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Feuerzauber

Der Magie verfallen IV

von Tanja Rast (Autor:in)
210 Seiten
Reihe: Der Magie verfallen, Band 4

Zusammenfassung

Der Magie verfallen – das ist eine Gay-Fantasy-Reihe um Krieger und Magier, Priester und Diebe. Jeder Roman erzählt die Romanze zweier gegensätzlicher junger Männer – zwischen Gefahren, Abenteuern und großen Gefühlen. Noch vor kurzem waren Griv, Kommandant der Stadtwache, und der Feuermagier Talon ein Paar - doch ein Streit über die Geheimnisse der Magie entzweite sie. Als ein Notfall Griv jedoch eines Nachts dazu treibt, Talon aus dem Bett zu klopfen, verfliegt dessen Wut über den Besuch rasch. Denn Griv bringt ihm ein magisches Artefakt, das Talon nur aus jahrhundertealten Theorien kennt und von dem es heißt, dass es nicht existieren könne. Talon wittert nicht nur eine magische Katastrophe, sondern auch eine persönliche, denn die Umstände zwingen ihn, mit Griv zusammenzuarbeiten. Und Streit hin oder her, Talon fühlt sich immer noch magisch von dem aufbrausenden jungen Mann angezogen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.

Wenn der Verflossene an die Tür klopft

 

Talon grunzte leise und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Es reichte nicht aus, das beharrliche Hämmern von seinen Ohren fernzuhalten. Er fragte sich, ob es nicht irgendwann von selbst aufhören würde, wenn er sich lange genug tot stellte. Immerhin war es noch dunkel, und das war keine Tageszeit, einen Erzmagier aus dem Bett zu scheuchen. So dringend konnte kein Notfall sein.

Oder?

Das Pochen verstummte, gerade als Talon zu dem Schluss kam, dass so aufdringliches und lang anhaltendes Klopfen an der Pforte seines Hauses vielleicht doch eine ernsthafte Ursache haben könnte. Er lag still und lauschte, zuckte eine Schulter und wälzte sich erneut auf den Bauch, um wieder ins Traumland abzudriften, aus dem der nervtötende nächtliche Besucher an der Tür ihn so rücksichtslos gerissen hatte. Gab ja noch ein paar Magier mehr in der Stadt, nicht wahr? Und das Bett war weich und warm … und eine kalte Hand legte sich auf seine Schulter.

Talon fuhr hoch wie von einer Tarantel gestochen, bekam die auflodernde Magie noch zu packen, bevor er blind das Feuer eröffnen konnte.

»Du schläfst aber auch wie ein Stein, verdammt.« Die Stimme so vertraut, dass Talon kein Licht benötigte, um diesen ungebetenen Gast sofort zu erkennen.

»Griv, du verdammter Hurensohn! Wie bist du hereingekommen?« Talon raffte seine Decke an sich. Die Angewohnheit, nackt zu schlafen, hatte er bis zu exakt diesem Zeitpunkt als angenehm empfunden. Aber die Zeiten mit Griv waren vorbei, und die Geister der Unterwelt sollten Talon holen, wenn er dem verdammten Kerl einen Blick auf das gestattete, was ihm nicht länger zustand … und was Griv ohnehin im Schlaf und auswendig kennen musste. Egal! Talon war Erzmagier, und alleine dafür verdiente er ein gewisses Maß an Respekt!

Im trüben Licht einer einsamen Straßenlaterne vor dem Haus machte Talon die schlanke und keinesfalls hochgewachsene Gestalt seines vormaligen Liebhabers aus. Gerüstet, aber irgendwie angeschmutzt, und jetzt witterte Talon auch Überreste von höchstwahrscheinlich sehr brenzliger Magie.

»Durch die Gartenpforte und die Küchentür. Nachlässig, Talon. Steh auf, zieh dich an …«

»Es ist mitten in der Nacht!«, zeterte Talon übellaunig.

»Ja, ich weiß, stell dir das vor. Zu gütig, dass du meinen minderen Geistesgaben auf die Sprünge zu helfen versuchst.«

»Ich will, dass du mein Haus verlässt.«

»Ich bin heute Nacht nicht dein ehemaliger Geliebter, Talon. Ich bin Kommandant der Stadtwache, und im Namen des Grafen und des Rats brauche ich den besten Magieanwender der Stadt. Das bist rein zufällig du. Und es ist mir gerade vollkommen gleichgültig, was wir gemeinsam hatten – oder auch nicht. Du bist der Beste, und als solcher ist es deine Pflicht und Schuldigkeit, mir zu Diensten zu sein. Ich warte im Labor auf dich.« Er salutierte keck wie immer und verließ das Schlafzimmer mit der ihm eigenen katzenhaften Geschmeidigkeit.

Und Talon verfluchte die funzelige Straßenlaterne, deren Licht nicht genügte, um ihm einen Blick auf jenen knackigen Hintern zu gewähren. Ein Anblick, den er sehr vermisst hatte in den letzten Monaten. Aber auch das schönste Gesäß dieser Welt war es nicht wert, Grivs Anwesenheit länger als notwendig zu ertragen. Aus, vorbei und gut so!

Er wälzte sich aus dem Bett und schlüpfte in einen seidenen Morgenmantel, zögerte und zog dann auch eine lange Hose an, deren Bundband er hastig zuschnürte, bevor er in die Schnabelschuhe stieg, sich schlafwirres Haar aus dem Gesicht strich und mürrisch den Marsch ins Labor antrat.

Griv protzte selten mit seinem militärischen Rang, und etwas an der allzu vertrauten Stimme hatte so drängend und ernsthaft geklungen, dass die Benommenheit des Schlummers wie Wasser aus einem lecken Fass aus Talon rieselte.

Er hastete die Treppe hinab, stellte mit grimmiger Dankbarkeit fest, dass Griv eine Kerze im Flur abgestellt hatte. Talon kam also ohne ein angestoßenes Schienbein um die dämliche Truhe herum, die ein Geschenk seiner Lehrmeisterin gewesen war. So konnte er die Tür zum Labor mit betonter Großartigkeit aufstoßen.

Griv sah erbärmlich aus. Das schwarze Haar zerzaust, Ruß auf einer Wange – was ihm verblüffend gut stand – und Flecken auf der Rüstung. In der üblichen Missachtung von Talons Werkstatt hatte er seinen netten Hintern auf die Kante der Werkbank geschwungen, ließ die in schweren Panzerschienen steckenden Beine baumeln und sah hinreichend müde aus. Als Talon eintrat, hob er den Kopf und grinste schief. »Es tut mir wirklich leid, dich geweckt zu haben.«

»Ich erwarte, dass du einen guten Grund dazu hast.«

»Und ob. Guck dir das Ding an und sag mir, was es ist. Ich denke, dass es schuld am Tod ein paar guter Männer ist.«

Das Ding war in Lumpen gehüllt und stand eine gute Armlänge von Griv entfernt auf der Laborbank.

Talon streifte abgeschirmte Handschuhe über und nahm eine Zange, um den Stoff behutsam auseinanderzufalten. Er roch, was sich darunter verbergen musste, bevor noch die letzte Lage ihr Geheimnis preisgab.

Kugelrund, aus Silber oder frischem Blei, glänzend, die Oberfläche mit selbst Talon unbekannten Zeichen verziert. In der Theorie seiner zahlreichen Folianten wurde ein solches Objekt behandelt. Ehrfürchtig, das Endziel aller magischen Forschungen, das Wunder, das Magie bis zur Unendlichkeit nutzbar machte. Talon schnappte demütig nach Luft.

Dann entdeckte er auf der Oberseite der Kugel die kleine Klappe und ihren Verschlussmechanismus. Behutsam drückte er diesen mit der Zange nieder und atmete auf. Der Geruch nahm schlagartig ab. Der Gestank des Abfalls, den Talon zu genau kannte und oft genug morgens selbst ausgeatmet hatte.

Er sah zu Griv, der ihn müde, aber wachsam betrachtete, den Körper angespannt.

»Weißt du, was das ist?«

»Hast du es mit bloßen Händen berührt, Griv? Denk genau nach. In ein paar Stunden ist es zu spät.« Nicht erst in ein paar Stunden, wie Talon wusste. Angst brodelte in seiner Brust und machte Atmen zur Schwerstarbeit.

»Nein … ich roch die Magie daran. Ich war vorsichtig.«

Aber in den rauchgrauen Augen las Talon Unsicherheit. Besser, ganz sicher zu gehen. »Bleib da sitzen, komm dem Orb nicht zu nahe und rühr dich so wenig wie möglich.«

»Du machst mir gerade ein klein wenig Angst.«

»Gut! Ich meine es ernst.« Talon stürmte zu seinen Regalen, rumorte zwischen Tiegeln und Flaschen und zog eine dunkle Holzkiste hervor, die er zum Labortisch trug und dort aufklappte. Süßer Duft, der direkt aus einem Hurenhaus zu stammen schien, strömte ihm entgegen. Er nahm eine kleine Handvoll des Staubes, den er zur Sicherheit immer im Labor hatte, packte Grivs Unterarm und drehte die Hand des Kommandanten, bis er den Staub auf die Handfläche rieseln lassen und dort verreiben konnte.

