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Absturz ins Glück

von Alina Jipp (Autor:in)
346 Seiten

Zusammenfassung

Wer träumt nicht davon, alles hinter sich zu lassen und auf einer tropischen Insel zu sein? Den stressigen Alltag vergessen, flirten und die Ruhe genießen. Genau das ist es, was Sam sich wünscht. Doch als sie unfreiwillig allein mit zwei vermeintlichen Traummännern auf einer Insel strandet, ist alles ganz anders als erträumt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Alina Jipp

 

Absturz ins Glück

 

1. Kennenlernen

Gerade machte ich es mir am Pool gemütlich, ein Cocktailglas in der Hand schloss ich für ein paar Sekunden genüsslich die Augen, als jemand ungeduldig an meiner Schulter ruckelte. Was sollte dass denn? Schließlich hatte ich Urlaub und ein Recht auf Entspannung.

»Miss, Sie müssen aufwachen und sich anschnallen.« Widerwillig öffnete ich nun doch meine Augen. Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, wo ich war. Ich saß im Flugzeug und lag leider nicht mit einem Glas in der Hand in einem Liegestuhl. Das alles war nur ein Traum gewesen.

»Miss, wir landen gleich. Sie müssen sich anschnallen«, erklärte mir die Flugbegleiterin, die mich geweckt hatte, erneut. Ich lächelte ihr zu, schließlich konnte sie nichts dafür, dass ich jetzt lieber ganz wo anders wäre. »Danke fürs Wecken.« Müde rieb ich mir über die Augen. Immerhin war ich seit vier Uhr dreißig auf den Beinen, da durfte ich jetzt wohl auch müde sein. Kurz darauf landete das Flugzeug. Ich sollte abgeholt werden. Zumindest hatte mir das Samuel Norris, der Vater meines zukünftigen Mandanten, versprochen. Nachdem ich mich abschnallen durfte, war ich eine der ersten, die das Flugzeug verließ. Es brachte schon Vorteile, wenn man erster Klasse flog. Obwohl ich im Augenblick lieber in der Touristenklasse in den Urlaub geflogen wäre, nur half jetzt alles Jammern nichts.

Aber nun musste ich aufhören, von Urlaub zu träumen und zusehen, dass ich nach Roswell kam, wo mein Mandat sich derzeit aufhielt. Das waren vom Flughafen hier in Albuquerque immerhin auch noch zweihundert Meilen. Ein Fahrer sollte mich erwarten und dorthin bringen, so war es abgesprochen. Brian Norris hatte – natürlich ganz zufällig – kurz nach der Razzia in seiner Wohnung, bei der die Drogen gefunden wurden, wegen denen er nun vor Gericht stand, die Universität gewechselt, um hier weiter zu studieren. Ich war mir sicher, dass er hoffte, so um eine Verurteilung in Washington herum zu kommen. Sein Vater allerdings wollte, dass er den Prozess wie ein Mann durchstand. Im Gegensatz zu seinem Sohn besaß er ein großes Ehrgefühl und wollte nicht, dass Brian vor dem Gesetz flüchtete. Zumindest waren das die Gründe, die er mir nannte. Aber wenn er meinem Vater nur ein bisschen ähnlich war, sorgte er sich wohl eher um seine politische Karriere, immerhin wollte der Herr Doktor nun außerdem noch Senator werden.

Als ich den Zollbereich verließ, sah ich mich suchend um. Eigentlich sollte ein Fahrer mich hier erwarten. Endlich sah ich ein Schild auf dem groß ›Für Hilton‹ stand. Ein junger Mann hielt es hoch. Er schien unter anderen afroamerikanische Vorfahren zu haben, zumindest ließ sein etwas dunklerer Teint darauf schließen. Er war etwa Mitte zwanzig und sehr gut gebaut. Sport war sicherlich kein Fremdwort für ihn. Genau so einen Typ hätte in meinen Urlaubstraum gepasst. Doch den musste ich jetzt leider verdrängen.

Schnell setzte ich ein leichtes Lächeln auf und ging auf ihn zu.

»Hallo, ich bin Samantha Hilton.« Erstaunt sah er mich an und musterte mich von oben bis unten, dann grinste er.

»Ronald Warren, aber Sie können mich gern Ron nennen. Wenn Sie mir bitte folgen würden, Miss Hilton. Es gab eine kleine Planänderung.« Dann griff er einfach nach meinem kleinen Koffer und der Laptoptasche, um vorauszugehen, drehte sich dann aber noch einmal kurz zu mir um. »Ist das Ihr ganzes Gepäck?« Er schien erstaunt darüber zu sein. Ich nickte zwar nur, fragte mich allerdings gleichzeitig, warum ihn das wunderte. Immerhin hatte ich nicht vor, ewig hierzubleiben. Spätestens in zwei Tagen musste ich wieder in Washington sein. Er ging weiter und ich folgte ihm wie ein braves Hündchen. Innerlich verdrehte ich über mich selbst die Augen. Der Anblick seines knackigen Hinterns in den engen Jeans war nicht zu verachten, wie ein Chauffeur sah er jetzt nicht wirklich aus. So leger, wie er gekleidet war. Bei Samuel Norris konnte ich mir eigentlich kaum vorstellen, dass einer seiner Angestellten so herum lief, aber vielleicht war sein Sohn da nicht so streng. Ronald Warren führte mich durch den Flughafen und dann durch eine Tür. Allerdings war das kein Ausgang, wie ich erwartet hatte, sondern sie führte in einen privaten Warteraum. »Einen Augenblick Geduld bitte, Brian wird gleich kommen, ich bringe schon einmal Ihr Gepäck an Bord und bereite alles vor.« Er war weg, ehe ich nachfragen konnte, was denn nun eigentlich geplant war. Würden wir jetzt nach Roswell fliegen, statt zu fahren? Das würde immerhin schneller gehen, wenn Brian Norris allerdings sowieso schon hier war, könnten wir die Gespräche doch auch einfach in einem Hotel hier in der Stadt führen, wozu dann noch extra nach Roswell fliegen? Ich setzte mich und griff nach einer der herumliegenden Zeitschriften. Es war sowieso gerade niemand da, der mir meine Fragen beantworten konnte.

Die Illustrierten langweilten mich schnell. Klatsch und Tratsch interessierten mich nicht. Ich lebte schon mein ganzes Leben lang in der sogenannten ›Welt der Schönen und Reichen‹, daher wusste ich, dass fünfundneunzig Prozent der Schlagzeilen entweder von den Magazinen selbst erfunden oder von den Leuten inszeniert worden waren. Für manche war halt einfach jede Schlagzeile gute Presse, die Hauptsache war, dass überhaupt über einen geredet wurde.

Meine Sache war das noch nie gewesen und ich hatte diese offiziellen Pressetermine schon als Kind gehasst. Da kam immer eine Horde fremder Menschen, man spielte ihnen einen frei erfundenen Alltag vor, wobei reichlich Fotos gemacht wurden. Die Fotografen hatten dann noch ihre eigenen Ideen, wie sie was unbedingt fotografieren wollten. Davor drücken ging nicht, mein Vater bestand immer darauf, dass ich brav alles mitmachte, was von mir verlangt wurde. Auch heute noch, sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht hier. Mein eigener Wille zählte für ihn nichts. Mir wurden von klein auf meine Hobbys und meine Freunde vorgeschrieben und wehe, ich war irgendwo nicht die Beste. Dad war dann immer völlig ausgerastet und hatte herumgeschrien, während meine Mutter mich tagelang ignorierte.

Zum Glück kam nun Ronald zurück, sodass ich nicht länger über meine Familie nachzudenken brauchte. Ich beschloss, ihn Ronald zu nennen, Ron war mir zu privat, schließlich kannte ich ihn gar nicht.

»Miss Hilton, würden Sie bitte mitkommen? Brian ist schon an Board der Maschine, wir können dann gleich starten.« Irgendetwas an ihm war anders als vorhin. Die ganze Zeit, während ich ihm zum Flugzeug folgte, dachte ich darüber nach, aber ich kam nicht darauf, was es war. Wir gingen ein kurzes Stück über ein Flugfeld, dann stiegen wir in eine wartende Privatmaschine. Ich wunderte mich über die fehlenden Kontrollen, eigentlich gab es so etwas doch nach den Anschlägen auf das World Trade Center nicht mehr, aber in der Welt der Superreichen schien wohl alles möglich zu sein. Unbehelligt stiegen wir ein und irgendwer schloss die Tür hinter uns.

»Setzen Sie sich bitte hin und schnallen sich an, Miss Hilton. Wir fliegen gleich los.« Ronald verschwand nach vorn ins Cockpit der Maschine. Ich fragte mich, wo wohl Brian Norris war. »Wo ist Mr. Norris?«, rief ich ihm laut hinterher und hoffte, Ronald würde mich hören und mir antworten. Irgendwie beschlich mich langsam ein mulmiges Gefühl. Hatte er mich wirklich im Auftrag von Mr. Norris empfangen? Aber woher hätte er sonst wissen sollen, wer ich war und wann ich ankommen würde?

»Sei nicht albern, Sam!«, schalt ich mich leise selbst. »Alberne Frauen können gelegentlich ganz amüsant sein.« Mr. Brian Norris grinste mich frech an, setzte sich neben mich, legte seinen Gurt an und drückte einen kleinen Knopf an der Armlehne seines Sitzes. »Ron, du kannst starten.« »Sowie ich die Startfreigabe habe.« Rons Antwort kam aus einem kleinen Lautsprecher in der Lehne.

Brian Norris stellte den Fernseher an und setzte sich Kopfhörer auf. Mich ignorierte er dabei völlig und ich war völlig perplex über so viel Unhöflichkeit. Wenn das Flugzeug nicht gerade losgerollt wäre, hätte ich wohl darauf bestanden, wieder auszusteigen. Schließlich wollte er doch etwas von mir, dann könnte er wenigstens den Anstand besitzen, mich zu begrüßen und sich vorzustellen, auch wenn ich dank meiner Internetrecherchen natürlich wusste, wer er war.

Sein Bild war ja ständig in allen Medien und er war auch wirklich eine Augenweide. Groß, schlank, etwas zu lange braune Haare und ebenfalls braune Augen. Er war schon ein herrlicher Anblick, aber was nutzte das alles, wenn er sich benahm wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen? Das Flugzeug hob ab und ich überlegte, was ich nun tun sollte. Mr. Norris zur Rede stellen oder ihn ebenfalls ignorieren? Da ich solche Spielchen lächerlich fand, griff ich beherzt nach seinen Kopfhörern und nahm sie ihm einfach ab.

»Guten Tag, Mr. Norris, ich bin Samantha Hilton, Ihre Anwältin. Stellen Sie sich eigentlich immer so nett vor?«, fragte ich ihn sarkastisch. Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, irgendwie wirkte er, als wäre er gar nicht richtig anwesend. Ich fragte mich, ob er wohl wieder Drogen konsumiert hatte, wenn ja, dann hätte ein Gespräch mit ihm zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich sowieso keinen Sinn.

»Ja, ja, ich hab Sie nicht her bestellt.« Sein verächtlicher Blick lag kurz auf mir. »Ich brauche nämlich keine dämliche, spießige Anwältin. So ein Theater wegen der paar Gramm Hasch.« Er rollte mit den Augen. »Mein Vater meint mal wieder, dass er mich retten müsse und schickt mir deshalb dich auf den Hals. Aber ich will gar nicht gerettet werden.« »Warum haben Sie mir das nicht bereits am Flughafen gesagt?«, fragte ich ihn, so sauer wie zur Zeit war ich schon ewig nicht mehr. Was für eine Zeitverschwendung. »Dann hätte ich mich gleich auf den Heimweg machen können und müsste hier nicht meine Zeit verschwenden. Wo fliegen wir überhaupt hin?«

»Nun reg dich doch nicht auf. Wir fliegen nach Brasilien, dort haben wir ein Ferienhaus. Wenn ich dort bin, kann Ron dich ja wieder zurückfliegen.« Ich starrte Brian mit offenem Mund an. War er noch bei Trost? Vielleicht hatte er sich sein Hirn schon völlig weg gekifft, das wäre eine Erklärung, warum er diese Nummer hier mit mir abzog. Ihn zu fragen, was das alles sollte, war vermutlich sinnlos.

Brian stand wortlos auf, um kurz hinter einer Tür zu verschwinden. Ich nahm an, dass dort die Toilette war. Nach einigen Minuten kam er wieder und ich fragte mich, ob er noch mal etwas eingenommen hatte. Sein zufriedener Gesichtsausdruck und die riesigen Pupillen ließen jedenfalls darauf schließen.

»Warum soll ich erst mit nach Brasilien fliegen?«, fragte ich ihn trotzdem. »Mein Dad hätte mir sonst das Flugzeug nicht überlassen,« erklärte er, als wäre es das Normalste der Welt. »Und ich habe keinen Bock, mit einer Linienmaschine nach Brasilien zu fliegen. Also habe ich ihm klar gemacht, dass ich sein Spielzeug brauche, um dich abzuholen. So einfach ist das.«

Ach, so einfach war das also, zumindest wenn man Brian Norris hieß. Und ich war die Dumme, die quer durch Amerika flog, damit er sich ins Ausland absetzen konnte, ich konnte es kaum fassen.

2. Der Absturz

Ich holte mehrmals tief Luft, um ihn nicht anzuschreien.

»Lass Ron umkehren und mich aussteigen. Ihr könnt mich doch nicht entführen!« Jetzt war nicht mehr die Zeit für Höflichkeiten, ich musste Klartext sprechen, doch Brian lachte nur. War das Ganze etwa ein Witz für ihn?

»Ach, komm schon, Tammy, das wird ein Spaß. Stell dich nicht so an. Zum Umdrehen ist es nun sowieso zu spät, also genieß den kostenlosen Urlaub.« Er hatte gut reden, ich wünschte mir zwar eine Auszeit, aber doch nicht so. Außerdem sollte er mich nicht Tammy nennen. Samantha oder Sam waren meine Rufnamen, nicht so etwas Verspieltes, denn das passte nicht zu mir. Erholsam würde es mit diesen Idioten sicher auch nicht werden. Ich beschloss, lieber nichts mehr dazu zu sagen, dafür allerdings in Brasilien den ersten Flug Richtung Heimat zu nehmen.

