise. Wenn sie ohne den Elfen den Kreis verließ, wäre ihr Clan aus der Schusslinie der unberechenbaren Yilari, doch sie würde Cael irgendwo anders hin verschleppen, und Sona wusste, dass sie sich das nicht verzeihen können würde – egal, wie pflichtvergessen die Befreiung war.

»Meinem Clan darf nichts passieren«, sagte sie fest.

»Das wird es nicht. Ich verspreche es.«

Sona seufzte noch einmal, dieses Mal laut. Was genau konnte ihr Cael in seiner Situation schon großartig versprechen? Doch er war immer noch Thronerbe, und wenn Yilari ihre Laune an Sonas Clan auslassen wollte, dann hatte Cael ihr gefälligst entgegenzutreten. Und wenn sie, Sona, ihn persönlich vor seinen Clan zerren musste.

Cael sah sie fragend an, doch Sona behielt ihre Gedanken für sich. »Lass uns von hier verschwinden«, sagte sie. »Bevor ich es mir anders überlege.« Als ob sie ihn je so einem Schicksal überlassen könnte. Sona schluckte den dritten Seufzer verärgert hinunter. Es wurde Zeit, etwas zu tun, statt nur theatralisch Luft auszustoßen. Entschlossen ging sie in die Richtung davon, aus der sie gekommen war. Irgendwo dort musste die Kreisgrenze sein, auch wenn die Magie diejenigen, die in ihrer Mitte gefangen waren, gerne endlos herumwandern ließ. Doch Sona war ein Mensch, und der Zauber hatte kein Interesse an ihr.

Cael blieb dicht hinter ihr. Der Nebel stieg langsam vom Boden auf, und Sona lächelte triumphierend. »Hab ich dich«, sagte sie. Die Zeichen, die in der Luft um sie schimmerten, flammten auf, als ob sie ihre Absicht spürten. Sie trat an die Kreisgrenze, Cael an ihrer Seite.

»Dann wollen wir mal«, murmelte sie und rief sich ins Gedächtnis, was sie über Elfenmagie gelernt hatte. Die Zauber des Lichtvolkes waren wie Lebewesen, etwas, das auf Gedanken und Gefühle des Gegenübers reagierte. Als einfacher Mensch war Sona keine Gefahr, die Energie sollte sie unbeschadet gehen lassen. Ich will gehen, dachte sie angestrengt. Lass mich hinaus. Ein Summen antwortete ihr, wurde stärker, und - »Geht es auch schneller?« - brach ab.

»Ich kann dich auch hierlassen«, sagte Sona aufgebracht. So ein undankbarer …! - Konzentrier dich!, mahnte eine Stimme, die verdächtig nach ihrer Tante klang.

Sie ließ ihre Finger knacken, und Cael zuckte zusammen. »Kannst du das bitte lassen?«, sagte er mit zusammengepressten Kiefern.

Sona warf ihm einen Seitenblick zu und ließ ihre Knöchel erneut knacken. Mit innerlicher Befriedigung sah sie die Mundwinkel des Elfen angewidert zucken. »Je weniger du mich herumkommandierst, desto schneller sind wir hier draußen«, sagte sie.

Cael hob die Hände und machte einen theatralischen Schritt zurück.

Sona verdrehte die Augen. Sie versuchte es erneut, doch dieses Mal reagierte der Zauber nicht auf ihren gedanklichen Befehl. »Ich sollte dich wirklich hierlassen«, knurrte sie, während sie ihren Blick über die Zeichen am Boden schweifen ließ. Sie hatte die letzten Jahre darauf verwendet, die Schriften der Macht aller Völker zu studieren, und endlich machte es sich bezahlt. Sie kam nicht umhin, die Gerissenheit Yilaris zu bewundern: Der Kreis war so gebaut, dass Sona genauso in ihm festgesessen hätte wie Cael, wenn ihre Macht bereits erwacht gewesen wäre. Nachdem sich dem ehemaligen Grenzgebiet kaum jemand näherte und vor allem die Kinder von ihm ferngehalten wurden, deren Magie noch schlief, hätte Cael lange auf Hilfe warten können.