»Das … ist rosa Glitzer, Talon.«

»Ich weiß. Du wirst mir noch dankbar sein. Gib mir die andere Hand.«

»Ich hoffe von Herzen, dass ich dir dankbar sein werde.«

Griv hielt ihm gehorsam auch die andere Hand hin, und Talon wiederholte die Prozedur. Feiner, rosafarbener Staub, der wie zermahlenes Sternenlicht funkelte, bedeckte jeden Finger, saß tief in jedem Gelenkfältchen und zeichnete die Linien nach, aus denen Wahrsager sich so gerne eine Zukunft eines Gutgläubigen zusammenfaselten. Und das Zeug blieb rosa. Talon atmete auf. Aber er musste Gewissheit erlangen. Griv besaß keine Magiebegabung, was Gründlichkeit so wichtig machte.

»Nimm den Kopf hoch.«

»Du wirst mir dieses rosa Zeug nicht ins Gesicht schmieren!« Das klang lebhafter und deutlich nach dem Griv, den Talon kannte.

»Nein, mach ich nicht.« Er schöpfte mehr von dem Staub aus der Kiste, und als Griv zögernd den Kopf hob, schmierte Talon ihm den feinen Puder links und rechts unter der Kieferlinie an die Halsseiten.

»Ich hasse dich. Wehe, das ist ein dummer Witz.«

»Ist es nicht. So tief bin ich noch nicht gesunken. Halt still.«

»Bekomme ich eine Erklärung?«

»Gleich.« Er starrte auf den rosa Glitzer, der sich auch jetzt nicht verfärbte. »Gut. Du hast wirklich keinen Kontakt zum Orb gehabt. Verdammt, ich freue mich sogar darüber. Du kannst aufstehen.«

Agil sprang Griv von der Werkbank, und Talon sagte sich, dass es angesichts dieses drahtigen Körpers, sehr anregender Erinnerungen und der Tatsache, dass Griv ihn mitten in der Nacht nicht nur aus dem Bett geschmissen, sondern auch sehr geängstigt hatte, nur verdient war: Er verpasste der reizvollen Kehrseite einen herzhaften Klaps und hinterließ auf schwarzem Wildleder einen eindeutigen Handabdruck.

»Du hast nicht eben …« Instinktiv wollte Griv nach seinem Hintern tasten und erinnerte sich offenbar gerade noch rechtzeitig, dass auch seine Hände voller Glitzer waren. »Das fasse ich nicht!«

»Steht dir. Du kannst dir da hinten am Spülstein die Hände waschen. Griv?«

Ernst blickten die grauen Augen zu ihm auf.

»Ich hatte eben gerade verdammte Angst um dich.«

»Erzählst du mir jetzt, was das Ding da ist?«

»Wasch dir die Hände und setz Tee auf. Ich will die Kiste verstauen und das rosa Zeug ebenfalls loswerden. Dann sage ich dir alles, was ich weiß. Und ich möchte erfahren, wo und unter welchen Umständen du das Ding gefunden hast.«

»Es ist gefährlich?«

»Ja und nein.« Er atmete tief durch, stellte sich die Möglichkeiten vor – und deren Folgen. »Ja, es ist tödlich. In absolut jeder Hinsicht.«

»Also tat ich gut daran, dich aus dem Bett zu werfen«, verkündete Griv triumphierend und ging zum Spülstein. Der rosa Handabdruck betonte die Bewegungen seiner Muskeln mehr als nur reizvoll.

Talon schluckte hart, blickte auf seine gepuderten Hände und fragte sich, ob er Griv jemals verzeihen konnte. Sie hatten die Welt besessen, und dann war sie ihnen zwischen den Fingern zerronnen.

Griv wusch sich gründlich die Hände. Talon sah dabei zu, und das Gefühl gewaltigen Verlusts durchströmte ihn ebenso wie dumpfe Wut, wie es nur so weit hatte kommen können. Ganz davon abgesehen, dass Griv im Bett atemberaubend, phantasievoll und schweißtreibend war, stellte er normalerweise einen wundervollen Gefährten dar. Dieser hellwache Geist, der lebhafte Humor unter einem Tarnmantel von hochmütiger Selbstsicherheit. Hinter Grivs Maske sehen zu dürfen und eine Funken sprühende Seele zu finden, war auf- und anregend gewesen.

Jetzt war da nur noch spröde Kälte, und ein zweiter Blick hinter die kühle Fassade wurde Talon nicht gestattet.

Über die Schulter hinweg meldete Griv sich wieder zu Wort: »Was ist das Ding da also?«

»Erzähl mir zuerst, wie es in deinen Besitz gelangt ist.«

»Du hast mir eben gerade erst versprochen, all dein kostbares Wissen vor mir auszubreiten. Hast du das bereits wieder vergessen?« Das Gesicht kalt und hart wie Marmor, und die grauen Augen schossen Blitze wie eine Gewitterwolke.

»Es ist nicht alleine mein Wissen, wie dir sehr wohl bekannt ist«, zahlte Talon mit gleicher, frostbestäubter Münze zurück. »Und bevor ich …«

»Du tust es schon wieder, Talon.« Griv feuerte das Handtuch auf die Arbeitsfläche neben dem Spülstein und wirbelte auf diese atemberaubend agile Art herum, die ihm so eigen war. Nicht hochgewachsen, und doch mit den Proportionen eines Kriegers und verblüffender Kraft in den Muskelpaketen gesegnet. Mit einem Gleichgewichtssinn, den Talon selbst jetzt, da er den Zorn in Grivs Augen brodeln sah, immer noch als Augenweide empfand. Außerdem sah Griv niemals besser aus, als wenn er zornig war.

»Was tue ich angeblich schon wieder?«

»Diese verdammte Geheimniskrämerei! Du sagst, das Ding ist gefährlich, aber du willst mir nichts Genaues erzählen. Wie immer! Verdammt, Talon, das ist der Grund, warum ich dich verlassen habe.«

»Du hast mich nicht verlassen.« Der dumpfe Zorn wallte auf wie eine rote, hässliche Gewitterwolke. »Ich habe dich achtkantig rausgeworfen, nachdem du vor den Rat getreten bist und …«

»Und das eingefordert habe, was dem Grafen, dem Rat und mir als Kommandanten zusteht! Weil es nicht angehen kann, dass ihr Magier über alles ein Mäntelchen breitet und weiterhin erwartet, dass die Stadt und ihre Bewohner alles hinnehmen, ausbaden und euren Dreck wegräumen!«

»Du bist mir in den Rücken gefallen, Griv!«

»Weißt du was? Vergiss einfach, dass ich hier war. Danke für das rosa Zeug. Ich nehme diese Kugel und bringe sie dem Rat. Dann dürfen die entscheiden, wie weiter mit den Magiern verfahren wird, die ganze Straßenzüge einebnen!«

Viel zu schnell, wie dieser Kerl sich bewegte. Und sie waren wirklich wieder genau an jenem Abend nach Grivs denkwürdigem Auftritt in der Ratskammer angelangt. Lautstärke und Heftigkeit waren identisch. Doch Talon ließ sich dieses Mal nicht vom gerechten Zorn lähmen, sondern sprang vorwärts, packte Griv an den Schultern, als dieser wirklich zur Arbeitsbank kam, um den Orb an sich zu nehmen. Als hätte der verdammte Kerl nicht ein einziges Wort der Warnung vernommen.

Talon spürte harte, von blanker Wut aufgeheizte Muskeln unter den Händen, sah, wie Griv eine Hand hob, um Talon abzuwehren. Aber er hatte ihn, griff fest zu und ließ Griv mit dem Rücken gegen ein Regal prallen, dass Flaschen und Tiegel vernehmlich aneinanderklirrten.

Blitze im Grau der Iriden, das Gesicht kalkweiß vor Zorn und trotzdem immer noch eine Maske. »Gib mich auf der Stelle frei, oder du wirst es bereuen, Talon.«

»Ich habe so einen Gegenstand noch nie gesehen«, sagte Talon hastig, der genau wusste, zu welcher Gewalt Griv fähig war. Mochte Talon ihn auch deutlich überragen und ihm etliche Pfund Masse voraushaben. Griv war ein Straßenkrieger und schien Moral nicht einmal dann zu erkennen, wenn sie mit Fähnchen in den Händen vor ihm auf und ab sprang. War das Angst, die Talon kalt in seine Eingeweide sickern spürte? Vor Griv? Ausgerechnet vor diesem Straßenköter, mit dem Talon zwei Jahre lang Leben, Heim und Bett geteilt hatte? Er zog seine Hände zurück, und wie durch ein Wunder blieb Griv ruhig stehen, statt einen Ellenbogen in Talons Magengrube – oder ein Knie in noch empfindlichere Regionen – zu rammen.

»Ich habe zahlreiche Bücher, in denen so ein Orb in der Theorie behandelt wird. Ungezählte Thesen, die sich streckenweise widersprechen. Theorie, Griv. Teilweise mehrere hundert Jahre alt. Wenn ich dir von einer berichte, hast du vermeintlich die Auskunft, die du willst. Aber sie kann falsch sein. Und dann wird möglicherweise alles schlimmer. Dann stirbst du vielleicht – oder deine heißgeliebte Stadt geht in Flammen auf, weil du mit der falschen Theorie zu einem Kampf antrittst, den du niemals gewinnen kannst. Ich brauche mehr von dir, damit ich dir das hoffentlich Richtige sage. Und ich schwöre, dass ich dir wirklich alles erzählen werde, was du wissen musst. Weil ich sonst zusammen mit dir in den Ruinen dieser Stadt verbrenne. Verstehst du?«

»Du hast mich schon wieder mit dem rosa Zeug vollgesaut.« Ein triumphierendes Lächeln in den Mundwinkeln, das die Augen nicht erreichte, in denen immer noch Eis schwamm.