»Was musste Dad mir so eine spießige Tussi als Anwältin schicken?«, murmelte er kurz darauf leise. Dieser Satz war vermutlich nicht für meine Ohren bestimmt gewesen, ich hörte ihn trotzdem, war nun stinksauer und konnte mich nicht mehr beherrschen.

»Für dich immer noch Samantha«, fuhr ich ihn an. »Ich verschwende hier doch nur meine Zeit, weil du dich nicht getraut hast, Daddy zu sagen, wie feige du bist. Denkst du, ich habe nichts Besseres zu tun? Auf mich wartet Arbeit und Leute, die diese zu schätzen wissen.« Ich stand auf und funkelte Brian wütend an, aber das schien ihn gar nicht zu interessieren. Stattdessen gähnte er gelangweilt. »Bleib cool, Baby!«, sagte er mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht. Wenn ich nicht so ein friedliebender Mensch wäre, hätte ich ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Der Kerl war doch wahnsinnig! »Was bildest du dir eigentlich ein, Mr. Großkotz?«, fragte ich ihn. »Soll ich etwa erfreut darüber sein, dass du mich entführst?« Brian rollte mit den Augen. »Entführt, entführt … Mann, warum musst du so ein Theater daraus machen? Wir fliegen nach Brasilien auf eine tolle Insel. Wenn du willst, kannst du dort ein paar Tage Urlaub machen, das Haus ist groß genug und wenn du die Schnauze voll hast, fliegt Ron dich schnell zurück. Wo also ist dein verdammtes Problem?«

Ich konnte es nicht fassen, dass er das nun wirklich fragte. »Wo mein Problem liegt?« Am liebsten hätte ich ihm nun doch die Ohrfeige gegeben. »Nicht jeder lebt einfach in den Tag hinein und macht sich auf Daddys Kosten ein schönes Leben. Ich habe einen Job, Termine, Verpflichtungen … Aber wahrscheinlich weißt du gar nicht, was das ist.«

Brian blieb unbeeindruckt von meiner Ansprache. Lümmelte sich sogar provokativ in seinem Sitz. »Relax, Baby! Ich glaube, Urlaub täte dir mal ganz gut. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit.« Ich kochte vor Wut, der Kerl war völlig unmöglich. »Nenn mich nicht so!«, zickte ich ihn an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diesen Kerl gar nichts aus der Ruhe bringen konnte.

»Oh Mann, du tust ja gerade so, als wollte ich was von dir. Du bekommst die Zeit sicherlich gut bezahlt, also stell dich nicht so an. Ich habe nicht vor, dich zu vergewaltigen oder so etwas. Du bist sowieso nicht mein Typ, ich stehe auf junge aufregende Frauen und nicht auf alte, spießige.« Autsch, das saß. »Alt?«, schrie ich ihn an. Immerhin war ich jünger als er. Es wäre wohl besser, gar nicht darauf zu reagieren, aber dazu kochte ich zu sehr. »Meine bevorzugte Beute ist zwischen achtzehn und fünfundzwanzig, Baby«, antwortete er grinsend. Dabei betonte er das Baby herablassend. Meine Wut auf ihn kochte immer höher.

»Na, freundet ihr euch schon an?«, kam plötzlich eine Stimme aus Richtung des Cockpits. Als ich mich umdrehte, erstarrte ich. Dort stand Ronald Warren, lässig an den Türrahmen gelehnt und sah grinsend zwischen uns hin und her. Was machte der denn hier? Sollte er nicht das Flugzeug steuern? »W…wer … wer fliegt jetzt?«, stotterte ich. War ein zweiter Pilot an Board, den ich nicht bemerkt hatte? Ich hoffte es, man konnte so ein Flugzeug doch nicht sich selbst überlassen. Seine Antwort versetzte mich allerdings dann fast in Panik.

»Der Autopilot.« »Spinnst du?«, schrie ich ihn an, was Brian zum Lachen brachte. »Ihr seid doch beide nicht mehr ganz richtig im Kopf. Das alles kann nicht euer Ernst sein.« Nun lachten sie gemeinsam und ich wurde immer wütender. Ich war von zwei Irren entführt worden, die das Ganze einfach nur komisch zu finden schienen. Ob ich bei der versteckten Kamera gelandet war? Das konnte doch wirklich nicht wahr sein. Vielleicht war ja wirklich noch jemand im Cockpit und die zwei wollten mich nur auf den Arm nehmen. Ich hoffte es zumindest.

Als ich mich allerdings an Ronald vorbeidrängelte, um einen Blick hinein zu werfen, sah ich, dass es ihr völliger Ernst war. Außer uns dreien war niemand an Board.

»Reg dich nicht auf, ich weiß schon, was ich tue.« Ronald wollte mich beruhigen, doch ich vertraute ihm nicht. Das Ganze war doch echt unverantwortlich, was da alles passieren konnte. Ich sah uns schon am Boden zerschellen. Meine Ängste wurden erst recht nicht besser, als Brian nun aus einem Tütchen ein weißes Pulver auf den Tisch kippte, eine Kreditkarte hervorzog und eine Line damit zog.

»Du willst jetzt hier nicht ernsthaft Drogen nehmen?« Die Frage war eigentlich überflüssig, trotzdem stellte ich sie. Brian grinste mich nur an, nahm einen Geldschein, rollte ihn auf und zog das Pulver in seine Nase. Dann legte er den Kopf in den Nacken und schloss entspannt die Augen.

Ich kannte mich mit Drogen zwar nicht wirklich aus, aber geschnupft wurde ja meist Kokain. Noch entsetzter war ich allerdings, als sich nun auch Ronald eine Line zog. Da konnte ich nicht mehr ruhig zusehen, ohne einzugreifen.

»Bist du bescheuert?«, schrie ich ihn an und wollte ihn vom Tisch wegdrängen. Was war er nur für ein Pilot? Erst überließ er einem Computer die Steuerung und nun nahm er auch noch während des Fluges Drogen. Ronald grinste mich hämisch an.

»Mach doch nicht so ein Theater, es passiert schon nichts.« Ich war geschockt. Doch Brian lachte, wahrscheinlich über meinen entsetzten Gesichtsausdruck. Das konnte doch wirklich alles nicht wahr sein.

Ob die Herren sich schon die letzte Hirnzelle weggekokst hatten? Ich setzte mich wieder auf meinen Sitz und schnallte mich vorsichtshalber an. Als ich aus dem Fenster sah, war unter uns nur das Meer zu sehen. Eine ganze Zeit lang überlegte ich, ob und wie ich einen Absturz überleben könnte, wenn es dazu käme. Wasser war doch weniger schlimm als Land, oder?

Eines war jedenfalls sicher, falls ich wieder Erwarten unversehrt auf dieser Insel ankäme, würde ich nie wieder ein Flugzeug betreten, das Ronald Warren flog. Und sobald ich sicher wieder zu Hause in Washington wäre, dann würde ich den Fall Brian Norris abgeben. Diesen Kerl vor Gericht zu vertreten, kam für mich nicht mehr in Frage.

Eher würde ich ihn selbst noch wegen Entführung anzeigen, allerdings würde dann wahrscheinlich mein Vater durchdrehen. Solche Sachen wurden in der Presse gern breit getreten und das würde er mir nie verzeihen. Obwohl er ja Schuld an allem war, er hatte mir diesen Fall aufgedrängt, weil er seinem Freund einen Gefallen tun wollte, und nun musste ich mich mit Mr. Arschloch Norris abgeben.

Während ich in Gedanken versunken aus dem Fenster starrte, zog es sich immer mehr zu. Die Sonne war verschwunden. Die Wolken wurden immer dicker. Sollte ich Ronald darauf aufmerksam machen? Nicht, dass wir noch in ein Unwetter fliegen würden.

Die Kerle lungerten auf einem Sofa im hinteren Teil des Flugzeugs herum und bekamen wahrscheinlich gar nichts mit, so voll mit Drogen, wie sie waren. Ich stand auf, um zu ihnen zu gehen.

»Na, hast du schon Sehnsucht nach uns?«, fragte Brian. Wieder grinste er mich dämlich an. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre gegangen, aber wir waren in einem Flugzeug. Wo sollte ich also hin? Außerdem könnte das, was sich da draußen zusammen braute, gefährlich für uns alle werden, also sollte ich sie zumindest warnen. »Ronald, schau mal aus dem Fenster, ich glaube, da braut sich ein Unwetter zusammen«, versuchte ich, ihn auf die Situation aufmerksam zu machen. Brian ignorierte ich dabei, sonst würde ich ihm doch noch den Hals umdrehen. Ronald reagierte nicht, stattdessen warf Brian einen Blick aus dem Fenster und fluchte dann laut. »Scheiße! Ron! Verschwinde ins Cockpit, wir fliegen direkt in ein Gewitter. Fuck!«

Ron brauchte einen Moment, bis er sich endlich bewegte. Mittlerweile zuckten draußen schon die ersten Blitze und der Donner grollte. Endlich kam Leben in ihn, fluchend lief er ins Cockpit, während die Blitze immer häufiger zuckten und der Donner immer lauter krachte. »Legt die Schwimmwesten an und schnallt euch an!«, kam seine Stimme über den Lautsprecher. Er klang nun nicht mehr so ruhig oder entspannt, sondern leicht panisch. »Die Elektronik spinnt, ich muss versuchen, die Kiste irgendwie in einem Stück runter zu bekommen.«

Brian zog zwei Schwimmwesten unter den Sitzen hervor und warf mir eine zu. »Anziehen!«, befahl er mir und ich beeilte mich damit. Oh mein Gott, wir stürzten wirklich ab. Panisch klammerte ich mich an den Armlehnen meines Sitzes fest, nachdem ich den Anschnallgurt besonders fest gezogen hatte. Brian holte noch einige Sachen, diese stellte er neben die Tür. Dann setzte er sich ebenfalls und legte seinen Gurt an. Dafür, dass die beiden vor kurzem erst Drogen genommen hatten, verhielten sie sich überraschend beherrscht und handelten überlegt. »Beugt euch nach vorne, Kopf zwischen die Knie!« Wieder gab Ron über den Lautsprecher Anweisungen. »Das wird jetzt ungemütlich werden, der Wellengang ist nicht ungefährlich.« Automatisch tat ich, was Ronald sagte, schluchzte dabei allerdings auf. Solche Angst, wie in diesem Moment, hatte ich mein ganzes Leben lang noch nie. Brian fluchte, beugte sich allerdings ebenfalls nach vorn. Auch wenn er ein Arsch war, er war der einzige anwesende Mensch und ich verspürte Todesangst. Meine linke Hand tastete nach seiner rechten und irgendwie war ich froh, als er sie festhielt.

 

3. Bruchlandung

Ich konnte das Zittern der Maschine spüren. Ein lauter Knall drang an meine Ohren. Das Vibrieren wurde immer schlimmer, bis ein heftiger Ruck das Flugzeug durchfuhr. Grelles Licht blendete mich kurz und verlosch schließlich ganz. War nun alles vorbei? Würde ich hier und jetzt sterben? Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Ich schrie in der plötzlichen Dunkelheit panisch auf, umklammerte Brians Hand noch fester. Auch wenn ich ihn nicht leiden konnte, er war der einzige Mensch, der gerade da war. Ich brauchte jeden Halt, den ich finden konnte.

»Bitte, lieber Gott, lass mich noch nicht sterben«, betete ich leise. Ich war wirklich kein gläubiger Mensch, obwohl ich jeden Sonntag mit meinen Eltern in die Kirche ging, aber in diesem Moment betete ich zum ersten Mal ehrlich. Ich wollte noch nicht sterben! Es gab doch noch so viel in diesem Leben, das ich noch nicht getan hatte.

»Ich mache eine Notwasserung. Versucht, euch gut festzuhalten.« Ron klang hoch konzentriert, wie konnte er in dieser Situation so ruhig bleiben?

Das Flugzeug sank immer tiefer. Mit jedem Meter wurde meine Panik größer. Ich zitterte am ganzen Körper, weinte leise vor mich hin. Waren wir nicht noch viel zu schnell? Wusste Ronald, was er tat? Vertrauen hatte ich keines in ihn. Wie sollte ich einem Piloten vertrauen, der das Flugzeug sich selbst überließ, um zu koksen?

Wir wurden erneut ziemlich heftig durchgerüttelt. Wieder schrie ich. Auch Brian konnte nicht mehr ruhig bleiben. Einen lauten Knall nahm ich noch wahr, dann wurde alles schwarz um mich herum.

Als ich wieder zu mir kam, wusste ich weder, wo ich mich befand, noch was passiert war. Es war stockdunkel. Der weiche Untergrund, auf dem ich lag, schaukelte hin und her. Wo war ich? Ich wollte mich aufrichten, doch ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kopf. Gequält stöhnte ich auf.

»Sie wird wach.« Ronalds Stimme klang ehrlich erleichtert.

»Endlich«, antwortete Brian nur, allerdings klang seine Stimme ebenfalls besorgt. Ron kam zu mir, was scheinbar gar nicht so leicht war, weil der Boden schwankte. »Samantha?«, fragte er und hockte sich neben mich. »Hörst du mich?« Ich wollte nicken, aber sofort schoss erneut der Schmerz durch meinen Kopf, brachte mich zum Aufstöhnen. »Ja«, antwortete ich heiser. Das Sprechen fiel mir aus irgendeinem Grund ziemlich schwer. Er griff nach meiner Hand und drückte sie leicht.

»Es tut mir leid, ich bin schuld, dass wir abgestürzt sind und auch, dass du jetzt verletzt bist. Ein nicht gesicherter Karton hat sich selbstständig gemacht. Der ist dir an den Kopf geflogen. Es tut mir alles so leid.« Er klang ehrlich verzweifelt. Das erklärte meine Kopfschmerzen und warum ich bewusstlos gewesen war. Bei dem Geruckel vorhin im Flugzeug war es ja kein Wunder, dass dort Sachen durch die Gegend geflogen waren. Doch wo waren wir jetzt? Ich wollte es gerade fragen, als Ronald mir eine Flasche Wasser hinhielt.

»Du hast sicher Durst. Möchtest du etwas trinken? Auch wenn das Wasser warm geworden ist, es ist besser als nichts. Du warst ganz schön lange weg. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.« Er plapperte schneller, als ich im Moment denken konnte, aber Trinken war eine gute Idee.

