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Heart over Mind

von Charlene Vienne (Autor:in)
395 Seiten

Zusammenfassung

Leonies bisheriges Leben lief so gar nicht nach Plan. Wen wundert es da, dass sie schon mit dreiundzwanzig Jahren davon überzeugt ist, mit dem Kapitel Liebe abgeschlossen zu haben. Zumindest bis ihr überraschend ein Mann in die Quere kommt – noch dazu ein Weiberheld, wie er im Buche steht. Und dieser Casanova ist kein anderer, als ihr langjähriger Bekannter Marc! Obwohl sie ihn gut zu kennen glaubt, zwingt er sie mit Charme und entwaffnender Ehrlichkeit, ihre Meinung über ihn zu überdenken. Dennoch bleibt die Frage, was er tatsächlich von ihr will, schließlich passt sein Plan vom Leben so gar nicht zu dem ihren. Ein bittersüßer Krieg entbrennt. Wer wird gewinnen? Herz oder Verstand?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Heart over Mind

© 2019/ Charlene Vienne

www.facebook.com/Charlene.Vienne.Autorin/

Alle Rechte vorbehalten!

 

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.

 

Umschlaggestaltung

Charlene Vienne; Bilder: istock.com, pixabay.com

 

Bildmaterial Buchlayout

pixabay.com

 

Lektorat/ Korrektorat

Elke Preininger

 

Erst Lektoriat/ Korrektorat

Kristina Mangold/ Andreas März

 

Erschienen im Selbstverlag:

Karin Pils

Lichtensterngasse 3-21/5/9

1120 Wien

 

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Das Buch enthält explizit beschriebene Sexszenen und ist daher für Leser unter 18 Jahren nicht geeignet.

 

2. Auflage

Kurzbeschreibung:

 

Leonies bisheriges Leben lief so gar nicht nach Plan. Wen wundert es da, dass sie schon mit dreiundzwanzig Jahren davon überzeugt ist, mit dem Kapitel Liebe abgeschlossen zu haben.
Zumindest bis ihr überraschend ein Mann in die Quere kommt – noch dazu ein Weiberheld, wie er im Buche steht. Und dieser Casanova ist kein anderer, als ihr langjähriger Bekannter Marc!
Obwohl sie ihn gut zu kennen glaubt, zwingt er sie mit Charme und entwaffnender Ehrlichkeit, ihre Meinung über ihn zu überdenken. Dennoch bleibt die Frage, was er tatsächlich von ihr will, schließlich passt sein Plan vom Leben so gar nicht zu dem ihren.
Ein bittersüßer Krieg entbrennt.
Wer wird gewinnen?
Herz oder Verstand?

Kapitel 1

 

 Vierzehn Uhr dreiunddreißig!

Noch eine Stunde siebenundzwanzig Minuten muss ich rumkriegen, bevor ich den heutigen Arbeitstag geschafft habe. Es ist ja nicht so, als würde ich nicht gerne zur Arbeit gehen. Ich mag meinen Job, auch wenn ein paar meiner Bekannten und Freunde nicht verstehen, warum. Ich liebe Menschen, und mir ist es eben egal, ob diese jung, alt, hübsch, hässlich, dick oder dünn sind. Nett sollen sie sein und höflich – mit Unhöflichkeit kann ich so überhaupt nicht umgehen.

»Schwester Leonie!«, unterbricht Herr Lang meine Gedanken. Ich sehe auf, direkt in sein grimmig dreinblickendes Gesicht. Reste der Gemüsesuppe haften an seinen Mundwinkeln, bis hinauf auf die Wangen. Die Furchen der Zeit haben sich in seine Züge gegraben, doch ich weiß, dass sie tiefer geworden sind, seit seine Frau vor sechs Monaten überraschend an einem Schlaganfall verschieden war. Sie war einfach morgens nicht mehr aufgewacht – das muss man sich mal vorstellen!

»Ach, Herr Lang«, seufze ich, während ich ihm eine Serviette reiche. Ich würde ihn ja sauber machen, aber das mag er nicht. Er meidet – hasst fast – Berührungen, seit seine Lissi ihn verlassen hat.

»Warum muss es auch immer Suppe geben?«, poltert er prompt los. »Ein Steak würde mir nicht aus den Mundwinkeln laufen.«

»Aber Sie könnten es nicht beißen«, kontere ich augenzwinkernd, was mir ein Augenrollen seinerseits einbringt.

Er isst weiter, während ich mich erhebe, um ein wenig der von ihm täglich aufs Neue veranstalteten Unordnung in seinem Appartement etwas zu Leibe zu rücken. In mir schlummert der Verdacht, dass das wahllose Platzieren der Dinge ihn beruhigt. Er erzählt mir gerne von der Zeit, als er noch ein lebenslustiger, glücklich verheirateter Mann gewesen war. Seiner Lissi wäre das Durcheinander stets auf die Nerven gegangen, was regelmäßig zu Unstimmigkeiten zwischen ihnen geführt hatte. Aber nach jedem Streit hätte es tollen Versöhnungssex gegeben.

Es klopft an der Tür, doch noch bevor einer von uns beiden Zeit hat, darauf zu reagieren, geht sie auch schon auf. Es ist Herr Novotny, Herr Langs Nachbar von gegenüber.

»Na, Leo«, grüßt er fröhlich. Ich weiß, er meint damit Herrn Leopold Lang. Zu mir würde er niemals Leo sagen, ganz abgesehen davon, dass mein Kosename mit einem englischen e ausgesprochen wird.

Herr Lang brummt nur in seinen nicht vorhandenen Bart, schiebt seinen beinahe leer gegessenen Teller zur Seite und verschränkt die Arme vor der Brust. Er mag Hans Novotny – das weiß ich –, dennoch ist es stets das Gleiche, wenn sie zusammentreffen. Prinz Charming meets Herrn Brummbär sozusagen.

»Schwester Leonie«, widmet sich Herr Novotny mangels Reaktion seines Freundes nun mir. »Sie sehen wie immer bezaubernd aus. Kann es sein, dass Sie noch schöner geworden sind, seit Sie mir heute Morgen bei meinen Übungen geholfen haben?« Obwohl er mit seinen sechsundsiebzig Jahren Glatze trägt und sein, laut eigenen Aussagen, früher athletischer Körper einiges an Schlankheit und Festigkeit eingebüßt hat, hat er immer noch das Auftreten eines Playboys.

Ich danke ihm für sein Kompliment mit einem herzlichen Lächeln. Gleichzeitig schnappe ich mir das Geschirr von Herrn Lang, um es in die sogenannte Schleuse zu stellen. Am Beginn meiner Anstellung hier hatte ich keine Ahnung, was damit gemeint war, doch nun bin ich klüger. Es ist ein Kästchen, das neben der Eingangstür in die Wand eingebaut ist und sowohl von der Wohnung als auch vom Flur aus zu öffnen geht. Hierdurch wird zum Beispiel die Post der Bewohner geliefert oder eben das schmutzige Geschirr entsorgt.

»Wo haben Sie nur diesen unendlichen Charme her, Herr Novotny? Ich wünschte, Sie würden Kurse halten. Die Männer in meinem Alter könnten auf jeden Fall Nachhilfe gebrauchen«, gebe ich zurück und meine es genau so.

»Schleimen nennt man das, nicht Charme«, poltert Herr Lang auch schon wieder los.

Ich grinse innerlich, halte mein Gesicht aber neutral.

Der Gemaßregelte ist da weniger für versteckte Reaktion und kontert offen. »Nur weil du ein Eisklotz bist, muss ja nicht jeder so sein.«

»Ich bin, wie ich bin …«, schimpft Herr Lang los, wird jedoch von seinem Freund unterbrochen.

»… und das wird niemand mehr ändern«, vollendet der nämlich seinen Standardsatz, was mir nun wirklich ein sichtbares Grinsen entlockt.

Ich mag die Kabbeleien der beiden, und vor allem weiß ich, wie wichtig sie einander sind, auch wenn sie es je auf ihre eigene Art zu verstecken versuchen.

»Was willst du hier?« Die Worte schießen einer Anklage gleich aus Herrn Langs Mund, was sein Gegenüber allerdings nur schmunzeln lässt.

»Dich fragen, ob du mitkommst? Ich geh rüber ins Casino und später auf einen Cocktail an die Bar.«

Jetzt schaffe ich es kaum noch, mir ein kleines Lachen zu verbeißen. Die Ausformulierung des üblichen Nachmittagsplans der beiden ist aber auch zu komisch. In die Realität versetzt bedeutet er nämlich nichts anderes als eine Runde Canasta im Aufenthaltsraum und danach einen Kräutertee im Frühstücksraum, der nachmittags für die Bewohner als Kaffeehaus freigegeben wird.

»Ich setz heut aus!« Herr Lang stemmt sich hoch, schnappt sich seinen Gehstock und humpelt auf die Balkontür zu. »Ich bleib lieber hier und genieße die Sonne.«

»Ach komm, du Langweiler«, folgt darauf prompt die Beschwerde unseres alternden Sunnyboys.

An der Schwelle zu der kleinen Terrasse angekommen, dreht Herr Lang sich zu uns um. »Schönen Nachmittag«, brummt er, tritt nach draußen und zieht die Fliegengitter-Schiebetür hinter sich zu.

Herr Novotny schüttelt den Kopf, danach blickt er mich an. »Das ist dann wohl ein Rauswurf«, merkt er an.

Nickend sehe ich mich noch einmal um. Meine Arbeit hier ist erledigt.

»Ja, wenn er Trübsal blasen möchte, dann soll er das tun.« Es ist ihm anzuhören, wie enttäuscht er ist. Auf eine spontane Meinungsänderung zu hoffen, hat jedoch keinen Sinn. Das weiß er und ich auch. Ist Herr Lang in dieser Stimmung, kommt man nicht an ihn ran!

»Schönen Nachmittag, Leo. Wenn du doch noch Lust bekommst, du weißt, wo du mich findest«, ruft Herr Novotny hinaus ins Freie, worauf ein ablehnendes Brummen zu hören ist. Danach zwinkert er in meine Richtung. »Auch Ihnen noch einen schönen Tag!«

»Danke, ebenfalls.« Ich warte, bis er verschwunden ist, und trete an die Gittertür, um durch das Netz nach draußen zu sehen. Mit hängenden Schultern sitzt Herr Lang in seinem breiten Korbsessel, seinen Strohhut hat er tief ins Gesicht gezogen. »Alles okay, Herr Lang?«, erkundige ich mich freundlich.

»Ja, Schwester Leonie. Alles gut.« Jetzt klingt er zwar traurig, aber nicht mehr ganz so ungehalten.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?« Eigentlich möchte ich nach draußen gehen, doch es ist, als hätte er eine unsichtbare Mauer aufgebaut, die mich daran hindert, mich ihm zu nähern.

Ohne Blickkontakt wird meine Frage verneint, danach dreht er sich ein weiteres Stück weiter von mir weg, was im Klartext wohl auch meinen Rausschmiss bedeutet.

»Ich wünsch Ihnen einen schönen Tag!« In mir drin weiß ich, dass es das für ihn nicht werden wird, dennoch meine ich es aus tiefstem Herzen.

Wie oft war ich hier oben und hab ihn und seine geliebte Lissi hier sitzen sehen? Jetzt steht ihr Stuhl verwaist in der Ecke – niemand darf ihn benutzen!

Mein Herz zieht sich zusammen, während ich mir seine unendliche Trauer vorzustellen versuche. Wie muss es sein, jemanden so sehr zu lieben und ihn dann überraschend zu verlieren?

»Ihnen auch, Leonie«, höre ich ihn sagen, jetzt klingt er bereits ungeduldig.

Warum will er keine Gesellschaft, wenn er doch so einsam ist?, frage ich mich. Ich denk darüber nach, während ich nun wirklich das Appartement verlasse. Ich bin ebenfalls gerne allein, war ich schon immer. Oder anders gesagt, ich habe kein Problem, allein zu sein. Nicht mehr!

Ich gehe zu meinem Medikamentenwagen und prüfe meine Liste, doch eigentlich weiß ich ohnehin, dass alles erledigt ist. Seit ich vor zwei Jahren hier in der Seniorenvilla Zum schönen Brunnen meinen ersten Dienst angetreten habe, ist diese Arbeit für mich zur Routine geworden. Ich bin keine ausgebildete Schwester, weshalb ich auch richtige Pflegedienstarbeit nicht verrichten darf. Meinen Job verdanke ich schlicht und einfach dem Umstand, dass mein Onkel der Direktor des Hauses ist. Das wissen nicht viele, aber diejenigen, die informiert sind, weisen mich gern darauf hin. Als ob ich nicht selber wüsste, dass ich ohne diese Tatsache wahrscheinlich immer noch auf der Straße sitzen würde. Und das nicht sinnbildlich, denn von genau dort hatte mich Onkel Paul aufgelesen, nachdem ihn der Hilfeschrei seiner Schwester – meiner Mutter – erreicht hatte.

Ich bin nicht stolz auf diese Zeit – war ich nicht mal damals, als ich glaubte, mir nach all den Jahren als Musterschülerin und braver Tochter jetzt auch mal Flegeljahre erlauben zu können. Meine Mutter hatte sich neu verliebt – das war ihr ganzes Verbrechen gewesen –, doch für mich hatte es den Einsturz meiner Welt bedeutet.

Ich liebte meinen Vater mit der abgöttischen Naivität einer Tochter. Dass er ein fauler Sack war, der es nicht schaffte, einen Job auch mal länger als zwei Monate zu behalten, sah ich nicht. Ich könnte mich damit herausreden, dass ich ein Kind gewesen war, doch das lasse ich selbst vor mir nicht gelten.

Auf jeden Fall ging er – oder wurde gegangen. Meine Mutter stellte ihn vor vollendete Tatsachen, indem sie ihm seinen Nachfolger präsentierte, und mein Vater verschwand. Ohne zurückzusehen – auch nicht auf mich! Ich habe ihn seit damals nicht mehr gesehen. Kein einziges Mal hat er sich gemeldet – weder schriftlich noch per Telefon.

Seine Flucht löste Wut in mir aus, doch weil ich ihn liebte, war es mir nicht möglich, sie gegen ihn zu richten. Also hasste ich meine Mutter und mich selbst. Zur Schule ging ich nur mehr sporadisch, was meine Lehrer erst auf die Barrikaden brachte, schlussendlich, mangels Reaktion meinerseits, aber zur Gleichgültigkeit verdammte.

Meine Mutter wusste ebenfalls nicht so recht, wie sie mich bändigen sollte, was zum Teil daran lag, dass der Großteil ihrer Energie dabei verloren ging, ihre neue Beziehung zu retten, die sich bereits einige Monate danach im Tiefflug befand. Kurz vor dem Scheitern beschloss sie, mit ihrem Romeo nach Italien auszuwandern. Ihre Pläne beinhalteten keine Rücksichtnahme auf mich. Also beschloss ich, es genauso zu halten. Ich verließ sie nach einem Riesenstreit am Vorabend meines sechzehnten Geburtstags.

Anfangs suchte sie mich, wobei ihre Intensität dabei nicht unbedingt ein gutes Licht auf ihre Muttergene warf. Schon zwei Monate später gab sie auf, packte ihre Sachen und kehrte Österreich und somit auch mir den Rücken. Sie überließ es ihrem großen Bruder sich um das Problem – sprich mich – zu kümmern.

Ich erfuhr es, als ich heimlich zu Hause vorbeisah, um mir noch ein paar Klamotten zu holen. Der Schlüssel passte nicht mehr, und eine nette Nachbarin erzählte mir vom Auszug meiner Mutter. Für mich starb sie in diesem Moment, und außer einer Weihnachts- und Geburtstagskarte jedes Jahr gibt es bis heute keinen Kontakt mehr zwischen uns.

Trotz allem hielt sich der Schock über ihren Weggang in Grenzen. Schließlich hatte mir schon vorher mein Vater bewiesen, dass ich anscheinend nichts war, auf das man bei seiner Lebensplanung Rücksicht zu nehmen hatte. Dann eben ohne Eltern – dachte ich mir!

Die darauffolgenden vierzehn Monate lebte ich bei Freunden in einer WG, hielt mich mit Kellner- und Reinigungsjobs über Wasser. Verlor meine Unschuld, mein Vertrauen in die Welt und am Ende sogar mich selbst. Ich trank – viel zu viel –, doch zum Glück blieb mir die Erfahrung mit härteren Drogen erspart. Abgesehen von einem gelegentlichen Joint hielt ich mich von diesen Dingen fern, auch wenn ich keinen Grund nennen kann, weshalb ich es tat.

Warum ich trank, wusste ich dafür nur zu gut. Zu lieben und nicht zurückgeliebt zu werden gehörte damals zu meinem Leben. Dennoch traf es mich wie aus heiterem Himmel, als Alex – meine erste große Liebe – mich für eine andere verließ. Nicht, dass es nur dieses eine Mal gewesen war, dass er mich betrogen hatte. Die ganze Zeit über hatte ich seine Seitensprünge geduldet. Versucht, meine Wut, den Schmerz darüber mit Alkohol zu ertränken. Dennoch, als er ging, rutschte ich endgültig ab, arbeitete am Ende gar nicht mehr und flog schlussendlich aus der Wohnung. Auch wenn dies nicht allein aus meinen Alkoholproblemen resultierte. Das Leben lässt eben ungern mit sich handeln, genauso wenig wie meine Mitbewohner, die meine Schlampigkeit und meine ewigen Zahlungsschwierigkeiten irgendwann satthatten.

