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Hunters Liste: Gehalten

von Margaux Navara (Autor:in)
104 Seiten
Reihe: Hunters Liste, Band 1

Zusammenfassung

Eine Villa erben und nicht wissen, was sie damit anstellen soll? Check! Eine Idee haben, aber keine Ahnung von der Umsetzung? Doppelcheck! Alice läuft die Zeit davon. Innerhalb eines Jahres muss sie einen Plan vorlegen, was sie mit dem Erbe ihrer Tante anfangen will, sonst ist es für sie verloren. Eine Idee hat sie: Einen Club wie der, den sie seit einer Weile besucht. Ein Ort, an dem man seine Kinks ausleben kann. Nur welches sind ihre Kinks? Um das zu erfahren, muss sie sich endlich auf all das einlassen, was sich bisher einzig in ihrer Fantasie abspielte. Hunter erstellt für sie eine Liste. Jeden Monat ein anderer Kink bei einem ausgewählten Lehrer. Jeden Monat ein neuer Ort. Aber ist der finstere, dominante Hunter wirklich so selbstlos oder verfolgt er eigene Ziele? Teil 1: Gehalten Alice springt kopfüber ins Kaninchenloch. Jay, ein Experte mit Seilen, führt sie im ersten Monat ein in seine Welt, die sie in mehr als einer Hinsicht fesselt. Explizit. Anregend. Einfühlsam.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Hunters Liste

1

Gehalten

Margaux Navara

© 2020 Margaux Navara – alle Rechte vorbehalten.

Coverfoto ©Tamara_k Depositphotos.com

Margaux Navara

c/o Papyrus Autoren-Club

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

margaux.navara@web.de

margauxnavara.com

Danksagung Christiane und Isabell, zwei tollen Frauen, die auch mal alles liegenlassen, um mir zu sagen, dass ich auf dem richtigen Weg bin (und trotzdem Kritik üben), gebührt mein Dank für aufmunternde Worte und kluge Hinweise. Schön, dass es euch gibt!

2

Alice hatte eine Führung durch die wenigen Räume erhalten, als sie das erste Mal gekommen war, aber damals war sie so fasziniert gewesen von den Menschen, dass sie kaum auf das Equipment geachtet hatte. Deshalb hatte sie nie in Ruhe den Inhalt des Schranks betrachtet.

„Hier hängen jede Menge Instrumente zum Schlagen, fürs Spanking, zur Flagellation, Paddlen, Floggen. So viele und noch weitaus mehr Bezeichnungen gibt es für diese Art von Spiel. Vor welchen davon hast du Angst?“

Hunter trat zur Seite, nachdem er die großen Türen bis zum Anschlag geöffnet hatte. Der Schrank war antik, was zu den Instrumenten passte, die darin lagen oder hingen.

Alices Wahl war schnell getroffen. „Die Bullwhip macht mir Angst.“

„Das ist verständlich. Sie ist kein Werkzeug für Anfänger. Weißt du, dass ich schon Kurse gegeben habe für die Verwendung von Peitschen aller Art? Auch der Bullwhip.“

„Nein, das wusste ich nicht. Aber ich glaube, ich brauche keinen Kurs.“

„Stimmt. Aber sollte jemals jemand eine Peitsche an dir verwenden wollen, kannst du deinen Partner fragen, ob er einen Kurs besucht hat. Gibt es noch mehr hier drin, was dir nicht zusagt?“

Alice sah sich alles in Ruhe an. Sie kannte Paddle und Flogger, auch Gerten, vorwiegend vom Zuschauen bei Szenen anderer. Bei ihrer ersten eigenen Szene hatte der Dom ein Paddle verwendet, das die Größe eines Tischtennisschlägers hatte. Es war ... naja. Es hatte geschmerzt. Sie hatte pflichtgemäß gestöhnt, wie sie es bei anderen beobachtet hatte. Nach zehn Minuten hatte der Dom aufgehört und Alice weggeschickt mit der Auflage, sich lieber noch ein wenig umzuschauen. Was er damit sagen wollte, war klar. Sie gehörte hier nicht her.

