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Ich liebe einen Soziopathen, 1.Teil

von Petra S. Rosé (Autor:in)
290 Seiten

Zusammenfassung

Nehmen Sie intensiv am Leben einer jungen Frau teil, die nach gescheiterter Beziehung in Berlin einen neuen Partner sucht, wie viele andere auch. Obwohl alle Vernunft und ihr Verstand dagegen sprechen, verliebt sie sich in einen jungen Mann, der ihr außer beim sexuellen Zusammensein, nirgendwo gut tut. Welche Rolle spielen die Eltern der jungen Frau? Wie belastbar ist diese neue Liebe? Erträgt sie alle Beleidigungen, Gemeinheiten und Verletzungen? Könnte der rätselhafte Mann vielleicht psychisch gestört sein und schafft er es, sich in die Hände einer Psychologin zu begeben? Wie tief sitzt diese Störung? Gibt es eine Therapie und wird die Therapie Erfolg haben?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Widmung

Dieses Buch ist den Frauen gewidmet, die Ähnliches erlebten.

Frauen, die sich in einen Mann verliebten, der Eigenschaften und ein Denken hatte, was mit einer Beziehung nicht in Einklang zu bringen war.

Diesen Frauen sei gesagt, es gibt Hoffnung.

Es kann alles gut werden.


Steffi und ihre Eltern

Es gibt Menschen, die hassen Montage.

Ich hasse Sonntage.

Warum???

Weil ich seit einem Jahr, nach einer gescheiterten Beziehung, wieder in der Einliegerwohnung meines Elternhauses leben muss. Ich heiße immer noch Stefanie Malorny, auch Steffi genannt, bin schon lange erwachsen und würde mir gern durch Eheschließung einen anderen Namen zulegen. Aber ich habe nicht einmal einen Freund.

Mutter und Vater haben von mir Besitz ergriffen, teils bewusst und teils nur unbewusst.

Das Besitzergreifen meiner Eltern äußerte sich zunächst im Aufstellen von spießigen Regeln über das Zusammenleben im Haus und ging dann bis zur Verfügung über meine Freizeit.

An jedem Sonntag möchten meine Eltern ihr einziges Kind bei sich haben.

Sie vertreten die Ansicht: Es reicht, wenn ich am Samstag weggehe und eventuell nach meiner Arbeit im Büro, also an den Abenden der Wochentage.

Deshalb hasse ich Sonntage und die dazugehörige Ausgangssperre.

Im März hatte ich meinen 33. Geburtstag zweimal gefeiert. Einmal mit meinen Freunden und einmal mit meinen Eltern. Mit meinen Freunden war ich in „Clärchens Ballhaus“, inmitten von Berlin und wir ließen es uns feucht-fröhlich gut gehen. Die Feier mit meinen Eltern war von ernsten Gesprächen begleitet.

Es wurde wieder hinterfragt, warum ich keinen passenden Mann finden und halten könne. So ein handwerklich begabter Schwiegersohn, wäre doch wünschenswert und es wäre doch an der Zeit, mal in die Zukunft zu blicken und ein Enkelkind einzuplanen. Schließlich sollen Haus und Garten doch in der Familie bleiben.

Damit nicht genug, anschließend kam das Thema „Altersgebrechlichkeit“ auf den Geburtstagstisch und wie das Zusammenleben im Falle einer Pflegebedürftigkeit funktionieren soll. Meine Eltern sind der Meinung, dass Pflegetätigkeit, ohne Partner nicht zu schaffen sei. Da ich ja ganztägig arbeiten müsse.

Leider verbergen diese Themen auch etwas Wahres.

Meine Eltern sind rüstig und bis auf ein paar Zipperlein gesund. Sie sind zwar bereits Altersrentner und gehen auf die Siebzig zu, aber ich möchte mich nicht mit dem Gedanken befassen, dass einer von beiden über Nacht zum Pflegefall werden könnte. Das schiebe ich täglich von mir weg.

Gestern war ich mit zwei Pärchen, die zu meinem Freundeskreis gehören, zum Essen und anschließend in einer kleinen Bar vom Hotel „Estrel“. Alles ohne einen Partner und gefühlt habe ich mich zwischenzeitlich, wie das fünfte Rad an diesem Vierer-Gespann. Anstandshalber wurde auch mal mit mir getanzt. Die männlichen Gäste in der Bar waren meist in weiblicher Begleitung. Der „Rest“ bestand aus männlichen Einzelgängern, vermutlich Hotelgästen, die nach einer Nachtabschnittsgefährtin für einen One-Night-Stand suchten. Das habe ich schon ab und zu probiert, aber das ist nicht mein Ding. Ich muss mit jedem Mann sexuell mehrfach zusammen sein, und ich muss mich emotional verbunden fühlen, damit der Sex Qualität hat.

Also freute ich mich an der Musik.

In der Nacht zuhause angekommen, vermied ich es zu duschen, damit meine Eltern nicht aufwachen. Irgendwie musste ich ein bisschen zu viel getrunken haben, wie ich heute, am Tag danach, an meinem verkaterten Allgemeinzustand klar erkennen kann.

Heute ist wieder so ein verhasster Sonntag. Es ist der 1. April 2012. Da steht, ohne jeden Aprilscherz, der Frühjahrsputz auf dem Programm von Steffis Eltern, je nach Wetterlage entweder im Garten oder im Haus.

Jetzt ist es halb acht und Steffi steht unter der Dusche ihrer kleinen Einliegerwohnung und versucht den Bargeruch sowie die schlechten Gedanken von sich abzuwaschen. Am liebsten würde sie sich gleich wieder hinlegen, aber die Eltern warten auf ihre Hilfe.

Sie verlässt die Duschkabine, geht vor den Spiegel ihres Kleiderschrankes, lässt das Badehandtuch fallen und betrachtet ihren Körper.

Ich werde immer dicker. Meine Mama kocht am Wochenende sehr energiehaltig. Wenn ich vor acht Uhr zu Hause bin, essen meine Eltern und ich gemeinsam zu Abend, mal warm und mal kalt. Auch hier wird mit Fett nicht gespart. Jedes Nein nimmt meine Mama persönlich und reagiert verletzt. Diesen Winterspeck, gepaart mit Kummerspeck, kann ich nur reduzieren, wenn ich außer Haus bin und nichts esse. Für Sport, bei dem man abnehmen könnte, bin ich zu faul.

Steffi wird aus ihren Gedanken gerissen und hört wie ihre Mutter an der Treppe „Frühstück“ ruft.

Inzwischen ist es kurz vor acht Uhr. Rasch zieht sie einen Slip und ihren Hausanzug an, dreht ihre langen, mittelblonden Haare mit einem Gummi zusammen und eilt die Treppe hinunter. Ihr Vater mag es nicht, wenn jemand zu spät am Tisch erscheint.

Unten angekommen begrüßt sie Mutter und Vater mit einem Kuss auf die Wange und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Es herrscht beklemmendes Schweigen.

Dann fragt die Mutter:

„Na, hast du einen netten Mann kennengelernt?“

„Nein. Wo wir waren, gibt es keine netten Männer.“

„Warum gehst du denn dahin?“, fragt der Vater.

„Ich gehe doch nicht nur weg, um einen Mann kennen zu lernen, sondern ich möchte mich entspannen, mit meinen Freunden unterhalten und Musik hören.“

„Das kannst du doch hier bei uns auch, Steffi. Wir haben so viel zu besprechen“, meint ihre Mutter.

„Ich bin kein kleines Kind mehr und da darf ich schon mal weggehen“, gibt die Tochter gereizt zurück.

„Mal ja, aber du bist an sechs Tagen in der Woche, keinen Abend bei uns. Wir haben hier sehr viel Arbeit mit dem Garten und dem Haus, und du bist immer erst viel zu spät daheim. Da hat bei uns schon der Fernsehabend angefangen“, bemerkt der Vater.

„Ich bin ja heute da und kann den ganzen Tag helfen“, versucht Steffi zu beschwichtigen.

„Wir müssen endlich die Reste vom alten Laub entfernen und wenn noch Zeit ist, können wir schon ein paar Fenster putzen“, schlägt die Mutter vor.

Der Vormittag verläuft ohne Streit. Vater und Tochter harken, und die Mutter hat sich schon mal ein Fenster vorgenommen. Gegen halb zwölf begibt sich die Mutter in die Küche und beginnt mit den Vorarbeiten für das Drei-Gänge-Menü, damit pünktlich um ein Uhr mit dem Essen begonnen werden kann. Weil Steffi sich bemüht vegetarisch zu leben, berücksichtigt ihre Mutter das.

Beim Mittagessen wird nicht gestritten, sondern nur das gute Essen gelobt.

Nach dem Abräumen des Tischs und dem Aufräumen der Küche legen sich Steffis Eltern zum Mittagsschlaf hin und die Tochter begibt sich in ihre Einliegerwohnung. Eigentlich möchte sie auch ein bisschen schlafen, aber das Gedankenkarussell im Kopf lässt es nicht zu:

Für mich ist es bei meinen Eltern sehr bequem und vieles wird geregelt, aber ich möchte trotzdem mein eigenes Leben führen. Etwas Essen, wann ich will und mal ungekämmt in Schlabberklamotten durch die Wohnung laufen oder mal mit einem Mann von Freitagabend bis Montagmorgen im Bett liegen. Das ist hier alles undenkbar.

Gern würde ich wieder allein wohnen, aber momentan habe ich nicht genug Geld. Vor achtzehn Monaten sind meine Ersparnisse für die Anzahlung meines Honda Civic*, für die Vollkasko, die Winterreifen und diverse Zubehör weggegangen. Das Auto kann ich nicht verkaufen. Ich brauche es, um zur Arbeit ins Büro zu kommen, zum Einkaufen und für meine mobile Freiheit.

Die von mir zum Teil selbst bezahlten Möbel sind in der Wohnung meines letzten Freundes geblieben. Ich wollte davon nichts mitnehmen und er wollte mir meinen Anteil nicht auszahlen. Um Möbel, Vorhänge Lampen und Hausrat, lohnte es sich nicht zu streiten, denn ich habe hier oben im Haus eine eingerichtete Wohnung, mit ein paar schrägen Wänden und kleiner Küche. Es ist besser, nicht täglich durch irgendwelche Gegenstände, an die letzte Beziehung erinnert zu werden.

Meine getragenen Klamotten kann man nicht mehr zu Geld machen. Der Kleiderschrank wird auch immer voller, weil eine Frau, die ohne Berufsbekleidung arbeitet, öfter mal etwas Neues kaufen muss. Auf gute, modische Kleidung legte schon mein Ex großen Wert. Andere Männer sicher ebenso und ich selbst will mir auch gefallen.

Als Steuerpflichtige der Klasse I zahle ich die meisten Steuern für mein gutes Gehalt.

Ein Umzug kostet Kaution und vielleicht auch noch Maklergebühren. Alles, was ich besitze, lässt sich mit dem Honda* transportieren. Ich würde kein Transportfahrzeug in Anspruch nehmen. Aber, es müssten wieder Möbel, Lampen und Hausrat angeschafft werden, denn die Einliegerwohnung, die jetzt mein Zuhause ist, soll so bleiben, wie sie ist. Das heißt, ich müsste fleißig sparen oder einen Kredit aufnehmen, was wohl die Bank erst möglich machen wird, wenn ich nach dreieinhalb Jahren mein Auto abbezahlt habe. Solange muss ich mich gedulden.

Oder ich müsste in einer leeren Wohnung wohnen und mir jedes einzelne Möbelstück zusammensparen.

Bleibt nur, in die Wohnung eines neuen Partners einzuziehen, aber das ist genau der Zustand, den ich vorläufig nicht wieder erleben möchte.

Also ist meine Situation zurzeit ausweglos.

Als noch viel größeres Problem empfinde ich, dass ich seit Monaten keinen passenden Partner finde. Es wäre viel mehr Frieden im Haus, wenn ich meinen Eltern jemand vorstellen könnte, der ihnen gefällt und der hier mit anfassen würde.

Mir geht es als Single nicht gut. Ich brauche eine Schulter zum Anlehnen, einen Mann meiner Generation, um den ich mich kümmern kann. Mein neuer Partner sollte mich verstehen und ich will mich mit ihm über seine und meine Probleme unterhalten können. Natürlich müssten wenigstens zwei gemeinsame Interessen sein und beim Sex sollte es auch gut klappen. Ist das zu viel verlangt?

Nach dem Bruch meiner letzten Beziehung habe ich alles versucht, was die moderne Zeit so bietet. Doch alle Anbahnungen verliefen ins Leere. Ich war beim Speed-Dating und bei Friendscout 24*. Aber jeder Typ, den ich kennenlernte, war aus irgendwelchen Gründen nicht geeignet.

Die Angst, wieder eine Enttäuschung zu erleben, trug nicht gerade dazu bei, mich näher mit diesem oder jenen einzulassen. Frau hat ja schon so ihre Erfahrungen mit über dreißig und verliebt sich nicht mehr so schnell.

Manche Männer haben ja bereits Kinder und dort ihre Verpflichtungen, egal ob die Kinder nun beim Vater oder bei der Mutter wohnen. Ich finde, es macht eine Beziehung nicht einfacher, wenn man von Anfang an zu dritt oder zu viert ist.

Bleibt also nur der Zufall oder das Schicksal, um jemand kennenzulernen. Meine Freunde haben begonnen, es sich zur Aufgabe zu machen, mich zu verkuppeln. Bisher ohne Erfolg.

Habe ich schon Torschlusspanik oder bin ich einfach nur zu schwach den Druck auszuhalten, den meine Eltern auf mich ausüben? Ich weiß es nicht.


Der Kennenlerntag

Es sollten noch ein paar Wochen vergehen.

Steffi war allein zum Dienstagsshopping am Alexanderplatz. Es ist der 8. Mai. Sie ist gerade auf dem Weg zur nächsten Taxihalte, um sich nach Hause fahren zu lassen. Ihre Gefühle sind gemischt. Die Einkäufe sollen sie über die Tatsache hinwegtrösten, dass auch in diesem Jahr nicht genug Geld für eine Urlaubsreise zusammengespart werden kann.

Jetzt muss Steffi nur schnell nach Hause, denn ihre Eltern wollen mit ihr zu Abend essen. Sie steigt in das erste Auto der Taxischlange ein, rutscht über die Rückbank bis hinter den Fahrer und nennt als Fahrziel Berlin-Karlshorst und schon rollt der Wagen Richtung Süden. Bereits mit dem Smartphone in der Hand fragt Steffi, ob telefonieren erlaubt sei.

„Na, ausnahmsweise“, antwortet der Fahrer.

Rasch erklärt Steffi ihrer bereits wartenden Mutter, dass sie mit dem Taxi unterwegs ist, weil mal wieder keine S-Bahn fährt.

Im Wagen fällt ihr auf, dass es hier so gut riecht. Es muss vom Fahrer kommen oder vom vorherigen Fahrgast.

Der Mann am Steuer beginnt ein Gespräch und erzählt:

„Normalerweise arbeite ich nur nachts. Der Verkehr auf den Straßen tagsüber nervt. Der Fahrgast drängelt meistens. Das Taxameter läuft nicht nach Zeit, sondern nach Kilometern. Aber heute war es anders. Weil ich eine Vorbestellung hatte, bin ich früher aufgestanden und habe meine Schicht schon am Nachmittag begonnen. Jetzt geht es auf zwanzig Uhr zu und da sind die Straßen schon leerer.“

Steffi antwortet:

„Wenn Sie nachts arbeiten, schlafen Sie ja am Tage und verschlafen das schöne Maiwetter.“

„Das ist nun mal so. Aber ich kann mir meine Fahrzeit einteilen, weil ich selbständig bin, und das ist mir wichtiger als schönes Wetter.“

„Können Sie denn überhaupt am Tage schlafen? Da ist es doch hell und laut.“

„Das ist unterschiedlich. Ich lebe allein. In dem Mietshaus, wo ich wohne, ist es relativ ruhig.“

Die junge Frau lässt eine Pause und überlegt:

Wie alt mag der Fahrer sein, Ende dreißig vielleicht? Ich habe ihn von vorn gar nicht richtig gesehen. Ich sehe nur seinen Hinterkopf mit raspelkurzen Haaren. Wie kann man sich nur die Haare so scheren lassen. Da hat er doch gar nicht die Kopfform dazu. Seine Augen sind starr nach vorn gerichtet. Ab und zu sieht er in den Mittelspiegel und von da aus kommt mir ein stechender bebrillter Blick entgegen. Vermutlich vergrößert diese Brille seine hellgrauen Augen.

„Haben Sie noch Zeit für ein Hobby?“, fragt Steffi jetzt.