»Kannst du für den Augenblick die Vergangenheit ruhen lassen? Du bist der Kommandant, ich einer der Erzmagier. Der Beste vielleicht. Auf jeden Fall der mit der größten Bibliothek. Dieses Ding auf meiner Werkbank macht mir Angst.«

Ein hoheitsvolles, störrisches Kopfnicken. Wo nahm dieser Kerl die Arroganz nur her? Straßenkind, zum Stehlen erzogen, und jetzt dienten fast einhundert Stadtwachen unter ihm, der Graf hörte auf seine Worte, der Rat vertraute ihm. Und Griv verwandelte sich von einem gewiss schmutzigen, halb verhungerten Heranwachsenden – mit aufgeschürften Knien? – in einen hohen Herrn, zu dem er niemals geboren worden war. Manchmal wollte ihn Talon für dieses Gehabe schütteln. Aber nicht jetzt. Denn die Angst, die er empfunden hatte, rührte ganz bestimmt nicht von Griv her, sondern von dem Orb.

»Wir wurden zu einem brennenden Haus gerufen«, begann Griv seine Schilderung. Ganz ruhig, immer noch mit dem Rücken am Regal. Der Inhalt einer Flasche hatte durch die Erschütterung zu leuchten begonnen, und mattes, silbriges Licht ließ diese vollkommenen Gesichtszüge noch härter erscheinen. »Die Nachbarn wollten beginnen, den Brand zu löschen, aber sie wurden aus dem Inneren des Gebäudes beschossen – Lichtblitze, Feuerbälle. Wer auch immer darin war, wollte unbedingt, dass das Haus abbrennt.«

»Wo?«, fragte Talon. Junge Magier, die das erste Mal mit Zauberei experimentierten, übernahmen sich mitunter, leisteten mehr, als sie vermochten, kannten ihre Grenzen noch nicht. Aber dass einer von ihnen irrsinnig dabei geworden wäre, hörte Talon nun das erste Mal.

»In der Nähe des Kelivparks, eine halbe Meile von dem Tempel zu den Katakombeneingängen entfernt. Es gab Tote, Talon. Einfache Bürger, die ein Feuer löschen wollten, bevor es auf ihre eigenen Häuser übergreift. Ich war mit einem kleinen Trupp dort. Einige sorgten draußen für Ablenkung, während wir reingingen.«

»Wir?«

»Mein Hauptmann, vier Männer mit Armbrüsten, ich.«

»Du bist in ein brennendes Haus zu einem irrsinnigen Magier gegangen?« Talon spürte Übelkeit aufsteigen.

»Ich weiß, dass Magie begrenzt ist, dass irgendwann das Feuerwerk ein Ende hat«, versetzte Griv spöttisch.

Götter, er irrte, und er wusste es nicht!

Talons Blick flackerte zum Orb, der mit feister Selbstzufriedenheit auf der Arbeitsfläche hockte. Schweiß bildete warmen Tau auf Talons Nacken und Rücken unter dem Morgenmantel, kitzelte die Härchen dort, während winzige Tropfen sich fanden, dann den Weg abwärts nahmen und in ihrem Gefolge eine eisige Gänsehaut hinterließen. Talon schluckte schmerzhaft, sah wieder in die rauchgrauen Iriden, nickte, um Griv zum Weitersprechen aufzufordern.

»Ich habe mich zu erkennen gegeben und den Magier aufgefordert, sein Feuer einzustellen. Ich hätte gerne noch mit dem Rat und einem Erzmagier gedroht, aber so weit kam ich nicht. Er machte mich zur Zielscheibe, und ich konnte gerade noch rechtzeitig hinter eine halb eingestürzte Mauer ausweichen. Meine Männer, Talon, sind auf mich eingeschworen. Da gab es keine Zeit zum Denken oder Abwarten auf einen Befehl – den ich ohnehin nicht geben konnte, weil ich Asche aushustete. Vier Armbrustbolzen haben den Magier gespickt und ins Jenseits befördert. Unter dem Kadaver fand ich die komische Kugel, die so sehr nach Magie stank, dass mir fast übel wurde und ich wusste, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen war, einen Erzmagier aus dem Bett zu werfen.«

»Eine gute Idee. Beiß mir nicht gleich wieder die Nase ab, Griv, aber: Frühstück? Und dann beantworte ich all deine Fragen. Auch jene, die du nicht stellst, weil du nicht weißt, dass du das fragen solltest.«

»Erst wäschst du dir die Hände. Ich warte in der Küche auf dich. Ich hoffe, die Schränke sind gut bestückt, immerhin habe ich eine sehr beschissene Nacht hinter mir.«


Er hätte den Weg auch im Halbschlaf gefunden. Zwei Jahre lang hatte Griv mit Talon in diesem Haus gewohnt. Talon, der Erzmagier, einziger Sohn und Alleinerbe eines erfolgreichen Händlers. So sah das Haus auch aus. Großzügig, bei Tag lichtdurchflutet, mit einem wunderschönen Innenhof, in dem Griv im Sommer gerne die Mahlzeiten eingenommen und den Abend verbracht hatte, während im Feuerkorb Flammen um duftendes Obstbaumholz züngelten. Der perfekte Ort, um Talon zu verführen.

Griv biss fest die Zähne zusammen. Perfekt und vorbei. Wenigstens schien es Talon prächtig zu ärgern, dass er gefälligst als Berater an Grivs Seite zu stehen hatte. Da lag dann der Nachteil, der Beste der Erzmagier zu sein, denn Grivs Spruch, dass er im Namen von Rat und auch Grafen diese Unterstützung einfordern konnte, entsprach der Wahrheit. Vielleicht sollte er das öfter tun, wenn es mal wieder einen Funken sprühenden Zwischenfall gegeben hatte. Ärger stand Talon ganz ausgezeichnet.

Doch die Sorge des Erzmagiers war Griv als echt erschienen. Er straffte die Schultern, bog in den Seitengang ein, der auf ganzer Länge den Innenhof flankierte und am Ende zur Küche führte. Natürlich hatte Talon Angst gehabt, dass sein stärkster Widersacher vor dem Rat mal eben an Magie verrecken könnte. Oder der törichte Kerl benutzte immer noch eher tiefere Körperregionen zum Denken.

Im Vorbeigehen warf Griv seinem matten Spiegelbild in einer der raumhohen Glastüren einen kritischen Blick zu. Nun, kein Wunder, dass Talon die Knie weich wurden und sein Kopf die Zusammenarbeit einstellte! Das war ja wohl das Mindeste.

Energisch stieß Griv die Tür zur Küche auf, ging ohne ungebührliche Hast zum Herd und legte Holz auf die über Nacht unter Torf bewahrte Glut, stocherte mit dem Schürhaken im Feuerfach herum, bis erste Flammen über die neue Nahrung leckten. Er setzte Wasser für Tee auf, holte Teller, Besteck und Becher aus einem Schrank und verfrachtete all das auf den weißgescheuerten Tisch.

Wie lange brauchte ein Erzmagier, um sich die Hände zu waschen? Griv knirschte mit den Zähnen und stellte Brotkorb und Holzplatten mit Käse und Schinken geräuschvoll auf den Tisch. Er goss Tee auf, holte das Butterfass aus der Steintruhe und fand sogar noch einen Topf Honig. Neben Marmelade aus Quitten. Griv hielt inne, die Finger um den kleinen Krug Honig geschlossen, und starrte das Glas mit dem klebrigen Obstaufstrich an. Talon hasste Fruchtaufstriche, und Quitten verabscheute er dermaßen, dass er sogar befohlen hatte, einen alten Baum im Obstgarten fällen zu lassen. Unter Grivs Beifall.

Der nächste Atemzug kostete Kraft, und im gleichen Augenblick vernahm Griv hinter sich das Klappen der Küchentür, holte den Honig aus dem Fach und schloss die Tür so leise wie möglich.

»Du hast noch rosa Glitzer am Hals«, sagte Talon.

»Und auf Hose und Panzerung, ich weiß. Hast du jetzt genug Zeit gehabt, dir eine Erklärung zurechtzulegen?«

»Ich habe den Orb angeschlossen, um seine Kapazität zu messen.«

Griv hob die Brauen. »Du hättest auch einfach Wasser einfüllen können, um festzustellen, wie viel hineinpasst.«

»Du glaubst, Magieanwendung erschöpft mich, und deswegen ist mein Feuer endlich.«

Griv nickte, durch den Themenwechsel nicht im Geringsten erschüttert, das kannte er ja von Talon. Er stellte den Honig auf den Tisch, wünschte dem Quittenmarmeladenliebhaber eine abscheuliche, entstellende Krankheit und nahm Platz.