Drei Nächte schlief ich in einem Obdachlosenasyl, was sich am Ende als Glück herausstellte. Auch wenn ich versucht hatte, meine wahre Identität zu verbergen, machte sich ein furchtbar pflichtbewusster Streetworker nachts an meinem Rucksack zu schaffen, fand meinen Personalausweis und verständigte die Polizei. Vierundzwanzig Stunden später befand ich mich in der Obhut meines Onkels, der, wie sich herausstellte, seit mehr als einem Jahr nach mir suchte. Er hatte sogar, mit Erlaubnis meiner Mutter, die vorläufige Vormundschaft für mich übernommen.

Onkel Paul ist ein toller Kerl, das kann ich mittlerweile akzeptieren. Er liebt mich – hat er immer –, selbst wenn ihm früher die tiefe Zuneigung zu meinem Erzeuger nicht viel Platz in meinem Herzen gelassen hatte. Heute liebe ich ihn auch, und das nicht nur, weil er der Letzte ist, der mir von meiner Familie geblieben ist. Es kam nie zu einer richtigen Versöhnung mit meiner Mama. Ein Telefonat, kurz nachdem Onkel Paul mich gefunden hatte, war alles gewesen!

»Leonie!« Eben war er noch in meinen Gedanken, nun höre ich seine Stimme und seine Schritte, die auf mich zukommen. Automatisch schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Er ist einer dieser Männer, die mit dem Alter attraktiver werden. Dichtes blondes Haar und blitzblaue Augen hat er – ein Erbe, das wohl auf unsere nordischen Vorfahren zurückzuführen ist. An den Schläfen haben sich graue Strähnen in das Blond geschlichen, doch man sieht es kaum.

»Onkel Paul!« Ich lasse mich von ihm umarmen und genieße das vertraute Gefühl der Geborgenheit, das mich immer umfängt, sobald er mir nah ist.

»Hast du nicht schon Feierabend?«, erkundigt er sich, kaum dass er mich losgelassen hat.

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich noch fünfundvierzig Minuten bis zu meinem Dienstschluss vor mir habe. Das teile ich ihm mit, doch er lächelt nur.

»Wenn du fertig bist, dann verschwinde einfach«, bietet er großzügig an.

»Nein!«, erwidere ich bestimmt. »Du weißt …«

»Du möchtest keine Bevorzugung. Tut mir leid, es ist schwer für mich, dich nicht zu verwöhnen.« Er drückt mich noch einmal kurz an sich, und ich schließe die Augen, weil mir seine Worte so guttun.

Immer wieder sagt er mir, wie stolz er auf mich ist. Wie stolz ich sein muss, es zurück auf den richtigen Weg geschafft zu haben. Er sieht es als eine Heldentat an – meine Heldentat –, dabei wäre ich ohne ihn nichts.

»Ich könnte in deinem Büro ein wenig Ordnung machen«, schlage ich vor, was ihm ein Grinsen entlockt, das ihn von jetzt auf gleich zehn Jahre jünger macht. Auch wenn er eine Seele von einem Menschen ist, sind die Gene eines Chaoten tief in ihm verankert. Würde ich nicht regelmäßig dafür sorgen, dass seine Papiere und Unterlagen ihren rechten Platz finden, kann das mitunter zu kleinen organisatorischen Katastrophen führen.

»Du bist ein Schatz«, nimmt er meinen Vorschlag sofort an. »Bernd holt mich später ab. Wir werden den Nachmittag zusammen verbringen. Wahrscheinlich kommt Marc auch mit, wenn ihm seine Geschäfte Zeit lassen.«

Meine Augen drehen einen Kreis. Marc Ullmann, der einzige Sohn von Onkel Pauls bestem Freund.

»Marc ist ein aufstrebendes Talent, Leonie«, bekomme ich sofort einen kleinen Rüffel. Natürlich ist ihm meine Skepsis diesem Schönling gegenüber bekannt. Er mag ihn, obwohl ich bezweifle, dass die Sympathie anhalten würde, wüsste mein Onkel, was Marc für ein Weiberheld ist.

Um bei der Wahrheit zu bleiben, es ist nicht so, dass ich Marc nicht leiden kann. Doch sein Umgang mit Frauen ist nun mal gewöhnungsbedürftig, auch wenn ich zugeben muss, dass er zu mir bis heute immer nur nett war.

Ich kenne Marc, seit ich einen Platz in Onkel Pauls Leben gefunden hatte, was kein Wunder ist. Immerhin verbringen sein Vater und mein Onkel den Großteil ihrer Freizeit zusammen.

Marc ist älter als ich, hat mit Bestnoten seinen Abschluss gemacht und steht am Anfang einer großen Karriere. Klar, dass unsere ersten Zusammentreffen recht steif vonstattengingen. Welcher junge Mann von dreiundzwanzig Jahren will schließlich etwas mit einer achtzehnjährigen Ausreißerin zu tun haben?

Dass unsere Familienmitglieder miteinander befreundet sind, bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass Marc und ich uns auch ständig begegnen. Onkel Paul und Bernd spielen mit Begeisterung Tennis, genauso wie Marc. Ich hingegen kann mich für den Sport nicht recht erwärmen. Dieses Hin- und Herschlagen von Bällen hat für mich die gleiche Faszination wie das Paarungsverhalten von Regenwürmern.

Dafür begleite ich die beiden Freunde gern bei ihren Wanderungen. Ich mag die Natur – sie ist still und erzählt dennoch ihre Geschichte über die Tiere und Pflanzen, die sie bewohnen. Marc teilt diese Vorliebe nicht – er flitzt lieber auf seinem Motorrad oder in seinem Sportwagen durch die Gegend, also begegnen wir uns bei diesen Aktivitäten ebenfalls nicht.

Wo ein Zusammentreffen allerdings unumgänglich ist, sind die Besuche bei den Ullmanns zu Hause, die eigentlich mindestens einmal im Monat stattfinden. An jenen Tagen ist Marc immer da, weil er weiß, dass es seinen Eltern wichtig ist. So arrogant und versnobt er manchmal rüberkommt, niemals würde ich daran zweifeln, dass er sie über alles liebt.

Das kann ich übrigens vollkommen nachvollziehen, denn ich mag die beiden ebenfalls sehr. Überhaupt, Marcs Mutter Marianne – von ihren Freunden aber Mia genannt – ist genau das, was ich mir je unter einer perfekten Mama vorgestellt habe. Ob sie weiß, was ihr Sohn für ein …

»Leonie!« Mein Onkel versucht wohl schon länger, zu mir durchzudringen, denn er klingt etwas ungeduldig.

»Was?«, pariere ich patziger als beabsichtigt.

»Ob du Bernd mit einem Kaffee verwöhnen könntest, sollte ich nicht rechtzeitig zurück sein. Ich muss jetzt meine Hausrunde machen, und er wird in …« Er wirft einen Blick auf seine Uhr. »… fünfzehn Minuten da sein.«

»Klar, mach ich«, versichere ich ihm schnell, schenke ihm noch ein Lächeln und lenke meinen Wagen anschließend Richtung Schwesternzimmer. Bernd mag ich ja, ich kann nur hoffen, dass Marc sich wie üblich zu spät oder bestenfalls gar nicht einfindet.

Kapitel 2

Das Büro von Onkel Paul entspricht so gar nicht seinem Naturell. Er ist locker, freundlich, aufgeschlossen, und hier drin ist alles düster, erdrückend und alt. Das liegt natürlich nicht an seinem Geschmack, sondern daran, dass die Einrichtung noch von seinem Vorgänger stammt. Leider ist ein Re-Design im Moment kein Thema.

Bernd muss nicht lange warten. Kaum wird der Boden seiner Kaffeetasse sichtbar, ist auch Onkel Paul wieder da. Sie unterhalten sich, wobei ich mich natürlich ebenfalls ein wenig ins Gespräch einbringe. Irgendwie habe ich das Gefühl, als versuchten sie die Zeit totzuschlagen. Vielleicht, weil sie tatsächlich darauf warten, dass Marc kommt. Die häufigen Blicke auf die Uhr sind nur ein Indiz.

Irgendwann ist ihre Geduld jedoch erschöpft, und sie beschließen, allein aufzubrechen. Obwohl ich miteingeladen bin, lehne ich ab.

»Ich werde hier noch klar Schiff machen, dann mach ich mich auf den Weg nach Hause«, erkläre ich den beiden, erhebe mich und beginne das Kaffeegeschirr auf das kleine Tablett zu schichten.

»Sie ist mein Engel«, schwärmt Onkel Paul und streichelt kurz dankbar meinen Arm.

»Ja, das ist sie.« Bernd lächelt mir zu, und ich lächle automatisch zurück.

Ich mag ihn, beinahe genauso sehr wie ich seine Frau mag. Sein Sohn hingegen ist ein anderes Kapitel. Es ist nicht Antipathie, die ich für ihn empfinde, ich hab nur ein Problem mit seinem Umgang mit Frauen. Er läuft durch die Welt, als wäre er ein Gottesgeschenk an die weibliche Zunft. Und was mich noch mehr ärgert – sie lassen sich das nicht nur gefallen – nein –, sie unterstützen ihn sogar in diesem Glauben, indem sie ihn ausnahmslos anhimmeln.

Ich bin da die leuchtende Ausnahme – also zumindest sehe ich mich als solche. Wir können uns unterhalten, was – auch wenn ich es ungern zugebe – tatsächlich immer sehr lustig ist. Ich mag es, dass er eigentlich zu jedem Thema eine Meinung hat. Selbst zu denjenigen, die so gar nicht sein Ding zu sein scheinen. Ich kann mich erinnern, dass er sich mal an einer regen Diskussion über Liebesschnulzen zwischen seiner Mutter und mir beteiligt hatte. Während Mias Best-of-Liste eher Filme älteren Datums enthielt, war mein Favorit »Notting Hill« mit Julia Roberts und Hugh Grant gewesen. Marcs Kommentar dazu hatte gelautet, ob Hugh Grant derjenige war, der mal mit einer Nutte im Auto erwischt worden war, was davon zeugte, dass auch er, zumindest ab und zu, Klatschblätter las.

»Na dann. Ich wünsche euch einen schönen Nachmittag!«, versuche ich dem Schmeicheln zu entgehen. Es ist mir ein wenig unangenehm, da ich mir unsicher bin, inwieweit Onkel Paul seinen besten Freund jemals in meine, nicht ganz so rühmliche Vergangenheit eingeweiht hat. Ich bin kein Engel – ich weiß zu genau, was ich in meinem Leben schon alles angestellt habe.

Die beiden verabschieden sich herzlich, gleich darauf bin ich allein. Das bisschen Geschirr ist schnell weggeräumt, der Tisch abgewischt und ich somit fertig. Umgezogen hatte ich mich bereits vorher, also begebe ich mich nur kurz in das Mini-Badezimmer und checke mein Aussehen. Meine bis zur Schulter reichenden braunen Locken schimmern rötlich. Das tun sie nicht immer. Vielleicht sind sie ein inneres Barometer. Steht das Gefühlswetter auf Sturm, ist eben rot angesagt. Ich schmunzle über meine eigenen Gedanken. Als würde mich das Fernbleiben von Herrn Arroganter-Arsch-Marc so aus der Fassung bringen.

Eine meiner Locken um einen Finger rollend überlege ich, ob ich sie vielleicht wieder glatt tragen sollte? Habe ich früher getan. Erst seit sie kürzer geschnitten wurden, lasse ich sie natürlich gewellt. Das gibt mir irgendwie einen frecheren Touch. Ich persönlich finde ja, dass ich ein Allerweltsgesicht besitze, nur mein Onkel Paul widerspricht mir da gern. Er meint, meine Augen sind etwas Besonderes. Ich kann das nicht erkennen. Heute wirken sie eher müde. Mehr grau als grün. Sie spiegeln tatsächlich meine Stimmung wider.

Schulterzuckend schnappe ich mir meine Handtasche, eile zurück ins Büro, wo ich plötzlich vom Vorraum aus ein lautes »Hallo« höre. Ich runzle die Stirn. Die Stimme kenn ich doch.

Schon geht die Tür auf, und darin steht niemand anderes als Mister Ich-bin-so-cool Marc!

Obwohl ich es nicht mal unter Folter zugeben würde, sieht er wie immer perfekt aus. Gewollt chaotisch verstrubbelte, dunkelblonde Haare. Blau blitzende Augen, groß, schlank, einfach atemberaubend in hellgrauen Jeans und schwarzem Hemd, das nicht ganz zugeknöpft ist und so einen kleinen Einblick auf seine gebräunte Haut erlaubt.

»Du bist fast eine Stunde zu spät«, begrüße ich ihn säuerlich, doch wenn ich eine reuige oder vielleicht zumindest zerknirschte Miene auf seinem Gesicht erwartet habe, werde ich enttäuscht. Er grinst.

»Auch schön, dich zu sehen!« Seine lässige Erwiderung, so vollkommen ohne eine Spur von Bedauern, lässt meine Magensäfte brodeln. Wie kann man nur so ignorant sein?

»Dein Vater ist schon weg. Also er und Onkel Paul.« Ich klammere mich an die Tasche, die über meiner Schulter hängt, weil ich tatsächlich wütend bin. Schon allein deshalb, da ja scheinbar niemand außer mir darüber sauer war. Sein Vater und selbst mein Onkel finden nichts dabei, dass Mister Marc-ich-bin-ein-egoistischer-Arsch mal wieder nach seinen eigenen Regeln spielt.

Kurz frage ich mich, ob das der wirkliche Grund ist, warum mich das so echauffiert, und das Ergebnis gefällt mir nicht. In Wahrheit bin ich neidisch! Eben weil er anscheinend machen kann, was er will.

Seine Mundwinkel wandern noch höher, gleichzeitig tritt ein eigentümlicher Glanz in seine Augen. Mir ist nicht klar, wie er das macht, aber was es auch ist, es wirkt magnetisierend. Man möchte zurücklächeln oder ihm sogar etwas Nettes sagen, doch ich kenne ihn zu lange, um nicht gegen diesen Trick immun zu sein.

»Ich weiß, ich habe eben mit Dad telefoniert, während ich hergefahren bin«, erklärt er mir mit einer Selbstsicherheit, die mir die Galle hochjagt. Ist das eine Entschuldigung, dass er den Termin verschwitzt hat?

»Es ist mir egal, warum du zu spät bist«, stoße ich hervor, bevor er noch weitersprechen kann. Ich habe zwar keine Ahnung, ob er das überhaupt wollte, aber Vorsorge ist besser als Nachsorge.

Leider ist sein Redefluss nicht aufzuhalten, und was er rauslässt, bringt mich dazu, ungläubig zu blinzeln. »Warum bist du eigentlich so sauer?«, fragt er nämlich allen Ernstes.

Zuerst mal muss ich Luft holen, um überhaupt antworten zu können. »Weil du mal wieder zu spät bist.«

Er legt den Kopf schief. Dabei fällt ihm eine Strähne seiner Haare ins Gesicht, die ich ihm zu gern wegstreichen würde. Innerlich zeige ich mir selbst den Vogel – wie komme ich nur plötzlich auf solche Gedanken?

»Aber ich hatte doch keine Verabredung mit dir, warum also bist du sauer?«, erkundigt er sich amüsiert.

Dieses Mister Charmebolzen-Gehabe kann er gern wieder abstellen – das ist ja nicht zum Aushalten. »Aber mit meinem Onkel!«

»Ich wusste nicht, dass du als seine Sekretärin arbeitest und somit für seine Zeiteinteilung zuständig bist.« Er sieht sich demonstrativ um, als würde er auf Spurensuche seiner Annahme gehen.

»Tu ich auch nicht«, keife ich zurück. Der Ärger erhitzt meine Wangen.

»Dann versteh ich nicht, warum dich das betrifft.«

»Weil er mein Onkel ist«, blaffe ich ihn an. Zur Unterstreichung meiner Entrüstung verschränke ich meine Arme vor der Brust.

Sieh an, nun dürfte ich doch einen Nerv getroffen haben, zumindest schnauft er etwas genervt, bevor er sich dem Schreibtisch von Onkel Pauls Vorzimmerdame nähert, um ihn als Sitzgelegenheit zu missbrauchen. Zu meiner Schande muss ich mir eingestehen, dass das sehr gut aussieht, wie er da, einem Männermodel gleich, lässig darauf lehnt. Seine Jeans spannt sich über seinen muskulösen Oberschenkeln, die mir heute übrigens zum ersten Mal auffallen. Sein Hemd sitzt ebenfalls recht knapp, wenn auch nicht zu eng, was natürlich daran liegen kann, dass er gerade seine Arme verschränkt hat.

»Weder mein Vater noch Paul haben irgendwie sauer geklungen am Telefon. Denn sie verstehen, dass man in meinem Job nicht immer minütlich voraussagen kann, wann der Arbeitstag endet«, lässt er mich schließlich an seinen Gedanken teilhaben.

»Aber …« Ich breche ab, weil ich ehrlicherweise nicht weiß, was ich darauf sagen soll. Das ist ja wieder mal typisch. Dieser Typ hat doch immer eine Ausrede parat.

»Ich kann nicht Punkt fünf den Bleistift fallen lassen, wenn du weißt, was ich damit meine.« Er grinst triumphierend.

Natürlich weiß ich, was er meint. Und leider auch, dass er recht hat. Verdammt, kaum habe ich den Gedanken zugelassen, ist es mir unmöglich, ihm noch länger böse zu sein.

Das scheint Marc gleichfalls zu ahnen, denn der Triumph in seinen Augen glitzert heller als die Sonne. »Na dann hat sich das ja geklärt«, stellt er lapidar fest.

Gar nichts ist geklärt, will ich protestieren, lasse es aber, weil mich dieses Funkeln ganz irre macht. Stattdessen dränge ich mich mit einem »Ist ja auch egal. Ich muss jetzt los«, resolut an ihm vorbei.