Sie hörte den Elfen ungeduldig schnauben, als sie sich auf den Boden kniete und mit dem Zeigefinger vorsichtig die Linien abfuhr, um sicherzugehen, nichts übersehen zu haben. Doch zum Glück ließ der Kreis normale Menschen gehen, alles, was er forderte, war ein Beweis. Zufrieden stand sie auf.

»Können wir jetzt dann gehen?«, fragte Cael ungeduldig.

Sona wollte eine scharfe Antwort geben, als ihr bewusst wurde, dass der Elf seit mehr als drei Wochen hier festsaß. So ließ sie die schnippische Erwiderung unausgesprochen. »Einen Moment noch«, sagte sie nur. Sie streckte ihre Hand in den Kreis. Magie biss sich schmerzhaft in ihre Haut, die Zeichen glühten auf, und Sona presste vor Schmerz die Kiefer aufeinander, als die fremde Energie sicherging, dass sie nur ein Mensch war und nichts weiter.

Das Glimmen der Symbole erlosch und der Schmerz ebbte zu einem dumpfen Pochen ab und verschwand schließlich ganz. Die Energie summte wieder auf, suchte Verbindung zu ihr.

Sona drehte ihr Gesicht zu Cael. Sie versuchte ein Lächeln, doch es wollte ihr nicht gelingen, als sie ihm die Hand reichte. »Du musst sie halten, wenn du hier hinauswillst.« Klang ihre Stimme auch für Cael so eigenartig?

Doch der Elf sagte nur »Ich weiß«, und dann schlossen sich seine Finger um ihre. Energie völlig anderer Art schoss Sonas Arm hinauf. Seine Haut war warm, das blaue Elfenlicht flackerte immer noch in der Dunkelheit und ihr Herz schlug viel zu schnell. Sona spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

Sich selbst verfluchend wandte sie sich rasch von ihm ab. »Gehen wir.«

Ihre Stimme klang immer noch seltsam, als sie rasch über die Symbole trat, in die Magie des Kreises hinein.

KAPITEL 3


Der Zauber brach und die Energie verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Überrumpelt stolperte Sona ein paar Schritte nach vorne. Cael hatte sie losgelassen, und ihre Finger waren merkwürdig kalt. Sona steckte die Hände in die Taschen. Sie blinzelte in die Dämmerung, für einen Moment orientierungslos, und atmete die kühler werdende Luft ein.

»Alles in Ordnung?«, fragte Cael, mehr ungeduldig als besorgt, und der ruppige Ton riss sie schneller aus ihrem benebelten Zustand, als liebevoller Zuspruch es je vermocht hätte.

»Natürlich«, sagte sie und strich sich die roten Haare aus dem Gesicht, die verschwitzt auf ihrer Stirn geklebt hatten. Doch der Elf beachtete sie nicht. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er sich an etwas im Gras zu schaffen machte. Energie funkte durch die Luft, als er den Zauber außer Kraft setzte.

Lichtkäfer in allen Farben tanzten durch die hohe Wiese, über die sich langsam der Abend senkte.

Sie sah zu Cael, der sich staubig zwischen den Blütenstängeln erhob und sich umsah.

»Was machst du jetzt?«, fragte sie. Zu seinem Clan konnte der Elf vorerst nicht zurückgehen, seine Cousine würde ihm nur erneut nach der Freiheit trachten. Erst nach der Eidzeremonie konnte ihr auch der Thronfolger nicht mehr gefährlich werden, und Sona hoffte inständig, dass das bedeutete, dass Yilari sich nicht damit beschäftigen würde, wer genau Cael geholfen hatte.

»Bleibst du hier?«, fragte sie weiter. »Oder nützt du die Chance und verlässt du das Königreich?« Ihre Kehle wurde eng bei dem Gedanken, doch sie ignorierte es.

