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Tod und Raub in der Silberstadt

Bergstadtkrimi

von Anita Wächtler (Autor:in)
180 Seiten
Reihe: Silberstadtkrimis, Band 1

Zusammenfassung

Statt mit Kaffee und Kuchen haben es zwei lebenslustige Seniorinnen plötzlich mit einer fiesen Verbrecherbande zu tun. Die Ereignisse führen schließlich ins Freiberger Bergbaumuseum, aus dem wertvolle Ausstellungsstücke verschwunden sind. Da erschüttert ein Mord die Beschaulichkeit der Bergstadt und schon stecken die Frauen im Abenteuer ihres Lebens.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Tod und Raub in der Silberstadt

 

Ein Bergstadtkrimi

 

 



von

Anita Wächtler

 


Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die über die Grenzen des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht, ist unzulässig und strafbar.

 

2. Auflage 2020

ISBN Print: 978-3-96698-528-4

© 2020 Verlag Edition Elbflorenz, Rothenburger Str. 30, 01099 Dresden

Korrektorat: Amalthea

Titelgestaltung: Anna Engel: www.anna-engel-design.de

Titelbild: Anna Engel: www.anna-engel-design.de

eBook: Verlag Edition Elbflorenz

 

I

 

Hanneliese Schmidt traf sich mit ihrer Freundin Emma zum wöchentlichen Kaffee-Kränzchen bei Hartmanns auf der Peterstraße. Es war ein Ritual, das die beiden Frauen bereits seit etlichen Jahren jeden Donnerstag pflegten. Gelegentlich nahmen auch andere Freundinnen oder Bekannte von ihnen mit teil. An diesem Tag hatte Erika Zimmermann zugesagt. Die zwei kannten Erika seit langer Zeit von den gemeinsamen Wandertagen der Volkssolidarität. Solange ihre Freundin noch nicht da war, begannen sie schon einmal mit der Bestellung.

Beide waren sie zwei rüstige Damen im fortgeschrittenen Alter. Hanneliese, eine weißhaarige Seniorin um die siebzig, fühlte sich jedoch noch nicht so alt. Sie wirkt etwas korpulenter als ihre Freundin, war allerdings immer modern gekleidet und adrett. Ein großes eher blasses Feuermal zierte seit ihrer Geburt die rechte Wange.

Emma war im Gegenzug eine schlanke Rentnerin, welche ebenso gerade die Siebzig erreicht hatte. Trotz ihres Alters war sie sehr lebhaft. Im Vergleich zu ihrer Freundin ließ sie sich die Haare regelmäßig blondieren. Sie trug nach wie vor Kleidung aus der „guten alten“ DDR-Zeit. Schon immer konnte sie sich nur sehr schwer von alten Sachen trennen. Ihr sagten die ganzen Klamotten nicht zu, die es heutzutage zu kaufen gab. Altmodisch war ein Begriff, der sie am besten beschrieb. Zugleich konnte man sie durchaus als sehr neugierig einordnen. Stets wollte sie alles genau wissen, was in ihrem Umfeld und Freundeskreis passierte.

„Wie geht es dir denn, meine Liebe?“, fragte Hanneliese.

„Ach, so einigermaßen“, entgegnete Emma etwas geknickt.

„Was ist denn los? So kenne ich dich doch gar nicht.“

„Wie soll es mir schon gehen, wenn man alleine lebt? Meine Kinder haben sich schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gemeldet. Ich weiß gar nicht, wo sie zurzeit wohnen – geschweige denn, ob sie überhaupt noch leben.“

„Das hat dich doch die letzte Zeit auch nicht gestört“, antwortete Hanneliese und nahm Emma in den Arm.

„Mein Ältester hatte vor ein paar Tagen Geburtstag. Das hat für mich alles wieder aufgewühlt. Manchmal ist es richtig schlimm, wenn man alleine zu Hause sitzt.“

Hanneliese sah ihre Freundin fragend an. „Hast du noch nicht einmal eine Telefonnummer von deinen Kindern?“

Emma saß wie ein Häufchen Unglück auf ihrem Stuhl. Sie schüttelte traurig ihren Kopf.

Hanneliese bestellte indes zwei neue Kaffee bei der freundlichen Bedienung. „Möchtest du noch was Süßes dazu?“ Sie wollte ihre Freundin etwas aufmuntern. „Das könntest du momentan wahrscheinlich richtig gut gebrauchen.“

„Nein danke, heute nicht. Mein Zucker ist wieder mal viel zu hoch. Aber sieh mal Hanneliese, hier liegt ein Prospekt von einem Bauernhasen auf dem Tisch. Vielleicht magst du ja was Süßes zum Kaffee.“ Sie holte bei den Worten die Lesebrille aus ihrer Handtasche. „Markgraf Friedrich lebte im Mittelalter hier in Freiberg“, las Emma vor. „Er liebte das blühende Leben hier. Durch das Silbererz war Freiberg damals sehr reich.“

Emma machte eine Pause und legte den Prospekt auf den Tisch zurück. Die Geschichte in dem Faltblatt brachte sie auf andere Gedanken. Die nette Bedienung servierte währenddessen den bestellten Kaffee. Sie bedankte sich und überflog weiter den Text in Kurzfassung.

„An einem Fastnachtsdienstag hatte der Markgraf kurz vor Mitternacht den Wunsch geäußert, einen Hasen zu verspeisen. Der Kaplan, der auch gerne was Gutes aß, war dagegen. Denn um Mitternacht begann die Osterfastenzeit. Es war demnach eine schwere Sünde nach zwölf Uhr einen Hasenbraten zu verzehren. Was es damals für komische Gesetze gab.“ Emma legte das Blatt beiseite und trank ihren Kaffee.

„Na wie geht es denn weiter? Ich habe meine Lesebrille nicht mit. Hat er nun seinen Hasen bekommen oder nicht?“, fragte Hanneliese neugierig nach.

„Der Markgraf wollte, der Kaplan nicht. Der Markgraf ließ den Koch rufen und befahl ihm, einen Hasen zu bringen. Der Küchenmeister war ein lustiger Mann und erklärte, sie werden beide zufrieden sein. Kurz nach Mitternacht brachte der Koch einen knusprigen Hasen. Der Geistliche war sauer und wollte den Hasen wegwerfen lassen. Die Tafelrunde war aber dagegen. Der Küchenmeister durchschnitt den Hasen quer mit einem Messer. Da stellte sich heraus, dass der Hase ein Gebäck in Form eines Hasen, der mit einer Glasur und Mandeln gespickt war. Sie waren alle zufrieden und der Name des Kochs war Bauer. So nannte der Markgraf das Backwerk schlichtweg Bauernhase.“

„Interessant, das habe ich gar nicht gewusst. Nächste Woche bestellen wir uns so einen Bauernhasen und teilen ihn wegen deiner Diabetes auf.“

Emma winkte ab. „Bis nächste Woche ist der Zuckerwert bestimmt wieder normal. Mach dir keine Sorgen. So ein kleines Gebäck schaff ich schon ganz allein.“

„Sag mal Emma, wo bleibt denn Erika? Sie ist doch sonst immer die Erste bei unserem Kaffeekränzchen. Hat sie dich vielleicht angerufen und du hast vergessen, mir zu sagen, dass sie heute beschäftigt ist?“

„Sie wird schon noch kommen. Wer weiß, was bei ihr dazwischengekommen ist. Angerufen hat sie mich auf jeden Fall nicht. Das hätte ich dir doch gesagt.“

Sie plauderten über dies und jenes, was es als Stadtgespräch Neues gab. Als es nicht mehr Interessantes zu bereden gab, schlug Emma einen Ausflug nächste Woche vor.

„Woran hast du denn gedacht?“

„Ich hab mir den Senftenberger See vorgestellt. Hast du Lust mitzukommen?“

„Ach nein, das ist mir zu weit. Was hältst du aber von Dresden? Da ist immer was los und es ist schnell zu erreichen“, erwiderte Emma. „Was hältst du vom Dienstag?“

Hanneliese schüttelt ihren Kopf. „Dienstag? Das geht nicht. An dem Tag habe ich einen Container bestellt. Das habe ich schon lange geplant.“

„Wozu brauchst du denn so ein großes Ding? Willst du etwa ausziehen?“ Emma sah ihre Freundin fragend und erstaunt an.

„Ich? Nein! Wie kommst du denn darauf? Ich muss endlich mal meinen Keller ausmisten. Seit Jahren habe ich mir das schon vorgenommen. Es kam mir aber bis heute immer etwas dazwischen. Ewig kann ich das aber nicht mehr hinausschieben. Irgendwann bin ich zu alt dafür.“

„Was hältst du davon, wenn ich dir helfe. Wir könnten ja alles vorsortieren. Da bist du schneller fertig und wir können noch was unternehmen“, schlug ihr Emma vor.

„Was ist aber mit deinem Bein? Die Stufen zum Keller sind ausgetreten, uneben und glatt.“

„Wieso? Was meinst du?“

„Ich rede von der Sturzgefahr. Außerdem ist die Treppe sehr steil. Wenn dir etwas passiert, wer soll sich um dich kümmern?“

„Aber Hanneliese, ich habe doch dich. Wir sind zusammen zur Schule gegangen und haben uns die ganzen Jahre über nie aus den Augen verloren. Ich habe dich auch als meine Erbin eingesetzt.“

Hanneliese lachte laut auf: „Was hast du schon zu vererben?“

Emma ignorierte beleidigt die Worte ihrer Freundin. „Wer, wenn nicht du, wird sich um mich kümmern?“

„Ehrlich, das hast du? Also gut, ich gebe mich geschlagen. Ich würde mich freuen, wenn du mir hilfst. Deinen Nachlass will ich aber nicht. Du hast doch Kinder, die dich beerben sollen. Ich will keinen Ärger mit deinem Nachwuchs. Die denken am Ende noch, ich bin eine Erbschleicherin.“

Hanneliese war das Thema sehr unangenehm. Am liebsten hätte sie sich gar nicht darüber unterhalten wollen. Es war, als würde man den Tod heraufbeschwören.

„Ich habe das erst kürzlich in der Zeitung gelesen. Da haben sie die Frau vor Gericht gezogen. Als Erbschleicherin haben die Kinder sie beschimpft. Zu Lebzeiten haben die Enkel und Kinder sich nicht um ihre Mutter gekümmert. Als sie aber verstorben war, standen sie vor ihrem Sarg und wollten Kohle sehen.“

„Ach Hanneliese, ich hoffe, dass das bei mir nicht so sein wird. Ich darf gar nicht daran denken, was alles nach meinem Tod passieren kann. Ich will aber, dass du dich darum kümmerst. Deswegen hab ich dich als Bevollmächtigte eingesetzt.“ Emma nahm ein Taschentuch aus der Handtasche und wischte sich ein paar Tränchen aus den Augenwinkeln. „Nur gut, dass ich es nicht mehr mitbekommen werde, wenn es so weit ist. Lass uns jetzt aber von etwas Schönerem reden, denkst du nicht auch?“

„Ja da hast du recht. Nächste Woche macht ein neues Café in Freiberg auf. Was hältst du davon, wenn wir uns das mal ansehen? Vielleicht kommt Erika dann auch wieder mit. Wo auch immer sie heute bleibt.“ Die Freundinnen schauten zum Eingang des Cafés.

„Ja, sehr gern. Aber erst nach unserem nächsten Besuch hier. Ich will unbedingt noch den Bauernhasen probieren. Da kommen wir nicht dran vorbei.“

Hanneliese suchte in ihrer Tasche die Geldbörse. „Emma, ich bezahle heute die Kaffeerunde. Erika kommt sowieso nicht mehr und ich muss noch etwas erledigen. Es wird Zeit, dass wir losmachen.“

„Oh, danke. Du hast wohl eine Rentenerhöhung bekommen?“

Emma steckte schnell ihr Portmonee wieder in ihre Handtasche. Mit weiteren Scherzen auf den Lippen gingen die beiden Rentnerinnen auseinander.

 

Am darauffolgenden Tag starteten die zwei Freundinnen mit Besen, Schaufel und Taschenlampe in Richtung Keller. Bevor der Container kam, galt es, die Sachen vorzusortieren. Hanneliese ging voran. Mit Kopftuch und alter Kittelschürze fühlte sie sich ganze zehn Jahre älter.

„Emma, pass auf! Die Stufen sind aus unterschiedlichen Steinen. Alles ist hier schief und bucklig. Du kannst hier fast überall dein Gleichgewicht verlieren. Das ist höllisch gefährlich.“

„Hör doch auf. Ich bin kein kleines Kind mehr.“

„Das weiß ich doch. Ich habe nur Angst, dass du stürzt. Sieh dir die schlechte Treppe an. Ein Wunder, dass hier noch nichts Schlimmes passiert ist. Da hätte die Hausverwaltung schon längst etwas unternehmen müssen.“

Hanneliese leuchtete mit der Taschenlampe die vielen Steinplatten ab. Der Lichtschein wanderte dabei die steile Stiege hinab. Der Schattenwurf zeigte den beiden Frauen, die unebene Oberfläche. Die Wände und die Stufen waren aus groben Steinen und mit altem bröckligem Putz verfugt. Feuchter Modergeruch lag in der Luft.