„Nicht wirklich. Ich bin Fußball-Fan, vor allem Hertha-BSC-Fan. Ich beschäftige mich viel mit dem PC und telefoniere gern.“

„Wir sind gleich da“, sagt Steffi.

„Eine schöne Gegend ist das hier“, bemerkt der Fahrer.

„Halten Sie bitte vorn rechts, unter der Laterne. Was muss ich zahlen? Ich habe nur eine Visa-Card.“

„Die muss ich wohl nehmen, wenn auch ungern. Das dauert immer, bis das Geld kommt.“

Nach dem Halt und der Bedienung des Kartenlesegeräts, bedankt sich der Fahrer, gibt die Karte zurück und reicht gleichzeitig seine Visitenkarte an den weiblichen Fahrgast weiter.

„Wenn Sie mal Zeit und Lust zum Telefonieren haben, können Sie mich anrufen, aber nicht vor sechzehn Uhr.“

Dann schwingt er sich blitzschnell aus dem Wagen und öffnet ihr die Tür. Beide stehen sich nun mitten auf der Fahrbahn, der schmalen verkehrsarmen Seitenstraße gegenüber. Steffi muss nach oben sehen, weil der Fahrer so groß ist. Sie schätzt fast zwei Meter. Er ist ein interessanter Typ, trägt einen Dreitagebart und einen kleinen Ohrstecker. Die Brille hat er abgenommen und in die Brusttasche seines Oberhemdes verfrachtet. Sein Blick ist jetzt auf sie gerichtet und damit nach unten gesenkt. Die Augen wirken jetzt nicht mehr so stechend, sondern eher väterlich mild.

„Ja, ich rufe an. Bis dann“, sagt Steffi schnell, läuft am Fahrer und an der Front des Wagens vorbei zum Gartentor. Hinter ihr klappen zwei Autotüren und das Taxi rollt davon.

Als die junge Frau im Haus ist, stellt sie hastig die Einkaufstüten auf der Treppe ab, wäscht sich auf dem Gäste-WC die Hände und eilt ins Wohnzimmer ihrer Eltern.

Dort sitzen die beiden schon am Tisch und warten.

„Wird Zeit, dass du kommst“, sagt der Vater streng.

Zum Glück gibt es kein warmes Essen.

„Was war denn wieder los. Warum kommst du so spät?“, fragt die Mutter.

„Ach Mama, wie ich am Telefon schon sagte, musste ich am Alex noch etwas einkaufen und anschließend fuhr keine S-Bahn. Irgendwo sollte Schienenersatzverkehr sein. Das war mir zu umständlich und hätte bestimmt noch länger gedauert. Da habe ich lieber ein Taxi genommen.“

Das Abendessen setzt sich schweigend fort. Steffis Vater ist schon fertig, steht auf und setzt sich vor den Fernseher. Mutter und Tochter räumen den Tisch ab.

„Ich möchte gleich duschen gehen“, sagt Steffi. Danach werde ich mich hinlegen. Ich bin sehr müde heute.“

„Schade“, bemerkt die Mutter. „Ich dachte, wir unterhalten uns jetzt.“

„Gute Nacht“, ruft Steffi den Eltern zu und verlässt fast fluchtartig den Raum, um sich nach oben in ihre Wohnung zu begeben. Sie möchte endlich mit ihren Gedanken allein sein, zieht sich aus und lässt alles auf den Boden fallen.

Unter der Dusche angekommen, beginnt sie sofort zu grübeln:

Dieser Taxifahrer heute, der hatte so etwas Spezielles und Magisches und er hat so gut nach Leder mit Moschus gerochen. Auch das Auto war so sauber, sowohl von innen als von außen. Ich habe noch nie so ein sauberes Taxi gesehen. Als Nächstes muss ich nachsehen, was auf der Karte steht, die er mir gegeben hat.

Steffi verlässt die Dusche wieder, zieht einen Bademantel an und sucht aufgeregt in ihrer Handtasche nach der Karte. Die steckt noch in der Geldbörse. Mit einem Ruck zieht sie die Karte heraus: Tomas Jörgens, Taxiunternehmer, eine Adresse, eine Festnetz- und eine Handynummer, sind aufgedruckt.

Tomas ohne das H hinter dem T? Das ist selten. Das klingt nordisch, überlegt Steffi.

Sie versteckt die Karte wieder in ihrer Geldbörse und legt ihre Sachen für den morgigen Tag im Büro heraus. Die Einkäufe von heute sind mit einmal unwichtig geworden. Sie packt nichts mehr aus, sondern stopft die Tüten ganz nach unten in den Kleiderschrank. Im Schrank versteckt bewahrt sie eine große Metallkassette auf, die sie jetzt herausholt, in ihr Bett stellt und aufschließt. Darin befinden sich ein paar Gegenstände, die ihre Eltern nicht sehen sollen. Unter anderem Sex-Toys, ein paar Fotos und ihr Tagebuch.

Im Bett stapelt sie sämtliche Kissen zu einem Kissenberg, lehnt sich sitzend dagegen, zieht die Knie an und deckt sich mit einer leichten Sommerdecke zu. In dieser Haltung kann sie am besten denken. Auf den Knien liegt ihr Tagebuch mit schreibbereitem Drehbleistift. Alles, was sie gerade für wichtig hält, wird stichwortartig, in Halbsätzen oder sogar mit druckreifen Sätzen notiert:

Ein Taxifahrer hat mir seine Karte gegeben. Vielleicht macht er das mit jeder Frau, die vom Alter her zu ihm passen könnte? Vielleicht liegt es aber nur an seiner Menschenkenntnis und er hat gleich gespürt, dass ich ohne Partner bin? Ob ich allein lebe, hat er nicht gefragt.

Wenn ich ihn morgen schon anrufe, denkt er eventuell, ich habe zu viel Zeit oder bin mannstoll. Wenn ich aber erst nach einer Woche anrufe, hat er längst vergessen, wer ich bin, besonders dann, wenn er tatsächlich jeden Tag Visitenkarten verteilt.

Anscheinend habe ich ihm gefallen, obwohl ich einen anstrengenden Tag im Büro hatte und noch shoppen war und schon ein bisschen zerzaust, verknittert und verschwitzt aussah. Er hat sich mit mir unterhalten. Normalerweise sind Berliner Taxifahrer recht maulfaul.

Ich bin in der Situation, fast jeder erfolgversprechenden Begegnung nachgehen zu müssen, wenn ich aus meinem jetzigen Leben ausbrechen will. Übermorgen werde ich anrufen. Da ist Donnerstag und dann werde ich auf jeden Fall schon am Telefon klären können, ob es Sinn macht, diesen Mann weiterhin zu kontakten.

Was Steffi noch nicht weiß:

Ihre neue männliche Bekanntschaft ist auch auf der Suche, nach einem weiblichen Opfer, nach einem Katalysator für emotionale Misshandlung, zur Erniedrigung und zum Abladen seiner Befindlichkeiten. Das stellt für ihn den Hauptteil einer Beziehung dar.

Steffi schließt ihr Tagebuch wieder in die Stahlkassette ein und versteckt diese in ihrem Kleiderschrank. Der Schlüssel wird in ihrem Kosmetiktäschchen verwahrt, was sie immer bei sich hat, wenn sie das Haus verlässt. Vom Bett aus schaltet sie das Fernsehgerät ein. Das ist alles nicht gesund, aber sie kann nur so einschlafen. Irgendwann ist ihr der Kissenturm zu viel und alle Kissen werden zur Seite geworfen und sie schläft auf dem Kopfkissen weiter.


Die Woche nach dem Kennenlernen

Am frühen Morgen trinkt Steffi nur Kaffee und isst ein Vollkornbrot mit Käse ohne Butter. Sie hat ihre eigene, kleine Küche und will nicht, dass ihre Mutter früher aufsteht, um ihr das Frühstück zu machen. Die meiste Zeit braucht sie zum dezenten Schminken. Sie findet ihr Gesicht nur durchschnittlich, besonders morgens. Die Form gefällt ihr nicht, der Mund ist zu groß und die graugrünen Augen sind zu klein. Da muss sie immer reichlich nachhelfen, um sie größer erscheinen zu lassen. Die langen Haare sind der Hingucker.

Die Autofahrt zur Arbeit erfordert jeden Tag Steffis volle Konzentration. Berlin am Morgen ist verkehrstechnisch gesehen, unerträglich stressig. Es wird zu viel gebaut und an einigen Stellen quält sich der Verkehr einspurig durch die Straßen. Natürlich könnte sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, aber Steffi muss von Berlin-Karlshorst mehrere Kilometer laufen, ehe sie den S-Bahnhof oder einen U-Bahnhof erreicht hat. Dann schließt sich die Fahrzeit an und eine weitere Fußstrecke bis an ihren Schreibtisch. Das ist insgesamt gerechnet nicht schneller und funktioniert überhaupt nur, wenn die Bahnen fahren.

Mit dem Auto bis an die Bahnhöfe vorfahren, die in der Nähe ihrer Wohnung liegen, geht auch nicht, weil die Parkplätze dort immer besetzt sind. Jedenfalls um zehn vor sieben, wenn sie einen Parkplatz benötigt. Um halb acht beginnt ihre Arbeitszeit im Büro in der Mitte der Stadt, in der Nähe des Alexanderplatzes. Steffi hat, entsprechend ihres kaufmännischen Berufs, einen schönen und gut bezahlten Arbeitsplatz in einer kleinen Firma, aber mit einer 40-Stunden-Woche. Hier beschäftigt sie sich mit der Lohnabrechnung von anderen kleinen Firmen. Wenn keine Überstunden anfallen, kann sie um halb Fünf nach Hause fahren.

Die junge Frau hat die Parkplätze für Mitarbeiter erreicht, die auf dem Hof des Gebäudes angeordnet sind und sitzt pünktlich an ihrem Schreibtisch, wie meistens. Heute ist so ein Tag, wo der Computer die Arbeit übernimmt und sie den Drucker überwachen muss. Also schweifen ihre Gedanken wieder zu diesem Mann, diesem Taxifahrer, dessen Daten sie jetzt in ihr Smartphone eingibt. Anschließend holt sie ihren privaten Taschenkalender aus ihrer Handtasche, um sich Notizen zu machen.

Es bleibt dabei, wie ich mir das vorgenommen habe, heute wird noch nicht angerufen. Aber ich kann mir schon ein paar Fragen überlegen. Was muss ich zuerst wissen? Ob er Kinder hat? Dann muss ich fragen, warum er allein lebt, ob er geschieden oder verwitwet ist. Sein Tierkreiszeichen wäre interessant. Weil ich Widder bin, klappt es, aus mir nicht bekannten Gründen, mit männlichen Skorpionen oder männlichen Zwillingen überhaupt nicht. Eventuell könnte ich in dem Zusammenhang nach seinem Alter fragen? Dann sollte ich bei der Gelegenheit gleich verraten, wie alt ich bin. Meine dreiunddreißig Jahre sieht man mir nicht unbedingt an. Ich werde höchstens Ende zwanzig geschätzt. Vielleicht hat er das auch so geschätzt und wenn er weiß, wie alt ich tatsächlich bin, gefällt ihm das gar nicht?

Steffi steht auf und sieht nach den Druckfahnen. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Ihre gegenüber sitzende Kollegin ist heute gar nicht gesprächig, sondern beschäftigt sich privat, mit ihrem Tablet. Das ist natürlich nicht jeden Tag so, dass man hier im Büro private Dinge erledigen kann, aber manchmal.

Es ist Zeit für das zweite Frühstück. Die Kollegin bedient die Kaffeemaschine und Steffi sucht im Kühlschrank nach ihrem Essvorrat. Sie hat nichts mehr. Dann muss sie durchhalten bis um zwölf Uhr, wenn Essen auf Rädern kommt. Nachmittags gibt es nochmal Kaffee und irgendetwas Süßes dazu, falls vorhanden.

Eigentlich dürfte ich von all dem nicht dick werden, aber die Gewichtszunahme entsteht wohl aufgrund einer Melange der sitzenden Tätigkeit und der guten Küche meiner Mutter.

Endlich ist der Arbeitstag zu Ende.

Jetzt will Steffi noch in den Reitstall fahren und anschließend erst nach Hause. Zweimal in der Woche reitet sie mit dem Pferd einer Bekannten. Der fast schwarze Wallach hört auf den schönen Namen Shakan und ist von der Rasse her ein arabisches Vollblut. Da sie dieser Leidenschaft zu reiten schon von Kindheit an nachgeht, verfügt sie über einen festen Po, feste Brüste und eine stabile Scheidenmuskulatur. Das sind schon Vorteile, die ein Mann aber erst bemerkt, wenn er mit ihr intim wird. Leider verliert Steffi beim Reiten keine Pfunde, sondern kann nur ihr Gewicht halten und fatalerweise nimmt sie zu, wenn sie mal ein paar Wochen nicht reitet.

Der Reitstall ist frauenlastig. Hier kann man niemand kennenlernen, der sich für eine Beziehung eignet. Die Männer, die sich hier blicken lassen, sind entweder die Partner der Reiterinnen oder die längst vergebenen Schmiede und Tierärzte.

Shakan ist heute sehr gehfreudig und bemüht sich, auf dem Reitplatz alles richtig zu machen.

Durchgeschwitzt vom Reiten, aber sehr entspannt, fährt die Reiterin nach Hause zurück.

Steffi ist sehr tierlieb. Doch das einzige Tier, was sie je ihr Eigen nennen durfte, war der Kater Romeo. War, denn sie konnte ihn nicht in ihre Beziehungen mitnehmen. Romeo musste bei ihren Eltern bleiben und das hat er seinem Frauchen nie verziehen. Auch nach ihrer Rückkehr, vor einem guten Jahr, macht er täglich deutlich, dass er jetzt der Kater ihrer Eltern ist.

Romeo ist ein Mix. Die Mutter ist eine norwegische Waldkatze und der Vater ist unbekannt. Der Kater hat langes, grau-braunes und gestromtes Haar, auch im Sommer. Inzwischen in die Jahre gekommen, braucht er viel mehr Streicheleinheiten als früher. Die bekommt er auch von Steffi, wenn sie mal Zeit für ihn hat. Dann konzentriert sich ihre ganze Tierliebe auf ihn. Ein weiteres Tier will sie sich nicht leisten. Erstens, aus zeitlichen Gründen und zweitens, aus Gründen der angestrebten neuen Partnerschaft. Ein in die Beziehung eingebrachtes Haustier würde die neue Situation noch mehr verkomplizieren, egal ob es sich um einen Hund oder um eine Katze handelt.

Am nächsten Tag ist Steffi aufgeregt und unruhig, wie immer, wenn sie einen neuen Mann kennengelernt hat. Im Büro überlegt sie zum wiederholten Mal, von welchem Ort aus, sie das erste Telefongespräch führen will. Hier geht das auf keinen Fall. Zu Hause läuft sie Gefahr, dass ihre Eltern mithören. Es sei denn, sie geht auf den zu ihrer Wohnung gehörenden Balkon und schließt die Tür. Aber sie hat ja ihr Auto, was zum Telefonieren nur in einer ruhigen Straße parken müsste.

Endlich Feierabend. Steffi kämpft sich mit dem Honda* durch den Straßenverkehr bis nach Berlin-Karlshorst. Dort sucht sie eine geeignete Seitenstraße, findet eine Parklücke, packt das Smartphone und das Notizbuch mit ihren Fragen aus und wählt die Nummer des Taxifahrers. Sie hört keinen Rufton, sondern die Mailbox springt an und präsentiert die automatische Bandansage. Steffi möchte nichts aufsprechen, sondern drückt die rote Taste. Es ist siebzehn Uhr und dreizehn Minuten.

Hat er nicht gesagt, ab sechzehn Uhr? Ich möchte jetzt nicht spekulieren, warum er nicht ran gegangen ist, sondern werde erst mal in den Biomarkt am Bahnhof einkehren. Ich kann es ja nachher auf dem Parkplatz noch mal versuchen.

Das Einkaufen im Biomarkt nimmt Steffi ganz gefangen und sie hört auf, an ihren telefonischen Fehlversuch zu denken. Es ist sehr interessant hier und könnte so entspannend sein, wären da nicht die vielen anderen Kunden. Sie kauft nur wenig, weil sie ja abnehmen will.

Wieder zurück im aufgeheizten Auto, schlägt Steffi erneut ihre Notizen auf und tippt auf die Wahlwiederholung. Ein gedehntes Ja ertönt auf der anderen Seite.

„Guten Abend, hier ist Steffi Malorny. Ich bin die Frau, die Sie vorgestern, abends vom Alex nach Karlshorst gefahren haben, und ich wollte mal fragen, ob Sie jetzt Lust haben, mit mir zu telefonieren.“

Pause.