Cael sah sie finster an. »Du kannst es wirklich nicht erwarten, mich loszuwerden, damit deinem Clan nichts passiert, was?«

»Ich habe dich herausgeholt, oder etwa nicht?«, gab Sona zurück. »Und du bist derjenige, der immer alles hinter sich lassen und herumreisen wollte!«

»Ja«, sagte Cael kühl. »Und wenn ich mich recht erinnere, warst du es, die mich deswegen ein unverantwortliches, verwöhntes, undankbares Erbsöhnchen genannt hat.«

Sona war so rot wie ihre Haare, als sie sagte: »Was erwartest du, und ich zitiere, von einer Spinnerin, die ihre Tage damit verbringt, von übergroßen Eidechsen zu fantasieren?«

»Ich habe dich nie Spinnerin genannt!«

»So gut als ob! Und ich habe nie gesagt, dass du undankbar bist!«

»Ach bitte! Es war klar genug, was du meinst!«

Sie starrten sich gegenseitig an. Schließlich räusperte Cael sich. »Wie auch immer. Danke, dass du mich rausgeholt hast, schätze ich.«

»Gern geschehen, schätze ich.«

Wieder senkte sich Schweigen über sie. Die Lichtkäfer flogen wie kleine Feuerfunken über die geschlossenen Blütenkelche. Abendtau sammelte sich auf den Halmen, und Sona wischte ihre feuchten Finger an der Hose ab.

»Ich muss langsam los.« Sie sah ihn nicht an. »Der Rest wird sich bald fragen, wo ich stecke.«

»Ich muss auch los. Ich sollte wohl doch ein Wörtchen mit meiner übereifrigen Cousine reden. Keine Sorge, ich werde weder dich noch deinen Clan erwähnen.« Cael seufzte. »Oder ich nehme einen Wagen in die Hauptstadt und reise wirklich ab. Mal sehen.«

Mal sehen? Sie starrte ihn an. »Du spinnst, wenn du glaubst, dass ich dich zu deiner irren Cousine gehen lasse«, brach es aus ihr hinaus.

»Sag bloß, du machst dir Sorgen um mich? Ich bin gerührt.«

»Red keinen Unsinn«, schnaubte Sona etwas zu heftig. »Ich bin die, die ihren Zauber gebrochen hat! Wenn Yilari das herausfindet und denkt, dass du den Eidschwur doch ablegen und Oberhaupt werden willst - wenn sie glaubt, dass wir zwei unter einer Decke stecken, dann -«

»Sie hat mich schon oft genug mit Leuten unter einer Decke gefunden.«

Sona stach mit dem Zeigefinger in seine Richtung. »Du weißt genau, was ich meine.«

»Nun …«

»Es ist zu gefährlich«, sagte Sona bestimmt.

»Für deinen Clan, schätze ich, nicht für mich«, meinte Cael, und sie hätte schwören können, Belustigung in seinen silbernen Augen aufblitzen zu sehen. Sie weigerte sich, auf seine Bemerkung einzugehen.

»Ich kann dich nicht einfach gehen lassen«, erklärte sie ihm.

»Nein?« Er legte den Kopf schief und blinzelte sie amüsiert an. »Soll ich mich hiermit als entführt betrachten?«

»Ja. Nein. Ach, was weiß ich.« Sie vergrub eine Hand in ihren Haaren und starrte den entnervend ruhigen Elf an, bevor sie sich dazu zwang, durchzuatmen. Denk daran, du bist bald Ratsmitglied!, donnerte es durch ihre Gedanken. Als ob ihre verd- verehrte Tante direkt hinter ihr stünde.

Sie verfluchte ihr weiches Herz, als sie Cael mit einem entschlossenen Blick fixierte. »Du bleibst bei uns«, erklärte sie ihm. »Bis der Eidmond vorbei ist. Wenn deine Cousine dann herausfindet, dass du nicht mehr in dem Kreis sitzt, spielt es keine Rolle mehr, wer dir geholfen hat.«

»Nein«, gab Cael ihr recht. »Dann hat sie, was sie will. Sie wird nur enttäuscht sein, es mir nicht unter die Nase reiben zu können. Also?« Er grinste sie an. »Wohin des Weges, Entführerin?«

Wortlos drehte Sona sich um und ging los.

KAPITEL 5


Sona hatte sich gerade auf ihren Stuhl sinken lassen, als die Zimmertür aufging.

