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Frühling im Herzen

von Andrea Ego (Autor:in)
260 Seiten

Zusammenfassung

Danielle droht ihr mit Herzblut geführtes Büchercafé zu verlieren, nachdem ein Freund das dafür geliehene Geld zurückfordert. Ausgerechnet da taucht Hagen auf, ein reicher Schnösel, der ihren Frühling viel wärmer macht – und ihre Welt wie ein Herbststurm durcheinanderbringt. Auf keinen Fall darf er von ihren Geheimnissen erfahren. Doch mit jedem Blick, mit jedem Treffen bröckelt ihre Mauer mehr, bis Hagen mit einer Sache konfrontiert wird, vor der bisher jeder Mann in Danielles Leben davongelaufen ist. Mit prickelnden Szenen

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Nur helfen

Danielle summte ein fröhliches Lied, als sie die Haselnuss-Schokoladenchip-Cookies in den Ofen schob, den Alarm einstellte und sich von der Schürze befreite. Sie freute sich auf den süssen Duft, der bald durch ihre kleine Backstube und den Laden schweben würde. Vor den Fenstern kündigte sich ein sonniger Tag mit leuchtenden Berggipfeln an.

Sie trat in den vorderen Raum von Danielles Büchercafé – wunderschöne Geschichten und Schlemmereien, wie es ihr Herz begehrte. Die verschnörkelten Tische luden zum Verweilen ein, pastellfarbene Kissen auf den Stühlen und ganz viele Details sorgten für eine Atmosphäre zum Wohlfühlen. Gestern hatte sie gar Frühlingsblumen auf den Tischen verteilt.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. In einer halben Stunde würden die ersten Gäste das Café mit Leben und Lachen füllen. Sie trat an eines der vier niedrigen Regale, die dem Raum eine verwinkelte Atmosphäre gaben, und zog ein Buch heraus. Der Umschlag zeigte eine Frau von hinten mit wehendem, dunklem Haar. Im Bann des Gedankenlesers. Sie liebte die fantastische Geschichte um das zurückhaltende Mädchen, das ihre eigene Kraft und noch viel mehr in sich fand. Wie bei allen Büchern in ihrem Café hoffte sie, dass es der eine oder andere für sich entdeckte.

Mit einem letzten Streicheln über das Cover stellte sie es zurück, als der Alarm des Backofens sie aus ihren Gedanken riss. Sie holte die Cookies aus der Wärme, schaltete den Ofen aus und liess die Köstlichkeiten auskühlen, ehe sie die zuvor gebackenen Muffins in die Vitrine stellte. Auf einigen Cupcakes verteilte sie Buttercreme und Zuckerstreusel, die Zimtschnecken arrangierte sie auf einem verschnörkelten Teller und für den Genuss mit weniger Reue machte sie die Karottenküchlein bereit.

Jedes Stück stellte Danielle mit Liebe her. Alles, was sie tat oder in ihr Sortiment aufnahm, hatte sie eigenhändig ausgesucht. Sie lächelte, als ihr Blick durch das Café wanderte und schliesslich an ihren Händen hängen blieb. Ein paar Krümel klebten am Finger. Sie schleckte ihn ab, wusch sich die Hände und desinfizierte sie.

Die Türbimmel meldete den ersten Gast, und Danielle sah auf. »Guten Morgen, Jakob«, begrüsste sie ihren Freund und setzte Wasser auf. »Wie geht es dir?«

Der Forstwart arbeitete oft im Wald rund um das gemütliche Café und besuchte sie jeden Morgen mit der Tageszeitung, um in der Pause einen Tee zu geniessen. Er nickte ihr zur Begrüssung zu und setzte sich an den Tisch in der Ecke, von dem aus er den ganzen Raum überblicken konnte, auch wenn es um diese Uhrzeit noch nichts zu überblicken gab. »Morgen. Ob er gut ist, kannst du selbst entscheiden«, brummte er.

Mit gerunzelter Stirn gab sie einen Löffel Schwarztee in einen Teebeutel, legte ihn in die Tasse und füllte diese mit heissem Wasser auf. Zum üblichen Smiley-Keks spendierte sie heute eine Zimtschnecke. Vielleicht munterte die ihn auf.

Mit all den Köstlichkeiten beladen, balancierte sie zu Jakob und stellte Tee und Gebäck vor ihm auf den Tisch, doch dieser sah nicht einmal von der Zeitung auf. Danielle schob sie mit dem Zeigefinger nach unten. »Was ist los?«

Jakob knurrte, besah sich seinen heutigen Tee und vertiefte sich wieder in die Zeitung. Die musste er selbst mitbringen. Das hier war ein Wohlfühlcafé, und die News liessen höchstens schlechte Laune aufkommen.

Sie seufzte. »Ich sage ja schon lange, dass Zeitungen ein Stimmungskiller sind.«

Er brummte abermals, faltete seine Zeitung jedoch zusammen und sah sie mit wütend funkelnden Augen an. »Lena ist mit den Kindern abgehauen.«

Vor Schreck blieb Danielle der Mund offen stehen. Ihr Herz war wie erstarrt. Jakob und Lena, seit der Schule das Traumpaar schlechthin. Selbst Danielle drei Klassen unter den beiden hatte das mitbekommen. Sie konnte nicht fassen, dass Lena nun abgehauen war und Jakob hinter sich gelassen hatte, um ein neues Leben zu beginnen.

Sie holte tief Luft und legte Jakob eine Hand auf den Unterarm. »Warum hast du nichts gesagt? Ich wäre doch zu dir gekommen.«

Er schnaubte. »Na klar, damit löst du alles. Vielleicht gehst du zu Lenas neuem Lover, bietest ihm einen Tee an und vielleicht so eine doofe Zimtschnecke, damit er meine Frau in Ruhe lässt, du Beziehungsexpertin

Jedes Wort war wie ein Hammerschlag in ihrem Brustkorb. Es presste ihr die Luft aus der Lunge, fegte den Kopf leer. Um sich von der beklemmenden Enge zu befreien, holte sie tief Luft. »Ich wäre für dich da gewesen«, piepste sie.

Jakob lachte bitter auf. »Sie ist weg! Da brauche ich keinen Tee oder albernes Gebäck. Ich will Lena und meine Kinder.« Er fegte mit einer ausladenden Handbewegung alles vom Cafétisch, sprang auf und sauste wutentbrannt hinaus.

Der heisse Tee tränkte ihr Frühlingskleid und die Strümpfe, brannte auf ihren Oberschenkeln, doch Danielle blieb regungslos stehen, bis der nasse Stoff die Haut kühlte. Sie starrte zur Tür, auch dann noch, als die kleine Glocke schon längst verstummt war.

Sie hatte ihm doch nur eine Freundin sein wollen. Er brauchte jemanden, dem er von seinem Leid berichten und sein Herz ausschütten konnte. So jemanden brauchte jeder.

»Ich wollte doch nur helfen«, flüsterte sie, atmete tief durch und räumte das Chaos auf. Dass ihr Freund sie derart angefahren hatte, liess sie hilflos zurück. Die roten Oberschenkel waren ihr egal. Er hatte ihre Hilfe ausgeschlagen, wollte sie nicht in seinem Leben haben – und das nach allem, was sie erlebt hatten, und ihrer jahrelangen Freundschaft zum Trotz.

Mit einem neuen Kleid und einem breiten Lächeln im Gesicht bediente sie ihre Gäste, die den Laden stürmten. Danielle hatte in Lokalzeitungen schon Berichte über ihr Café gelesen, dass die Besucher von ihren Tees, den Büchern und dem Gebäck schwärmten und teilweise nur schon deshalb einen Abstecher zu ihr machten. Dabei lag das Café in keinem hübschen Dorf, sondern mitten im Nirgendwo am Berg, einsam und still. Auf den Ansturm, den sie seit diesem Frühling erlebte, hatte sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt.

Zwei junge Frauen standen vor dem Tresen und betrachteten die Auswahl an Kuchen, Keksen und Leckereien, die noch in der Vitrine lagen.

»Ich kann Ihnen auch noch Cookies mit Schokolade oder ein paar Bananen-Kokosnuss-Muffins bereitmachen. Das dauert nur ein paar Minuten«, bot sie den beiden an.

Die kleinere Frau mit den blonden Haaren sah auf. »Oh, einen Bananen-Kokosnuss-Muffin, bitte!« Ihre Augen strahlten. »Und welchen Tee können Sie empfehlen?«

Danielles Herz hüpfte, als sie den Gast durch das Sortiment führte, sie nach Vorlieben fragte, ihr einen Vorschlag nach dem anderen machte, bis sie schliesslich bei einem süssen Chai mit einer Note von gerösteter Haselnuss landeten. Mit flinken Händen mischte sie die Kräuter und Gewürze zusammen, gab sie in einen Beutel und goss heisses Wasser in die Tasse. »Den Muffin bringe ich Ihnen an den Tisch, sobald er bereit ist.«

Die andere Frau bestellte sich einen einfachen Kaffee und ein Karottenküchlein.

Als Danielle mit dem warmen Muffin auf einem Teller wieder ins Café trat, erhellte sich ihre Miene. Sandra war da! Sie brachte die bestellte Köstlichkeit und machte sich voller Vorfreude daran, ihrer Freundin und sich selbst den Bergminzetee zuzubereiten, den sie so liebten. Inzwischen wuchs die Minze in ihrem Garten und durfte so stark wuchern, wie sie wollte.

Sandra setzte sich mit einem Nicken an den letzten freien Tisch und wartete geduldig darauf, dass Danielle Zeit für sie fand. Die Brünette mit den kurzen Haaren beobachtete die Gäste, die schlanken, langen Beine übereinandergeschlagen. Ihr Fuss wippte in einem stummen Takt.

Seufzend setzte sich Danielle zu Sandra an den Tisch. »Hast du schon das Neueste gehört?«, fragte sie niedergeschlagen. Während sie die Gäste bediente, konnte sie sich von den Sorgen des Morgens ablenken, doch vor Sandra konnte sie nichts verheimlichen.

Diese nickte. »Lena ist abgehauen.«

»Hast du jemals gedacht, dass die beiden sich trennen würden?« Danielle wärmte ihre Finger an der Teetasse, die sie hin und her drehte. »Sie haben so gut zueinander gepasst.«

Sandra verdrehte die Augen. »Nicht jedes verheiratete Paar passt so gut zueinander wie deine Buchschwärmereien.«

Wie vor den Kopf gestossen, hob Danielle eine Augenbraue. »Buchschwärmereien?«

»All die Zauberhelden da drin, die ihre Schwerter gegen unbesiegbare Gegner schwingen und im Bett die besten und einfühlsamsten Liebhaber sind, die du dir vorstellen kannst.« Ein Funkeln in Sandras Blick unterstrich den Sarkasmus in ihrer Stimme.

Jetzt war es an Danielle, die Augen zu verdrehen. Unmöglich, so etwas. »Sie schwingen ja nicht nur Schwerter und Zauberstäbe, sondern auch himmlische Worte, um ihre Frau zu kriegen. Und ein Happy End braucht es. Ein kleines zumindest, damit der Leser hoffen kann.«

»Wieso zerstören dich dann all diese Bücher?« Sandra machte eine weit ausholende Armbewegung, die den gesamten Raum mit einschloss.