„Hallo, ich erinnere mich an Sie. Im Prinzip ja, aber ich bin gerade erst aufgestanden und kann noch nicht richtig sprechen. Erzählen Sie mal was von sich.“

Darauf ist Steffi nicht so wirklich vorbereitet. Sie wollte ihn eigentlich ausfragen. Es zischt in der Leitung, wie Wasser, was man in einen leeren heißen Topf gießt.

„Ich komme gerade von meiner Arbeit im Büro und wollte jetzt nach Hause. Sie hatten mir vorgestern erzählt, dass Sie gern telefonieren und deshalb rufe ich mal an.“

„Ja, das stimmt. Ich telefoniere gern. Gerade eben habe ich mir einen Espresso einlaufen lassen. Der ist aber viel zu heiß zum Trinken. Wenn ich den erst mal intus habe und der wirkt, geht es mir besser, und dann können wir miteinander sprechen.“

Dieser Satz klang doch schon recht klar. Der Mann hat eine wunderbare tiefe Stimme, wie ein guter Synchronsprecher, fällt Steffi auf. Klingt am Telefon noch viel schöner als im Taxi.

Trotzdem will sie sich nicht am Telefon offenbaren und sagt lieber:

„Dann rufe ich eben ein anderes Mal an. Vielleicht habe ich da mehr Glück.“

„In einer Stunde wäre es mir recht oder morgen ab sechzehn Uhr.“

„Tschüss“, sagt sie schnell und drückt die rote Taste. Da ihre Smartphone-ID zurzeit nicht unterdrückt ist, müsste er jetzt ihre Nummer haben.

In einer Stunde kann ich nicht anrufen. Da bin ich längst zu Hause und muss mich zu meinen Eltern setzen. Also werde ich es morgen noch mal versuchen. Was ist das für eine Art? Da kann er sich doch erklären, kann sagen, dass er verschlafen hat. Er geht gar nicht darauf ein, dass er ab 16 Uhr gesagt hat und nach siebzehn Uhr immer noch nicht gesprächsbereit war. Er fragt nicht: Kann ich Sie zurückrufen? Oder darf ich Sie zurückrufen, wenn ich mal Fahrpause mache? Sein Interesse an mir scheint schon erkaltet zu sein.

Enttäuschung macht sich in Steffi breit. Als sie im Haus ihrer Eltern ankommt, meint ihre Mutter erklären zu müssen, wie viel Sorgen sie sich gemacht hat, weil Steffi nicht angerufen hat und es sei doch schon nach halb acht. Da kommen der Tochter echte Tränen. Sie sagt nur:

„Ich habe schon zu Abend gegessen“, und geht die Treppe hoch in ihre Wohnung.

Das kann ich jetzt nicht, mir das Gerede meiner Eltern anhören. Ich kann mich jetzt nicht hinsetzen und in meine Enttäuschung hineinsteigern, weder bei meinen Eltern noch in meiner Wohnung. Ich muss was tun, um mich abzulenken.

Steffi räumt den Kühlschrank ein und bestückt ihre Waschmaschine. Dann gießt sie sich ein Glas Weißwein ein, nimmt ihr Lesegerät und setzt sich auf den kleinen Balkon. Eine milde Abendluft strömt auf sie zu. Es sind dreiundzwanzig Grad. Sie versucht, sich auf das Lesen eines Liebesromans zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweifen ständig ab.

Das Leben könnte so schön sein, wenn man einen passenden Partner hätte. Ist das denn schwerer, als es früher war? Sind die Frauen komplizierter geworden, im Rahmen der sogenannten Emanzipation? Ich glaube, wenn man verkrampft nach einem Partner sucht, so wie ich, wird das nichts.

Aber, diese Begegnung mit dem Taxifahrer war doch ein Zufall. Oder? Ich hätte ja in ein anderes Taxi steigen können. Er hatte mir doch seine Karte gegeben und nicht ich und er hatte mich ermuntert anzurufen und nicht umgekehrt.

Sie schaltet das Lesegerät wieder aus und holt ihr Tagebuch aus der Kassette.

Dann schreibt sie die privaten Ereignisse des Tages auf. Die fertige Wäsche kommt auf den Wäscheständer und bleibt über Nacht auf dem Balkon. Der Taxifahrer ruft nicht zurück. Steffi beschließt, morgen wieder anzurufen. Nach Mitternacht ist sie endlich vor dem TV-Gerät eingeschlafen.

Am nächsten Tag das gleiche Prozedere. Steffi fährt nach der Arbeit bis zu ihrem Wohnort, parkt ein und ruft an. Eine Weile ertönen das Freizeichen und dann seine Stimme. Diesmal ein lautes tiefes Ja.

„Hallo, ich bin es wieder, Steffi. Freue mich, dass Sie wach sind.“

Im Hintergrund scheint der Fernseher zu laufen.

„Heute bin ich schon ein paar Stunden auf und schon beim dritten Kaffeetopf.“

Ein „Ich-freue-mich-auch“ oder „Hallo-wie-geht-es“ kommt nicht zurück.

„Wann fängt Ihre Schicht an?“, fragt Steffi.

„Wenn ich keine Vorbestellung habe, fängt die Schicht an, wann ich sie anfangen lasse.“

„Das können Sie also selbst bestimmen?“

„Ja, ich bin doch selbständig“, klingt es ungehalten.

„Und demnach bestimmen Sie allein, ab wann Sie nicht mehr fahren wollen. Oder?“

Keine Antwort.

Die Geräusche aus dem TV-Gerät treten in den Hintergrund. Dafür ist plötzlich Autoverkehr zu hören.

„Stehen Sie jetzt draußen?“, fragt Steffi.

„Jein, ich stehe auf dem Balkon.“

Steffi wagt sich vor:

„Ich finde, wir sollten uns duzen. Ich biete Ihnen das an, weil ich die Jüngere bin.“

Anstatt er jetzt fragt: Woher wollen Sie wissen, dass Sie jünger sind? Oder sagt: Ja, ich bin einverstanden, kommt nichts. Er schweigt.

Steffi greift das Du trotzdem auf und sagt:

„Wie du weißt, heiße ich Steffi. Meine Freunde nennen mich Steffi. Nun erzähl doch mal etwas von dir, Tomas. Hast du Kinder?“

„Nicht, dass ich wüsste“, lautet die vielsagende Antwort.

„Ich habe auch keine“, antwortet Steffi. Ganz bewusst vermeidet sie die Formulierung „noch keine“. Das treibt Männer in die Flucht, die keinen Kinderwunsch haben.

„Weißt du was?“, sagt er plötzlich und unerwartet. „Ich schlage vor: Wir treffen uns am nächsten Dienstag. Ich hole dich um siebzehn Uhr am S-Bahnhof Südkreuz ab und wir gehen essen. Ich bin heute nicht so gesprächig.“

Steffi überlegt einen Moment und sagt schnell:

„Ja, okay und tschüss.“

„Tschüss, tschüss“, kommt aus dem Lautsprecher.

Sie ist wieder enttäuscht von diesem Dialog mit ihm, aber tröstet sich mit der Vorstellung, dass sie jetzt verabredet ist.

Sie denkt:

Das Schönste am Gespräch war seine Stimme. Ansonsten hatte ich das Gefühl, als wenn er lieber Fernsehen oder vom Balkon sehen wollte und ich ihn gar nicht interessiere. Dann schlägt er ein Treffen vor, fragt aber nicht, ob mir Ort und Uhrzeit recht sind. Der Bahnhof Südkreuz ist für mich am Ende der Welt und bis siebzehn Uhr schaffe ich das nur, wenn ich meine Arbeit früher beende. Auch muss ich mir überlegen, wie ich das mit meinem Auto mache. In der Parktasche, hinter dem Gebäude, wo ich arbeite, kann es nicht einfach stehen bleiben. Da wird nachts das Hoftor abgeschlossen und ich kann es nicht mehr holen, um damit nach Hause zu fahren. Von meiner Arbeit aus mit dem Auto weiterfahren bis Südkreuz ist stressig und garantiert nicht, dass es dort in Bahnhofsnähe Parkplätze gibt. Das ist eine Kombination aus Stadt- und Fernbahnhof. Normalerweise hätte er sagen müssen: Komm ohne Auto. Ich fahre dich abends zurück. Aber…, er hat es nicht gesagt.

Steffi ahnt nicht, dass er sich mit diesem ablehnenden Verhalten nur interessant machen will. Tomas spielt vor, ihre Bekanntschaft nicht nötig zu haben.

Sie beschließt, erst mal nach Hause zu fahren und mit ihren Eltern zu Abend zu essen. Sie will rechtzeitig da sein, weil die Mutter ab und zu vergisst, dass sie ja vegetarisch essen möchte. Viele Diskussionen hat es darüber schon gegeben. Heute soll das nicht wieder passieren.

In der Küche ihrer Eltern angekommen, brät die Tochter für alle drei panierten Käse auf zwei Pfannen. Nach dem Essen und wie fast jeden Abend, strebt ihr Vater gegen zwanzig Uhr zu seinem Sessel, um die Tagesschau auf sich wirken zu lassen, und mit seinem Rückzug gilt das Abendessen als beendet.

Die Mutter wechselt nur ein paar Worte mit ihrer Tochter und setzt sich auch vor das TV-Gerät.

Nun ist Steffi froh, in Ruhe in ihrer Wohnung überlegen zu können, was sie Dienstag zu ihrer Verabredung anzieht.

Es ist zwar noch drei Tage hin bis Dienstag, aber es kann sein, dass ich noch etwas waschen muss. Ich muss attraktiv aussehen, aber auch nicht „overdressed“, wie das so modern heißt. Der Mai ist gerade sehr warm, was sich aber bis Dienstag noch ändern kann. Trotzdem entscheide ich heute schon, über die Bekleidung für den ersten Treff. Ein Top sieht immer gut aus und dazu eine knielange Sommerhose. Mit meinen hohen Keilabsatz-Sandalen kann ich gut laufen. Eine passende helle Sommertasche und ein Blazer für den Abend, nehme ich auch mit.

Schmuck und Schminke sollen gesucht und sortiert werden Welcher Schmuck passt zum Outfit? Welchen Lidschatten, welcher Nagellack, welches Make-up werde ich benutzen?

Wenn sich bei dieser Verabredung keine Harmonie einstellt, ist dieser Mann für mich Geschichte, schreibt sie in ihr Tagebuch.


Das erste Date

Es ist Dienstag, der 15. Mai. Tomas hat an den letzten Tagen nicht angerufen und Steffi auch nicht. Sie wollte es aber tun, jeden Tag, um zu fragen, ob sie mit dem Auto kommen soll. Am Wochenende hatte sie keine Gelegenheit. Die Mutter kam mit kleinen vorgeschobenen Problemchen mehrmals nach oben, bis in ihre Wohnung. Auf keinen Fall dürfen die Eltern merken, dass sie einen Mann kennengelernt hat, mit dem sie telefoniert.

Nachts scheint Tomas im Fahrstress zu stehen, sonst würde er doch wenigstens mal eine SMS schicken. Gestern, am Montag hatte Steffi Angst, er würde die Verabredung wieder absagen, wenn sie anruft.

Nun hat sie entschieden, zunächst mit der Bahn zur Arbeit und danach, auch mit der Bahn, zum Südkreuz zu fahren. Mit ihrem Chef hat Steffi schon geklärt, dass sie heute eine halbe Stunde früher gehen kann. Das Make-up ist gelungen, die gestern gewaschenen und heute aufgeföhnten Haare werden offen getragen. Es ist ein kühler Tag. Sonntag hat es einen Temperatursturz gegeben.

In der S-Bahn ist es zum Glück warm. Steffi muss zweimal umsteigen. Es ist zehn Minuten vor siebzehn Uhr, als sie auf dem S-Bahnhof Berlin-Südkreuz ankommt. Jetzt kann sie sich Zeit lassen. Sie blickt noch mal in den Taschenspiegel und läuft langsam über den Bahnhof und die sich anschließenden Treppen hinunter. Es gibt anscheinend nur einen Ausgang.

Ich habe gar nicht gefragt, wo genau ich warten soll. Er wird mit seinem Taxi kommen? Oder? Vielleicht hat er noch einen Zweitwagen, mit dem er privat fährt.

Als Steffi an allen Geschäften in der Bahnhofshalle vorbei ist, geht sie durch die Schwingtür nach draußen. Die Sonne scheint ohne Wolkenschleier. Kurz vor dem Untergehen, steht sie schon tief und blendet. Gegenüber, etwa vierzig Meter weiter weg, stehen zahlreiche Taxen, leer und mit Fahrer. Eine kleine Männergruppe, bestehend aus drei Fahrern, unterhält sich.

Verdammt, ich sehe ihn nicht. Weil ich sein Autokennzeichen nicht weiß, kann ich mir das Laufen zu den Halteplätzen sparen. Das Taxi ist ein Mercedes*, vermutlich eine E-Klasse. Es war keine Werbung am Auto, weder an den Türen noch auf dem Dach. Das ist das Einzige, was ich mir gemerkt habe.

Steffi läuft auf dem breiten Bürgersteig vor dem Bahnhof auf und ab. Zur rechten Seite ist eine Bushaltestelle und zur linken ein Café mit Stühlen und Tischen davor und Sonnenschirmen darüber.

Der hat mich veralbert, schießt es mir gerade heiß durch den Kopf. Ich bin so doof, wie ein pubertierendes Schulmädel. Wie lange soll ich hier warten? Mehr, als die Einhaltung der akademischen Viertelstunde, ist wohl keine Pflicht.

Ein Blick auf ihre Funkuhr zeigt an. Es fehlen noch dreißig Sekunden bis siebzehn Uhr.

Wütend kehrt Steffi um und will in die Bahnhofshalle fliehen. Da hupt es zweimal hinter ihr. Sie dreht sich um. Ein Taxi legt langsam am Bordstein an und es öffnet sich die Beifahrertür. Steffi zögert nicht einen Wimpernschlag, obwohl sie nicht erkennen kann, wer hinter dem Lenkrad sitzt, eilt zu diesem Wagen und steigt vorn ein. Der Fahrer reicht ihr vom Sitz aus stumm die Hand und schaut ihr für den Bruchteil einer Sekunde ins Gesicht.

Steffi erwidert seinen Händedruck und sagt:

„Hallo Tom. Ich würde dich gern so nennen.“

Er ist es, denkt sie. Ich erkenne ihn wieder, auch wenn er jetzt nicht spricht.

Sie möchte etwas sagen. Fragen, warum sie hierher kommen sollte. Sie möchte erzählen, dass sie früher von der Arbeit los musste und zweimal umgestiegen ist, aber sie wagt es nicht.

Der Fahrer sitzt mit versteinertem Gesicht neben ihr.

„Hast du Hunger?“, fragt er plötzlich.

„Ja“, antwortet die Beifahrerin.

Das Taxi quält sich durch belebte Straßen. Steffi war hier noch nie.

Wenn der mich jetzt in den Wald fährt, bin ich auf den ältesten Trick seit der Erschaffung des Mannes hereingefallen.

„Wo fahren wir denn hin?“, fragt sie und ärgert sich anschließend über ihre blöde, nach Angst klingende Frage.

„Ich denke, du hast Hunger“, lautet die Antwort.

„Ja, hab ich.“

„Wir sind gleich da.“

Es beginnt die Parklückensuche am Straßenrand. Endlich ist eine Lücke zu sehen und ohne einmal zu stocken, gleitet das große Auto hinein.

„Pass auf, wenn du die Tür öffnest“, sagt der Fahrer.

Steffi steigt vorsichtig aus und schlägt die Tür zu.

Diesmal hat er mir nicht aus dem Auto geholfen, denkt sie.

Tomas zündet sich eine Zigarette an. Beide laufen schweigend nebeneinander her, circa fünf Minuten bis zu einem Restaurant, was draußen zahlreiche Gartenmöbel und große Schirme hat.

Er ist also Raucher. Das habe ich am Kennenlerntag nicht gerochen. Vielleicht, weil in allen Taxen Berlins sowieso Rauchverbot ist.

Außen, ganz am Ende ist ein Vierertisch frei, der durch die letzten Sonnenstrahlen ein bisschen erwärmt wird. Eigentlich wäre es aufgrund der Temperaturen angenehmer, im Gastraum Platz zu nehmen. Tomas setzt sich als Erster an den Vierertisch. Steffi wagt keinen Einwand und setzt sich gegenüber.

Kaum haben die beiden ihre Plätze eingenommen, bringt eine Serviererin die Karten. Die von der Anreise gestresste junge Frau atmet auf: Auch ein vegetarisches Angebot ist ausgeschrieben. Sie sucht sich einen Schoppen Weißwein aus, und Tomas bestellt sich einen Spezi. Davon hat Steffi schon gehört, aber sie kann nicht verstehen, wie man so einen süßen Mix aus Fruchtsirup und Cola trinken kann. Zum Glück haben die einzelnen Gerichte Nummern. Steffi hat sich die dreiundzwanzig, ein Brokkoli-Gratin, ausgesucht und ihr Gegenüber nennt der Serviererin auch eine Zahl.