Und was sollte sie Hunter jetzt antworten? „Nein, alles gut.“

„Da hätten wir also Punkt eins. Spanking oder geschlagen werden. Das gehört natürlich nicht zum Pflichtprogramm einer Sub, die nicht masochistisch veranlagt ist, aber ich dachte, du hättest das angekreuzt?“

Woher wusste er, was sie auf ihrem Bogen angekreuzt hatte? Ach ja, der war ja für alle Doms einsehbar. „Ich glaube schon.“

„Aber du hast es noch nicht ausprobiert. Ich weiß. Du solltest es tun. Schlagen ist unter den Doms sehr weit verbreitet. Es dient ihrer Lust, sofern sie sadistisch sind wie ich, aber es ist auch Teil von Erziehungsszenen oder in D/s-Beziehungen, zumindest in allen dauerhaften Beziehungen, die ich kenne.“

Hunter griff in den Schrank und zog ein langes Lederstück hervor, fast wie ein Gürtel. Erst als sich die Spitze nach unten bog, erkannte Alice, dass es in zwei Teile gespalten war. „Das hier hast du übersehen, weil du es nicht kennst. Es handelt sich um eine Tawse, die so ziemlich die schwersten Schmerzen hervorrufen kann, die du dir vorstellst.“

Alice schauderte es, doch sie hätte unmöglich sagen können, ob es Abscheu oder freudige Erwartung war. Moment. Freudige Erwartung? Wie kam sie auf diese Idee? Wie konnte sie das sagen? Sie mochte Klapse auf den Po, aber keine richtigen Schmerzen. Oder?

Sie gestand sich genau in diesem Moment ein, dass Hunter recht hatte. Sie musste erst selbst ausprobieren, was sie wollte. Danach erst konnte sie beurteilen, was andere brauchten oder wonach es sie verlangte. Sie würde also wohl oder übel für Szenen zur Verfügung stehen müssen, egal mit wem.

„Wir können es testen. Aber ich kann dir jetzt schon sagen, dass ein einmaliger Test nichts über deinen Masochismus aussagen wird. Der hängt von viel zu vielen Faktoren ab, die nicht unter deinem oder meinem Einfluss stehen.“

Sie hatte es geahnt! Er wollte es an ihr ausprobieren! Dazu diente das alles.

Warum nur machte diese Idee sie so an, obwohl sie nicht auf Hunter stand, im Gegenteil, sogar von ihm abgeschreckt wurde?

„Such dir drei Teile aus, die wir nacheinander an dir testen werden.“ Er machte eine Pause. Ein Mundwinkel hob sich beinahe unmerklich. „Danach suche ich ein Teil aus.“

Sie beäugte ängstlich die Tawse in seinen Händen. Wählte er das? Wenn ja, sollte sie dann einfach flüchten?

„Es gilt das Club-Safeword ‚Mayday‘. Ich werde dich nicht fesseln. Du wirst dich für jedes Instrument an eine andere Stelle und in eine andere Stellung begeben, die ich dir zeigen werde.“

Alice schluckte schwer, doch dann nickte sie. Es war so weit. Sie war so weit. Oder?

Sie hasste sich für diesen Zweifel, der ihr jeden Spaß verdarb. Sie gehörte einfach nicht zu denen, die schon seit Kindheit von Schlägen oder Unterwerfung geträumt hatten, trotzdem fühlte sie sich unwiderstehlich zu der Szene hingezogen. Das Einzige, dessen sie sich sicher war, war ihre Einstellung, auf welcher Seite eines Paddles sie sich sah. Eindeutig nicht am Griff.

Natürlich überließ der Sadist ihr die Entscheidung, jedoch ohne die Tawse an ihren Platz zurückzulegen. Jede Sekunde, die verging, in der Alice seine Hände und das Leder darauf aus dem Augenwinkel beobachtete, als könne es zum Leben erwachen und sie anspringen, machte sie fickriger. Würde er das Ding benutzen? Sie konnte ihr Safeword sagen. Schreien wohl eher. Würde er aufhören? Ja.

Seltsam, dass sie sich dessen sicher war, obwohl sie ihn noch nie bei einer Szene mit einer der Subs beobachtet hatte.

Sie nahm sich ein Paddle aus schwarzem Leder, in das ein rotes Herz eingelassen war.

„Was noch?“ Keine Ungeduld, nur die Aufforderung, zu wählen.

Alice konzentrierte sich erneut auf die Sammlung. Hier empfand sie wieder das, was sie an jedem Tag vor der Tür des Clubs dachte. Was tue ich hier? Bin ich pervers? Bin ich krank? Das ist nicht normal. Aber sie war jedes Mal durch die Tür gegangen. Genauso streckte sie ihre Hand aus und griff nach einer Gerte. Noch nie hatte sie eine auf sich gespürt. Sie sah gar nicht so aus, als könne sie Schmerzen erzeugen. Nur ein kleines Lederstück an einem langen Stab.

Und dann passierte das, was sie an sich nicht leiden konnte. Ihr Stolz oder eher ein gewisser Hochmut ließ sie nach dem langen Rohrstock greifen. Sie hatte einmal die Striemen gesehen, die er hinterließ. Rot. Nein, mehr als rot, blutunterlaufene Streifen auf der Haut.