Er half mir dabei, mich etwas aufzurichten, und dann trank ich gierig ein paar Schlucke. Mein Hals tat zwar immer noch weh, doch es ging mir schon viel besser. Auch das Schwindelgefühl ließ nach, das mich im ersten Moment überfallen hatte. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht. Wir waren in einem Schlauchboot, mitten auf dem Ozean, das erklärte natürlich das Schaukeln, das ich schon wahrgenommen hatte. Vom Flugzeug war weit und breit nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich waren Stunden vergangen, denn der Absturz war am frühen Nachmittag gewesen und nun war es dunkel.

»Wo sind wir?«, fragte ich, obwohl das wahrscheinlich eine dämliche Frage war. Das sah wohl auch Brian so, denn er lachte verächtlich auf. »In einem Boot auf dem Meer.« Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

»Darauf bin ich auch schon gekommen«, zickte ich zurück.

»Was fragst du dann so blöd? Das Meer war durch das Gewitter ziemlich aufgewühlt, durch den Blitzschlag sind die Instrumente ausgefallen, außerdem sind wir mittlerweile wahrscheinlich meilenweit abgetrieben. Und der Trottel.« Er zeigte auf Ronald. »Hat das Funkgerät über Bord gehen lassen.«

Das klang nicht gut, wie sollten wir so nur gerettet werden? Brian war wahrscheinlich zu recht wütend auf Ronald, aber er selbst war ja auch nicht unschuldig an unserer Lage. »Vielleicht solltest du, wenn wir gerettet werden, es zukünftig unterlassen, während des Fluges mit dem Piloten zu koksen«, warf ich ihm an den Kopf.

»Ich werde daran denken«, blaffte er zurück. Wahrscheinlich war er es nicht gewöhnt, dass man ihm die Meinung sagte. Danach redeten wir nicht mehr miteinander, sondern saßen schweigend an entgegengesetzten Enden des überraschend großen Bootes. Hier könnten problemlos fünfzehn Personen Platz finden.

Kurz darauf war ich wohl wieder eingeschlafen, denn als ich die Augen erneut öffnete, wurde es langsam heller. Ron saß neben mir, mein Kopf lag auf seinem Schoß. Wie war der nur dorthin gekommen? Ich wusste es nicht. Außerdem waren wir beide in Decken gehüllt, in der Nacht hatte es sich ganz schön abgekühlt und ich war ihm dankbar, dass er an mein Wohlergehen dachte. Ich fröstelte so schon und fühlte mich klamm, ohne Decke wäre es noch viel schlimmer gewesen.

Brian lag zirka einen Meter von uns entfernt, er schnarchte leise. Ich sah mich nach der Wasserflasche um und sah sie neben ihm liegen. Vorsichtig erhob ich mich und war froh, dass das Schwindelgefühl fast weg war. Auch mein Kopf pochte nur noch leicht. An meinem Hinterkopf konnte ich zwar eine große Beule ertasten, aber zum Glück keine Wunde.

Ich holte mir das Wasser und trank vorsichtig ein paar Schlucke. Ich wollte nicht zu viel nehmen, da ich nicht wusste, wie viel wir dabei hatten und wann wir gerettet werden würden. Trinkwasser war überlebenswichtig und auch die Männer brauchten welches. Ich wollte keinesfalls schuld sein, wenn sie verdursteten. Die Sonne ging langsam auf und ich hätte dieses Naturschauspiel sicherlich genossen, wenn wir nicht in einer so schrecklichen Lage gewesen wären. So achtete ich kaum darauf, sondern grübelte nur darüber nach, ob und wann wir wohl gerettet werden würden. Die Sonne stieg immer höher, es wurde richtig hell und zum Glück endlich wieder wärmer. Als mein Blick über den Horizont schweifte, entdeckte ich plötzlich etwas Grünes. Es war eindeutig Land, aber noch in großer Entfernung. »Ron! Brian! Aufwachen!« Ich rüttelte die beiden abwechseln. Nach einer gefühlten Ewigkeit wachten sie endlich auf.

»Warum weckst du mich?« Brian war schon wieder richtig stinkig. Ich fragte mich, ob dieser Kerl jemals normal sprach oder ob er nur motzen, meckern und beleidigen konnte.

»Da hinten ist Land«, erklärte ich und zeigte in die Richtung. »Ich habe keine Ahnung, wie man das Boot dorthin steuern könnte.«

Zum Glück schien zumindest Ron zu wissen, was zu tun war. Er gab uns Anweisungen und beide Männer griffen beherzt nach den Rudern, die zur Ausstattung des Rettungsbootes gehörten. Langsam aber sicher kam das Land immer näher. Festland war es sicherlich nicht, doch zumindest sah es nach einer größeren Insel aus. Ich hoffte sehr darauf, dass sie bewohnt war. Es dauerte dennoch einige Zeit, bis wir endlich in die seichten Gewässer vor der Insel kamen, so weit weg hatte das gar nicht ausgesehen. Die Jungs sahen schon echt fertig aus, da die Strömung uns in eine andere Richtung treiben wollte und sie die ganze Zeit dagegen an gerudert waren. Brian keuchte sogar, das hatte allerdings den Vorteil, dass er nicht motzen konnte. Endlich waren wir fast am rettenden Ufer. Sie waren beide schweißgebadet, aber es gab nur zwei Ruder und mir hatten sie keins geben wollen. Als wir noch näher an den Strand kamen, warf Brian mir schließlich doch seines zu.

»Hier, du wolltest doch helfen.« Dann sprang er ins seichte Wasser und fasste nach einem Haltegriff an der Außenseite des Bootes. Das schien mehr zu bringen, als das Rudern. Ronald sprang nun ebenfalls aus dem Boot, um seinem Freund beim Ziehen zu helfen. Da das Rudern auf nur einer Seite nichts brachte, folgte ich ihnen. Zu dritt zogen und zerrten wir an den Griffen, bis das Boot schließlich am Strand lag. Dort ließen wir uns schweratmend in den Sand fallen. Mir war schon wieder schwindelig, die Anstrengung war wohl doch nicht so gut für mich gewesen. Deshalb sollte ich lieber aus der prallen Sonne raus, die mir zudem in den Augen wehtat und schleppte mich mühsam in den Schatten einer Palme. Dort ließ ich mich wieder fallen und schloss ermattet die Augen.

Mein Kopf pochte wieder stärker, mir war schwindelig und außerdem noch übel. »Samantha?« Ron war plötzlich neben mir. Warum hatte ich ihn nicht kommen hören? »Ist alles in Ordnung?« Er klang besorgt und wenn es mir nicht so schlecht gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich gelacht.

»Kopfschmerzen.« Mehr sagte ich nicht. Jammern würde ja sowieso nichts bringen. Keiner von beiden war Arzt und mit meinem medizinischen Wissen war es ebenfalls nicht weit her. Außerdem hatte ich von klein auf gelernt, Schmerzen zu verheimlichen. Mein Vater sah es als Schwäche an, Schmerz zu zeigen. Egal, ob ich krank war oder mich mal verletzte. Ich hatte es zu ertragen. ›Ein beziehungsweise eine Hilton zeigt niemals Schwäche!‹, war der Leitspruch meines Vaters. »Ich hol dir erst einmal was zu Trinken und schaue dann, ob wir etwas gegen Schmerzen dabei haben.« Nun kam auch Brian zu uns herüber. »Schmerzmittel haben wir keine«, erklärte er. »Es sei denn, du willst ihr etwas Koks geben.« Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Ich wollte mich aufrichten, schafften es aber kaum, weil sich alles um mich herum so drehte.

»Nie im Leben! Ich nehme keine Drogen!«, brachte ich wenigstens heraus.

»Ist auch besser so. Wer weiß, wann wir hier wegkommen. Wir haben nur fünfzig Gramm, das werden wir uns einteilen müssen.« Der Kerl machte mich wahnsinnig! Nur fünfzig Gramm? Das war eine Menge, für die er bei einer Verurteilung mehrere Jahre Gefängnis bekommen würde.

Ich hatte mir ja Urlaub auf einer einsamen Insel mit Strand und Palmen gewünscht, aber zukünftig sollte ich mit meinen Wünschen vorsichtiger sein. So hatte ich mir meinen ›Urlaub‹ sicherlich nicht vorgestellt.

 

4. Erkundungen

Nachdem wir einige Zeit im Schatten lagen und es mir etwas besser ging, hielt ich es nicht mehr aus. Mir war nicht mehr ganz so schwindelig. Außerdem war ich es nicht gewohnt, still zu sitzen und nichts zu tun, mal abgesehen davon, dass es einiges zu erledigen gab. Ich wusste nicht, wie viel Wasser wir dabei hatten, obwohl das eigentlich auch egal war, wir sollten auf jeden Fall nach einer Wasserquelle suchen. Wer wusste schon, wann wir gerettet werden würden. Außerdem bestand ja noch die Hoffnung, dass die Insel vielleicht bewohnt sein könnte. Das konnten wir nicht herausfinden, wenn wir nur hier herumsaßen.

Deshalb stand ich auf und weckte die Männer, die in der Sonne eingeschlafen waren. Sonderlich klug war das sowieso nicht von ihnen und sie hätten mir eigentlich dankbar sein müssen, dass ich sie vor einem Sonnenbrand rettete. Aber stattdessen motzten sie nur herum, weil sie weiterschlafen wollten.

»Wir sollten das Boot, die Sachen verstauen, außerdem nachsehen, ob die Insel vielleicht bewohnt ist. Obendrein müssen wir nach Nahrung und Wasser suchen.« Mein Vorschlag traf bei den Kerlen nicht auf begeisterte Zustimmung.

»Vielleicht später«, meinte Brian nur, drehte sich auf den Bauch, stützte dann seine Arme etwas auf, um mich besser ansehen zu können.

»Ihr könnt ja schon einmal suchen gehen und ich bewache das Boot.« Das konnte doch nicht sein Ernst sein.

»Muss das sein?«, grummelte Ronald ebenfalls und gähnte laut.

»Ja, das muss sein!« Ich bemühte mich wirklich, ruhig zu bleiben, aber diese faulen Hunde machten es mir unmöglich. Was dachten sie, was wir hier taten? Das war doch kein schöner Strandurlaub! Wir waren gestrandet und ich hatte keine Lust, hier zu verhungern oder zu verdursten.

»Relax, Tammy, wir werden bald gerettet. Das Flugzeug hatte GPS. Ich bin mir sicher, dass unsere Väter uns schon überall suchen lassen«, meinte Brian völlig gelassen. Bei seinem Vater konnte ich mir das sogar vorstellen, aber bei meinem? Wahrscheinlich war er froh über die Aufmerksamkeit, die er wegen des Absturzes von allen bekam. Nun konnte er den besorgten Vater spielen und dadurch Sympathiepunkte bei den Leuten sammeln. »Wir sind die ganze Nacht auf dem Meer gewesen. Woher sollen sie wissen, wo wir sind? Oder hat das Boot ebenfalls GPS?«, fragte ich. Ronald zuckte sichtlich zusammen.

»Nein … ähm … das Funkgerät … ähm …«, stammelte er. Irgendwie ergab das Ganze keinen Sinn für mich. »Was ist mit dem Funkgerät? Das ist doch versunken, oder?« Doch schon während ich die Frage stellte, wurde es mir klar und ich hätte seine Bestätigung gar nicht mehr gebraucht. Das Funkgerät, das normalerweise im Rettungsboot sein sollte, hatte einen GPS-Chip. Doch das war Ron ins Meer gefallen und abgesoffen. Wahrscheinlich gingen etwaige Suchtrupps nun davon aus, dass wir in der Nähe des Flugzeugs gekentert wären. Hoffentlich gaben sie die Suche nach uns nicht gleich wieder auf.

»Also siehst du nun ein, dass wir nicht einfach hier herumsitzen können?« Ronald konnte ich nun überzeugen, Brian fand allerdings noch immer, dass wir keinen Grund hatten, uns abzuhetzen.

»Der Stoff ist sicher bei mir«, erklärte er und klopfte auf ein kleines Päckchen, das neben ihm lag. Etwas anderes schien ihn nicht zu interessieren. Wenigstens Ronald half mir nun, die Vorräte aus dem Boot zu holen, um sie im Schatten zu lagern. Die Ausbeute war traurig genug. Wir besaßen gerade einmal fünf Liter Trinkwasser und ein paar Kekse als Proviant, das war alles. Sahen die beiden denn nicht, dass wir spätestens übermorgen, wahrscheinlich eher schon morgen, ein riesiges Problem bekämen, wenn wir jetzt nichts unternahmen? Ansonsten gab es nur noch drei Wolldecken und eine leere Umhängetasche, doch keinerlei Kleidung.

»Vom Gepäck konntet ihr nichts retten?« War alles so schnell gegangen? Bisher hatte ich nicht weiter danach gefragt.

»Nein, wir konnten nur das Nötigste aus dem Flugzeug holen, ein Flügel ist bei der Landung abgerissen und es ist ziemlich schnell untergegangen«, erklärte Ronald. Ich schluckte die Frage herunter, ob das Kokain zum Nötigsten gehörte. Für die beiden war die Antwort auf diese Frage sicherlich klar. Ich fragte mich, ob ihnen unsere prekäre Lage überhaupt bewusst war. Ob sie sahen, was nun auf uns zukommen würde. Ohne Nahrung, Wasser, Kleidung und Unterschlupf auf einer scheinbar unbewohnten Insel.

Nein, Brian sah es wohl wirklich nicht, denn er nahm sich gerade eine Wasserflasche und wollte sich den Inhalt über den Kopf kippen. Schnell rannte ich zu ihm, obwohl mir dabei wieder schwummerig wurde. Ich riss ihm die Flasche aus der Hand.