Danielle lächelte milde. So oft hatte sie ihrer besten Freundin schon erzählt, wieso sie Bücher so sehr liebte, wieso jedes einzelne ein Diamant war, dessen Glanz noch zu wenige Leute entdeckt hatten. »Weil jedem von ihnen ein ganz eigener Zauber innewohnt. Es sind Geschichten, die das Herz berühren, die einen zittern lassen, in Angst und Schrecken versetzen, bis man in tausend Stücke zerfällt, um sie dann sachte und Splitter für Splitter wieder zusammenzufügen, bis man neu geboren ist. Das ist der Moment, in dem du aufwachst und dich in der echten Welt wiederfindest. Du liegst in deinem Bett, hast einen Drachen gerufen, kuschelst dich auf dem Sofa ein und gehst mit einem Traummann wandern.« Ihre Augen glänzten verklärt.

Sandra schmunzelte. »Das weiss ich ja, Dani. Aber ich fürchte, dass du eines Tages aufwachst und entdeckst, dass dich kein Mann mehr begeistern kann. Einen Traummann wie in deinen Büchern gibt es im echten Leben nicht.«

Danielle machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dann schnappe ich mir Jakob.« Wie oft hatten sie sich diesen Scherz erlaubt? Danielle und Jakob waren miteinander aufgewachsen, ihre Gärten nur durch ein schief hängendes Holztor voneinander getrennt. Doch heute blieb das Lachen aus, der Stachel vom Morgen sass noch immer tief und hinterliess einen bitteren Nachgeschmack.

»Das würde ich sein lassen«, entgegnete Sandra und beugte sich verschwörerisch vor. »Er soll Lena geschlagen haben.«

»Nein!« Einige Gäste drehten sich um, um sie neugierig zu mustern. Danielle ignorierte die Blicke und senkte ihre Stimme. »Das kann nicht sein. Jakob ist der fürsorglichste Mann, den du dir vorstellen kannst.«

Unbeeindruckt zuckte Sandra mit den Schultern und schob sich den Smiley-Keks in den Mund. »Ich habe es schon von Herbert und Maria gehört. Ausserdem kursierte das Gerücht schon einmal. Erinnerst du dich?«

Danielle verengte die Augen etwas. »Das ist Jahre her.« Sie konnte nicht verstehen, wie einem Mann wie Jakob solche Vergehen angedichtet werden konnten. Er liebte seine Familie über alles, die Niedergeschlagenheit von heute Morgen konnte er nicht gespielt haben.

»Vielleicht hatte er sich zwischenzeitlich im Griff, aber gestern ist ihm die Hand wieder ausgerutscht?« Sandra zuckte mit den Schultern.

Danielle rollte mit den Augen. Dass Sandra ihn nicht besonders sympathisch fand, wusste sie. Mit den Anschuldigungen stiess ihre Freundin sie dennoch vor den Kopf, und sie verteidigte ihren Freund automatisch. »Noch ist nichts bewiesen, also sollten wir ihn wie einen normalen Mann behandeln.« Um ihre eigene Unsicherheit zu verstecken, hob sie die breite Porzellantasse mit dem Bergminzetee bis vor die Nase.

»Das musst du ja sagen.« Sandra lächelte nachsichtig, als wäre Danielle ein kleines Kind, das sich noch nicht von seinen Träumen verabschieden konnte.

Danielle legte den Kopf schief und blickte ihre Freundin möglichst vorwurfsvoll an. Sie sollte ruhig spüren, dass sie mit den Anschuldigungen nicht einverstanden war, die gegen Jakob erhoben wurden. Dabei wusste sie, dass nicht nur Sandra das dachte, sondern bald das ganze Dorf darüber tratschen würde. »Wenn dich jemand so beschuldigen würde, stünde ich dennoch hinter dir – selbst dann, wenn du mir gestehst, dass du es tatsächlich getan hast.«

Hell klang Sandras Lachen durch den Raum und lenkte damit die Aufmerksamkeit der Gäste wieder kurz auf die beiden tratschenden Frauen. »Du weisst ganz genau, dass ich so was nie tun würde.«

»Das weiss ich bei Jakob auch«, verteidigte sie ihren Freund und hoffte, dass wenigstens Sandra ihr glaubte. Wenn nicht einmal die beste Freundin hinter ihr stand, fühlte sie sich dumm und nicht ernst genommen – wobei man dumme Leute selten ernst nahm.

»Dani, ich weiss, dass du Jakob magst. Er ist auch ein netter Junge, nur … manchmal etwas unheimlich.« Entschuldigend hob sie die Schultern und verzog die Lippen zu einem undefinierbaren Strich zwischen einem Lächeln und dem Versuch, sie zur Vernunft zu bringen.

»Junge?«

»So kindisch, wie er sich manchmal benimmt, kann man ja auch nicht von Mann sprechen, oder?«

»Sprichst du hinter meinem Rücken auch so unbarmherzig über mich?«, fragte Danielle, die Nase leicht gerümpft. Ihr war nicht klar, was Sandra gegen Jakob hatte. Schon seit einer Ewigkeit lästerte sie bei jeder Gelegenheit über ihn.

Die Hairstylistin lächelte schwach und trank ihren Tee leer. »Natürlich nicht, Dani. Du bist meine beste Freundin, und ich stehe hinter dir. Das heisst aber nicht, dass ich jeden unterstützen muss, hinter dem du stehst.« Sie zwinkerte ihr zu, ehe sich ihr Blick in der Weite verlor. »Ich frage mich nur, was aus ihrem Haus wird.«

»Das Haus gehört doch ihm?«

Sandra schüttelte den Kopf und stellte die Tasse auf den Untersetzer. »Er hat es von seinen Eltern geerbt, das stimmt. Aber um es ganz für sich zu haben, musste er seine beiden Schwestern auszahlen. Dafür hatte er aber offensichtlich nicht genug Geld.«

Fassungslos schüttelte Danielle den Kopf und starrte ihre Freundin bewundernd an. »Woher weisst du das alles?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Auch Bankberater tuscheln viel, wenn ich ihnen den Kopf wasche.« Sie zwinkerte abermals, sich ihrer magischen Hände vollends bewusst. »Der Typ damals hat einfach so aus dem Nähkästchen geplaudert. Natürlich weiss ich nicht, was seither geschah, aber ich glaube nicht, dass er es geschafft hat, Lena das Geld zurückzugeben. Immerhin hat sie seit der Geburt der Kinder nicht mehr gearbeitet, und er kam für alles auf.«

Herr Unangenehm

Tief in Gedanken versunken, verzierte Danielle die übrig gebliebenen Himbeer-Cupcakes, die sie am Morgen spontan gebacken hatte. Nachdem sie vergebens auf Jakob gewartet hatte, hatte sie sich in die Backstube zurückgezogen, neue Kreationen ausprobiert und einige Teesorten in Beutel abgefüllt, um sie in die Verkaufsbox neben der Kasse zu legen. Heute waren es herbe Mischungen, die sie anbot. Es passte zu ihrer Stimmung.

Draussen schien die Sonne, als könnte kein Regen sie jemals trüben. Genau genommen konnte keine noch so dicke Wolke das. Danielle war überzeugt, dass es der Sonne piepegal war, ob sie auf ihre Haut schien oder nicht.

Das Türbimmeln riss sie aus ihren Gedanken, und sie sah auf. Selbstsicher trat ein Mann ein und sah sich um. Die Sonnenbrille hätte er im Café bestimmt nicht gebraucht, aber vermutlich fand er, dass sie gut zu seiner dunkelbraunen Lederjacke passte. Erst nach einer Weile schien er sie zu entdecken und kam auf den Tresen zu, ein überhebliches Zahnpastalächeln im Gesicht.

»Guten Tag«, begrüsste er sie mit einer überraschend tiefen Stimme, die sie einem solchen Schnösel nicht zugetraut hätte.

Danielle erwiderte das Lächeln wie gewohnt, auch wenn ihr heute nicht danach war. Jahrelange Arbeit hatte sie darauf konditioniert, stets eine freundliche Fassade aufrechtzuerhalten, auch wenn sie insgeheim mit den Gedanken weit weg war. »Herzlich willkommen. Was wünschen Sie?«

Sein Lächeln vertiefte sich, während er sie statt der Gebäckauslage betrachtete. »Was können Sie mir denn empfehlen?«

Etwas verunsichert deutete Danielle auf ihre Leckereien. »Heute habe ich Himbeer-Cupcakes im Angebot. Dazu könnte ich Ihnen einen leckeren Tee nach Ihrem Geschmack mischen.«

Eine Augenbraue wanderte über den Rand seiner Sonnenbrille in Richtung der dunkelblonden Haare. »Tee?« Es hörte sich weniger nach einer Frage als nach einer Verurteilung an.

Danielle nickte tapfer. »Es gibt ganz verschiedene Geschmacksrichtungen. Süss, herb, fruchtig, kräftig, mit Kräutern, Minze …« Nur mit Mühe konnte sie sich ein sauer verkneifen.

Der Mann sah zum Fenster hinaus. »Gibt es hier keinen anderen Schuppen, der mir einen guten Kaffee brüht?« Es fehlte nur noch, dass er mit dem Fuss aufstampfte, um seine Ungeduld zu unterstreichen.

Bei der Vorstellung kicherte Danielle. »Hier in der Wildnis bestimmt nicht. Aber wie wäre es mit einem sauren Tee?« Jetzt war es raus. Irgendwelche Kräuter und Früchte würde sie schon finden, die ihm den Kiefer zusammenziehen würden. Wenn es wirklich sein musste, konnte sie immer noch eine Zitrone auspressen.

»Kaffee.« Er wirkte nicht sehr erfreut darüber, dass sie sich einen Spass erlaubt hatte, während irgendetwas in seinem Magen grummelte – oder vielleicht war er auch einfach ein Miesepeter.

»Ich kann Ihnen auch einen langweiligen Kaffee machen, wenn Sie das wünschen.« Ohne ein weiteres Wort machte sie sich an der Maschine zu schaffen, füllte Pulver in den Kolben und drehte ihn ein. Wenige Augenblicke später lief das braune Gesöff in eine Tasse.

»Wenigstens haben Sie noch eine echte Kaffeemaschine.«

Überrascht drehte sich Danielle zu ihm um. Diesmal wirkte sein Lächeln ehrlich und stimmte sie etwas wohlgesonnener. Sie kannte diese Art von Gästen, die mit hocherhobener Nase antanzten und an allem herummeckerten.

»Deshalb bin ich hier. Ich habe sie von draussen gesehen.« Er zückte einen losen Zehner. »Und auch ein wenig wegen eines Motorenschadens. Wie viel macht der Kaffee?«

»Keine Zimtschnecke?«, wagte sie es, ihn in Versuchung zu führen.

Er stützte sich auf der Theke ab und schien sie von oben bis unten zu mustern. Vielleicht beobachtete er auch nur ihre Reaktion. Hinter der Sonnenbrille konnte sie rein gar nichts erkennen. »Wenn Sie sich selbst damit meinen, dann vielleicht.«

Danielles Lachen erstarb in der Kehle. Entsetzt starrte sie den Mann an, der sie als Zimtschnecke bezeichnet hatte. Sie hoffte, dass ihre Augen wütende Funken sprühten, als sie einkassierte und ihm sein Wechselgeld gab. Sie legte nicht einmal den Smiley-Keks zu der Tasse. Das hatte sie noch nie gemacht.