Doch weit komme ich nicht, er legt mir einfach den Arm um die Mitte und hält mich fest. »Hoppla, schöne Frau. Nicht so eilig!«

Ungläubig wende ich mich ihm zu, er grinst immer noch oder schon wieder – was weiß ich. »Was fällt dir ein?«, schnaube ich, außer mir vor Wut.

Marc scheint davon leider so gar nicht beeindruckt. Er bleibt cool, lässt mich jedoch los, allerdings hält er sich bereit, jederzeit erneut zuzugreifen. »Paul meinte, du wärest sicher noch hier und könntest mir die Unterlagen geben, die er hier vergessen hat. Er ist sich ziemlich sicher, dass er sie auf dem …«, er zieht kurz eine Denkermiene, bevor er weiterspricht, »… kleinen Tisch am Fenster liegen lassen hat.«

Meine Augen drehen einen Kreis. Das ist ja wieder mal typisch Onkel Paul. Kurzerhand mache ich kehrt, gehe ins Büro zurück und schnappe mir zielsicher die gesuchte Mappe, die wirklich dort liegt, wo vermutet. Als ich damit zurückkehre, hat sich Marc, mir erwartungsvoll entgegenblickend, an der Bürotür platziert.

»Hier!« Ich reiche ihm die Papiere, was mir ein betont freundliches »Vielen Dank, Leonie« einbringt.

Mir zuzwinkern muss er auch noch, der Schuft, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir gelingt, darauf keine Reaktion zu zeigen.

»War’s das?«, erkundige ich mich versucht gelangweilt.

Statt einer Antwort spüre ich seinen Blick. Es ist fast, als würde er unter meinen Pulli dringen – ein Gedanke, der mir übrigens einen Schauer über meinen Rücken jagt. Ein ganz anderes Gefühl – genannt Wut – weckt seine Stimme in mir, die gleich darauf erklingt. »Wo musst du denn so dringend hin?«, erkundigt er sich nämlich süffisant.

»Was geht dich das an?«, maule ich und ärgere mich gleichzeitig darüber, dass ich nicht annähernd so beherrscht sein kann wie er.

»Warum bist du so unhöflich? Ich dachte, das ist eine der wichtigsten Eigenschaften für dich: Höflichkeit und gute Umgangsformen.« Seine Worte, denen eindeutig eine große Portion Sarkasmus anhaftet, sind dennoch leider allzu wahr.

Er steht da, lächelnd, so als könne er kein Wässerchen trüben. Dabei weiß ich, dass er es faustdick hinter den Ohren hat. Mal ehrlich, der Typ ist ein Playboy! Er behandelt Frauen wie Spielzeug, aber, und das muss ich nicht wirklich neidlos anerkennen, er tut es mit Charme, und das ist meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Mischung.

»Tut mir leid«, entschuldige ich mich. Es ist ein zwar nicht ehrlich gemeinter, doch ziemlich gut gelungener Versuch, zu meiner gewöhnlich freundlichen Art zurückzufinden.

Nun tanzt seine rechte Augenbraue schräg nach oben. Mir ist schleierhaft, wie er das macht. Hab das bis jetzt nur bei ihm gesehen. »Tut es nicht. Aber es ehrt dich, dass du möchtest, dass ich es glaube.«

»Kann ich dir noch irgendwie helfen?«, frage ich, um dieser Situation endlich zu entkommen.

Er nimmt sich einen kurzen Moment, in dem er vorgibt, ernsthaft zu überlegen, doch was dann seinen Mund verlässt, kann einfach nur als Scherz gemeint sein. »Leider nicht. Ich muss nämlich auch los. Dein Onkel und mein Dad erwarten mich in etwa …«, er sieht auf die Uhr und nach dem Schneiden einer lustigen Grimasse zurück zu mir, »… drei Minuten beim Heurigen

Mein Mund geht auf und wieder zu. Dazu fällt mir einfach nichts Passendes ein. Was allerdings ohnehin unnötig wäre, denn der Herr betrachtet seinen Auftritt wohl für beendet.

»Also, schönen Nachmittag noch. Ich hoffe, wir sehen uns bald.« Mir ein letztes Lächeln schenkend wendet er sich ab und entschwindet.

Und ich? Ich stiere ihm hinterher, wobei ich erst nach einigen Sekunden merke, dass ich ihm auf seinen knackigen Arsch starre.

Kapitel 3

Der Samstagmorgen begrüßt mich mit strahlendem Sonnenschein, was natürlich daran liegt, dass ich ungewöhnlich spät aus den Federn krieche. Es ist bereits kurz nach zehn, trotzdem bin ich müde oder, konkreter ausgedrückt, total erledigt. Das kommt davon, wenn man statt zu schlafen Gehirnfürze ausbrütet.

Grummelnd verlasse ich mein Bett, schlüpfe in meine Zuhauseklamotten, bestehend aus weiten grauen Shorts und einem weißen T-Shirt mit dem Paddington-Bär drauf, und schleppe mich in die Küche.

Mehr noch als meine unausgeschlafene schlechte Laune drückt mir der Grund dafür aufs Gemüt. Denn ich hatte mir des nachts nicht über wichtige Dinge den Kopf zerbrochen.

Nein!

Dieses verdammte Zusammentreffen mit Mister Ich-bin-der-coolste-Kerl-auf-Erden Marc hat meine Gehirnwindungen zu Höchstleistungen angespornt. Besser gesagt der Umstand, völlig übertrieben auf ihn reagiert zu haben.

Mein Gott, ich kann nicht zählen, wie oft ich den Typen schon gesehen hatte, trotzdem war das gestern irgendwie anders gewesen. Zu sagen, er hätte mich nicht bereits tausendmal auf hundertachtzig gebracht, entspräche einer Verschleierung von Tatsachen, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass er nie zuvor so eine Charmeoffensive an mir gestartet hatte. Und das ist es wohl auch, was mich am meisten beschäftigt hat oder ehrlicherweise immer noch meine Gedanken beherrscht. Warum zur Hölle hatte er mich das erste Mal wie eine Frau behandelt?

Mittels zwei Durchgängen meiner schon etwas in die Jahre gekommenen Kaffeemaschine fülle ich mir meine Thermoskanne voll mit Kaffee – reichlich Koffein ist niemals ein Fehler – und gebe einen guten Schuss Milch dazu. Die Kanne und meine Lieblingstasse – auch hier ist Mr Paddington drauf – finden ihren Platz auf einem Tablett. Eine kurze Überlegung später schnappe ich mir noch den Gugelhupf, der von der letzten Jause drüben bei Onkel Paul übrig geblieben war, und lege ihn dazu.

Danach checke ich meine Umgebung auf der Suche nach weiteren frühstückstauglichen Dingen. Leider ist das Einzige, das ich finde, mein verdammtes Spiegelbild in meiner erst kürzlich erworbenen Mikrowelle. Ich sehe aus, wie ich mich fühle, doch mit der Tiefe meiner dunklen Augenringe könnte ich wohl sogar einem Schreckgespenst Konkurrenz machen.

Seufzend wende ich mich ab, schnappe das Tablett und begebe mich auf meinen Mini-Balkon. Er ist vom Wohnzimmer aus zu erreichen. Sein Highlight ist ein wunderschöner Ausblick auf Onkel Pauls Garten. Seit ich vor über zwei Jahren bei ihm ausgezogen bin, um ein selbstständiges Leben zu führen, wohne ich hier. Genauer gesagt, in der Anlegerwohnung im ehemaligen Dienstbotenhaus, das zu seiner Villa gehört. Ich könnte behaupten, dass nur meine dürftigen beziehungsweise nicht vorhandenen Ersparnisse an diesem distanzarmen Umzug schuld gewesen waren. Doch die Wahrheit ist, dass ich so den buchstäblichen Lotto-Sechser gemacht hatte. Ich war der elterlichen oder eigentlich onkelichen Fürsorge entkommen, konnte aber dennoch die Vorzüge seiner Nähe auskosten.

Mein Fünfundfünfzig-Quadratmeter-Paradies liegt im Obergeschoss des Hauses, welches, wenn man den Zweck bedenkt, für den es erbaut wurde, wirklich großzügig angelegt ist. Das Erdgeschoss ist in zwei Appartements geteilt. Eines bewohnt eine alte Schachtel, die ich, nach mehrmaligen Versuchen, ihr freundlich zu begegnen, mangels annehmbarer Reaktion nun gar nicht mehr beachte, und das andere einem jungen Student, der eigentlich so gut wie nie zu Hause ist. Es ist angenehm ruhig hier – der Vorteil einer eher teureren Wohngegend, in der ich mir von meinem Gehalt nicht mal eine Besenkammer leisten könnte. Ein Grundstück reiht sich hier an das andere, die darauf gebauten Gebäude jeweils schöner als das des Nachbarn. Die Gärten sind gepflegt und jeder kennt jeden. Also sozusagen ein eigenes Dorf in der Stadt.

Ein freches Zwitschern zwingt mich, von meiner bereits gefüllten Tasse aufzusehen: Ein kleiner Vogel mit rotem Bauch sitzt am äußersten Rand der Balkonbrüstung und singt sein Lied. Das Echo lässt nicht lange auf sich warten, bald trällert es aus allen Richtungen. Ich muss lächeln, was für ein herrliches Leben der Piepmatz führt. Freiheit, Gesang und wenn dir jemand auf den Keks geht, kackst du ihm einfach aufs Dach.

Eine Bewegung im Garten der Villa lenkt meine Aufmerksamkeit um. Erst sehe ich nur einen Schatten, doch gleich darauf tritt Onkel Paul aus der Hintertür. Er sieht sofort in meine Richtung, lächelt und winkt mir zu. Allerdings sehr verhalten, was in mir die Vermutung weckt, dass die Herren gestern den Abend bei Bernd ausklingen ließen. Oder konkret gesagt, in dessen wunderschön eingerichtetem Keller, der unter anderem eine exclusive Whiskey-Sammlung beherbergt. Dort rauchen sie dann gern Zigarren und genießen ein gutes Tröpfchen.

Der Gedanke bringt leider die Erinnerung an mein gestriges Intermezzo mit Marc zurück. Der teilt diese Leidenschaft nämlich, was mich ziemlich sicher macht, dass er ebenfalls bis zum Ende dabei war. Das dämpft etwas meine Begrüßungseuphorie, trotzdem schenke ich Onkel Paul natürlich ein Lächeln und ein Winken.

Er gähnt ausgiebig, bevor er seinen Arm noch einmal grüßend schwenkt und ins Haus zurückkehrt. Dann muss ihn wirklich ein schlimmer Kater plagen, sonst hätte er zumindest versucht, mich zu einem gemeinsamen Frühstück zu überreden – immerhin weiß er, dass ich heute frei habe.

Wie auf Kommando geht die Verandatür drüben wieder auf und Onkel Paul schlurft zurück in den Garten. Er trägt nun eine Sonnenbrille, was meine Mundwinkel zucken lässt. Er wirkt ein bisschen wie ein alternder Casanova, wie er da in Stoffhosen, Hemd und der dunklen Brille auf mich zukommt.

»Guten Morgen!«, ruft er hinauf, kaum dass er in Hörweite ist.

»Morgen!«, grüße ich zurück, stelle meinen Becher ab und trete ans Geländer, um besser zu ihm hinunterblicken zu können.

Er mustert mich kurz, dann graben sich Falten in seine Stirn. »Hast du nicht gut geschlafen?«

Meine Augenringe sind wohl auch von da unten gut zu sehen, was in mir den Wunsch aufkommen lässt, ebenfalls eine Sonnenbrille parat zu haben.

»Nicht so wirklich«, gebe ich also das Offensichtliche zu.

»Möchtest du rüberkommen?«, spricht er nun doch die erwartete Einladung aus, die wohl vorhin die gleißende Sonne verhindert hat.

»Nein, danke. Außerdem siehst du auch so aus, als würdest du eher noch ein paar Stündchen Ruhe benötigen.«

Er grinst verhalten, zuckt kaum merklich mit den Schultern. »Das ist vielleicht keine schlechte Idee. Und du solltest dir auch noch ein Schläfchen gönnen.«

»Wieso?« Gedankenverloren greife ich mir meine Zigaretten – es wird Zeit für den morgendlichen Nikotinschub –, ziehe ein Lungenbrötchen aus der Packung und stecke es an.

Wie auf Kommando verzieht Onkel Paul sein Gesicht – er toleriert meine Sucht, was aber nicht heißt, dass er davon begeistert ist. »Weil wir nachmittags bei den Ullmanns zum Grillen eingeladen sind.«

»Oh«, mache ich, runzle die Stirn und will eben protestieren, als Onkel Paul mir auch schon zuvorkommt. »Drücken verboten!«

Resignierend seufzend nehme ich noch einen Zug, stütze anschließend meinen Arm auf das Balkongeländer und meinen Kopf gegen meine Hand. Ein Schmollgesicht heraufbeschwörend starre ich so griesgrämig wie ich kann nach unten. Doch innerlich bin ich bereits wieder versöhnt. Was macht es schon, dass ich dort vielleicht Marc treffe, die gegrillten Filetsteaks von Bernd sind jedes Opfer wert.

 

Onkel Paul ist so nett, den Chauffeur zu geben, was mir die kommenden Stunden schon jetzt versüßt. Bernds Begabung beim Cocktailmixen ist nämlich ähnlich groß wie die als Grillmeister.

Als wir ankommen, halten wir uns nicht mit Klingeln auf. Wie erwartet, finden wir das Ehepaar Ullmann auf der Terrasse hinter dem Haus. Die Begrüßung fällt leiser aus als gewohnt, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass Bernd der Kater vom gestrigen übertriebenen Whiskey-Genuss ähnlich stark anzusehen ist wie meinem Onkelchen. Ich tausche ein wissendes Lächeln mit Mia, während wir uns kurz umarmen. Wie immer genieße ich den Moment ihrer Nähe – sie duftet nach frischer Wäsche, gutem Essen und Liebe, eben wie eine Mama riechen muss. Danach blicke ich mich unauffällig um. Der dritte Stuhl steht nicht auf seinem Platz, sondern ist ein Stück herausgezogen. Meine Sherlock Holmes Spürnase irrt nicht, nur einen Moment nach meiner Entdeckung folgt die nächste.

Marc schlendert lässig wie eh und je vom Haus aus auf uns zu. Er trägt helle Jeans und ein weißes T-Shirt, sein Gürtel und seine Schuhe sind hellbraun und – wie ich mir sicher bin – aus Leder. Was bei anderen langweilig wirken würde, sieht an ihm fantastisch aus. Was mich allerdings daran stört, ist, dass ich es heute auch tatsächlich so empfinde.

»Leonie!« Er kommt direkt auf mich zu, zieht mich in eine kurze Umarmung, wie er es sonst eigentlich nur bei Geburtstagsfeiern oder ähnlichen Anlässen getan hat, und dann küsst er mich doch allen Ernstes auf die Wange.

Vor lauter Schreck kann ich gar nicht entsprechend reagieren, sondern stehe nur blöd da und starre ihn an.

»Paul«, macht Marc einfach mit der Begrüßung weiter, als wäre nichts passiert, dann pflanzt er sich auf seinen Stuhl und lächelt selbstzufrieden in die Runde.

Mir wird bewusst, dass ich ihn immer noch anstarre, also lenke ich meinen Blick lieber auf etwas anderes. Meine erste Wahl fällt auf Onkel Paul, der eben dabei ist, den bereits vorbereiteten Grill zu bewundern, danach weiter auf Bernd, der ihm scheinbar die Fleischauswahl erklärt. Beide beachten mich nicht, genauso wenig wie Mia, die ebenfalls Platz genommen hat und eifrig dabei ist, Onkel Paul und mir Kaffee einzuschenken. Nur einer sieht mich an, mit einem schiefen Grinsen und der künstlerisch herausragend hochgezogenen Augenbraue: Marc!

Als könnte ich durch seine Hirnplatte auf seine Gedanken sehen, wird mir bewusst, dass er meine Irritation, den Kuss betreffend, nicht nur mitbekommen hat, sondern sie regelrecht genießt. Der Ärger darüber kriecht in mir hoch, doch ich schaffe es, ihn in meiner Magengegend zu bannen, wo er allerdings drückend auf sich aufmerksam macht.

»Leonie?«

Mias Stimme klingt verwundert, also wende ich mich ihr zu. »Ja?«

»Ob du Kuchen möchtest?« Sie mustert mich irritiert, anscheinend ist das nicht das erste Mal, dass sie die Frage gestellt hat.

»Ähm – ja, klar«, erwidere ich schnell, dabei fühle ich mich furchtbar ertappt. Ohne zu Marc hinüberzusehen, ahne ich, wie sehr er sich gerade über mich amüsiert.

Hat er das früher schon gemacht?, frage ich mich, finde jedoch keine befriedigende Antwort. Klar hat er mich ab und zu geneckt, aber geküsst hat er mich noch nie! Wobei ich wieder zum eigentlichen Thema zurückgekehrt bin. Innerlich schnaubend schnappe ich mir erst mal meine Tasse, um im Koffein Ablenkung zu suchen.

»Warum hast du keinen Kater«, erkundigt sich Onkel Paul versucht genervt bei Marc, dem im Gegensatz zu den beiden älteren Semestern tatsächlich nichts anzusehen ist. Wenigstens ist so geklärt, dass er gestern dabei war, als die beiden zu tief ins Whiskey-Fass geguckt haben.

»In dem Alter hab ich so etwas auch noch locker weggesteckt«, mault Bernd sofort.

Marc sagt nichts dazu – lacht nur leise.

»Ich muss nach drinnen. Da wartet noch ein wenig Arbeit auf mich.« Mia lächelt schon wieder, meine Lust auf ihren tollen Kirschenkuchen hat sie wohl mit meiner Unaufmerksamkeit ausgesöhnt.