„Hier wurde schon jahrzehntelang nichts mehr erneuert“, schimpfte Hanneliese. „So ein schönes Haus und dann den Keller derart verfallen zu lassen, das ist eine Schande. Außerdem solltest du dir was Altes anziehen. Mit deiner feinen Dederon-Schürze siehst du nicht aus, als würdest du den Keller entrümpeln wollen.“

Der ironische Unterton war allerdings aus der Stimme von Hanneliese herauszuhören. Dederon zog schon seit der Wende niemand mehr freiwillig an. Mit dem Untergang der DDR war der unangenehme synthetische Stoff längst aus den Regalen der Kaufhäuser verschwunden – zum Glück, wie sie für sich selbst bemerkte.

„Du wirst lachen, die Schürze ist noch aus Ost-Zeiten und mindestens 30 Jahre alt.“

„So alt sieht der Kittel gar nicht aus. Zudem steht sie dir gut.“ Hanneliese wollte ihre Freundin nicht beleidigen.

Emma drehte sich wie ein Model im Kreis, damit Hanneliese sie von allen Seiten bestaunen konnte. „Ich kann mich so schlecht von den alten Sachen trennen.“ Sie betone dies mit einem neckischen Augenzwinkern. „Außerdem, solange sie noch ganz ist, trage ich sie weiter gern.“

„Auf geht’s! Der Keller wartet auf uns. Vom Herumstehen allein erledigt sich die Arbeit nicht.“

Emma klammerte sich an Hanneliese fest. Sie stiegen gemeinsam die Treppe hinab, welche in einem dunklen und niedrigen Kellergang endete. Dabei nahmen sie jede Stufe einzeln. Abwechselnd stützten sie sich am Handlauf ab, um nicht zu stürzen. Eine einsame schwache Glühlampe erhellte die Treppe und eine weitere den Kellergang dahinter. Der Rest des Gewölbes lag in Finsternis vor ihnen.

Hanneliese sah ihre Freundin besorgt an. „Alles gut, Emma?“

„Ja, ja, alles gut. Ich komm schon klar. Jetzt behandle mich nicht wie eine Achtzigjährige. So alt bin ich nun auch wieder nicht.“

„Es fehlen aber nicht mehr viele Jahre bis Achtzig“, betonte ihre Freundin mit einem Lächeln.

„Weißt du Emma, ich bin schon viele Jahre nicht mehr hier unten gewesen. Man braucht ja schließlich keine Kohlen mehr wie früher. Was das damals für eine Schinderei war, jeden Tag in den Keller hinab zu müssen.“

Im Stillen fragte sich Hanneliese, wie sie es schaffen sollten, den Keller auszuräumen. Schon ohne Gerümpel und alten Dingen auf den Armen schafften sie es kaum, die Kellertreppe zu meistern.

Mit unsicheren Schritten liefen sie tiefer in das Gewölbe hinein. Hanneliese zog ihre Jacke fester um ihr Schultern. Ein leichter Schauer jagte ihre Wirbelsäule nach oben. Das alte Haus hatte definitiv etwas Gespenstiges an sich. Es gab mehr als genug Gründe, dass sie nicht regelmäßig nach unten ging. Die muffige kalte Luft des mit Spinnweben überzogenen Kellergangs schlug ihnen beiden mit voller Wucht entgegen.

Emma schüttelte sich vor Kälte und Ekel. „Was ist das nur für ein dunkles Loch? Dagegen ist mein Keller der pure Luxus. Kein Wunder, dass du schon lange nicht mehr hier unten warst. Hier würde mich sonst keine zehn Pferde herunterbekommen.“

„Es kann nicht jeder in einem neu ausgebauten Haus wohnen“, murmelte Hanneliese. „Wann warst du denn das letzte Mal in deinem Keller, Emma?“

Sie zuckte nur mit den Schultern. „Das weiß ich gar nicht mehr. Es sind nur noch Sachen von meinem verstorbenen Mann in dem Verschlag. Da zieht es mich nur wenig hin. Ich werde das Ganze wohl auch einmal entrümpeln müssen. Du kannst mir ja im Gegenzug helfen, da sind wir dann Quitt. Allerdings kann ich mich noch nicht von den Dingen trennen. Da hängen noch zu viele Erinnerungen dran.“

„Na sag mal, wie lange willst du die Sachen noch aufheben? Dein Mann ist doch schon vor Jahren von uns gegangen. Wie lange ist das mittlerweile her?“

Emma schaute beleidigt geradeaus. „Das macht jeder, wie er will.“

„Ist ja gut, ich helfe dir natürlich auch beim Entrümpeln. Das ist doch selbstverständlich.“

Nach ein paar Sekunden des betretenen Schweigens standen sie schließlich vor einem langen Gang. Das schwache Licht der Birne reichte kaum aus, um alles auszuleuchten. Rechts waren zehn abgetrennte kleine Kellerboxen zu erkennen. Links befand sich nur eine kahle und schmutzige Steinwand. Die schmalen Kellernischen waren mit von der Zeit abgedunkelten Holzlatten abgeteilt. Man konnte in jede hineinsehen, da die Latten weit auseinanderstanden. An der fünften Lattentür blieb Hanneliese stehen.

„Hier ist mein Abteil.“ Sie zeigte mit der Hand auf einen Stapel Kisten. „Bei mir sind das alles nur alte Sachen, die ich nicht mehr brauche.“ Sie hob hilflos die Hand. „Und mit der Zeit ist jetzt Müll daraus geworden? Von der Hälfte weiß ich noch nicht einmal mehr, wann ich es nach unten gebracht habe und was es überhaupt ist.“

Emma stürmte plötzlich in die Box an Hanneliese vorbei. „Schau mal! Du hast hier noch Einweckgläser mit Obst oder so was Ähnliches? Und Flaschen! War das mal Wein oder Saft? Vielleicht sind die noch trinkbar. Man kann aber kaum noch erkennen, was es mal war.“ Fragend sah sie Hanneliese an.

Die Freundin lachte: „Du kannst ja mal kosten, dann weißt du es. Die müssen mindestens noch aus DDR-Zeiten sein. Ich habe schon sehr lange nichts mehr eingekocht“, meinte Hanneliese. „Das ist mit Sicherheit alles ungenießbar.“ Sie schaute angewidert das Regal mit den Gläsern und dem undefinierbaren Inhalt an. „Wir schütten alles in einen Eimer um. Das Glaszeug kommt anschließend in den Glascontainer. Es muss ja nicht alles auf den Sperrmüll.“

„Ja, so machen wir das. Und ich werde dir dabei helfen.“ Kurz kramte Emma in dem Unrat herum. „Ich werd verrückt! Du hast noch eine alte Schwarzenberger Waschmaschine hier stehen?“, staunte Emma. „Die gehört ins Museum. Werden solche Raritäten nicht gesucht?“

Hanneliese sah Emma nur zweifelnd an. „Meinst du wirklich? So ein olles Ding? Woher willst du das überhaupt wissen?“

„Ich habe gelesen, in Dresden gibt es ein DDR-Museum. Die nehmen die Waschmaschine bestimmt. So ein gutes Stück. Es wäre schade darum. Früher hatte ich auch mal so eine.“

„Ja, das ist schön Emma. Deine Begeisterung für die alte Waschmaschine in allen Ehren. Soll ich die etwa auf meinem Rücken nach Dresden tragen?“

Die Freundin blieb ihr jedoch eine Erwiderung schuldig. Unschlüssig wühlten sie beide in den Sachen herum. Zu gebrauchen war eigentlich nichts mehr. Anschließend sahen sich die zwei Frauen die benachbarten Kellerboxen an. Sie drückten neugierig ihre Nase an die Holzlatten und leuchteten mit der Taschenlampe in die Nachbarabteile hinein.

„Sieh mal Emma, bei den anderen Leuten im Haus ist auch nur noch Müll drin. Da stapeln sich ebenso die Kisten bis unter die Decke. Irgendwann müssen die auch mal entrümpeln. Wahrscheinlich könnte man den gesamten Keller, so wie er ist, auf den Sperrmüll bringen.“

„Oder die Kinder müssen später ran, wenn die Eltern verstorben sind“, warf Emma leicht bedrückt ein. „Wenn ich gewusst hätte, was hier auf mich zukommt …“

„Das kannst du mir doch nicht antun. So etwas hättest du mir eher sagen müssen. Dann hätte ich Erika gefragt, ob sie mir helfen könnte.“

Emma winkte ab. „Die hat doch nie Zeit.“

„Ich brauche deine Hilfe. Alleine schaffe ich das nie im Leben.“ Hanneliese hoffte, dass ihre Freundin hierblieb.

„So schlimm hätte ich mir deinen Keller nicht vorgestellt.“ Emma wischte ihre schmutzigen Hände an der Schürze ab. „Versprochen ist aber versprochen, da muss ich durch“, murmelte sie vor sich hin. „Dafür schuldest du mir aber ein Kaffeekränzchen im Hartmanns. Du weißt, dass ich unbedingt den Bauernhasen probieren möchte. Der geht auf jeden Fall auf deine Rechnung.“

„Klar doch. Aber komm jetzt, sonst stehen wir morgen noch herum! Wir sind zum Entrümpeln hier und nicht, um zu träumen.“

Emma lachte ihre Freundin an: „Wie heißt es so schön: erst die Arbeit dann das Vergnügen. Warte aber mal kurz. Ich will nur mal nachsehen, was dahinten ist. Geht es da irgendwie weiter? Gibt es da etwa noch mehr Kellerräume?“

„Da ist nichts mehr – nur ein leeres Kabuff. Du kannst da gern nachsehen. Sei aber vorsichtig, dass du nicht stolperst.“

Emma war in dem Bezug schon immer sehr neugierig. Sie lief an den anderen Kellerabteilen vorbei. Es ging den Gang entlang, bis sie auf einen größeren Raum stieß. Sie rief: „Hanneliese! Komm mal schnell, das musst du dir unbedingt ansehen.“

Diese ließ die gerade erst geöffneten Einweckgläser stehen und eilte zu Emma hin. So standen beide schließlich in einem weitläufigen Gewölbe. Mit Stahlträgern an der Decke und einem Pfosten in der Mitte wirkte er wesentlich robuster als der Rest des Gewölbes. Es waren ebenso vereinzelt Bänke an den Wänden aufgestellt. Auf diese konnte man sich jedoch nicht mehr setzen. Das Holz war unglaublich morsch und feucht. Es wirkte, als würden die Möbel schon seit Ewigkeiten hier unten stehen und vermodern. Emma schaute ihre Freundin nachdenklich an.

„Was war denn das einmal für ein Raum?“

„Ich brauche dir wohl nicht erklären, was ein Luftschutzkeller ist?“, erwiderte Hanneliese.

„Nein, das weiß ich noch sehr gut. Ist das hier wirklich ein Überbleibsel aus den Kriegszeiten? Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas noch in Freiberg gibt. Diese grauenhaften Zeiten möchte ich am liebsten vergessen. Es war schlimm damals.“ Emma schaute Hanneliese traurig an. „Ich sehe förmlich die Leute mit ihren Kindern und ihren schnell gepackten Taschen hier sitzen. Sie hörten damals bestimmt die Detonationen näherkommen und beteten, dass sie verschont blieben. Ich bin froh, dass es heute so etwas wie Krieg nicht mehr gibt. Stell dir mal vor du müsstest hier in der Kälte und Feuchtigkeit sitzen, um auf den Einschlag und das Verderben zu warten.“

Hanneliese hob die Schultern. „Das alles ist nun schon sehr lange her. Das Einzige, was daran erinnert, ist dieser muffige Raum. Und wenn wir irgendwann nicht mehr auf der Welt sind, werden die Leute darüber nur noch Geschichten in Büchern haben. Komm, sonst werden wir niemals fertig. Mit dem Ort hier und allem was dazu gehört, haben wir nichts zu tun.“

Sie harkte Emma unter, um sie zu ihre Kellerbox zurückzuführen. Letztlich galt es für sie zwei, nach wie vor den Keller auszumisten. Emma blieb aber wie angewurzelt stehen. Hinter ihrem Rücken klafft ein Loch in der Wand. Es war, als wäre der Keller an dieser Stelle eingebrochen.

„Sieh mal, Hanneliese. Es schaut so aus, als ob die Mauer eingestürzt wäre.“

„Das wirkt aber eher, als hätte da jemand die Wand aufgebrochen. Das ist viel zu gleichmäßig.“

„Meinst du wirklich? Wer macht denn so etwas? Was soll das überhaupt?“

Vorsichtig tasteten sich die beiden älteren Damen im Schein der Taschenlampe vorwärts. Neugierig beäugten sie die Öffnung in der Mauer.