»Das, was ich dir jetzt erzähle, hat noch nie ein Magier einem, der keine Magie wirken kann, anvertraut. Aus gutem Grund.« Talon setzte sich ebenfalls, schenkte mit aufreizender Gelassenheit Tee in die beiden Becher und füllte in seinen so viel Honig, dass der Löffel senkrecht im Gebräu stehen bleiben würde, sobald Talon nicht mehr darin rührte. Der warf Griv einen bittenden Blick zu, trank einen Schluck des Tees, räusperte sich und sagte dann leise: »Die Magie ruht nicht in uns, deswegen kann sie nicht erschöpfen. Sie kommt an Orten natürlicher Kraftquellen vor. Diese Stadt ist eine von ihnen. Wir wissen nicht genau, wo die Magie wirklich herkommt, aber wir holen sie aus der Luft, aus der Erde, aus dem Wasser. Sie ist schlichtweg da, und diejenigen, die sie wirken können, bedienen sich einfach.«

»Ich habe dich mitsamt deiner vulkanösen Kopfschmerzen mehrfach erlebt, Talon. Wenn das keine Erschöpfung war, was dann?«

»Wenn ich einen Feuerball werfe, dann heißt das, dass ich die frei verfügbare Magie als Brennstoff nutze. Dabei spaltet sie sich auf. In meinen Zauber – und in Abfall. In den unverdaulichen Rest, wenn du so willst. Und dieser Rest sammelt sich im Magier.«

Griv wollte gerade von einem Stück Brot abbeißen, nun ließ er es wieder sinken. Verstehen sammelte sich als kalter Klumpen Übelkeit in seinem Magen und verdarb ihm gründlich den Appetit. Mehr noch als der honigdicke Tee in Talons Becher oder die verdammte Quittenmarmelade im Schrank. Erstaunlich. »Dieser … Geschmack nach Essig, Blut und Eisenspänen …«

Talon nickte. »Das ist Magieabfall. Ein Grund mehr, warum ich nach kraftvoller Zauberei auf Abstand bedacht war, nicht geküsst, nicht angefasst werden wollte. Das hatte nichts mit dir zu tun.«

»Ich werde nicht Gefahr laufen, dieses Geschmackserlebnis zu wiederholen. Weiter, Talon.«

»Je höher der Abfallpegel steigt, desto deutlicher sind die Auswirkungen. Es ist Gift, schlicht und ergreifend. Du kennst meine Kopfschmerzen, die Übelkeit. Als hätte ich mich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, und danach leide ich an einem Kater. Junge Magier, die solche Grenzen und ihre Belastbarkeit noch nicht abschätzen können, sammeln mitunter mehr Abfall in sich, als sie verkraften können.«

Talon hob den Blick von seinem Teebecher, und in den frischgrünen Augen erkannte Griv verblüfft Schmerz.

»Erst Erbrechen und Schwäche. Dann Bewusstlosigkeit. Manche sterben, Griv. Aber es ist uns auch unmöglich, keine Magie zu wirken. Wir sind das Vehikel, durch das die Magie sich Bahn bricht. Ich habe gelernt, meine Zauberei wohlbemessen einzusetzen. Aber wenn der Stadt Gefahr droht, durch Seeräuber oder anderes, was soll ich tun? Drei Feuerkugeln werfen und dann Feierabend machen? Ich muss weiterzaubern, weil ich die Stadt verteidige. Und danach liege ich flach und habe diesen reizenden Geschmack mit jedem Atemzug im Mund.«

»Und wie wirst du den Abfall wieder los?«

»Erdung. Der Abfall sickert langsam aus mir hinaus. Ich experimentiere mit Verfahren, um das zu beschleunigen. Sehr befriedigend sind sie bislang nicht verlaufen, doch freue ich mich über jeden noch so kleinen Fortschritt. Auch dazu gibt es seitenweise Theorien in meinen Büchern. Die meisten sind Unsinn. Aber dieses Versickern stellt einen weiteren Unterschied zwischen Magiern und anderen Leuten wie dir dar: Aus uns entweicht der Abfall. Aus Nichtfähigen nicht.«

Griv runzelte die Stirn.

»Deswegen war ich so besorgt um dich. Hättest du eine Ladung Abfall aus dem Orb in dich aufgenommen, wärst du nach heutigem Stand der Forschungen verloren.«

»Es sind also schon Leute an Magieabfall verreckt?«

»Junge Magier zum Beispiel. Aber es gab auch immer wieder Fälle, in denen Nichtfähige vergiftet wurden. Ich habe Berichte über solche Unglücke, die Rettungsversuche und das Scheitern. Es laufen Experimente. Aber natürlich möchte niemand einen Unbegabten absichtlich vergiften, um dann womöglich bei der Rettung zu versagen. Und keiner von uns wünscht sich solche Unfälle, um die Forschungen voranzutreiben.«

»Ist dergleichen in meiner Stadt schon passiert? Wann? Wo und wie?«

»Du willst immer alles wissen, nicht wahr? Griv, diese Dinge werden in Magierkreisen besprochen, und wir haben unsere Gründe, warum wir es nicht mit Außenstehenden teilen.«

»Ein Magier hat heute versucht, mich umzubringen. Verzeih, dass ich im Augenblick nicht sehr feinfühlig und rücksichtsvoll bin. Mein Humor versiegt immer recht schlagartig, wenn es zivile Opfer gibt oder jemand mich als Zielscheibe missbraucht.«

Talon seufzte, starrte in seinen Tee und trank den Becher dann zügig leer, um ihn frisch zu füllen. Griv wartete mit wachsender Ungeduld. Talon hatte einst sehr an ihm gehangen, und mit diesem Pfund würde Griv notfalls Wucher treiben.

»Ein Beispiel. Vor einigen Jahrzehnten gab es einen magischen Zwischenfall in Teldens Hald, einer Stadt am Gebirge. Ein Erzmagier mit einem Halbdutzend Schüler, die sich alle gleichzeitig in die Luft jagten. Niemand weiß, was genau vorgefallen ist. Es war mitten in der Stadt, mehrere Häuser brannten, und Anwohner begannen mit Löscharbeiten. Dabei wurden sie mit Abfall verseucht. Die Körper der Magier waren so stark angefüllt, dass sie platzten. Wer da in der Nähe stand, wurde vergiftet. Diese Leute sind allesamt gestorben.«

»Ich will eine Ration des rosa Glitzers in der Kaserne haben, Talon, um meine Armbrustschützen und Hauptmann Meril auf Vergiftung zu überprüfen. Dafür ist das Zeug da, nicht wahr?«

»Es ist ein Anzeiger. Bleibt es rosa, ist alles in Ordnung. Wenn du es wünschst, komme ich in die Kaserne und teste deine Leute. Aber es wird nichts geschehen sein – außer natürlich, einer von denen berührte den Orb. Ich denke sogar, dass das Ding jetzt sicher ist, da ich den Verschluss aktivierte.«

»Man sollte Magie verbieten! Niemand ist sicher, solange ihr mit dem Zeug herumpfuscht, Talon.«

»Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber du kannst sie nur unterbinden, indem du die Magiebegabten tötest, sobald sie erste Anzeichen aufweisen. Fünfzehnjährige, Griv, die selbst gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Außerdem sind wir nebenbei auch ein wenig nützlich, wie dir bekannt ist.«

Griv verspürte den Drang, den Inhalt seines Teebechers in dieses kantige, müde Gesicht zu kippen. Er beherrschte sich. Noch immer war Talon nicht damit herausgerückt, was diese merkwürdige Kugel überhaupt war. Außerdem – bei aller Idiotie und Vernarrtheit in seine Zauberei und die Geheimhaltung jedes Fitzelchens aus dem Kreis der Magier – stellte Talon noch den Besten der Bande dar. Griv sah in ihm trotz der lautstarken Trennung immer noch einen Verbündeten. Zumindest in gewisser Weise. Obendrein kannte er die Hebel, die er bei Talon ansetzen musste. Diesen Magier zumindest konnte Griv mitunter ein klein wenig durchschauen und nötigenfalls unter Druck setzen. Und die Karte zog immer noch, dass es ein Magier gewesen war, der Griv angegriffen hatte. Das Entsetzen in Talons Augen war echt und nicht zu übersehen gewesen. Ob nun wegen des Magiers oder wegen des verflossenen Geliebten, blieb gleichgültig.

»Ich musste die Hintergründe wissen, weil es zu diesen Kugeln aberhunderte Abhandlungen gibt. Einige Erklärungsversuche sind nur abenteuerlich zu nennen, andere klingen genau so lange vernünftig, bis man versucht, ihren Anweisungen zu folgen. Du hast mir nun Hintergründe geliefert, und so kann ich wagen, mich auf eine Erklärung festzulegen. Die grundsätzliche Theorie lautet, dass ein Speicherort für den Abfall außerhalb des Körpers eines Magiers geschaffen wird.«

Griv machte eine ungeduldige Handbewegung, damit dieser Umstandsmeier von Magier endlich auf den Punkt kam.