»Zimtschnecke …«, murmelte sie, als er sich mit legeren Bewegungen an einen der Tische setzte und die Beine ausstreckte, bis seine Schuhe die Füsse des Mädels nebenan berührten. Dieses sah auf, errötete und entschuldigte sich hastig, was ihm ein selbstgefälliges Lächeln entlockte.

Was für ein Arschloch. Angeekelt wandte sich Danielle ab und machte sich daran, die Auslage mit den verbliebenen Köstlichkeiten neu zu sortieren. Einiges an Gebäck hatte sie heute schon verkauft, mehr als an einem normalen Freitag. Vielleicht sollte sie noch ein paar Cookies in den Ofen schieben?

Eine Zimtschnecke war noch übrig. Hm … so allein konnte sie sie nicht da drin lassen. Mit spitzen Fingern klaubte sie sie aus der Vitrine, legte sie auf einen Teller und naschte davon. Zimtschnecken hatte sie als erstes Gebäck selbst gemacht, mit Haselnüssen, Butter und geraffelten Äpfeln. Noch immer liebte sie keine andere Köstlichkeit so sehr. Sie liess sich den weichen Teig auf der Zunge zergehen, genoss die saftige Süsse und den warmen Zimtgeschmack. Für eine Sekunde schloss sie die Augen, genoss den Moment.

Manchmal war es so einfach, aus dem Alltag auszubrechen. Ein Stück Kuchen, ein Tratsch mit der besten Freundin – es brauchte nicht immer eine zweiwöchige Reise nach Mallorca.

Als sie die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf den überheblichen Mann, der seine werbetauglichen Zähne zur Schau stellte. Er sah sie mit leicht schiefem Kopf an und schien sich mit ihr zu freuen – oder machte sich über sie lustig.

Entschlossen drehte sie sich weg und putzte übergründlich die Arbeitsfläche. Sie wusste, wie kindisch es wirkte, vor allem, wenn er sie wirklich beobachtete. Aber im Moment konnte sie nichts anderes tun, ausser vielleicht etwas zu backen. Aber es war zu spät, so viele Gäste würden nicht mehr kommen.

Sie räumte die Tische, sobald ein paar Leute das Café verliessen, jemandem konnte sie gar ein Buch verkaufen. Glücklich sah sie der jungen Frau hinterher, als sie um die Ecke verschwand, und hoffte, dass sie die Geschichte ebenso inhalieren würde wie sie selbst.

Ein Schatten legte sich auf die Theke und riss Danielles Aufmerksamkeit auf sich. Der unsympathische Mann grinste sie an, als wäre er der Sechser im Lotto. Sollte sie ihm das vielleicht sagen? Doch sie schwieg und wartete geduldig, was er von ihr wollte.

»Die letzte Zimtschnecke ist weg.« Verdammt! Das mit dem Mund halten hatte wohl doch nicht so gut geklappt.

Sein Lächeln vertiefte sich, wurde dadurch jedoch nicht sympathischer. »Ich weiss.« Er warf einen flüchtigen Blick nach draussen, wo die Nachmittagssonne den hübschen Vorplatz in ein warmes Licht tauchte. »Können Sie mir ein Taxi rufen?«

»Wie bitte?«, rutschte es Danielle heraus.

»Ein Taxi«, brummte er und wirkte gar ein wenig beleidigt. »Mein Auto springt nicht mehr an. Das letzte Stück musste ich zu Fuss gehen.«

»Rufen Sie doch selbst an.« Es entsprach so gar nicht ihrer Arbeitseinstellung. Sie liebte es, Menschen eine Freude zu bereiten und das Strahlen in ihren Augen zu sehen, wenn sie Zimtschnecken und Himbeer-Cupcakes naschten, und in der Not bot sie auch gern eine helfende Hand an. Nun konnte Danielle jedoch nicht anders, als schadenfreudig zu grinsen. »War dem Wagen die Steigung zu gross?«, fragte sie und wusste nicht so recht, ob sie ihm einen zu tief gelegten Sportwagen oder einen verlotterten Karren wünschte. Der Sportwagen würde ihn reuen, falls er hinüber war. Die Lotterkiste wollte er vermutlich nicht zeigen, was beweisen würde, dass er nicht so einflussreich war, wie er tat.

»Motorschaden«, erklärte er knapp und presste die Lippen aufeinander. »Und mein Handy habe ich dort liegen lassen.«

Versöhnlich nahm Danielle ihr Handy vom Regal hinter dem Tresen und suchte die Nummer des Taxiunternehmens. Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern, als sie es ihm hinhielt. Der Anruf war vorbereitet. »Hier, bitte.«

Mit einem letzten zweifelnden Blick drehte er sich von ihr weg. Traute er ihr etwa zu, dass sie ihn in die Irre führte und absichtlich eine falsche Nummer eintippte?

Eine Bewegung auf dem Vorplatz erhaschte ihre Aufmerksamkeit. Mit breitkrempigem Sonnenhut und einem enganliegenden, marineblauen Kleid trat Sandra ein und warf Herrn Unangenehm einen neugierigen Blick zu. Ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach unten, was Danielles Grinsen noch breiter werden liess. Ihre Freundin besass ein untrügliches Gespür für ihre Mitmenschen.

»Hallo, Sandra! Schön, dass du da bist. Darf ich dir einen Tee bringen?« Sie freute sich wirklich, ihre Freundin heute noch zu sehen, obwohl diese in ihrem Salon genug zu tun hatte.

Sandra nickte und entledigte sich ihres Hutes, ehe sie sich seufzend auf einen Stuhl plumpsen liess, was so gar nicht zu ihrem eleganten Outfit passte. »Eigentlich wollte ich nur kurz vorbeischauen, ich muss noch weiter. Aber da stand ein Sportwagen mitten auf der Strasse, ich kam nicht vorbei …« Sie musterte den unsympathischen Kerl erneut. »Dem könnte er gehören. Sah teuer aus. Aber mach dir keine Sorgen, Dani, der Abschleppdienst ist vor Ort. Wahrscheinlich ist das störende Ding schon auf dem Weg ins Tal.«

Danielle presste die Hand vor den Mund, um nicht laut zu lachen. Sie wollte sich nicht vorstellen, wie der Typ toben würde, sobald er davon erfuhr. »Es ist sein Auto«, gestand sie im ersten Moment, in dem sie sich selbst traute, dass kein Lachen hervorbrach.

Sandra zuckte mit den Schultern. »Wäre er etwas netter, könntest du etwas mit ihm anfangen. Er ist heiss und scheint Kohle zu haben. Hätte ich ihn vor meiner Heirat gesehen, wer weiss …« Sie zwinkerte übermütig.

Danielle brachte ihr einen Kamillentee, den sie mit etwas Orangenschale und einem Schuss Vanillesirup aufpeppte. »Er hat sich aufgeführt wie ein König.«

Sandra nickte und holte Luft, um etwas zu sagen, verstummte jedoch, als der Mann an den Tisch herantrat und Danielle das Handy zurückgab. »Das Taxi wird in einer Stunde da sein.« Sein Blick verharrte einen Moment auf Sandra, die sich seiner Aufmerksamkeit wohl bewusst war, sie aber gekonnt ignorierte.

Danielle schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Tatsächlich tat er ihr ein wenig leid. »Darf ich Ihnen noch etwas anbieten? Ein Wasser, vielleicht etwas Süsses?«

»Die Zimtschnecken sind ja schon alle.« Ein freches Grinsen erschien auf seinen Lippen. »Ich habe noch ein paar Sachen im Wagen, die ich holen muss. Falls das Taxi vor mir hier ist, lassen Sie es bitte warten.«

Sich ein Seufzen verbietend, nickte sie und wartete, bis der überhebliche Mann ihr Café verlassen hatte. Die Vorstellung, dass er tobend zurückkehren würde, weil sein Wagen beim Abschleppdienst auf ihn wartete, stimmte sie nicht besonders zuversichtlich.

»Was für ein Idiot.«

Überrascht wandte sich Danielle an Sandra. So kannte sie ihre Freundin nicht. Normalerweise war sie Sonnenschein pur, niemand konnte ihre Freude trüben. Doch jetzt wirkte sie angespannt. »Was ist los?«

Überrascht hob sie die Augenbrauen und sah Danielle verwirrt an. »Was soll schon los sein?«

»Ich kenne dich, Sandra. Sonst freust du dich, wenn einem reichen Typen das Auto abgeschleppt wird.« Sie legte den Kopf schief und verengte die Augen etwas. »Ausserdem trägst du diesen aggressiv roten Lippenstift, den ich dir am liebsten jedes Mal aus dem Gesicht kratzen würde.« Um ihre Worte zu unterstreichen, wirbelte sie mit den Händen durch die Luft.

Sandra schnaubte. »Vielleicht ärgere ich mich einfach, dass ich ihn mir nicht geschnappt habe.«

Danielles Kopf kippte noch weiter zur Seite. »Natürlich.« Ihre Stimme troff vor Sarkasmus. »Als ob du dir einen reichen Idioten schnappen würdest. Du hast doch Tom, mit ihm bist du glücklich.«

Mit einem tiefen Seufzen fuhr sich Sandra durch ihre dunkelbraunen Haare und schüttelte sie durch. Danielle verstand nicht, wie die Kurzhaarfrisur danach immer noch sass. »Ich hatte einen Termin bei der Bank. Erinnerst du dich? Vor ein paar Jahren habe ich mal etwas in einen Investitionsfond einbezahlt. So mit hohen Gewinnen und Rendite oder wie das Zeugs alles heisst. Tja, davon ist fast nichts mehr übrig.«

Danielle stockte für einen Moment der Atem. »Du hast das gemacht? Du?« Das sah ihrer seriösen Freundin überhaupt nicht ähnlich. Sie erkundigte sich lieber neunmal als nur achtmal.

Sandra schnaubte und spielte wieder mit ihren Haaren, auf die Danielle manchmal ein wenig eifersüchtig war. Ihre hellbraunen, kerzengeraden Fäden waren nicht der Rede wert, also band sie sie meist zu einem Pferdeschwanz zusammen. Kurz geschnitten kamen sie einer Katastrophe gleich.

»Ich war auch mal jung«, antwortete sie heftig, sah Danielle dabei aber nicht in die Augen. »Und stolz bin ich auch nicht drauf.« Sie verdrehte die Augen, als müsste sie sich als Teenager vor ihrer Mutter für einen feuchtfröhlichen Abend rechtfertigen.

Danielle kicherte. »Alles gut.«

»Nein, alles weg!«

Erleichtert lachte Danielle auf. »So viel wird es schon nicht gewesen sein.«

Der bitterböse Blick ihrer Freundin belehrte sie eines Besseren. »Fünf Tonnen sind noch da von fünfzig.«

Danielle klappte der Mund auf. Fünfzigtausend Franken hatte ihre Freundin investiert. Fünfzigtausend! Das war unglaublich. Sie konnte sich nicht vorstellen, was sie mit dem Geld alles anfangen würde.

Doch, sie wusste es. Ihr Blick glitt an den Regalen entlang zu ihren geliebten Büchern, von unbekannten Autoren selbst veröffentlicht, deshalb aber nicht weniger unterhaltsam, aufregend oder fantastisch. Sie würde Bücher kaufen, bis sie ein zweites Haus bräuchte. Einen neuen Laden eröffnen könnte, irgendwo in einer Stadt, in der es mehr Bücherratten gab als hier.