„Leuchte mal mit der Lampe darein.“

„Das ist bestimmt ein Gang“, vermutete Emma.

„Das ist ein finsteres Loch. Wie willst du da einen Gang sehen?“

Sie leuchteten in das Gewölbe hinein und sahen, dass es weiterführte. Überraschung spiegelte sich auf Emmas Gesicht wider. Der Lichtkegel schaffte es nicht, ein Ende zu erleuchten. Überhaupt wirkte der Gang viel mehr wie ein Stollen. Die Wände erzeugten den Eindruck, als wären sie teilweise aus dem Felsen gehauen. Nur an einigen Stellen war Mauerwerk zu erkennen. Leicht abschüssig ging es in ungeahnte Tiefen weiter.

Emma war sehr aufgeregt und wollte gleich nachsehen, wohin der Stollen führt. Für sie war in dem Augenblick die Entrümplung vergessen. Neugierig hatte sie bereits einen Fuß in die Öffnung gesetzt. So etwas entdeckte man nicht alle Tage. Vielleicht war es ein besonderer Gang mit einem Geheimnis.

„Halt, wo willst du hin? Da gibt es nichts. Das ist nur ein alter Fluchttunnel aus dem Luftschutzbunker.“

„Eventuell gibt es etwas da hinten zu entdecken“, warf Emma ein.

„Ich glaube nicht. Nun komm, sonst müssen wir morgen früh noch mal ran. Ich wollte das heute fertigbekommen.“

Hanneliese drängte ihre Freundin, sie sollten endlich mit der Arbeit beginnen. Emma war trotz der Worte aufgeregt. Sie machte Anstalten gänzlich in das schwarze Loch zu treten.

„Du mit deinem kranken Bein. Der Boden ist ganz uneben und voller Geröll. Da sind bestimmt auch Ratten, Mäuse und wer weiß noch was für ein Ungeziefer drin“, hielt Hanneliese sie stattdessen zurück. Sie lachte. „Oder gar ein Berggeist wohnt in dem Stollen.“

Emma winkte hingegen ab. „Du alte Unke. Du machst immer alles schlimmer, als es in Wirklichkeit ist. Das ist nur ein dunkler Gang – mehr nicht. Was soll mir da schon passieren?“

Hanneliese warf verzweifelt die Hände in die Höhe. „Was soll das jetzt schon wieder heißen? Wir haben uns was anderes vorgenommen. Oder etwa nicht? Da kannst du auch noch später nachsehen.“

„Wer weiß, wer die Wand aufgebrochen hat und warum? Interessiert dich das nicht?“

„Mich? Wie kommst du darauf? Ich will das nicht wissen. Los jetzt, endlich!“ Hanneliese wollte ihre Freundin aus dem schwarzen Loch ziehen.

„Ach komm“, bettelte Emma. „Sei doch bitte nicht so. Das wird mit Sicherheit ein riesiges Abenteuer. Was soll uns schon passieren? Deinen Keller schaffen wir heute trotzdem noch. Zehn Minuten reichen bestimmt aus. Ich will nur einen kurzen Blick riskieren.“

„Ich erzähle dir sehr gerne, warum es gefährlich ist, so einen Stollen zu erkunden“, erwidert Hanneliese. „Wir wissen zum einen nicht, wohin er führt oder was sich dahinter befindet. Als ich klein war, hat mein Vater den Gang zugemauert, fällt mir gerade ein. Ich wusste aber nie, ob die Geschichte wirklich stimmt. Er sagte damals zu meiner Mutter, dass der Stollen bis zum Elisabethschacht führt. Außerdem soll er irgendwie auch bis zu anderen Ausgängen am Untermarkt verlaufen. Da kann noch alte Munition aus dem Krieg herumliegen. Verstehst du? Das ist ein einziges Labyrinth. Wer weiß, für was der Stollen ursprünglich gegraben wurde. Es hieß auch, dass hier früher eine Außenstelle des Nonnenklosters angesiedelt war. Meines Wissens wurde hier schon ein paar Mal umgebaut. Früher war zeitweise eine Fabrik für Drähte im Hinterhaus. Im Erdgeschoss hat es auch eine ganze Zeit lang ein Geschäft für Konfektionsmode und zu DDR-Zeiten für Jugendmode gegeben.“

„Ernsthaft?“, fragte Emma nach und staunte verblüfft über diese Auskunft. „Hat Freiberg ein geheimes Labyrinth unter seinen Straßen und Häusern?“

„Das ist aber nicht mehr allzu vielen Leuten bekannt. Ich weiß noch nicht einmal, ob es überhaupt Aufzeichnungen von den Gängen unterhalb des Hauses gibt. Die sind meines Wissens nach schon sehr alt. Ich glaube sogar, die existieren seit dem Mittelalter.“

„Das weiß möglicherweise das Oberbergamt in Freiberg“, mutmaßte Emma.

Hanneliese sah ihre Freundin nachdenklich an. „Vielleicht. Meinen Vater kann ich jedenfalls nicht mehr fragen. Der ist schon lange verstorben.“

Trotz aller Einwände hatte Emma das Abenteuerfieber gepackt. Sie leuchtete mit der Taschenlampe immer wieder in den Eingang des Stollens hinein.

„Die Mauer ist nicht zufällig eingestürzt“, erwiderte sie abermals. „Da hat bestimmt einer nachgeholfen. Ich bin mir da hundertprozentig sicher.“ Emmas Gesicht war vor lauter Aufregung gerötet.

Hanneliese schüttelt indes verzweifelt ihren Kopf. „Was willst du denn hier noch untersuchen? Du siehst doch, dass der Stollen bis auf das Geröll leer ist.“

„Willst du denn nicht wissen, was in dem Gang ist und wohin er führt?“

„Eigentlich nicht. Komm Emma, wie wollen uns meinen Keller vornehmen. Deswegen sind wir hier unten. Das hier geht uns nichts an.“

Hanneliese lief langsam den Weg zu ihrer Kellerbox zurück. Es war offensichtlich, dass sie kein Interesse an einem Abenteuer hatte.

„Du wohnst doch aber hier.“ Emma stellte dies ganz nüchtern fest. „Da musst du doch wissen wollen, was in deinem Keller passiert. Oder etwa nicht? Mir wäre es auf jeden Fall wichtig.“

„Das ist mir jedoch egal. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ich habe mit meinem unaufgeräumten Gerümpel-Keller ganz andere Sorgen.“

„Warte doch mal!“

Emma lief hinter Hanneliese her. Letztendlich akzeptierte sie, dass es der Keller ihrer Freundin war. Außerdem hatte sie ihr versprochen, ihr zu helfen. So machten sich die beiden Damen daran, sich durch den Unrat des Kellerabteils zu wühlen.

 

Spät am Abend war der Keller soweit sortiert, dass sie am Dienstag den Container befüllen konnten. Hanneliese hatte alles herausgesucht, was noch ein wenig Wert für sie besaß. Viel war es allerdings nicht. Im Großen und Ganzen konnte sie das meiste ohne Gewissensbisse entsorgen. Den Rest für den Abfalldienst hatte sie im Hausflur in einer Ecke gestellt. Hanneliese verschloss die Kellertür und ging mit Emma in ihre Wohnung.

Durch die Arbeit hatte sie den Kellerzugang komplett vergessen. Sie war müde und erschöpft. Allein wegen des Mülls, der in die normalen Haustonnen kam, musste sie oftmals die Treppen hoch und wieder runter laufen. Ohne ihre Freundin hätte das niemals geschafft.

„Ich danke dir Emma, dass du die ganzen Einweckgläser geöffnet und entleert hast. Das hat mir viel Zeit und Arbeit erspart. Ich mache mir jetzt einen Tee. Soll ich dir auch eine Tasse aufbrühen?“

„Ja gerne. Mir geht der Gang nicht aus dem Kopf. Warum wurde er freigelegt? Umsonst macht sich doch niemand die Mühe?“

Zehn Minuten später schlürften beide den heißen Tee.

„Ach Emma, du hast Sorgen. Ich kann mich ja mal im Haus umhören, wenn es dich so brennend interessiert. Vielleicht weiß einer meiner Nachbarn etwas von Bauarbeiten. Am Ende wird nur eine neue Wasserleitung gelegt oder etwas in der Art. Es gibt bestimmt eine vollkommen banale Antwort dafür. Da bin ich mir sicher.“

„Eventuell hast du ja recht. Das war ein anstrengender Tag für mich“, meinte Emma daraufhin. „Danke für den Tee. Ich werde jetzt nach Hause gehen. Es ist auch schon ziemlich spät. Ich werde bestimmt wie eine Tote schlafen.“

„Wir sehen uns morgen wieder, wenn du dich erholt hast.“

„Ja.“ Emma lachte laut. „Denk aber an meinen Bauernhasen. Den bekomm ich auf jeden Fall noch von dir. Wenn ich anfangs auch nur auf Abenteuersuche aus war.

„Du hast absolut recht“, meinte Hanneliese. „Und nochmals vielen Dank für deine Hilfe. Ohne dich hätte ich es nicht so schnell erledigt bekommen. Schaffst du es nach Hause oder soll ich dir ein Taxi rufen?“

„Nein, nein, das musst du nicht. Es ist doch noch hell. Zudem sind genügend Leute unterwegs. Da mach ich mir keine Sorgen, dass mir etwas passieren könnte.“

Emma griff in dem Moment in ihre Jackentasche. Unvermittelt hielt sie die Einladung einer Kaffeefahrt vom letzten Monat in der Hand. Hanneliese hatte den Brief ebenso bekommen. Erstaunt schaute sie auf den Prospekt in Emmas Hand.

„Wieso hast du die Einladung noch? Das war doch ein riesiger Reinfall. Einmal und nicht wieder. Alles gratis haben sie uns versprochen. Dazu sollte es auch noch Geschenke geben. Zum Schluss wurden wir aber nur gedrängt, überteuerte Rheumadecken zu kaufen.“ Hanneliese lachte laut auf. „Auf der Rückfahrt gab es ein gewaltiges Theater um die Fernseher. Die Leute glaubten doch wirklich, sie erhalten eine Flimmerkiste als Gewinn umsonst.“

Emma zeigte mit einem Finger an ihre Stirn. „Stell dir mal vor: Für alle fünfzig Mitreisenden eine große Fernsehkiste? Da hätte der Bus mindestens noch einen Anhänger benötigt. Wie kann man alte Leute nur so übers Ohr hauen?“

Hanneliese zuckte die Schultern. „Es fallen aber immer wieder Leute darauf rein.“

Es war für Emma langsam Zeit, nach Hause zu gehen.


II

 

Olaf Schulze und Mike Müller saßen gelangweilt am großen Springbrunnen. Der Brunnen war eine Zierde im hiesigen Stadtpark. Sehr schön und an seinem Rand mit farbenprächtigen Blumen bepflanzt lud er zum Verweilen ein. Wechselnde Fontänen gab dem Wasserspiel seinen besonderen Reiz, der einzigartig in der Bergstadt war. Ringsherum standen etliche Bänke bereit. Dies wurde von den Parkbesuchern auch oft und gern angenommen. So war hier immer etwas los.

Von all dem bekamen Olaf und Mike allerdings nicht sonderlich viel mit. Wie jeden zweiten Tag lungerten die beiden mit ein paar Flaschen Bier in der Sonne auf einer der Parkbänke herum. Der bereits zuvor genossene Alkohol hatte längst angeschlagen. Die Wärme tat ihr Übriges, um die Gedanken der beiden Männer träge dahingleiten zu lassen. Mit schon schwerem Kopf sinnierten die Trinker über ihre Leben und die Welt.

„Ein Springbrunnen aus Bier wäre mal eine echt gute Idee.“

„Da hast du recht. Wir bezahlen mehr als genug Steuern. Das könnte das Rathaus auf jeden Fall mal machen. Das haben wir uns echt verdient.“

Das Duo schlug sich mit Gelegenheitsarbeit durchs Leben. Olaf war geschieden und hatte keine Lust, sein sauer verdientes Geld für Frau und Kind auszugeben. Sein Äußeres wirkte eher ungepflegt aus. Die Jeans hatten zudem schon länger keine Waschmaschine gesehen. Die letzte Rasur war bereits über eine Woche her. Er räkelte sich gelangweilt auf der Bank, mit einer Flasche Bier in der Hand. Vorbeischländernde Spaziergänger schüttelten nur angewidert mit dem Kopf.

„Haben die denn keine Arbeit?“, schimpfte ein älteres Ehepaar im Vorbeigehen.

Mike war Witwer. Er sah im Gegensatz zu seinem Kumpan sauber und gepflegt aus. Für Miete und Nebenkosten reichte die Witwenrente gerade so aus. Essen und Trinken verdiente er sich durch gelegentliche Nebenjobs. Mike war fleißig, wenn er nicht gerade an der Flasche hing, und wurde gern für kleine Arbeiten angesprochen. In seiner Freizeit traf er sich oftmals mit Olaf auf ein Bierchen. Dies war in letzter Zeit allerdings sehr häufig vorgekommen. Gute Nebenjobs gab es momentan leider nicht mehr viele. Seit die Arbeitslosenzahlen beständig stiegen, hatte ihn sein Glück gänzlich verlassen.