»Soll ich dir helfen?«, biete ich an, obwohl ich eigentlich keine Lust habe. Aber die beiden Männer sehen nicht so aus, als würden sie allzu bald an den Tisch zurückkehren, und im Moment ist mir alles recht, um nicht mit Marc allein hier sitzen zu müssen.

Leider wird mein großzügiges Angebot von der Hausfrau abgelehnt, und zu allem Überfluss bittet Bernd Onkel Paul um seine Meinung, was eine Delle an seinem Wagen angeht. Die beiden entschwinden in Richtung Garage, was im Klartext bedeutet, dass ich mich schneller, als mir lieb ist, plötzlich in alleiniger Gesellschaft von Mister Charmebolzen himself wiederfinde. Der stibitzt sich grinsend eine Kirsche von meinem Kuchen und wirft sie sich in seinen Mund.

»Hey!«, beschwere ich mich sofort, doch er lächelt nur.

»Nimm dir deinen eignen Kuchen!«

»Ich bin doch nicht irre. Weißt du, wie viele Kalorien dieses Zucker-Mehl-Ungetüm hat?«, erklärt er mir selbstgerecht.

Ich stecke mir demonstrativ ein besonders großes Stück in den Mund und kaue genüsslich.

Das beeindruckt ihn leider wenig. Irre ich mich, oder mustert er mich mit einem Mal prüfend? Ich versuche, unauffällig meinen Bauch einzuziehen – natürlich weiß ich genau, dass ich nicht so dürr bin wie die Magermodels, mit denen er sich sonst so trifft.

»Man sieht dir nicht an, dass du so ungesund isst«, lässt er mich an seiner anscheinend neugewonnenen Weisheit teilhaben.

»Na, zum Glück«, kontere ich, bin aber eher unzufrieden mit meiner eigenen Antwort. Also rupfe ich mir noch ein Stück von meinem Kuchen ab und genieße es mit einem langgezogenen »Hmmm«.

Marc ärgert sich leider nicht darüber, er lacht nur. Und das auch noch auf eine sehr angenehme Weise.

Zur Hölle, hat der immer schon so gelacht?

»Warum bist du so abweisend?«, erkundigt er sich, wobei er ehrlich interessiert klingt.

»Bin ich doch gar nicht«, protestiere ich sofort.

»Doch, bist du. Sonst haben wir uns doch auch immer gut unterhalten.«

Das stimmt, da kann ich schlecht etwas dagegen sagen. Also schweige ich lieber und nehme mir noch einen Schluck Kaffee.

»Bist du immer noch sauer wegen gestern?«

Irgendwie gefällt es mir, dass ihn das beschäftigt. Also gönne ich ihm einen Blick, was sich sofort als Fehler herausstellt.

Waren seine Augen wirklich immer schon so blau?

Ich könnte schwören, dass sie funkeln. Doch nicht wie in diesen Kitschfilmen, wo ein weißes Strahlen Zähne oder Blicke hervorhebt. Nein, es sind dunkle Reflexionen, die mir die Attribute »geheimnisvoll« und »gefährlich« suggerieren.

»Leonie«, schmeichelt er mit sanfter, angenehm rauer Stimme.

Dieser Tonfall lässt meinen Bauch kribbeln und noch etwas ein Stück tiefer. Röte kriecht in meine Wangen, also wende ich mich wieder ab. »Ich bin nicht sauer, nur unausgeschlafen«, versichere ich ihm und hoffe verzweifelt, dass das Thema damit abgeschlossen ist.

Bevor ich dieser These auf den Grund gehen kann, erklingt Mias Stimme. »Wann musst du weg? Kannst du noch eine Kleinigkeit mitessen?«

Verwirrt blicke ich auf. Wer muss weg?

Anscheinend Marc, denn er antwortet. »Ausgemacht ist siebzehn Uhr, also muss ich spätestens in …«, auf seine unglaublich protzige Uhr sehend runzelt er die Stirn, »… zwanzig Minuten los.«

Baff sehe ich zwischen ihm und seiner Mutter hin und her. Ich war überzeugt, dass er ebenfalls zum Grillen hier wäre – doch offensichtlich ist sein Besuch nur eine Stippvisite.

»Okay. Kein Problem.« Sie schenkt ihm ein strahlendes Lächeln und geht weiter, um das Tablett, das sie in den Händen hält, neben dem Grill abzustellen.

»Du bleibst nicht zum Essen?«, höre ich meine eigene erstaunte Stimme.

Wie unqualifiziert ist denn bitte diese Bemerkung? Manchmal frage ich mich, ob zwischen meinen Lippen und meinem Hirn tatsächlich eine direkte Verbindung besteht.

»Nein. Bin verabredet.« Wieder blitzt es dunkel in seinen Augen – also zumindest interpretiere ich es so. »Oder soll ich lieber hierbleiben?«

Was zur Hölle soll denn das jetzt?

Spürbar gräbt sich eine tiefe Falte zwischen meine Augen.

»Was gibt es denn hier, das mich überzeugen könnte, meine Verabredung abzusagen?« Sich lässig zurücklehnend grinst er mich an.

In mir wächst das Gefühl, als wäre das im Moment ein Spiel für ihn. »Was wird das, Marc?«, frage ich ihn also direkt.

Ich verstehe es wirklich nicht. Wir kennen uns so lange, warum plötzlich die Veränderung?

»Was denn?«, erkundigt er sich scheinheilig.

»Du hast noch nie so mit mir gesprochen. Ich meine, auf diese Art. Normalerweise pflegen wir oberflächliche Konversation, mit gelegentlich humoristischem Einschlag.«

Er schmunzelt. »Und das jetzt würdest du als tiefgehende, ernste Diskussion bezeichnen, oder wie?«

Dass dieser Typ auch jederzeit eine passende Antwort parat haben muss!

Lachend kommen Onkel Paul und Bernd aus Richtung Garage zurück. Mia steht immer noch am Grill, also wage ich es, das Problem direkt anzusprechen. »Es kommt mir vor, als würdest du seit gestern plötzlich wahrnehmen, dass ich eine Frau bin.«

»Okay!« Ein kurzes Lachen folgt, doch schnell findet er zu einer etwas ernsteren Miene zurück, die ich ihm abnehmen würde, wäre da nicht dieses schelmische Funkeln in seinen Augen. Er beugt sich näher zu mir. »Ich versichere dir, Leonie, ich weiß sehr genau, dass du eine Frau bist, und das schon ziemlich lange.«

»Aber …«, stammle ich, werde jedoch unterbrochen, bevor ich meine Gedanken ausformulieren kann, denn Bernd ist an den Tisch getreten.

»Deine Mutter hat mir gesagt, dass du nicht zum Essen bleibst«, wendet er sich an seinen Sohn.

»Nein, sorry. Bin verabredet. Aber ich habe Mum versprochen, euch dafür nächste Woche mal zum Brunch auszuführen.« Charmant präsentiert Marc sein perfektes Lächeln.

»Noch lebst du in Österreich, junger Mann. Vielleicht könntest du dann auch deutsche Worte benutzen«, meckert Mia, die ebenfalls zu uns gestoßen ist.

Marc lacht und sein Vater und mein Onkel mit ihm. »Sei nicht so streng«, bittet Bernd, während er seiner Frau einen Arm um die Schultern legt.

»Sie hat bloß Angst, dass ihm London bald besser gefällt als Wien«, erläutert er mir danach.

»Aber London ist eben auch wunderschön«, entkommt es mir, bevor mir bewusst ist, dass ich es sagen möchte. Ich liebe London – immer schon –, obwohl ich noch nie da gewesen bin.

Das merkt auch gleich mal mein Onkel an, verwirrt schmunzelnd. Diesen Traum habe ich bis jetzt in meinem Herzen verschlossen, aus dem einfachen Grund, weil ich ihn mir nicht leisten kann.

»Themenwechsel«, ruft Mia laut, was Gelächter auslöst. Marc steht auf, haucht ihr einen Kuss auf die Wange und drückt sie danach noch kurz an sich. Das ist die andere Seite dieses Womanizers. Mir ist selten so ein gestandener Mann begegnet, der so offensichtlich seine Eltern verehrt. Es scheint ihm egal zu sein, wer das sieht, und das finde ich einfach extrem liebenswert.

Mein Inneres zieht sich zusammen. Habe ich gerade ernsthaft das Wort ›liebenswert‹ im direkten Zusammenhang mit Marc Ullmann verwendet?

»Ich komm gleich«, eröffne ich, erhebe mich und eile nach vorn in den Vorgarten, um mir eine Zigarettenauszeit zu gönnen. Da hier außer mir niemand raucht, ziehe ich es vor, mich hierher zurückzuziehen.

Einige Züge später beginnt Entspannung einzusetzen, was ja der eigentliche Zweck des Glimmstängels ist. Leider ist mir keine lange Ruhepause gegönnt, nur ein paar Minuten. Noch bevor ich aufgeraucht habe, kommt Marc um die Ecke geschlendert. Zuerst denke ich, dass er vielleicht wirklich mich sucht, doch dann fällt mir ein, dass er ja vorhin seinen baldigen Aufbruch verkündet hat.

»Na, Zeit für dein Date?«, frage ich ihn also, als er bei mir angekommen ist.

Er wirft einen angewiderten Blick auf meine Marlboro – natürlich ist er ein Gesundheitsapostel und strikter Nichtraucher –, bevor er mir eine knappe Antwort gönnt: »Ja.«

Mehr kommt nicht, und ich benötige einiges an Anstrengung, mich davon abzuhalten, die Augen zu verdrehen. »Na dann. Viel Spaß!«

»Werde ich haben«, erwidert er lapidar.

Warum nur habe ich sofort zweideutige Gedanken, wenn er so etwas sagt?

Meine Zigarette landet im Kanalgitter – man möchte ja keinen Dreck hinterlassen. »Ist das nicht anstrengend?«, höre ich mich fragen, gleichzeitig wundere ich mich, warum ich meine Gedanken ausspreche.

»Was?«, erkundigt er sich.

Obwohl ich es mir nicht ganz erklären kann, habe ich mit einem Mal das Bedürfnis, es auszusprechen. »Ständig mit anderen Frauen auszugehen.«

Er grinst. »Nein, warum soll das anstrengend sein?«

»Na ja.« Ich weiß es doch selber auch nicht so recht. »Wäre es nicht netter, mal jemanden auszuführen, den du näher kennst? Mit dem du vielleicht eine Art Beziehung aufbauen kannst?« Was zur Hölle ist denn in mich gefahren, dass ich solche Dinge sage? Meine Wangen flammen auf.

»Ist das ein Angebot?« Er wirkt amüsiert, wenn auch ein wenig überrascht.

»Nein!«, protestiere ich natürlich sofort. So war das ja wirklich nicht gemeint! Die Verlegenheit brennt heiß in meinen Wangen.

»Warum eigentlich nicht?«, sagt er, als hätte ich seine Vermutung nicht eben aufs Schärfste zurückgewiesen.

»Das war überhaupt kein Angebot. Es geht nicht um mich«, versuche ich es noch einmal.

»Aber höchstens mal spontan. Ich hab grad meine Termine nicht im Kopf.«

Warum zur Hölle ignoriert der Typ mich eigentlich? Wütend möchte ich zu einem weiteren lautstarken Protest ansetzen, doch schneller, als ich reagieren kann, hat er sich in Bewegung gesetzt und marschiert auf seinen verdammten Audi zu.

»Ich meld mich«, ruft er, gleichzeitig entsperrt er den Wagen.

Perplex starre ich ihm hinterher. Er hingegen steigt ein, startet den Motor und fährt los.

Und ich frage mich ernsthaft, ob ich das alles nicht nur geträumt hab.

Kapitel 4

Eine Woche ist seit dem Grillnachmittag bei den Ullmanns vergangen, und ich habe das Thema Marc-benimmt-sich-anders bereits ad acta gelegt. Ist doch egal, was an diesen zwei Tagen mit ihm los war, ist ja schließlich nichts passiert. Außer einem kleinen Begrüßungskuss. Ist ja nicht so, als würde ich die Berührung seiner Lippen immer noch spüren, wie das in kitschigen Liebesschnulzen so gern zitiert wird.

Ich denk nicht mal mehr an ihn, zumindest bemühe ich mich darum. Dabei hilft natürlich Arbeit! Trotzdem bin ich froh, als mein Arbeitstag fast vorbei ist. Nachdem ich meinen Abschlussbericht geschrieben habe, beschließe ich, beim Freitags-Kaffeekränzchen vorbeizuschauen. Das wöchentlich veranstaltete Treffen im Hauptspeisesaal soll das Leben der Bewohner mit Abwechslung füllen. Jede Woche gibt es eine andere Mehlspeise, die dann auch der Namensgeber des Nachmittags ist. Heute haben wir somit Apfelstrudel-Jause, wie das bunte Ankündigungsschild am schwarzen Brett zeigt.

Der Duft des Strudels zieht in meine Nase, kaum dass ich den Saal betreten habe. Meine Laune sinkt dennoch ein wenig, denn wie schon so oft wird mir sofort klar, dass es wohl nicht bei allen gelingt, die Einsamkeit und Altersdepressionen mit Kaffee und Kuchen zu vertreiben. Zwischen den lustig schnatternden Grüppchen sitzen die üblichen Einzelgänger, die entweder keine Lust auf Gesellschaft haben, oder denen die eigene schlechte Laune die Möglichkeit nimmt, sich irgendjemandem anzunähern.

»Schönen Nachmittag, Frau Dr. Bauer«, grüße ich eine besonders grimmig dreinblickende alte Dame mit elegantem grauem Hütchen auf dem Kopf. Es passt perfekt zu dem Kostüm, das sie trägt. Sie ist die Witwe eines Neurologen, der eine Privatklinik geleitet und ihr dementsprechend viel Geld hinterlassen hat. Die anderen Bewohner meiden sie, weil sie zickig, unfreundlich und abweisend ist. Ein weiterer Grund ist aber sicher auch, dass sie sich, als eine der Wenigen, den Aufenthalt in einem besseren Haus leisten könnte, und somit jemandem den Platz wegnimmt, der es nicht kann. Sie gönnt mir lediglich ein kurzes Nicken, also gehe ich weiter.

Am Ende meines Rundganges steuere ich den Tisch meiner Lieblingsbewohner an. Brummbär und Casanova, wie ich sie ja gern gedanklich betitele. Sie haben heute Gesellschaft einer Dame – ein Neuzugang –, Frau Irgendwas-bacher.

»Einen wunderschönen Nachmittag«, wünsche ich, als ich bei ihnen angekommen bin.

»Leonie!« Herr Novotny hat mich als Erster bemerkt. »Sie sehen bezaubernd aus, junge Dame.«

»Dankeschön«, gebe ich zurück, seine charmante Art hebt meine Mundwinkel. Von Herrn Lang ernte ich im Gegenzug nur einen verkniffenen Blick. Nanu – was ist dem denn schon wieder über die Leber gelaufen? Statt seiner schlechten Laune auf den Grund zu gehen, wende ich mich jedoch der Dame am Tisch zu. »Wie geht es Ihnen?«, erkundige ich mich freundlich. »Haben Sie sich bereits eingewöhnt?«

»Ja, danke. Ganz wunderbar. Die ganze Woche über tue ich eigentlich nichts anderes als all die netten Leutchen kennenzulernen, die hier neben mir ein Zuhause gefunden haben. Es ist doch ein Segen, wenn man im Alter noch einmal so etwas erleben darf. Freundschaft, Zusammengehörigkeit und vielleicht sogar eine neue Liebe.«

Dass Herr Novotny der von ihr für die letzte Option auserwählte Partner ist, zeigt der eindringliche Blick, den sie ihm am Schluss ihrer Worte zuwirft. Den amüsiert das natürlich prächtig, während die Miene von Herrn Lang noch ein wenig mehr vereist. Das ist also der Grund für seine miese Laune? Entbrennt hier etwa gerade ein Eifersuchtsstreit?

»Das freut mich, dass es Ihnen bei uns so gut gefällt.« Meine Erklärung schraubt ihr Lächeln noch ein wenig höher. Ehrlicherweise hält sich meine Begeisterung für sie in Grenzen. Sie ist diese typische ehemalige Direktorengattin, mit bläulich gefärbten Löckchen und nachgeschneidertem Chanel-Kostüm. Irgendwie kann ich mir nicht recht vorstellen, dass unser Casanova tatsächlich auf sie abfährt. Dafür habe ich ihn zu oft mit weitaus adretteren und vor allem jüngeren Frauen flirten sehen.

»Und wie geht es Ihnen, Herr Lang?« Meine Hand berührt den Oberarm von Herrn Brummbär, was ihn ein wenig zu entspannen scheint.

»Gut, Schwester Leonie. Vielen Dank der Nachfrage.« Ein Abklatsch eines Lächelns erscheint auf seinem ansonsten müde wirkenden Gesicht. Ich beschließe, mir an meinem nächsten Arbeitstag für ein Plauderstündchen mit ihm Zeit zu nehmen. Er sieht irgendwie aus, als wolle oder besser müsse er reden.

»Ich habe schon Feierabend, aber ich wollte mich noch bei Ihnen verabschieden, weil ich die kommenden beiden Tage freihabe.« Plötzlich ist es mir wichtig, vor allem ihn das wissen zu lassen.

Und tatsächlich nickt er, während ein fast dankbarer Ausdruck seine Miene erobert. »Dann wünsche ich Ihnen zwei wunderschöne Tage!« Er zeigt mir ein klitzekleines Lächeln.

»Genießen Sie Ihre freie Zeit und nutzen Sie sie, um endlich mal wieder auszugehen. Es ist eine Schande, wenn eine so hübsche Frau alleine versauert.« Herr Novotny zwinkert mir zu, was mich zum Schmunzeln bringt.