»Du und ich haben nebeneinander auf der Wehr gestanden, als die Piratenflotte angriff. Du hast gesehen, was ich vermag. Sieben, acht Schläge, und ich schmecke den Abfall in jedem Atemzug. Und nun stell dir vor, es gäbe keine Grenze nach oben. Ich könnte stundenlang Feuerzauber werfen, weil der Abfall nicht in mir, sondern in dem Orb landet.«

Ein eiskalter Schauder überlief Griv. »Das Ding in den falschen Händen, Talon … Nein, überhaupt in der Hand eines Magiers! Ich muss dich auffordern, mir den Gegenstand auszuhändigen, damit ich ihn in den Kellern der Kaserne wegschließe, bis der Rat Weiteres entschieden hat.«

»Lass ihn mir noch hier, Griv.«

»Auf gar keinen Fall!«

»Hör mich bitte an. Es nützt gar nichts, wenn du mich mit Eispfeilen aus deinen Augen durchbohrst. Hör zu, ja? Hunderte Theorien, denk daran. Meine Bücher quellen über davon. Ich will die Kapazität der Kugel ausmessen. Das geht nicht, wie vorhin von dir angeführt, mit einem Wasserkrug. Ich entlade das Ding gerade.«

»Wie?«

»Ich experimentiere seit einigen Monaten mit Möglichkeiten, meine Erdung zu beschleunigen. Ich hasse Kopfschmerzen. Ich habe eine experimentelle Anordnung geschaffen und erziele nur langsam Erfolge. Dort ist der Orb nun untergebracht. Ich muss wissen, wie viel Abfall er aufnehmen kann.«

»Warum?«

»Weil wir nur dann wissen, welche Menge Zauber jene Magier anwenden können, die das Ding hergestellt oder irgendwo ausgegraben haben. Möglicherweise hatten sie mehr als nur diesen einen.«

Der Schauder krampfte nun genüsslich Grivs Eingeweide zusammen. »Unter zwei Bedingungen.«

»Ich werde mit keinem anderen Magier darüber sprechen, Griv. Ich weiß ja nicht, wem ich trauen kann!«

»Du wirst die Hintertür stets abschließen.«

»Natürlich. Tatsächlich ist die Pforte in meinem Labor bereits verriegelt. Zu deiner Beruhigung: Die Küchentür verschließe ich gleich nach dem Frühstück.«

»Und ich werde Männer in der näheren Umgebung auf Streife schicken.«

»Ich stimme zu. Sobald ich mit meinen Forschungen fertig bin, benachrichtige ich dich, und dann kann der Orb in die Keller der Kaserne.«

Griv erhob sich, das Brot nicht einmal angebissen, der Tee inzwischen kalt im Becher. »Wie lange?«

»Zwei Tage? Ich kann es wirklich nicht genau sagen. Sobald das Ding entladen ist, werde ich es in meinem Panzerschrank einschließen. Ich werde mir keine Nachlässigkeit gestatten, solange ich den Orb im Haus habe. Ich kann mir hunderte Szenarien ausdenken, die mir Angst machen. Aber, Griv, wir müssen einfach mehr darüber wissen.«

Er nickte angespannt, spürte Übelkeit in seinem Magen nisten und eine Vorahnung von etwas Gewaltigem, Bösem. »Du kommst nachher in die Kaserne, um meine Männer zu überprüfen?«

»Ich gebe dir auf jeden Fall jetzt schon etwas von dem rosa Glitzer mit. Nur zur Sicherheit.«

»Und du wirst dir den Kadaver ansehen, ob du den Magier erkennst.«

Talon nickte. Und irgendetwas an ihm erinnerte Griv unwiderstehlich an einen Hundewelpen, dem jemand den liebsten Kauknochen gestohlen hatte.

»Ich komme in die Kaserne, sobald ich den Orb sicher wegschließen konnte.«

2.

Betrachtungen über Quittenmarmelade

 

Griv zog die reich geschnitzte Haustür hinter sich ins Schloss, rieb sich müde über die Augen und fragte sich, ob er wirklich aus Vernunftgründen oder aus dummer Sentimentalität zugestimmt hatte, dass Talon seine Versuche mit der Magierkugel vornehmen durfte. Er wusste es einfach nicht, und das sprach dafür, dass die Erschöpfung nach einer sehr ereignisreichen Nacht sein Urteilsvermögen trübte. Etwas, das er sich angesichts der möglichen Gefahren nicht erlauben durfte, aber beim besten Willen nicht verhindern konnte.

Er marschierte die vertraute Straße entlang, fand an jeder Vorgartengestaltung etwas auszusetzen und die frisch gestutzte Hecke vor der kleinen Villa mit dem Erkertürmchen nur hässlich. Das hob Grivs Laune wieder ein wenig. Im Stillen verfluchte er sich, dass sein erster Instinkt mit der stinkenden Kugel im Gepäck ihn zu Talon geführt hatte. Es gab ja noch mehr Erzmagier in der Stadt, aber nein, wie ein verschrecktes Kind war Griv zu seinem Verflossenen geflüchtet, um diesem das magische Kleinod in die gierigen Hände auszuliefern. Verdammt, er konnte lange versuchen, sich einzureden, dass Talon sein Ziel gewesen war, weil er der Beste war. Er wusste es besser. Sollte er nicht besser umkehren und die Herausgabe des Orbs fordern?

Kurz blieb Griv tatsächlich stehen, drehte sich halb, um jenem Haus, das für zwei Jahre auch sein Heim gewesen war, einen langen Blick zu schenken.

Nein. So viel auf einmal hatte Talon noch nie über Magie gesagt. Und er blieb für Griv immer noch berechenbar. Außerdem war er der einzige der ganzen Magierbande, dem Griv zumindest ansatzweise vertrauen konnte. Talon war anständig. Ein blöder Geheimniskrämer, natürlich.

Griv setzte sich wieder in Bewegung, verließ die prachtvolle Allee, an der die Häuser der Reichen sich wie Perlen in einem Damenhalsband reihten – mit dem einen oder anderen Edelstein dazwischen –, und erreichte die belebtere Hauptstraße, die sich wie ein Fluss durch die Stadt wand und in ihrem Verlauf das Händlerviertel, den Markt und das Ratsgebäude berührte. Der kürzeste Weg zur Kaserne führte über diese Straße, auf der sich schon jetzt Händlerkarren und die eine oder andere Schafherde stauten.

Griv suchte sich saubere Stücke des Pflasters, auf denen sich noch kein Rind oder Pferd erleichtert hatte, richtete sich gerader auf und trug seine leicht ramponierte und immer noch mit Spuren von Rosa behaftete Rüstung mit der üblichen Würde und Selbstsicherheit durch das Gedränge. Wenigstens Talons Handabdruck hatte er vor dem Verlassen des Hauses von seinem Hintern gewischt, so gut es eben ging. Vielleicht sollte er sich in einen Haufen frischer Pferdeäpfel setzen, um die allerletzten Reste Rosa zu überdecken. Nein, zu anstrengend. Er wollte nur noch hinter die hoch aufragenden Mauern der Kaserne gelangen, Hauptmann Meril das Puder mitsamt einer kurzen Anweisung in die fähigen Hände drücken und dann in sein Bett fallen. Und hoffentlich zügig einschlafen, bevor er sich seinen Kopf über Talon, Quittenmarmelade, Glitzer und den verdammten Orb zermartern konnte.

Er fühlte sich ein wenig wie die Handpuppe eines Puppenspielers, während er rechts und links Grüße erwiderte, sich zu einem selbstsicheren Lächeln zwang und doch vor lauter Müdigkeit kaum eines der frischen Morgengesichter erkannte. Wie brachten Leute es fertig, um diese Tageszeit so munter zu sein? Er hörte Gelächter, lebhaftes Schwatzen und hob die Hand, als ein Mann ihm zuwinkte. Kannte er den? Keine Ahnung. Gleichgültig. Es war gar nicht mehr weit bis zum Marktplatz, den Griv diagonal zu überqueren plante. Vielleicht kaufte er auch etwas für das Mittagessen. Wahrscheinlich nicht.

Stände und Karren blockierten die Straße, überall wurden Waren feilgeboten und versuchten Menschen, sich gegenseitig zu übertönen. Heerscharen von Mägden und Hausfrauen eilten durcheinander, schleppten gefüllte Körbe oder feilschten um Preise. Ohrenbetäubender Lärm und eine Geschäftigkeit, die Griv wünschen ließ, nur noch nachts auf Streife zu gehen.

Noch mehr Grüße, oftmals nur ein ehrerbietendes Kopfneigen. Wenigstens machten die Leute Griv Platz, wenn sie ihn beim lautstarken Handeln rechtzeitig bemerkten. Er zwängte sich zwischen zwei Frauen hindurch, spürte eine Hand, die nach seinem Arm griff, und kämpfte den ersten Impuls nieder, sich dieser Berührung durch einen Schlag oder das drohende Ziehen seines Säbels zu entziehen. Aber zumindest fuhr er trotz seiner Müdigkeit ausreichend schnell herum und blickte in ein vertrautes Gesicht mit kornblumenblauen Augen und einem Lächeln. Cigas, Talons treues Hausmädchen. So diese Bezeichnung für eine rüstige, sehr umfangreiche Dame jenseits der sechzig noch Gültigkeit besaß. Zwei Jahre lang war sie auch Grivs Hausmädchen gewesen und hatte ihn liebevoll wie eine Mutterglucke umsorgt.

»Herr Griv«, sagte sie herzlich, streichelte über seinen Arm, dann fiel das Lächeln ein wenig in sich zusammen. »Geht es dir gut?«

»Alles in bester Ordnung, Cigas. Es war eine ereignisreiche Nacht.« Was für eine dumme Bemerkung, dachte Griv noch verzweifelt, da Cigas ja gesehen hatte, aus welcher Richtung er auf den Marktplatz getreten war. Was die alte Frau zu falschen Schlüssen verleiten konnte!

»Das Feuer am Kelivpark?«, fragte sie mitfühlend.

Griv atmete auf – unauffällig, wie er hoffte. Natürlich, die Nachricht vom Brand und den Todesfällen musste schon seit Stunden die Runde machen. Er nickte knapp.

»Aber dir ist nichts geschehen?« Sie betrachtete ihn bei dieser Frage wirklich wie eine Mutterglucke ihr einziges Küken, fand er. Und alt und klein mochte sie sein, aber ihrem Blick entging gewiss nicht, wie angeschmutzt und angesengt er und seine Rüstung waren.