Mike und Olaf kannten sich noch aus Kindheitstagen. Die zwei wurden von den Leuten gemeinhin als Sonnenscheinbrigade beschimpft. Zu oft traf man sie an sonnigen Tagen auf den Parkbänken der Stadt an. Das ließ die zwei aber vollkommen kalt. Warum arbeiten, wenn es auch anders ging? Das Leben konnte so schön sein, wenn man es nur zuließ. Die anderen buckelten bis zum Umfallen und hatten schlussendlich im Grab auch nichts mehr davon, das war die Philosophie von Olaf. Im letzten Hemd waren bekanntlich keine Taschen. Bis zur Rente hatten sie noch ein paar Jahre vor sich.

Sie öffneten gerade die nächsten Bierflaschen, als Ingolf auf die beiden zulief. Er war ein gut gekleideter Mann, der immer die neuste Mode trug. Ingolf kehrt bei gemeinsamen Treffen immer den Geschäftsmann heraus. Er war groß, blond, ein Frauentyp und hatte immer jede Menge Geld zur Verfügung. Zumindest wusste er, wie man es schnell beschaffen konnte. Von regelmäßiger Arbeit hielt er ebenso wenig wie sie. Seine anderweitigen Jobs brachten ihm aber genug ein, um davon gut zu leben. Kleinigkeiten kamen für ihn nicht in Frage. Es mussten schon Sachen sein, die man leicht und lukrativ verkaufen konnte. Antiquitäten lohnten sich immer, war seine Devise. Stets darauf bedacht, nicht die kriminelle Linie zu überschreiten, war er bis jetzt sehr gut durchs Leben gekommen.

Er schaute von oben auf Olaf und Mike herunter. „Schönen Tag euch zwei. Alles okay soweit?“

„Wie immer Ingolf. Das weißt du doch. Was gibt es Neues bei dir?“ Ingolf setzte sich zu dem Duo auf die Bank. „Seid ihr nüchtern, oder soll ich morgen wieder vorbeikommen?“

Die zwei sahen Ingolf fragend an. Es war, als könnten sie mit der Frage nichts anfangen. „Was willst du denn von uns? Wir sind immer nüchtern.“

„Ich habe Arbeit für euch, eine kleine Sache hier in Freiberg. Es gibt dafür Geld bar auf die Hand.“ Dabei rieb er Daumen und Zeigefinger in einer bekannten Geste zusammen.

„Da sind wir doch gern dabei“, ergriff Mike gleich das Wort. „Wann geht es los? Was müssen wir machen? Erzähl mal, ist es gefährlich? Wir haben keine Lust, wieder in den Knast einzuwandern.“

„Alles der Reihe nach“, beschwichtigte Ingolf.

„Wie viel springt eigentlich für uns raus?“, brachte Olaf die wichtigste Frage ein. Er war darauf bedacht, halbwegs sachlich zu bleiben.

Mike sprang indes aufgeregt auf und stellte seine Bierflasche neben der Bank ab.

Olaf trank vermeintlich gelangweilt weiter. „Für ein Äppel und ein Ei mache ich nicht mit“, betonte Olaf. „Da muss schon ein bisschen was für uns drin sein.“

Er hatte keine Lust, sich für ein paar Euros die Hände schmutzig zu machen. Trotz seines Lebensstils hatte er Prinzipien, an die er sich hielt. Gelangweilt drehte er deswegen Ingolf und Mike den Rücken zu. Im gleichen Moment leerte er sein Bier in einem Zug.

„Es lohnt sich auf jeden Fall für euch, das reicht für viele Bierchen. Versprochen. Sonst hätte ich euch doch nicht gefragt“, untermalte Ingolf.

„Du hast uns immer noch nichts darüber erzählt“, knurrte Mike.

„Morgen früh geht es los“, fiel Ingolf Mike ins Wort. „Ich habe für euch schon alles vorbereitet. Ihr müsst euch überhaupt gar keine Sorgen machen. Das ist ein ganz lockeres Ding.“

„Warum so kurzfristig?“, meinte Olaf. „Wir müssen uns doch erst vorbereiten. Stimmts Mike?“

„Das ist ein ganz einfaches Ding. Wirklich. Es ist eigentlich kaum der Arbeit wert.“ Ingolf blieb ganz sachlich.

„Um was geht es denn nun?“, wollte Mike Müller endlich erfahren. „Wieso rückst du nicht mit der Sprache raus? Wie viel Mal muss ich den noch nachfragen?“

Ingolf legte beruhigend die Hand auf Mikes Schulter. „Einer meiner Kunden hat die sogenannte Lade der Freiberger Tischlerinnung im Stadt- und Bergbaumuseum entdeckt. Egal was es kostet, er will sie unbedingt haben. Versteht ihr? Wir reden hier von dem Museum am Untermarkt. Das ist praktisch komplett ohne Sicherheitstechnik. Da gibt es noch nicht einmal richtige Kameras. Nur so uraltes Zeugs aus den frühen Neunzigern.“

„Was ist denn eine Lade?“, wollte Mike wissen.

Olaf winkte ab. „Bestimmt ein alter Schrank mit großen Türen.“

„Eine Lade? Was soll daran so interessant sein?“, Mike fragte sich, weshalb jemand so ein komisches Ding haben wollte. „Die kannst du dir doch auf jedem Flohmarkt beschaffen. Wozu brauchst du dann uns dafür?“

„Außerdem bin ich noch nie in ein Museum eingestiegen“, erwiderte Olaf. „Ich wüsste gar nicht, auf was ich da achten soll.“

Ingolf zeigte nur wenig Interesse an dem Gemaule der beiden. „Die Hauptsache ist doch, der Auftraggeber bezahlt ordentlich. Oder seid ihr andere Meinung?“ Ingolf schaute die beiden fragend an, bekam aber keine Antwort. „Hört einfach mal zu. Das ist wirklich kein großes Ding. Ich war schon vor Ort und habe mich umgesehen. Unabhängig davon habe ich bereits einen Weg gefunden, auf dem ihr ungesehen ins Museum kommt. Praktisch hab ich schon die ganze Drecksarbeit für euch erledigt. Ihr braucht euch nur um den Transport zu kümmern. Mehr nicht. Wenn ihr euch beeilt, ist die Sache in einer halben Stunde geschafft. Oder benötigt ihr für läppische dreißig Minuten zehn Tage Vorbereitung?“

„Ist ja schon gut, Ingolf. Erzähle weiter!“, drängelte Mike.

„Was ist das für ein Gang?“, wollte Olaf wissen.

„Da ist ein altes Gewölbe unter Tage, das keiner mehr kennt“, beantwortet Ingolf die Frage.

„Doch nicht etwa ein Stollen, wo wir auf alle Vieren kriechen müssen?“ Mit zusammengekniffenen Augen sah Olaf Ingolf ungläubig an.

„Quatsch Olaf, so was würde ich euch nicht antun. Ich weiß doch, dass ihr nicht mehr die Jüngsten seid. Der Gang ist in einem alten Keller versteckt. Da war schon jahrelang kein Mensch mehr. Das ist ein ganz sicheres Ding.“ Ingolf betonte nochmals: „Es sind keine Leute anwesend, die dumme Fragen stellen. Ich war schon ein paarmal dort. Da ist niemand, der den Keller aufsucht oder benutzt. Mike, hast du auch noch Fragen oder ist nun alles klar?“

„Naja, Olaf hat schon recht mit seiner Frage. Wie ist der Gang beschaffen? Ein bisschen genauer würde mich das schon interessieren.“

Ingolf holte tief Luft. „Also Jungs, der Gang ist nicht sonderlich breit. Ihr müsst hintereinander gehen. Ihr könnt aber aufrecht laufen. Da müsst ihr euch absolut keine Gedanken machen.“ Ingolf zeigte ihnen mit den Händen, wie schmal der Weg war. „Ich habe die Breite ausgemessen. Ihr könnt die Lade problemlos der Länge nach transportieren.“

„Wie sieht denn die Lade aus?“ Mike schaute Ingolf fragend an.

Ingolf wurde zunehmend ungeduldig. Er hatte nicht vor, den ganzen Tag im Park mit den beiden Säufern zu verbringen. Für ihn gab es mehr als genug vorzubereiten.

„Es ist einfach eine Holzkiste mit Verzierung. Nicht sehr groß, aber dafür schwer“, antwortete Ingolf langsam genervt. „Deswegen brauch ich auch euch zwei. Allein bekomme ich das Ding nie bewegt.“

„Und wir sollen nur die Kiste holen?“, fragte Olaf neuerlich.

„Absolut richtig. Ihr transportiert nur die Lade durch den Gang, die Kellertreppe hoch und anschließend durch den Hausflur auf die Thielestraße. Dort warte ich mit einem Auto zum Abtransport auf euch.“

„Du hast uns immer noch nicht verraten, was dabei für uns herausspringt.“

Er überhörte das Gejammer von Olaf. „Wenn ihr schnell seid, ist die Sache in weniger als einer Stunde erledigt“, erwiderte Ingolf.

„Von wegen viele Bierchen. Da mache ich nicht mit. N´ paar Hunderter bar auf die Kralle – sonst bin ich raus“, schimpfte Olaf vor sich hin. „Für ein Äppel und ein Ei riskiere ich doch nicht meinen Hals. Das kannst du auf jeden Fall vergessen.“

Ingolf sah Mike fragend an. „Und was sagst du dazu?“

„Da ist ja auch noch ein gewisses Restrisiko dabei. Irgendwas kann immer schief gehen. Am Ende müssen wir dann den Kopf für alles hinhalten.“

Ingolf winkte genervt ab. Sonderlich viel mehr Geld wollte er den beiden für die knappe Stunde Arbeit nicht geben. Letztlich ging es von seinem Anteil ab. Im Prinzip waren die beiden nur einfache Handlanger.

„Wir reden später nochmal über die Kohle. Okay? Habt ihr sonst noch Fragen?“ Dabei schaute er von einem zum anderen.

„Von wegen später, wir wollen jetzt wissen, was für uns herausspringt. Du hast doch bestimmt mit deinem Auftraggeber einen Preis ausgemacht.“ Olaf hatte nicht vor, die Verhandlung auf später zu verschieben.

„Mensch Olaf, nerv mich nicht. Ihr wertet schon ordentliches Geld von mir bekommen. Macht euch da mal keine Sorgen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir zusammenarbeiten. Bis jetzt haben wir immer eine vernünftige Lösung gefunden.“

„Was du unter ordentlich verstehst, sind mit Sicherheit nur Peanuts.“ Olaf gab Mike einen Schups. „Sagt doch auch mal was dazu. Das Hin und Her mit den Kröten nervt mich.“

„Ihr macht euren Job und ich verspreche euch, dass es keine Probleme gibt. Alles andere ist meine Sache. Mit dem Tunnel wird das fast wie ein Spaziergang.“

„Spazierst du auch für uns in den Knast, wenn etwas schiefgeht?“ Olaf sah Ingolf misstrauisch an.

„Ich sagte euch doch, das Ding ist hundertprozentig sicher. Da wird nichts passieren.“

Mittlerweile waren alle Bänke entlang des Brunnens besetzt. Kinder tobten wild umher. Ein kleines Mädchen kreischte besonders laut, während es von einem älteren Jungen verfolgt wurde.

Ingolf holte tief Luft. „Wenn die Gören nicht bald still sind, drehe ich noch durch.“ Er konnte Kinder nicht leiden – gleich gar nicht, wenn sie wild herumtollten und durcheinanderschrien. Er wusste schon, warum er keine Familie gegründet hatte. „Die Bälger rauben einen den letzten Nerv.“ Er konzentrierte sich wieder auf Mike und Olaf. „Also ihr beiden, hört gut zu: Ich habe vor einem halben Monat Volker Meier einen Angestellten des Museums kennengelernt. Ich brauche ihn für meinen Plan und hatte nicht damit gerechnet, dass er mir so schnell zusagt. Erst gab er sich als netter junger Mann. Etwas später kam er mit der Sprache heraus.“

„Spann uns doch nicht so auf die Folter, Was wollte der von dir?“ Mike zeigte zunehmend Interesse an der Geschichte.

„Er brauchte dringend Geld und wollte mich anpumpen. Als er mir von seinem Hobby erzählte, habe ich abgelehnt, ihm etwas zu leihen. Er hat gesagt, ich soll es mir noch mal überlegen. Er würde mich auch am Gewinn beteiligen. Ich könnte auf jeden Fall schnell sehr reich werden.“

„Da bist du bestimmt weich geworden und hast ihn ein paar Scheinchen zugesteckt?“, unkte Olaf.