»Sie wissen doch gar nicht, ob ich nicht ständig Rendezvous habe«, versuche ich zurückzuschlagen, leider ist er ein zu guter Menschenkenner.

Schmunzelnd schüttelt er seinen Kopf. »Wenn ich etwas merke, dann, wenn eine Frau einsam ist.«

»Ja«, seufzt Frau Ich-weiß-immer-noch-nicht-ihren-Namen und wirft ihm einen dankbaren Blick zu, der mich zu einem innerlichen Seufzen bewegt. Irgendwie erinnert mich ihr Verhalten ihm gegenüber an irgendetwas – oder eher an irgendjemand.

»Also dann.« Ich wende mich zum Gehen. »Ich wünsche einen wunderschönen Nachmittag!« Ein letztes freundliches Lächeln in die Runde, dann mache ich mich davon.

 

Zehn Minuten später bin ich umgezogen und aufbruchbereit. Ich beschließe, bei Onkel Paul vorbeizusehen, der heute noch etwa zwei Stunden zu arbeiten hat. Als ich jedoch bei seinem Büro ankomme, teilt mir Johanna, seine Sekretärin, mit, dass er gerade zu seiner Hausrunde aufgebrochen ist. Da ich keine Lust habe, seine Rückkehr abzuwarten, begebe ich mich zum Ausgang. Angestrengt krame ich in meiner, wie immer übervollen Handtasche nach meinem Autoschlüssel, als ich plötzlich beinahe mit jemandem zusammenstoße.

Eine Entschuldigung murmelnd weiche ich ein wenig zur Seite, um ihn durchzulassen, doch der Typ bleibt einfach mir gegenüber stehen. Verwundert sehe ich auf, und da steht niemand anderes als Marc persönlich.

»Was machst du denn hier?«, platze ich heraus, noch bevor ich den Schock richtig verarbeitet habe.

»Dich abholen«, erklärt er völlig entspannt.

»Mich abholen?«, wiederhole ich verblüfft.

»Klar!« Er wirkt nicht mal im Ansatz unsicher.

Meine immer noch in der Tasche steckende Hand stößt zufällig auf Metall, also ziehe ich sie heraus – mit dem Autoschlüssel. Da nun einer Abfahrt nichts mehr im Wege steht – außer vielleicht der Typ vor mir –, schlängle ich mich an genau diesem vorbei und eile nach draußen.

Marc folgt mir, als hätte ich ihn dazu eingeladen, was mich schon wieder auf die Palme bringt. Was hat er nur seit Kurzem an sich, dass ich jedes einzelne Mal so intensiv auf ihn reagiere?

»Also, was wollen wir unternehmen?«, fragt er im Plauderton, während er neben mir herläuft, darum bemüht, so zu tun, als bemerke er nicht, dass mein Tempo eher dafür gedacht ist, vor ihm wegzulaufen. »Ich würde sagen, für den Anfang könnten wir essen gehen.«

Ich halte an, weil mir buchstäblich die Luft wegbleibt. Kaum wiedergefunden, stoße ich jedoch auch schon gemeinsam mit ihr ein ungläubiges »Was?« aus.

Marc amüsiert sich anscheinend prächtig, zumindest entnehme ich das seiner Mimik. »Das war eine Einladung zum Essen. Du weißt schon. Man geht in ein Lokal, bestellt sich was Leckeres, isst, unterhält sich – wir könnten uns ein gutes Glas Wein dazu gönnen.«

»Warum sollte ich mit dir essen gehen?«, hake ich vollkommen perplex nach.

»Wir hatten doch letztens drüber gesprochen. Beim Grillen, bei meinen Eltern«, erklärt er mir allen Ernstes.

Ich puste eine vorwitzige Haarsträhne aus meinem Sichtfeld, verlagere meine Handtasche von der einen auf die andere Seite, weil sie mit der Zeit schwer wird, und funkle ihn danach an. »Du hast irgendwas gesprochen, ich hab gar nichts gesagt.«

Das stimmt natürlich so nicht, aber es ist nun mal Fakt, dass ich mit Sicherheit nicht das hier gemeint habe. Die letzte Woche habe ich mir sicher hundertmal gewünscht, mir lieber auf die Zunge gebissen zu haben, als so einen blöden Satz loszulassen.

»Du hast die These aufgeworfen, warum ich nicht mal mit jemandem ausgehe, den ich länger und besser kenne, und ich habe diese Idee aufgegriffen.« Die Wiederholung meines verbalen Fehlers macht die Sache nicht besser, vor allem weil ich natürlich weiß, dass er im Grunde mit allem recht hat, was er sagt.

Das werde ich jedoch sicher nicht zugeben, stattdessen bringe ich einen neuen Aspekt ins Spiel, der mir, wenn ich ehrlich bin, seit diesem harmlosen Begrüßungskuss im Kopf herumspukt. »Warum jetzt plötzlich? Du hast noch nie Anstalten gemacht, mit mir alleine etwas zu unternehmen«, spreche ich es also aus.

Er gibt vor, kurz zu überlegen, bevor er antwortet, oder vielleicht tut er das tatsächlich. »Wir haben uns immer gut unterhalten, auf den Partys meiner Mum. Warum sollten wir dann nicht mal was alleine unternehmen?« Das klingt so harmlos bei ihm, und ich frage mich, ob er es genauso meint.

Was ist das hier? Ein zwangloses Zeit-miteinander-verbringen, oder … Mir schießt das Blut in die Wangen. Fragt er mich gerade nach einem Date?

»Einmal ist immer das erste Mal«, raunt er – warum zur Hölle muss er jetzt so seine Stimme senken? –, und augenblicklich ist es, als würde sich die Atmosphäre rund um uns verdichten.

Ich spüre seine Augen, die mich fixieren. Für einen kurzen Moment steigt sogar ein bisschen Angst in mir hoch. Das ist lächerlich, und ich schüttle mich innerlich, um die Beklemmung loszuwerden. Als ich glaube, mich wieder im Griff zu haben, sehe ich auf, nur um einem so intensiven Blick zu begegnen, dass mir augenblicklich heiß wird.

Er weiß es, kann ich nur denken. Dieser Mistkerl weiß ganz genau, wie er wirkt – wie er auf mich wirkt.

Ich sehe seine Hand näherkommen, schaffe es gerade noch, nicht davor zurückzuzucken, obwohl meine Haut bereits kribbelt, als ob er mich schon berührt hätte. Ich bin baff. Das erreicht dieser Schwerenöter also alles mit nur einem Blick. Es folgt keine Berührung, zumindest nicht im eigentlichen Sinn, stattdessen nimmt er mir lediglich meine Tasche ab und stellt sie einfach auf die niedrige Mauer, die den Zugang zum Hauptgebäude vom Garten trennt.

»Da diese Diskussion wohl noch länger dauert, ist es sicher angenehmer so«, bemerkt er belustigt. »Wobei, jetzt, da ich sie gehoben habe, wundert mich deine verkrampfte Haltung nicht mehr. Was zur Hölle hast du da drin? Steine?«

Ich bin ungewollt fasziniert von seinem Scharfsinn. Für so aufmerksam habe ich ihn nie gehalten. »Da sind zwei Taschenbücher drin, vielleicht deshalb«, antworte ich beinahe schüchtern, was mich gleichzeitig ärgert, weil ich nicht will, dass er diese Wirkung auf mich hat.

»Warum zwei?«, erkundigt er sich, sich lässig an die Mauer lehnend. Seine Mundwinkel zucken und seine Augen funkeln frech. Er hat diesen rasend schnellen Wechsel vom unnahbaren Womanizer zum Rotzbengel wirklich drauf.

»Weil ich beide lese«, motze ich ihn an, bevor ich die Tasche wieder hochnehme. Mal im Ernst – es ist keine Birkin Bag, aber sie hat doch einiges gekostet. So etwas stellt man nicht auf eine Steinmauer.

Völlig unberührt von meiner offensichtlichen Verstimmung lächelt er mich an. »Also, was nun?«

Ich runzle verwirrt die Stirn, worauf seine Augenbraue nach oben tanzt. »Das Essen?«

»Ich hab keinen Hunger«, lüge ich, was natürlich prompt auffliegt, weil der fiese Verräter in meiner Leibesmitte ein lautes Knurren vernehmen lässt.

»Tz, tz, tz«, macht mein Gegenüber sofort. »Es ist nicht höflich, zu lügen.«

Ertappt senke ich den Blick, während Hitze in meine Wangen kriecht. »Ich versteh wirklich nicht, was das hier soll.«

Marc verdreht die Augen, macht einen Schritt auf mich zu und hebt mit seinem Zeigefinger mein Kinn an, bis ich ihn ansehen muss. Die Berührung löst eine heiße Welle in mir aus.

Das ist doch nicht normal!

Wie oft war ich mit ihm in einem Raum, oder zumindest in einem Garten und – ich schwöre – noch nie hatte er so eine Wirkung auf mich.

»Wenn ich deine Reaktion so betrachte, muss ich mich fragen, womit ich sie verdient habe. Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals schlecht behandelt zu haben.«

Damit hat er verdammt noch mal recht, was es aber nicht besser macht. Seinen fragenden Blick auffangend seufze ich. »Hattest du heute Morgen schon die Absicht, herzukommen und mich zum Essen einzuladen?«, frage ich nach.

Er schüttelt den Kopf, bevor er lachend erwidert: »Nein!«

Mein Mund öffnet sich, doch da sind keine Worte in meinem Kopf, die ich rauslassen könnte. Also fixiere ich ihn nur weiter stirnrunzelnd.

»Aber als ich vorhin nach Hause fuhr, erschien es mir plötzlich eine gute Idee.« Seine Erklärung, vollkommen locker ausgesprochen, entspricht der absoluten Wahrheit. Das spüre ich interessanterweise sofort, was meine Mimik entspannt.

Das sieht Marc leider als Zugeständnis meinerseits, was ihm ein breites Grinsen entlockt. »Okay. Dann können wir los.«

Meine eigene Kapitulation wird mir schmerzlich bewusst, als ich mich selbst nicken fühle. Das ist doch Zauberei, was er da macht. Er ist ein manipulativer Magier, so einer, der den Leuten Illusionen als die Wahrheit verkauft, oder besitzt er die Gabe der Hypnose? Anders kann ich mir nicht erklären, was da eben passiert ist.

»Ich weiß gar nicht. Hast du irgendeine bevorzugte Richtung, was Essen angeht? Ich meine, mich zu erinnern, dass du auf Mums Antipasti abfährst.«

Seine Stimme dringt nur langsam zu mir vor. Ich luge zu ihm nach oben – immerhin ist er mehr als zwanzig Zentimeter größer als ich – und entdecke, dass er mich abwartend mustert.

Zwischen meinen Augen wächst die obligatorische Falte, die Onkel Paul gern als Denkerstrich bezeichnet. »Hast du mich beim Essen beobachtet?«

Marc schüttelt amüsiert den Kopf. »Nein. Du warst es, die mal den halben Abend von ihren Bruschettas geschwärmt hat. Ich glaube, die mit dem Ziegenkäse und den Nüssen hatten es dir besonders angetan.«

Mein Erstaunen über sein Erinnerungsvermögen ist riesig. Verdammt, das stimmt, was er da sagt, nur ist mir schleierhaft, warum er das noch weiß. »Ich wundere mich nur, dass du dich daran erinnerst«, gebe ich zu.

»Ich bin ein sehr aufmerksamer Mensch«, beschwert er sich daraufhin. Gleichzeitig bleibt er stehen, und ich mit ihm. Vor uns steht sein Sportwagen. Ein Audi irgendwas. Den hat er von dem Bonus angezahlt, den er für sein erstes großes Projekt bekommen hat.

»Ich bin mit dem Auto da«, erhebe ich Einspruch, in dieser Männerschwanzverlängerung chauffiert zu werden.

»Okay, dann fahren wir erst zu dir, stellen deinen Wagen ab, und fahren von dort aus weiter«, hat er natürlich die passende Erwiderung.

»Oder wir könnten überhaupt getrennt fahren«, bringe ich einen Gegenvorschlag.

»Keine gute Option«, wehrt er diesen jedoch nur ab, und auf mein darauffolgendes protestierendes »Aber ...« reagiert er, indem er, wie im Umgang mit einem unartigen Kind, den Zeigefinger hebt und mir an die Lippen legt. »Ruhe jetzt. Ich mag es nicht, wenn man mir widerspricht.« Dann wirbelt er herum, entsperrt den Audi. »Wir sehen uns gleich bei dir.«

Und was mache ich? Ja, genau – ich gehe zu meinem kleinen Flitzer und rede mir dabei ein, dass ich nur gehorche, weil Marcs Vorschlag benzinsparend und umweltschonend ist.

Kapitel 5

Zum ersten Mal in meinem Leben sitze ich in einem Wagen, der mehr kostet, als ich jemals im Jahr verdienen werde. Neben mir ein Mann, der so gut aussieht, dass man fast darüber hinwegsehen kann, dass er das nur allzu gut weiß und auch deutlich zeigt.

Wir fahren Richtung Stadtgrenze, und mir wird ein bisschen mulmig im Magen, weil ich weiß, dass die öffentlichen Verkehrsmittel hier draußen nicht gerade weitläufig zur Verfügung stehen. Sollte sich das hier bis in die Abendstunden ziehen und somit für die Heimfahrt ein Wagen vonnöten sein, wird also ein Taxi notwendig werden. Welches ich mir – ganz nebenbei – weder leisten möchte noch kann. Was mache ich also, wenn dieser Abend nicht gut verläuft? Deshalb nehme ich normalerweise immer meinen Wagen, um jederzeit abhauen zu können, wenn es nicht nach meinen Vorstellungen läuft.

Ich linse zu Marc hinüber. Er scheint auf die Straße konzentriert, oder er ist einfach in Gedanken. Seine Hand liegt auf der Armstütze, das Auto ist im Gegensatz zu meinem ein Automatik, also muss er nicht schalten. Die Spitzen seiner schlanken Finger reiben langsam über das Leder, und dieser Anblick lässt Hitze in mir aufsteigen. Ich starre darauf, lecke über meine Lippen und muss schlucken, weil die Spucke in meinem Mund immer mehr wird.

Seine Bewegung stoppt kurz, dann zieht er den Ring- und den kleinen Finger zurück und reibt nun nur mehr mit dem Zeige- und Mittelfinger weiter.

Ich presse die Lippen zusammen, versuche nach vorn zu sehen, schaffe es aber nicht.

Die beiden Finger beschreiben nun klitzekleine Kreise, und mein Mund klafft auf.

Dann höre ich es, und ich bete inbrünstig, dass sich meine Ohren irren, während ich den Blick von seiner Hand losreiße, um aus dem Seitenfenster zu starren. Trotzdem bin ich mir sicher: Er hat gelacht.

Für ein paar Minuten ist es still, bis auf das Brummen des Motors und die leise Musik, die aus den Boxen dringt. Ich lehne meinen Kopf gegen das kühle Glas der Scheibe, versuche, mir einzureden, dass das Spiel seiner Finger eben nur eine gedankenlose Handlung war, keine anzügliche Geste. Die von seinem leisen Lachen ausgelöste Hitze in meinen Wangen verschwindet nur langsam, trotzdem gelingt es mir schließlich, mir selbst die Ausrede des Zufalls zu glauben.

»›Santos‹ okay?«, fragt er plötzlich mit seiner angenehm sanften Stimme.

Ich fahre herum, runzle die Stirn, weil ich im Moment nicht weiß, was er meint.

»Essen. Im ›Santos‹«, konkretisiert er lächelnd, zwinkert mir dann zu. »Oder soll es etwas nobler sein?«

Obwohl ich immer noch ein bisschen verunsichert oder sogar sauer bin, lächle ich automatisch zurück. »Nein. Passt schon.«

Seine Augen bleiben noch ein wenig auf mir, sein Lächeln wird tiefer, schließlich sieht er aber wieder nach vorn.

Endlich kann ich tonlos den angehaltenen Atem entweichen lassen. Gerade eben hatte er diesen Blick drauf, der mich fast vergessen lässt, dass er ein arroganter Playboy ist.

Den Rest der Fahrt schweigen wir, und fünfzehn Minuten später betreten wir das kleine spanische Lokal. Es ist etwas düster, soll wohl die hereinbrechende andalusische Nacht simulieren. Die Wände bestehen aus Naturstein, in den Ecken ranken sich Weinreben. Es gefällt mir. Weckt Erinnerungen an Urlaube, die ich eigentlich nie gemacht habe, außer in meinen Träumen.

Marc führt mich zu einem kleinen Tisch im hinteren Bereich des Lokals. Er nimmt mir die Jacke ab, rückt mir dann sogar den Stuhl zurecht und bringt mich damit zum Staunen, was von ihm natürlich nicht unbemerkt bleibt.

»Schau nicht so überrascht«, neckt er mich. »Ich bin eben ein echter Gentleman.«

Es fällt mir schwer, meine Skepsis zu verbergen, was ihn erst empört schnauben lässt, nur um schließlich aber doch leise zuzugeben: »Na ja, zumindest wenn ich Lust dazu hab.«

Nun muss ich schmunzeln, während ich die Karte entgegennehme, die er mir gentlemanlike reicht.

Der Kellner kommt. Er trägt schwarze Hose und Hemd, getrennt von einer dunkelroten Bauchbinde. Im Spalt des aufgeknöpften Oberteiles kann man jede Menge gekräuselter Brusthaare erkennen. Unbewusst rümpfe ich meine Nase, was Marc ein verschmitztes Grinsen entlockt.

»Stehst du nicht auf südländische, rassige Typen?«, wispert er mir zu.

Ich schenke ihm ein Lächeln und bewege langsam den Kopf hin und her.