Er legte die Hand auf die weichen Finger, die sich besorgt wohl am liebsten in seinen Rüstungsärmel gekrallt hätten. »Nichts geschehen. Machst du dir immer noch Sorgen um mich, Cigas?«

»Immer! Nur weil ihr beide gestritten habt, muss ich ganz bestimmt nicht aufhören, euch beide lieb zu haben. Auf dem Weg in die Kaserne?«

Wieder nickte Griv nur.

Sie ließ die Hand höher gleiten und stäubte etwas von dem verdammten rosa Glitzer von seiner Schulter. »Konnte Herr Talon ein wenig behilflich sein?«

»Das denke ich.« So sinnlos, etwas abzustreiten. Der Glitzer war zu eindeutig.

»Gut. Hast du gefrühstückt, Herr Griv?«

Und als er den Kopf schüttelte – zu stupidem Gehorsam und entsetzlicher Wahrhaftigkeit gezwungen durch den klarblauen, von Liebe durchdrungenen Blick – zog sie ein Päckchen aus ihrem Korb und drückte es Griv in die widerstandslose Hand. »Kelterwurst. Ich weiß, wie gerne du die magst.«

»Cigas?«

Sie blickte lächelnd auf.

»Wer … von wem stammt die Quittenmarmelade?«

»Ach, die wollte ich seit Wochen wegwerfen! Tut mir so leid, dass du sie sehen musstest, Herr Griv. Gleich, wenn ich im Haus bin, schaffe ich sie in den Abfall.«

»Das beantwortet nicht meine Frage!«, versetzte Griv und richtete sich würdevoll gerader auf. Dass sie solches Mitgefühl hegte, nur weil er einen dummen Topf Marmelade gesehen hatte, ging ihm gegen den Strich.

»Die Sache war nach zwei Wochen vorbei. Keine Schreierei wie bei dir und Herrn Talon, sondern stundenlanges Heulen, bis der Kerl endlich abzog.«

»Der Kerl hat geheult? Nicht Talon, oder?«

»Herr Talon rückte eine Kommode vor die Tür, als er den Jammerlappen endlich los war. Dann setzte er sich obendrauf, verschränkte die Arme vor der Brust und befahl mir, ihn zukünftig vor solchen Dummheiten zu bewahren.«

Ein Lächeln kroch auf winzigen Pfötchen in Grivs Mundwinkel. Er sah Talon vor sich, wie er da gesessen, sich bestimmt mit dem Rücken fest gegen die Tür gedrückt hatte, um die Tür zu sichern.

»Besser, Herr Griv. Und jetzt …«

»Untersteh dich, mir Befehle zu erteilen, Cigas!«

»Das hatte ich gar nicht vor. Aber du gehörst ins Bett. Gut, vorher solltest du ein Bad nehmen. Du hast nämlich auch am Hals noch etwas von diesem scheußlichen rosa Zeug.« Ihre Hände schlossen sich um seine. »Aber Herr Talon hätte dich wohl kaum gehen lassen, wenn nicht alles in Ordnung wäre.«

»Ich möchte nicht mehr über Talon sprechen.«

»Natürlich nicht. Schlaf gut, mein Junge. Die Stadt braucht dich, und ich für meinen Teil kann so viel besser schlafen, weil ich weiß, dass du über uns alle wachst. Sogar über Herrn Talon.«

Bevor er darauf eine angemessen bissige Erwiderung fand, wirbelte sie einfach herum und wackelte mit verblüffender Geschwindigkeit zum nächsten Stand. Die Frau sollte General werden, verdammt!

Er sammelte mühsam Würde und Konzentration um sich und suchte erneut seinen Weg über den überfüllten Markt. Weiter hinten konnte er schon das Torkastell der Kaserne aufragen sehen, dessen warmleuchtender Stein das bunte Treiben überragte und die Nachricht an jeden Bürger und alleBauern sandte, dass jemand über sie wachte.


Zwei Posten am großen Eingangsportal, die stramm Haltung annahmen, als Griv sich ihnen näherte. Und er wusste, wie er nach dieser sehr anstrengenden Nacht aussehen musste. Leicht angesengt, Schatten unter den Augen und rosa Glitzer so ziemlich überall. Phantastisch!

Er erwiderte den Gruß der beiden Männer höflich und trat in den schattigen Hof hinter dem Torbau, erlaubte sich ein Aufatmen und machte sich auf die Suche nach Meril. Die Sorge um Hauptmann und Armbrustschützen musste stärker sein als Erschöpfung und die Sehnsucht nach Bad und Bett, beschloss Griv energisch.

Glücklicherweise schien Meril nach ihm Ausschau gehalten zu haben, denn sie kam ihm aus dem Hauptgebäude entgegen, hastete die Stufen herab und schloss zu ihm auf. »Was hat Talon gesagt?«

»Er kannte das Artefakt nur aus Theorien in seinen Büchern. Er führt Versuche durch und war ausnahmsweise in Plauderlaune. Hauptmann, er gab mir ein rosa Pulver …«

»Das er schon über dir ausgestreut hat, Kommandant. Steht dir.«

»Nicht lustig. Damit darfst du auch dich und die Armbrustschützen einschmieren. Hände und Hals. Bleibt das Zeug rosa, ist alles in Ordnung. Der Erzmagier will nur sichergehen, dass niemand von uns magisch verseucht ist.«

»Verseucht?« Meril riss die Augen vor Überraschung weit auf.

»Die Magier denken sich immer etwas Neues aus, nicht wahr?«, gab Griv ein wenig bissig zurück. »Wenn sich der Staub verfärbt: Ab zum Erzmagier.« Obwohl der gesagt hatte, dass dann alles verloren war. Aber die Magierbande führte Versuche durch, das war doch zumindest ein kleiner Trost.

»Du könntest auch einfach Talon sagen. Erzmagier haben wir einige mehr in der Stadt.«

»Ich denke, es bleibt mir überlassen, wie ich den Erzmagier nenne.«

Sie seufzte. Dann sah sie sehr ernst auf Griv nieder. Dass sie ihn um fast einen Kopf überragte, störte ihn normalerweise nicht. Jetzt – in Kombination mit diesem Stoßseufzer – stieß es ihm sehr übel auf. »Ich wusste nicht, dass du immer noch daran trägst.«

»Was auch immer du dir da einbildest, es geht dich nichts an. Ich will ein heißes Bad und ins Bett. Der Erzmagier kommt später vorbei, um sich den Kadaver anzusehen.«

»Wann?«

»Woher soll ich das wissen? Wenn er fertig ist, mit dem Artefakt herumzuspielen!«

»Griv, obwohl du nur ein Mann bist, habe ich dich recht gern, das weißt du, nicht wahr?«

Er musterte sie finster und hoffte, diese Anwandlung im Keim zu ersticken. Erst Cigas, und jetzt kam auch Meril mit schlauen Ratschlägen daher? Das musste nun wirklich nicht sein. Er mochte sie, weil sie fähig und härter im Nehmen als jeder andere in der Kaserne war. Weil sie nicht jammerte, während sie sich auf einer Jagd durch die halbe Stadt die Nacht um die Ohren schlugen, sich inmitten eines Schneesturms die Ärsche abfroren oder einen vor Wochen verreckten Matrosen aus dem Abwasserkanal kratzten. Meril musste niemandem etwas beweisen, sie war einfach so. Nebenbei war sie zu einer guten Freundin geworden. In jedem Einsatz stellte sie den ruhenden Pol dar, jemanden, auf den Griv sich blind verlassen konnte. Der Hauptmann baute keinen Mist, so einfach war das.

»Du bist zickig wie ein Mädchen, das zum ersten Mal die Tage hat. Verdammt, Griv, such dir auf der Straße einen Willigen oder investiere ein paar Münzen. Du bist unausstehlich, wenn du untervögelt bist.«

Das war ein Hieb in die Magengrube. Trotzdem hielt Griv sich aufrecht und brachte mehr als nur bitter hervor: »Wie bitte?«

»Das mit dir und Talon ist vier Monate her. Du bist eiskalt und widerlich und lässt es an jedem aus. Auch an mir. Ich habe die Schnauze voll, ehrlich. Such dir einen anderen Mann – und sei es nur für eine Nacht. Und dann für die nächste Nacht einen anderen. Oder drei oder vier. Du hast es nötig, wirklich.«

»Danke für deine Anteilnahme, aber das geht zu weit, Meril.«

Sie trat einen Schritt näher und lächelte. Vermutlich verführerisch, dabei wusste er ganz genau, dass das nicht echt war. »Ich könnte die Augen zumachen, mir vorstellen, du wärst ein niedliches blondes Mädchen, und dich zumindest einmal gründlich durchknutschen. Allerdings würde dein Gesichtsgestrüpp meine Vorstellungskraft überfordern.«

»Das ist ein Bart!«

Meril grinste und streichelte ihm unvermittelt über die Wange. »Das ist schwarzer Samt! Dem du obendrein mehr Aufmerksamkeit als deiner Triebbefriedigung zukommen lässt. Du siehst wunderschön aus, Griv, als ob du allen Kerlen dieser Stadt zeigen wolltest, wie unerreichbar du bist. Sei ein bisschen schmutzig und lass einen Fachmann an dich ran, bevor ich dich erdrossele, weil du mir so auf die Nerven gehst.«

Griv wich ihrem Blick aus, sah mit zusammengebissenen Zähnen zu Boden, und Meril klopfte ihm auf die Schulter. Mit der gleichen robusten Zärtlichkeit, die sie einem Pferd zukommen lassen würde – und ebenso von Herzen, wie Griv genau wusste. »Oder versuche es noch einmal mit Talon. Immerhin hat er heute brav geplaudert. Vielleicht ist er ja fähig, sich zu bessern.«

»Das ist vorbei. Und ich wäre dankbar, wenn wir das Thema ruhen lassen könnten.«

»Natürlich, Kommandant. Ich gehe nun, die Männer und mich mit rosa Puder bestreuen. Soll ich dir einen Burschen nach oben schicken?«

»Was?« Jetzt riss er den Kopf doch wieder hoch und starrte Meril fassungslos an.