Ein Zittern überlief sie. Warum hatte sie danach gegriffen? Warum nur? Am liebsten hätte sie das Ding zurückgelegt, doch der gleiche Stolz, die gleiche Überheblichkeit verhinderte das.

„Wie du meinst. Jetzt bin ich dran.“ Hunter legte die Tawse zurück an ihren Platz.

Alices Herz machte einen Satz. Gott sei Dank. Dann fiel ihr wieder der Stock ein, der von ihren inzwischen weißen Fingern umklammert wurde. Sollte sie das Spiel hier abbrechen?

„Komm mit.“ Hunter hielt ihr eine Hand hin, doch sie interessierte sich viel mehr für das, was er in der anderen hielt. Sie kannte den Begriff Flogger, ein Griff und viele Schnüre. Bei diesem Exemplar schienen sie aus Leder zu sein, relativ breit und lang. Das Teil sah echt fies aus. Sie hatte es doch geahnt. Ein Sadist würde die Gelegenheit nutzen, eine Sub zu schlagen.

Sie klammerte sich an die Macht des Safewords. Sobald sie ‚Mayday‘ sagte, musste er aufhören.

Wirst du es sagen? Auf einmal war sie gar nicht mehr so sicher wie eben noch. Immerhin würde sie damit zugeben, schwach zu sein. Zu schwach vielleicht?

„Hör auf zu denken und lass dich auf das Spiel ein. Beuge dich hier über den Bock. Halte dich an den Ringen fest. Und spreiz die Beine.“

Seine Hand in ihrem Rücken drückte Alice über die halbhohe Spankingbank. Das weiche Leder empfand sie überraschend angenehm am Bauch. Die Ringe, an die normalerweise die Handfesseln eingehakt wurden, waren groß genug, damit sie danach greifen konnte. Erst als sie über der Bank lag, fiel ihr ein, dass sie ja noch bekleidet war. Heute hatte sie sich für einen sehr kurzen Rock entschieden, darunter ein String, darüber ein Top mit einem BH, der ihre Brüste anhob, um diese größer erscheinen zu lassen.

Hunter schien sich nicht an ihrer Kleidung zu stören. Seine Hand machte kurzen Prozess mit dem Rock, schob ihn hoch, so dass ihr Hintern entblößt war.

„Hier kommt das, was du zuerst gewählt hast.“

Ehe sie sich versteifen oder überhaupt vorbereiten konnte, klatschte es auf ihrem Po. Nicht sehr stark, nicht sehr schmerzend. Ja, sie spürte es, aber eigentlich war es harmlos. Alice war stolz auf sich, dass sie nicht rein aus Versehen geschrien hatte.

Sie kam sich vor wie bei einer Mutprobe. Sie musste nur durchhalten, musste die Zähne zusammenbeißen, dann würde sie dazu gehören. Dann würden die anderen sie akzeptieren, sie in ihre Runde aufnehmen. Ob man sie danach in Ruhe zuschauen ließ?

„Hoch mit dir.“

Hunter packte ihren Oberarm und half ihr wieder auf die Beine. Sie schaute ihn prüfend an. Hatte sie alles richtig gemacht? Hätte sie lieber schreien sollen? Bevorzugte er das vielleicht? Oh Himmel, das war alles so schwierig!

Hunter schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Alles klar?“

„Mhm.“

„Vergiss es. Ich erwarte eine richtige Antwort.“ Sein Ton war anders, härter, autoritärer.

„Ja, Sir.“ Eigentlich hasste sie diese Art von Bezeichnung, aber etwas Besseres war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen. Es hatte richtig geklungen. War es das nur, weil alle das sagten, oder weil sie es von sich aus als richtig empfand? Sie wusste, dass es das Letztere sein sollte, aber wie sollte sie ihre Wünsche von den Erwartungen trennen, von Konventionen, von nichtssagenden Formeln?

Er nickte und für einen Moment erschien er ihr sogar sympathisch. War das schon der Effekt, dass Stress eine emotionale Bindung hervorrief? Sie wollte aber keine Bindung an Hunter. Also rief sie sich wieder alles in Erinnerung, was sie von ihm wusste oder gehört hatte oder zu wissen glaubte.

„Hierher! Leg dich auf den Bauch.“

Alice kletterte auf die große Liege, beinahe wie eine Massageliege, ebenfalls mit Leder bezogen, wenn auch nicht so weich gepolstert wie die Bank von eben.

Wieder schob er ihren Rock nach oben, doch diesmal gab er keine Anweisungen, dass sie sich festhalten solle.