Ihre Tante schritt grußlos herein, und die Tür schwang lautlos hinter ihr zu, als wagte sie nicht, den Auftritt der Frau durch ein unpassendes Quietschen zu ruinieren. Dana ließ sich gegenüber von ihr nieder. »Also«, sagte sie. »Cael.«

»Ich konnte ihn schlecht dort zurücklassen«, sagte Sona, mit einem Mal todmüde. Die Aufregung der letzten Stunden hatte sie eingeholt und verlangte ihren Sold.

»Du wärst nicht meine Nichte, wenn du irgendwen dort zurückgelassen hättest«, sagte Dana. »Aber das habe ich nicht gemeint. Also?«

Sona sah den fast mütterlichen Blick ihrer Tante, der nur zu bestimmten Anlässen auf ihrem Gesicht erschien, und stöhnte. »Sag mir, dass wir dieses Gespräch nicht führen.«

»Ich habe dich aufgezogen, es ist meine Aufgabe, diese Gespräche mit dir zu führen.«

»Tante Dana …«

»Der Clan wäre einer Verbindung zu den Nordelfen nicht unbedingt abgeneigt gewesen«, sagte Dana ungerührt. »Aber nicht mit dieser Wahnsinnigen als Oberste Rätin. Yilari ist zu unberechenbar, eine Verbindung zwischen einem der ihren – noch dazu ihrem Cousin – mit einer Rätin des Clans würde zu viele Möglichkeiten zum Missbrauch geben.«

»Dann ist es weiter eine Möglichkeit?«, fragte Sona aufgeregt. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. »Dass der Rat mich nimmt?«

»Wenn Yilari dem Clan keine Schwierigkeiten macht, spricht nichts dagegen. Ein normaler Mensch kann sich gegen einen Elfenruf nicht wehren.«

Sona konnte nicht sagen, ob ihre Tante Cael die Lüge tatsächlich abgekauft hatte, also schwieg sie. So oder so hätte Dana eine Korrektur ihrer Worte nicht geschätzt.

»Aber wenn deine Magie erwacht ist, bist du davor geschützt«, fuhr Dana fort. »Insofern besteht kein Anlass, dich wegen einer Situation, die so nicht mehr vorkommen kann, als mögliche Kandidatin auszuschließen.«

Sona biss sich auf die Lippe, als Caels Worte ihr wieder einfielen. »Was, wenn meine Magie …«, begann sie, doch Dana ließ sie nicht ausreden.

»Natürlich wird deine Magie erwachen«, sagte sie bestimmt. »Es ist ganz normal, so kurz davor nervös zu werden, doch du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Ein seltenes Lächeln ließ ihre Tante um Jahre jünger erscheinen. Wehmut lag in ihrer Stimme, als sie sagte: »Deine Eltern waren Magier von selten gesehener Stärke, und du bist ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten.«

Und doch hatten sie das Schiffsunglück nicht überlebt, hatte das Meer sie unbeeindruckt von ihren Kräften verschlungen. Sona sprach ihre Gedanken nicht aus. Sie nickte nur gehorsam und wurde mit einem zufriedenen Blick belohnt.

Dann wurde ihre Tante wieder ernst. »Kommen wir zur Sache. Es hilft nichts, wenn wir nur drum herumreden.« Als ob Dana das je getan hätte. »Cael hat beschlossen, seine Verantwortung für seinen Clan mit Füßen zu treten. Damit hat er sich als ungeeigneter Partner für unseren Clan und dich erwiesen.«

»Ich bezweifle, dass ihn das sonderlich belastet«, sagte Sona. Sie lächelte krampfhaft und wünschte, ihre Tante würde das Thema lassen.

»Ihn scheint generell nichts zu belasten«, sagte Dana. »Aber ihr habt viel Zeit zusammen verbracht und -«

»Das waren meistens Clantreffen«, protestierte Sona, doch ihre Tante ignorierte ihren Einwurf.