„Doch nicht für Pferdewetten. Ich bin ja nicht blöd. Da kannst du ganz schnell ein paar Tausender loswerden.“ Ingolf sah die beiden fragend an. „Wart ihr schon mal auf einer Pferderennbahn? Da geht es um viel Kohle. Man muss genau über die Pferde und Jockeys Bescheid wissen. Das ist eine Welt für sich.“

„Und? Hast du?“

„Sehe ich so dumm aus, mein Geld zum Fenster rauszuschmeißen?“ Ingolf hatte klare Prioritäten, für was er seinen Zaster ausgab.

„Hätte ja sein können“, ergänzte Mike.

„Mir war aber klar, dass ich Volker für den Raub brauche. Er arbeitet im Museum und kommt an die Schlüssel für jede Tür heran. So kann er, wenn seine Chefin nicht anwesend ist, überall ein- und ausgehen. Einen solchen Job erledigt man am besten, wenn jemand Bekanntes im Museum arbeitet. Dass er Geldschulden hat, macht die Sache umso einfacher für uns.“

„Sag bloß, das hat der dir erzählt“, meinte Olaf.

„Und der macht einfach so mit?“, fügte Mike hinzu.

„Nachdem wir erst einmal über das Geld geredet hatten, ging es relativ schnell. Er war sehr erleichtert über das Angebot und erzählte mir, dass er von diversen Männern bedroht werden würde. Sie haben ihm noch eine Woche gegeben, sonst brechen sie ihm die Finger. Ich will gar nicht wissen, bei wem der alles Wettschulden hat. Das klingt stark nach Mafia.“

„Mit wem hat der sich denn genau eingelassen?“, wollte Olaf wissen.

Ingolf hob dir Schulter: „Keine Ahnung woher die Schläger kommen. Mit denen ist auf jeden Fall nicht zu spaßen. Das hat Volker eingesehen. Entsprechend hat der mir seine Hilfe sofort zugesagt. Falls ich ein Teil seiner Schulden bezahle, macht er alles, was ich von ihm verlange. Er hilft euch, die Lade aus dem Museum zu tragen. Der Transport ist, wie schon gesagt, ziemlich einfach. Es geht einen schmalen Tunnel entlang und eine kleine Treppe hinauf. Das war es dann auch.“

„Gibt es keinen anderen Weg, die Kiste zu transportieren? Ich mag keine engen Räume.“ Olaf zeigte sich nach wie vor nicht überzeugt.

„Ich sagte dir doch, es gibt keinen anderen. Über den Museumseingang können wir sie auf jeden Fall nicht karren. Da sieht uns jeder. Die Notausgänge sind zudem alarmgesichert und die Fenster haben schwere Gitter. Obwohl die Sicherheitstechnik aus den Neunzigern ist, ist es eben doch ein Museum.“

„Wie habt ihr diesen Gang dann gefunden? Die Geschichte klingt irgendwie mysteriös.“

„Lässt du mich mal ausreden, sonst sitzen wir morgen noch hier. Volker hat die versteckte Tür per Zufall entdeckt. Der Zugang befindet sich hinter einem alten und schweren Schrank, den schon seit etlichen Jahrzehnten keiner mehr bewegt hat. Er hat das Ungetüm verrückt und den Eingang zu einem Stollen gefunden, der in den Untergrund von Freiberg führt. Ich bin durch den Tunnel bis zum Ende gelaufen und hab herausgefunden, wo man schließlich wieder an die Oberfläche kommt. Wir haben an der anderen Seite des Gangs den Eingang freigelegt. Mit einem Dietrich habe ich die Kellertür aufbekommen. Der Sache konnten wir aber immer nur dann nachgehen, wenn seine Chefin nicht anwesend war.“

„Und warum habt ihr nicht gleich die Kiste mitgenommen?“, wollte Mike wissen.

„Klugscheißer“, knurrte Ingolf. „Die ist viel zu schwer, um sie mit zwei Leuten zu transportieren. Die muss man mit einer Karre oder was Ähnlichem befördern. Außerdem hatten wir Probleme den Ausgang zugänglich zu machen. So etwas braucht Vorbereitungszeit. Das darf man nicht übers Knie brechen. Davon versteht ihr beiden aber nichts. Lass das mal alles meine Sorge sein.“

„Es klingt so, als hättest du dir tatsächlich Gedanken gemacht.“

„Das habe ich auch. Ohne Volker hätten wir gar keine Chance, unbemerkt zu der Lade zukommen. Er geht schon früh ins Museum und bereitete alles für uns vor. Glaubt mir, es gibt keinen anderen Weg, die Lade zu transportieren.“ Ingolf sah beide daraufhin fragend an: „Habt ihr noch was auf dem Herzen?“

Mike sprang von der Bank auf. „Kann man sich auch wirklich auf den Heini verlassen? Der hat doch bloß Eurozeichen im Auge.“

„Ingolf, was hast du den für einen Eindruck von dem Zocker“, wollte Olaf zugleich wissen.

„So genau kenne ich den Typ auch nicht. Es ist das erste Mal, dass er für mich arbeitet. Ich weiß nur, dass er Geld braucht und das dringend. Jetzt setzt dich endlich, Mike. Und mach nicht so einen Lärm“, fauchte Ingolf. „Ich sagte doch schon, auf Volker ist Verlass. Also haben wir jetzt alles geklärt? Seid aber pünktlich und vor allem nüchtern!“ Ingolf ermahnte sie mit ernster Stimme.

Empört sprang Olaf von der Bank auf. „Morgens trinken wir nie Bier, sehen wir aus wie Alkoholiker?“

Ingolf schmunzelte: „Ich habe Euch lange nicht gesehen und kenne eure Gewohnheiten nicht. Hört jetzt gut zu. Die Lade ist sehr schwer. Sie stammt aus dem Jahr 1659 und besteht aus dickem Holz und Metall. Die müsst ihr vorsichtig transportieren. Jede Schramme mindert den Wert.“

„Wie viel wird denn die Kiste überhaupt Wert sein?“, wollte Mike wissen.

Ingolf starrte ihn böse an und sprach weiter. „Was interessiert dich das? Vergesst lieber die Taschenlampen nicht und setzt euch eine Mütze auf.“

„Wozu denn das?“, schimpfte Olaf. „Es ist doch kein Winter.“

„Der Stollen ist niedrig, damit ihr euch nicht am Kopf stoßt.“

Olaf schüttelt den Kopf. „An was du alles denkst.“

Ingolf musterte die beiden mit einem Stirnrunzeln. Er war sich nicht mehr sicher, ob er die Richtigen für den Transport ausgesucht hatte. Nun war es aber zu spät. Sein Auftraggeber erwartete die Lade in den nächsten Tagen. In der kurzen Zeit würde er keinen Ersatz für die beiden Trunkenbolde finden.

Ingolf stand von der Bank auf und flüsterte: „Also ihr zwei, hört auf mit dem Saufen, damit ihr morgen einen klaren Kopf habt. Um sieben treffen wir uns vor der Haustür auf der Thielestraße. Da gebe ich euch den Kellerschlüssel und ihr könnt euch in Ruhe umsehen.“

„Und anschließend?“, fragte Olaf wissbegierig.

„Um acht macht Volker die versteckte Tür im Museum auf. Er hilft euch, die Lade zu transportieren. Er hat sich den Gang und den Keller ebenso schon ein paar Mal angesehen. Ihr habt mehr als genug Zeit, bis das Museum öffnet. Bis 9.00 Uhr sollte alles erledigt sein. Volker muss am Ende den Schrank wieder vor die Tür schieben und das Gebäude verlassen, ohne dass ihn jemand sieht.“

„Wie sollen wir das Ding denn überhaupt wegbewegt bekommen?“, stellte Olaf die nächste Frage.

„Wie ihr die Lade transportiert, ist eure Sache. Wie gesagt, ich habe schon mehr als genug vorgearbeitet. Jetzt seid ihr dran.“ Ingolf wurde langsam sauer. „Was ist nun?“

„Ich weiß nicht. Das ist mir alles irgendwie zu kurzfristig. Man kann sich nur schlecht darauf vorbereiten.“ Mike hatte Bedenken.

Ingolf riss der Geduldsfaden. Er winkte genervt ab und ging ohne Gruß in Richtung Stadtzentrum davon. Er hatte lange genug mit den zwei Säufern geredet. Wenn sie nicht wollten, musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Im Zweifel hatte er keine andere Wahl, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Mike rief im nach: „Sei doch nicht gleich eingeschnappt und komm zurück. Das war doch gar nicht so gemeint.“

Ingolf atmete erleichtert auf und ging zurück. „Euer hin und her habe ich satt. Entweder ein ja oder nein will ich von euch hören. Geht das mit uns klar?“

„Es ist bestimmt eine Knochenarbeit – mein armes Kreuz.“ Olaf stand gekrümmt von der Bank auf. „Für ein paar große Scheine geht es meinem Kreuz mit Sicherheit besser.“

„Ja dafür bin ich auch“, stimmte Mike gleich ein.

„Habt euch nicht so. Ihr bekommt bereits genug Kohle. Und Geld bedeutet für euch viele Bierchen und ein paar unbeschwerte Tage.“

„Ja, ich mach mit. Du hast Recht. Die Kröten kann ich gut gebrauchen.“ Mike nahm einen tiefen Schluck aus der letzten Bierflasche.

Gleichzeitig nickte Olaf Ingolf zu. „Abgemacht Chef!“

„Also, alles klar? Dann sind wir uns endlich einig. Bis morgen.“ Ingolf verabschiedet sich von den beiden mit Handschlag. „Sauft nicht mehr so viel. Ihr müsst morgen einen klaren Kopf haben.“

„Nein, nein. Das machen wir nicht“, erwiderten beide. „Du kannst dich auf uns verlassen.“

„Wir gehen auch gleich nach Hause“, meinte Olaf.

Er sammelte noch schnell die Bierflaschen ein, bevor es losging. Zugleich fing es zu regnen an. So schwankten sie beide los.

„Stell dir den Wecker!“, rief Mike seinem Kumpel nach.

„Ja, ja, ich werde es schon nicht verschlafen“ entgegnete sein Saufkumpan lallend.


III

 

Emma ging der Keller von Hanneliese nicht mehr aus dem Kopf. Warum der Gang freigelegt worden war, verstand sie nicht. Von Arbeitern oder einer Instandsetzung war nichts zu sehen gewesen. Dass da bestimmt eine Schweinerei dahinterstecken würde, davon war sie felsenfest überzeugt. Unruhig lief sie hin und her und hatte dabei Hannelieses Anwesenheit ganz vergessen. Noch immer befand sie sich im Wohnzimmer ihrer Freundin.

„Setz dich doch nochmal hin und renne nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn umher“, schimpfte Hanneliese. „Was geht dir denn eigentlich durch den Kopf? Wieso bist du so aufgedreht? So kenne ich dich gar nicht.“

„Ach, nichts weiter.“ Dabei winkte Emma ab. Sie wickelte provokativ die schmutzige Schürze ein und säuberte die verstaubten Schuhe. „Das war ein langer und harter Tag. Ich will nur noch nach Hause in mein Bett.“

„Wir haben es doch gut geschafft. Es war zwar viel zu tun, dank dir hat alles geklappt. Nun muss ich am nächsten Dienstag nur noch den kleinen Container füllen. Das kann ich auch alleine, Emma. Da benötige ich dich nicht. Vielen Dank noch mal für deine Hilfe. Unser nächstes Kaffeetrinken geht auf jeden Fall auf meine Rechnung. Das hast du dir redlich verdient.“

„Ach komm. Das ist doch nicht nötig. Ich hab das gerne für dich getan. Ich brauche auch mal deine Hilfe bei meiner Entrümplung.“ Emma verabschiedete sich von ihrer Freundin.

Im Gehen sah sie den Kellerschlüssel auf der Kommode liegen. Da hatte Emma plötzlich eine Idee. Sie packte den Schlüssel schnell ein. Wenn Hanneliese nicht wissen wollte, was es mit dem Loch in der Wand auf sich hatte, war das ihre Sache. Sie wollte es auf jeden Fall. Diese seltsame Öffnung in der Mauer beschäftigte Emma nach wie vor. Zudem war der Keller mittlerweile aufgeräumt. Hanneliese würde, bis der Container da war, nicht mehr in das Untergeschoss gehen. Den Unrat hatten sie beide im Hausflur in einer Ecke gestellt. Den Schlüssel würde sie in der Zwischenzeit unter Garantie nicht vermissen – so hoffte Emma zumindest.

Müde lief sie in Richtung Wernerstraße. Die Straßen waren wenig frequentiert. Ihre Gedanken schweiften in die sechziger Jahre zurück, als sie grade geheiratet hatte und ihre Tochter kurz darauf geboren wurde. Sie wohnten damals auch in einem alten Mietshaus wie Hanneliese. Wie waren sie zu jener Zeit froh gewesen, endlich eine Wohnung zu bekommen. Ihr Mann hatte ehrenamtlich beim Wohnbezirksausschuss geholfen. Dadurch wurden sie auf der Wohnungswarteliste weit vorgeschoben.