»Spinnst du?«, schrie er mich an. »Wer hier spinnt, ist wohl die Frage, ›Mr. Vielleicht später‹«, schrie ich zurück. »Willst du uns umbringen, oder was hast du vor? Wir haben fünf Liter Trinkwasser für drei Personen. Kannst du dir denken, wie lange das ausreicht? Wenn du dich abkühlen willst, spring ins Meer und verschwende nicht unseren winzigen Vorrat!« Dieser Kerl schaffte das, was sonst niemanden gelang. Ich schrie und tobte, dabei war ich normalerweise die Ruhe in Person. Oft wurde ich deshalb vor Gericht erst einmal unterschätzt, doch spätestens, wenn ich mein Plädoyer hielt, merkte die Gegenseite, was ich drauf hatte. Meine Argumente waren immer hieb und stichfest. Aber Brian schaffte es spielend, dass ich mich völlig vergaß und mich in eine keifende Furie verwandelte. Trotzdem oder gerade deshalb sah er nicht ein, uns zu begleiten, als wir aufbrechen wollten. Vorsichtshalber hatte ich vier der fünf Wasserflaschen in eine Tasche gesteckt, um sie mitzunehmen. Wer wusste schon, was Brian sonst noch damit anstellen würde?

Einige Zeit später, wie spät es genau war, konnte ich nur erahnen, da ich keine Uhr trug und Ronalds beim Absturz kaputt gegangen war, stapften wir durch den Dschungel. Obwohl ich ihm anfangs nicht vertraut hatte, musste ich zugeben, dass er ein idealer Fährtensucher war. Er konnte an den Bäumen ablesen, wo welche Himmelsrichtung war.

Endlich stießen wir auf einen kleinen Bach mit klarem Wasser, Ronald probierte vorsichtig und richtete sich dann lächelnd auf. »Das ist Trinkwasser. Wir sollten uns ein Lager hier irgendwo in der Nähe bauen. Wir brauchen einen Schutz vor der Sonne und vor Regen.« Ich fragte mich zwar, ob das wirklich sinnvoll war, so weit vom Strand wegzugehen. Wie sollten wir hier gefunden werden? Nur was gab es sonst für eine Wahl? Ich selbst besaß keinerlei Erfahrung mit dem Leben in der Wildnis.

»Du kennst dich wohl damit aus?« Ich wollte herausfinden, ob er wirklich wusste, was er tat und Ron erzählte gleich freimütig.

»Mein Vater war früher Ranger in einem Nationalpark. Er hat mir viel über das Leben in der Natur beigebracht. Sein Traum war es lange, dort ein Survivalcamp aufzubauen und wir waren seine Tester. Leider erlitt er dann einen Unfall, wodurch er sein halbes Bein verlor.« Trotz dieser Schreckensbotschaft, schien er gerade in Redelaune zu sein und erzählte noch so einiges über seine Abenteuer im Nationalpark.

»Freeclimbing ist genial, hast du das schon einmal gemacht? Das Gefühl dabei ist fast so genial wie beim Schnupfen.« Er redete und redete. Ich sagte manchmal »Hmmm« oder »Ja« und er schien gar nicht zu bemerken, dass ich ihm kaum zuhörte. Meine Gedanken waren im Hier und Jetzt. Ich sah mich genau um, ob es irgendwo in der Nähe des Baches einen geeigneten Lagerplatz gab, vielleicht eine Höhle oder so, wo wir vor Regenschauern sicher wären. Ich wusste nicht, wo wir genau waren und wie das Wetter hier sein würde, aber wenn ich an das Gewitter dachte, dass zum Absturz geführt hatte, wünschte ich mir wirklich ein Dach über dem Kopf. Leider war nichts in der Art zu finden. Da wir jetzt Wasser gefunden hatten, tranken wir etwas aus den Flaschen, füllten diese danach mit frischem Wasser auf. Dann wollte Ronald zurück zu Brian. Meiner Meinung nach könnte der ja ruhig bleiben, wo der Pfeffer wächst. Nur allein wollte ich auch nicht bleiben.

»Ich würde gern noch etwas Essbares und einen Unterschlupf für schlechtes Wetter suchen«, widersprach ich ihm trotzdem. Aber er hatte keine Lust mehr und da ich meinen nicht vorhandenen Orientierungssinn kannte, folgte ich ihm unzufrieden. Allein hätte ich mich wahrscheinlich hoffnungslos verlaufen. Außerdem wusste ich nicht, was es hier auf der Insel für Tiere gab. Ich rechnete zwar nicht wirklich mit großen Raubtieren, aber Schlangen oder Skorpione könnte es geben. Wobei ich fürchtete, dass Brian und Ronald bei einem Biss oder Stich auch keine große Hilfe wären.

Ron schien zumindest wirklich zu wissen, wie man sich orientiert, denn kurze Zeit später waren wir wieder am Strand, etwas oberhalb der Stelle, an der wir vorhin noch waren. Brian hatte sich mittlerweile tatsächlich aufgerafft und war in den Schatten umgezogen. Dort schlief er nun auf einer der Wolldecken. Ron schmiss sich neben ihn in den Sand und nahm eine zweite Decke als Kopfkissen. »Ich mach auch ein Nickerchen, Tammy«, sagte er.

»Ich heiße Samantha oder Sam und nicht Tammy. Tammy hieß das Pferd, auf dem ich in der Schule Reiten gelernt habe und ich denke nicht, dass ich wie ein Gaul aussehe«, antwortete ich nun wirklich genervt. Ich hasste dieses ›Tammy‹, eine meiner Lehrerinnen hatte mich in der Schule so genannt und einige Klassenkameraden fanden es daraufhin witzig, mir trockenes Brot und Karotten mit zur Schule zu bringen. Ich war das Gespött der ganzen Klasse gewesen.

Ich verdrängte den Gedanken an diese Zeit schnell wieder. Die Erinnerungen daran waren nicht gerade glücklich. Da meinem Vater kaum ein Kind gut genug war, um meine Freundschaft zu verdienen, galt ich in der Schule sowieso immer als eingebildet und wurde von den meisten Mitschülern ausgeschlossen. Wirklich verdenken konnte ich es ihnen nicht, nie lud ich jemanden zu mir ein oder erschien zu Geburtstagen oder anderen Veranstaltungen, warum sollte da jemand mit mir befreundet sein wollen. Kinder waren da schnell grausam und grenzten einen aus.

Meine Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl meldeten sich zurück. Ob das an den Grübeleien lag oder ob ich mich etwas übernommen hatte, wusste ich nicht. Deshalb schnappte ich mir die letzte Decke, um mich ebenfalls in den Schatten zu setzen.

»Einen Erste-Hilfe-Kasten haben wir auch nicht?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort eigentlich schon kannte. Bloß der Gedanke an eventuellen Verletzungen, die man sich hier sicher leicht zuziehen konnten, machte mir Angst.

»Der ist mit dem Funkgerät über Bord gegangen.« Ronalds Antwort war niederschmetternd. »Der Seegang war so hoch und ich musste ja auf das Koks aufpassen, da ist er mir ins Wasser gefallen.« Ich hätte am liebsten laut geschrien. Die Drogen waren also wichtiger gewesen, als das Funkgerät oder der Erste-Hilfe-Kasten.

»Und was hat Brian getragen? Die Verantwortung?« Natürlich war diese Frage nicht fair, aber ich konnte sie mir einfach nicht verkneifen.

»Der hat aufgepasst, dass du nicht ebenfalls über Board gehst.« Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich jetzt fies. Dabei konnte ich nun wirklich am wenigsten für unsere Situation. Doch es fiel mir einfach schwer, hier rumzusitzen, ohne etwas zu tun. Ausruhen war mir fremd.

Obwohl wir jetzt eine Trinkwasserquelle kannten, waren die Gegebenheiten nicht gerade gut. Wir mussten dringend die Insel weiter erkunden, wenn wir nicht verhungern wollten. Allerdings schnarchten nun beide Männer und ich traute es mir nicht zu, mich allein wieder auf den Weg zu machen.

5. Ein regnerischer Morgen

Es war noch fast dunkel, als ich aufwachte. Mir war kalt, jeder Knochen tat mir weh. Vor allem dröhnte mein Kopf furchtbar. Einen Augenblick lang wusste ich nicht einmal, wo ich war, und wunderte mich, warum ich auf dem harten Boden lag. Reflexartig wollte ich in meine Tasche fassen, um auf dem Handy nachzusehen, wie spät es war, aber das war natürlich weg. Dann fiel mir alles wieder ein, der Flug, das Gewitter, wie wir hier gelandet waren. Seufzend richtete ich mich auf. Am vernünftigsten wäre es wohl, weiter zu schlafen, bloß mir war zu kalt und der Boden war schon leicht feucht, sodass meine Decke sich mittlerweile klamm anfühlte.

Ich sah mich um und bemerkte, dass die Männer noch immer seelenruhig schliefen. Verständlich, wahrscheinlich war es mitten in der Nacht, trotzdem hätte ich sie am liebsten geweckt und kräftig geschüttelt. Warum konnte ich mich gestern nicht durchsetzen und sie davon überzeugen, nach einem Unterschlupf zu suchen? Oder zumindest Brennholz zu sammeln, um ein Feuer zu machen? Dann wäre mir jetzt nicht so kalt.

Nun fing es auch noch an, zu tröpfeln, es regnete zwar nicht stark, aber es wurde doch unangenehm, so ohne Dach über dem Kopf. Zumindest regten sich die Kerle nun endlich.

»Was soll der Scheiß? Mach das Wasser aus!«, motzte Brian herum.

»Fuck! Es regnet«, rief Ronald, der scheinbar schneller als sein Freund realisierte, was los war. Wahrscheinlich nahm er weniger Drogen als dieser oder sein Gehirn war noch nicht völlig zerstört … vielleicht war er einfach schon immer intelligenter gewesen.

»Fuck! Ich werde ganz nass. Was machen wir jetzt?«, jammerte Brian und ich verdrehte die Augen. Er war echt ein Blitzmerker.

»Du warst doch derjenige, der gestern keinen Unterschlupf mehr suchen wollte«, warf ich ihm vor.

»Du hättest ja selbst etwas tun können.« Er funkelte mich regelrecht an, als wäre ich schuld an unserer Situation. Der Kerl musste echt einen Dachschaden haben, schließlich hatte er nur faul am Strand herumgelegen, als Ron und ich Wasser suchten. Zudem wäre ich ohne ihn niemals hier auf dieser verdammten Insel gelandet.

»Im Gegensatz zu dir haben wir wenigstens etwas getan.« Schon wieder regte er mich auf. Brian schnaubte nur, wahrscheinlich weil ich recht hatte und ihm keine blöde Erwiderung mehr einfiel.

»Leute, kommt runter. Meint ihr, es bringt was, wenn ihr euch hier anschreit?«, mischte sich nun Ronald ein. Er sah mich bittend an, offenbar wollte er einen Streit zwischen uns verhindern.

Brian funkelte nun ihn böse an, dabei hatte Ron doch völlig recht. Die Tropfen wurden immer dicker und statt uns einen Unterschlupf zu suchen, standen wir hier untätig herum, um uns zu streiten. Sinnvoll war das nicht gerade. Wenn wir doch nur eine Plane oder so etwas im Boot gehabt hätten, dann könnten wir uns wenigstens daraus ein Zelt bauen.

Plötzlich ging mir ein Licht auf.

»Das Boot!«, rief ich laut.

»Willst du jetzt bei dem Wetter und im Dunkeln wieder aufs Meer?«, fragte Brian spöttisch.

»Nein«, antwortete ich genervt. Warum musste der Kerl nur so dämlich sein? »Aber wenn wir das Boot schräg dort gegen die beiden Baumstämme dort drüben lehnen, haben wir wenigstens ein provisorisches Dach.«

Brian sah mich verständnislos an, zumindest Ronald verstand, was ich meinte, als ich auf zwei Bäume zeigte, die nicht weit voneinander entfernt standen. »Mensch, stell dich doch nicht dämlicher an, als du so schon bist«, fluchte ich. Daraufhin fasste Brian wenigstens mit an und half uns, das Boot schräg dagegen zu lehnen. Ron zog ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche und säbelte damit solange an dem Tau, das an der Außenwand des Bootes entlang lief, herum, bis er es durchgeschnitten bekam. Dann zog er es durch einen Haltegriff, um es dort festzuknoten. Anschließend schlang er das Tau um die Bäume, um es zuletzt wieder an einem zweiten Haltegriff auf der anderen Seite des Boots zu knoten.

»So, das sollte halten«, meinte er zufrieden. »Nicht, dass ein Windstoß kommt und uns das Boot gleich wegweht.« Wir krochen alle drei unter unser provisorisches Dach und breiteten eine der Decken auf dem Boden aus. Allerdings waren diese mittlerweile feucht geworden, genauso wie unsere Klamotten und zum Wechseln besaßen wir ja nichts mehr. Die anderen klemmte Ronald unter das Seil und hängte so eine Seite zu. Sie schwangen zwar im Wind etwas hin und her, boten allerdings dennoch wenigstens ein bisschen Schutz vor dem Regen.

Schon nach kurzer Zeit zitterte ich, denn der nun langsam aufkommende Wind traf uns selbst unter unserem Dach. Das Boot versuchte einige Male, abzuheben, deshalb musste es immer mindestens einer von uns am Boden festhalten. Allerdings kam da nun endlich auch mal Brian eine gute Idee. Er setzte sich auf den Rand des Bootes, um es durch sein Gewicht am Abheben zu hindern, bloß sonderlich bequem war diese gebückte Haltung sicherlich nicht. Da würden wir uns auf die Dauer etwas anderes ausdenken müssen.

Nun waren wir wenigstens vor dem Regen geschützt und konnten sehen, wie es langsam heller wurde, aber jede Windböe sorgte dafür, dass ich stärker und immer stärker zitterte.

»Samantha, komm her, ich wärme dich«, forderte Ron mich auf, dann zog er mich näher zu sich heran, legte zudem einen Arm um mich. Zuerst war mir das sehr unangenehm, da ich Körperkontakt nicht wirklich gewohnt war und ich ihn ja auch kaum kannte, aber dann musste ich zugeben, dass es wirklich etwas half. Mein Zittern ließ ein wenig nach. Ob er Fieber hatte oder eine eingebaute Heizung? Egal, Hauptsache mir wurde etwas wärmer. Ich konnte sein Angebot einfach nicht ausschlagen, zumal der Ausdruck in seinen Augen so treudoof war, wie der eines Bernhardiners. Vielleicht konnte ich sogar noch eine Runde schlafen.

»Ich wüsste ja, wie dir richtig warm werden würde, Tammy«, meinte Brian mit anzüglichen Unterton. »Zieh die nassen Sachen aus. Ron und ich nehmen dich in die Mitte damit sorgen wir dafür, dass dir sogar heiß wird, Babe.« Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. Der Kerl hatte doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.