Der Schmerz kam tatsächlich überraschend. Ihre Hände flogen von alleine zu der Stelle, an der die Gerte aufgetroffen war. Für einen Schrei hatte es nicht gereicht, nur für ein lautes und erschrecktes Einatmen. Sie rieb über die Stelle, an der er sie getroffen hatte. Sie fühlte sich wärmer an als der Rest.

Ehe sie sich erheben konnte, drückte seine Hand sie fest auf die Liege. „Sag mir, wie sich das anfühlt.“

„Es hat wehgetan, aber nicht so arg, dass ich es nicht aushalten könnte.“

„Wie fühlst du dich dabei?“

Alice horchte in sich hinein. Seltsam. Nicht in einem positiven Sinn. Verwirrt, mit mehr Fragen als Antworten. Was sollte sie nur sagen? Was wollte er hören? Blödsinn, darum ging es doch nicht. Sie wollte ihn nicht beeindrucken. Warum auch? „Es hat mich nicht angemacht.“

„Weiter.“

„Ich ... fühle mich nicht besonders gut oder schlecht dabei. Es hat wehgetan. Die Liege ist einigermaßen bequem.“

Er schnaubte leise. „Fühl in dich hinein. Reflektiere deine Gedanken und Gefühle.“

Sie verdrehte die Augen. „Es war nur ein Schlag. Da passiert halt nicht viel.“ Das Gefühl, ihn zu betrügen, unterdrückte sie.

„Hierher.“

Es hätte sie interessiert, was er von ihr dachte. War sie ein hoffnungsloser Fall? Würde er sie danach des Clubs verweisen? Oder ihr sein Halsband umlegen wollen, wie sie es aus Büchern kannte?

„Stell dich auf die Matte, Beine gespreizt. Ja, so. Nun beug dich nach vorne und umfasse deine Knöchel.“

Eine seltsame Haltung, aber Alice war schlank und sportlich genug, sie einzunehmen. Als ihr endlich einfiel, welches Gerät als Nächstes an ihr ausprobiert werden würde, zuckte sie nach oben. Der Schlag traf sie auf halber Höhe. Schmerz jagte durch ihren Körper, eine Vibration, die über die Nervenbahnen direkt in ihren Kopf schoss. Dieser entschied, es sei Zeit, abzuhauen. Was folgte, war ein Satz nach vorne.

Starke Hände packten sie um die Mitte und hielten sie gerade noch auf, ehe sie mit dem Kopf an die Wand krachte. „Wenn du abhauen willst, solltest du es mal mit deinem Safeword versuchen. Durch diese Wand schaffst du es nicht.“

Alice hörte das Lachen in seiner Stimme und hasste ihn augenblicklich dafür. Es war seine Schuld, dass ihr Körper so reagierte! Seine Schuld, dass sich sein Arm um ihren Bauch so gut anfühlte, als wäre sie bei ihm in Sicherheit, nur weil ihr blödes Hirn einfach nicht verstand, dass er den Stock geschwungen hatte. Er war schuld! Er hatte sie geschlagen!

„Du hast mich geschlagen!“ Im gleichen Moment, in dem ihr das aus dem Mund purzelte, hätte sie sich am liebsten geohrfeigt. Was für eine blöde Bemerkung!

„Mir scheint, du lernst gerade eine ganze Menge auf einmal, Alice.“

Wie er ihren Namen aussprach ... Als wäre sie ein kleines Mädchen, ein Schulkind, das von nichts eine Ahnung hatte. Sie war siebenundzwanzig, zum Teufel! Schon lange kein Mädchen mehr.

Trotzdem blieb sie stumm. Er hatte schlussendlich recht. Sie lernte gerade eine Menge. Über sich. Über ihn. Über den Lifestyle.

„Hier entlang.“ Sie gingen in den Nachbarraum. Der gesamte Club bestand nur aus drei Räumen. Der Nebenraum war leer. Erst diese Tatsache brachte sie darauf, sich zu fragen, ob wohl andere das Ganze verfolgten. Aber sie hatte niemanden neben sich gesehen, hatte jedenfalls nicht das Gefühl, beobachtet zu werden.

Hier waren sie tatsächlich alleine.

„Jetzt kommt meine Wahl. Ein Flogger, wie du gesehen hast. Hast du schon einmal einen Flogger gespürt?“

„Ja. Aber einen anderen.“

„Vermutlich einen mit kürzeren Riemen. Waren sie auch schmäler?“

Sie nickte.

Hunter wiegte den Kopf bedächtig hin und her und betrachtete den Flogger in seiner Hand, als habe er Bedenken.