Fünfzigtausend Franken.

»Wie gut sah denn der Typ aus, dass du ihm das Geld gegeben hast?«, fragte Danielle. Immer noch schwirrte ihr die Zahl im Kopf herum, bis ihr fast schwindelig wurde.

Sandras strafender Blick wies sie in ihre Schranken. »Nur weil ein Mann gut aussieht, vertraue ich ihm nicht mein ganzes Vermögen an. Ich bin ja nicht dumm.« Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem Handy und warf einen kurzen Blick darauf. »Er hat es logisch erklärt, hat sich eben gut verkauft. Es hörte sich so genial und bombensicher an.« Sie seufzte.

Danielle lehnte sich zurück. »Ich wollte dich nicht beleidigen, Sandra. Das weisst du.«

Sie nickte, atmete tief ein und trank ihren Tee in einem Zug leer. »Am liebsten würde ich eine rauchen, aber damit ist jetzt Schluss. Zu teuer.« Warnend hob sie einen Zeigefinger in die Luft, sah sie mit weiten Augen an und rauschte aus der Tür.

Danielle sass wie vor den Kopf gestossen am Tisch und lauschte der Bimmel, deren Klingeln verstummte. Was war nur mit ihren Freunden los?

Inzwischen war das Café bis auf einen älteren Herrn leer. Auf dem Weg zum Tresen nahm sie Sandras Teetasse und das Geschirr vom Nachbartisch mit, um ein wenig Ordnung zu schaffen. Sie hasste Krümel auf den Tischen und getrockneten Tee in den Tassen.

Als sich die Tür abermals öffnete, hob Danielle den Blick und erstarrte für einen Moment. Wieder so selbstbewusst wie beim ersten Mal trat der junge Sportwagenbesitzer ein, kam schnurstracks auf sie zu und zog die Sonnenbrille von der Nase. Kaffeebraune Augen sahen sie durchdringend an und raubten ihr den Atem. Wie sie mit den dunkelblonden Haaren harmonierten! Danielle schluckte nervös. Wenigstens gutaussehend war er.

»Der Wagen ist weg. Jemand hat den Abschleppdienst gerufen. Was für eine Schweinerei ist das denn?« Er schnaubte. »Können Sie mir vielleicht etwas Geld für das Taxi leihen?«

Danielle stellte sich betont langsam aufrecht hin und stemmte die Hände in die Seiten. »Die Zimtschnecke soll Ihnen also Geld leihen?«

Sein selbstsicherer Ausdruck zerbröselte unter ihrem harten Blick. Sie mochte keine Angeber, erst recht keinen wie ihn, der andere auch noch zur Schnecke machte, auch wenn es Zimtschnecken waren.

Er seufzte zerknirscht. »Das tut mir leid.« Er zuckte mit den Schultern und wirkte dadurch wie ein Schuljunge, dem Danielle am liebsten alle Fehler gleich verziehen hätte. »Ich habe ein Meeting. Es ist wichtig. Mein Auto ist weg, und ich kann das Taxi nicht bezahlen. Wenn ich nicht in der nächsten halben Stunde losfahre, verpasse ich den Termin.«

Danielle verkniff sich eine bissige Bemerkung und gab sich ahnungslos. »Wieso ist das Auto denn weg?«

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, verharrte einen Augenblick und holte schliesslich tief Luft. »Sie wissen es doch. Abgeschleppt. Ihre tolle Freundin hat es veranlasst.« Seine Kiefer mahlten, die Muskeln traten deutlich hervor.

Fast so wie bei Patrick Swayze, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht gönnte sie sich heute Abend Dirty Dancing. Wie dieser Mann die Frau durch den Raum wirbelte, war einfach grandios, zudem hatte er ihr gefallen, als er noch jung gewesen war. Ein bisschen zumindest.

Sie beförderte die eigenen Gedanken wieder in die Gegenwart und zwang sich zu einem Lächeln. »Okay, ich wollte Sie etwas aufziehen. Aber das mit der Zimtschnecke nehme ich Ihnen nach wie vor übel.« Danielle holte zwei Hunderterscheine aus der Kasse und reichte sie ihm. »Sie wissen ja, wo Sie mich finden, falls Sie das Geld jemals wieder zurückbringen möchten.«

Mit offenem Mund starrte er erst auf das Geld, dann musterte er Danielle, als sähe er sie zum ersten Mal. »Danke. Ich … Wenn Sie mir Ihre Bankdaten geben, überweise ich Ihnen das Geld. Natürlich zahle ich es Ihnen zurück.«

Sie lachte leise in sich hinein. »Das hört sich eher nach einer Drohung an.«

Er erwiderte ihr Schmunzeln, es wirkte sogar ehrlich.

»Einen Moment bitte«, entschuldigte sie sich, trat in die Küche hinter dem Café und hinauf in den ersten Stock in ihr Büro.

Als sie wieder nach unten trat, hatte der Mann ein Buch aus dem Regal genommen. Sie erkannte es auf den ersten Blick und lächelte. »Eine wunderschöne Geschichte, aufregend und tiefgründig zugleich.«

Als hätte sie ihn ertappt, fuhr er herum, fasste sich aber augenblicklich wieder. »Sagen Sie das zu jedem Buch hier? Was ist das überhaupt?« Betont langsam drehte er sich um die eigene Achse und schloss mit der Bewegung das ganze Café ein.

Danielle streckte ihm den Einzahlungsschein entgegen und presste die Lippen aufeinander. Diese Frage hörte sie so oder in ähnlichen Formen immer und immer wieder, aber meist waren die Leute wirklich neugierig. Doch er stellte sie so abfällig, als wollte sie ihm einen Misthaufen als Fünf-Sterne-Menü verkaufen.

»Hier, bitte sehr.« Fast schon herrisch drückte sie ihm den Einzahlungsschein in die Hand und brachte sich hinter der Theke in Sicherheit.

Dort fanden ihre Hände etwas zu tun, ohne dass sie sich ständig fragen musste, ob sie Herrn Unangenehm vor die Tür bitten oder ihm eine klatschen sollte. Vielleicht benannte sie ihn auch in Herrn Arrogant um. Wobei, den gab es schon. Ein russischer Herr im Winter hatte sich einen halben Tag darüber beschwert, dass es zu wenig Schnee für seine Pferdeschlittenfahrten hatte und die anderen Gäste mit seinem Gejammer vertrieben.

Er legte die Arme auf den Tresen, als sie diesen mit dem Lappen abwischte. »Das Taxi braucht noch eine Viertelstunde. Vielleicht lasse ich mich doch zu einer Zimtschnecke einladen.« Die tiefe Stimme hätte sie auch dann erkannt, wenn sie nicht gerade noch mit ihm gesprochen hätte.

Danielle atmete schwer und sah auf, den Lappen umklammerte sie fester. »Erstens lade ich Sie ganz bestimmt nicht ein. Zweitens ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Ihnen einen Lappen ins Gesicht werfe, deutlich grösser, als dass Sie eine Zimtschnecke bekommen. Drittens würde ich Sie mit Ihrer arroganten Art am liebsten einfach vor die Tür setzen. Und viertens ärgere ich mich über alle Massen, dass Sie mich dazu gebracht haben, unhöflich zu werden.« Ihre Augen funkelten wütend, als sie seinem Blick mit Leichtigkeit standhielt.

Ein feines Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht und liess die Sonne in seinen Augen strahlen. »Dafür, dass Sie mir gerade mit einem Lappen gedroht haben, drücken Sie sich erstaunlich höflich aus. Vielleicht werde ich Ihnen Ihr Geld doch noch überweisen.«

Danielle seufzte. »Das Geld ist mir egal. Ich will einfach nicht beleidigt werden. Irgendwo hat alles seine Grenzen. Und entweder bestellen Sie jetzt etwas oder Sie gehen einfach. Ob Sie sich in eine Ecke setzen oder gleich aus meinem Café verschwinden, ist mir egal.«

Er blinzelte, als hätte sie ihn verwirrt, doch Danielle wusste zu gut, dass sich diese Sorte Mann nicht wirklich verwirren liess. Die waren alle selbstbewusst, Belehrungen oder Beleidigungen perlten an ihnen ab wie der Regen von neuen Regenschuhen.

»Ich hätte gern eine Zimtschnecke.«

»Wie gesagt, ausverkauft.« Genervt verdrehte sie die Augen.

»Das sehe ich.«

Danielle hob eine Augenbraue. »Also?«

Er grinste frech, lenkte aber ein, ohne sie aus den Augen zu lassen: »Mischen Sie mir einen Tee und legen irgendetwas Süsses dazu.«

Danielle wollte etwas erwidern, fand aber nicht die richtigen Worte. Sie seufzte ergeben. »Was mögen Sie denn?«

»Am liebsten keinen Tee.«

Sie rollte überdeutlich mit den Augen. »Sie sind mir aber ein angenehmer Gast.«

»Diesen Eindruck hatte ich bisher nicht.«

»Dann geben Sie sich endlich Mühe.« Ohne dass sie es wollte, formten sich ihre Lippen zu einem Lächeln, das sie so schnell nicht wieder loswurde. Noch nie hatte sie einem Gast gesagt, dass sie ihn lieber vor der Tür wüsste. Noch nie hatte sie ein unsympathischerer Mann zum Schmunzeln gebracht.

»Wenn ich meine Zimtschnecke endlich …«

Danielle reichte es. Sie warf ihm den feuchten Lappen mitten ins Gesicht. Wie in Zeitlupe löste sich das blaue Stück Stoff und fiel auf den Boden.

Er starrte sie an, den Mund geöffnet, und doch brachte er eine Weile kein Wort heraus. »Machen Sie das mit all ihren Gästen?«

»Wenn sie unartig sind.« Danielle zuckte mit den Schultern, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.

Er seufzte. »Sind Sie Mutter? Meine war nämlich auch so unbarmherzig, wenn es ums Zuhören ging.«

Danielle verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Mutter wollte sie nicht sein, da hätte sie ständig das Gefühl, versagt zu haben. »Wollen Sie jetzt einen Tee oder nicht?«

Ergeben hob er die Hände seitlich an. »Irgendeinen. Machen Sie mir den besten, den Sie haben.«

Ihr Blick wurde weich, als sie an die vielen Sorten dachte, die sie hier und im Vorratsraum bunkerte. »Tees gibt es so viele. Fruchtig, würzig, mild, mit Kräutern, ohne, reiner Schwarztee, Rotbuschtee, mit beruhigender Wirkung oder kräftig … Das Teeuniversum ist riesig. Den besten Tee gibt es nicht. Aber es gibt für jeden Menschen in jeder Lebenslage den richtigen Tee.« Sie zwinkerte ihm zu, räusperte sich, als ihr bewusst wurde, dass sie mit Herrn Unangenehm sprach, und stellte sich aufrecht hin. »Nehmen Sie doch bitte Platz. Ich werde mir etwas für Sie einfallen lassen.«

Überrascht musterte er sie, kam der Aufforderung aber nach.

Danielle mischte einen Schwarztee mit wenig Zimt und einem klitzekleinen Schuss Amarettosirup. Er mochte Zimt, sonst hätte er nicht auf die Zimtschnecke bestanden, und den Kaffee trank er schwarz. Er brauchte etwas Kräftiges. Als Überraschung war der Amarettosirup gedacht.