»Ich bin weder dein Babe, noch heiße ich Tammy.« Ich funkelte ihn wütend an. »Ich heiße Samantha und deinen Vorschlag kannst du gleich wieder vergessen. Ehe ich mich auf dich einlasse, friert die Hölle zu!« Ich war ehrlich entsetzt über sein Anliegen. Zwar war ich keine Jungfrau mehr, aber solche perversen Spiele waren nun wirklich nicht mein Ding. Ein Dreier! Unvorstellbar! Außerdem hatten wir im Moment wohl ganz andere Probleme.

»Brian«, mischte sich nun Ronald ein, »nun lass sie doch mal in Ruhe.« Brian zuckte nur mit den Schultern.

»Sonst hast du doch auch kein Problem, wenn wir uns eine Frau teilen.« Entsetzt keuchte ich auf. War das etwa sein Ernst? Waren die beiden bisexuell? Aber wenn ich ehrlich war, wollte ich das gar nicht so genau wissen.

Zum Glück ließ der Regen langsam nach und es wurde immer heller. Schlafen konnte ich wohl vergessen, doch vielleicht konnten wir wenigstens unseren Unterschlupf bald verlassen. Die Sonne kam endlich heraus. Obwohl es noch immer tröpfelte, wurde es etwas wärmer. Ich hoffte sehr, dass der Regen bald ganz aufhören würde und ich heraus kam, ehe Brian auf noch mehr so tolle Ideen kam.

Mein Magen knurrte laut. Ron, der das natürlich hörte, grinste mich an und holte die Kekse aus der Tasche, in die wir sie gestern Abend noch gesteckt hatten.

»Fuck, die sind feucht geworden!«, fluchte er laut. Appetitlich sahen die nun wirklich nicht mehr auf aus, da wir aber nichts anderes besaßen, war es mir egal. Beherzt griff ich zu und auch Ron bediente sich, nur Brian zog ein angewidertes Gesicht. Er verzichtete freiwillig auf seinen Anteil.

 

Dafür aß Ronald schneller, als ich gucken konnte. Ruck zuck war die Packung halb leer und obwohl ich selbst noch nicht wirklich satt war, stoppte ich ihn.

»Wir sollten noch welche aufheben, falls wir heute nichts Essbares finden.« Einer von uns musste hier ja vernünftig sein, außerdem dachte ich auch an Brian. Ich mochte ihn zwar nicht, aber trotzdem behielt er sein Anrecht auf einen Anteil.

Ron sah zwar nicht gerade begeistert aus, verstand jedoch wenigstens, dass ich recht hatte, denn er packte den Rest Kekse zurück ich die Tasche.

»Du willst wirklich nichts, Brian?« Doch der winkte nur ab. Endlich hörte der Regen auf und wir konnten aus unserem Unterschlupf kriechen. Der Sand am Strand war zwar noch nass, aber die Sonne wärmte nun wenigstens schon ganz gut. Schnell waren meine Klamotten wieder getrocknet. Dass wir keinerlei Wechselsachen besaßen, machte mir wirklich Sorgen.

Ich selbst trug eine Stoffhose und eine Bluse, Brian auch nur eine Stoffhose, dazu ein Seidenhemd. Diese Kleidungsstücke waren nicht wirklich geeignet für das Wetter hier und für Ausflüge in den Dschungel schon dreimal nicht. Während Brians Sachen bisher nur zerknittert waren, - Kunststück, er hatte sich bis jetzt ja auch kaum bewegt, - waren meine schon ziemlich dreckig vom gestrigen Ausflug.

Ronalds Kleidung war da schon viel passender. Er trug eine Jeanshose, sowie ein dunkles T-Shirt, obwohl er in der Jeans wahrscheinlich tagsüber ganz schön schwitzen würde, doch sie war immer noch besser als meine helle Hose. Allerdings war die Bluse schlimmer, die klebte sogar beim Trocknen immer noch unangenehm an mir.

Aber ehe ich mir weiter Gedanken über meine Kleidung machen konnte, mussten wir uns erst einmal mit den wichtigeren Problemen beschäftigen. Wir brauchten einen Unterschlupf und wir mussten noch viel dringender etwas zu Essen finden, wenn wir nicht demnächst verhungern wollten.

»Lasst uns zum Bach gehen, unsere Wasserflaschen auffüllen. Dann sollten wir dort in der Nähe weiter nach etwas Essbarem und einer Höhle oder so suchen«, schlug ich daher vor. Ron erhob sich sofort und blickte mich mit seinem Dackelblick an. Langsam gingen mir diese treuen Hundeaugen auf die Nerven. Ich war doch nicht der Leitwolf, dem er folgen musste. Brian dagegen schien mal wieder keine Lust zu haben.

»Ich brauch erst einmal etwas Stoff«, erklärte er seelenruhig. Kopfschüttelnd sah ich ihm zu, wie er sich in aller Seelenruhe einen flachen Stein suchte, den er als Tisch benutzen konnte. Dort wickelte er sein Koks aus mehreren Lagen Folie aus, – im Gegensatz zu uns war das Zeug knochentrocken – und zog sich erst einmal zwei Lines rein. Am liebsten hätte ich nur noch geschrien, aber ich schluckte es hinunter. Ohne konnte er scheinbar gar nichts tun und ich fragte mich, wie lange die fünfzig Gramm halten würden. Was wohl passierte, wenn seine Drogen erst aufgebraucht waren? Lieber noch nicht darüber nachdenken, denn so ein Entzug war schon mit ärztlicher Betreuung nicht leicht, aber hier auf der Insel? Wir mussten einfach darauf hoffen, dass wir gefunden wurden, bevor sein Vorrat zu Neige ging.

 

6. Erste Fortschritte

Nachdem Brian sein ›Frühstück‹ beendet hatte, schloss er genüsslich die Augen und ließ sich in den nassen Sand fallen. Vielleicht sollten wir ihn einfach dort liegen lassen, in diesem Zustand war er uns nun wirklich keine Hilfe. Allerdings sah Ronald, der zu meiner Erleichterung nicht mit kokste, das anders. Er zog ihn am Arm hoch.

»Komm, beweg dich, Brian! Wir müssen einen Unterschlupf und etwas Essbares finden.« Dieser motzte zwar herum, erhob sich aber zum Glück doch. Also gingen wir nun doch zu dritt in den Dschungel. Mittlerweile schien die Sonne wieder und alles begann regelrecht zu dampfen. Die Luft war zum Schneiden. Schnell klebte meine Kleidung erneut an mir.

Als wir kurz anhielten, trank ich einen Schluck Wasser, bloß das war inzwischen lauwarm und schmeckte eklig. Als erstes sollten wir Frischwasser holen, ehe sich noch Bakterien bildeten.

»Weißt du noch, wie wir zum Bach kommen? Ich hätte gern frisches Wasser und am Besten wäre wohl wirklich ein Lagerplatz dort in der Nähe.« Flehend sah ich Ron an. Ich selbst hatte absolut keine Ahnung mehr, wie wir gestern dorthin gekommen waren.

Zum Glück wusste er es wirklich, sodass wir kurz darauf den Bach erreichten. Erleichtert ließ ich mich auf die Knie fallen, krempelte meine Ärmel und Hosenbeine so weit nach oben, wie es ging. Das Wasser war herrlich kühl und ich wusch mich, so gut es angezogen eben möglich war. Ein Fisch schwamm blitzschnell weg, als ich ihm näher kam. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller, wenn ich mich komplett ausziehen würde, aber alles in mir sträubte sich dagegen, mich vor den unmöglichen Kerlen nackig zu machen.

Obwohl Brian es wahrscheinlich nicht mal wahrnehmen würde. Der hatte sich nämlich die Schuhe, sowie die Hose ausgezogen, sich ans Ufer gesetzt und ließ nun entspannt die Füße ins kühle Nass hängen. Die Ärmel seines Oberhemdes waren hochgerollt, die Arme nach hinten abgestützt, sodass seine gut definierten Oberarmmuskeln deutlich sichtbar wurden. Mein Blick wanderte wie von selbst zu seinem Schritt. Schnell sah ich wieder weg. Oh Mann. Gut bestückt war er ja wirklich, denn der dünne Stoff überließ nicht viel der Fantasie. Und diese Muskeln … Wo hatte der Kerl die eigentlich her? Ich konnte ihn mir nicht beim Sport vorstellen. Zumal das mit seinem Drogenkonsum auch nicht zusammen passte. Jemand, der sich um seinen Körper kümmerte, würde sich nicht vollpumpen, oder? Wobei man Brian den Missbrauch bisher wirklich nicht ansah. Wie lange nahm er das Zeug wohl schon? Ron schien ja noch ganz gut ohne auszukommen, jedenfalls im Moment.

Nachdem wir uns etwas erfrischt hatten und die Wasserflaschen neu gefüllt waren, machten wir uns wieder auf den Weg. Mein Magen knurrte schon wieder, ein paar Kekse waren echt keine Mahlzeit, die lange sättigte. Bisher konnte ich aber noch nichts Essbares entdeckt, außer einigen Vögeln, die hoch in den Bäumen saßen und dem Fisch vorhin im Wasser. Bloß wie sollten wir einen Fisch oder einen Vogel fangen? Außerdem glaubte ich nicht, dass ich es fertig brächte, ein so süßes kleines Tier zu töten, bei Fischen sah es da schon anders aus. Ich hatte sogar schon einmal welche getötet und ausgenommen. Ob Brian oder Ron das wohl könnten? Wahrscheinlich eher Ron, der kannte sich ja in der Natur ganz gut aus. Vermutlich hatte er mit seinem Vater auch schon einmal gejagt.

»So wird das nie etwas«, meinte Ron, nachdem wir einige Zeit zu dritt durch die Gegend gestreift waren, aber nichts gefunden. »Wir trennen uns jetzt am besten, bleiben allerdings in Rufweite. Wer etwas Essbares oder einen möglichen Unterschlupf findet, ruft laut.« Dann zeigte er uns, wer in welche Richtung gehen sollte, das hieß Brian und ich in entgegengesetzte Richtungen am Bach entlang. Er selbst wollte etwas den tieferen Dschungel erkunden.

Da sein Vorschlag vernünftig klang, machte ich mich in die von ihm angegebene Richtung auf. Doch Brian war natürlich mal wieder nicht zufrieden. Statt sich ebenfalls auf den Weg zu machen, um zu suchen, standen die beiden nun herum und stritten sich. Ich rollte mit den Augen, wie konnte man nur so blöd sein? Ich ignorierte sie, so gut es ging, und lief einfach weiter.

Eigentlich war es wunderschön hier. Wenn es ein Hotel gäbe, in das ich nach dem Ausflug zurückkehren könnte und in dem ein leckeres Essen auf mich warten würde, hätte ich es wahrscheinlich sogar aufregend gefunden, hier alles ganz genau zu erkunden.

Nun allerdings fand ich das Grün hier eher bedrohlich, obwohl die Bäume zum Glück nicht zu dicht beieinanderstanden und auch das Unterholz nicht alles bedeckte. Wobei ich schon aufpassen musste, um nicht über Steine, Wurzeln oder kleine Pflanzen zu stolpern. Hier durfte man nicht eine Minute unaufmerksam sein.

Eigentlich sollte ich langsam umdrehen, denn die immer noch zankenden Stimmen der Männer wurden stetig leiser. Doch genau in dem Moment, in dem ich zurückgehen wollte, entdeckte ich etwas, das meine Aufmerksamkeit fesselte, ein Berg oder so. Vielleicht gab es dort eine Höhle. Vergessen war alle Vorsicht und ob ich noch in Rufweite war. Schließlich brauchte ich ja nur dem Wasser zu folgen, um wieder in ihre Nähe zu kommen. Außerdem ging mir ihre Zankerei auf die Nerven. Die Ruhe hier, nur unterbrochen von den Geräuschen der Natur, lullte mich ein. Der Bach plätscherte, die Vögel zwitscherten, und manchmal hörte ich das Kreischen eines Affen. Das waren die ersten größeren Tiere, die ich hier entdeckte. Ob es wohl tiefer im Dschungel noch andere Tiere gab?

Einige hundert Meter weiter erhob sich eine steile Felswand, die schon vorher meine Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Wie konnten wir die vorher nur übersehen? Wahrscheinlich lag es an den vielen Bäumen, man konnte einfach nicht weit schauen und der Strand war auch nicht so breit, dass man da über die Baumkronen hinweg sehen könnte.

Ich beeilte mich, zu der Steilwand zu kommen. Ich hoffte darauf, dass es irgendwo eine Höhle geben könnte, in der wir unser Lager aufschlagen könnten. Allerdings traute ich mich nicht allzu weit vom Bach weg, denn ohne ihn, als Orientierungshilfe, würde ich die Männer nie wieder finden.

Kurz überlegte ich, ob das nicht vielleicht sogar besser wäre, aber ganz allein wollte ich dann doch nicht sein. Einsamkeit war etwas, was ich ganz schlecht ertragen konnte. Wenn ich als Kind etwas falsch gemacht hatte, musste ich tagelang allein in einem Zimmer bleiben, in dem nur ein Bett, ein Tisch mit Stuhl und ein Schrank standen. Dann wurde mir dreimal täglich etwas zu Essen gebracht, doch ansonsten sprach kein Mensch mit mir. In meiner Wohnung lief daher meistens ein Radio oder der Fernseher, damit ich mich nicht so allein fühlte. Hier - allein in der Wildnis zu bleiben, wäre ein Albtraum, da ertrug ich sogar lieber Brians Launen.

Endlich entdeckte ich etwas, das vielversprechend aussah. Es war zwar keine Höhle, aber zumindest eine größere Nische im Fels. Sie ging etwa drei Meter tief hinein. Sie war circa fünf Meter breit und fast zwei Meter hoch. Wenn wir irgendwie das Boot davor befestigen könnten, hätten wir einen trockenen Unterschlupf. Allerdings wüsste ich im Moment nicht, wie das gehen sollte. Vielleicht waren die Männer da einfallsreicher. Ich ging zielstrebig zu der Nische, um sie mir näher anzusehen. Vielleicht würde mir dann selbst eine Idee kommen. Da hörte ich plötzlich Ronalds Stimme wieder laut und deutlich.