„Wie viele Schläge?“, wollte er wissen.

„Das weiß ich nicht mehr. Er ließ ihn kreiseln, da konnte ich nicht mitzählen. Vielleicht zehn?“

Wieder das Wiegen, dabei ließ er die Hand mit dem Schlagwerkzeug ein wenig sinken, als wolle er es weglegen.

Alices Herz klopfte heftig. Was wollte er ihr damit sagen? Glaubte er, der Flogger sei zu arg für sie? Bereute er seine Wahl? Aber sie war stark, kein Schwächling. Auf einmal war es ihr unglaublich wichtig, diesen Schlag aushalten zu können. Sie wollte es. Wollte das Spiel zu Ende spielen. Ihr war warm, wärmer als die Stelle auf ihrem Hintern, die er mit der Gerte geschaffen hatte. Ihr Atem ging flach und sie fühlte das Blut in ihren Ohren rauschen.

„Nur zehn?“ Hunter sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Hm.“

„Ich schaffe das.“

„Ja, könnte sein. Aber wird es dir auch gefallen?“

„Bestimmt. Ich meine, quatsch, ich weiß es nicht, aber wir wollten es doch ausprobieren. Ich soll doch spüren, ob es mir gefällt.“ Warum wollte er auf einmal aufhören, wo er sie doch selbst zu dem Spiel angestachelt hatte?

„Dieser Flogger hier ... Es wäre einfacher, wenn du erregt wärest. Bist du erregt?“

Alice schüttelte den Kopf. Nein, bestimmt nicht. Wieso auch? Bisher war nichts Erregendes passiert.

„Prüf es bitte. Bist du feucht? Haben sich deine Nippel aufgestellt? Ist dir warm?“

Ihre Nippel? Die waren hart, eindeutig. Das war doch gut zu sehen. Und klar war ihr warm. Aber feucht? Sie würde das nicht prüfen. Nicht vor ihm.

Außerdem genügte es, sich auf das Gefühl in ihrer Pussy zu konzentrieren. Erstaunlicherweise pulsierte ihr Unterleib und strahlte Wärme aus. Ja, sie war feucht, sie konnte spüren, dass das Band ihres Strings zwischen ihre Schamlippen gerutscht war. Sie waren also geschwollen. Eindeutig.

Aber wie sollte sie ihm das sagen? Einfach so? Ihre Muskeln krampften sich zusammen, was ihr weiter einheizte. Eine neue Welle an Wärme floss durch ihren Leib. Sie spannte den Beckenboden an und wurde sich dann bewusst, dass er das sehen konnte, so wie er sie beobachtete. Keine Reaktion von ihm. Steinklotz!

Das forderte sie heraus. „Ja, ich bin erregt. Feucht. Richtig feucht. Und meine Nippel sind hart.“

„Dann wollen wir es versuchen. Noch hast du die Möglichkeit, das Safeword zu verwenden.“

Alice zog die Schultern zurück und hob das Kinn an. „Was soll ich tun? Wie willst du mich haben?“

Oh fuck, das war eine ungünstige Formulierung gewesen. Er würde sie nicht haben, gewiss nicht. Wenngleich die Vorstellung, dass er sie schlagen und danach ficken würde, schon eine gewisse Faszination ausstrahlte. Wie hart wohl der Schlag werden würde? Nach seinem Verhalten zu schließen erheblich schlimmer als der Stockhieb. Sie stellte sich vor, wie die Welle des Schmerzes sie überrennen würde, gefolgt von einer Welle der Lust. Würde sie in den Subspace abtauchen, von dem sie oft hörte? Wie wäre es, genau in diesem Moment von ihm genommen zu werden? Oder von irgendeinem Mann?

Ihr Atem ging so schnell, dass ihr ganz leicht im Kopf wurde. Er sollte es tun, jetzt!

„Knie dich hin, Stirn auf den Boden, Arsch in die Luft. Balle die Hände zu Fäusten und strecke die Arme ganz aus.“

Oh ja, die perfekte Haltung für einen solchen Schlag. Alice biss die Zähne fest zusammen, machte sich bereit.

„Okay. Pass auf. Ich zähle bis drei, dann schlage ich.“

Oh Gott, ein Schauer durchlief sie. Kein Gedanke mehr, nur noch das Warten auf den Schmerz.