Seine Augen ziehen sich zusammen – nur ganz kurz, fast wäre es mir sogar entgangen. Für einen Moment verschwindet der Spitzbubencharme aus seiner Miene, er wirkt ernst, nachdenklich, dann verscheucht sein typisches lässiges Lächeln diesen Eindruck. »Sekt-Orange zum Einstimmen?«, fragt er.

Ich nicke, immer noch etwas verwirrt von der ganzen Situation. Gut, ob Alkohol da jetzt hilfreich ist, bin ich mir nicht sicher, aber okay.

Wir, oder besser Marc bestellt für mich den Aperitif, für sich ein Mineralwasser, dann studieren wir die Karte. Als der Sekt serviert wird, geben wir unsere Bestellung auf – dieses Mal darf ich ganz allein entscheiden.

»Wie kommt’s, dass du heute gar nichts vorhast?«, frage ich ihn, nachdem die Bedienung wieder verschwunden ist. Zeitgleich greife ich nach meinen Marlboros.

»Wer sagt, dass ich nichts vorhatte?«, entgegnet er, nimmt mir das Päckchen Zigaretten aus der Hand und legt es außerhalb meiner Reichweite.

Ich mustere ihn empört, während er nur breit grinst. »Ich mag keine Frauen, die rauchen.«

»Wer hat denn gesagt, dass du mich mögen musst?«, keife ich los, strecke mich über den Tisch, doch er schiebt das Päckchen noch weiter weg, was mir ein »Spinnst du?« entlockt.

»Ist ohnehin ungesund«, stellt er fest, und ich verschränke empört die Hände vor meiner Brust.

»Okay. Das war’s. Ich will nach Hause.«

Lächelnd den Kopf schüttelnd schiebt er mir meine Zigaretten wieder hinüber. »Okay. Aber nur eine vor und eine nach dem Essen, okay?«

Wäre das ein Comic, würde mir jetzt Dampf aus Ohren und Nasenlöchern entweichen.

Was denkt der Kerl sich eigentlich? Ich bin nicht eine seiner Tussen, die er herumkommandieren kann. Das sag ich ihm dann auch erst mal und rauche mir demonstrativ genüsslich eine an.

Er dreht genauso demonstrativ den Kopf von mir weg und jagt mir so ein kleines bisschen schlechtes Gewissen ein, also versuche ich, den Rauch nicht in seine Richtung zu pusten.

»Du bist doch solo?«, fragt er betont entspannt und nimmt erst mal einen Schluck von seinem Mineralwasser.

Ich dämpfe die Zigarette wieder aus, irgendwie schmeckt sie nicht. »Ja. Warum?«

»Ich unterhalte mich nur«, witzelt er, den Kopf schieflegend. »Wieso bist du denn so angriffslustig? Wir haben uns doch sonst gut verstanden.«

Ich schmunzle, wenn auch ein wenig widerwillig – will ihm nicht zeigen, dass ich selber nicht weiß, warum ich so kratzbürstig bin. »Ich dachte, du bist nur nett zu mir, weil dein Vater und mein Onkel befreundet sind.«

»Am Anfang sicher, aber immerhin kennen wir uns jetzt schon – was? – fünf Jahre?« Seine Augen funkeln.

Warum ist mir nie aufgefallen, dass sie so blau sind? Eigentlich hellblau, mit einem dunkleren Ring am Rande der Iris.

»Stimmt«, gebe ich zu, denn er hat recht. Die Ullmanns waren die Ersten, zu denen ich Kontakt gehabt hatte, als ich von Onkel Paul aufgenommen worden war. Mia war es auch gewesen, die mir geholfen hatte, meinen Schulabschluss nachzuholen, ohne den ich nicht mal mit Onkel Pauls Hilfe den Job im Seniorenheim bekommen hätte.

Damals war Marc gerade dreiundzwanzig geworden, und die ersten paar Besuche hatte er das seltsam stille achtzehnjährige Mädchen ignoriert. Fast ein halbes Jahr war vergangen, bevor er mehr als einen Gruß mit mir gesprochen hatte. Und wenn Vincent, sein bester Freund, nicht gewesen wäre, hätte es wohl noch länger gedauert.

Das bringt mich darauf, dass ich genau den und vor allem seine Frau schon eine Weile nicht gesehen habe. Ich kenne sie nur von diversen Gartenpartys bei den Ullmanns, aber für sie hatte ich von Anfang an Sympathie empfunden.

»Wie geht’s eigentlich Vincent und Vanessa?«, frage ich also.

»Gut. Sie ist schon wieder schwanger.«

»Was heißt schon wieder?«, wundere ich mich. »Soweit ich weiß, haben sie nur ein Kind bis jetzt.«

Seine Schultern hüpfen auf und ab, seinem genervten Blick ist zu entnehmen, dass in seinen Augen das bereits zu viel ist.

»Es ist ein Mädchen, oder?« Ich meine mich zu erinnern, dass Vincent das mal erwähnt hat.

Zu meiner Verwunderung schleicht sich nun ein Hauch von Zärtlichkeit in seine Miene. »Ja. Lena. Süß.«

Ich lächle. Es gefällt mir, dass da wohl doch so etwas wie ein Herz in seiner Brust schlägt – wenn auch nur für kleine Mädchen.

Der Kellner kommt wieder. Marc bestellt, ohne es für nötig zu halten, vorher bei mir nachzufragen, ein Glas Wein für mich und noch ein Mineralwasser für sich selbst. Ich frage mich, was er für einen Plan verfolgt, indem er nüchtern bleibt, während er für stetigen Alkoholnachschub für mich sorgt.

Wie immer lässt er mir keine Zeit, diesem Gedanken nachzugehen, weil er, sobald der Latino-Heini wieder weg ist, seine Fragestunde fortsetzt: »Wieso hast du eigentlich keinen Freund?«

»Einfach so«, antworte ich knapp. Ich habe so meine Bedenken, dass zu viel persönliches Wissen über mich in Marcs Händen gefährlich sein könnte, doch meine Zunge plädiert anscheinend spontan für Ehrlichkeit. »Wenn man schlechte Erfahrungen gemacht hat, hüpft man eben nicht gleich wieder mit dem Nächsten ins Bett.«

Marc nickt langsam. »Das verstehe ich, aber es ist doch auch unfair, keinem anderen eine Chance zu geben, nur weil einer mal ein Fehlgriff war.«

Die Getränke kommen, und ich stürze mich, glücklich über die Ablenkung, auf mein Weinglas. Marc beobachtet lächelnd meinen hastigen Schluck, der mir danach sogar ein bisschen im Hals brennt.

Ich erkenne, dass er mir die Antwort nicht ersparen wird, also seufze ich ergeben, bevor ich sie ihm gebe: »Vielleicht will ich ja einfach keine Beziehung im Moment.«

»Im Moment«, wiederholt er, dabei mustert er mich mit einem so durchdringenden Blick, dass mein Magen sich zusammenzieht.

Trotzdem zucke ich versucht lässig mit den Schultern. »Mein Leben passt so, wie es jetzt ist.«

Er setzt erneut dieses süße Lächeln auf, das ich einfach erwidern muss, doch es verrutscht mir sofort, als er weiterspricht: »Ich schätze dich aber nicht so als One-Night-Stand-Typ ein. Wenn du also keine Beziehung hast und auch keine anstrebst …«, er macht eine bedeutungsvolle Pause, »… heißt das, du willst auf ewig oder zumindest lange Zeit ohne Sex leben?«

Das ist doch typisch von ihm, nur an das Eine zu denken. Erleichtert stelle ich fest, dass mir dieses Mal rote Wangen erspart bleiben, dennoch weiß ich nicht recht, was ich antworten soll.

Er fehlt mir nämlich – also, der Sex!

»Bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, erwidere ich, dabei kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Marc grinst ebenfalls. »Du solltest das trennen.«

»Was?«

»Sex und Liebe.«

Nun muss ich lachen. »Das geht nicht«.

»Warum nicht?«, hakt er anscheinend ehrlich interessiert nach.

»Weil …« Mir fehlen die Worte, also zumindest ihm gegenüber, doch schließlich spreche ich es doch aus. »Ach, einfach so. Das ist doch scheiße. Wenn ich mit jemandem schlafe, will ich am nächsten Morgen in seinen Armen aufwachen.«

»Wirklich?«, fragt er mit sichtbarem Erstaunen. »Das ist total interessant. Warum ist euch Frauen das so wichtig?«

Ich schüttle lächelnd den Kopf. »Na, ich denke, da gibt es auch jede Menge Männer, die das mögen.«

»Also geht es nur darum, danach zusammen in einem Bett zu schlafen?«, mutmaßt er, als wäre das ein interessantes Rätsel.

»Nein, nicht nur. Aber das ist es wohl, was mich am meisten stört. Ich würde mir ausgenutzt vorkommen, wenn ich danach praktisch aus dem Bett geworfen werde.«

»Du könntest ihn mit zu dir nehmen, dann kannst du ihn rauswerfen«, stellt er gewohnt pragmatisch fest.

»Oder ihn erst am Morgen rausschmeißen«, spinne ich seine Gedanken weiter.

»Oder so. Dein Spiel – deine Regeln«, flüstert er mit rauer Stimme, die mir wieder einmal durch und durch geht.

Für einen Moment verschwinden die Geräusche rund um uns, sein Blick ist Sex pur. Ich spüre, wie sich mein Unterleib kurz zusammenzieht. Noch niemand – das schwöre ich – hat jemals so eine Wirkung auf mich gehabt.

Ich lecke über meine trockenen Lippen, sein Mundwinkel zuckt. Ich starre ihn an, warte darauf, dass er etwas sagt, doch er tut es nicht. Sieht mich nur an, ohne Lächeln, aber der Moment ist so intensiv, dass ich nicht weiß, wie mir geschieht. Umso abrupter reißt mich seine nächste Feststellung aus meiner Trance.

»Aber um so weit zu kommen, musst du ausgehen.«

Ich fühle mich ein bisschen wie nach einem Sprung aus großer Höhe. Seltsam leicht und doch hochgepusht vom Adrenalin. Um mich zu beruhigen, bevor ich antworte, nehme ich einen Schluck von meinem Wein. Es hilft. Meine Stimme klingt fast normal, als ich schließlich spreche. »Um so weit zu kommen, müsste ich erst mal ausgehen wollen

»Also willst du keine Beziehung und auch nicht ausgehen. Warum bist du dann heute mit mir hier?« Er setzt wieder dieses süße Lächeln auf, das ich einfach erwidern muss.

»Weil du mich überrumpelt hast«, gebe ich lachend zu.

»Wenn man etwas will, muss man zugreifen, bevor es zu spät ist – das war schon immer mein Motto«, sagt er, und in mir breitet sich ein Kribbeln aus, das sich verdammt ungewohnt anfühlt und doch so unheimlich gut.

Und dann kommt der Kellner und serviert unser Essen.

 

Es ist kurz vor zweiundzwanzig Uhr, als wir das Lokal verlassen. Der Abend war schön, wirklich schön. Ich habe mich gut amüsiert und bin vollkommen überrascht darüber, wie leicht wir immer wieder neue Themen gefunden haben. Er ist klug – okay, das wusste ich bereits vorher –, aber er hat, und das hatte ich nicht erwartet, ein unglaublich gutes Einfühlungsvermögen, wenn es darum geht, die richtigen Fragen zu stellen. Oder ist es vielmehr die Art, wie er es tut. Frech, auf diese charmante Art, die mir Antworten entlockt, ohne mir das Gefühl zu geben, mich auszuhorchen. Dennoch durchzuckte mich ab und zu die Frage: Warum habe ich dem das jetzt erzählt?

Wir sind erst ein paar Schritte gegangen, da gerate ich aus dem Tritt, weil er kurzerhand meine Hand nimmt. Ich bin erstaunt, wenn nicht sogar erschrocken, trotzdem lasse ich es zu, und der Grund ist ein furchtbar einfacher. Ich fühle mich wahnsinnig wohl mit ihm – bei ihm.

Versteckt linse ich seitlich zu ihm hoch. Er sieht entspannt und zufrieden aus. Obwohl es Schwachsinn ist, fühlt es sich an, als hätte ich ihn erst vor ein paar Tagen kennengelernt. Dabei kenne ich ihn seit Jahren – oder besser – ich dachte, ihn zu kennen. Habe ich den Vorurteilen zu viel Raum gegeben? Meinen innerlichen Vergleichen mit den Männern von früher beziehungsweise dem einen Mann? Dem, der mich ausgenutzt und dann fallengelassen hat? Ich weiß es nicht – hoffe, dass es nicht so ist. Denn was würde das für ein Licht auf mich werfen?

Das Läuten seines Handys unterbricht meine Grübelei. Ich will ihn loslassen, er packt jedoch meine Hand noch etwas fester, während er mit der anderen das Telefon herauszieht.

»Ja?«, meldet er sich knapp, doch gleich darauf breitet sich dieses fast arrogante Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Baby. Wie schön, von dir zu hören«, raunt er mit tiefer, melodiöser Stimme.

Ich sehe ihn nun unverhohlen baff an. Seine Hand an meiner drückt noch ein bisschen fester zu, so als wolle er verhindern, dass ich sie ihm entziehe. Gleich darauf weiß ich, warum, denn als ich seine nächsten Worte höre, würde ich am liebsten durch die Decke gehen.

»Natürlich hab ich dich nicht vergessen. Ich hatte ein Meeting, das länger gedauert hat. Lauter alte Säcke, mit denen ich danach noch Essen gehen musste.«

Mein Mund klafft auf. Wut in Form von unglaublicher Hitze steigt in mir hoch. Energisch versuche ich, ihm meine Hand zu entziehen, was mir schließlich gelingt.

Sein Blick gleitet auf mich. Er lächelt – verdammt selbstsicher sogar –, während er ins Telefon flötet. »Ich finde es doch auch schade. Aber ich melde mich einfach nächste Woche und wir machen etwas Neues aus. Okay?«

Ich schließe meinen Mund wieder und kneife die Lippen zusammen. Am liebsten würde ich gegen sein Schienbein treten.

Er haucht noch ein »Bye, Baby«, bevor er auflegt und das Telefon wegsteckt.

Für eine Sekunde schaffe ich es, zu schweigen, dann platzt es heraus: »Alte Säcke?«

»Na ja. Hübsche Bekannte wäre wahrscheinlich nicht so gut angekommen, meinst du nicht auch?«, spottet er.

Ich freue mich über das »hübsch«, bin aber sauer, weil er seine Lüge so harmlos darstellt. »War das deine Freundin, oder wie?«

»Nein. Mein Fick vom letzten Wochenende. Ich hatte vergessen, dass ich sie heute anrufen wollte«, erklärt er lässig, bevor er seinen Arm um meine Schulter legt.

»Das war echt ein sehr schöner Abend«, startet er einen Ablenkungsversuch.

Erst will ich mich dagegen auflehnen, gehe dann aber doch darauf ein und stimme kurzerhand leise zu, was einen furchtbar egoistischen Grund hat. Die Zeit mit ihm war nämlich tatsächlich sehr schön, weshalb ich einfach nicht daran erinnert werden möchte, was für ein selbstgefälliges Arschloch er sein kann.

Das denkt sich wohl auch mein verräterischer Körper, denn er drückt sich sogar ein bisschen an ihn. Die hereinbrechende Nacht hat kühlen Westwind mitgebracht, das bietet mir eine gute Ausrede, seine Wärme zu suchen. Irgendwie fühle ich mich leicht und unbeschwert, was nicht allein an den paar Gläsern Wein liegen kann.

Mir fällt ein, dass ich bis jetzt angenommen habe, es wäre der geringen Intelligenz von Marcs Damenbekanntschaften zuzuschreiben, dass diese sich seine oft wirklich geringschätzige Behandlung gefallen lassen. Das muss ich nun revidieren. Denn – tja – im Grunde genommen bleibt seine Frechheit mir gegenüber auch gerade ungesühnt, und ich bin sicher alles andere als blöd.

»Was?«, fragt Mister Mir-entgeht-nichts. Verdammt, kann er in meinen Kopf sehen, wo meine Gedanken im Moment Karussell fahren? Das ist doch zum Verrücktwerden!

Einen erneuten tiefen Atemzug unterdrückend sehe ich ihn an und spreche aus, was mich tatsächlich fasziniert: »Ich hätte niemals angenommen, dass es möglich ist, so viel Zeit mit dir zu verbringen, ohne dass uns der Gesprächsstoff ausgeht.«

»Das stimmt.« Er wirkt überrascht. »Es ist wirklich sehr angenehm, sich unterhalten zu können.« Sein Arm nimmt mich fester, so als hätte sein offensichtlich vorhandener siebter Sinn bereits erfasst, was mir selber langsam bewusst wird. Nämlich, dass ich ihm näher sein möchte – viel näher!

»Die Frauen, die du normalerweise hast, können dir das wohl nicht bieten«, witzle ich, wenn auch mehr, um mich selbst abzulenken.

Marc lacht kurz, bevor ich seinen Blick auf mir spüre. Es ist, als würde er sich in meine Haut brennen.

Verzweifelt versuche ich, ihn nicht anzusehen. Natürlich scheitere ich, was ihn sichtlich unheimlich amüsiert. Seine Augen funkeln wieder so gefährlich, dass es sich anfühlt, als schlüge jemand in meinem Magen Salti.

»War das ein Angebot?«, fragt er sinnlich heiser, und dem letzten Salto folgt eine doppelte Schraube.

»Wofür?«, hauche ich.