Manchmal, vor allem im Winter, nahm sie bei Freunden nicht den Sirup, sondern richtigen Amaretto. Dann sassen sie stundenlang im Café beieinander, tratschten und lachten, bis die Angst vor dem klingelnden Wecker am nächsten Morgen sie in die Federn trieb.

Sie legte zwei Smiley-Kekse dazu und einen Cashew-Cookie auf einen separaten Teller. Dafür hatte sie gesalzene Kerne gekauft, damit auch die Leute etwas naschen konnten, die lieber nicht allzu süsse Leckereien hatten.

Er sah kurz auf, als er die beiden Smileys entdeckte, und legte die Stirn in Falten.

Danielle schmunzelte. »Sie waren mir extrem unsympathisch, deshalb habe ich den einen beim Kaffee weggelassen. Aber jetzt dürfen Sie ihn haben.«

»Jetzt bin ich nicht mehr unsympathisch?«

»Doch, aber vielleicht nicht mehr so sehr.«

Ultimatum

Danielle riss die Augen auf, als eine gross gewachsene Gestalt kurz vor Ladenschluss mit eingezogenen Schultern über den Vorplatz sprintete. Jakob. Regen prasselte gegen die Fensterscheiben und verzerrte die Umrisse. Seit Tagen hatte er sich nicht mehr blicken lassen.

Augenblicklich machte sie seinen Tee bereit. Der Schwarztee färbte das Wasser schon, und die Türbimmel schellte durch das Café. Sie wagte ein schüchternes Lächeln, als ihr Freund zu ihr aufsah und die Nässe aus den Haaren schüttelte.

»Hallo, Jakob. Schön, dich zu sehen.« Sie spürte, wie ihr Lächeln immer breiter wurde, als er sich an den Tisch setzte und seinen Tee musterte.

Er nickte. »Es tut auch gut, wieder hier zu sein. Danke.« Nach Wärme suchend, legte er die Hand an die dicke Porzellantasse, packte seine Zeitung aus und begann zu lesen.

Erwartungsvoll setzte sich Danielle auf den Stuhl ihm gegenüber und wartete einige Augenblicke, doch er schien eine Entschuldigung nicht für nötig zu halten. Ein wenig enttäuscht räusperte sie sich. »Wie geht es dir?«, erkundigte sie sich.

Er senkte die Zeitung so weit, dass er sie mustern konnte. »Gut.« Ein Schulterzucken folgte und machte den Eindruck, als hätte er die Trennung von seiner Frau schon überwunden. »Ich geniesse meine Freiheit.«

Freiheit? Sie runzelte die Stirn, doch das sah er schon nicht mehr, da die Zeitung den Blickkontakt verwehrte. Ratlos lehnte sie sich zurück, betrachtete die Schlagzeilen und die letzte Seite, ohne sie wirklich zu lesen. Seine Frau hatte sich vor nicht einmal einer Woche von ihm getrennt, und er sprach von Freiheit? Sie schüttelte langsam den Kopf. Das konnte sie beim besten Willen nicht verstehen. »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«

Er seufzte und faltete die Zeitung zusammen. Ein verschwörerisches Glitzern fand den Weg in seine Augen, als er sich über den Tisch beugte und ihre Hände in seine nahm. Er strahlte richtiggehend. »Wenn du wüsstest, Danielle …« Eine leichte Alkoholfahne schlug ihr entgegen. Ging er etwa betrunken zur Arbeit? »In all den Jahren habe ich so viel verpasst. Ich meine, all die Frauen, die nur auf mich gewartet haben … Ich habe sie alle verpasst. Und das nur wegen Lena.«

Entsetzt stiess sie die Luft aus und entzog ihm ihre Hände, während sie ihn fassungslos musterte. »Du hast dich auf andere Frauen eingelassen? Dabei ist Lena doch erst ein paar Tage weg, du kannst doch nicht einfach …«

»Ich schon, Danielle«, unterbrach er sie fast ein wenig hoheitsvoll. »Sarah vom Dorfladen, Hanna und so ein junges Mädel, keine Ahnung mehr, wie sie heisst.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung, als liesse es ihn vollkommen kalt.

»Jakob, das ist ekelhaft! Du bist fünfunddreissig und machst mit einem Mädel rum?«

»Wieso denn nicht? Lena hat mich verlassen und ist direkt bei ihrem Neuen eingezogen. Mir kannst du nicht vorwerfen, sie zu betrügen«, verteidigte er sich.

Danielle legte den Kopf schief. »Trotzdem macht man nicht einfach mit irgendwelchen jungen Mädchen rum.«

»Sie war achtzehn, meine Güte. Mach hier nicht so einen Aufstand.«

»Jakob!«, rief sie entsetzt. Dem Drang, einfach aufzuspringen und sich hinter der Theke vor ihrem ihr fremd gewordenen Freund in Sicherheit zu bringen, konnte sie kaum standhalten. Sie erkannte ihn nicht wieder.

Er zeigte auf sie, verengte die Augen und musterte sie wie eine Melone im Supermarkt. Dass er ihre Rundungen abklopfte, fehlte gerade noch. »Du brauchst auch mal wieder einen Mann, der dich ordentlich rannimmt. Sonst endest du noch als alte Jungfer.«

Damit stocherte er in einer Wunde herum, die sie lieber vor allen versteckt gehalten hätte. Einen Moment erstarrte sie, gefangen in seinen Anschuldigungen und den offengelegten Gedanken, ehe sie aufstand und dabei ihren Stuhl zurückschob. Wahrscheinlich würde sie tatsächlich als alte Jungfer enden. Verletzt von seinen Worten und dem respektlosen Verhalten, schluckte sie. Sie musste hier weg, weg von Jakob, der so ekelhaft war.

Mit unerwarteter Stärke packte er sie am Handgelenk und hielt sie von ihrer Flucht ab. »Hast du etwa Angst?«

Danielle riss sich von ihm los, trat zur Tür und hielt sie auf. »Bitte geh, Jakob. Solange du dich nicht entschuldigst und keinen Respekt zeigst, bist du hier nicht mehr willkommen.«

Er starrte sie an, als hätte er einen Geist gesehen. »Du wirfst mich raus?« In seiner tonlosen Stimme schwang eine Drohung mit, die sie nicht in die Tat umgesetzt sehen wollte.

Es machte ihr Angst. Er machte ihr in diesem Moment Angst.

»Du weisst, dass ich hinter dir stehe. Aber ich will nicht beleidigt werden und schon gar keine Einschätzung meines Liebeslebens. Wenn ich dir etwas erzählen will, mache ich das, ansonsten bleibt es mein Geheimnis.« Sie hoffte inständig, dass er sich bald abschütteln liess. Mit ihm allein war ihr gerade nicht sehr wohl.

Er stand auf und kam auf sie zu, nicht ohne sie von oben herab anzusehen. Dass er sie um einen Kopf überragte, spürte sie nur zu gut. »Wenn die Lady das so will …«

»Die Lady wünscht sich auch, dass du das nächste Mal nüchtern hier auftauchst«, erwiderte sie mit fester Stimme.

Er presste die Lippen zusammen und stiess die Luft durch die Nase aus. »Wenigstens ein bisschen Verständnis habe ich mir von dir erhofft. Aber dass du den Moralapostel spielst, sieht dir mal wieder ähnlich. Eigentlich hätte ich es wissen müssen.«

Danielle seufzte. »Wenn du wirklich reden willst, bin ich für dich da. Aber ich bin nicht dein Sandsack, den du schlagen und damit deinen eigenen Frust abbauen kannst. Ich bin eine Freundin.« Ihre Stimme hörte sich unerwartet sanft an. »Du kannst heute Abend vorbeikommen, wenn du magst, aber nüchtern und ohne die Geschichten über all die Frauen, die du seit der Trennung in deinem Bett hattest. Vor allem nicht die von den Mädchen.«

Jakob sah sie einen Moment lang an, die Augen funkelten wütend, dann zwang er sich zu einem tiefen Atemzug. Die Arme ausgebreitet, trat er auf sie zu und drückte sie kurz. »Danke. Du bist ein guter Mensch. Es tut mir leid.«

Er musste um jedes einzelne Wort kämpfen, die Schwere hing zwischen den Silben und klebte an der halb patzigen Entschuldigung. Und doch hatte er sich entschuldigt. Danielle mochte ihn, auch wenn er kein Mann der grossen Worte war und ihm Komplimente und soziale Kontakte schwerfielen. Aber er war ihr Freund, und Freunde standen einander auch in schweren Zeiten bei. Sie lächelte erleichtert, als er durch den Regen rannte, um möglichst trocken bei seinem Jeep anzukommen.

Besänftigt und mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen machte sie sich daran, eine neue Cookie-Kreation auszuprobieren: weicher Karamell im Inneren, mit Marshmallows, die beim Backen leicht geröstet würden. Allein beim Gedanken daran lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Bei dem Regenwetter würden nicht viele Gäste zu ihr finden, also konnte sie sich getrost neuen Ideen widmen. Kurz entschlossen drehte sie das Radio auf und trällerte fröhlich mit, während sie den Grundteig mischte, knapp eiergrosse Bällchen formte und dann die Spezialzutaten hineinknetete.

Gerade als sie den letzten Ball aufs Blech legte, bimmelte die Türglocke. Sie stoppte mitten im Song – im besten Teil des Stücks – und seufzte innerlich. Immer wieder passierte es, dass sie unterbrochen wurde, wenn nur noch ein paar Handgriffe fehlten. Und dann auch noch bei diesem Song!

Doch heute liess sie sich nicht stressen. »Ich komme gleich«, rief sie aus der Küche ins Café. Mit geübten Handgriffen schob sie das Blech in den vorgeheizten Ofen, stellte den Alarm und wusch sich die Hände.

Im Café erwartete sie ein Blumenstrauss, der all ihre kühnsten Träume in den Schatten stellte. Vermutlich war er so schwer, dass sie ihn nicht einmal allein heben konnte, und eine Vase hatte sie für dieses Monstrum sowieso nicht. Die Blumen ragten bis über das Gesicht des Überbringers, vielleicht versteckte er sich auch absichtlich dahinter. Männerhosen und Lederschuhe lugten darunter hervor.

Leise und auch ein wenig gerührt lachte sie. »Das wäre doch nicht nötig gewesen, Jakob. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung reicht.« Sie trat auf ihren Freund zu und wollte ihm die Blumen abnehmen, als er den Strauss senkte.

Dunkelblonde Haare und Kaffeeaugen.

Zu einer Statue erstarrt, blieb Danielle stehen. Ihr Blick ruhte auf dem Mann, der sie vor einigen Tagen so in Rage gebracht hatte, dass sie ihn aus dem Café gebeten hatte.

Gebeten wäre ja noch in Ordnung gewesen. Eigentlich war es ein freundlich formulierter Rauswurf gewesen – dem er nicht gefolgt war.

Jemand wie du

»Ich heisse leider nicht Jakob.« Ein schiefes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Na, vielleicht nicht leider. Ich finde Hagen schöner.«

Danielle starrte ihn noch immer an, als wäre er ein Geist, der ihr eben erklärte, wie wohltuend die imaginäre Hautcreme aus Mondstaub und Feenglanz sei. Sie riss sich zusammen und räusperte sich. Endlich gelang es ihr, den Blick von ihm abzuwenden, sodass die vertraute Umgebung und die tollen Geschichten sie auffangen konnten.