„Eins. Zwei.“ Eine etwas längere Pause. Wollte er doch zurück... „Drei!“

Der Schlag traf sie. Hitze schoss in ihre Pussy, ihr Arsch zuckte und Alice schrie. Ein spitzer Schrei, der ihr selbst durch Mark und Bein fuhr. Oh Gott, sie war beinahe gekommen. Für einen Moment nahm sie nichts anderes mehr wahr außer dem Rauschen in ihrem Körper, der sich kaum beruhigen wollte. Es war sonderbar still um sie herum. Sie spürte seine Anwesenheit hinter sich, doch er rührte sich nicht. Warum tat er nichts, sagte kein Wort?

Schwer atmend richtete sie sich auf, tastete nach ihrem Hintern. Da war der Striemen vom Stock, dort die noch warme Stelle der Gerte. Und wo ...?

Es dauerte eine Weile, bis sie ahnte, was geschehen war. Sie drehte sich um, starrte Hunter an und klappte dann den Mund zu. Dieses Arschloch! „Du hast gesagt ...“

„Nichts dergleichen habe ich gesagt. Hast du deine Lektion gelernt? Brauchst du Nachsorge?“

„Du Arsch!“

Mit einem Schritt stand er vor ihr und hielt ihr Kinn mit einer unnachgiebigen Hand. Sie musste ihn einfach anschauen. Seine Augen waren kalt und hart. „Ich gebe dir zwei Minuten, dann stehst du vor mir und entschuldigst dich. Zwei Minuten!“ Damit verließ er den Raum mitsamt seinem Flogger.

Einem völlig harmlosen Flogger, der vermutlich zum Streicheln gedacht war, aber garantiert keine Striemen hinterließ oder gar Schmerzen auslöste. Höchstens, wenn er stundenlang auf die gleiche Stelle traf.

Alice brauchte anderthalb Minuten, um die Unterhaltung zu rekapitulieren. Die zweite Hälfte der zweiten Minute brauchte sie, um aufzustehen und zur Bar zu gehen, wo Hunter gerade ein Glas Wasser in die Hand nahm.

Sie schnaufte ein weiteres Mal durch, dabei fiel ihr auf, dass sie immer noch erregt war und sich fühlte wie nach Sex ohne Höhepunkt. Geil, aber unbefriedigt. Aber auch das war nicht seine Schuld. Das hatte sie ganz alleine hinbekommen. „Entschuldige bitte, Hunter.“ Etwas verspätet schob sie noch ein „Sir“ nach.

„Hier, trink was. Und setz dich zu mir. Wir müssen reden.“

3

„Ich wiederhole mich ungern, aber ich frage dich noch einmal: Was suchst du?“ Diesmal war Hunters Ton nicht mehr so beiläufig wie vorhin.

Alice ließ den Kopf hängen. Hunter hatte sie mit ihrem Glas Wasser und einem Bier für sich zu einer der Couches geführt, wo sie in Ruhe reden konnten. Keine neugierigen Ohren in der Nähe. Keine Ablenkung. „Ich weiß es nicht. Ich habe viele Bücher gelesen, und jedes Mal, wenn ein Mann einer Frau etwas befiehlt, macht es mich an. Das will ich auch. Aber so vieles andere ...“ Sie hob den Blick und umfasste den gesamten Club in ihrer Geste. „Das ist mir so fremd. Alleine der Gedanke, dass mich ein Mann einfach schlägt, weil ich ihm die Erlaubnis dazu gegeben habe, das ... es ist so seltsam.“

Hunter sagte nichts dazu, aber sie spürte an seiner Haltung, dass er mehr erwartete.

Sie seufzte. Also dann. Zeit, den Elefanten auszupacken und ihn mitten auf den Tisch zu stellen. „Ich denke dann, dass ich verrückt bin. Durchgeknallt. Wie alle hier. Zugleich spreche ich mit Menschen wie Missi und stelle fest, dass sie eigentlich ganz normal sind. Außer eben in dem einen Punkt, in dem sie anders sind. Dann sind da all die Sachen, die mich total abschrecken, wie die Idee, dass ein Mann eine Frau haben möchte, die sich wie ein Kind verhält. Und dass eine Frau so kindisch sein kann und gleichzeitig so normal und vernünftig.“

Alice warf Hunter einen Blick zu. Er wirkte nicht mehr so finster, hörte aufmerksam zu und machte insgesamt den Eindruck, als interessiere er sich wirklich für ihre Nöte. „Selbst die nicht so extremen Sachen schrecken mich ab. Gefesselt zu sein, sich einem Mann, den man kaum kennt, komplett ausliefern zu müssen, das ist etwas, was mir Angst macht. Und mich doch auch anmacht. Irgendwie.“