»Na ja. Du weißt ja, was mir diese Frauen normalerweise bieten. Hältst du mit?«

Meine Lippen öffnen sich einen Spalt, dann presse ich sie aufeinander. Das Pokerspiel ist wohl eröffnet. In einer schnellen Folge sehe ich die Frauen vor mir, mit denen ich ihn schon erlebt habe. Sehr hübsche, immer wahnsinnig schlanke, sehr auf Mode und vor allem sich selbst bedachte Fast-Models – ganz anders als ich. Ich schminke mich nie stark, meine Brüste sind zu klein für meinen Geschmack, und mein Arsch hat Dellen, die keiner haben möchte. Kein Vergleich zu den strammen Apfelärschen oder den ausladenden Silikon-Dekolletés der Mädchen, die er sonst an seiner Seite hat. Für einen Moment stelle ich mir vor, wie er reagieren wird, wenn er mich nackt sieht und erschaudere.

»Was denkst du?«, fragt er sanft, und ich bin mir für eine Sekunde oder so sicher, dass er meine Gedanken lesen kann, weil er so aussieht, als würde er meine Ängste kennen.

»Marc, ich denke, das ist keine gute Idee«, sage ich, obwohl alles in mir nach ihm schreit.

Auch das scheint er zu wissen, denn er lächelt nur, bleibt stehen und zieht mich in seine Arme. Zu sagen, es tut gut, wenn er mich hält, ist die Untertreibung des Jahres. Es ist verdammt lange her, und obwohl ich ihm nicht traue, obwohl ich Angst habe, fast schon Panik, gibt mein verräterisch zitternder Körper einfach nach, und ich schmiege mich an ihn.

Zum Glück erspart er mir jede zynische Anspielung oder Bemerkung. Nein, er sagt nichts, legt nur seine Hand an die Seite meines Gesichtes und lenkt meinen Blick auf ihn. Er ist groß – verdammt groß – und ich blinzle hilflos zu ihm auf.

Für ein paar luftleere Sekunden taxiert er meine Miene. Seine Augen scheinen mich zu durchleuchten, etwas zu suchen und endlich auch zu finden. Plötzlich senkt er seinen Kopf, aber nicht langsam oder in Slow-Motion wie im Film. Nein! Sein Blick fesselt mich, und einen Augenblick später prallt sein Mund auf meinen.

Erst erstarre ich, dann wird mir die Wärme seiner Lippen bewusst, ihre Weichheit und gleichzeitig ihre Kraft. Sie lähmen mich, ganz so, als würde paralysierendes Gift daran haften. Dennoch fühle ich mich lebendiger und wacher als jemals zuvor.

Zärtlich beginnt er mich zu küssen, und bevor ich es noch selbst begreifen kann, erwidere ich den Kuss, ohne nachzudenken und mit verdammt viel Leidenschaft. Seine Zunge taucht in meinen Mund, als würde sie da hingehören. Die meine kommt ihr entgegen, beinahe frivol. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein finde ich, sie benimmt sich wie eine Nutte – so wie ich auch ein bisschen. Aber ich kann es ohnehin nicht ändern, bin ihm gegenüber hilflos. Peinlicherweise werden fast augenblicklich meine Knie weich, also kralle ich mich in seine Oberarme.

Marcs Arme fangen mich auf, umschlingen mich noch fester. Es beschämt mich, dass er meine Reaktion bemerkt hat, trotzdem presse ich mich an ihn, solange, bis sich meine Sinne zumindest ein bisschen an dieses neue Gefühl gewöhnt haben und meine Beine mich wieder zweifelsfrei tragen.

Minutenlang küssen wir uns. Meine wiedergewonnene Standkraft ausnutzend, beginnen seine Hände über meinen Körper zu wandern, streicheln mich und halten mich gleichzeitig fest. Seine Berührungen sind einnehmend, fast schon besitzergreifend. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde er mich markieren. Meins!

Irgendwann wird mir klar, dass wir immer noch mitten auf der Straße stehen, und ich überlege, mich von ihm zu lösen, was mir aber nicht gelingt, weil ich buchstäblich Wachs in seinen Händen bin. In mir streiten mein nuttiges und mein normales Ich darum, die Entscheidungsgewalt zu gewinnen. Der vernünftige Teil meines Hirns will nach Hause. Erkennt die Gefahr, hat Respekt und auch ein bisschen Angst davor, was dieser Mann mit mir anstellen könnte. Leider hat der Rest meines Denkens die Arbeit eingestellt, oder sich besser gesagt dem Flittchen in mir ergeben, das frech und ganz und gar nicht vernünftig sein, und die Macht lieber meinen vollkommen überreizten Synapsen anvertrauen möchte.

Erneut scheint Marc über den Status meiner Niederlage bestens informiert, doch er ist gewillt, mir seine eigene Begeisterung ebenfalls zu zeigen. Nach einem letzten, absolut süßen Kuss gibt er mich frei. Seine Hand streichelt noch einmal mein Gesicht, dann lächelt er. »Wow«, sagt er, und ich kann nur hilflos nicken.

»Das war überraschend gut«, raunt er mir zu.

Diese Aussage empört mich. Weil aber mein weichgekochtes Hirn von der Nachwirkung der Küsse blockiert wird, fehlen mir die Worte, die ich ihm als Ausdruck der Entrüstung entgegenschleudern könnte.

Sein verdammt wissendes Grinsen macht mich noch wütender, doch er gibt mir keine Gelegenheit, der Wut nachzugeben. Stattdessen setzt er sich in Bewegung, schiebt mich fast zu seinem Audi.

Ich fühle mich immer noch wie hypnotisiert, klettere hinein und schnalle mich automatisch an. Regungslos sitze ich danach da, nur meine Augen folgen seinen eleganten Bewegungen, während er sich um den Wagen herumbewegt. Ganz kurz verhakt sich mein Blick mit seinem – ich sehe Verlangen in seinen hellblauen Iriden funkeln. Eine seltsame Spannung bildet sich da unten zwischen meinen Beinen, und ich bin froh, dass er getönte Scheiben hat, weil meine Wangen heiß werden. Verdammt – noch nie in meinem Leben bin ich bloß vom Küssen so erregt gewesen.

Lässig steigt er ein, lächelt zu mir herüber und fährt dann los. Ich scanne, möglichst unauffällig, aus dem Augenwinkel seinen Körper, vor allem seinen Schritt. Schließlich entdecke ich die Ausbuchtung, die ich gesucht habe.

Ist er von Natur aus so gut ausgestattet, oder ist auch er erregt?

Unbewusst lecke ich über meine Oberlippe. Ich versuche, mich zu erinnern, wie man spricht, doch es fällt mir einfach nicht ein. Während ich mir vorkomme wie ein Idiot, legen wir Kilometer um Kilometer zurück. Schweigend.

Endlich, kurz nachdem wir die Stadtgrenze passiert haben, räuspert er sich leise.

»Na? Hat’s dir die Sprache verschlagen?«, fragt er lässig.

Ich wende ihm mein Gesicht zu, antworte aber nicht.

Er erwidert für einen Moment meinen Blick, grinst dann frech. »Okay. Ich meine, ich weiß, dass ich gut küsse, aber so gut …« Sein überheblicher Scherz, der mich normalerweise zur Weißglut getrieben hätte, hilft mir interessanterweise, endlich meine Sprache wiederzufinden. Und anscheinend ist meine bissige Coolness ebenfalls zurückgekehrt.

»So schlecht küsse ich ja wohl auch nicht. Immerhin hast du nicht aufgehört.« Ich bin fast stolz auf mich, aber nur fast, denn, obwohl ich verzweifelt hoffe, dass er es nicht bemerkt hat – ich selbst kann die Unsicherheit in meiner Stimme wahrnehmen.

»Da hast du recht«, stimmt er mir überraschenderweise zu, lacht leise, setzt den Blinker und biegt mit quietschenden Reifen ab.

Ich kralle mich in meinen Sitz und sehe gehetzt zu ihm hinüber. Er lächelt zufrieden, anscheinend ist er mit sich selbst im Reinen. Mit klopfendem Herzen scanne ich die vorbeifliegende Umgebung. Ich kenne diese Straße, aber sie ist nicht wirklich der Weg zu mir nach Hause.

»Wo fahren wir hin?«, frage ich also, als würde ich es nicht schon ahnen. Ich erkenne die Gegend. Protzige Häuser, moderne Appartementkomplexe, eingesäumt von weitläufigen Grünflächen, und am Ende dieser Straße beginnt ein Wald, der zum Großteil zu einem Naturpark gehört. Eine verdammt teure Wohngegend – und natürlich weiß ich, wer hier wohnt.

Trotz der Offensichtlichkeit meiner Alibi-Frage lächelt er wieder und gönnt mir sogar eine Erwiderung: »Zu mir.«

Mein Magen ballt sich zusammen, doch mein neu erwachtes Flittchen-Selbst beginnt zu hyperventilieren. Ich versuche, meiner Stimme einen Touch Beherrschtheit zu geben, die ich nicht empfinde. »Ich hab nicht gesagt, dass ich noch mit zu dir komme.«

»Ich hab dich auch nicht gefragt, oder?«, gibt er zurück, und das Magendrücken wird ein weiteres Mal von diesem Kribbeln in mir vertrieben, das ich so einfach nicht kenne.

Kapitel 6

»Genieß die Aussicht!« Seine sinnlich geraunten Worte kriechen buchstäblich unter meine Haut, lassen sie kribbeln, zwingen die feinen Härchen in meinem Nacken zum Strammstehen.

Ich kann es nicht glauben. Ich bin wirklich hier. In seinem Appartement, das sowohl auf den ersten Blick sowie bei genauerem Hinsehen seine Persönlichkeit widerspiegelt. Es ist sehr geschmackvoll, wenn auch ein bisschen kühl eingerichtet, und obwohl ich das Schlafzimmer noch nicht gesehen habe, weiß ich, dass es sicher das Herzstück dieser Behausung ist.

Bis jetzt sind wir jedoch nicht im Bett gelandet. Stattdessen stehen wir auf seiner weitläufigen Veranda, von der man eine wunderschöne Aussicht auf den naheliegenden Wald hat, dessen sanftes Blätterrauschen wie ein schmeichelndes Flüstern durch die nachtdunkle Stille klingt.

»Willst du noch etwas Wein?«, fragt Marc – irgendwie scheint ihn mein Schweigen nervös zu machen.

Ich nicke langsam, drehe den Kopf und hebe ihm gleichzeitig meine Hand mit dem beinahe geleerten Glas entgegen.

Während er mir nachschenkt, bleiben die Augen dieses unglaublich schönen Mannes auf mein Gesicht geheftet. Ich fasse es nicht, aber ich kann darin lesen, dass er mich will. Immer noch ist es unvorstellbar für mich, dass das gerade geschieht.

Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert, fällt mir ein, gleichzeitig kriecht ein weiterer wohliger Schauer über meine Haut.

Er stellt die Flasche zur Seite, ohne seinen Blick abzuwenden, dann stößt sein Glas gegen meines. »Auf einen unvergesslichen Abend«, sagt er. Seine Stimme, ein Hauch, heiser und rau, bringt meinen Unterleib zum Brodeln.

Da ist nichts mehr zu beschönigen. Mein vernünftiges Ich hat den Dienst quittiert, die weiße Flagge gehisst, sich unter dem tobenden Klopfen meines Herzens verzogen. Verdammt, egal was morgen ist. Jetzt will ich ihn – so sehr!

Um zumindest den Anschein zu erwecken, dass ich mich und mein Fühlen noch im Griff habe, lehne ich mich nach einem genüsslichen Schluck Wein möglichst lässig an das Geländer der Veranda. Die Kühle des Holzes versucht, meine Haut zu erobern, hat aber keine Chance, denn ihr Kontrahent ist eine erregende Hitze, die Marcs Körper, von hinten an mich gepresst, in mir auslöst. Ein Kribbeln rinnt von meinem Haaransatz weg über meinen Rücken nach unten, und ich seufze, tief und lange.

»Schön, nicht?« Die Wärme seines Atems trifft mich. Ich rieche den Wein, den wir getrunken haben, aber der Geruch ist schwach. Stärker nehme ich sein Parfum wahr und diesen anderen Duft. Den Duft nach ihm, der mich bereits den ganzen Tag durcheinandergebracht hat.

»Was? Die Aussicht?«, fragte ich leise.

Ich spüre ihn lächeln, schließe die Augen und kichere. Verdammt, ich kichere sonst nie.

Seine Rechte packt an meiner Hüfte zu, dann drückt er sein Becken gegen meinen Hintern. Augenblicklich merke ich, wie groß auch seine Erregung ist. Also nicht nur metaphorisch gesprochen. Sein Schwanz ist hart und, milde gesagt, gut gewachsen. Ein leises, kaum wahrnehmbares Stöhnen begleitet seine laszive Bewegung und löst in mir aus, wovon ich sonst nur in schmuddeligen Romanen gelesen habe – ich werde feucht.

Prickelnde Hitze an meinem Hals. Marc lässt seine Zunge über meine Haut tanzen, dann ist sie weg und seine Lippen massieren mich.

»Du schmeckst gut«, wispert er, nachdem sein Mund mich freigegeben hat. Anscheinend hat er sein Glas weggestellt, denn nun liegen beide Hände an meiner Hüfte, gleiten langsam vorwärts, danach meinen, zum Glück noch von meinem Top verhüllten Oberkörper entlang nach unten.

Ich versuche, zurückzuweichen, ich weiß, wie seine Frauen sonst sind: perfekt. Das bin ich nicht. Ich besitze keinen flachen, von Muskeln gestärkten Bauch. Meiner ist nicht dick, aber weich, für Sport bin ich einfach zu faul.

»Was?«, raunt er unzufrieden, zieht mich erneut näher. Seine Küsse wandern weiter, über meine Schulter und wieder zurück.

»Ich sollte gehen«, wispere ich, zu mehr fehlt mir die Luft.

Marc ist aber ganz anderer Meinung. Er nimmt mir nur mein Weinglas weg und stellt es einfach zur Seite. Seine Hand an meiner Wange zieht mein Gesicht in seine Richtung. Augenblicklich bin ich von seinem Blick gefesselt und mein Widerstand löst sich in Luft auf.

»Das willst du doch nicht wirklich, oder?«, raunt er hypnotisierend.

»Ich kann das nicht.« Atemlos schwach klinge ich, und so fühle ich mich auch.

Sein Gesicht kommt näher. Er lächelt wieder so wissend, so selbstsicher, dass meine Niederlage genauso gut in leuchtenden Lettern am Himmel geschrieben stehen könnte. Ich erwarte die Berührung seiner Lippen, schließe dabei die Augen. Ein Beben meinerseits zeigt ihm allzu deutlich, wie besiegt ich bereits bin.

Endlich legt sich sein Mund auf meinen, und es fühlt sich einfach nur fantastisch an! Ich gebe seinem sanften Drängen nach, stöhne in den Kuss hinein. Es ist mir peinlich, doch ich kann es nicht zurückhalten. Unsere Zungen berühren sich, seine tastet meine ab, dann umschmeichelt sie sie, ich schmecke ihn, und zwischen meinen Beinen bricht das Chaos aus. Seine Umarmung gibt mir Halt, solange ich ihn brauche, erkennt jedoch genauso deutlich meine beginnende Akzeptanz, als ich mich schlussendlich wirklich auf all das einlasse. Immer bereitwilliger erwidere ich seinen Kuss, gebe mich ihm hin. Längst liegt mein Arm um seinen Hals, ich ziehe ihn näher, kann nicht genug von ihm bekommen.

Eine seiner Hände streichelt hinauf, nach vorn und umschließt meine Brust. Seine Fingerspitzen streicheln über meine Brustwarze. Oh Gott, ich spüre die Wärme durch mein Top.

»Hm«, brummt er zufrieden, und ich öffne die Augen, begegne dem seeblauen Funkeln, und es ist mir unmöglich, nicht zu lächeln.

Er lächelt ebenfalls entspannt. Gleichzeitig ist da dieser Triumph, für den ich ihm allerdings nicht böse sein kann. Ich möchte es, aber es ist mir nicht möglich!

Stattdessen entspanne ich mich noch mehr. Es ist ohnehin egal. Es wird passieren und eigentlich will ich das ja auch so.

»Halt dich fest«, raunt er leise.

Ich runzle meine Stirn, weil ich nicht weiß, was jetzt kommt, doch er stupst mich nur mit der Nase an und lenkt mich wie eine Marionette, wieder nach vorn zu sehen. Willig blicke ich hinunter auf die Straße, weiter auf die Bäume, die sich in den Anfängen des dunklen Waldes verlieren. Sie wiegen sich im sanften Wind, wehrlos gefangen in seiner Kraft, so wie ich mich nicht gegen Marcs Willen zur Wehr setzen kann.

Erneut sind seine Lippen an meiner Haut, umschmeicheln mich, locken mich. Er küsst sich an meiner Nackenlinie tiefer bis auf meine Schulter. Sein warmer Atem verursacht eine Gänsehaut, deren vorausgehender Schauer bis in die verstecktesten Nerven zu gelangen scheint. Zielsicher und doch so, als wäre es dem Zufall geschuldet, streifen seine Finger sachte die Träger meines Tops zur Seite. Der Stoff gleitet nach unten, aber ich tue nichts dagegen, auf einmal ist es mir egal. Im Gegenteil, ich ziehe meine Arme höher, befreie mich gänzlich davon. Kurz darauf sind seine Hände an meinen Hüften. Er lässt sie hinabgleiten, beginnt langsam, meinen langen weißen Rock hochzuschoppen.

Bilder eines Marc, der seine Begleiterin zielsicher verführt, blitzen in mir auf. Ich bin nur die Nächste. Dieser Gedanke erfüllt mich sofort mit Panik.

»Nein!« Plötzlich bin ich wieder wach, versuche, mich umzudrehen, aber er hindert mich.

»Scht«, flüstert er leise und doch unerbittlich. Unbeirrt rafft er den Stoff nach oben, und ich klammere meine Hände an dem Balkongeländer fest, ahne, was er vorhat, und habe keine Ahnung, ob ich das zulassen kann. Ich will es, ohne Frage, aber darf ich das?