Sie wandte sich ihm wieder zu, ein feines Lächeln im Gesicht. »Geschmackssache.«

Er zog die Augenbrauen nach oben, doch der Glanz seiner Augen wich nicht. »Findest du?«

»Du?« Sie hatte ihm das Du sicher nicht angeboten.

»Ich halte hier einen riesigen Blumenstrauss in den Händen! Der ist nur für dich, nicht für Sie.« Seine Augen strahlten mit dem Lächeln um die Wette.

Danielle lachte leise auf und kramte in ihren Erinnerungen nach dem überheblichen Mann, der sie Zimtschnecke genannt hatte. »Na dann …« Sie seufzte theatralisch und erlöste ihn von den Blumen. Als sie diese auf einen Bistrotisch legte, rollten sie zur Seite und wären auf den Stuhl gefallen, hätte Danielle sie nicht gestoppt. »Puh!«

Er lachte, aber es hörte sich nicht überheblich an, sondern ehrlich erfreut. »Soll ich dir das nächste Mal eine Vase mitbringen?«

»Besser jetzt schon«, konterte sie und stellte sich in schüchternen Farben vor, wie er ihr noch einmal so einen Blumenstrauss brachte.

Er hob nur die Schultern und machte ein betretenes Gesicht. Endlich ruhte der Blumenstrauss auf dem Tisch.

»Hagen, richtig?«, fragte Danielle, als sie ihm die Hand reichte und sich mit ihrem Namen vorstellte.

Er neigte den Kopf leicht. »Es freut mich, dich kennenzulernen, Danielle.« Geschäftig holte er sein Portemonnaie aus der Innentasche seines Anzugs und reichte ihr das Geld, das sie ihm geliehen hatte.

»Danke.« Sie starrte auf die Banknoten, als hielte sie die Hautcreme des Geistes in der Hand. »Damit habe ich nicht gerechnet«, murmelte sie in sich hinein.

»Wieso?« Seine Augen weiteten sich gerade so weit, dass die Überraschung sichtbar wurde.

»Das hast du gehört?« Sie schluckte nervös. Was sie gerade gedacht hatte, konnte sie ihm doch nicht einfach so sagen. Andererseits, letzte Woche war sie nicht zimperlich mit ihm umgegangen. So schlimm konnte es also nicht sein, sonst wäre er nicht hier. Immerhin hätte er das Geld auch überweisen können. »Für jemanden wie dich sind die paar Scheine doch egal. Kaffeekasse.«

Seine Kiefermuskeln spannten sich an, doch er gab sich ruhig. »Für jemanden wie mich?«

Danielle nickte, obwohl sie ahnte, dass sie zu weit gegangen war. Doch vor Hagen wollte sie nicht zurückkrebsen. Sie wollte ihn loswerden, sodass er niemals wieder hier aufkreuzte. Irgendwie. Sie mochte ihn nicht. Nicht wirklich.

»Jemand wie du hat das Geld, sich alles kaufen zu können. Jemand wie du muss keine Rücksicht auf andere nehmen. Wer nicht spurt, auf den kann man verzichten. Nur wer seinen Mitmenschen keinen Respekt entgegenbringt, bestellt sich einen Kaffee und betitelt die Besitzerin als Zimtschnecke.« Das Augenrollen konnte sie gerade noch verhindern. »Reiche Schnösel verhalten sich so.« So, jetzt war es raus. Es gab kein Zurück mehr. Hagen wusste, was sie von ihm dachte.

Er holte so tief Luft, dass sich seine Schultern unter dem Atemzug hoben und sich seine Lunge einem Seufzen gleich leerte. »Nur weil ich einen schlechten Tag hatte, bin ich in deinen Augen ein reicher Schnösel?«

»Und weil du einen Wagen fährst, der mehr kostet als meine Anzahlung für dieses Haus.«

»Du hast keine Ahnung. Ich arbeite für mein Geld. Hart.« Er kam einen Schritt auf Danielle zu, fing ihren Blick mit seinem ein und hielt ihn gefangen. »Soll ich es dir zeigen?«

Die Luft zwischen ihnen war zum Zerreissen gespannt. Eine falsche Bewegung, und ein Erdbeben würde das Café in einen Trümmerhaufen verwandeln. Sein Angebot hatte etwas … Verruchtes.

»Lieber nicht.« Ihre Stimme zitterte, und sie räusperte sich. Er stand so nah, dass sie nur den Arm ausstrecken müsste, um ihn zu berühren.

Hagen lächelte ein teuflisches Lächeln, das seine Kaffeeaugen zum Aufblitzen brachte. Fast war es, als könnte sie seine Gedanken lesen. Seine Selbstsicherheit sollte ihr Angst einjagen.

»Und auch wenn du für dein Geld arbeitest, ändert es nichts daran, dass du dich daneben benommen hast«, fügte sie hinzu.

Er hob eine Augenbraue, und aus dem teuflischen Lächeln wurde ein belustigtes. »Du dich aber nicht? Du hast einen Gast sozusagen rausgeworfen.« Als wüsste er genau, dass sie sich geschworen hatte, so etwas nie zuzulassen. Sich stets zu beherrschen.

Von seinen Worten getroffen, schluckte sie. Sie hatte sich nicht besser benommen als er. Aus einer Laune heraus, vielleicht wegen seiner Sonnenbrille, hatte sie beschlossen, dass er arrogant war.

Danielle hob entschuldigend die Hände, um die in der Luft liegende Spannung zu verscheuchen, doch es gelang ihr nicht vollständig. »Einen Schnösel verbinde ich mit respektlosem Verhalten. Dein Wagen zeigt, dass du so viel Kohle hast, um als reich angesehen zu werden.« Sie holte tief Luft. »Es tut mir leid.« Auch wenn es ihr schwerfiel.

Wieso war immer sie es, die sich als Erste entschuldigte?

Er neigte den Kopf leicht zur Seite. »So schnell ergibst du dich?«

»Ist ein Mir auch zu viel verlangt? Oder soll ich dich wieder vor die Tür stellen? Damit wärst du übrigens heute schon der Zweite.«

Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, das er am liebsten nicht gezeigt hätte. »Okay. Mir tut es leid, dass ich mich letzte Woche wie ein Arschloch aufgeführt habe. Es war einfach nicht mein Tag und …« Er verstummte und fuhr sich durch die Haare.

Ein schüchternes Lächeln eroberte Danielles Gesicht, und sie zeigte auf einen Stuhl. »Wenn du etwas Zeit hast, lade ich dich auf einen Kaffee ein. Als Wiedergutmachung sozusagen. Heute hat es auch noch Zimtschnecken.«

Sie schwang sich hinter die Theke, bereitete den Kaffee vor, vergass den Smiley-Keks nicht und trug alles zusammen mit ihrem eigenen Tee an den Tisch, den er sich ausgesucht hatte.

Als er die gut goldbraun gebackene Zimtschnecke entdeckte, die beim Betrachten schon auseinanderzufallen drohte, lachte er leise. »Bin ich froh, dass ich eine richtige Zimtschnecke bekomme und keine saure Bäckerin. Die sind oft zäh.« Er zwinkerte und gönnte sich einen Biss der Köstlichkeit.

Gespannt beobachtete Danielle, wie er die Augen schloss und ganz langsam kaute. Ein schwaches Summen, dem Schnurren einer Katze ähnlich, vibrierte in seinem Hals und löste in ihr wahre Glücksgefühle aus. Sie liebte es, wenn sich jemand in ihren Leckereien verlor, wenn er in dieses Gefühl aus purem Glück und vielleicht ein wenig Reue versank. Wenn jemand mit Haut und Haaren, mit vollem Bewusstsein geniessen konnte.

Nach dem ersten Bissen betrachtete Hagen sie und setzte an, etwas zu sagen, hielt sich aber zurück. Er schwenkte den Kopf von der einen zur anderen Seite und wieder zurück. »Wow.«

Es war eines der schönsten Komplimente, das sie für ihre Arbeit je erhalten hatte, und wärmte sie von innen.

Er räusperte sich. »Kein Wunder, dass die so schnell weg waren. Es gibt Menschen, die für so was sterben würden.«

Danielle schmunzelte und trank einen Schluck ihres Chai Tees, um sich ein wenig Zeit zu verschaffen. Der Kandiszucker machte sich gut darin, vielleicht nahm sie die Kreation in ihr Sortiment auf. »Wer weiss? Vielleicht sind schon Menschen dafür gestorben. Vielleicht bin ich selbst über Leichen gegangen, um das Rezept zu erhalten«, entgegnete sie mit einem Zwinkern, das sein Lächeln augenblicklich breiter werden liess.

Dafür, dass sie ihn als reichen Schnösel bezeichnet hatte, schien er ganz umgänglich.

Hagen hob abschätzig die Augenbrauen, doch das Funkeln in seinen Augen blieb. »Als ob eine Frau wie du das könnte!«

Danielle lachte innerlich auf, liess sich aber nichts anmerken. Verschwörerisch beugte sie sich nach vorn und bedeutete ihm, näher zu kommen. »Ich habe getötet, Stück für Stück«, flüsterte sie. »Jedem habe ich die Haut abgezogen, seine Eingeweide entnommen. Die Reste habe ich zerkleinert und überall verteilt.«

Hagens gespielt entsetzter Blick mit einem Aufflackern von Sorge, dass es kein Witz gewesen sein könnte, liess sie schallend auflachen. Doch ehe sie den Mann von seinem Leiden erlöste, leerte sie ihren restlichen Tee in einem Zug. »Ich glaube aber, die Äpfel nehmen es mir nicht allzu übel.«

Er fiel in ihr Lachen ein. Ein zweites Stück der Zimtschnecke verschwand in seinem Mund, und ein Strahlen erreichte seine Augen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass ein reicher Schnösel dazu imstande war. Fasziniert beobachtete sie, wie er sich genüsslich Bissen für Bissen in den Mund schob und die Krümel vom Teller zusammenklaubte.

Schliesslich seufzte er. »Schon lange habe ich nicht mehr so etwas Gutes gegessen.«

»Letztes Mal hatte es auch keine Zimtschnecken mehr.« Nachdenklich lächelte Danielle. »Sie waren das Erste, das ich selbst gebacken und verkauft habe. Am Anfang sahen sie nicht ganz so toll aus, aber mit jedem Versuch wurde es besser. Inzwischen will sie jeder, der sie schon einmal probiert hat.«

Hagen schwieg eine Weile, sah sie nur an. Anstelle des überheblichen Funkelns glaubte sie so etwas wie Interesse zu entdecken. »Dann sagst du selbst, dass die Zimtschnecken dein bestes Produkt sind?«

Verunsichert versuchte sie herauszufinden, was daran falsch war, doch es fiel ihr nichts auf. »Ich mag sie am liebsten. Warum?«

Sein Nicken troff vor Genugtuung. »Weil der Kunde gern selbst entscheidet, was er am liebsten hat.«

»Aha.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah den Mann an. Mit einem Schlag war ihr wieder klar, wieso sie ihn am liebsten aus dem Laden geschmissen hätte und gelacht hatte, als sein Wagen abgeschleppt worden war. »Und du weisst es also?« Sie hoffte, dass sie ebenso herablassend wirkte wie er, wenn er eine seiner Augenbrauen etwas anhob.