„Wo sind wir denn hier?“, fragt Steffi jetzt, um ein Gespräch zu beginnen.

„Wir sind in Lichtenrade“, antwortet er und zündet sich erneut eine Zigarette an. „Ich wohne hier in der Nähe“, sagt er mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Du rauchst ja nicht. Oder?“

„Nein, aus dem Alter bin ich heraus.“

Wenn der gedacht hat, ich komme nach dem Essen mit in seine Wohnung, muss ich ihn enttäuschen, nimmt sich Steffi vor.

Doch zunächst entwickelt sich alles recht positiv. Tomas beginnt von sich zu erzählen:

„Weißt du, weil ich allein lebe und das Kochen nicht mein Hobby ist, esse ich viel am Imbiss in der Stadt, aber einmal in der Woche sollte man sich schon ein besseres Gericht leisten.“

„Warum lebst du allein? So ein gut aussehender, netter Mann wie du, muss doch nicht allein leben.“

„Danke, danke, ich weiß es nicht. Die Frauen verlassen mich alle oder betrügen mich oder beides. Meine letzte Freundin, die ich ein Jahr lang kannte, bevor wir drei Jahre zusammen gelebt haben, die wollte ich sogar heiraten, und was meinst du, was sie dazu gesagt hatte?“

„Weiß ich nicht.“

„Sie hatte gesagt: Eine Eheschließung ist die Sterbehilfe der Liebe. Eines Tages war sie verschwunden und mit ihr alles, was in unserer gemeinsamen Wohnung von Wert war. Anscheinend war ihre Liebe auch ohne Hochzeit gestorben. Bis zum heutigen Tag habe ich ihr Verschwinden nicht verarbeitet, und ich habe keine Ahnung, warum sie mich verlassen hat.“

Das kann ich alles nicht nachprüfen, denkt Steffi. Männer spielen auch gern das Opfer, wenn es um kaputte Beziehungen geht, nicht nur die Frauen.

„Gab es keine Vorwarnung und hast du denn nicht versucht, um deine Partnerin zu kämpfen?“

„Nein, dazu war ich gar nicht in der Lage. Ich war völlig traumatisiert. Eine Adresse hatte sie mir dagelassen, falls noch Post für sie ankommt. Ich bin hingefahren, habe mich aber nicht gemeldet, weil zwei Namen am Briefkasten standen, was für mich der nächste Schock war. Ich hätte nie gedacht, dass sie einen anderen hat, mit dem sie gleich zusammenzieht. Nachfolgend musste ich mir eine neue Behausung suchen, denn unsere gemeinsame Wohnung, war recht groß und befand sich in einer sehr guten Wohnlage. Die Miete konnte ich nicht allein bezahlen. Meine ersten Möbel für meine neuen Vier-Wände habe ich auf Kredit gekauft.“

Die Serviererin kommt mit dem Essen und unterbricht die Erzählung von Tomas. Steffi bestellt sich noch einen Schoppen Wein.

Dann sagt Tomas plötzlich:

„Was willst du denn essen? Soll das die Vorspeise sein?“

„Nein“, antwortet Steffi. „Das ist Gratin und ist laut Karte durchaus als Hauptgericht gedacht. Ich muss ein bisschen aufpassen mit meiner Figur, und ich will nachher ein Dessert essen oder ein Eis.“

Dass sie nach Möglichkeit vegetarisch isst, will sie mit ihm an diesem Tisch nicht diskutieren.

„Na, dann iss mal erst mal das, damit es nicht kalt wird“, sagt er zu ihr, wie zu einem kleinen Kind.

Das Gratin ist sehr heiß, kommt vermutlich gerade aus der Backröhre oder aus der Mikrowelle und Steffi kann mit dem Essen noch gar nicht anfangen.

Tomas hat irgendwelches Fleisch in einer Soße auf dem Teller. Eine Schüssel Reis und ein Salat gehören anscheinend auch zum Gericht. Die Serviererin hat diverse Soßen und Gewürze auf den Tisch gestellt. Vermutlich kehrt er hier öfter ein und es ist bekannt, dass er sein Essen gern scharf mag.

Er kaut jetzt schweigend, und Steffi ist lieber still. Anscheinend mag er es nicht, wenn beim Essen gesprochen wird. Beide sind fast zur gleichen Zeit mit dem Essen fertig, und er raucht die Zigarette danach.

Als die Serviererin zum Abräumen kommt, bestellt er sich einen Tee mit Honig, und Steffi bestellt eine kleine Flasche Wasser.

„Ja, wo waren wir stehen geblieben?“, nimmt Tomas das Gespräch wieder auf. „Wir waren bei meiner Ex. Vielleicht kannst du dir vorstellen, welche harten Zeiten seitdem für mich angebrochen sind. Der Umzug, die Kaution für die neue Wohnung und der Kredit für die Möbel. Ich muss jede Nacht fahren, um meine Zahlungen rechtzeitig tätigen zu können, habe keinen freien Tag und keinen Urlaub. Nur wenn ich mal krank bin, bleibe ich zu Hause.“

„Die Unkosten für die neue Wohnung hatte sie doch auch“, bemerkt Steffi.

Das Gesicht von Tomas wird zu einer bösen Maske.

„Sag mal, ich versuche dir etwas zu erzählen, und du hörst gar nicht zu. Sie ist ja vermutlich mit irgendjemand zusammen gezogen, also haben sich ihre Kosten wohl in Grenzen gehalten. Du kannst keinen Blickkontakt halten, sondern betrachtest dir die Leute, spielst gelangweilt mit der Serviette und machst so einen geistlosen Zwischenruf.“

Wie ein ausgeschimpftes Kind, starrt Steffi ihn fassungslos an.

„Ich kann es für den Tod nicht leiden, wenn mich jemand unterbricht“, sagt er laut zu ihr, zu laut.

Die Serviererin steht am Nebentisch, schaut herüber und lächelt.

Was mach ich jetzt? Suche ich einen Schein aus meiner Geldbörse, stehe auf, werfe ihn auf den Tisch und gehe? Versuche ich, meinen „Zwischenruf“ zu erklären? Oder wehre ich mich laut, wie eine beleidigte Ehefrau?

Steffi geht den Weg des geringsten Widerstands, sagt nichts und blickt in plötzlich kalt gewordene Augen ihres Gegenübers.

Er nimmt den Faden wieder auf und erzählt weiter, als wenn nichts gewesen wäre:

Was das für eine tolle Frau war. Die hatte Kellnerin gelernt, in einem gut gehenden Laden gearbeitet und durch die Trinkgelder sehr viel Geld verdient. Jedes Jahr hatten sie mindestens eine lange Auslandsreise gemacht. Er war schon zweimal in der Karibik und auch in Asien. Aber das ist jetzt alles vorbei, weil er sich keinen Urlaub mehr leisten kann.

Steffi bemüht sich um Blickkontakt.

„Du hörst doch immer noch nicht zu“, sagt er, wieder viel zu laut.

„Wie kommst du darauf, dass ich nicht zuhöre? Ich höre dir zu. Wie lange ist denn das alles her?“

„Lass mich mal überlegen. Das war im Jahre 2002.“

„Da sind doch inzwischen zehn Jahre vergangen und du erzählst es so, als wäre es gestern passiert.“

„Anscheinend verstehst du das nicht. Für mich fühlt es sich so an, als wenn es gestern gewesen wäre.“

„Warst du denn mal bei einem Psychologen, wenn du die Trennung so schlecht verarbeiten kannst?“

„Nein, dazu habe ich weder Zeit noch Geld.“

„Ich war mal bei einem Psychologen in Behandlung, als sie noch da war, wegen Burnout.“

Die Serviererin kommt vorbei und Steffi bestellt sich einen großen Eisbecher mit Sahne und er nimmt ein Tiramisu und einen Kaffee dazu. Es ist nach neunzehn Uhr.

Tomas sieht aus, als hätte Hertha BSC verloren. Steffi weiß nicht, wie sie ihn wieder aufmuntern soll. Nach gefühlten fünf Minuten kommt die Kellnerin erneut und bringt das Gewünschte. Beide genießen schweigend.

„Wir möchten bezahlen“, sagt er.

„Einzeln oder zusammen?“

„Einzeln“, lautet seine kurze Antwort.

Es dauert eine Weile, bis Steffi den riesigen Eisbecher verputzt hat. Die Serviererin bringt zwei Rechnungen auf zwei Tellern. Das Paar legt Scheine und Münzen auf den Teller. Jeder für sich. Als das Geld angenommen wird, packt er noch drei Euro dazu und sagt:

„Hier, noch was für dich.“

„Danke“, kommt leise von der Dame mit der Kellner-Geldbörse.

Er steht sofort auf, zündet sich wieder eine Zigarette an und beide laufen gemeinsam zur Straße. Es ist inzwischen richtig kalt. Steffi ist barfuß in hohen Sandalen und hat ihre Capri-Hose an, dadurch friert sie an den Beinen. Nur der Blazer hält ein bisschen warm.

Die Kellnerin war ihm also bekannt. Er hat sie geduzt. Aber warum hat er ihr so betont ein Extra-Trinkgeld gegeben, wie ein Angeber? Er hätte die Münzen doch gleich mit auf den Teller legen können. Meine Rechnung durfte ich selbst übernehmen. War ich nicht eingeladen? Eigentlich hat er das nicht so direkt gesagt, aber ich habe es gedacht.

Schlendernd und stumm kommen beide am Auto an.

„So, ich fahre dich jetzt zum Südkreuz, denn ich muss mal langsam anfangen zu arbeiten, sonst kommt nichts zusammen bis morgen früh.“

Der Taxifahrer öffnet per Klick die Autotüren.

Als Steffi im Taxi sitzt, sagt sie:

„Ich würde mich freuen, wenn du mich nach Hause fahren könntest. Mir ist kalt. Ich bin ohne Auto.“

„Das sagst du erst jetzt“, poltert er los. „Dann hätten wir früher aufstehen müssen. Jetzt soll ich bis nach Karlshorst fahren, obwohl ich im Westteil der Stadt arbeite?“

„Ich denke, du bist selbstständig und kannst dir das aussuchen.“

„Du unterbrichst mich schon wieder. Ich war noch nicht fertig. Im Prinzip kann ich mir das aussuchen, aber ich bin auf meine Funkgesellschaft angewiesen, die überwiegend im Westteil vermittelt. Die bekommen jeden Monat ein „Schweinegeld“ von mir, und zwar einen festen dreistelligen Betrag gleichgültig, ob sie mir hundert Fahrten vermittelt haben, oder gar keine. So nun bist du dran.“

„Die Details hätten wir am Telefon besprechen können, aber du hast mich nach deiner Einladung nicht mehr angerufen.“

„Also, warum bist du nun ohne Auto gekommen? Wie kann man ein Auto haben und damit nicht fahren? Du hättest es doch hier irgendwo abstellen können. Du musst doch nicht unbedingt Wein zum Essen trinken. Oder? Ich trinke gar keinen Alkohol. Nicht nur aus beruflichen Gründen, sondern, weil ich nichts davon halte.“

„Ich bin nicht mit dem Auto gekommen, weil ich dachte, dass du mich nach Hause fährst. Wir hätten uns während der Fahrt noch unterhalten können. Auch nahm ich an, dass du frei hast und wenn nicht, könntest du ja von Karlshorst aus deine Schicht beginnen.“

„Vielleicht habe ich es am Telefon nicht erwähnt, sondern erst heute, aber ich habe selten bis nie frei. Im Osten gehen die Fahrten meist nur in die Plattenbausiedlungen. Da kenne ich mich nicht aus. Eine grauenhafte, unlogische Nummerierung der Wohnblöcke führen oft dazu, dass man ewig nicht wieder herausfindet und dadurch Zeit verliert. Meistens gibt es in den schmalen Einbahnstraßen keine Wendemöglichkeit. Alles in allem, vergiss es!“

Steffi fühlt sich erneut angemeckert und zieht es vor zu schweigen. Sie denkt nach:

Was ist das nur für ein Mann? Es muss alles so laufen, wie er sich das vorgestellt hat. Ich kann doch nicht wissen, was es bei ihm für arbeitsmäßige Besonderheiten gibt. In dem Gartenlokal hat er ja wenigstens mal über sich geredet, aber er hat mich behandelt wie ein Schulkind. Wie aggressiv er zwischenzeitlich wurde, nur weil ich zu seinem Beziehungsdrama, etwas gesagt habe. Dieser Mann ist auch wieder nichts für mich. Das wird nichts mit uns beiden.

Mit einem Blick zur linken Seite sieht sie einen in uneleganter Schonhaltung über dem Lenkrad hockenden Fahrer, der jetzt nicht mehr privat, sondern schon beruflich unterwegs ist. Sein Gesicht ist ernst, wirkt eingefroren. Steffi versucht, ihn durch Anstarren aus dieser Rolle zu holen. Aber anscheinend macht es ihm nichts aus angestarrt oder beobachtet zu werden. Das ist er wohl von seinen Fahrgästen gewöhnt. Ein gefährliches Zwielicht bescheint die Straßen, erzeugt durch die einbrechende Dunkelheit und die erleuchteten Geschäfte. Sehr viele Radfahrer bevölkern das Pflaster, missachten die Verkehrsregeln oder fahren ohne Licht.

Nach ungefähr fünfzig Minuten erreicht das Taxi Karlshorst. Als er in ihre Straße einbiegt, unterbricht Steffi das Stillschweigen:

„Halte bitte hier an, den Rest laufe ich. Meine Eltern müssen nicht sehen, dass ich schon wieder mit dem Taxi nach Hause komme.“

Plötzlich sagt er:

„Der erste Abend ist nicht so gelungen. Ich bin sehr überarbeitet und habe mich schon jahrelang mit keiner Frau mehr getroffen. Beim nächsten Mal wird alles besser.“

Steffi ist zu enttäuscht, um ihm diese gelogenen Sätze abzukaufen. Das wirkt alles auswendig gelernt, gestellt und gespielt.

„Ich weiß nicht, ob ein nächstes Mal Sinn macht. Wir sind wohl zu verschieden.“

„Woher willst du das wissen. Du weißt viel zu wenig von mir. Wir telefonieren morgen wieder.“

„Okay“, antwortet Steffi, wenig überzeugt.

„Aber am nächsten Dienstag, möchte ich dich trotzdem wiedersehen, wir essen woanders und dann wird es ein besserer Abend.“

Als wenn das am Restaurant gelegen hätte, dass er so gereizt war, denkt Steffi.

„Ich überlege es mir“, sagt sie und reicht ihm die Hand.

Er beugt sich zu ihr rüber, gibt ihr einen Kuss auf die Wange und sie steigt rasch aus. Ohne sich einmal umzudrehen, läuft sie zum Gartentor, was ihre Eltern immer offenlassen, wenn sie noch nicht zu Hause ist. Während sie von innen abschließt, gleitet das Taxi an ihr vorbei.

Leise entriegelt sie die Haustür und geht die Treppe nach oben. Es folgt das übliche Abendritual und anschließend sitzt Steffi im Bett und schreibt sich ihre ganzen Empfindungen des heutigen Abends von der Seele. Fazit ist:

Tom verhält sich unmöglich, nicht nur am Telefon, sondern auch beim ersten Treff. Mit ihm kann ich keine Beziehung aufbauen.

Aber… er sieht so interessant aus, hat so schöne Gesichtszüge und er gefällt mir von der Figur her. Vielleicht gleichen wir uns noch an, wenn ich es noch einmal mit ihm versuche???


Warten auf das nächste Date

Am Mittwoch, dem Tag nach dem ersten missglückten Date, versucht Steffi den Tomas anzurufen. Er hebt ab, ist freundlich und gut gelaunt und fragt als Erstes:

„Wie war dein Tag?“

Steffi ist sowohl von der Frage als auch von seiner Freundlichkeit überrascht und antwortet:

„Wie meistens. Ich arbeite in einem Büro, dass für die Lohnbuchhaltungen anderer Firmen zuständig ist und solange die Rechner alle gehen, gibt es da nichts Aufregendes.“

Scheinbar hat sich mit der kurzen Beantwortung seiner Frage das Interesse schon wieder erledigt. Er geht auf die Informationen über Steffis Arbeit nicht weiter ein, sondern sagt:

„Heute Abend fahre ich früher los als sonst, um mehr Fahrgäste zu erwischen und damit den ausgefallenen Verdienst von gestern nachzuholen. Das Geschäft läuft nur mäßig, wenn es warm und hell ist. Da gehen die meisten Menschen lieber zu Fuß oder fahren die längeren Strecken mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Also, ich kann heute nicht solange mit dir telefonieren.“

Als wenn wir schon jemals lange telefoniert hätten, denkt Steffi. Da erzählt er mir, dass er gern telefoniert. Davon habe ich bisher nichts gemerkt. Jetzt soll ich mich wohl schuldig fühlen, weil er wegen unserer Verabredung, gestern seine Schicht später begonnen hat.