»Ich hoffe nur, dass ihr nichts passiert ist. Wollen wir noch mal rufen?«, fragte er, seine Stimme klang sehr besorgt.

»Nun mach dich nicht verrückt. Wir werden sie schon finden, so groß ist die Insel ja nicht und wilde Tiere scheint es hier nicht zu geben. Außerdem bist du nicht für sie verantwortlich.« Brian versuchte eindeutig, nicht nur Ronald zu beruhigen, sondern auch sich selbst. Ich war erstaunt, dass sie sich wirklich Gedanken um mich zu machen schienen. Vielleicht steckte doch mehr in Brian, als ich annahm. »Doch, hätte ich aufgepasst, wären wir jetzt nicht hier, sondern gemütlich im Ferienresort. Wenn wir sterben, ist alles meine Schuld. Ich rühre das Zeug nie wieder an. Scheiß Kokserei!«, fluchte Ron.

»Ich bin gespannt, wie lange du das aushältst«, meinte Brian ungläubig. »Du bist doch genauso abhängig von dem Zeug wie ich. Allerdings kann es für mich nur gut sein, wenn du nichts mehr nimmst, dann hab ich länger was. Ein kalter Entzug, hier im Nichts, könnte echt heftig werden, aber du hast es noch im Griff?«

»Ich muss.« Allerdings klang Rons Stimme dabei nicht sonderlich fest. Ob er das wirklich schaffen würde? Bisher hatte ich mir immer nur Gedanken darum gemacht, was passieren würde, wenn Brian keine Drogen mehr bekam. Nun wurde mir langsam bewusst, dass sein Freund genauso abhängig war wie er.

Um sie etwas von diesem Thema abzulenken, machte ich mich nun doch lieber bemerkbar. Ich wollte auch nicht, dass sie dachten, ich würde sie belauschen.

»Ronald! Brian!«, rief ich deshalb laut.

»Samantha! Wo bist du?« Rons Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.

»Ich habe einen möglichen Unterschlupf gefunden«, antwortete ich.

»Bleib, wo du bist, wir kommen zu dir.« Kurz darauf hörte ich schon, wie die beiden immer näher kamen. Jetzt konnte ich Ron schon sehen. Schnell ging ich ihm entgegen. Er beschleunigte sein Tempo und umarmte mich einfach. Geschafft sah er aus, der Schweiß lief ihm in Strömen über den Körper und er fühlte sich richtig heiß an. Ich fragte mich, ob das schon die Entzugserscheinungen waren. Brian kam langsamer hinterhergestapft.

»Dann zeig mal deinen Unterschlupf«, forderte er mich auf.

Ronald war begeistert. Er schmiedete gleich Pläne, wie wir die Felsnische am besten nutzen könnten. Brian dagegen war natürlich wieder einmal unzufrieden.

»Und deshalb dieser Wirbel? Das ist ja nicht einmal eine Höhle.« Warum konnte dieser Kerl nicht einmal freundlich sein?

»Ach, du hast etwas Besseres gefunden?«, fragte ich provozierend freundlich. Daraufhin hielt er dann doch lieber den Mund. Er warf mir noch ein paar böse Blicke zu, ließ sich allerdings stumm zu Boden sinken.

»Wir haben nur ein paar Beeren gefunden, aber da wir nicht wissen, was es für welche sind, haben wir uns nicht getraut, sie zu probieren«, erklärte Ron an seiner Stelle. Ich seufzte laut, wir brauchten unbedingt eine Nahrungsquelle, doch unbekannte Beeren zu essen, konnte wirklich gefährlich sein. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was passieren könnte, wenn einer von uns krank werden würde und mit einer Vergiftung war echt nicht zu spaßen. Resigniert ließ ich mich ebenfalls auf dem Boden nieder.

»Hey, nun lasst die Köpfe nicht hängen.« Ron grinste mich tatsächlich an. Was stimmte nur nicht mit diesem Kerl? Seine Laune war irgendwie erschreckend gut. »Wir haben Trinkwasser und eine Unterkunft. Etwas zu Essen werden wir auch noch finden, dann geht es uns gut, bis wir gerettet werden.«

Seine Zuversicht hätte ich gern geteilt, doch ich sah nicht so positiv in die Zukunft. Nur Brian war noch pessimistischer als ich.

»Wasser und ein Loch im Fels. Na, geht es uns nicht super?«, fragte er in einem sehr sarkastischen Ton.

 

7. Hunger

Es dauert einige Zeit, bis Brian endlich begriff, dass die Felsnische besser war, als gar kein Dach über dem Kopf. Nun ruhten wir uns erst einmal etwas aus. Diese feuchte Hitze wurde schon wieder fast unerträglich. In Washington war es zwar auch oft feucht, aber dabei längst nicht so heiß wie hier. Der ganze Dschungel schien zu dampfen, hoffentlich war das Wetter hier nicht immer so. Ich sehnte mich nach einer ausgiebigen Dusche und frischen Klamotten.

Mein Magen knurrte ebenfalls schon wieder. »Wir sollten vielleicht unsere Sachen vom Strand holen und dann Feuerholz sammeln«, schlug ich vor. »Außerdem müssen wir unbedingt etwas Essbares auftreiben. Ich will hier nicht verhungern.« Ich hoffte nur, dass einer der beiden ein Feuerzeug bei sich trug, denn sonst würde uns das Holz wahrscheinlich nichts nutzen.

»Brian und ich gehen zum Strand, ihn brauche ich zum Tragen des Bootes. Du kannst dich ja in der Zeit hier weiter umsehen, um Holz, trockene Blätter und irgendwelche Beeren sammeln, falls du welche findest«, bestimmte Ronald nun. Brian stänkerte natürlich gleich wieder dagegen an, warum er mitgehen sollte.

»Ich kann auch Holz suchen, soll sie sich doch mit dem dämlichen Boot abschleppen. Das kriegst du eh nie heil durch den Dschungel. Außerdem, was willst du hier überhaupt damit?« Ronald erklärte ihm, dass er mit dessen Hilfe und einer Konstruktion aus Baumstämmen eine Art Vordach für unseren Unterschlupf basteln wollte, damit wir besser vor Regen geschützt wären. Ich hoffte nur, dass er wirklich wusste, wie man so etwas bauen musste, denn ich hatte von so etwas keine Ahnung und verstand nicht genau, wie er das bewerkstelligen wollte.

Brian grummelte immer noch, dass ich doch die Schlepperei übernehmen sollte und er etwas zu Essen organisieren würde, aber Ronald fiel ihm lachend ins Wort.

»Du? Brian, ehrlich, erinnerst du dich an unsere Überlebenstrips mit meinem Dad? Du findest das Essen doch erst, wenn es dich angreift.«

»Halt die Klappe, Ron.« Brian knurrte fast und sein Blick wurde richtig eisig. »Du weißt, dass ich den Scheiß gehasst habe. Welche verschissenen Eltern schicken ihre Kinder als Erziehungsmaßnahme bitte in einen dämlichen verregneten Wald zum Survivaltraining?«

»Unsere. Ich fand es trotz allem irgendwie cool. Für den Mist, den wir gebaut haben, hätten sie uns auch viel härter bestrafen können. Ich meine, wir hätten fast einen ganzen Wald abgefackelt, dann das Autofahren unter Alkoholeinfluss und das mit vierzehn … Wir haben schon viel verbockt, aber unsere Alten haben uns immer raus gehauen.« ›Wahrscheinlich viel zu oft‹, dachte ich mir, sagte es allerdings nicht laut. Wenn ich nur einmal etwas wirklich Schlimmes angestellt hätte, wäre ich wahrscheinlich auf einem Internat am anderen Ende der Welt gelandet und zudem von meinen Eltern enterbt worden. »Ich hoffe nur, dass ihr dort auch Feuermachen ohne Feuerzeug oder Streichhölzern gelernt habt«, unterbrach ich die Herren. Ronald warf Brian einen Blick zu und brach in schallendes Gelächter aus. »Ich schon, Brian nicht. Na ja, außer einmal und dabei hat er sich dann die Hose abgefackelt. Man sollte sich nicht Holz, Gras und den Stock für die Reibung auf den Schoß packen.« Nun musste ich auch lachen. Brian sprang wutentbrannt auf.

»Halts Maul!«, schrie er Ron an. »Immerhin fliege ich keine Flugzeuge in ein Gewitter. Wegen wem sind wir denn auf dieser verschissenen Insel?« Ups, das war aber eindeutig unter der Gürtellinie. Ronald sah aus, als wollte er auf Brian losgehen. Seine Fäuste waren schon geballt und er ging direkt auf seinen Kumpel zu, der ihn immer noch böse anfunkelte. »Ach, jetzt bin ich ganz allein schuld?«, fragte Ron mit drohendem Unterton. »Dass du mich jedes Mal aufforderst, mit dir zu koksen, ist dann wohl auch meine Schuld?« Er knurrte Brian fast an, der nun ebenfalls seine Fäuste ballte. Was sollte ich nur tun? Wenn die beiden aufeinander losgehen würden, dann bestand die Gefahr, dass sich einer von ihnen ernsthaft verletzen könnte und wir hatten ja nichts dabei, um Verletzungen zu behandeln. Außerdem zog sich der Himmel gerade wieder zu. Vor dem nächsten Regen sollte unser Unterschlupf fertig sein.

Eigentlich wollte ich ja eingreifen und die beiden aufhalten, nur überkam mich die Angst, dass ich dann alles abbekommen würde. Als Ron Brian allerdings kräftig schubste, sodass der über eine Wurzel fiel und mit dem Kopf auf einen Stein knallte, musste ich etwas tun. Ron wollte trotzdem weiter auf ihn losgehen, also griff ich doch ein.

»Stopp!«, rief ich laut. »Spinnt ihr nun völlig? Wir sind hier doch nicht im Kindergarten und tragen Streitereien mit den Fäusten aus. Wenn ihr verhungern wollt, bitte sehr. Ich suche mir jedenfalls etwas zu essen. Denn ich habe nicht vor, hier auf dieser verdammten Insel zu sterben!«

Beide Männer starrten mich mit offenen Mündern an. Mit meinem Ausbruch hatten sie wohl nicht gerechnet. Bisher war ich auch eher zurückhaltend gewesen, aber nun reichte es echt. Zudem knurrte mein Magen erbärmlich und wenn ich hungrig war, wurde ich unausstehlich, das wusste ich selbst. Normalerweise konnte ich mich zusammenreißen, aber diese Idioten verdienten meinen Ausbruch. Statt sich zu prügeln, sollten sie endlich etwas Sinnvolles tun.

»Schaut mich nicht so an. Bewegt lieber eure Ärsche!« Eigentlich war es nicht meine Art, so zu sprechen. Nur eine andere Sprache verstanden sie wohl nicht. Solche Wörter hatten meine Eltern mir eigentlich erfolgreich ausgetrieben, aber die Kerle übten einen ziemlich schlechten Einfluss auf mich aus. Ihr schlechtes Vorbild färbte auf mich ab.

Es half wirklich, mich auf ihr Niveau herabzubegeben, denn Ron streckte Brian die Hand hin, um ihm hoch zu helfen. Kurze Zeit später machten sie sich endlich auf den Weg zum Strand. Ich hoffte nur, dass das Boot heil hier ankam. Wenn sie es im Dschungel kaputtreißen würden, wäre es als Dach nicht mehr zu gebrauchen.

Ich blieb in der Nähe unserer Felsspalte, sammelte Holz sowie trockene Blätter zum Anzünden, dabei hoffte ich nur, dass Ronald wirklich Feuer machen konnte. Denn Brian und ich konnten es beide nicht.

Mein Magen knurrte immer lauter. Etwas Essbares fand ich leider nicht, beziehungsweise wuchsen auf einigen Bäumen zwar Früchte, aber die waren so hoch oben, dass ich nicht richtig erkennen konnte, was für welche es waren. Hochklettern konnte ich auch nicht, da die Stämme dieser Bäume im unteren Bereich keine Äste besaßen. Ob Ron da wohl hochkommen würde? Vielleicht hatte er an den Kiefern in den Wäldern Mains trainiert.

Zumindest für Affen waren die Früchte wohl genießbar, denn ich konnte beobachten, wie es sich eine ganze Affenbande dort oben schmecken ließ. Ich war wirklich neidisch. Auf Affen! Wie tief konnte man nur sinken? Aber während die Früchte für mich unerreichbar waren und ich langsam schon Bauchschmerzen bekam, fraßen die dort oben genüsslich. Könnten sie nicht wenigstens mal eine Frucht zu mir herunterwerfen?

Verärgert, weil ich nur mit knurrenden Magen zuschauen konnte, warf ich einen Stein nach den Affen. Natürlich traf ich sie nicht, im Gegenteil, ich musste sogar aufpassen, dass mir der Stein nicht selbst noch auf den Kopf fiel. Das war doch wieder typisch. Ich schaffte es sogar fast, mich selbst zu erschlagen. Aber vielleicht wäre das ein schneller Tod. Langsam bekam ich immer mehr Angst davor, hier auf der Insel qualvoll an Nahrungsmangel zugrunde gehen.

Wie lange konnte ein Mensch nur mit Wasser überleben? Den Hungertod erleiden, stellte ich mir grausam vor, schon jetzt machte es mir zu schaffen. Dabei hatte ich heute Morgen die Kekse gegessen. Vielleicht sollten wir doch die Beeren probieren? An einer Vergiftung zu sterben ging wenigstens schneller, als zu verhungern. Am liebsten hätte ich irgendwo gegen getreten, um meine Wut zu kanalisieren. Barfuß war das allerdings keine gute Idee, bei meinem Glück würde ich mir wahrscheinlich gleich den Fuß brechen.