Zwei Jahre später kam ihr Junge zur Welt. Ihr Mann war in jenen Tagen unglaublich stolz, endlich einen Stammhalter zu haben. Sie hatten zwar kein Bad, die Toilette befand sich eine halbe Treppe tiefer und die Ofenheizung reichte kaum aus, das Wohnzimmer warm zu bekommen. Als kleine Familie waren sie jedoch glücklich und zufrieden gewesen.

Sie hatten damals noch keinen richtigen Kühlschrank. Da wurden die Lebensmittel noch in den Kellern untergebracht. Es ging für sie in jener Zeit fast täglich in das Untergeschoss. Holz und Kohle wurden ebenso beständig gebraucht wie andere Dinge des Alltags. Die Kellerzugänge wurden jeden Monat gereinigt. Es war nie so schmutzig wie bei Hanneliese in der heutigen Zeit. Wie die Zeiten sich doch änderten. Heutzutage war der Keller kaum mehr als ein Platz für Sperrmüll und Unrat.

Emma wollte an diesem Abend zeitig ins Bett gehen, um morgen gut ausgeschlafen zu sein. Ein heißer Tee und zwei kleine Schnitten waren ihre Abendspeise. Generell aß sie so spät eher selten etwas. Das hatte sie sich schon vor Jahren abgewöhnt. Im Bett fand sie jedoch keine Ruhe. Nach zwei Stunden stand sie auf, um sich neuerlich einen Tee aufzubrühen.

Ihr gingen so viele Gedanken durch den Kopf, dass es ihr schwerfiel, Schlaf zu finden. Vielleicht würde sie mit dem Lavendeltee endlich einschlummern können. Emma schlürfte wieder ins Bett. Die Müdigkeit wollte aber nicht kommen. Sie wälzte sich nur unruhig hin und her. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, sah sie die Maueröffnung vor sich. Es war, als würde der Gang sie anlocken. Das Geheimnis dahinter ließ sie einfach nicht zur Ruhe kommen.

Emma traf die Entscheidung, dass sie baldigst nachschauen sollte. Schon allein wegen ihres Seelenfrieden willens. Zugleich überlegte sie, ob sie Hanneliese von ihrer Idee erzählen sollte. Dann hätte sie ihr aber sagen müssen, dass sie den Schlüssel mitgenommen hatte. Emma hörte innerlich bereits Hanneliese schimpfen. Sollte sie wirklich gegen den Wunsch ihrer Freundin handeln? Da sie aber schon den Schlüssel entwendet hatte, war der Entschluss bereits gefallen.

Trotz dieser Einsicht konnte sie die weitere Nacht kaum schlafen. So stand Emma sehr zeitig auf, was sonst nicht ihrer Art entsprach. Sie frühstückte schnell und eilte anschließend zu Hannelieses Haus zurück. Die Haustür war jedoch zu. Damit hatte Emma nicht gerechnet. Einzig der Kellerschlüssel befand sich in ihrem Besitz. So kam sie leider nicht sehr weit.

Emma stemmte ihre Hände in die Hüften. Was nun, überlegte sie sich. Ihr sollte schnell etwas einfallen. Würde sie bei ihrer Freundin klingeln, hätte sie keine Erklärung, was sie schon so zeitig hier wollte. Ewig vor dem Haus herumstehen, bis jemand das Haus verließ, war jedoch genauso sinnlos. Zudem lag die Nachtfrische noch immer auf dem Straßenpflaster.

Emma drückte auf einen Klingelknopf. Anschließend rief sie: „Hallo? Ja, hier ist die Post. Darf ich ins Haus? Habe ein kleines Paket.“

„Dann klingeln sie doch beim Adressaten“, knurrte böse eine Männerstimme. „Da ist niemand da“, betonte Emma freundlich.

Schon wurde die Tür geöffnet. Wie leichtgläubig die Leute doch waren. Emma eilte auf die Kellertür zu und schloss mit dem entwendeten Schlüssel auf. Im Anschluss stieg sie die steile Treppe hinab. Sie hielt sich am Geländer fest und ging Stufe für Stufe hinunter. Auf halber Höhe machte sie eine Pause. Gestern ging es wesentlich besser, da hatte sie noch Hannelieses Arm als Stütze zur Verfügung gehabt. Schritt für Schritt stieg sie die restliche Treppe hinab. Die groben Steine an den Wänden und auf dem Boden machten es Emma schwer, Halt zu finden und vorwärtszukommen. Mit einer Hand hielt sie die Taschenlampe und mit der anderen stützte sie sich an der Wand ab.

Endlich hatte sie die letzte Stufe erreicht. Sie leuchtete den Kellergang entlang. Nirgends war etwas zu sehen. Das Gewölbe lag dunkel und so gruselig vor ihr, wie sie es gestern verlassen hatte.

„Ich habe keine Angst. Es sind nur paar Meter in einem schaurigen alten Gemäuer“, murmelte sie leise zu sich selbst.

Sie war fast am Eingang des Stollens, als sie von oberhalb der Treppe Stimmen hörte. Entsetzt blieb sie wie angewurzelt stehen. Hatte jemand mitbekommen, dass sie gerade hier einbrach? Möglicherweise hatte ein Hausbewohner die Polizei gerufen? Hätte sie doch nur auf Hanneliese gehört. Jetzt war es zu spät. Man hatte sie erwischt.

Ihr tat bereits das Bein weh, von der schlechten Treppe. So etwas konnte nur ihr passieren. Auf was ließ sie sich hier nur ein? Sie sollte sich schnellstens verstecken. Vielleicht sah sie dann keiner. Eventuell war es nur ein anderer Bewohner des Hauses, der hier etwas im Keller suchte. Wahrscheinlich würde er schon in ein paar Sekunden verschwunden sein.

Emma suchte sich hastig ein Versteck. Sie lief schnell ein paar Schritte in Richtung Luftschutzkeller und fand am Ende eine Nische. Sie hatte Glück. Der Schlupfwinkel war gerade so tief, dass sie sich gut darin verbergen konnte. Außer Männerstimmen, die näher kamen, konnte sie nichts ausmachen. Zu schwach beleuchtet war der Keller. Die Taschenlampe einzuschalten, verbot sich von selbst.

Emma schmiegte sich ganz fest an die Nischenwand. Die feuchten Steine an ihren Rücken ließ Emma frösteln. Verzweifelt trat sie von einem Bein auf das andere um den Schmerz darin etwas zu mildern. Sie konnte nur hoffen, dass es nicht allzu lange dauern würde. Ewig hielt sie die Position nicht aus.

Die Stimmen wurden immer lauter. Mittlerweile war Emma in der Lage, sie zu verstehen. Die Männer standen noch auf der Treppe. Sie war sich sicher, dass es keine Bewohner waren, die in ihren Keller wollten. Das waren schimpfende Männerstimmen und die hatten nur ein Ziel – den aufgebrochenen Gang.


IIII

 

Olaf und Mike waren überpünktlich vor dem verabredeten Haus eingetroffen. Von dem Lieferwagen und Ingolf war jedoch weit und breit keine Spur zu finden. Hatten sie sich vielleicht in der Zeit geirrt? Es waren noch gut zehn Minuten bis zur Verabredung. Die Haustür war allerdings bereits angelehnt.

„Wenn das nicht schon Ingolf war …“, meinte Olaf.

Mike nickte, „Ich sagte dir doch: Auf Ingolf ist Verlass. Es war ausgemacht, dass Ingolf sich um die Eingangstür kümmert. Also los, wir fangen schon immer an. Wir halten uns einfach an den Plan. Ingolf hat ja gesagt: Da kann nichts schiefgehen.“

Olaf hielt Mike am Arm fest. „Da ist jemand im Keller. Die Tür war nicht zugeschlossen und es brennt Licht, davon war gestern nicht die Rede.“

„Von wegen Licht. Soll das ein Witz sein? Eher eine Funzel, das kommt der Sache viel näher“, schimpfte Mike. „Wenn Ingolf die Haustür für uns geöffnet hat, wird er auch schon im Keller gewesen sein. Mach dir keine Gedanken.“

„Und wo ist der Transporter, den er mitbringen wollte?“, meinte Olaf. Er blieb auf der oberen Stufe stehen. „Pass auf, die Treppe ist steil und nicht sehr vertrauenserweckend. Da kann man sich schnell den Hals brechen.“ Er mahnte zur Vorsicht. Trotzdem klemmte er sich die Transportkarre unter den Arm und lief hinter Mike die Stufen hinab.

„Das fängt ja schon gut an.“ Er klammerte sich ans Geländer und stieg Stufe für Stufe die Treppe langsam hinunter. „Ich habe kein gutes Gefühl, wer weiß, was da unten auf uns zukommt? Da kann alles Mögliche passieren. Vielleicht sind da unten so große Ratten.“ Olaf zeigte mit den Händen die Größe einer Katze und grinste.

„Fängst du schon wieder damit an? So große Ratten gibt es gar nicht. Ich habe dir doch schon die Karre abgenommen. Was willst du sonst von mir? Soll ich etwa alles alleine machen?“, schimpfte Mike. „Wir waren uns doch einig mitzumachen. Was fängst du jetzt mit Diskutieren an? Warum hast du nicht gleich nein gesagt, als Ingolf dich gefragt hat?“

„Mich hat an der ganzen Sache, nur das schnelle Geld gereizt. Das soll ja nicht länger als eine Stunde dauern. Wehe, wir bekommen nicht die versprochene Belohnung. Ich schwöre dir, Ingolf kann sich dann warm anziehen. Da verstehe ich keinen Spaß.“

„Mensch Olaf, jammere doch nicht schon wieder.“ Mike sah ihn böse an. „Jetzt ist es zu spät, um zu kneifen. Gestern warst du noch Feuer und Flamme für den Plan. Auf den Heimweg hattest du große Pläne geschmiedet, was du alles mit dem Geld anfangen willst. Jetzt lass uns das endlich durchziehen. Ich lade dich auch hinterher auf ein Bierchen ein.“

Olaf versuchte jedoch, sich ein letztes Mal davor zu drücken. „Sieh dir mal die steile Treppe an. Wer weiß, wie lange wir durch den Stollen irren müssen. Das sieht aus wie in einem alten Schloss oder in einem Bergwerk.“

Mike wurde sauer: „Die Truhe ist für mich bestimmt viel zu schwer, um sie alleine zu transportieren, meine ich. Du musst mir helfen! Ich bin auf das Geld angewiesen. Nun komm schon du Angsthase, wir haben keine Zeit mehr zum Diskutieren.“

Statt einer Antwort lief Olaf los. Damit war diese Diskussion beendet. „Vielleicht wartet dieser Volker Meier hier schon irgendwo auf uns?“

„Quatsch, der ist bestimmt noch im Museum“, entgegnete Mike. Der soll uns nur die Tür öffnen und ein wenig beim Transport helfen. So war es zumindest ausgemacht. Ich hoffe, dass das auch so klappt. Also los jetzt …“

„Weißt du, wo der Eingang ist?“ Olaf leuchtete mit der Taschenlampe den Gang entlang. „Hier sieht alles gleich aus. Außerdem erkennt man bei dem schwachen Licht kaum etwas. Hätten die nicht wenigstens ein paar Lampen mehr einbauen können? Verdammt, lass uns erst mal den Stollen suchen. Ich will hier nicht die ganze Zeit mit der Sackkarre herumirren.“

„Keine Ahnung, wo es hier entlang geht. Lauf einfach nur immer geradeaus. Das muss irgendwo da hinten sein“, meinte Mike. „So groß wird der Keller schon nicht sein. Wir müssen endlich weiter. Dieser Volker wartet längst auf uns.“

„Treib mich doch nicht so an.“ Olaf stellte seine Transportkarre an der Treppe ab. Sie liefen den Kellergang suchend entlang. „Wir müssen ja erst einmal den Eingang finden.“

Olaf sah sich um und leuchtete mit seiner Taschenlampe in jeden Verschlag hinein. Erschrocken fuhr er zusammen, als er eine alte Frau in einer Nische stehen sah.

„He Oma, was suchst du denn hier im Keller?“ Er stand mit in den Hüften gestemmten Händen vor der verängstigten Frau.

V

 

Emma steckte noch immer in der Nische. Sie hörte die Männer mit schweren Schritten näherkommen. Ihr Herz wummerte vor Angst. So ein Gefühl hatte sie schon lange nicht mehr verspürt. Dafür war sie definitiv zu alt. Was hatte sie sich nur eingeredet, das Geheimnis des Mauerdurchbruchs enträtseln zu wollen. Sie war keine Miss Marple.