Er zuckte mit den Schultern, warf einen kurzen Blick durch das Fenster in den strömenden Regen und sah sie dann wieder an. »Als Besitzer von mehr als dreissig Verkaufsstellen und einem Onlineshop, der mir monatlich ein stattliches Einkommen einbringt, denke ich schon, dass ich weiss, wovon ich spreche.« Er zwinkerte ihr zu und trank von seinem Kaffee, als hätte er von seinem Bootsausflug am Wochenende erzählt.

Aber auch das wäre schnöselig gewesen.

Sie rümpfte die Nase, einerseits froh, dass sie die Arme schon verschränkt hatte, andererseits hätte sie es gern noch einmal gemacht. »Also doch ein reicher Schnösel.«

»Oder einfach ein Mann, der gern andere für sich arbeiten lässt.«

»Ein reicher Schnösel.« Schlimmer ging es nicht. Er war so eingebildet und überheblich, dass sie ihn am liebsten gleich aus dem Café geworfen hätte, doch der strömende Regen hielt sie davon ab.

Sein prüfender Blick krallte sich an ihr fest, die Augen hatte er zu schmalen Schlitzen verengt. Unter der Musterung wurde sie unruhig, und sie rutschte von der einen auf die andere Seite.

»Du würdest keinen Tag in meinem Geschäft überleben.«

»Wetten doch?« Ehe sich Danielle ihrer Worte gewahr wurde, hingen sie zwischen ihnen wie ein drohendes Messer. Die Stille drang bis in ihren Bauch.

Hagen starrte sie nur an, den Mund vor Überraschung leicht geöffnet. Auf den geschwungenen Lippen zeichnete sich ein feines Lächeln ab, eines, das sowohl freundlich als auch arrogant wirkte. »Wette angenommen.« Er streckte ihr die Hand entgegen.

Sie wollte keinen Tag mit diesem Mann verbringen. Er war ein reicher, arroganter, unangenehmer Zeitgenosse, den sie am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Irgendwie. Doch da war auch dieses herzliche Lachen, das Strahlen, wenn er seine Zimtschnecke ass und ihr ein einfaches, aber überwältigendes Kompliment machte.

Vielleicht gab es einen Fluchtweg, einen winzig kleinen. Danielle räusperte sich. »Dafür musst du dann aber einen Tag hier arbeiten.«

Verdammt, noch einen Tag mehr?

Und sie lächelte! Sie dumme Schachtel lächelte den Mann auch noch an!

Bevor sie einen Rückzieher machen konnte, packte sie seine Hand. Er umfasste sie fest, der angenehme Händedruck machte ihn augenblicklich etwas sympathischer. Aber nur etwas.

Er schmunzelte. »Du denkst, ein reicher Schnösel kann nicht anpacken, richtig?«

Vielleicht hatte er sie ertappt, doch sie wollte es nicht einmal sich selbst eingestehen.

Er beugte sich vor, und sein Blick grub sich unnachgiebig in ihren. »Arm bin ich nicht, doch das heisst nicht, dass ich es nicht kenne.« Er trank einen Schluck Kaffee, und unwillkürlich fragte sich Danielle, ob sie vielleicht Abführmittel neben der Kaffeemaschine verstecken sollte, damit sie unliebsame Gäste ein für alle Mal vertreiben konnte.

»Was?«, fuhr sie ihn an. Die Idee, einen ganzen Tag bei ihm im Geschäft zu verbringen, bereitete ihr Bauchschmerzen und Kopfzerbrechen. Wieso hatte ihr Stolz sie zu einem solchen Deal gedrängt? Warum musste sie auch jede Herausforderung annehmen? »Musstest du als Junge etwa auf dein drittes Pferd verzichten? Oder konnten sich Mama und Papa nur Skiurlaub in Österreich leisten, nicht aber in Salt Lake City?«

Wieder zuckte er mit den Schultern. »Salt Lake City ist gar nicht so teuer.«

Fassungslos schüttelte sie den Kopf und stand auf, doch er schien es nicht einmal zu bemerken. Überhaupt hörte er ihr offenbar gar nicht zu – oder er reagierte einfach nicht auf die Wut, die sich in ihr zusammenbraute.

Sie versteckte sich hinter dem Tresen, stützte sich auf den Händen ab und fixierte Hagen mit blitzenden Augen. »Es gibt Leute, die haben sich ihr Leben hart erarbeitet und sind stolz darauf, auch wenn sie kein Vermögen damit verdienen. Wenn dann ein reicher Schnösel mit stolzgeschwellter Brust sagt, er lasse andere für sich arbeiten, ist das ein Schlag ins Gesicht. Falls du dir nicht einen Grossteil der Bevölkerung zum Feind machen willst, weil die wirklich für ihr Geld arbeiten, dann überdenke deinen Umgang mit anderen Menschen. Überlege dir vielleicht ein oder zwei Sekunden lang, dass es da draussen Menschen gibt, die alles tun, um sich und ihren Familien ein schönes Leben zu ermöglichen, aber nicht dieselben Chancen haben wie du.« Sie schnaubte, als er gelassen den Kopf zu ihr drehte und sie anlächelte. »Sei einfach menschlich.«

Sein Lächeln vertiefte sich und machte sie noch viel wütender. Vor drei Jahren hatte sie sich den Traum von einem eigenen Wohlfühlcafé erfüllt. Anfangs hatte sie sich über Wasser gehalten, eine Zeit lang hatte sie gerade die Kosten gedeckt, aber seit eineinhalb Jahren lief es prächtig. Sie konnte sich nicht beklagen. Es hatte sie viele Tränen, Schweissperlen und Nerven gekostet, hier anzukommen. Sie hatte gelitten, an ihrem Traum gezweifelt, und zweimal hatte sie nur eine Unterschrift davor gestanden, einfach alles hinzuschmeissen.

Aber sie hatte sich durchgebissen. Jetzt konnte sie sich eine Angestellte leisten, die sie besonders am Wochenende und an einem Tag in der Woche unterstützte oder gar ablöste. Ein Mann wie Hagen, dem alles in den Schoss fiel, konnte unmöglich verstehen, wie stolz sie auf ihre eigene Leistung war.

Er erhob sich, kam auf sie zu und stützte sich wie sie auf den Tresen. Er war imposant, wie er sie mit seinen kaffeebraunen Augen musterte, ohne auch nur eine Regung zu zeigen. Trotz der dunkelblonden Haare und der durchtrainierten Statur wirkte er nicht wie ein Surferboy-Lebemann, sondern seriös. Ihm würde ein Eskimo einen Kühlschrank abkaufen und der Löwe sich ein Solarium zulegen.

»Ich habe dir Blumen gebracht. Ich habe das Geld zurückgegeben. Ich wollte mich bei dir für dein Vertrauen bedanken, das du mir entgegengebracht hast. Aber bei jeder Gelegenheit als reicher Schnösel bezeichnet zu werden, habe ich nicht verdient. Auch ich habe mir das um mich herum aufgebaut, so schwer es auch zu glauben ist. Einige machen eben mehr aus ihren Talenten als andere.« Er lächelte süffisant.

Es fehlte nur noch, dass er sie wieder als Zimtschnecke betitelte. Aber der Stachel sass auch so. Sie hatte sich für ihr Café abgerackert und damit viel erreicht.

»Ich will eben nicht die Welt beherrschen«, presste sie hervor. »Solange die Gäste zufrieden und glücklich sind, bin ich es auch.«

Hagen nickte langsam. »Du könntest mehr haben.«

»Du könntest verschwinden.« Danielle verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und konzentrierte sich auf ihre Atmung, damit sie nicht schnaubte. Sie hasste es, dass sie sich wie ein Pferd anhörte, wenn sie wütend war. »Und dich hier nie wieder blicken lassen.«

»Ich dachte, du wolltest mich noch als billige Arbeitshilfe blossstellen.« Den Rauswurf überhörte er geflissentlich und lächelte sie an, als hätte sie ihm einen Teller mit noch warmen Zimtschnecken hingestellt.

Sie imitierte seine hochnäsigen Bewegungen. »Ich helfe dir ja auch einen Tag lang.«

»Du wirst aber mehr davon profitieren als ich.«

Sie musste sich dazu zwingen, nichts zu sagen. Es fiel ihr so unglaublich schwer. Alles Mögliche wollte sie ihm an den Kopf werfen: Dass er arrogant war und genauso stank wie sein Geld, das er sich in den Allerwertesten stopfen konnte. Dass er ihr gestohlen bleiben konnte. Doch sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie sie neben dem kleinen Bach im Wald picknickte, während die Füsse im Wasser baumelten. Die Vorstellung hatte etwas Beruhigendes. Eine willkommene Erfrischung im Vergleich zur dicken Luft im Café.

Mit einem Räuspern brachte Hagen sie dazu, die Augen zu öffnen. Wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht, doch es zitterte. Ein wenig zumindest. »Eigentlich wollte ich dich ja noch zum Essen einladen.«

Danielle zog die Stirn kraus, die Augenbrauen wanderten näher zueinander. »Mich einladen?« Sie wusste nicht, ob sie es toll finden sollte, von ihm eingeladen zu werden. Er war eingebildet und arrogant und gab sich keinerlei Mühe, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen. Seine Welt drehte sich einzig und allein um ihn. Gleichzeitig fühlte sie sich geschmeichelt. Anders konnte sie sich ihre Antwort nicht erklären. »Okay. Heute mache ich um sieben Uhr Schluss.«

Seine Augenbrauen wanderten nach oben. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, einen nach draussen und sah dann wieder sie an. »Wirklich?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Wie du siehst, bin ich nicht erfolgreich genug, um andere für mich arbeiten zu lassen.« Sie sagte es so freundlich wie möglich, um den Worten die Spitze zu klauen. In ihrem Inneren tummelte sich die Freude über die Einladung mit dem Ärger über seine überhebliche, selbstgefällige Art.

Wieder starrte er auf seine Uhr, die Stirn in feine Falten gelegt. Er checkte sein Smartphone, schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. Wieder Kopfschütteln.

Ergeben seufzte sie. »Vielleicht ist es keine so gute Idee, wenn wir beide essen gehen. Nach jedem zweiten Satz würde ich dir am liebsten an die Gurgel springen. Tut mir leid, dass ich überhaupt zugesagt habe.«

Hagen liess die Schultern sinken. Augenblicklich lösten sich die Falten auf seiner Stirn in Luft auf, die Augen strahlten, als hätte er den Jackpot im Lotto gewonnen. Er lachte leise in sich hinein, als hätte sie einen Witz über seine nervige Ehefrau gemacht. »Wieso willst du mir denn an die Gurgel springen?«

»Weil du ein reicher …« Im letzten Moment biss sie sich auf die Unterlippe und verbot sich das Ende des Satzes. Seine Miene verdüsterte sich. »Ich verbringe einfach gern Zeit mit Menschen, die mir guttun. Bei dir zweifle ich daran, dass ich das Essen mit dir geniessen könnte. Deshalb ist es vermutlich einfacher, wenn wir es sein lassen.«

Er holte tief Luft und fuhr sich durch das volle Haar, das ihm über die Ohren reichte. Ihm entwich ein Seufzen. »Ich würde es aber gern wagen. – Wenn du magst«, fügte er hinzu.