Statt weiter über Essen nachzugrübeln, was den Hunger nur noch unerträglicher machte, sammelte ich lieber weiter Feuerholz, um mich abzulenken. Zwischendurch füllte ich die Wasserflaschen am Bach wieder auf, ruhte mich dann kurz aus und ließ die Füße ins kühle Nass hängen. Es war herrlich erfrischend. Doch lange hielt ich es nicht aus, mein Magen machte sich immer mehr bemerkbar. Deshalb beschloss ich, am Flüsschen entlang weiter zu gehen. Vielleicht wuchs hier ja doch noch irgendetwas Genießbares. Nach einigen Minuten sah ich zwar nicht das, was ich suchte, aber dafür floss der Bach etwas bergab und mündete in einen kleinen See. Auf einmal fiel alle schlechte Laune von mir ab und ich vergaß sogar meinen Hunger für kurze Zeit. Der Ort hier war wie verzaubert. Durch die umstehenden Bäume sah das Wasser tiefgrün aus und glitzerte fast im Sonnenlicht. Einige Libellen flogen über die Wasseroberfläche. Von mir aus gesehen rechts vom See war eine Blumenwiese. Dort flogen unzählige Schmetterlinge von Blüte zu Blüte. Ich wünschte, ich könnte malen, um diese Perfektion für die Ewigkeit festhalten. Plötzlich knackte es im Unterholz und einige Rehe traten vorsichtig auf die Wiese, ich verhielt mich so ruhig wie möglich, um die Tiere nicht zu vertreiben. Zum Glück stand der Wind günstig, denn sie bemerkten mich nicht, sondern begannen zu grasen. Nie hätte ich gedacht, hier Rehe zu sehen. Für mich gehörten diese Tiere eigentlich eher in Mischwälder und nicht in diesen Urwald. Wie angewurzelt blieb ich stehen, um das Bild tief in mich aufzusaugen. Noch nie hatte ich etwas ähnlich Friedliches gesehen, wie diese anmutigen Tiere. Leider konnte ich nicht ewig still stehen. Als ich mein Gewicht etwas verlagern wollte, trat ich auf einen trockenen Ast, der laut knackte. Sofort sprang die Herde los und verschwand wieder im dichteren Dschungel.

Enttäuscht seufzte ich auf, ich hätte die Tiere gern noch länger beobachtet. Vorsichtig ging ich den Berg hinunter und direkt zum Ufer des Sees. Das Wasser lockte mich, zumal ich schon wieder völlig verschwitzt war. Schnell zog ich meine Sachen aus und prüfte die Wassertemperatur. Sie war genau richtig, nicht zu kalt, allerdings auch nicht badewannenwarm.

Schnell ging ich hinein, um mich so gut es ging zu säubern. Erst wollte ich mich wieder anziehen, aber dazu konnte ich mich nicht überwinden. Die Sachen waren so verschwitzt, dass ich mich regelrecht ekelte, sie wieder auf meiner sauberen Haut zu spüren. Also wusch ich auch sie und hängte sie anschließend zum Trocknen über einen Busch.

Dann sprang ich wieder ins Wasser, um ein paar Runden im See zu schwimmen, groß war er ja nicht. Schließlich drehte ich mich auf den Rücken und ließ mich treiben, zum ersten Mal, seit wir hier gestrandet waren, fühlte ich mich zufrieden. Leider holte mein Hunger mich schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich beschloss nachzuschauen, ob die Klamotten trocken waren und zurück zur Felsnische zu gehen. Als ich allerdings, nackt wie ich nun einmal war, aus dem Wasser stieg, standen nicht weit vom Ufer entfernt plötzlich Brian und Ron. Beide starrten mich an. Ich versuchte, meine Blöße mit den Händen zu bedecken. Mir schoss das Blut regelrecht in die Wangen. Ging es noch peinlicher? Wo kamen die denn jetzt auf einmal her?

»Oh, wow! Du bist echt heiß, Sam!«, rief Ron. Böse blickte ich ihn an. Gleichzeitig gab ich mir Mühe, mich mit meinen Händen zu bedecken. »Starrt mich nicht so an.« Ich war wirklich sauer und das hörte man mir wohl auch an. Ron senkte sofort den Blick, obwohl er dabei grinste, doch Brian sah mich einfach weiter an. Sein Ausdruck war lüstern und ich bekam trotz der Wärme eine Gänsehaut am ganzen Körper.

»Dreh dich um!«, herrschte ich Brian erneut an, aber dieser dachte gar nicht daran, auf mich zu hören. Wie besessen starrte er mich weiter an. Schnell lief ich zu dem Busch, an dem meine Kleider hingen, leider waren diese noch nicht wieder getrocknet, trotzdem zog ich zumindest Slip und BH schnell an. Auf Hose und Bluse verzichtete ich lieber noch. Da die Bluse weiß war, würde die feucht sowieso nicht viel verdecken und eine nasse Hose anzuziehen wäre noch viel ekelhafter gewesen, als die noch klamme Unterwäsche.

Brians Blicke gefielen mir gar nicht. Ich hasste es, so notdürftig bekleidet vor ihm herumzulaufen. Ich verfluchte mich selber dafür, dass ich auf die Idee gekommen war, meine Sachen zu waschen.

»Hier, nimm mein Shirt.« Ron zog es aus und reichte es mir. Dankbar lächelnd nahm ich es entgegen und zog es mir schnell über, obwohl es nicht mehr frisch war. Doch im Moment war mir alles lieber, als hier halb nackt herumzulaufen.

»Danke, Ron, das ist lieb von dir.« Nun fühlte ich mich wenigstens etwas vor Brians aufdringlichen Blicken geschützt. Ron zuckte nur mit den Achseln.

»Mir ist sowieso zu heiß, deshalb ist das Shirt leider ziemlich durchgeschwitzt. Ich werde es waschen, wenn deine Bluse wieder trocken ist.«

Brian starrte mich nun zwar nicht mehr so an, aber trotzdem fühlte ich mich auf einmal noch unbehaglicher in seiner Gegenwart. Bisher hatten mich nur wenige Männer unbekleidet gesehen und mit denen war ich dann wenigstens in einer Beziehung gewesen. »Ich guck dir schon nichts weg, Schönheit.« Brian zwinkerte mir anzüglich zu. Mir wurde leicht übel davon. Konnte er nicht endlich Ruhe geben? Leider nicht. »Trägst du wirklich lieber Rons stinkendes Shirt, als in Unterwäsche herumzulaufen? Ein Bikini verdeckt auch nicht mehr und ich habe den Ausblick wirklich genossen. Aus uns könnte noch was werden, Babe.« Dieser Kerl war dermaßen unverschämt, dass ich es kaum glauben konnte.

»Im Flugzeug war ich dir noch viel zu alt und du bist mir – ehrlich gesagt – viel zu unsympathisch. Also lass die dämliche Anmache sein!« Ich baute mich wütend vor ihm auf und stemmte die Hände in die Hüften. Allerdings wäre es wohl wirkungsvoller, wenn der Mistkerl nicht gut dreißig Zentimeter größer wäre als ich. So grinste er nur süffisant.

»Du bist wohl eine richtige Wildkatze, Babe. Aber ich mag es wild.« Ich rollte mit den Augen, konnte er diesen Babe-Scheiß nicht endlich lassen?

»Und du bist ein Großmaul, Brian«, konterte ich. Ron kugelte sich fast vor Lachen. So ein Arsch!

»Euch zwei zu beobachten ist besser als Kino, Leute. Aber wir sollten jetzt unser trautes Heim ausbauen, ehe es dunkel wird oder es wieder Regen gibt. Hast du etwas Essbares gefunden, Sam?« Damit brachte er mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Es gab Wichtigeres, als mich mit diesem Trottel zu streiten.

»Nicht wirklich, da hinten steht zwar ein Baum mit Früchten, allerdings hängen die viel zu hoch. Der Stamm ist zu glatt zum Hochklettern, außerdem sitzt ein ganzes Rudel Affen dort oben.« Ich zeigte in die Richtung, in der der Baum stand. »Aber Feuerholz und trockene Blätter zum Anfachen habe ich gesammelt. Außerdem dachte ich daran, Gras zu pflücken und zu trocknen, das brennt wahrscheinlich noch besser als Laub.«

»Hättest du nicht auf den Baum klettern können, Äffchen?«, fragte Brian und grinste dabei schon wieder gehässig. Ich beschloss, gar nicht mehr auf diesen Idioten einzugehen, sondern ihn mit Nichtachtung zu strafen. Vermutlich hatte er sich sein Hirn sowieso schon vollständig weggekokst. Deshalb brachte es gar nichts, mit ihm zu streiten. Also warum die Zeit verschwenden?

Ich schaffte es tatsächlich, den ganzen Weg zurück zur Felsnische nur mit Ron zu sprechen. Brians Einwürfe in unser Gespräch überging ich einfach. Etwas Sinnvolles war ohnehin nicht dabei gewesen. Kurze Zeit später waren wir dann allerdings zu dritt an der Arbeit. Da ließ es sich nicht mehr verhindern, auch mit Brian zu reden. Ronald hatte nämlich einen genauen Plan, wie er mit vier möglichst gleich langen Baumstämmen aus dem Boot ein Vordach vor unseren Unterschlupf bauen wollte. Eigentlich klang das ja wirklich gut, nur gab es da das Problem der fehlenden Werkzeuge. Außer Rons Taschenmesser besaßen wir nichts und damit ließ sich nun einmal kein Baum fällen.

Doch, typisch Mann, wollte er sich nicht etwa ein neues Konzept ausdenken, sondern seines mit Gewalt durchsetzen. Er wollte tatsächlich, dass wir nach umgestürzten Bäumen suchten, die passen könnten. Den Sinn darin sah ich nicht wirklich. »Ähm … Ron?«, fragte ich vorsichtig. »Was willst du mit morschen Stämmen?«

»Die dürfen natürlich noch nicht morsch sein. Ist das so schwer zu verstehen?« Überheblich sah er auf mich herab, als wäre ich doof.

»Nein, der Plan ist ja gar nicht so schlecht, aber glaubst du wirklich, dass wir ganz zufällig vier gleich große Baumstämme im Urwald finden, die noch dazu nicht verfault sind? Bäume kippen ja in der Regel nicht aus Langeweile um.« Ronald sah mich an, als würde nun ich spinnen, dabei war doch sein Plan hirnrissig.

»Na, wenn du meinst. Ich mache mich jetzt auf die Suche.« Deutlich beleidigt stapfte er in den Dschungel. Brian hatte es sich schon wieder auf einer Wolldecke gemütlich gemacht und tat das, was er am besten konnte - nichts. Die Idee, das Boot als Vordach zu benutzen, war ja gar nicht schlecht, nur an der Umsetzung haperte es noch etwas. Wenn wir doch nur Werkzeug hätten, das wir nutzen könnten, dann wäre alles viel einfacher. Nur konnten wir nun einmal keins herzaubern. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich hatte mal eine Reportage im Fernsehen gesehen, in der die Ureinwohner irgendeines Dschungels Schilfmatten flochten und daraus ganze Häuser bauten. Wahrscheinlich würde das bei mir nicht auf Anhieb funktionieren, aber ich wusste, wie man flechten musste und Schilf wuchs am See genug. Vielleicht konnten wir mit solchen Matten und Ästen eine Konstruktion bauen, bei der wir das Boot als Dach verwenden konnten.

Bis wir eine andere Lösung fanden, sollten wir das Boot allerdings vielleicht einfach wieder schräg an die Felsspalte lehnen und irgendwie befestigen. Die Frage war natürlich mal wieder, wie? Ich sah mir die Wand ganz genau an, aber dort war nichts als steiler Fels, ich sah keinerlei Möglichkeit, dort etwas zu fest zu machen. Seufzend verwarf ich diese Idee wieder.

Stattdessen zog und zerrte ich an dem Boot, bis ich es in der Felsnische hatte. Statt als Dach konnte es uns vielleicht wenigstens als Bett dienen. Das wäre auf jeden Fall gemütlicher, als auf dem Boden zu schlafen. Sofort kam mir die nächste gute Eingebung. Wir könnten Baumstämme statt des Bootes schräg an die Felswand lehnen und damit unsere Behausung etwas abschließen. Das wäre wahrscheinlich die einfachste Lösung. Allerdings bräuchten wir auch dafür Stämme in der richtigen Länge und das machte es wieder schwierig. Doch damit konnten wir uns später weiter beschäftigen. Mein Magen zog sich einmal mehr schmerzhaft zusammen und zeigte mir so, dass er endlich gefüllt werden wollte. Außerdem wollte mein Darm wohl entleert werden, denn das hatte ich bisher vermieden. Zum Pinkeln in die Büsche zu gehen war schlimm genug, aber langsam blieb mir wohl nichts anderes übrig. Wer wusste schon, wie lange wir hier festsitzen würden? Leider gab es auf einsamen Inseln keine Sanitäreinrichtungen. Also beschloss ich, mich etwas tiefer in den Dschungel zurückzuziehen, um mich endlich zu erleichtern.

Nachdem ich damit fertig war, verfluchte ich Ron. Nur wegen ihm saßen wir hier fest. Am liebsten hätte ich in diesem Moment die kompletten Koksvorräte zerstört, allerdings war die Angst vor Brians Reaktion zu groß, um das wirklich durchzuziehen. Aber allein darüber nachzudenken, wie Brian und Ron wohl schauen würden, wenn das Zeug vernichtet wäre, war unterhaltsam. Es lenkte mich etwas von meinem Hunger ab. Ich trank immer wieder einige Schlucke aus der Wasserflasche, denn bei der Hitze hatte ich ständig Durst. Irgendwie war das Klima hier seltsam. Am Morgen hatte ich noch in Hose und Bluse gefroren. Jetzt lief ich nur mit Slip, BH und Rons Shirt herum und schwitzte furchtbar. Zum Glück konnte ich später in meine - bis dahin sicher getrockneten - Klamotten schlüpfen. Wieder verfluchte ich Ron. Dieses Mal, weil er das Gepäck nicht gerettet hatte.

Ich bemerkte gar nicht, dass ich immer tiefer in den Dschungel kam, bis es zu spät war und ich mich hoffnungslos verlaufen hatte. Weder konnte ich die Felswand von hier aus sehen, noch den Bach hören.

»Scheiße!«, fluchte ich laut. Scheinbar übte Brian einen schlechten Einfluss auf mich aus, sonst fluchte ich nie. Aber normalerweise verlief ich mich ja auch nicht in einem Dschungel. Ich fragte mich, ob die beiden wohl nach mir suchen würden, wenn sie zurückkamen und ich nicht mehr da war, oder ob es ihnen völlig egal wäre. Vor allem bei Brian konnte ich mir das gut vorstellen.