Hoffentlich sehen die mich nicht, ging es ihr durch den Sinn. Was soll ich denen sagen, warum ich in der Nische stehe. Ach ich weiß, ich habe ja den Schlüssel, fiel ihr ein. Sie könnte behaupten, dass sie hier wohnen würde. Sie konnte sagen, dass sie etwas gesucht hatte. Was es war, brauchte sie denen nicht auf die Nase zu binden. Erleichtert, dass sie eine Ausrede gefunden hatte, lehnte Emma sich wieder an die nasse Wand.

Plötzlich traf sie der Kegel einer Taschenlampe. Schmerzhaft stach das grelle Licht in ihren Augen. Sie hatte die ganze Zeit über im dämmrigen Dunkel der Nische gehockt. Die Lampe blendete sie nun extrem.

„Lassen Sie das. Hören Sie auf, mir ins Gesicht zu leuchten!“, forderte sie die Männer auf. „So etwas gehört sich nicht.“

Während noch farbige Punkte vor ihren Augen tanzten, trat sie unbeholfen aus der Nische hervor. Trotz ihrer zuvor ausgedachten Geschichte fühlte Emma sich sehr unwohl. Sie zitterte vor Angst.

„Na Oma, was machen wir denn hier?“, vernahm sie die flegelhafte Stimme einer der Männer.

„Ich habe gestern meinen Keller entrümpelt und wollte nur noch schnell was suchen.“

„Ist das nicht ein bisschen früh für dich?“

„Eine alte Frau braucht nicht mehr so viel Schlaf, wie ihr jungen Burschen“, erwiderte Emma. „Wer sind Sie denn eigentlich? Ich habe Sie hier noch nie gesehen.“

„Dasselbe kann ich Sie auch fragen“, entgegnete der Mann.

„Ich wohne hier und war in meiner Kellerbox. Das sagte ich bereits“, erwiderte Emma leise.

Die beiden Männer schauten sich fragend an.

„Na dann gehen Sie wieder in ihre Wohnung, ehe Sie sich erkälten“, sagte der eine der beiden.

„Sie zittern ja, gute Frau. Ist Ihnen vielleicht kalt? Dann sollten Sie wirklich schnell ins Warme. Bevor Ihnen noch etwas passiert“, gab der Zweite von sich. Dabei zeigte er mit einer Hand den Gang entlang in Richtung des Ausgangs. „Und laufen sie langsam – nicht, dass Sie noch stürzen.“

Emma nahm allen Mut zusammen. Das Zittern hatte zum Glück nachgelassen. Die Männer wollten gerade weiterlaufen, als die Seniorin sie ansprach.

„Darf ich endlich erfahren, was Sie hier wollen? Ich kenne Sie nicht und habe Sie auch noch nie in dem Haus gesehen.“

Empört ging sie auf die beiden zu. Angriff war noch immer die beste Verteidigung – auch wenn die Angst groß war. Mit einer Hand stützte sie sich sicherheitshalber an der Wand ab.

„Wir sind Handwerker, Oma. Sonst hätten wir doch keine Schlüssel“, antwortet der kleine dicke Mann. „Das Kellergewölbe sollen wir in Ordnung bringen. Irgendwo ist angeblich eine Mauer eingestürzt. Wir sind hier, damit niemandem etwas passiert.“ Der Sprecher grinste sie dabei unverschämt an.

Der ungepflegte große Mann nickte zur Bestätigung mit seinem Kopf. Emma ging gar nicht darauf ein. Das waren nur zwei normale Unholde. Sie hatte nun keine Angst mehr. Mutig stellte sie sich vor die beiden Männer.

„Der Eingang ist doch nicht von alleine eingestürzt. Denken Sie, Sie können mich veräppeln?“

„Wie kommen sie denn auf solch eine verrückte Idee? Wer soll denn Interesse daran haben, hier ein Loch in die Wand zu schlagen? Das macht doch überhaupt keinen Sinn“, antwortete der Größere der beiden.

Sie spürte genau, dass die zwei nur Lügen von sich gaben. „Es ergibt keinen Sinn.“

„Bitte was?“

„Es heißt richtig: Es ergibt keinen Sinn. Sie sagten: Es macht keinen Sinn. Das ist aber grammatikalisch falsch. Einen Sinn kann man nur geben und nicht machen“, berichtigte Emma ihn. „Und wo ist überhaupt Ihr Handwerkszeug? Oder wollen Sie den Eingang etwa mit der bloßen Hand zumauern?“

„Wir machen uns erst mal einen Überblick, was wir an Werkzeug und Baumaterial brauchen“, erwiderte der kleine Dicke.

„Sie gucken zu viele Krimis, gute Frau“, entgegnete der Große. „Wir müssen nun weiterarbeiten. Zeit ist Geld, wie Sie sich vielleicht vorstellen können. In der Baubranche wird man nicht fürs Herumstehen bezahlt.“

„Gehen Sie vorsichtig die Treppe hoch. Nicht dass Ihnen noch etwas passiert. Sie sind nicht mehr die Jüngste“, meinte abermals der Kleinere. „Haben Sie denn keine Kinder, die für Sie in den ungemütlichen Keller gehen könnten?“

Emma war empört. „Das geht Sie gar nichts an.“

Der kleine Dick legte seine Hand auf Emmas Arm. „Schon gut Oma. Das war doch nicht böse gemeint.“

Sie schaute die beiden Männer finster an und kochte vor Wut. „Ich bin nicht eure Oma. Schämen würde ich mich bei solchen Enkeln. Sie haben schlichtweg keinen Respekt vor älteren Damen.“

Emma schüttelte ihren Kopf und lief Richtung Treppe. Die Männer schienen zu denken, dass sie senil wäre. Aber nicht mit ihr – diese Flegel. Allerdings lief sie nicht die Stufen hinauf. Den Rotzlöffeln würde sie es zeigen – von wegen Oma, ärgerte sie sich. Stattdessen wartete sie eine Weile, um dann wieder zurück zu dem Durchbruch zu schleichen.

Die neugierige Seniorin hörte, wie sich die Schritte und Stimmen im Gang entfernten. Kurz darauf ging sie ein paar Meter in den Stollen und blieb stehen. Die Männer waren verschwunden, von wegen Handwerker. Ohne Handwerkszeug, nur einen Stoffbeutel – sie war alt aber nicht senil. Ihr war klar, dass hier etwas faul zu sein schien. So beschloss Emma, den beiden Männern hinterherzuschleichen. Es interessierte sie ungemein, herauszufinden, was hier gespielt wurde.

Noch dunkler, kälter und grusliger als der Keller lag der Gang vor ihr. In einigen Abständen hatten die Männer Kerzen aufgestellt. Wenigstens war sie so nicht genötigt, in völliger Finsternis durch die Dunkelheit zu schleichen. Ihre Taschenlampe anzuschalten traute sie sich nicht. Den Schein hätte man schon von sehr weit gesehen. Ihren Atem anhaltend spähte sie in den Stollen hinein. Etwas hören konnte sie jedoch nicht. Es war, als wäre sie hier unten komplett allein.

Emma schritt langsam aus. Innerlich hatte sie sich einen Ruck geben müssen, um loszulaufen. Gleichzeitig stützte sie sich an den Wänden ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Anfänglich noch gemauert, änderte sich die Beschaffenheit ziemlich schnell zu unbehauenem Felsen. Ihre Hände waren bereits nach kurzer Zeit kalt, schmutzig und nass.

Warum haben die früher solche Stollen unter Freiberg gegraben, ging es ihr durch den Kopf. Es sah nicht danach aus, als ob sie hier Erz abgebaut hätten. Welche Funktion konnte das Gewölbe aber sonst gehabt haben? Hatte das alles mit dem Bunker und der NS-Zeit zu tun?

Nach fünf Minuten änderte sich nichts an der Situation. Noch immer stolperte sie mehr schlecht als recht über den unebenen Boden. Vereinzelt standen kleine Kerzen am Rand. Von den beiden ungehobelten Burschen war weiterhin nichts auszumachen. Emma fühlte sich plötzlich unwohl und empfand Angst. Es war eine natürliche Abneigung gegen diesen Stollen. Menschen sollten sich schlichtweg nicht darin aufhalten.

Zunehmend wurde ihr klar, dass es besser war, zurückzugehen, bevor ihr noch etwas zustoßen würde. Mehr als einmal wäre sie beinahe gestolpert. Geröll und Unrat bedeckte allerorten den Boden. Sollte ihr hier etwas passieren, konnte sie lange auf Hilfe warten. Auch ängstigte sie die Aussicht, neuerlich den Möchtegern-Handwerkern zu begegnen. Was sollte sie ihnen dann als Ausrede für ihre Anwesenheit erzählen? Es war auf jeden Fall besser, zurückzulaufen und die Polizei zu verständigen. Dies hätte sie von Anfang an tun sollen.

So tastete sie sich langsam an den Wänden entlang. Hoffentlich kam sie schnell genug aus dem Keller heraus. Ihr Bein schmerzte immer stärker. Emma war froh, als sie den Ausgang ein paar Meter vor sich sah. Erschöpft lehnte sie sich an die Wand und schloss kurz die Augen.

Die schmutzigen Hände wischte sie sich an der Schürze ab. Überhaupt war ihre Kleidung mittlerweile verdreckt und die Schuhe voller Schlamm. Ob sie diese je wieder sauber bekam? Schon nach kurzer Zeit fühlte sich die Seniorin etwas besser. Der enge Stollen und die muffige Luft hatten ihr sehr zu schaffen gemacht. Hoffentlich kam sie nun die steile Treppe ohne Schwierigkeiten nach oben.

Emma lief langsam weiter und stützte sich an den Holzlatten der Kellerboxen ab. Sie drehte sich ab und zu um. Hoffentlich kamen die Männer nicht so schnell zurück. Plötzlich entdeckte sie eine Sackkarre. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Als sie vorhin die Treppe heruntergestiegen war, befand sich die Karre noch nicht hier. Das konnten nur die beiden Typen gewesen sein. Wozu brauchen die Flegel aber eine Karre? Sie hatte nichts Schweres gesehen, was mit einer Karre zu transportieren gewesen wäre.

Aus Richtung Luftschutzkeller vernahm sie unvermittelt ein Geräusch. Erschrocken wendete Emma sich herum.


VI

 

Mike und Olaf lachten laut auf. Sie traten in den Gang hinein. Alles war so, wie Ingolf es ihnen beschrieben hatte. Bis jetzt lief die ganze Sache problemlos ab. Einzig das Fehlen ihres Auftraggebers irritierte die beiden. Davon ließen sie sich jedoch nicht stören.

„Die Frau war aber nicht gut drauf“, meinte Mike.

„Eventuell hat sie nur schlecht geschlafen“, warf Olaf ein. „Die Enkel können mir vielleicht leidtun, bei so einer aufdringlichen Oma. Wenn die jeden so angeht wie uns …“

Mike lachte. „Aber Mut hatte sie, uns beiden so entgegenzutreten.“ Er leuchtete mit der Taschenlampe den Stollen entlang. „Sei vorsichtig Olaf. Das ist alles noch viel schlimmer, wie ich es mir vorgestellt habe. Ingolf hat uns zwar gewarnt, dass der Boden feucht ist. Das hier ist jedoch eine einzige Schlammpiste. Das wird ein ganz schönes Gebuckel werden.“

„Wie ich es mir gedacht habe. Wir müssen ab und zu eine Kerze hinstellen. Ich hoffe doch, du hast sie nicht vergessen“, fragte Olaf Mike.

„Ich doch nicht“, antwortete Mike beleidigt. „Was denkst du von mir? Dass ich ein Anfänger bin?“

Er holte einen kleinen Beutel mit Kerzen aus der Jackentasche. Im Abstand von ein paar Metern entzündete er immer wieder eine Kerze. Auf dem Rückweg würde er sie wieder einsammeln. Vorsichtig schlichen sie den engen Gang entlang.

„Das wird aber schwierig werden, die Kiste durch den Stollen zu transportieren“, meinte Olaf.

„Mit der Karre werden wir das schon schaffen. Mach dir da keine Gedanken. Ich hab schon ganz andere Sachen durch die Gegend gefahren. Da bin ich Profi drin.“

„So eine Kälte aber auch. Sind wir vielleicht bald da? Ich hätte nicht gedacht, dass es hier unten so ausschaut.“

„Ingolf hat gesagt, er hätte alles genau ausgemessen.“ Mike war sich ziemlich sicher. „Es kann nicht mehr so weit sein. Irgendwo da vorn oder so.“

Olaf blieb plötzlich ruckartig stehen. „Hier geht es nicht weiter. Da ist eine Treppe.“

„Dann sind wir richtig.“

Olaf stieg langsam ein paar Stufen hinauf.

„Klopf dreimal kurz an die Tür“, mahnte Mike. „Das ist das vereinbarte Zeichen. Auf der anderen Seite müsste dieser Volker auf uns warten. Wehe der ist nicht da und ich bin diesen ganzen Weg umsonst entlang gestolpert.“

„Was ist, wenn eine andere Person öffnet?“, jammerte Olaf.