»- und bevor du auf die Idee kommst, diese Freundschaft -«

»Bekanntschaft!«

»- zu vertiefen, lass dir gesagt sein, dass der Clan dieser Verbindung nicht zustimmen wird. Deswegen …«

Sona wusste nicht so recht, ob sie lachen oder weinen sollte. Niemand konnte frei wählen, mit wem er oder sie eine Verbindung eingehen wollte und niemand ohne den Segen der Clans zusammenleben. Wenn Sonas Clan oder der der Elfen ihren Bund verboten, blieb ihnen nur der Weg zum Höchsten Rat, nach dessen Urteil sich alle richteten, um um seine Erlaubnis zu bitten. Und das …

Was denke ich da! Sona hätte sich am liebsten selbst eine Ohrfeige gegeben. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie den Elf mochte! Geschweige denn bereit war, sich wegen ihm gegen den Willen ihrer Familie aufzulehnen! Nun gut, Letzteres hatte sie getan. Aber es war ihr mehr passiert, als dass sie es geplant hatte, und außerdem wollte Cael sie ohnehin nicht, und –

»Etwas, was du mit mir teilen möchtest?«

Die Worte ihrer Tante holten Sona wieder in die Gegenwart zurück, und sie begriff, dass sie die längste Zeit nicht mehr zugehört hatte.

»Ich sagte«, wiederholte Dana, »dass du gut daran tust, dich von dem Elfen fernzuhalten, bevor einer von euch auf dumme Ideen kommt.«

»Ich habe nicht vor, mit Cael auf dumme Ideen zu kommen«, sagte Sona rasch und überlegte krampfhaft, wie sie ihre Tante aus dem Zimmer hinauskomplimentieren konnte.

»Das planen die wenigsten im Voraus«, sagte ihre Tante trocken. »Wenn ich an den letzten Herbstball denke, wo der Alpha-Werwolf und diese Halbnymphe in der Garderobe …«

»Ich weiß«, unterbrach sie Dana hastig, bevor die Frau ins Detail gehen konnte. Sie räusperte sich. »Du weißt, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als zum Rat zu gehören«, sagte sie dann. »Da werde ich mich kaum gegen die Gesetze des Höchsten Rates auflehnen.«

Der Blick ihrer Tante sprach Bände, doch dann schien Dana sich daran zu erinnern, dass sie beschlossen hatte, die Lüge des Elfen vorerst zu schlucken. Zumindest deutete Sona den leicht gequälten Gesichtsausdruck ihrer Tante so.

»Wirklich«, schob Sona hinterher. »Ich – ich verstehe, wenn der Rat mir mein Verhalten heute nicht verzeihen wird. Ich werde mich trotzdem seinen Befehlen fügen.«

»Das hoffe ich«, seufzte Dana und erhob sich endlich.

»Du musst dir wegen mir und Cael keine Sorgen machen, wirklich nicht«, versicherte Sona, als sie ihre Tante zur Tür begleitete.

Ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf Danas Lippen. »Ich mache mir immer Sorgen«, sagte sie. Dann zog sie sanft die Tür hinter sich zu.

Wohltuende Stille kehrte in dem Raum ein, und Sona widerstand der Versuchung, die Tür zu versperren. Die Welt ließ sich so wenig aussperren wie Konsequenzen - oder ihre Tante.

Sie ließ sich auf den Stuhl fallen und starrte aus dem Fenster. Die Dämmerung hatte endgültig dem Abend Platz gemacht. Laternen wurden im Freien entzündet, magisches Licht tanzte mit den Feuerkäfern durch die Dunkelheit. Bald würde der Gong zum Nachtmahl rufen.

Erschöpft rieb sie sich über das Gesicht. Das Essen würde sie ausfallen lassen. Mochten die anderen es deuten, wie sie wollten, der Tag war lange gewesen und Sona brauchte Ruhe, um ihre Gedanken zu ordnen. Alleine der Gedanke, sich dem Trubel der Essenshalle und dem Missfallen des Clans auszusetzten, bereitete ihr Kopfschmerzen. Ihr Magen grummelte protestierend, doch Sona vertröstete ihn auf später. Sie würde warten und sich dann aus der Küche etwas holen. Unter den vorwurfsvollen und anklagenden Blicken aller Clanmitglieder würde sie vermutlich ohnehin keinen Bissen hinunterbringen.