„Wir kommen also zurück zu dem Punkt, den ich vorhin schon angesprochen habe. Du solltest mehr ausprobieren. Dich auf Dinge einlassen, ohne sie vorab zu verurteilen. Das gilt übrigens auch für Menschen. Du lässt sie nicht an dich heran, weil du Angst hast, dass du sie dann auch nett finden würdest, so wie Missi. Damit wären sie aber nicht mehr ‚diese Perversen‘.“

Er hatte vermutlich, möglicherweise recht. Hunter war das beste Beispiel. Auf Alice wirkte er pervers. Ein Mann, der mit Frauen spielte, vor anderen Männern, der sie manchmal mit anderen zusammen benutzte. Wenn das nicht pervers war, was dann? Aber das sagte Alice lieber nicht. Sie schätzte, dass Hunter ihre Meinung auch so erahnte. Er schien sie eh zu durchschauen, besser zu kennen als sie sich selbst.

„Ich probiere ja. Ich hatte schon drei Szenen mit anderen Doms.“

„Und du hast alle abgebrochen, ehe es richtig losging. Sag mir, warum.“

„Weil es sich nicht richtig angefühlt hat.“

„Welcher der Schläge eben hat sich für dich richtig angefühlt? Welcher war gut, welcher nicht?“

Ein kurzes Schnauben konnte sie nicht unterdrücken. Auch das wusste er längst. Und es fiel so schwer, es zuzugeben. „Der Letzte war gut. Er hat etwas mit mir gemacht.“

„Nicht der Schlag hat das mit dir gemacht.“

Alice schaute auf ihre Hände, die das Glas immer wieder ein Stück drehten und dann mit den Daumen die Kondenströpfchen abwischten. Sie sagte nichts dazu, wollte nichts sagen.

„Was hast du gelernt?“

„Dass es auch Spaß machen kann, geschlagen zu werden. Wenn ich im Kopf dabei bin.“

„Was noch?“

„Dass es nicht um das Schlagen an sich geht, sondern um das, was in meinem Kopf passiert.“

Hunter ließ diese Antwort eine Weile im Raum stehen, trank einen Schluck Bier und stellte das Glas wieder ab. „Es gibt D/s auch völlig ohne sexuelle Konnotation. Einige Subs wollen geführt werden, verlieren sich darin, zu dienen. Sie brauchen keinen Sex, keine Schläge, keine Fesseln. Doch ich glaube nicht, dass du zu diesen gehörst. Da ich dich alleine mit der Vorstellung erregen konnte, dass dich gleich ein harter Schlag treffen würde, dass ich dich überhaupt mit wenigen Worten in Erregung versetzen konnte, spricht dafür. Aber auch das solltest du ausprobieren. Warum willst du einen Club eröffnen?“

Die Frage kam überraschend. „Das ist nur eine vage Idee. Ich habe von meiner Tante ein Haus geerbt. Ein großes Haus.“ War es falsch, ihm das zu erzählen? Würde er versuchen, sie auszunutzen? Sie betrachtete seine gutsitzende lederne Hose und das schwarze Hemd. Wie stand er finanziell da? Unmöglich, das bei dem Licht abzuschätzen. Aber gut, dies war die Stunde der Wahrheit. „Das Haus wäre groß genug für einen Club. Dieser hier ist ja eindeutig zu klein. Ich möchte das, was ich in Büchern gefunden habe. Das muss doch keine Fantasie bleiben. Ein Platz, an dem sich eine Gruppe von Leuten trifft, von Hand ausgewählt, um dort eine gute Zeit zu haben. Doms und Herrinnen, die gegenseitig auf ihre Subs aufpassen. Von Zeit zu Zeit neue dazunehmen und ihnen zeigen, was richtig ist und was falsch. Vielleicht Kurse für Anfänger, Aufklärung über BDSM überhaupt und Gespräche für solche wie mich.“

„Ein löbliches Ziel. Meinst du nicht, dass es besser wäre, wenn du dafür mehr Erfahrung hättest? Wie willst du deine Gäste aussuchen? Wie willst du es einrichten? Du kannst deine Vorlieben als Ausgangspunkt nehmen, aber welches sind deine Vorlieben?“

„Ich weiß, eine blöde Idee ...“

„Nein, gar nicht. Eine fantastische Idee. Aber es ist noch zu früh. Warum schaust du dich nicht erst in der Szene um? Warum besuchst du nicht einfach andere Clubs, testest deren Einrichtung, aber nicht als Zuschauer, sondern als Teilnehmer, aktiv?“

Das könnte sie tun. Mit dem Geld, das sie geerbt hatte, könnte sie ihren Job aufgeben und nach Belieben reisen. Einfach so. Ihre Tante hatte ihr im Testament für das Jahr bis zur Entscheidung einhunderttausend Dollar zur Verfügung gestellt.