„Wenn ich mal etwas fragen darf“, wagt Steffi sich vor.

„Frag ruhig.“

„Wie alt bist du eigentlich und was bist du im Sternzeichen?“

„Sag bloß, du glaubst an solchen Quatsch.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

„Ich bin achtunddreißig und bin am 3. Dezember geboren. Das ist wohl Schütze.“

„Interessant. Schütze hätte ich jetzt nicht gedacht. Weißt du, um welche Uhrzeit du geboren bist?“

„Nein, da müsste ich auf meiner Geburtsurkunde nachsehen.“

„Aber du weißt, was du im Aszendenten bist.”

„Ja, das hat mir mal jemand ausgerechnet. Da bin ich Waage. Was hast du denn für ein Sternzeichen?“

„Ich bin Widder mit Aszendent Schütze und am 29. März 1979 geboren.“

„Auf astrologische Gespräche habe ich jetzt keine Lust.“

Tomas klingt plötzlich verärgert.

„Rufst du mich morgen wieder an?“

„Ja, mach ich. Tschüss und gute Fahrt“, wünscht Steffi und klickt sich aus der Leitung, ohne auf sein Tschüss zu warten.

Merkwürdig. Er war zwar heute locker drauf, aber sowie von mir irgendetwas kommt, was ihm nicht passt, wird er ungehalten und zieht sich zurück. Das ist ja am Handy ganz einfach. Er hätte mich ja zuerst fragen können, was ich für ein Tierkreiszeichen habe. Bisher hat er mich nicht einmal gefragt, wie alt ich bin. Aus Höflichkeitsgründen? Wohl kaum. Heute konnte ich ihm mal meine Geburtsdaten und die beiden astrologischen Eckdaten vermitteln. Entweder ich interessiere ihn nicht wirklich oder er hat nicht gefragt, weil für ihn das ganze Thema Geburtstage und Sternzeichen uninteressant ist.

In der Wohnung der Eltern wird am Mittwochabend schon vor dem Abendessen über den nächsten Tag gesprochen. Da ist Himmelfahrt, ein Feiertag in Berlin. Der Freitag danach ist ein „Brückentag“, und Steffi muss vier Tage hintereinander nicht zur Arbeit. Der Rasen ist zu mähen. Das Unkraut schießt in die Höhe. Es herrscht immer noch keine familiäre Einigkeit darüber, wie die Gestaltung des Hauptweges nun werden soll. Mehr Wege müssen angelegt werden, damit nicht so viel Gartenarbeit anfällt und falls mal jemand gehbehindert wird, besser mit dem Rollator oder dem Rollstuhl gefahren werden kann. Das wollen ihre Eltern.

„Es wäre an der Zeit, Angebote einzuholen. Im Nu ist der Sommer vorbei und die Arbeiten wurden noch gar nicht begonnen“, meint Steffis Mutter.

Irgendwann ist das Gespräch in einer Sackgasse gelandet und Mutter und Tochter beginnen mit dem Gestalten des gemeinsamen Abendessens. Steffis Eltern freuen sich, dass die Tochter jetzt ein paar zusammenhängende Tage zu Hause ist. Es herrscht eine angenehme Stimmung am Tisch. Nach dem Essen kann Steffi die Runde verlassen, weil ja schon alles vor dem Essen besprochen wurde, und sie kann sich in ihre Räume zurückziehen. Sie möchte noch mal in Ruhe überlegen, ob sie sich weiterhin mit Tomas austauschen sollte, oder ob es nicht besser ist, den Kontakt abzubrechen.

Donnerstag und Freitag, ruft Steffi bei Tomas an und nicht umgekehrt. Sie hat das Gefühl ihm nachzulaufen. Aber ihr ernsthaftes Ziel ist, mehr über ihn zu erfahren, damit sie eine Entscheidungshilfe hat und ihn nicht einfach abserviert, nur weil er ihr gegenüber so ablehnend ist. Oder ist das nur eine Ausrede vor sich selbst, eine Entschuldigung für ihre Nachgiebigkeit?

In ihrem Notizbuch hatte sie wieder neue Fragen aufgeschrieben, die beantwortet werden sollten. Am Handy fragt sie nach seinen Lieblingsfächern in der Schule, nach seinen Eltern und ob er Geschwister hat und erkundigt sich, ob er beim Bund gedient hat. Die Fragen verpackt sie geschickt im Gespräch. Alle Antworten, die Steffi dazu erhält, versucht sie sich für ihr Tagebuch einzuprägen.

Über seine Eltern möchte er am Telefon nicht sprechen und außerdem sind beide Elternteile schon tot. Eine Halbschwester hat er noch, aber mehr wohl nicht. Mit dieser Schwester telefoniert er öfter und ansonsten sehen sie sich nur zu Familienfeiern, weil er keine Zeit hat. Beim Bund war er nicht, da er im Westteil von Berlin geboren ist und auch gewohnt hat. Dort bestand keine Wehrpflicht. Wäre er woanders hingezogen, hätte er dienen müssen, weil er nie verheiratet war.

Das klingt alles ganz normal, bringt Steffi aber auch nicht weiter. Dass es keine Hobbys gibt, denen sie sich anschließen könnte, weiß sie schon länger.

Es ist Samstagnachmittag, kurz nach sechzehn Uhr. Die junge Frau ist körperlich angeschlagen, weil sie sehr viel im Garten gearbeitet hat, und freut sich auf den Abend im „Zenner“* mit Freunden. Sie hat bereits geduscht und ihre Haare gewaschen. Bevor sie beginnt sich zu schminken und anzuziehen, will sie Tomas noch etwas auf die Mailbox sprechen. Sie nimmt bequem auf dem Balkon Platz und tippt auf seine Nummer.

„Ich bin es, Steffi. Schön dass du schon wach bist. Das klappt heute nicht mit unserem Gespräch gegen neunzehn Uhr, wie wir das gestern vereinbart hatten. Das wollte ich dir gerade auf die Mailbox sagen.“

„Wieso klappt das nicht. Jetzt kann ich nicht mit dir telefonieren. Sport fängt gleich an.“

„Ach so.“

„Warum kannst du nicht nach neunzehn Uhr anrufen?“

„Weil ich heute Abend mit meinen Freunden verabredet bin und wir ins „Zenner“* wollen. Meine Freunde wissen noch nichts von dir, und ich möchte in ihrem Beisein nicht mit dir telefonieren.“

„So, so ich muss nachher fahren und du gehst mit deinen Freunden aus.“

„Ja, ich möchte nicht ständig mit meinen Eltern zu Hause sitzen. Ich kann dich morgen wieder anrufen.“

„Okay, ruf mich morgen an, aber ich werde länger schlafen. Also erst nach achtzehn Uhr.“

„Tschüss und eine schöne Schicht, wünsche ich dir.“

„Tschüss, tschüss.“

Aufgelegt.

Warum ruft der mich eigentlich nie an? Bisher hat jeder Anruf mein Geld gekostet. Ich weiß gar nicht, von welchem Anbieter er seine SIM-Karte hat. Das muss ich endlich mal klären.

Vielleicht rufe ich morgen gar nicht mehr an, wenn ich heute Abend jemand kennenlerne.

Steffi fährt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum „Zenner“*. Es wird ein amüsanter Abend mit viel Gelächter, Musik und Tanz, aber leider trifft sie auf keinen Mann, mit dem es sich lohnt, wenigstens die Handy-Nummern zu tauschen.

Am Sonntag hat Tomas sehr schlechte Laune. Warum sagt er nicht.

Am Montag geht es ihm schon wieder besser. Da schlägt er vor, dass Steffi die Telefongesellschaft wechselt und beide über eine Flatrate des gleichen Anbieters miteinander sprechen können. Da sie über Prepaid telefoniert, geht das relativ leicht, und er würde ihr ein neues Starter-Set besorgen. Er macht ihr das. Sie bräuchte sich nicht darum kümmern.

Wie soll das gehen, denkt Steffi? Warum soll ich den Telefonanbieter wechseln. Ist seiner günstiger als meiner? Er weiß doch gar nicht, welchen Anbieter ich habe. Danach hat er nicht gefragt. Ich will meine Nummer mitnehmen. Da müsste ich doch schriftlich kündigen. Oder?


Heiß, aber es funkt nicht

Am Dienstag, um achtzehn Uhr, bei dreißig Grad im Schatten, treffen sich beide wieder am Südkreuz. Steffi ist diesmal mit ihrem Auto gekommen, hat es in einer Seitenstraße in Bahnhofsnähe geparkt und ist zurück vor den Bahnhofseingang gelaufen. Pünktlich erscheint das Taxi und fährt nach einem gegenseitigen Händedruck sofort los. Das Bahnhofsgelände ist noch nicht verlassen, da sagt Tomas:

„Es stinkt hier. Bist du in einen Hundehaufen getreten?“

Steffi versucht, unter den Schuhsohlen nachzusehen, was aber auf dem Beifahrersitz nicht gelingt. Der Fahrer lässt eine Scheibe auf seiner Seite herunter fahren und hält an einer rechts gelegenen Einfahrt.

„Steig aus und sieh nach“, kommandiert er.

Die junge Frau riecht nichts, aber ihr ist das alles furchtbar peinlich. Sie schnallt sich ab, steigt aus, hebt abwechselnd die Füße, schaut sich seitlich über die Schultern und sieht nichts. Erleichtert steigt sie wieder ein.

„Meine Sohlen sind sauber“, sagt sie.

„Du selbst bist das, merke ich gerade. Du stinkst nach Katze.“

Steffi ist empört.

„Das hat noch nie jemand zu mir gesagt, erst Hundehaufen, dann Katze. Wie stinkt denn Katze?“

„Na wie du heute. Oder besser erklärt, du stinkst nach Katzen-Klo.“

„Halt an. Ich fahre wieder nach Hause. Das möchte ich dir nicht zumuten, mit einer Frau zusammen zu sein, die nach Katzen-Klo stinkt.“

Tomas lächelt überlegen und setzt seine Fahrt ungebremst fort:

„Nun sei doch nicht so empfindlich. Wir gehen gleich an die Luft, da wird sich das geben. Ich habe einen sehr feinen Geruch und ich möchte nicht, dass es in meinem Taxi stinkt.“

Steffi kämpft mit den Tränen. Sie hatte sich auf diesen zweiten gemeinsamen Abend gefreut und muss sich, unmittelbar nachdem sie angekommen ist, so beleidigen lassen. Zum Glück sieht der Fahrer geradeaus. Er soll nicht merken, was für einen Volltreffer er da gelandet hat.

Wieder weiß Steffi nicht, wo er hingefahren ist, als er auf dem großen Parkplatz eines Einkaufszentrums hält. Um eine Erklärung abzugeben, sagt er:

„Ich brauche unbedingt ein paar Hosen, und du darfst mir beim Kaufen behilflich sein.“

Wir wollten doch Essen gehen. Jeden Tag haben wir telefoniert, und er hat nicht gesagt, dass heute Hosen gekauft werden sollen, denkt Steffi.

Tomas steigt aus und greift nach einer Zigarette.

„Zeig nochmal deine Sohlen. Da ist tatsächlich nichts zu sehen und hier draußen rieche ich an dir auch nichts mehr. Komm, wir gehen!“

Vor dem Gebäude wirft er ein Drittel der Zigarette in Richtung eines Gullys, eilt durch die Tür und steuert auf die Rolltreppe zu. Seine Begleiterin geht lustlosen Schrittes hinterher.

Schon stehen sie in der Mitte einer Herrenabteilung. Ein Verkäufer muss zur Hilfe geholt werden, denn Tomas hat sehr lange Beine und ist schlank. Solche Hosen sind Mangelware. Steffi ist total verunsichert, läuft zwischen dem Verkäufer, der Ware von „hinten“ holt, und der Umkleidekabine hin und her. Sie befürchtet, der Verkäufer könnte auch etwas riechen. Eigentlich geht es nur um Jeans, aber sie sollen eine normale Leibhöhe haben, damit der Rücken während des Fahrens nicht immer frei liegt. Nur zwei Jeans erfüllen diese Anforderungen. Tomas entscheidet sich für beide, zieht sich wieder an und sie schreiten zur Kasse.

„So“, sagt er. „Jetzt habe ich Hunger, aber erst müssen wir die Hosen zum Auto bringen.“

Dieser Grund ist nur vorgeschoben. In Wirklichkeit macht der Nikotinentzug sich bemerkbar. Der Weg zum Taxi und zurück zum Eingang des Einkaufszentrums reicht gerade für ein paar hastige Züge. Dann läuft er vorn weg und hält Ausschau. Steffi schweigt und hält Abstand. Der Vorwurf, nach Katzen-Klo zu stinken, geht ihr nicht aus dem Kopf.

Wie kommt er darauf? Nur weil ich ihm mal beiläufig am Telefon erzählt habe, dass bei uns der Kater Romeo lebt? Noch nie hat jemand so etwas zu mir gesagt. Das Katzen-Klo steht im Keller und meine Sachen befinden sich im oberen Geschoss des Hauses.

Steffi weiß nicht, dass die Behauptung, es würde ein schlechter Geruch zu vernehmen sein, zu den Standards gehört, wenn Tomas eine Frau verunsichern und beleidigen will.

Eine Gaststätte mit asiatischem Ambiente ist erreicht.

„Möchtest du hier sitzen oder lieber da?“, fragt er freundlich.

Sie antwortet nicht, sondern zieht einfach einen Stuhl unter dem Tisch vor und setzt sich. Er nimmt gegenüber Platz. Eine asiatisch aussehende Frau bringt die Karte.

Steffi beschließt heute Tofu zu essen, denn Tomas weiß inzwischen aus einem der Telefonate, dass sie nach Möglichkeit vegetarisch isst. Sie bestellt ein Flasche Wasser und er fragt nach einer Fanta.

„Nanu?“, bemerkt er fragend „Heute keinen Alkohol?“

„Ich bin mit meinem Auto am Bahnhof, wie du das wolltest.“

Tomas geht nicht weiter darauf ein, sondern quittiert diesen Satz mit einem zufriedenen Grinsen.

Die asiatischen Gerichte schmecken hier sehr gut. Während des Essens schweigt Steffi weiter. Sie fühlt sich nicht wohl in ihrer Garderobe, obwohl sie nichts riecht. Er wirkt locker und entspannt, als hätte er eine Partie Monopoly gewonnen.

Nachdem alles verspeist ist, läuft Tomas zur Höchstform auf. Interessant, charmant und witzig erzählt er aus seinem Berufsalltag. Alles, ohne zu rauchen. Steffi versucht, an den Blickkontakt zu denken. Tomas wirkt zunehmend befreiter, wie nach einem Erfolgserlebnis.

Jetzt ist vielleicht der richtige Moment noch mal nach seinen Eltern zu fragen, denkt Steffi und formuliert:

„Du hattest mal während eines Telefongesprächs erwähnt, dass deine Eltern schon verstorben sind. Normalerweise hat man ja in deinem Alter noch Eltern. Was ist da passiert?“

Das Gesicht von Tomas verändert sich. Es wird ernst und starr.

„Richtig, das wollte ich dir mal persönlich erzählen. Ich war so ein Nachzügler zwischen meiner Halbschwester und mir liegen elf Jahre. Als ich sechs Jahre alt war, erlitt mein Vater einen Herzinfarkt und ist ein paar Tage später daran gestorben. Für meine Mutter begann jetzt eine harte Zeit. Sie fühlte sich als Witwe mit zwei Kindern von den Nachbarn, den Arbeitskollegen und der Gesellschaft nicht anerkannt. Mit der Erziehung war sie überfordert. Meine Halbschwester war schon in der Pubertät und ich ging nicht einmal zur Schule. Meine Mutter versuchte, mit Strenge alles in den Griff zu bekommen. Irgendwann kam meine Halbschwester zu unserer Oma. Da war ich plötzlich allein der Willkür meiner Mutter ausgesetzt, die im Laufe der Zeit immer mehr zur Anti-Mutter mutierte. Es gab kein gutes Wort mehr, keine Umarmung und überhaupt kein Anzeichen, dass sie mich liebt. Deutlich erinnern kann ich mich daran, dass sie krampfhaft versuchte, einen Partner und Ersatzvater zu finden, unter anderem deshalb, weil sie immer nur für ein paar Monate im Jahr Arbeit hatte. Diese Männer wohnten oftmals über eine gewisse Zeit bei uns und haben manchmal ihre Wut an mir ausgelassen, einfach nur, weil ich überflüssig war und störte.