Ihre Hand wanderte wie von selbst zu dem kleinen Beistelltisch, auf dem unter den Büchern über Magie und die verschiedenen Clans ihre Zeichensachen lagen. Sie zog das Papier hervor und versank in ihrer eigenen Welt, in der vor ihren Augen Wesen mit Flügeln und Klauen entstanden, groß wie Häuser und klein wie Singvögel. Die Drachen aus den vergilbten Lehrbüchern bevölkerten nun ihr Zeichenpapier; sie rollten sich um Bergspitzen und schwebten über Wälder oder saßen auf Schwertknäufen und Schultern wie Falken.

Mit schnellen Strichen erschuf Sona einen gefällten Baum, auf dem der nächste Drache Platz nehmen konnte. Die Konturen eines Blattdrachen flossen aus dem Stift, während Schritte und Gelächter durch den Gang vor ihrem Zimmer schwebten und sich wieder entfernten. Die Tür ging auf, jemand brachte ihr einen Teller mit Essen, und Sona bedankte sich gedankenverloren, ohne vom Blatt aufzusehen.

Schließlich schwang sich der Drache über die geschwungenen Striche der Wolken, und Sonas schmerzende Finger ließen den Stift vorerst sinken. Sie richtete sich auf und nahm einen Bissen von dem Brot, das ihr gebracht worden war, und begutachtete die Skizze mit einem Stirnrunzeln. Etwas an den Proportionen passte nicht, oder war es doch der Winkel? Unsicher verharrte ihre Hand über dem Kopf des Drachen, ihr Blick glitt zu dem aufgeschlagenen Buch über die Walddrachen des Ostens.

»Hinter dem Eismeer soll es noch welche geben«, sagte Cael neben ihr, und Sona zuckte zusammen und ließ beinahe das Brot fallen.

»Was zum -! Was machst du hier?« Sie wollte ihre Zeichnung umdrehen, doch ihre Finger waren fettig, und so sah sie den Elfen nur finster an, während sie auf die spöttischen Kommentare wartete, die sie sich oft genug vom Rest ihres Clans anhören musste.

Doch Cael beugte sich nur tiefer über das Blatt. »Das ist wirklich gut«, sagte er dann. »Nicht, dass ich einem begegnen möchte. Meine Urgroßmutter hat behauptet, einen Drachen gesehen zu haben, aber sie war am Ende schon etwas wunderlich.«

»Das ... ist dann schon sehr lange her«, sagte Sona. Elfen wurden alt, sehr alt wie Magier auch, und wenn Caels Urgroßmutter von Drachen berichtet hatte, so war das wohl schon ein gutes Jahrtausend her, wenn nicht länger. »Wo hat sie ihn gesehen? In den westlichen Wüsten?«, fragte sie trotzdem. Vielleicht hatte sie ja Glück, vielleicht …

Der Elf ließ sich auf dem Boden nieder und sah zu ihr auf. »In den Eiswüsten, über dem Meer.«

»Oh«, machte Sona. Enttäuschung kroch in ihr hoch. Eine Reise in den Westen hätte der Rat vielleicht noch gestattet, doch über das Meer - niemals. Vor allem nicht, um in der Eiswüste auf der Suche nach vielleicht längst ausgestorbenen Kreaturen ihren Hals zu riskieren.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752133585
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Elfen Romantische Fantasy Sweet Romance Romantasy Fantasy

Autor

  • Rebecca May (Autor:in)

Rebecca May lebt, arbeitet und schreibt im schönen Wien. Ihre romantischen Fantasyromane ordnet sie der „Sweet Romance“ Nische zu oder wie die Autorin es gerne nennt: Zuckerwatte in Buchform. In der Magical Kisses Reihe vereint Rebecca May ihre Liebe zur Fantasy mit der zu historischen Liebesromanen: Ihre Heldinnen und Helden durchtanzen die Nacht auf Maskenbällen – wenn sie nicht gerade vor Waldtrollen oder Angriffszaubern in Deckung gehen müssen, heißt das.
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Titel: Elfenküsse