Sie lachte, schlug sich die Hand vor den Mund und brachte schließlich mühsam hervor: »Um deine Rüstung zum Schmied zu bringen! Wirklich, Griv, was du mir zutraust!«

Da jede Entgegnung erbärmlich geklungen hätte, nickte Griv Meril nur zu und ging hocherhobenen Hauptes ins Wohngebäude, bevor er womöglich noch mehr sein Gesicht verlor. Doch so sehr er auch die Ohren spitzte, Meril lachte nicht. Und sie besaß genug Verstand, um diese Unterhaltung vor niemandem aus den niederen Rängen zu wiederholen. Wenigstens etwas.

Zwei aufdringliche Frauen an einem Tag, die es für weise hielten, sich in sein Leben einzumischen, reichten vollkommen.

Unter dem Türsturz verharrte Griv und wandte sich noch einmal um. »Hauptmann!«

»Kommandant?«

»Eine Patrouille wird das Haus des Erzmagiers im Auge behalten. Fünf, sechs zuverlässige Männer, zwei Burschen für Botengänge. Und wenn der Erzmagier hierherkommt, wird er unauffällig und höflich eskortiert werden.«

»Sofort, Hauptmann.« Meril salutierte sogar, und als Griv sich wieder umdrehte, hörte er sie schon Befehle bellen.

Er stieg in den ersten Stock und betrat die kleine Wohnung, die ihm zur Verfügung stand. Er schloss die Tür, lehnte sich für einen Augenblick gegen das Holz und atmete auf, endlich alleine zu sein, endlich einen Augenblick Ruhe zu finden, während in seinem Kopf noch immer viel zu viel durcheinanderwirbelte.

Die Fratze des Magiers, als dieser mit lautem Hohnlachen eine Blitzlanze auf Griv feuerte. Das harte Klicken, als die Armbrustschützen nahezu gleichzeitig ihre Bolzen auf den Funken sprühenden Irren abschossen. Der dumpfe Aufprall des leblosen Körpers. Talons Nachtduft, der wie eine Wolke im Schlafzimmer hing. Das flackernde Licht der Straßenlaterne auf nackter Haut, unter der sich die Muskeln klar konturiert abzeichneten. Wie Talons Augen sich angesichts der Abfallkugel geweitet hatten. Das klare Grün wie von frischem Frühlingslaub und ein so aufregender Kontrast zu dem feuerroten Haar.

Griv biss die Zähne fest zusammen, versuchte, nicht an den liebevollen Klaps auf seine Kehrseite zu denken, an die behutsame Berührung, als Talon ihn mit rosa Glitzer beschmierte, solche Sorge in den Augen, das Gesicht hart und wachsam. Aber es war, wie der Erzmagier gesagt hatte. Talon hatte Griv keine Gelegenheit gegeben, ihn zu verlassen. In einem lautstarken Streit, dessen einziges Anzeichen von Charakterstärke darin lag, dass Talon keine Magie androhte oder gar anwandte, hatte der Magier seinen vormaligen Geliebten kurzerhand vor die Tür gesetzt.

Kurz schloss Griv die Augen, ballte die Hände zu Fäusten, dann stieß er sich ab und begann, seine Rüstung aufzuschnüren. In der Kaserne tummelte sich mehr Jungvolk – Jungen und Mädchen, die Griv selbst aus der Gosse aufgelesen hatte, um ihnen hier ein Dach über dem Kopf, regelmäßige Mahlzeiten und Disziplin zukommen zu lassen – als Wachleute. Im Pferdestall gab es immer genug zu tun, und sonst blieben Putz- und Küchenarbeit, Botengänge und auch die eine oder andere Spitzelei für die Kinder zu tun. Und da ihrer so viele in der Kaserne waren und Meril ebenso wie Griv entschieden etwas gegen Müßiggang hatte, würde der Hauptmann nicht lange warten, bevor sie jemanden schickte, der die ramponierte Rüstung abzuholen hatte.

Griv stapelte Panzer, Beinschienen und Armplatten neben der Tür und ging in das nebenan gelegene Badezimmer. Glorreicher Ausdruck für einen kahlen Raum, in dessen einer Ecke ein großer Holzzuber stand. Gespeist wurde der Kübel mit Wasser aus der Dachzisterne. Meist eher lauwarm denn heiß, wenn der Ofen, durch den die Wasserrohre verliefen, nicht mit genug Holz bestückt worden war. Gleichgültig, befand Griv und drehte den Wasserhahn auf.

Er hörte das Klopfen an seiner Zimmertür und ging wieder zurück, um zwei rotbackige Knaben einzulassen, die sich mit seiner Ausrüstung beluden und nach präzisem Salut wieder verschwanden.

Zeit für ein lauwarmes, entspannendes Bad, um den restlichen rosa Glitzer loszuwerden. Und dann ins Bett, das schon jetzt eine nahezu magische Anziehungskraft auf Griv ausübte.

Er ließ die getragene Kleidung auf den Fußboden fallen und kletterte in seinen Zuber. Wärmer als befürchtet. Mit einem tiefen Aufseufzen ließ Griv sich sinken, bis das Wasser ihm bis zum Hals stand. Muskeln begannen ganz allmählich, sich ein wenig zu entspannen. Dafür brachten blaue Flecken und Prellungen sich frisch in Erinnerung. Doch der Zusammenstoß in dem brennenden Haus hätte sehr viel übler ausgehen können. Vor allem, wenn Talons Theorien stimmten. Ein Magier, dem lange, lange nicht die Kraft ausging, der womöglich über mehr als ein, zwei Stunden hinweg seine Zauber wirken konnte … Griv wurde schlecht bei der Vorstellung. Der Bastard hätte die ganze Truppe auslöschen können, wenn die Schützen nicht so rasch und gnadenlos reagiert hätten. Sicher, zu dem Zeitpunkt, an dem der Magier zu Boden stürzte, hätte Griv die Männer beinahe angefaucht, weil ihm nun eine Befragung des Zauberwirkenden unmöglich gemacht worden war. Doch mit dem Wissen, das Griv nun dank Talon besaß, waren die vier Armbrustbolzen das Beste gewesen, was geschehen konnte. Nun lag der Kadaver im Keller auf kaltem Stein. Stattdessen hätten dort Griv, Meril und die vier Schützen liegen können.

Er schauderte und tauchte unter, ließ die Wärme des Wassers ihre Wirkung tun, kam wieder an die Oberfläche und schnappte nach Luft. Besser. Und nach ein paar Stunden Schlaf würde er auch wieder klar denken können, statt das Vergangene in immer neuen Schreckensbildern vor dem geistigen Auge ablaufen zu lassen.

Griv schnappte Seife und Waschtuch und wusch sich schnell und energisch den Dreck der Nacht und die letzten Spuren Glitzer von der Haut. Er stieg aus dem Zuber und trocknete sich ab, bevor er – ein Nachteil des Kasernenlebens, in dem jeden Augenblick ein aufgeregter Bursche, Hauptmann oder Soldat es für nötig befinden konnte, den Kommandanten der Stadtwache aus dem Bett werfen zu müssen – eine verwaschene Leinenhose, die nicht einmal bis zum Knie reichte, und ein ärmelloses, fadenscheiniges Hemd anzog. Dann tappte er barfuß zum Bett und kuschelte sich unter die Decke, drehte sich auf die Seite und schloss die Augen.

Lästig, dass er noch im Wegdämmern Talons Gesicht vor Augen hatte, den Ausdruck in den grünen Augen sah. Eine Mischung aus Sorge und Flehen. Beinahe meinte Griv, eine große Hand zu spüren, die federleicht auf seiner Schulter lag, dann der Linie des Rückgrats folgte. Er stöhnte missmutig, zog die Decke halb über den Kopf und flüchtete in den Schlaf, wohin ihm der Duft des großen Magiers folgte, vertraut und so bitterlich vermisst.

 

Talon wusste genau, wie Griv den Eintritt in den Kasernenhof genannt hätte: Kriegsschiff unter vollen Segeln.

Es fiel mit einem Mal so leicht, all die kleinen Spitzen wieder im Gedächtnis zu haben, zu allen möglichen und unmöglichen Zeitpunkten wieder an Griv zu denken, der malerisch auf einem Sessel lümmelte, die wohlgeformten, muskulösen Beine über eine Seitenlehne geschwungen, ein Buch auf den Oberschenkeln, die Stirn leicht gerunzelt.

Lesen fiel dem ehemaligen Straßenkind bisweilen immer noch schwer. Wie angestrengt er sich konzentrieren musste, hing von der Handschrift des Kopisten ab, doch Griv gab niemals auf. Beharrlich wie der Köter, als den so manche Stadtbewohner ihn auch heute noch gerne bezeichneten – und etliche Magier.