Inzwischen ging ich schon zur Schule, durfte aber keine schlechte Note mit nach Hause bringen. Dann gab es Schläge von meiner Mutter und dem Typ der gerade aktuell war. Egal womit, entweder mit der Hand ins Gesicht oder mit Gürtel, Kochkelle, Lineal auf den Körper. Erspare mir weitere Details. Strafen gab es für alles, für verlorene oder verlegte Gegenstände, für schmutzige Kleidung oder für unerlaubtes Sprechen.

Taschengeld bekam ich nicht. Das musste ich mir in den Ferien oder am Wochenende verdienen. Ich stellte an einer Kegelbahn Kegel auf oder holte beim Tennis die verschossenen Bälle.

Um das Thema abzuschließen: Mit achtzehn bin ich in eine WG gezogen. Meine Mutter hatte wieder geheiratet, nach meinem Auszug jeden Kontakt zu mir abgebrochen und später mit ihrem Mann Berlin verlassen. Als ich zweiundzwanzig war, erfuhr ich von einem Anwalt, dass meine Mutter in Nürnberg an Organversagen verstorben war.

Sicher sind viele Kinder so aufgewachsen, aber mich hat das sehr geprägt und härter gemacht, als mir lieb ist. Eigentlich möchte ich weder daran erinnert werden, noch darüber reden. Heute habe ich das einmal gemacht, weil du es wissen wolltest. Ich habe lockeren Kontakt zu meiner Halbschwester, die einen Mann hat und das genügt mir, was Verwandte anbetrifft.

Steffi weiß jetzt gar nicht, wie sie sich verhalten soll. Das Erzählen von Tomas über seine Kindheit, hat sie sehr berührt. Jede Bemerkung kann jetzt falsch sein, schweigen aber auch.

Zum Glück meldet sich das Smartphone von Tomas.

Er schaut aufs Display, nimmt das Gespräch an und antwortet:

„Ich bin pünktlich da.“

Steffi fragt lieber nichts.

„Ich muss jetzt leider fahren“, bemerkt er.

Eine weitere Erklärung oder gar ein Sorry kommt nicht über seine Lippen.

Er steht auf und sucht nach der Frau, die bedient hat, um die Rechnung zu bestellen. Wieder kommen zwei Rechnungen, jeder bezahlt für sich und er legt wie in der vergangenen Woche drei Münzen nach, verbunden mit ein paar freundlichen Worten für die asiatisch aussehende Serviererin.

Auf dem Parkplatz raucht er wieder schnell und gierig. Während der Fahrt herrscht Wortstille. Alles wie gehabt.

Nur einmal fragt er, nachdem er in das Fach neben der Schaltung gegriffen hat:

„Möchtest du einen Bonbon?“

Steffi schüttelt den Kopf.

Die Frage hat sich angehört, als wenn ein Vater sein Kind ungerecht behandelt hat und das nun mit einem Bonbon wieder gut machen will, denkt sie.

Am Südkreuz angekommen, folgt die Frage:

„Wo steht denn dein Auto?“

Steffi lotst ihn dort hin und er hält in zweiter Reihe.

„Na, sag mal, wie sieht das denn aus. Da warst du wohl im vorigen Jahr das letzte Mal in der Waschanlage. Ich muss auch zum Wagen waschen. Am besten du fährst mir nach, und wir lassen schnell dein Auto sauber machen.“

Steffi wagt nicht zu widersprechen, steigt ein und folgt ihm. Sie ist heute Abend angeschlagen und nicht stark genug, um ihm zu sagen, dass sie in einer Waschstraße große Platzangst hat.

Vor der Waschanlage angekommen, fährt Tomas gleich los und Steffi soll hinterherfahren. Doch sie bleibt stehen, wie von einer Schockstarre erfasst. Erst als sie merkt, dass andere Autos, die auch in die Waschstraße wollen, zu wenig Platz haben, um an ihr vorbei fahren zu können, setzt sie zurück und sucht sich einen Stellplatz an der Seite.

Es dauert nur ein paar Minuten und Tomas kommt wieder angerollt.

„Sag mal, was ist los. Du solltest doch gleich nachkommen“, schnauzt er sie an.

„Mir ist gerade schlecht. Ich kann da nicht rein fahren, weil ich Platzangst habe“, stottert Steffi.

„Dann hilf mir, mein Auto trocken zu machen. Hier hast du eine Papierrolle.“

Steffi geht auf eine Seite sucht nach Tropfen und putzt vorsichtig alles trocken. Tomas lässt es sich natürlich nicht nehmen, auf ihrer Seite noch mal nach zu putzen.

„Gib mir Geld und deinen Autoschlüssel“, kommandiert er.

Sie führt alle Handgriffe mechanisch aus und versucht, ihr Angstzittern zu unterdrücken. Er fährt zügig zum Eingang der Waschstraße und hinein.

Als er „durch“ ist und neben seinem Taxi einparkt, putzen beide wieder mit Papier. Jeder an einer Seite.

Die junge Frau lässt sich irgendwann erschöpft auf den Fahrersitz ihres Autos fallen.

Jetzt reiß dich zusammen und sag etwas, redet sie in Gedanken auf sich ein.

Plötzlich nimmt Tomas auf dem Beifahrersitz Platz, beugt sich zu ihr herüber, greift unter ihr Kinn und küsst sie leidenschaftlich auf den Mund. Steffi wehrt ihn nicht ab. Er lässt ihr Kinn los, und sie greift nach seiner Schulter und genießt seine Küsse. Das dauert gefühlt mindestens zwei Minuten. Dann hört er auf und sieht sie durchdringend an.

„Wir sehen uns am nächsten Dienstag“, ordnet er abschließend an.

„Danke fürs Waschen und tschüss“, antwortet Steffi.

Er antwortet nicht, sondern steigt in sein Taxi und rollt davon.

Was war denn das? Also küssen kann er. Mit viel Gefühl oder ist das alles nur geübte Technik? Jedenfalls gingen mir seine Küsse durch und durch. Meine Angst war verschwunden. Aber sonst? Das sollte heute unser zweiter Abend sein, weil er sich nur einen Abend pro Woche leisten kann. Erst beleidigt er mich, dann muss ich ihm beim Hosenkauf assistieren, dann kommen die Horrorgeschichten aus seiner Kindheit und mit einem Mal muss er plötzlich weg.

Damit er seine Kindheitserlebnisse erzählt, habe ich ihn herausgefordert, indem ich danach gefragt habe. Zum Autowaschen und Küssen hatte er plötzlich Zeit.

Das tat soooo gut. Ich kann mich nicht erinnern, wann ein Mann so geküsst hat. Aber vielleicht habe ich das alles nur vergessen, weil es so lange her ist. Mir kommt es vor, als wenn er ein schlechtes Gewissen hatte und seine Beleidigungen wieder gut machen wollte.

Er ist so ein gutaussehender, interessanter Typ, denkt Steffi. Das müssen andere auch so empfinden, denn ich habe heute wieder gesehen, wie einige Frauen ihn prüfend angeschaut haben. Aber was ist er nur für ein merkwürdiger Mensch?

Ob ihm das eine Genugtuung war, mich so verunsichert und verängstigt erlebt zu haben?

Ein paar Minuten, nachdem sie diese Gedanken formuliert hat, atmet Steffi bei offenem Fenster tief ein und aus. Dann richtet sie ihr Navi ein und startet anschließend den Motor, um sich auf den Weg nach Hause zu machen.

Im Dunkeln kommt sie zu Hause an, fährt nicht in die Garage, damit ihre Eltern nicht aufwachen, sondern lässt den Honda* auf der Straße stehen und schleicht sich in ihre Wohnung.

Sie möchte jetzt mit sich allein sein und alles aufschreiben, was sie bewegt. Ihr Tagebuch gibt zwar keine Antworten, aber es kann eine Entscheidungshilfe sein, wenn man eine Weile in der Vergangenheit liest. Eine Psychologin hatte ihr mal dazu geraten, als sie zusammen mit ihrem Ex bei der Paarberatung war.

Ihre Schlussfolgerung ist heute:

Obwohl ich jetzt weiß, dass Tom keine gute Kindheit hatte, muss ich ihm bei unserem nächsten Treffen mal ein paar Worte über den heutigen Tag sagen. Seine Vergangenheit habe ich zur Kenntnis genommen, aber jetzt geht es um uns. Was uns beide anbetrifft, kann es nicht sein, dass Jeans gekauft werden müssen, wenn er nur einen Tag in der Woche für mich Zeit hat und dass er auch noch früher weg muss. Wann sollen wir uns näher kennenlernen? Da lohnt sich der ganze weite Weg der Anfahrt für mich nicht. Unmöglich, dass immer nur ich ihn anrufe und dass die Zeit für Telefongespräche einfach beschränkt wird, durch ihn. Wir wollten heute über eine andere SIM-Karte sprechen, damit wir uns mit dem gleichen Anbieter über eine Flatrate unterhalten können, aber daraus wurde wieder nichts. Völlig unverständlich ist für mich, wenn er tatsächlich mit seinem Taxi-Gewerbe nur eine schwarze Null im Monat schreibt, warum er so viel rauchen muss. Angeblich raucht er nicht mehr als den Inhalt einer Schachtel pro Tag. Das sind aber immerhin bei seiner Marke circa einhundertfünfzig Euro im Monat, die dafür ausgegeben werden müssen. Dieses Thema ist sehr persönlich und deshalb muss ich es vorläufig unterdrücken.

Ab morgen wird wieder telefoniert. Ich glaube nicht, dass er irgendeinen Trumpf im Ärmel hat, noch irgendwelche Fähigkeiten und Fertigkeiten hat, die mich überzeugen könnten, an ihm dran zu bleiben.

Oder doch? Vielleicht hat er etwas Handwerkliches gelernt, bevor er Kraftfahrer wurde? Vielleicht weiß er mehr am PC, als ich denke und könnte mir einiges beibringen, zum Beispiel, wie man Videos schneidet?

Wenn wir wirklich länger zusammen sein sollten, ist es bisher so, dass ich mit ihm nichts anfangen kann. Zum Tanzen wird er nicht mitkommen und in den Pferdestall erst recht nicht. Aber, es gibt in Berlin so viel Kulturelles zu erleben, was wir gemeinsam nutzen könnten…

Da jetzt der Dienstagabend blockiert ist, hat Steffi das Reiten reduziert und fährt nur noch einmal in der Woche zu Shakan in den Reitstall.

Auch ist ihr aufgefallen, dass sie seit ihrer Bekanntschaft mit Tomas, ihren Freundes- und Bekanntenkreis vernachlässigt und wenig kontaktiert.


Alltag

Steffis Gedankenwelt hat sich verändert. Sie ist zu viel damit beschäftigt zu überlegen, wie aus den Begegnungen zwischen Tomas und ihr eine Beziehung werden könnte. Ihre Meinung dazu ist schwankend. Mal denkt sie:

Das klappt nie und das hat alles keinen Sinn. Ein paar Stunden später denkt sie:

Es ist zu früh darüber zu entscheiden. Ich fühle, dass er sich vor mir immer noch verschlossen hält. Meine Erfahrungen des letzten Jahres haben gezeigt: Es steht nicht an jeder Ecke ein Mann, der mir gefällt und zu mir passt.

Sie grübelt weiter:

Die meisten Männer sind verheiratet oder leben in einer Beziehung. Sie sind verschuldet, müssen Unterhalt für Ex-Frauen und Kinder zahlen. Oder die Männer sind zwanzig Jahre älter als ich und damit eine Generation vor mir geboren. Viele Männer wirken ungebildet und ungepflegt. Das alles trifft auf Tomas nicht zu, doch dafür gibt es andere Hindernisse.

Warum grüble ich so viel über diesen Typ nach? Weil ich kein Verhältnis ohne Liebe möchte? Für mich ist eine Beziehung nur sinnvoll, intensiv und erfüllend, wenn ich lieben kann und wenn ich mich geliebt fühle. Mit schwachen Gefühlen ist die Kurzlebigkeit einer Partnerschaft vorprogrammiert.

Jeden Abend bereitet sich Steffi auf das Telefongespräch mit Tomas vor und hält ihre Notizen bereit. Es sind sechs Abende bis zum Dienstag und da will sie versuchen, jeden Tag ein bisschen mehr über ihn zu erfahren.

An guten Telefontagen erzählt Tomas von Besonderheiten während seiner Schicht. Da ist von liegengelassenen Gegenständen, von Fahrgästen, die sich übergeben müssen, von Rechnungsprellern, bis hin zu Männern, die sich in ein Bordell fahren lassen, alles dabei. Er erzählt von Kollegen, wie gesundheitlich kaputt und psychisch gestört die meisten sind. Das ist alles dem Beruf geschuldet, seiner Meinung nach.

Steffi hat eigentlich nicht viel zu erzählen. Was sie arbeitsmäßig macht, hat nie jemand wirklich interessiert. Es ist schwer zu beschreiben. Die meiste Arbeit macht der Rechner. Über ihre Eltern möchte sie nicht sprechen, dass würde Tomas nur schockieren. Da seine Eltern nicht mehr leben, kann er sich bestimmt gar nicht vorstellen, wie es ist Eltern zu haben, die aus Altersgründen in einer ganz anderen Welt leben. Ihre Freunde und Bekannten will Steffi nicht beschreiben. Vielleicht lernt Tomas mal diesen oder jenen persönlich kennen.

Sie versucht lieber, seine mit Sicherheit verschütteten kulturellen Interessen auszugraben. Aber alles, was sie ihm erzählen will oder was sie nur andeutet, wird von ihm energisch abgewürgt. Egal, ob es sich um ihre Lieblingssendung „Lets dance“*, um Polit-Talk, Comedy, Kabarett oder Krimis handelt. Sämtliche Casting-Shows wie DSDS* oder The Voice* sind ein Brechmittel für ihn. Da erklärt es sich von selbst, dass Formate wie „Big brother“* oder „Dschungel“ schon gar nicht zu seinen Interessengebieten gehören. Zurzeit Laufen ja die Tanz- oder Musikshows gar nicht.

„Alles was auf Privatsendern ausgestrahlt wird, versuche ich zu vermeiden“, hat er bekanntgegeben.

Auf die von Steffi gestellte Frage:

„Was siehst du denn im TV?“, erwidert Tomas:

„Hauptsächlich Fußball, Handball, Basketball und Leichtathletik. Durch Sky kann ich viele Spiele live sehen.“

„Und was noch?“, fragt Steffi.

„Na, Sendungen mit Anspruch.“

„Wann siehst du das alles, wenn du jeden Abend und jede Nacht fährst?“

„Wenn ich mal früher nach Hause komme, wird schon so einiges wiederholt und das sehe ich mir denn an, bevor ich schlafen gehe. Manchmal fahre ich erst gegen zweiundzwanzig Uhr vom Hof.“

Warum Tomas immer am Wochenende so wenig Zeit zum Telefonieren hat, wird wohl daran liegen, dass es die meisten Sportübertragungen gibt. Oder?

Mit den Örtlichkeiten zum Telefonieren hat Steffi sich engagiert. Zu Hause klappt es tatsächlich ganz gut auf dem Balkon, ansonsten immer im Auto.

Das Pfingstwochenende steht vor der Tür. Da alle ihre Freunde an den Feiertagen eigene Pläne haben, bleibt Steffi bei den Eltern zu Hause und hilft, wo es erforderlich ist. Das warme Sommerwetter lässt Gartenarbeit zu. Wenn die Waage nicht lügt, hat Steffi zwei Kilo abgenommen.

Ihre letzte und wichtigste Telefonfrage an Tomas, hat sie sich für den Pfingstmontag, dem Tag vor der nächsten Verabredung aufgehoben. Nach allgemeinen Floskeln nach den Befindlichkeiten ihres Gesprächspartners, fragt Steffi plötzlich:

„Was hörst du eigentlich für Musik.“

Die Antwort schockiert:

„Gar keine”, sagt er einfach so.

„Wie jetzt, gar keine? Jeder Mensch hört doch Musik.“

„Ich nicht. Zu Hause sehe ich fern und beim Fahren stört mich jede Art von Musik.“

„Aber du hast doch so ein tolles, eingebautes Radio.“

„Das war schon drin, als ich das Auto gekauft habe. Bei Mercedes* gibt es entweder Radio oder Navi. Da ich ein flexibles Navi habe, was ich mir in beliebiger Höhe platzieren kann, blieb nur das fixierte Radio übrig. Manchmal höre ich Nachrichten oder den Wetterbericht. Ansonsten muss ich ja andauernd den Funk oder Nachrichten von meinen Kollegen annehmen. Wann soll ich da Musik hören?“

„Ich dachte, wenn du an der Halte wartest.“

„Nein, da lese ich Zeitung.“

„Wie lief denn das Feiertagsgeschäft bis jetzt?“

„Gar nicht. Ostern und Pfingsten, sind die Geschäfte am geringsten, lautet ein alter Kutscher-Spruch.“

Steffi hat genug gehört und sagt abschließend:

„Heute muss ich mal früher aufhören, meine Karte hat nicht mehr viel drauf. Wir sehen uns morgen.“

„Alles klar, aber diesmal schon um sechzehn Uhr. Tschüss, tschüss“, sagt er und drückt die Taste zur Beendigung des Gesprächs.