Danielle füllte ihre Lunge, konzentrierte sich darauf, bis in den Bauch zu atmen und die Luft nur langsam ziehen zu lassen. Ihr Herz klopfte ein wenig schneller. Wenn sie sich vorstellte, im Dorfrestaurant mit einem gutaussehenden und unbekannten Mann wie ihm gesehen zu werden, würde der Klatsch in den nächsten Tagen überdurchschnittlich viele zerrissene Münder nach sich ziehen. Sie sollte wohl schon jetzt den Notarzt vorwarnen.

»Unter zwei Bedingungen: Ich zahle selbst, und wir gehen nicht in ein Lokal, in dem ich nicht weiss, welche Gabel ich für die Suppe nehmen muss.«

Überrascht weiteten sich seine Augen, ehe sie mit einem Lächeln wieder kleiner wurden. »Wenn es das ist, was du möchtest.«

Erleichtert entspannten sich ihre Schultern und zeigten damit nur zu deutlich, dass sie sich in den letzten drei Jahren, seit sie das Café führte, zu wenig um Männer gekümmert hatte. Sie war nervös, obwohl er ihr nicht sympathisch war. Jedenfalls nicht sehr. »Ich denke schon.«

Leise lachte er. »Du denkst schon?«

Sie zuckte mit den Schultern, ein breites Grinsen erhellte ihr Gesicht und das Gemüt. »Wie gesagt, ich kenne sympathischere Zeitgenossen als dich.«

»Na, dann warte erst mal ab, bis wir gegessen haben. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen. Darf ich eine deiner Steckdosen benutzen?«

Danielle nickte.

Dankend drehte sich Hagen weg, sprintete durch den Regen zum Auto und holte einen Laptop und seine Aktentasche.

Kein richtiges Date

Danielle hatte sich in die Decke auf dem Sofa in der einen Ecke eingekuschelt und blätterte eine Seite weiter. Das Buch fesselte sie so sehr, dass sie ihre Verabredung und die dazugehörige Nervosität komplett vergass. Ina Nordmanns Roman This last Song packte sie, sie verschlang Seite für Seite. Das Schicksal des Protagonisten berührte sie an einer Stelle, die sie seit einer Ewigkeit niemandem mehr gezeigt hatte. Nicht einmal Hagens Telefonanrufe, seine Flüche und das geschäftige Tippen auf der Tastatur nahm sie wahr. Erst die Ruhe um sie herum holte sie in die Gegenwart zurück, und sie hob den Kopf.

Hagens Augen blitzten fröhlich auf, als sie seinem Blick begegnete. »Ist es spannend?«

»Nein.« Betont langsam liess sie ihren Blick durch den Raum schweifen. »Es hat ja keine Gäste.«

Er lachte leise. »Ich meinte das Buch. Was liest du?«

Sie hob das Buch in die Höhe und zeigte ihm das leuchtende Cover. »Es ist ein Liebesroman. Die beiden kommen sich auf einer Ranch näher, sie sind beide berühmt, führen aber dennoch ganz unterschiedliche Leben.« Eigentlich wollte sie lieber weiterlesen, doch sie legte das Buch weg. Den ganzen Nachmittag über hatte sie keinen einzigen Gast mehr gehabt. Sie seufzte. Die Regentage waren besonders im Frühling hart. Weder Wanderer, die am Café vorbeigingen, noch Dörfler auf der Suche nach ein bisschen Abwechslung und schöner Aussicht.

»Und dann die üblichen Hindernisse?«, hakte er nach und klappte den Laptop zu.

Sie nickte und zuckte mit den Schultern. »Noch ein paar mehr.« Und besonders dieses machte es nicht einfach für sie, auch wenn sie nicht warten konnte, wie die Geschichte ausging. »Aber ich mag das Kribbeln im Bauch, wenn der Zauber des Augenblicks die beiden gefangen hält. Wenn sie einander ansehen und genau wissen, dass der Moment magisch ist. Es ist ein wenig, als würde ich mich selbst wieder verlieben.« Sie wandte den Blick ab. So viel hatte sie nicht von sich preisgeben wollen.

Hagen schwieg eine Weile. »Sich zu verlieben ist das eine. Das Kribbeln in eine Beziehung voller Vertrauen zu verwandeln, das ist der wahre Zauber.«

Hatte er eben Zauber gesagt? Sprach er von der Liebe?

Danielle stand der Mund offen, unfähig, den Blick von ihm abzuwenden. Seine Augen starrten irgendwo in die Leere zwischen Regen und entfernten Bergen. Mit den Gedanken war er nicht mehr hier, in ihrem Café. Ob er an seine grosse Liebe dachte? An eine spezielle Erinnerung mit der Einen?

Kurz entschlossen schwang sich Danielle auf die Beine. Die Bewegung riss ihn aus seinen Tagträumen und gewann seine Aufmerksamkeit. »Ich schliesse für heute. Es kommt sowieso niemand mehr.« Es war kurz vor sechs, die Küche hatte sie bereits in Ordnung gebracht.

Er nickte. Das feine Lächeln breitete sich nicht nur auf seinen Lippen aus, sondern erreichte die kaffeebraunen Augen. »Möchtest du dich noch frisch machen?«

Danielle stutzte. »Muss ich?« Im selben Augenblick hätte sie sich am liebsten an die Stirn gegriffen oder sich hinter der Theke versteckt. Sie hörte sich wie ein trotziges Kind an, das gerade erfahren hatte, dass es doch nicht bei Oma und Opa übernachten durfte.

Hagen hob eine Augenbraue und räusperte sich. »Wir gehen nicht in eine Dönerbude. Und wir werden auch nicht nach Pommes riechen, wenn wir das Lokal verlassen.« Er machte eine kurze Pause. »Aber natürlich darfst du mitkommen, wie du möchtest.«

»Dann reservierst du in einem billigeren Schuppen?«

»Wenn der Schuppen billig ist, kaufe ich ihn mir.« Er zwinkerte ihr zu, und das Lächeln auf seinen Lippen kam von Herzen. Er spielte ihr nichts vor – jedenfalls hoffte sie das. Denn so, wie er jetzt dasass und sie beobachtete, wirkte er sympathisch.

Sie verdrehte die Augen. »Reicher Schnösel«, murmelte sie im Vorbeigehen.

Er lachte.

Wie ein Gentleman bot Hagen ihr den Arm an, als sie das Café wieder betrat. Sie hatte sich für die neuen Jeans, hohe Stiefel und eine schwarze Bluse entschieden. Nicht zu aufgebrezelt, aber dennoch ansehnlich. Das hoffte sie wenigstens. Vielleicht sah Hagen das anders, doch er hatte nicht über sie zu bestimmen.

Sogar einen Schirm spannte er über ihr auf, als er sie zu seinem mattschwarzen Sportwagen führte, die Wagentür aufhielt und dafür sorgte, dass kein Regentropfen sie traf. Ein wenig fühlte sie sich wie eine Prinzessin.

Mit grossen Schritten umrundete er den Wagen und stieg selbst ein. Das Auto lag so tief, dass sie fürchtete, ihr Hintern könnte über die Strasse schleifen. Doch das warme Lächeln, das Hagen ihr schenkte, vertrieb ihre Sorgen.

Und liess grössere entstehen. Er behandelte sie zuvorkommend und aufmerksam. Das machte sie nervös.

Sie wandte den Blick ab und beobachtete die winzigen Bäche, die auf der Frontscheibe nach unten flossen. Als würde nur einmal im Jahr Regen fallen, betrachtete sie die Tropfen, wie diese auf das Glas aufschlugen, in winzige Perlen zerstoben und sich zu trägen Seen formten.

Tief und kraftvoll brummte der Motor, als der Wagen startete. Hagen beschleunigte, bog in eine Kurve, sodass Danielle froh um die Sportsitze und den Gurt war, die ihr wenigstens ein kleines bisschen Halt boten.

Als würde er die Strecke auswendig kennen, steuerte er um die Kurven, bremste kurzfristig ab und gab Gas, wenn er mehr als einhundert Meter weit sehen konnte. Das Prasseln der Regentropfen war nicht mehr zu hören, dafür war der Wagen zu laut.

Sie durchquerten das Dorf, fuhren auf die Autobahn und liessen Berge und Wälder, Dörfer und Seen an sich vorbeiziehen. Danielle starrte gedankenverloren über das Wasser, als Hagen das Radio leiser stellte.

»Alles in Ordnung?« Seine Stimme klang so selbstverständlich, dass sie sich fragte, wieso sie diesen Abend als etwas Spezielles sah.

Für sie war es ein Abenteuer. Ein Date. Ihr letztes Date lag dreieinhalb Jahre zurück. Seither hatte sie sich um ihr Wohlfühlcafé gekümmert, um die Gäste und ihre Zukunft. War sie einmal früher fertig gewesen, hatte sie am liebsten geschlafen.

Lächelnd wandte sie sich an Hagen. »Ja, klar.« Auch wenn es vielleicht ein bisschen geflunkert war.

Mit Augen voller Sonnenstrahlen strahlte er sie an. Im nächsten Augenblick verliess er die Autobahn, suchte sich einen verwinkelten Weg durch ein malerisches Quartier mit Einfamilienhäusern, gepflegten Gärten und einem Kinderspielplatz. Direkt am See parkte er neben einem niedrigen, weiss angestrichenen Haus.

Sie stieg aus und sog die kühle Abendluft tief in ihre Lunge. Das Wasser schlug in einem gemütlichen Rhythmus gegen die Bohlen des Steges, der wenige Meter in den See hineinreichte. Danielle stieg über die nassen Stufen auf das Holz und folgte dem Steg, bis sie zuvorderst stand. Ein leichter Wind versetzte die Wasseroberfläche in Wellen und rieselte ihr winzige Nieselregentropfen auf die Brille sowie ins Gesicht.

Es war wunderschön, das Wasser und die Ruhe. Auszuspannen. Sie freute sich auf ein Abendessen, bei dem sie nicht allein war.

Auch wenn es kein richtiges Date war, klopfte ihr Herz ein wenig aufgeregt. So lange schon war es her, seit sie eines gehabt hatte, und es war schrecklich gewesen. Der Typ hatte nur von sich selbst gesprochen und sie kaum zu Wort kommen lassen. Am Ende hatte er auf den Besuch eines Klubs bestanden und mit anderen Frauen geflirtet.

Danach hatte sie sich voll und ganz auf ihr Wohlfühlcafé konzentriert. Platz für andere Träume hatte es nicht mehr gegeben. Eigentlich jetzt noch nicht.

»Danielle?« Hagens Stimme riss sie aus den Erinnerungen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739487199
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Lebenstraum Liebesroman Romantik Büchercafé Traummann Humor

Autor

  • Andrea Ego (Autor:in)

Die Autorin Andrea Ego entdeckte schon in ihrer frühesten Schulzeit Bücher für sich. Das Abtauchen in fremde Welten hat sie von Beginn weg fasziniert. In ihrer Jugendzeit hat sie mit dem Schreiben begonnen und seither hat es sie nie mehr so richtig losgelassen. Andrea liebt neben dem Schreiben ihre Familie über alles, die Schweizer Berge, Schokolade, ihren Garten und das Fotografieren.
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Titel: Frühling im Herzen