„Wir sind doch Handwerker. Wie viele Male muss ich dir das noch sagen. Die Tür steht nicht auf unserem Bauplan. Deswegen mussten wir nachschauen. Klopf jetzt einfach an, sonst stehen wir morgen noch hier herum und frieren uns den Arsch ab.“

„Ist schon gut. Ich mach ja schon.“ Olaf nahm sich endlich ein Herz.

Gespannt warteten sie auf eine Reaktion. Als auch nach etlichen Sekunden noch nichts geschah, wurden sie ungeduldig. War das auch die richtige Tür? Stimmte die Zeit? War es überhaupt der ausgemachte Tag? Olaf und Mike sahen sich verwirrt an.

„Los, klopf noch einmal. Vielleicht hat er uns auf der anderen Seite nicht gehört.“

Diesmal erklang das verabredete Zeichen. Volker klopfte viermal gegen die Tür. Es war alles in Ordnung. Grell blendete das Licht, als der Türflügel herum schwang. Dahinter wurden sie von Volker erwartet.

Mike sah sich den Mann genauer an. Er war ein großer schlanker Mann, mit im Nacken zusammengebundenen Haaren. Ungebügelte verschlissene Sachen, die nicht mehr ganz sauber waren, spannten sich über seinen hageren Körper. Im Gesicht zierten ihn etliche rote Flecken. Er wirkte insgesamt sehr aufgeregt und fahrig. Genauso ein Wirrkopf hatte ihnen gerade noch gefehlt.

„Hat euch Ingolf geschickt?“ Volker sah die beiden skeptisch an. „Ihr wollt die Truhe tragen? Ernsthaft?“

„Ja, wer sonst“, knurrte Mike. „Oder hast du mit noch anderen einen Deal?“

„Ein wenig spät kommt ihr aber schon. Eigentlich war eine andere Zeit ausgemacht. Wir müssen uns jetzt beeilen. Meine Chefin kommt gleich.“ Volker trieb sie zur Eile an. „Ich warte schon seit mindestens einer halben Stunde hier. Ich wäre beinahe wieder gegangen.“

„Es ging nicht schneller. Wir wurden aufgehalten“, erwiderte Mike.

Volker winkte ungeduldig ab. „Ausreden! Los jetzt. Wenn ich euch helfen soll, das Ding zu transportieren, muss es jetzt geschehen. Falls meine Chefin vor Zehn kommt, dann sind wir aufgeflogen.“

„Wo müssen wir denn hin? Sag bitte nicht, dass sie irgendwo oben ist“, Olaf schwante schon Übles.

„Nein, die ist gleich da hinten.“

Volker führte sie ein paar Meter durch das Museum. Mike war schon einmal als Kind hier gewesen. Allerdings war das bereits viele Jahre her. Mit ausgeschaltetem Licht und ohne Menschen wirkten die Räume seltsam entrückt. Für die einzelnen Objekte in den Vitrinen hatten sie keine Augen. Eigentlich wollten sie den Job nur so schnell wie möglich hinten sich bringen.

Für etliche Sekunden blieben alle drei Männer vor der Innungslade stehen. Ihnen zeigte sich eine reich verzierte und durch die vielen Jahre abgedunkelte Holzlade. Beschläge, feine Zimmermannsarbeiten und kunstvolle Intarsien rundeten das Bild ab. Das war definitiv nicht nur ein einfacher Holzkasten.

„Also … und jetzt?“, ergriff Mike als erstes das Wort.

„Na, ihr müsst sie nun wegtransportieren“, stellte Volker das Offensichtliche fest.

„Dafür sind wir hier. Sollen wir die tragen?“ Olaf war verwirrt.

„Das ist mir doch egal, wie ihr das Ding wegbekommt. Hauptsache ihr beeilt euch damit. Also los jetzt oder wollt ihr, dass ich das mache?“

„Nein, dafür sind wir ja da. Hast du aber keine Sackkarre für uns?“, fragte Mike.

„Es war ausgemacht, dass ihr eine mitbringt.“ Volker wurde zunehmend ungehalten.

„Siehst du, das hab ich dir doch gesagt“, Olaf spielte sich oberlehrerhaft auf. „Genau deswegen hab ich eine dabei. Ich wusste, dass das passiert.“

„Warum hast du sie dann im Keller zurückgelassen? Wenn dir klar war, dass wir eine brauchen, hättest du sie ja gleich mitbringen können.“

Mike und Olaf lieferten sich ein kurzes Streitgespräch wegen der Sackkarre.

„Verdammt, dafür haben wir keine Zeit“, wurde Volker noch ungeduldiger. „Eine Karre habe ich leider nicht hier. Wir müssen eure nehmen. So wie es auch ausgemacht war. Und kommt ja nicht auf die Idee, zurückzulaufen und eine zu holen. Das geht nicht. Die Zeit wird knapp.“

„Was willst du stattdessen machen?“ Mike hatte keine Ahnung, auf was das hinauslaufen sollte.


VII

 

„Ich hole die Karre und ihr bleibt solange hier. Beziehungsweise könnte ihr die Lade schon immer in den Stollen tragen. Die Treppe runter bekommt ihr sie eh nicht gerollt.“ Volker zwängte sich zwischen den beiden Typen hindurch.

Dass er gezwungen war, mit solchen Dilettanten zusammenzuarbeiten, damit hatte er nicht gerechnet. Überhaupt hatte der Plan viel einfacher geklungen, als Ingolf ihn überredet hatte. Wenn er nicht so sehr auf das Geld angewiesen gewesen wäre, hätte er bei der Sache nie mitgemacht. So war er nun auf Gedeih und Verderb diesen beiden Schwachköpfen ausgeliefert. Das konnte nur schiefgehen.

„Weißt du denn überhaupt, wo du hin must?“, fragte Olaf ihn.

„Na logisch. Mit Ingolf bin ich den Gang schon ein paar Mal entlang gegangen. Da macht dir mal keine Sorgen. Ich kenne den Stollen und außerdem bin ich wesentlich schneller als ihr.“ Volker schaute die beiden hämisch an. „Sorgt nur dafür, dass dann alles bereit ist.“

Mit den Worten verschwand Volker in der Tür, die in die Tiefen des Stollens führte. Wie ausgemacht brannten aller paar Meter kleine Kerzen auf dem Boden, um den Weg zu beleuchten. So hatte er keine Probleme, den Gang in relativ kurzer Zeit bis zu seinem Ende zu laufen. Ein paar Augenblicke später stand er im Keller des Wohnhauses, das er bereits vor Tagen ausgekundschaftet hatte. Es überrascht Volker, dass es bis jetzt so reibungslos verlaufen war.

Irgendwo hier musste sich doch die Sackkarre befinden. Zumindest hoffte er darauf, dass die beiden Typen keinen Mist erzählt hatten. Der Keller war jedoch genauso schlecht beleuchtet wie der Gang zuvor. Erschrocken blieb er stehen, als ihn eine Stimme aus dem Zwielicht ansprach.

„Wer sind Sie denn und was wollen Sie hier?“

Wie vom Donner gerührt sackte sein Herz in die Hose. Damit hatte er hier am allerwenigsten gerechnet. Hatten die beiden nicht gesagt, in dem Keller wäre niemand? Wie konnte es also sein, dass ihn hier jemand ertappt hatte. Nun war alles vorbei. Sie würden auffliegen. Wahrscheinlich war bereits die Polizei hierher unterwegs. Er würde ins Gefängnis kommen. Auf keinen Fall hätte er diesen Job annehmen sollen. Das war ein Riesenfehler gewesen.

Nachdem Volker sich vom ersten Schrecken erholt hatte, begriff er langsam die Situation. Eine alte Frau hielt die Karre fest in ihren Händen. Es erweckte aber nicht den Anschein, als ob die Oma die Polizei gerufen hätte. Vielmehr schien es eher eine zufällige Begegnung zu sein. Auf den sich langsam legenden Schock begann Volker, wütend auf die Frau zu werden.

„Was machen Sie mit meiner Karre?“, fauchte er die Oma zornig an?

Er hatte es eilig und die Alte kam im falschen Augenblick.

„Da kann ich Sie das Gleiche fragen. Was wollen Sie eigentlich mit der Karre im Keller? Vor allem will ich aber wissen, wer Sie sind. Sie habe ich hier noch nie gesehen. Wo kommen Sie überhaupt her? Und wo sind die anderen beiden?”

Volker überhörte ihre Frage und griff nach der Karre. Die Alte hatte niemanden verständigt. Davon war er fest überzeugt. Außerdem war er es leid, sich ständig von Frauen herumkommandieren zu lassen. Was bildete sich die alte Schachtel nur ein? Die Alte sah ihn herausfordernd an.

„Die gehört Ihnen doch gar nicht. Wieso kommen sie aus dem Gang? Wo führt der hin und wo endetet er?“, fragend sah sie ihn.

Langsam ging ihm die alte Schreckschraube auf die Nerven. Was nahm sich die Oma heraus, ihn hier solange aufzuhalten. Er hatte es eilig. Es würde nicht mehr lange dauern, bis seine Chefin im Museum erschien.

„Ich habe keine Zeit für Ihr Gelaber. Her mit der Karre! Aber dalli!“ Entgegen seiner Erwartung sah sie ihn frech an und ließ sich nicht einschüchtern.

Mit beiden Händen zog sie die Karre vor ihrer Brust und hielt sie krampfhaft fest. „Ich will jetzt endlich wissen, wer Sie sind“, harkte sie nochmals nach. „Oder gehören sie zu den zwei Handwerkern, die in den Gang verschwunden sind? Was machen die beiden da eigentlich?“

Volker hob die Schultern. „Die Karre gehört mir“, behauptete er. „Und von irgendwelchen Arbeitern weiß ich nichts. Ich hab keine Ahnung, was Sie von mir wollen. Gehen Sie doch jemand anderem auf die Nerven.“

Sie schüttelte jedoch nur ihren Kopf und hielt die Sackkarre weiterhin krampfhaft fest.

Schließlich riss Volker der Geduldsfaden. Er zerrte ihr die Karre aus der Hand und schimpfte: „Neugierige alte Schachtel.“ Anschließend schubste er die erschrockene Frau weg.

Sie wollte sich noch festhalten, griff aber ins Leere. Die Frau konnte sich nicht mehr auf den Füßen halten. Volker sah sie noch zu Boden fallen. Dabei dachte er bei sich: So geht es eben neugierigen, sturen Omas. Sie hatte es definitiv so verdient. Ohne sich um sie zu kümmern, eilte er zurück zu den beiden Männern im Museum. Der Rückweg kam ihm dabei wesentlich länger vor.

„Du warst wohl erst noch Kaffeetrinken“, schimpfte Mike „Erst maulst du uns an, dass wir uns eher bei dir hätten melden sollen. Selbst bummelst du aber herum. Wir warten schon eine gefühlte Ewigkeit auf dich.“

Volker glaubte ihnen kein Wort. Olaf stand im Schein der Kerzen mit rotem Gesicht am Fuß der Treppe, die ins Museum führte. Wahrscheinlich hatten es die beiden gerade eben erst geschafft, die Truhe bis hier herunter zu tragen. Fit sahen sie auf jeden Fall nicht mehr aus.

„Du willst uns doch nicht weiß machen, dass du so viel Zeit für den Gang gebraucht. Was ist passiert?“

„Kein Kommentar“, knurrte Volker. „Nichts, was euch interessieren sollte. Können wir jetzt vielleicht endlich mal loslegen? Wir haben nicht ewig Zeit.“

Mike nahm Volker währenddessen die Karre ab. Sie luden anschließend unbeholfen die Lade auf und fuhren langsam den Gang entlang. Es war für sie sehr umständlich, die schwere Truhe den engen Stollen entlangzuschieben. Der Schacht war stellenweise gerade einmal so breit wie die Lade. Volker schob und Mike musste rückwärtslaufen, um sie festzuhalten. Olaf sammelte zwischenzeitlich die Kerzen wieder ein und leuchtete mit der Taschenlampe den Gang ab. Trotz der Schinderei kamen sie relativ problemlos voran. Erneut wirkte der Hinweg auf Volker wesentlich kürzer.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739483245
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Februar)
Schlagworte
Thriller Sachsen Erzgebirge Krimi Sachsenkrimi Erzgebirgskrimi Bergstadtkrimi Freiberg Spannung Cosy Crime Whodunnit

Autor

  • Anita Wächtler (Autor:in)

Mutter, Großmutter, Familienoberhaupt und seit neuestem auch Krimiautorin. Mit ihrem ersten eigenen Roman Tod und Raub in der Silberstadt erfüllt sich die 1950 in Freiberg geborene Anita Wächtler einen Kindheitstraum. Nun heißt es für sie Abschied nehmen vom geruhsamen Lebensabend. Von jetzt an wartet das aufregende Leben einer Schriftstellerin auf die lebenslustige Seniorin.
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Titel: Tod und Raub in der Silberstadt