Das Erste, was Steffi zum letzten Thema des Gesprächs einfällt, ist ein Spruch ihres Vaters, der ungefähr so lautet:

‚Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder.‘

Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet, ein Mensch, der behauptet, keine Musik zu hören. Vielleicht lügt er, weil er mich provozieren will.


Das dritte Treffen

Es ist der Dienstag nach Pfingsten. Heute soll Steffi, wie er gestern bestimmt hat, schon um sechzehn Uhr am Südkreuz sein. Warum schon um sechzehn Uhr, konnte sie nicht mehr fragen. Sie müsste um halb drei das Büro verlassen, also neunzig Minuten früher und so viel hat sie nicht vorgearbeitet. Aber der Chef ist heute gar nicht da und nun geht sie einfach, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Irgendeine Überraschung hat Tom vielleicht für uns vorbereitet, weil Pfingsten war oder er will abends früher als sonst seine Fahrtour beginnen, denkt Steffi.

Er kommt pünktlich wie immer und begrüßt sie im Auto mit einem Kuss auf die Wange. Dann fragt er:

„Was hast du denn heute an? Das ist dir doch viel zu eng und zu kurz. Du musst dich nicht immer anziehen, wie eine Zwanzigjährige.“

Volltreffer. Steffi hat mit einem solchen Anwurf nicht gerechnet, weiß keine passende Antwort, sondern sagt:

„Ich bin ja auch erst zwanzig.“

Er wirft ihr einen verächtlichen Blick zu. Das Taxi rollt zunächst langsam los, um anschließend hektisch und aggressiv von Lücke zu Lücke zu springen. Tomas scheint es eilig zu haben.

Steffi sitzt beleidigt und stumm auf dem Beifahrersitz.

„Nun fahr“, brüllt er. „Wieder so eine blöde Alte am Steuer, die ihren Führerschein auf dem Rummel gemacht hat.“

Nach einer gefühlten Viertelstunde scheint das Fahrziel erreicht. Tomas fährt auf den Hof einer Autowerkstatt.

„Warte hier!“, lautet die Anweisung.

Steffi ist jetzt nicht nur beleidigt, sondern auch wütend.

Was bildet der sich eigentlich ein. Ich bin anscheinend sein Begleitservice für Alltagsangelegenheiten. Am besten ist es, ich steige jetzt aus, frage nach einem Bahnhof und fahre zurück nach Südkreuz, wo mein Auto steht. Egal, wie umständlich das sein mag. Es ist ja noch hell. Das wird heute sowieso nichts mit dem schönen Abend. Heute nicht und in Zukunft auch nicht.

Gefühlt sind fünf Minuten um. Steffi sitzt unschlüssig im Auto. Da kommt Tomas zurück. Er gibt Steffi wieder einen Kuss auf die Wange und erklärt:

„Das ist die Autowerkstatt meines Vertrauens und die sollten mir mal schnell einen Ölwechsel machen. Das klappt nun aber nicht gleich. Deshalb gehen wir jetzt etwas Essen und holen den Wagen danach ab. Steig aus!“

Als Steffi ausgestiegen ist, schließt Tomas per Fernbedienung die Türen und läuft los, um die Wagenschlüssel abzugeben. Die junge Frau stakst einfach allein vom Hof. Sie will nach Hause. Mit ihren hochhackigen Schuhen kommt sie aber nicht allzu weit. Da ist er hinter ihr und nimmt sie in den Arm.

„Wo willst du denn hin. Hier kommt man nur mit dem Auto weg. Hier fahren weder Bus noch Bahn.“

„Ich hätte mir ein Taxi genommen“, antwortet Steffi.

„Das wäre nicht gekommen, denn es ist gerade in der Werkstatt.“

„Warum müssen wir am einzigen Tag der Woche, an dem wir uns sehen können, in die Werkstatt fahren?“

„Das hat sich so ergeben. Ich habe in der vorigen Woche angerufen und die wollten es sofort machen, wenn ich vor halb fünf komme. Aber nun geht das doch nicht so schnell. Das Öl muss rechtzeitig gewechselt werden und es darf natürlich kein Billigöl sein. Das ist sehr wichtig für den Erhalt des Motors.“

„Das siehst du doch nicht, was da eingefüllt wird.“

„Muss ich nicht sehen. Ich weiß nur, hier wird das beste Öl verwendet. Wir können inzwischen schnell beim Asia-Imbiss etwas essen. Bis achtzehn Uhr muss ich den Wagen abgeholt haben.“

Heute wollte ich mit ihm alles klären, was sich bei mir angestaut hat, denkt Steffi. Hoffentlich hat er nachher noch Zeit, wenn er das Auto wieder hat.

Das Essen kommt schnell. Es gibt nur eine Reisschüssel für beide. Da Steffi nicht gern Reis isst, hat sie sich nur einen Löffel voll aufgetan. Tomas beobachtet sein Gegenüber mit stechenden Augen, verfolgt anscheinend jeden Bissen vom Teller zum Mund. Die Schüssel mit dem Reis ist erst zur Hälfte geleert und Steffis Teller hat nur noch Soße. Alles andere hat sie schon verputzt. Sie nimmt sich einen zweiten Löffel Reis aus der Schüssel.

„Sag mal, ich denke, du isst nicht gerne Reis und jetzt nimmst du dir was nach? Wovon soll ich denn satt werden. Ich muss nachher arbeiten.“

Fassungslos starrt Steffi ihn an.

Er sieht, dass ich mir noch einen Löffel nach genommen habe und macht dann einen Anspruch geltend, weil er glaubt zu kurz zu kommen? Das ist ja wie am „Arme-Leute-Tisch“ , wo die Familie sich erst etwas nach nehmen darf, wenn der Vater satt ist.

Sie fängt sich wieder und sagt:

„Wir können ja Reis nachbestellen.“

„Dann bringen die eine Riesenschüssel, die zu bezahlen ist und davon geht fast alles zurück.“

Steffi reicht es für heute.

Vielleicht wurde bei ihm zu Hause am Tisch auch so geredet? Deshalb muss er doch mit mir nicht so reden. Ich glaube, er findet sein Verhalten normal und völlig richtig.

Nachdem alle Schüsseln und Teller geleert sind und jeder seine Rechnung beglichen hat, mahnt Tomas zur Eile.

„Ich will nicht erst kurz vor Werkstattschließung da ankommen“, erklärt er.

Vor der Tür klickt das Feuerzeug. Plötzlich scheint wieder Zeit da zu sein. Beide laufen langsam und stumm nebeneinander her und sehen sich, die Häuser und Geschäfte an.

Als die Werkstatt erreicht ist, steht das Taxi bereits auf dem Hof.

„Warte hier, ich gehe bezahlen und hole den Schlüssel.“

Jetzt passiert hier sowieso nichts mehr, denkt Steffi. Ich werde noch mal den Versuch machen mit ihm zu reden und je nachdem, wie das Gespräch ausfällt, wird es entweder eine neue Verabredung geben oder die heutige wird die Letzte sein.

Lächelnd und gut gelaunt kommt Tomas zurück.

„Ich schlage vor, wir suchen uns einen Park und gehen spazieren.“

„Das hätte ich gestern wissen müssen, in diesen Schuhen kann ich nicht so lange laufen.“

„Warum kaufst du dir solche Dinger?“

„Die Schuhe sollen was fürs Auge sein und nicht für einen Marathonlauf.“

„Im Park gibt es Bänke. Steig ein!“

Kaum ist er ein Stück gefahren, ist Tomas schon bei der Parkplatzsuche, findet auch einen und gleitet hinein. Beide schlendern die Straße entlang bis zum Parkeingang.

Es ist eine wunderschöne Anlage mit Teichen, Weiden, Pflanzen und Blumen. Sogar ein paar Enten schwimmen auf dem Wasser, wie in einer romantischen Bilderbuchidylle. Steffis Füße schmerzen bereits unerträglich. Sie zieht die Schuhe aus und nimmt sie in die Hand. Der kühle Untergrund im Schatten tut den heißen Sohlen gut.

„Wie sieht das jetzt aus“, meckert Tomas.

Steffi lässt sich zunächst auf keine Diskussion ein und wagt auch nicht zu fragen, was das für ein Park ist. Es ist ihr unangenehm, dass sie sich in Berlin nicht auskennt, obwohl sie hier geboren ist. Immer, wenn sie mit Tomas zusammen ist, weiß sie überhaupt nicht, wo er mit ihr hingefahren ist. Trotzdem will sie heute die Dinge ansprechen, die ihr nicht passen, ehe ein Anruf kommt und er wieder weg muss.

„Auf die nächste Bank muss ich mich rauf setzen“, sagt sie. „Wenn du am Telefon gesagt hättest, dass wir heute spazieren gehen, hätte ich andere Schuhe angezogen.“

„Ich habe dir vorhin schon versucht zu erklären, dass ich den Ölwechsel erst vor Pfingsten gebucht habe. Aber du kannst ja nicht zuhören.“

„Und ich habe dir am Telefon gesagt, mir gefällt es nicht, meilenweit zu fahren, und wir haben kaum Zeit uns näher kennenzulernen.“

„Du bist Gehaltsempfänger. Ich verdiene nur so viel, wie ich einfahre. Mein finanzieller Druck ist riesig. Jeden Monat muss ich fünfhundertsiebenundsechzig Euro bei Mercedes* für die Rate abdrücken. Meine Wohnung mit Stellplatz auf dem Hof kostet fast fünfhundert. Sämtliche ständig steigende Unkosten für den Wagen, muss ich selber tragen und die Tarife, die der Fahrgast zahlt, sind seit Jahren dieselben. Dafür sind die Spritpreise ständig gestiegen. Hinzukommt, dass jetzt schon rund achttausend Taxen in Berlin fahren und es gibt keinen Zulassungsstopp, wie in anderen Großstädten zum Beispiel. Wir haben hier Politiker im Senat, die überhaupt nicht geerdet sind und weil sie selber selten ein Taxi brauchen, völlig das Gefühl für die Realität verloren haben.

Das heißt, jeder Zugereiste kann sich um einen P-Schein bemühen, eine Ortskundeprüfung machen und Taxifahrer sein. Es herrscht freie Marktwirtschaft und wer als Taxiunternehmer nicht bestehen kann, muss eben Fahrradkurier werden.“

„Das hast du mir bereits alles am Telefon erzählt.“

„Du unterbrichst mich schon wieder. Du weißt gar nicht, was da alles dran hängt: Versicherungen, jährlicher TÜV, ständig neue Reifen. Für den Ölwechsel habe ich eben mit Trinkgeld hundert Euro bezahlt. Jetzt kannst du etwas fragen.“

„Ich will mich über dieses Thema heute nicht unterhalten, sondern ich will von dir wissen, wie du dir vorstellst, wie es mit uns weitergehen soll.“

„Was soll ich mir da vorstellen? Bis der Wagen abgezahlt ist, werde ich nicht mehr als diesen einen Abend in der Woche haben und ich kann dich zurzeit nicht in teure Häuser zum Essen ausführen.“

„Dann werde ich dir jetzt mal erklären, wie ich mir das vorstelle. Dieser eine Abend in der Woche soll nur uns gehören und nicht für andere Dinge genutzt werden. Dann möchte ich, dass wir kulturell etwas unternehmen. Ich würde gern einige Gegenden von Berlin kennenlernen, wo ich noch nie war. Du kennst durch deinen Beruf fast alles, weißt immer, wo etwas los ist“.

„Das hört sich alles gut und schön an, aber ich bin froh, wenn ich mal nicht fahren muss. Außerdem kostet die Umherfahrerei wieder Diesel“, lautet die vernichtende Antwort von Tomas.

„Dann fahre ich eben mit meinem Auto, du musst mir nur sagen, wo es lang geht.“

„Na, davor möge mich der liebe Gott bewahren. Das würden meine Nerven nicht aushalten, wenn ich neben dir am Steuer sitzen müsste.“

„Du weißt doch gar nicht, wie ich fahre. Wie kannst du jetzt schon davon Abstand nehmen?“

„Wie du fährst? Du fährst wie alle Frauen. Ich erlebe es täglich auf den Straßen.“

„Das sind Vorurteile oder besser gesagt, das ist die Berufskrankheit eines Kraftfahrers.“

Tomas fragt:

„Was meinst du mit: kulturell etwas unternehmen?“

„Wie ich das eben schon angedeutet habe: Es gibt Kabarett und Varieté. Es gibt Straßenfeste. Oder wir könnten einfach eine Dampferfahrt über den Wannsee machen.“

„Du hast ja direkt Ideen“, meint Tomas ironisch.

Das zur Klärung gedachte Gespräch wird zunehmend durch angreifende Mückenschwärme gestört.

„Bevor diese Killermücken uns auffressen, möchte ich nochmal mit dir über die Flatrate für unsere Telefonate reden. Ich will auch mal von dir angerufen werden oder eine SMS erhalten, wenn du nachts Pause hast. Wenn es an unserem Tag eine Planänderung gibt, möchte ich das vorher wissen.“

„Also du müsstest deinen Anbieter ändern. Deine Nummer kannst du mitnehmen, wenn du das im Internet beantragst.“

„Das verstehe ich nicht. Ich denke, es muss nur ein Starter-Set gekauft werden und das wolltest du für mich machen.“

„Ja das geht, aber dann hast du automatisch eine andere Nummer. Wenn du weiterhin mit Prepaid telefonieren willst, muss das am PC gemacht werden. Ich lade dich am nächsten Dienstag in meine Wohnung ein und dann machen wir das gemeinsam.“

Ehe Steffi noch etwas fragen kann, beginnt er sie zu küssen, erst auf die Stirn, auf die Wangen und dann auf den Mund. Sie berührt seinen Hinterkopf und denkt:

Die kurzen Haare sind ein bisschen gewachsen, aber ich kann mich noch lange nicht daran festhalten. Am liebsten würde ich jetzt seinen Kopf zwischen meine heißen Schenkel drücken, damit er dort so weiter macht, wie er gerade oben angefangen hat. Leider muss ich mich beherrschen. Hier ist ein öffentlicher Park und wir beide sind nicht allein.

Plötzlich lässt er von ihr ab und steht auf. Seine Erektion ist durch die Jeans sichtbar. Vielleicht sollte sie das jetzt sehen.

„Wir müssen langsam los“, sagt er sachlich und sucht sich eine Zigarette.

Steffi zwängt sich mit staubigen Sohlen in die hochhackigen Sandalen, zieht sich an seinem rechten Arm hoch und sie gehen zum Auto. Während der Fahrt herrscht wieder Schweigen. Er lutscht Bonbons.

Wenn ich nur wüsste, wie ich es richtig mache. Soll ich ihm nun zu verstehen geben, wie notgeil er mich macht und, dass ich mich sehr gern von ihm lecken und ficken lassen würde? Oder würde ihn das abstoßen? Vernünftiger ist es, jetzt gar nichts mehr zu sagen und den nächsten Dienstag abzuwarten.

Ein „Wir sind da“, reißt Steffi aus ihren erotischen Gedanken.

„Du bist ja so rot im Gesicht und am Hals, Steffi“, bemerkt Tomas.

„Entweder es ist zu heiß im Auto oder deine Anwesenheit treibt mir die Schamröte ins Gesicht“, antwortet sie.

„Im Taxi sind zwanzig Grad. Es muss wohl etwas anderes sein. Wo steht denn dein Auto?

Ach hier, ich sehe es schon.“

Tomas setzt zum flüchtigen Wangenkuss an, bleibt aber dann kurz auf ihrem Hals.

„Da war ich noch gar nicht“, bemerkt er dazu. „Steig aus, wir telefonieren morgen wieder. Tschüss, tschüss bis Dienstag.“

Er schaltet den Funk ein, damit er als Fahrer für die Taxizentrale wieder erreichbar ist. Steffi folgt seiner Aufforderung und verlässt den Wagen.

Während der Heimfahrt sortiert sie ihre Gedanken:

Obwohl ich vieles, was er macht, beziehungstötend finde, gefällt er mir immer noch. Äußerlich passt er gut zu mir und er sieht einfach super aus. Das kann man nicht so einfach wegdiskutieren und ich bin ja auch nicht potthässlich. Vielleicht gefalle ich ihm nackt besser als angezogen? Ist mein rationales Denken nicht längst durch sexuelle Gefühle verdrängt?