Ich trank noch einen Schluck Wasser, allerdings überkam mich nun zudem noch die Angst, dass meine Flasche bald leer sein könnte. Ich musste unbedingt den Bach wiederfinden. In Zukunft würde ich nur noch so weit in den Wald hineingehen, dass ich ihn jederzeit zumindest noch hören konnte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ ich mich einfach auf den Boden sinken, meine Füße taten weh, der Hunger wurde immer schlimmer und auch meine Kopfschmerzen waren wieder da. Ich setzte mich erschöpft hin, lehnte dabei mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Die Beine zog ich an, umarmte meine Knie und legte den Kopf darauf ab. Wie kam ich nur aus dieser Situation wieder heraus? Irgendwann musste ich wohl eingenickt sein, denn ich wurde von lauten Rufen geweckt.

»Sam? Sam, wo bist du?« Das war eindeutig Rons Stimme und so sehr ich ihn vorhin auch verflucht hatte, jetzt war ich so froh, seine Stimme zu hören.

 

8. Wer nicht will, der hat schon

Nie hätte ich gedacht, dass ich über Brians Anblick einmal froh sein könnte. Doch jetzt war ich es. Zumal keiner der beiden mir Vorhaltungen machte. Im Gegenteil, sie schienen ebenfalls froh darüber zu sein, mich wiedergefunden zu haben. Ron führte mich zielstrebig zurück zu unserer Felsnische. So weit weg war ich gar nicht gewesen, stellte ich erstaunt fest.

»Wolltest du im Dschungel schlafen?« Schon wieder setzte Brian sein ekliges Grinsen auf. Ron war gerade dabei, ein Feuer in Gang zu bringen, und da musste er natürlich mich nerven, statt etwas Sinnvolles zu tun.

»Ja, dann hätte ich dich wenigstens nicht mehr ertragen müssen«, gab ich zurück. Dann schnappte ich mir ohne ein weiteres Wort meine fast leere Wasserflasche und ging zum Bach, um diese neu zu füllen. Brian war so ein Arsch!

»Verlauf dich nicht wieder, Prinzesschen!« Natürlich musste er mir das hinterherrufen. Dieses Mal ignorierte ich ihn und ging lieber ein paar Schritte weiter, als es nötig gewesen wäre. Ich wollte einfach nur weg von diesem Idioten. ›Was habe ich nur verbrochen, dass ich Brian Norris ertragen muss? In meinem vorherigen Leben muss ich wohl eine Mörderin oder Ähnliches gewesen sein‹, dachte ich sarkastisch. Plötzlich trat ich auf einen verdammt spitzen Stock.

»Aua!«, schrie ich laut. Erschrocken sah ich mich um, ich hoffte, dass ich mit meinem Schrei die beiden nicht schon wieder anlocken würde. Dann besah ich mir meinen Fuß näher und mir wurde sofort übel. Das sah gar nicht gut aus. Da war eine richtige Fleischwunde von fast zwei Zentimeter Durchmesser, zwar steckte der Stock nicht darin fest, aber auch so war es schlimm genug.

»Nicht hinsehen, Sam«, sagte ich mir selber. Dabei atmete ich möglichst tief ein und aus, um mich nicht in meine Panik hineinzusteigern. Das Schwindelgefühl wurde langsam besser, die Übelkeit leider nicht wirklich. Ich stöhnte auf, war der Hunger nicht schon schlimm genug? Diese scheiß Insel! Ich würde lieber die nächsten zehn Jahre durcharbeiten, als hier auch nur einen Tag länger zu bleiben. Zum Glück hatte ich meine Bluse mitgeschleppt, obwohl ich bis gerade eben gar nicht wusste, wofür. Wenn ich das Messer bei mir hätte, könnte ich damit einen Ärmel abtrennen, aber ohne war das gar nicht so leicht. Das Material war überraschend stabil, doch schließlich schaffte ich es, dass die Naht nachgab und ich den Ärmel in der Hand hielt. Diesen wickelte ich mir zweimal um den Fuß. Ein richtiger Verband war das zwar nicht, allerdings besser als gar nichts. Frustriert blieb ich noch einen Augenblick lang sitzen, als ich damit fertig war.

Neben mir lag noch immer der Stock, der schuld an meiner Verletzung war. Etwas Blut klebte sogar noch daran. Zuerst wollte ich ihn weit von mir werfen, doch stattdessen sah ich ihn mir genauer an. Er war seltsam, fast sah es aus, als hätte ihn jemand mit einem Messer bearbeitet, um ihn anzuspitzen. Das musste ich unbedingt Brian und Ronald zeigen. Vielleicht war doch noch jemand außer uns auf dieser Insel? Zumindest musste jemand hier gewesen sein. Wenn das bei meinem Glück auch bestimmt schon einige Zeit her war.

Bisher hatten wir keine Anzeichen dafür gefunden, dass außer uns schon einmal ein Mensch hier gewesen war und das linderte meine Angst nicht gerade, dass wir niemals gefunden werden würden. Bisher verdrängte ich den Gedanken zwar immer schnell, aber die Angst war immer da, genau wie die Furcht, hier verhungern zu müssen.

Nun war da allerdings dieses Stückchen Holz, das mir große Hoffnungen machte. Wenn schon einmal irgendwer hier gewesen war, dann konnte auch wieder jemand hierher kommen. Vielleicht kamen sogar regelmäßig Leute an diesen Ort? Eventuell bestand doch die Aussicht darauf, dass wir bald gerettet werden könnten, außerdem war der Stock so spitz, dass man ihn vielleicht als Speerersatz zum Fischen nutzen könnte.

Meinen Fuß vergaß ich völlig, dieser Stock veränderte einfach alles. Ich hatte schon einmal mit einem Speer gefischt. Meine Eltern hatten ja auch in den Ferien selten Zeit gehabt, sich um mich zu kümmern, und so war ich immer in irgendwelche Feriencamps für Kinder reicher Eltern gesteckt worden. Einmal halt sogar in ein Angelcamp, da mein Vater die Anmeldung für das Reitercamp vergessen hatte und nur dort noch Platz war. So hatte ich vier Wochen meines Lebens damit verbracht, Fische zu fangen. Mit der Angel, mit Speer und Harpune, sogar mit Netzen auf dem Meer musste ich täglich mein Abendessen selber aus dem Wasser ziehen, im Anschluss schuppen und kochen.

Bis vor kurzem hatte ich gedacht, dass das die schlimmsten Wochen meiner Existenz gewesen wären. Aber dieser Inselaufenthalt übertraf wirklich alles. Vielleicht konnten uns jetzt allerdings wenigstens die Erfahrungen, die ich dort sammeln musste, helfen. Die Camp-Betreuer hatten sich einen Spaß daraus gemacht, mich alles so lange wiederholen zu lassen, bis ich es konnte, ob ich Spaß daran fand, war ihnen völlig egal gewesen. Fische hatte ich in unserem Bach ja schon gesehen. Vielleicht wäre das wirklich eine Möglichkeit, endlich etwas in den Magen zu bekommen. Ein über dem Feuer gebratener Fisch kam mir im Moment wie ein kulinarischer Traum vor, obwohl ich sonst kaum welchen anrührte. Aber alles wäre besser als ein leerer Magen. So schnell ich konnte, humpelte ich zum Bach. Mein Fuß tat immer noch ganz schön weh, blutete allerdings zum Glück nicht mehr, daher beachtete ich ihn kaum. Ich sah nur noch ein Ziel vor meinen Augen – Essen und ließ mich durch nichts davon ablenken.

Am Bach nahm ich meinen provisorischen Verband ab, um ins Wasser zu waten. Dort verhielt ich mich ganz still. Das kühle Nass tat meinem Fuß gut. Zum Glück war der Untergrund nicht mit spitzen Steinen bedeckt, sondern mit kleinen Kieseln, die sich sogar ganz angenehm unter den Füßen anfühlten.

Es dauerte auch nicht lange, bis ich einen Fisch sah. Ich wartete, bis er in meine Nähe kam, zielte und stach daneben. Leise fluchte ich, meine Beute verschwand natürlich sofort. Mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis wieder ein Fisch in Sichtweite kam. Das dauerte zum Glück nicht sehr lange. Obwohl dieser um einiges kleiner war als der Erste, zielte ich doch genau und stach wieder daneben. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich schwor mir, nicht aufzugeben, bis ich etwas gefangen hätte. Vier Versuche später sank mein Mut langsam, noch immer hatte ich keinen Fisch erwischt und meine Füße wurden langsam taub in dem kalten Wasser. Als wieder einer auftauchte, zielte ich ziemlich hoffnungslos, stach zu und zu meinem eigenen Erstaunen zappelte der Fisch am Stock. Nun durfte ich ihn nur nicht wieder entkommen lassen. Ich hielt den Stock eisern fest, bis der Fisch aufhörte zu zappeln, dann holte ich ihn aus dem Wasser und warf ihn mit Schwung auf einen Stein am Ufer.

Mir lief schon das Wasser im Mund zusammen, wenn ich nur daran dachte, endlich wieder etwas zu essen. Geteilt durch drei wären die Portionen zwar nicht riesig, aber wenigstens so groß, dass der schlimmste Hunger erst einmal weg wäre. Mit etwas Übung würde ich sicher bald nicht mehr so oft daneben stechen. Ich war schon gespannt, was Brian und Ronald zu meiner Beute sagen würden. Immerhin hatte ich etwas geschafft, was sie bisher nicht zustande brachten. Essen besorgen. So schnell es mit meinem Fuß ging, humpelte ich zu unserem Lager zurück. Als ich dort ankam, brannte inzwischen sogar das Feuer am Rande unserer Behausung, etwas entfernt von unserem Boot, das nun sozusagen unser Bett war. Ich wusste nicht, wie Ron das gemacht hatte, aber wenn wir nun dafür sorgten, dass es am Brennen blieb, war wieder ein Problem gelöst. Allerdings wäre es wohl sinnvoll, die Feuerstelle mit Steinen abzugrenzen, damit es leichter unter Kontrolle zu halten war. Nicht auszudenken, wenn wir unser Bett und unsere Decken auch noch verlieren würden.

»Ron! Brian!« Ich rief laut nach den Jungs, da sie mich noch nicht bemerkt hatten. »Schaut mal, was ich hier habe!« Stolz hielt ich meinen Fang hoch und Ron kam einige Schritte näher. Brian lag in der Nische und rührte sich nicht. Vermutlich schlief er mal wieder.

»Ihh, Fisch.« Ron verzog angewidert das Gesicht »Wirf das Stinkevieh bloß weit weg.« Ich fragte mich, ob er nun völlig durchdrehte. Er konnte doch nicht ernsthaft verlangen, dass ich die einzige Nahrung, die wir bisher gefunden hatten, wegwerfen würde. »Gib mir dein Messer, damit ich den Fisch ausnehmen kann.« Wenn er sich so anstellte, musste ich es halt selber machen.

»Muss das sein? Dann stinkt das ja auch.« Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt. War sein Hunger noch nicht groß genug? Im Moment konnten wir doch wirklich nicht wählerisch sein.

»Gib das verdammte Messer her, das kann man doch abwaschen. Ich habe nicht vor, hier auf dieser Insel zu verhungern, nur weil du keinen Fisch magst.« Wie konnte er sich in unserer Situation nur so anstellen? Mit einer Grimasse gab er es mir endlich.

»Geh aber zum Ausnehmen weiter weg von der Nische, ich will das Stinktier nicht so lange hier haben.« Ich verdrehte die Augen, ging allerdings wie gewünscht einige Schritte weiter, um dort den Fisch auszunehmen und zu schuppen. Ron drehte sich demonstrativ in die andere Richtung und hielt möglichst viel Abstand zu mir.

»Pass ja auf mein Messer auf! Wenn das kaputt geht, haben wir ein echtes Problem.« Na danke. Ich war doch nicht dämlich. Wie sollte ein Messer auch bei so etwas kaputt gehen? Der Kerl hatte sie doch nicht mehr alle! Bisher dachte ich ja immer, dass Brian der größte Idiot hier wäre, aber im Moment machte Ron ihm wirklich Konkurrenz.

»Warum humpelst du eigentlich?« Schön, dass ihm das auch schon auffiel. Ich sah allerdings gar nicht ein, ihm darauf zu antworten und mir noch blöde Sprüche anzuhören, weil ich nicht richtig aufgepasst hatte, wo ich hintrat.

Kurz danach war ich fertig, suchte mir einen Stock, spießte den Fisch darauf und hielt ihn übers Feuer. Dabei kam ich ganz schön ins Schwitzen, nur was sollte ich tun? Roh wollte ich meinen Fang nicht essen, verbrennen lassen durfte ich ihn allerdings genauso wenig. Irgendwie müssten wir eine Möglichkeit finden, wie man Essen bequemer zubereiten könnte. Aber dazu müssten wir wahrscheinlich erst einmal mehr Nahrung auftreiben, als einen einzigen Fisch.

Als die Haut gut gebräunt war, suchte ich mir einen flachen Stein und legte den Fisch darauf, um ihn zu zerteilen.

»Willst du wirklich nichts?« Ich musste Ron einfach noch einmal fragen, ehe es nachher hieß, ich würde ihm nichts abgeben. Aber er verzog nur wieder angewidert sein Gesicht. Dann ging er sogar extra noch weiter weg. Damit hatte er wohl Pech gehabt und Brian und ich mehr zu essen. Ich zerteilte unser Essen, das sowieso schon fast von allein auseinanderfiel, in zwei Hälften, suchte einen zweiten Stein und brachte einen Teil zu Brian, der immer noch schlief. Ich ruckelte leicht an seiner Schulter.

»Brian, aufwachen. Ich habe einen Fisch für uns gegart.« Statt mir zu danken, brummte er mich nur an, stand aber wenigstens auf und warf einen Blick auf seinen provisorischen Teller.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752106466
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Young Adult Bad Boy Romance Selbstfindung Drogen Liebe

Autor

  • Alina Jipp (Autor:in)

Alina Jipp wurde 1981 in einem kleinen Ort im Harz geboren und lebt, nach einigen Jahren an der Nordsee, nun mit ihren Kindern wieder dort. Sie liebt beides, die See und die Berge und würde am liebsten ständig pendeln. Das Schreiben ist ihr Ausgleich vom oft sehr stressigen Alltag, auch wenn sie erst 2013 damit angefangen hat, nun kann sie nicht mehr damit aufhören.
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Titel: Absturz ins Glück