„Kannst du dir das leisten? Hast du Zeit?“ Natürlich waren Hunter die gleichen Fragen gekommen.

„Könnte ich. Nach dieser Erbschaft ...“ Für einen Moment schnürte ihr die Erinnerung an Tante Alberta den Hals zu. Sie hatte ihre Tante schon in ihrer Jugendzeit regelmäßig besucht, Einkäufe für sie erledigt und ihr einfach Gesellschaft geleistet. Diese hatte ihr dann das Studium der Gerontologie an der Brandeis University bezahlt, einer renommierten Universität. Seit einem halben Jahr war Alice fertig und arbeitete für einen Ausstatter von Altenheimen. Tante Alberta war vor drei Monaten gestorben, mit siebenundachtzig. Und hatte alles ihr hinterlassen. Das Haus, eine knappe Million Bares und noch so einiges andere, was sie noch gar nicht richtig erfasst hatte. Zumindest, wenn sie die Auflagen erfüllte.

„Wie wäre es, wenn wir eine Liste machen mit Dingen, die du unbedingt ausprobieren solltest? Dazu nehmen wir alle Kinks, die mir einfallen und du entscheidest, welche dich tatsächlich abstoßen. Über die reden wir später.“

Ihr fiel schon auf, dass er diese nicht einfach abtun wollte. Aber die Idee klang spannend. Immerhin war Hunter ein Fachmann. Oder? „Du kennst dich aus?“ Es schadete ja wohl nicht, zu fragen. Er wirkte etwas nahbarer, sofern man sich an einen Mann annähern konnte, der Dominanz ausstrahlte wie ein Reaktor atomare Strahlung.

„Ich bin seit mehr als 10 Jahren in der Szene und habe schon so ziemlich alles ausprobiert. Ich weiß, was ich will, ich nehme es mir, und ab und an nehme ich mich Neulingen wie dir an.“

„Dann schieß mal los.“

Er hob eine Augenbraue. Aha! Daher also das schiefe Gesicht und die einseitige Falte auf der Nasenwurzel.

Oh! Sie hatte für eine Sekunde seinen Rang vergessen.

„Wir sollten mit deiner Erziehung beginnen.“

„Ich möchte aber nicht von dir erzogen werden.“ Alice biss sich auf die Zunge. Hatte sie das tatsächlich gesagt? Eine dieser typischen Reaktionen von ihr, spontan, vorlaut.

„Wir sollten das anderen überlassen, die sich damit auskennen und auch die nötige Zeit dafür haben. Ich kenne einen Ort, der sich perfekt für dich eignet.“

„Du meinst, so eine Art Erziehungsanstalt?“ Alice konnte das Entsetzen nicht aus ihrer Stimme halten.

„Ganz genau.“

„Aber ... nein! Das ist nichts für mich.“

„Willst du dich darauf einlassen oder dich gleich sperren?“

Ach Mist. „Ich will mich darauf einlassen.“

„Dann mache ich einen Termin für dich aus. Einen Monat dauern diese Kurse in der Regel. Was noch? Bist du überhaupt masochistisch? Magst du Schmerzen?“

Die große Frage. Mochte sie das? „Irgendwie schon.“

Hunter zögerte nicht lange. „Das kommt auf die Liste. Hol mal ein Blatt, damit wir das notieren können.“

Alice ließ sich von dem Barmann Block und Stift geben. Ihr Herz klopfte schneller, zugleich lief ihr ein kalter Hauch über den Rücken. Was würde bei dieser Liste herauskommen? Hatte sie endlich die Chance, etwas über sich selbst zu lernen? Hunter hatte recht, sie würde nie Erfahrungen sammeln, solange sie nur als Beobachter in der Ecke hockte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752132953
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Fesseln Liebesroman Leidenschaft Club Abenteuer Unterwerfung SM Erotik Entwicklungsroman Bondage Liebe Erotischer Liebesroman Erzählungen Kurzgeschichten

Autor

  • Margaux Navara (Autor:in)

Margaux lebt BDSM. Kein 24/7, aber mit jedem Jahr, das vergeht, schleicht sich das Machtgefälle tiefer in alle Aspekte ihres Lebens. Margaux schreibt über BDSM. Ihre Geschichten beinhalten dominante Männer und Frauen, die sich unterwerfen oder unterworfen werden. Sie wechselt zwischen historischen und modernen Frauen - die einen gezwungen, sich zu unterwerfen, die anderen freiwillige submissive Alpha Females. Mehr Geschichten und Gedanken über BDSM finden Sie auf der Webseite margauxnavara.com.
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Titel: Hunters Liste: Gehalten