Aber er hatte es geschafft. Von einem verwaisten Straßenjungen, der im Winter Angst vor Erfrierungen oder Tod und immer Hunger gehabt hatte. Leider waren Charakter und Loyalität bei diesem Überlebenskampf auf der Strecke geblieben.

Talon reckte das Kinn vor, zog den langen Mantel fester um sich und stolzierte auf den Hof. Grivs Revier, keinesfalls neutraler Boden, doch es würde gehen. Zumindest Zusammenarbeit musste doch halbwegs zivilisiert möglich sein, zumal sie tatsächlich am gleichen Strang zogen. Talon hatte das Versprechen, mit keinem anderen Magier über den Orb und den nächtlichen Zwischenfall zu reden, ernst und erleichtert gegeben. Dem Kommandanten hingegen musste Talon sogar Einzelheiten und die Ergebnisse der ersten Versuche berichten. Da zahlte es sich aus, dass Griv an nichts anderes als die Gesetze der Stadt, die Sicherheit der Bürger und natürlich an sich selbst dachte. Bei der Reihenfolge von Grivs Prioritäten war Talon sich nicht ganz sicher.

Seine Gedanken flogen zu jenem jungen Mann, der nach der schmerzhaften und lauten Trennung den Platz an Talons Seite wenige Wochen lang eingenommen hatte. Ein junger Adliger, wie Griv ohne Magiebegabung. Magier neigten zu Rivalität, und das musste Talon wirklich nicht unter seinem Dach erdulden. Nicht, nachdem Griv schon ausreichend um die Oberhand gerungen hatte, was schließlich in Verrat und Vertrauensbruch gegipfelt hatte.

Jenais war ein netter, weicher Mann gewesen, anschmiegsam, während Griv wahrscheinlich noch nicht einmal die Bedeutung des Wortes kannte. Höflich, mit leiser, sanfter Stimme. Liebevoll und devot im Bett. Keinesfalls schweißtreibend und fordernd. Zwei oder drei Wochen lang hatte die Affäre angedauert, bis Talon meinte, vor Langeweile sterben zu müssen und den reizenden Jenais, der sich bei der Ankündigung in eine wandelnde Gießkanne mit der Geräuschkulisse eines Seehundwelpen verwandelte, aus dem Haus und vor allem aus seinem Leben komplimentierte. Dann doch lieber Welle um Welle Gossensprache erdulden. Nicht, dass Talon das jemals wieder aufwärmen wollte.

Wenigstens blieben die beiden Wachen am Tor stehen, die Griv offenbar zu Talons Schutz ausgesandt hatte. Rührend auf gewisse Weise, wenn denn die Bewaffneten nicht auch zur Kontrolle geschickt worden waren, was Griv ähnlich sehen würde. Misstrauen auf zwei Beinen, wirklich.

Talon erlaubte sich ein leises Aufatmen, als Meril ihm entgegentrat. Hochgewachsen und kampferprobt war sie Talon schon immer als ruhiger Gegenpol zu Griv erschienen. Genau das, was die Stadtwache benötigte. Er neigte höflich den Kopf – nicht zu weit, immerhin war er Erzmagier. »Hauptmann. Da keine schäumenden Pferde vor meiner Haustür hielten, gehe ich davon aus, dass niemand … Nebenwirkungen vom nächtlichen Einsatz davontrug.«

»Richtig. Trotzdem danke für die Unterstützung. Der Kommandant befahl uns sofort nach der Entdeckung des Artefakts, auf Abstand zu bleiben. Er alleine hat das Ding geborgen. Immerhin ist er mit Magie ja etwas vertrauter als ich.«

War das ein Seitenhieb gewesen? Talon war sich ganz und gar nicht sicher. Schließlich hatte er Meril seit der Trennung von Griv nicht mehr gesehen, und es war zu erwarten, dass sie treu zu ihrem Kommandanten stand. Er beließ es sicherheitshalber bei einem weiteren Nicken.

»Der Kommandant ist in seinem Quartier. Aber er gab Order, dich in den Keller zu bitten, wo der Kadaver liegt. Vielleicht erkennst du den Mann.«

Diese Angewohnheit, Leichname mit der abwertenden Bezeichnung eines toten Tieres zu benennen, bereitete Talon schon bei Griv Magenschmerzen. Aber was erwartete er? Griv gab den Ton vor. Bestimmt gab es in der ganzen Stadtwache niemanden, der pietätvoller von einem Verstorbenen sprechen würde.

»Ich werde mein Möglichstes geben, die Person zu identifizieren«, antwortete er also.

Meril grinste und übernahm die Führung. So tief war Talon noch nie in die Eingeweide der Kaserne vorgedrungen. Zu Beginn der Affäre mit Griv hatte er diesen mitunter abends hier abgeholt oder sich auch zu einer Mahlzeit mit ihm verabredet. Später war das nicht mehr nötig gewesen, denn Griv packte ein bescheidenes Bündel und zog in Talons Haus, das mehr als genug Platz bot. Und weniger Augen und Ohren besaß, wenn es nachts etwas lebhafter zuging. In der Kaserne hingegen fühlte Talon sich wie auf einem Präsentierteller, während er dem Hauptmann über den Hof folgte.

Stallburschen spähten über Halbtüren hinweg oder um ein auf Hochglanz geputztes Pferd herum, um einen Blick auf den Erzmagier zu erhaschen. Wachposten, die auf dem Wehrgang patrouillierten, blieben stehen und sahen ihm nach. Selbst ein Halbdutzend Mädchen, das vor einem flachen Gebäude rund um eine Wasserpumpe verteilt Wäsche wusch, hob die Köpfe. Dunkle Augen folgten Talon, bis er in den Schatten eines Torbogens trat.

Nun, ganz konnte er die Neugierde nicht verdenken. Die meisten hier wussten wohl, dass er und Griv ein Paar gewesen waren. Hinzu kam natürlich Talons prachtvoller Auftritt. Das Kriegsschiff unter vollen Segeln, wobei die Beschreibung wahrscheinlich niemals schmeichelhaft oder respektvoll gemeint gewesen war. Talon biss die Zähne zusammen. Wer sich Respekt erhoffte, sollte wohl doch besser einen Jüngling aus Adelskreisen zu seinem Geliebten machen. Wenn der Kerl nur nicht so ermüdend gewesen wäre. Und wenn nicht Küsse nach dem Frühstück wegen des elenden Geschmacks der Quittenmarmelade ein Ding der Unmöglichkeit dargestellt hätten!

Eine Treppe führte hinab in einen feucht riechenden Keller. Talon hatte bei jedem Atemzug das Gefühl, dass Moos auf seiner Zunge wuchern wollte. Spinnweben verkleisterten jede Ecke, gewaltige Holztüren versperrten zur Seite abgehende Gelasse oder Flure.

Meril blieb vor einem Portal stehen, zog einen Schlüssel aus ihrer Gürteltasche und entriegelte das Schloss. »Er riecht ein wenig angebrannt, weil er das ganze Haus in Flammen gesetzt hat. Aber er ist nicht entstellt. Vier hübsche Löcher hat er davongetragen.«

»Griv hat mir berichtet, dass der Magier die Aufforderung, das Feuer einzustellen, ignorierte.«

»Nette Umschreibung, Erzmagier. Griv hat sich deutlich zu erkennen gegeben. Und ehrlich: Jeder in der Stadt weiß auf den ersten Blick, wer er ist. Selbst wenn jemand so hinter dem Mond leben sollte, dieses Gesicht nicht einordnen zu können, so spricht Grivs Rüstung Bände. Ich dachte wirklich, der Magier bringt ihn um. Ich sprang vor, um mich notfalls vor meinen Kommandanten zu werfen. Er war es, der mich wie nebenbei gerettet hat, denn er tauchte zur Seite und riss mich mit sich in Deckung. Der Magier hat vor unserer Ankunft einige Bewohner der Nachbarhäuser umgebracht. Sie wollten einfach nur das Feuer löschen, bevor es auch ihre Heime einäschert, und dafür hat er sie ermordet. Der Kerl hat bekommen, was er verdiente, und ich bin froh, dass es nicht noch mehr Todesopfer gab.« Sie stieß die Tür auf und wies mit einer knappen Geste auf eine stille Gestalt unter einem sauberen Leinentuch. »Bislang war niemand hier, um den Kadaver zu beanspruchen. Für eine Trauer oder Bestattung. Da die Geschichte seit Stunden die Runde macht, vermute ich, dass niemand es wagt. Oder niemand diesen Kerl kennt. Hoffentlich kannst du uns weiterhelfen.«

Talon ertappte sich dabei, die Luft anzuhalten, als Meril vortrat und den oberen Saum des Tuchs packte, um dieses mit Schwung von Gesicht und halbem Oberkörper des toten Magiers zu ziehen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739398013
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Schlagworte
schwul Fantasy Gay Romance Romance Liebe gay Liebesroman

Autor

  • Tanja Rast (Autor:in)

Geboren 1968 als echte Kieler Sprotte im nördlichsten Bundesland, wohne ich mit vielen Tieren auf dem Land. Katzen, Hunde und Pferde beeinflussen Leben, Alltag und natürlich das Schreiben. Nach vielen Geschichten, die ich rückblickend als „Versuche, das Schreiben zu lernen“ bezeichne, sind bisher mehrere Kurzromane und Kurzgeschichten von mir erschienen. Mit "Der Magie verfallen" präsentiere ich meine Gay Romances in phantastischen Welten.
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Titel: Feuerzauber