Seine Finger haken sich in mein Höschen, und schon beginnt es nach unten zu rutschen.

»Marc, ich …«, beginne ich, doch ein tiefer Atemzug seinerseits schneidet meine Worte ab, besser, als jeder Befehl es getan hätte.

»Letzte Chance vorbei«, wispert er. Zumindest er scheint keine Zweifel zu haben. Er steht nun erneut hinter mir, umschließt mich mit beiden Armen und küsst meinen Hals.

Wieder wird mir bewusst, dass er das hier auch tun würde, hätte er irgendeine andere mit nach Hause genommen. Ich weiß nicht, ob ich das zulassen kann. Ob ich eine von vielen sein will.

»Was ist das hier für dich?«, frage ich also, mein Herz hämmert in meiner Brust, als würde die Angst vor der Antwort es antreiben.

»Hm?«, murmelt er.

»Was willst du von mir?« Meine Stimme klingt so atemlos, wie ich mich fühle.

»Ich will mit dir schlafen.« Seine Aussage entspricht der Wahrheit, das ist mir klar. Genau das ist es, was er möchte. Nicht mehr und nicht weniger. Obwohl mich dieses Wissen entsetzt, richten seine Worte gleichzeitig eine Überflutung zwischen meinen Beinen an. Sie ist wahnsinnig sexy.

»Warum?«, bringe ich trotzdem noch irgendwie über die Lippen.

»Brauch ich einen Grund?« Es ist zu hören, dass er es gewohnt ist, zu bekommen, was er will.

Das Problem ist, eigentlich bin ich bereit, es ihm auch zu geben. Eigentlich! Ich atme tief ein und aus.

»Lass dich fallen, Baby. Ich fang dich auf«, raunt er, und sein Mund wandert meinen Nacken entlang nach unten, weiche Lippen treffen immer wieder auf meine übersensible Haut.

»Baby?«, seufze ich. »Ist das der Überbegriff für deine Tussen? Einfacher, als sich Namen zu merken, nicht?«

Er lacht wieder, und ich spüre die Gänsehaut auf meinem ganzen Körper erblühen. Es ist wie eine Sucht, seinen Worten zu lauschen – und auch irgendwie, ihnen zu glauben.

»Wie soll ich dich nennen?«, fragt er, gedämpft von einem weiteren Kuss. Er klingt dabei so, als wäre die Frage ernst gemeint.

Ich antworte nicht, bin konzentriert auf das seltsame Klirren, das zu hören ist, gefolgt vom Öffnen eines Reißverschlusses. Dann auf das Rascheln, als seine Hose nach unten gleitet, bevor sie mit einem dumpfen Laut auf dem Boden landet. Ich habe keine Ahnung wie, aber gleich darauf ist irgendwie mein Rock verschwunden. Mir fällt seine Frage wieder ein, doch ich erspare mir jede Antwort, weil mir die Luft fehlt, um sie zu formulieren.

Marc drückt sich an mich. Ich spüre ihn an meinem Hintern – groß und vor allem hart! Meine Augen fallen zu. Wow – kann ich nur denken.

Einer seiner Arme hält mich und streichelt gleichzeitig über meinen Oberkörper hinunter. Mein Kopf versucht, mir Panik zu suggerieren, weil er gleich meinen absolut nicht perfekten, weichen Bauch berühren wird, doch er lässt mir keine Zeit für Angst. Gierig saugt er sich an meinem Hals fest, und so sehr ich das bis jetzt gehasst habe, hier, mit ihm, bringt es mich beinahe um den Verstand. Ich spüre seine Zähne, dann seine Zunge, und vergessen ist mein untrainierter Körper, denn seine Finger stehlen sich zielsicher zwischen meine Beine.

»Holla«, lacht er, und für eine Sekunde oder so ist es mir peinlich, weil da unten wahrscheinlich gerade Sintflut herrscht, doch dann beginnt er, mich zu streicheln, und ich vergesse, mich zu schämen.

Weiter über meinen Hals schmusend fummelt er gleichzeitig an sich selbst herum, und kurz darauf spüre ich wieder seine Härte an meinem Hintern. Dieses Mal ist sie aber nicht warm, sondern von kühlem Latex überzogen.

»Ich will dich so sehr«, raunt er in mein Ohr. Ich hebe meinen Arm, schlinge ihn um seinen Nacken und lehne meinen Rücken gegen ihn. Eine stumme Zustimmung – er hat mich besiegt. Ich weiß es, und er auch.

Seine Geduld ist am Ende. Sein Griff wird stärker, sein nächster Kuss beginnt an meinem Hals, endet auf meiner rechten Schulter, dann dreht er mich ruckartig um und hebt mich hoch, bis ich auf dem breiten Geländer sitze.

Hektisch kralle ich mich an ihm fest, doch er lacht nur leise und küsst mich auf die Nasenspitze. »Vertrau mir, Süße. Ich halt dich.«

Seine starken Arme umschlingen mich. Sofort drücke ich mich fast schon ein bisschen ängstlich an ihn. Ganz sanft reibt er über meinen Rücken, und wie durch Zauberhand ist mein BH plötzlich offen. Er zieht ihn mir einhändig vom Körper, lässt ihn neben sich zu Boden fallen. Seine Hand legt sich auf meinen rechten Busen, knetet ihn kurz, dann beginnt sein Daumen, meine Brustwarze zu reizen.

Die Berührung schießt mir direkt in den Unterleib, was er schmunzelnd zur Kenntnis nimmt. »Irgendwie vermisse ich gerade eine deiner spitzen Bemerkungen«, flüstert er mir ein bisschen selbstherrlich zu.

Ich kapituliere vor seiner erotischen Stärke. »Irgendwie hab ich grad nichts zu sagen.«

»Na dann«, haucht er, während er sich zwischen meine Beine drängt. Seine Arme halten mich wieder fest. Er drückt mir sein Becken entgegen, ich spüre den Druck seines Schwanzes an meinem Eingang und kann nicht anders, als laut zu stöhnen.

»Willst du mich?«, fragt er, wartet jedoch die Antwort nicht ab. Stattdessen küsst er mich erneut – so besitzergreifend und so verlangend, dass mir schwindlig wird.

Das »Ja« entkommt mir, ohne dass ich es überhaupt wahrnehme, und dann dringt er mit einem einzigen harten Stoß in mich ein.

Mir stockt der Atem, es tut fast weh. Das scheint er zu spüren und hält ebenfalls inne.

Meine Hände verlassen seinen Nacken und legen sich um seine Oberarme. Unterbewusst stelle ich fest, dass ich sie nicht gänzlich umfassen kann. Unter meiner Handfläche bewegen sich seine Muskeln.

Marc zieht sein Becken zurück, greift an meinen Rücken, stützt mich, dann stößt er erneut zu. So hart, dass mir die Luft wegbleibt. Dieses Mal lässt er mir nicht die Zeit, mich daran zu gewöhnen. Ein weiteres Mal entfernt er sich, dringt danach wieder tief in mich ein, entlockt mir so ein lautes Stöhnen.

Irgendwie beginne ich zu schweben, also klammere ich mich an ihn. Meine Augen gehen zu und ich lasse den Kopf nach hinten fallen. Sofort liegt seine Linke zwischen meinen Schulterblättern, hält mich fest, und obwohl mich nur seine Hände vor dem Vier-Meter-Sturz in die Tiefe bewahren, fühle ich mich so geborgen, wie schon lange nicht mehr.

»Das ist wahnsinnig gut«, raunt er mir zu, beginnt meine Brust zu küssen und saugt schließlich meine Brustwarze in seinen Mund. Kleine Stromstöße der Lust entfachen in meinem Unterleib ein flammendes Inferno. Da ist eine Hitze, die ich so einfach nicht kenne.

Marcs Stöße, die anfangs nah an der Schmerzgrenze waren, sind nun nur mehr gut. Ich merke, wie ich mich ihm entgegendränge, meine Beine weiter öffne, damit er tiefer kommt und ich ihn noch intensiver spüren kann. Die Erregung breitet sich in mir aus, verdrängt jeden Gedanken aus meinem Kopf, der nicht zum Thema hat, diesem Mann nah zu sein. Die Reibung seines Schwanzes in mir lässt mich erbeben. Er berührt irgendetwas, was mir den Schweiß auf die Stirn treibt. Ich stöhne wieder, mein Atem ist hektisch und laut, und sein Griff wird stärker, so wie seine Stöße härter werden.

»Du bist fast so weit«, höre ich ihn flüstern, dann presst er sein Becken gegen mich, beginnt, mich kreisend zu massieren. Jetzt ist er so tief in mir wie keiner zuvor. Ich ringe um Atem, weil Schmerz und Genuss in absolut unbekannter Perfektion gipfeln.

Ein weiteres Mal wechselt er die Technik, zieht sich zurück, stößt wieder in mich, sehr tief, aber mit ein bisschen mehr Gefühl als vorhin. Das bringt mich zum Wimmern und innerlich zum Beben.

Er spürt es, natürlich fühlt er es. »Jetzt!«, kommandiert er, und als wäre ich seiner Macht hilflos ausgeliefert, merke ich, wie sich in mir alles zusammenzieht, bevor eine Welle der Erlösung über mich hinwegspült, mich mitnimmt und davonträgt.

Er hält mich fest und seinen Unterleib ruhig. Nur seine Lippen sind wieder da, liebkosen mich, so untypisch sanft, wie ich es bei ihm nie vermutet hätte. Sie helfen mir, holen mich zurück von meinem Höhenflug, in seine Arme. Als ich ein bisschen atemlos nach vorn sinke, zieht er mich hoch, dreht uns um, und nur eine Sekunde später liege ich auf der kleinen Rattanbank, und er ist über mir.

Ich bin erledigt, doch das scheint ihn recht wenig zu interessieren. Sein Griff an meinem Bein ist fest, er hebt es an, drängt es mit seinem Oberarm zur Seite, und seine Zunge taucht tief in meinen Mund, bevor er nun wieder hart in mich zu stoßen beginnt.

»Oh Gott«, keuche ich, völlig außer Atem. Ich habe mich noch nicht von meinem Orgasmus erholt, mein Unterleib pocht dumpf und brennt gleichzeitig lichterloh.

Marc spreizt meine Beine ein wenig mehr. Jetzt spannen meine Sehnen fast schon unangenehm, doch was sein hartes Fleisch in mir anstellt, macht das wett. Ganz abgesehen davon, dass jedes Mal, wenn sein Becken sich auf mich senkt, meine vor Erregung geschwollene Klitoris vom Blitz getroffen wird.

Unglaublich, aber wahr – es dauert nicht lange, und ich spüre schon den nächsten Höhepunkt kommen. Diesmal will Marc jedoch anscheinend mit, denn ehe es so weit ist, unterbricht er unsere Küsse und stößt ein zufriedenes Knurren aus. Sein Schwanz in mir wird noch ein bisschen härter, bevor er sich zuckend in das Kondom ergießt.

Schon macht sich Enttäuschung in mir breit, doch ich bin zu voreilig! Nach nur wenigen Sekunden ruhigeren Bewegungen nimmt er wieder Tempo und Stärke auf und schubst mich mit einigen festen Stößen ein weiteres Mal über die Klippe.

 

Mein Hals ist trocken und spannt, als mich die Schwingen meines Orgasmus endlich wieder entlassen. Ich öffne die Augen und begegne seinem Lächeln. Musik spielt, und ich frage mich, ob sie die ganze Zeit an war und ich sie nur nicht wahrgenommen habe. Das ist natürlich mehr als wahrscheinlich, weil er immer noch in mir steckt und somit keine Chance hatte, sie zwischenzeitlich anzumachen. Ich kenne das Lied von irgendwo, gebe dem Wunsch meiner müden Lider nach und schließe sie wieder. The Stand – Das letzte Gefecht – gelingt es mir schließlich, die Melodie zuzuordnen – Molly Ringwald und keine Ahnung, wie der andere heißt.

»Hey now, hey now«, singt er leise und entlockt mir ein Schmunzeln. »Don’t dream it’s over.«

Ich zwinge mein rechtes Auge, sich ein bisschen zu öffnen und blinzle zu ihm hoch. Sein Grinsen ist frech, und obwohl er fünf Jahre älter ist als ich, kommt er mir plötzlich wie ein Lausebengel vor.

»Geht gleich weiter, gib mir nur ein paar Minuten.« Seine Lippen streifen die meinen, bevor er mich erneut küsst. Sehr zärtlich und sanft.

Ich seufze in den Kuss, kann nicht anders, und spüre ihn lächeln.

»Hey!« Er stupst mit seiner Nasenspitze gegen meine, bis ich ihn ansehe. »Was denkst du?«

»Ganz ehrlich?« Ich verdrehe die Augen. »Wie konnte mir denn das passieren?«

Er lacht leise und küsst mich noch einmal. »Das sagen sie alle, Baby.«

»Nenn mich nicht so«, murmle ich ein bisschen pikiert.

Seine Lippen berühren wieder die meinen. »Soll ich dir jetzt sagen: ›Das sage ich nur zu dir?‹ Oder dass es mit dir etwas ganz anderes ist?«, wispert er mit feinem Spott in der Stimme.

Ich hebe meine Hand, streiche mit dem Zeigefinger über seine Schläfe und führe sie anschließend weiter nach hinten in seinen Nacken, streichle mit den Fingerspitzen seine leicht verschwitzte Haut. »Nein, sollst du nicht«, antworte ich. »Ich würde dir ohnehin kein Wort glauben.«

Sein Schmunzeln verschwindet abrupt, stattdessen mustert er mich irritiert, bevor eine absolut schelmische Version des Lächelns zurückkehrt. »Du bist wirklich anders«, stellt er fast schon erstaunt fest.

Meine Finger kraulen seinen Haaransatz, dann beuge ich mich vor und hauche einen Kuss auf seine Brust. Er steckt immer noch in mir, wenn auch der Druck nachgelassen hat, weil er natürlich inzwischen nur noch mit einer Überdosis Viagra hart sein könnte. »Bin ich das?«

»Ja.« Er seufzt wohlig und stemmt sich ein wenig höher, wodurch er schließlich aus mir herausgleitet.

»Warum?«

»Weiß ich noch nicht.« Er lacht, klingt wirklich so, als wäre er ein bisschen unentschlossen, was natürlich absurd ist. Er ist der große Womanizer – der Weiberheld, der alle haben kann und nie unsicher ist.

»Ich sollte gehen«, sage ich, küsse seine Brust und versuche dann, unter ihm hervorzukriechen.

Sein »Nein!« ist energisch, und ich halte wirklich in der Bewegung inne. »Ich bin noch nicht fertig mit dir«, setzt er verführerisch sanft nach. Langsam streicht er mit dem Handrücken über mein Dekolleté, was ein Nachbeben zwischen meinen Beinen auslöst.

Für eine Sekunde lasse ich den Gedanken zu, dass ich für den Rest meines Daseins damit leben muss, dass ich ihm nachgegeben habe. Ich frage mich, was mein Onkel dazu sagen würde. Oder Marcs Eltern. Sofort ist es beschlossene Sache, dass es niemand erfahren darf, doch für diesen Wunsch benötige ich Überhand, was ich gleich mal in die Tat umzusetzen versuche. »Aber vielleicht bin ich mit dir fertig«, scherze ich also, leider klingt es nicht einmal annähernd sicher, eher so, als könnte ich die zweite Runde kaum erwarten.

Seine Augenbraue zuckt hoch, dann lehnt er sich ein bisschen zur Seite, zieht sich das Kondom ab und lässt es einfach fallen.

»Du willst mir erzählen, du gehst lieber jetzt nach Hause und verzichtest auf – sagen wir mal – drei bis vier Orgasmen?«

Seine selbstsichere Aussage bringt mich zum Schmunzeln. »Na, an Selbstvertrauen fehlt es dir ja nicht.«

»Nein«, gibt er zu und streicht mit dem Zeigefinger über meinen Mund. »Du küsst gut. Sehr gut sogar.« Langsam beugt er sich hinunter, und ich komme ihm entgegen. Seine Lippen sind weich, aber nicht zu weich – sie fühlen sich fantastisch an.

»Und du bist wirklich nicht auf der Suche nach einer Beziehung?«, fragt er, als er zurückweicht.

Der Themenwechsel erstaunt mich, trotzdem antworte ich automatisch: »Nein. Darauf hab ich keinen Bock.«

Seine Finger schieben eine Strähne meiner Haare nach hinten. »Warum nicht?«

Ich zucke mit den Achseln. »Zu anstrengend. Zu kompliziert.«

Er lacht leise und gibt mir noch einen Kuss. »Echt? Du bist eine Frau, die es unkompliziert mag? Dann hast du Seltenheitswert.«

Ich fühle mich mit einem Mal unendlich frei und auch ein bisschen begehrenswert, etwas, das ich schon lange nicht mehr empfunden habe. »Ich bin eben was Besonderes.«

Sein Lächeln ist wunderschön und seine blauen Augen blitzen. »Ja. Scheint mir auch so.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752120196
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Liebesroman Womanizer Humor Romantisch Erotik Erotischer Liebesroman

Autor

  • Charlene Vienne (Autor:in)

Charlene Vienne wurde 1973 in Wien geboren, wo sie immer noch lebt. Sie ist Mutter zweier erwachsener Söhne. Ihre Liebe zum Lesen schenkte ihr in einer harten Zeit die Möglichkeit, dem Alltag für eine Weile zu entkommen. Doch recht schnell stellte sich heraus, dass es noch besser war, selbst aktiv zu werden. Also begann sie, einige Ideen niederzuschreiben und wagte schließlich sogar den Weg zur Veröffentlichung. Ihr Anliegen ist es ihren Lesern eine schöne Auszeit zu schenken.