Nein. Ich errege mich in seinen Armen genauso, wie ich mich in den Armen anderer Männer errege, mit denen ich mir eine Beziehung vorstellen könnte. Das ist nun mal so bei einer normal veranlagten Frau. Oder? Doch ich strebe nicht nach einer Beziehung, die nur der sexuellen Befriedigung dienen soll. Das ist was für Frauen, die alles andere schon aufgegeben haben. Ich glaube noch an die Liebe. Es muss ja nicht unbedingt die Liebe „auf den ersten Blick“ sein.

Steffi ist wieder in ihrem Heimatort angekommen und weil es erst zwanzig Uhr und dreißig ist, schlafen die Eltern noch nicht, und sie kann den Honda* in die Garage fahren.

Ihre Mutter kommt auf sie zu:

„Komm Steffi und setze dich doch ein bisschen mit uns auf die Terrasse. Wir haben beide Kopfschmerzen und sehen nicht fern, sondern wollen bald schlafen gehen.“

„Ja, ich komme auch auf die Terrasse“, sagt Steffi und holt sich ein Glas.

Auf dem Tisch steht Wasser im Kühler. Romeo verlässt zur Begrüßung seinen Platz im Gartensessel und springt kurz auf Steffis Schoß.

„Das Wetter wird wohl umschlagen. Dein Vater und ich, wir vertragen das nicht mehr. Im Alter lässt alles nach, das Sehen und Hören, das Bücken und Laufen und die Verdauung auch.“

„Ach, Mama, das ist der Lauf der Zeit, ihr lebt doch beide gesund und habt euer Tun. Es gibt Menschen, die fahren in eurem Alter bereits im Rollstuhl oder sind bettlägerig.“

Steffis Vater hat bisher nur zugehört und bringt sich nun doch in das Gespräch ein:

„Steffi, das kannst du oder willst du nicht verstehen, weil du in deinem Bewusstsein noch nicht so weit bist.“

„Das ward ihr in meinem Alter auch nicht. Ich gehe jetzt nach oben, sonst gibt es wieder Diskussionen und die verstärken die Kopfschmerzen.“

Steffi umarmt ihre Eltern nacheinander und wünscht ihnen einen heilsamen Schlaf.

Heute schreibt sie in ihr Tagebuch, während sie auf dem kleinen Balkon sitzt. Gefördert durch einen Schoppen Wein entwickelt sich ein Schreibflow, der eigentlich den Rahmen dieses Buches sprengt. Sie greift zum Radiergummi und kürzt. Zusammenfassend stellt sie fest:

Aus Ermangelung anderer Möglichkeiten wird es eventuell am nächsten Dienstag eine sexuelle Erprobung geben. Meine Erfahrung ist eigentlich die: Egal, ob es sich um verheiratete Männer oder Singles handelt, alle, die über fünfunddreißig sind, verfügen über eine gute, praktische, sexuelle Erfahrung. Für mich sagt es einiges über den Charakter aus, wie ein Mann sich im Bett verhält. Wer welche Vorlieben hat, kann durchaus unterschiedlich sein, aber darf nicht konträr verlaufen. Sollte er dort nur an sich denken, wird es das Ende aller meiner Bemühungen um ihn sein.

Steffi zieht sich aus und holt ihren Lieblingsvibrator aus der Kassette, setzt sich auf den Boden unter der unter Dusche, denkt an Tomas und befriedigt sich selbst. Doch ihr Körper gibt danach keine Ruhe. Tomas und ihre Gedanken an ihn, haben sie zu sehr aufgewühlt. Im Bett bearbeitet sie sich erneut mit diesem „Fast-alles-Könner“, steigert sich hinein, wechselt die Positionen und möchte am liebsten kreischen vor Geilheit. Ein Mann und ein Spielzeug wären ihr noch lieber. Doch hier im Haus kann sie sich nicht ausgiebig ihrer Lust hingeben, erst recht nicht mit einem Partner.

Irgendwann hört sie aus Vernunftgründen auf, spült das Teil im Bad ab und packt alles zusammen mit ihren Tagebuchaufzeichnungen wieder in die Kassette.

Ganz entspannt legt Steffi abschließend die Bekleidung für den morgigen Arbeitstag heraus. Bereits im Bett gießt sie gekühlten Wein ins Glas und genießt das edle Getränk. Das Zappen mit der Fernbedienung ihres TV-Gerätes ermüdet und irgendwann schläft sie friedlich ein.


Vorbereitung auf die Einladung

Wie immer stellt Steffi Telefonnotizen zusammen.

Auf keinen Fall will ich am Telefon irgendwelche mehrdeutigen Bemerkungen machen, die Tom darauf bringen könnten, dass ich am Dienstag Sex zulassen würde. Ich werde bis Dienstag warten, und dann werde ich merken, ob er überhaupt will.

Beim ersten Telefongespräch, nach dem letzten Treff, fragt sie noch mal, was mitzubringen ist, damit die Internetbestellung der Flatrate auch klappt. Nachdem alles notiert ist, beendet sie schnell das Gespräch. Das Prepaid-Konto muss erst wieder aufgeladen werden. Sie kommt zurzeit in keinen Laden, weil sie täglich Überstunden machen muss, damit der Monatsabschluss bewältigt werden kann.

Am Freitag geschieht ein kleines Wunder. Als Steffi gerade mit dem Auto von der Arbeit kommend Richtung Karlshorst fährt, ruft er plötzlich an. Zum Glück gibt es eine Möglichkeit rechts ran zu fahren. Aber es wird nur eine Mitteilung. Tomas wollte ihr nur sagen, dass er heute zum Telefonieren keine Zeit hat, weil er früher anfängt zu arbeiten und schon unterwegs ist.

Für diese Info hätte er mir eine SMS schicken können. Warum kann er mit mir nicht während seiner Schicht telefonieren, obwohl er eine Freisprechanlage hat? Er hatte schon mal erzählt, dass er an bestimmten Tankstellen, die einen Imbiss und ein sauberes WC haben, Pause macht. Aber vielleicht unterhält er sich lieber mit seinen Kollegen als mit mir?

Es ist Samstag und Steffi ist zur Fete auf dem Reiterhof eingeladen, wo Shakan untergebracht ist. Die Bekleidungsfrage ist für diese Veranstaltung unproblematisch. Röcke und Kleider sind unzweckmäßig. Nur eine Hose ist angemessen.

Heute ruft sie Tomas mal nicht an. Dann muss sie nicht erzählen, wo sie feiert und sich eventuell unpassende Bemerkungen anhören.

Es wird ein schöner Abend. Steffi hat sich zwei Päckchen in Alu-Folie eingewickelten Grillkäse mitgebracht und Kartoffelsalat. Zum Glück ernähren sich noch ein paar Anwesende vegetarisch, dass sie sich nicht allein gegen die Fleischesser verteidigen muss.

Ein paar „Handwerker“ sind eingeladen. Das sind die, die hier neulich diverse Zäune auf dem Gelände gezogen haben, weil es Wildschweine gibt, die sehr viel Schaden auf dem Privatbesitz der Stallbetreiber anrichten.

Am Grill steht immer einer, der es kann.

Da Steffi ihren Käse am Rand aufgelegt hat, will sie mal danach sehen. Plötzlich steht neben ihr einer der Männer, die eigentlich nicht zum Stall gehören.

„Haben Sie hier auch ein Pferd stehen?“, fragt der junge Mann.

„Nein, ich reite den Shakan. Das ist das Pferd meiner Bekannten.“

Der junge Mann ist gut aussehend, so circa ein Meter und achtzig, breitschultrig, längere Haare, gepflegte Hände, in der rechten eine geöffnete Bierflasche.

„Ich glaube, das kann man jetzt essen“, sagt sie und räumt ihr Alu-Päckchen vom Grill und geht mit Einmal-Besteck und Teller an einen Stehtisch.

Er folgt ihr.

„Ich habe hier neulich den Zaun mitgebaut.“

„Ja, ich habe das Ergebnis gesehen. Den Aufbau nicht, weil ich nur einmal in der Woche hier bin.“

„Wenn die Fete nachher zu Ende ist, kann ich dich nach Hause fahren. Du musst doch nach Berlin, oder?“

„Vielen Dank, ich bin auch mit dem Auto gekommen, anders schaffe ich das nicht bis hierher.“

„Einige sind aber mit dem Fahrrad hier.“

„Das sind die ganz Leichtsinnigen, die sich im Dunklen auf dem Rad durch den Wald trauen. Radfahren hat allerdings den Vorteil, dass man nicht so sehr auf die Alkoholmenge achten muss.“

Der Käse ist alle.

„Wenn du hier den Platzhalter machst, bringe ich dir etwas zum Essen mit. Was darf es sein?“, fragt Steffi.

„Ich würde irgendeinen Salat essen und ein Stück Baguette, falls vorhanden.“

Am Tisch wird schon getuschelt. Steffi nimmt ihren zweiten Grillkäse vom Rost und stellt ihn schon zum Abkühlen auf die Platte des Stehtischs. Dann holt sie Salat, ein paar Baguettescheiben und ihr Wasser. Damit kehrt sie zurück an den Stehtisch. Aus den Lautsprechern ertönt Bruno Mars mit „Grenade“.

„Gefällt dir die Musik?“, fragt Steffi. „Ich kenne einen Mann, der hört gar keine Musik. Kannst du dir das vorstellen?“

„Nein. Mir gefällt dieser Song, aber ich höre auch andere Hits.“

Einige tanzen bereits fröhlich, andere sind in den Stall gelaufen, um nach den Pferden zu sehen.

Steffi möchte sich nicht nur mit diesem Mann unterhalten. Sie will jetzt lieber an die große Tafel gehen, an der die meisten sitzen. Aber erst muss der Grillkäse aufgegessen werden.

Als wenn er auch so fühlt wie sie, holt er einen Zettel aus der Brusttasche seines Oberhemds und einen Kuli und schreibt seinen Namen sowie zwei Telefonnummern auf und schiebt den Zettel über den Tisch.

„Wenn du Lust hast, dich mit mir zu unterhalten, kannst du mich abends anrufen“, sagt er und wirft Steffi einen bedeutungsvollen Blick zu.

„Das mach ich“, antwortet sie.

Beide verlassen gemeinsam den Tisch. Er geht zu seinen Kumpels und Steffi setzt sich zwischen die Reiterinnen. Die Musik ist inzwischen so laut, dass Steffi nicht hören kann, was die fremden Männer vielleicht gerade über sie reden. Aber sie hört, was die Frauen vom Reiterhof sagen. Tenor ist: Warum bist du eigentlich solo, wo du so viele Chancen hast?

Steffi weicht dem Gerede aus und geht lieber mit ihrer Bekannten in den Stall, um Shakan zu besuchen.

Als die beiden Frauen wiederkommen, sind die Männer, die eigentlich nicht zum Stall gehören, verschwunden. Vermutlich schon unterwegs, Richtung Berlin. Die Stimmung wird immer ausgelassener und bei einigen Anwesenden steigt der Alkoholgehalt im Blut.

Steffi beschließt, nach Hause zu fahren, denn nur mit Wasser macht ihr die schönste Fete keinen Spaß.

Während der Fahrt denkt sie:

Wieder so ein Zufall. Ich habe einen Mann kennengelernt, am Reitstall, wo ich seit Jahren aktiv bin und wo ich schon an vielen Feierlichkeiten teilgenommen habe. Noch nie ist mir hier jemand begegnet, der mir seine Telefonnummer gegeben hat und der mir gefällt. Für mich heißt das: Ich werde jetzt den nächsten Dienstag abwarten und wenn der Tag wieder nach hinten losgeht oder Tom im Bett nicht das bringt, was ich beim ersten Sex erwarte, werde ich diesen „Zaunbauer“ anrufen. Tom hat keinen Trumpf, den er aus dem Ärmel holen könnte. Seine Möglichkeiten und seine Fähigkeiten, um eine Beziehung führen zu können, sind sehr bescheiden.

Natürlich schreibt sie das zu Hause in ihr Tagebuch.

Am Sonntagabend ruft Steffi wieder bei Tomas an. Er wirkt unfreundlich und wortkarg. Im Hintergrund läuft der Fernseher. Vermutlich stört sie ihn bei der Übertragung einer Sportveranstaltung. Steffi fragt:

„Wie geht es dir?“

„Wie soll es mir gehen? Wie immer“, lautet die Antwort.

Er fragt nicht, wo sie gestern war, denn eigentlich müsste er sich erinnern, dass Samstag Ausgehtag ist und über den gestrigen Samstag wurde nicht gesprochen. Es scheint ihn nicht zu interessieren.

Erst als Steffi fragt, wann sie am Dienstag da sein soll, kommt wieder Leben in seine Gedanken. Nach einer Überlegungspause antwortet er:

„Möglichst pünktlich um 16 Uhr.“

„Alles klar, und tschüss bis Dienstag.“

„Tschüss, tschüss.“

Dieser Typ ist doch unmöglich. Er muss doch wissen, was er erzählen könnte. Es ist mir doof, immer zu fragen. Wie war deine Fahrtour? Hat deine Schwester dich angerufen? Hast du dies oder das in der Zeitung gelesen oder in den Nachrichten gehört? Ich werde wieder alles meinem Tagebuch anvertrauen und schon mal meine Sachen für den Dienstag herauslegen. Das Wetter ist unbeständig. Laufen werde ich wohl nicht müssen.

Ich könnte einen meiner Chiffonröcke anziehen und eine halbärmliche Bluse dazu. Die, an die ich gerade denke, ist grau bis anthrazit. Dazu passt ein schwarzer BH. Ich liebe schwarze Unterwäsche. Am liebsten würde ich keinen BH anziehen, wie zu Hause, aber erstens wird es am Dienstag nicht heiß sein und zweitens fühlt sich Tom dadurch eventuell herausgefordert. Vielleicht aber auch nicht, weil ihm meine Brüste nicht gefallen. Sie sind nicht besonders groß. Dafür hängen sie aber nicht und haben eine jugendliche Halbkugelform.

Auf jeden Fall wird es unter dem Rock ein Tanga werden.


In der „Höhle des Schützen“

Pünktlich, mit einem Kuchenpaket auf der Hand balancierend, geht Steffi an dem auf dem Hof parkenden Taxi vorbei und klingelt an der Haustür. Der Summer geht, sie schiebt die Tür auf und erklimmt die Steintreppen bis zur 4. Etage. Ein Fahrstuhl hat das Haus nicht. An der Wohnungstür klingelt sie erneut. Er öffnet und begrüßt sie mit einem flüchtigen Kuss auf den Mund.

Statt ein „Schön-dass-du-da-bist“ zu sagen, sieht er auf die Uhr und verkündet:

„Eine Minute vor vier.“

„Ich habe uns Kuchen mitgebracht, können wir Kaffee dazu trinken?“

„Kaffee? Habe ich nicht. Ich trinke seit Jahren nur Espresso aus der Tüte und da muss ich erst mal nachsehen, ob ich überhaupt noch genug da ist.“

„Du hattest mich doch eingeladen. Oder?“

Keine Antwort.

Steffi folgt ihm in eine kleine, aber sehr saubere und aufgeräumte Küche. Nichts steht herum, auch keine Deko. Kein Kochgeruch, es riecht nur nach Zigarettenrauch.

„Hast du keine Kaffeemaschine?“

„Nein. Als die Letzte den Geist aufgegeben hat, habe ich keine mehr gekauft.“

„Na ja, der Espresso wird gerade noch reichen, so dass ich morgen noch welchen habe. Der, den ich immer trinke, den gibt es nicht überall und wo es ihn gibt, ist meistens genau diese Sorte alle.“

„Was ist das Besondere daran?“, fragt Steffi.

„Nichts. Mir schmeckt eben nur der.“

„Hast du schon alle Espressos gekostet, die der Handel anbietet?“

„Fast alle.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752133493
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Burnout absurd Aggression Berlin Beziehungsstörung Depression Narzissmus Hypnose antisozial Rückführung

Autor

  • Petra S. Rosé (Autor:in)

Die Autorin ist in Berlin geboren und lebt auch heute noch dort. Nach Schul- Lehr- und Studienabschluss und nach Absolvierung einer Schreibschulung, hatte sie sich eine nebenberufliche Tätigkeit des Korrekturlesens, des Textens nach Stichworten und des Ghostwritens aufgebaut. Im Jahre 2011 versuchte sie, mehr und Neues über das Schreibhandwerk zu erlernen und hat erfolgreich an diversen Seminaren anlässlich der Deutschen Schreibtage teilgenommen. Es folgten zahlreiche ebooks und Druckbücher.
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Titel: Ich liebe einen Soziopathen, 1.Teil