Lade Inhalt...

Mafia Prince

von Mina Jayce (Autor:in)
258 Seiten

Zusammenfassung

Eine Geschichte über eine Liebe, die so leidenschaftlich ist, weil sie nicht existieren darf. Lassen Sie sich verzaubern und an einen Ort bringen, an dem sich zwei Herzen kompromisslos miteinander verbinden und tiefe Gefühle die Dunkelheit bezwingen.
– Sinnlich, romantisch, spannend!

Angelo
Sie hat ja keine Ahnung, auf was sie sich da einlässt. Die Welt, in der wir leben, ist besonders, aufregend und gefährlich. Viele wollen ein Teil davon sein.
Wer wir sind? Eine der mächtigsten Familien Italiens. Wir besitzen Geld, Macht und Größenwahnsinn. Wir kontrollieren, wir regieren. Mit Logik, Verstand und kalkulierter Härte. Nichts und niemand kann mich aus dem Konzept bringen.

Ella
Es ist die Chance meines Lebens! Ich wurde auserwählt, die Geschichte über einen der mächtigsten Clans der Welt zu schreiben. Dass ich vorhabe, etwas ganz anderes zu veröffentlichen, das wissen sie nicht. Natürlich nicht, denn ich werde die geheimen Machenschaften der De Luca Familie aufdecken und in den Medien davon berichten. Doch wer ist er? Und was macht er mit mir? Weshalb habe ich plötzlich das Gefühl, dass ich ohne ihn nicht mehr atmen kann? … Und doch mit ihm nicht sein darf?

Abgeschlossener Liebesroman.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel Eins

Ich habe in meinem Leben nie große Pläne gehabt. Ich bin das Blatt im Wind gewesen, das sich bei unruhigen Gezeiten in die Lüfte erhoben hat und irgendwohin geflogen ist. Sich hat treiben lassen. Dass es mich in die Nähe von Neapel verschlugen hat, ist mehr ein Unglückshauch als eine glückliche Fügung gewesen.

»Mistkarre!«, fluche ich und stoße mit der Hand gegen das Lenkrad.

Direkt neben einer rauen Küste und einem wunderschönen Sonnenaufgang hat der alte Fiat meiner Freundin Julia seinen Geist aufgegeben. Die Felsenküste liegt wie ein schroffer Teil eines Gebirges vor mir, hinter dem sich das glitzernde Blau einer Unendlichkeit wie ein Nebel aus Träumen erhebt. Die flirrende Luft ist heiß, der Duft von Zypressen hängt wie ein Parfum unter den Wolken und umspielt meine Sinne, die sich nach dem Sommer ausstrecken. In meinem luftigen, honiggelben Chiffonkleid steige ich aus dem Wagen und öffne die Motorhaube. Ich finde den Motor – keine Selbstverständlichkeit, da die Motorik eines Autos nicht zu meinen Fachgebieten zählt. Ich bin Journalistin und keine Mechanikerin. Somit kann ich problemlos seitenlange Geschichten über Autoproblematiken schreiben, ein Essay darüber verfassen, wie desaströs eine Autofahrt an Neapels Küste enden kann, doch bin – wenn es darauf ankommt – hilflos einer Autopanne ausgeliefert. Ich könnte googeln: Rauchentwicklung, Fahrzeug springt nicht an. Help! Was tun? Ja, was denn? Selbst mit genauen Anweisungen wäre ich aufgeschmissen. Ich hätte kein Werkzeug dabei, um einen Versuch zu starten, die Karre zu reparieren. Für einen ordentlichen Ausweg aus dieser verzwickten Situation helfen mir ein Laptop und meine kreativen Gedanken wenig.

Ich stoße mich vom heißen Blech des Wagens ab und gehe an die Klippe nach vorne, von der es kein fahrbares Entkommen gibt. Immerhin, ich hätte es schlimmer treffen können. Ich hätte bei irgendeiner öden Biegung liegen bleiben können. Aber das hier, das, was ich gerade sehe, ist atemberaubend, wild … und wunderschön. Sagenhaft. Wenn schon keine Weiterfahrt möglich ist, dann zumindest ein Festsitzen an einer der bezauberndsten Küsten der Welt.

Ich starre auf das glitzernde Blau des Meeres, das wie ein Seidentuch ausgebreitet vor mir liegt, und seufze. Zu meinem Termin komme ich zu spät. Viel zu spät. Und ich habe keine Telefonnummer von meinem ominösen Terminpartner. Wer hat schon die Handynummer oder E-Mail-Adresse der Mafia? Ich ziehe eine Wasserflasche aus der Ledertasche, öffne sie und lösche meinen Durst, um wieder klar denken zu können. Die Flasche verschwindet leer getrunken in der Handtasche, genauso wie die Hoffnung auf die Story des Jahres. Bye, bye, Pulitzerpreis! Bye, bye, Prämie, mit der ich mir eine nagelneue Vespa in Knallrot kaufen wollte. Enttäuscht stütze ich den Kopf in die Hände und entscheide, nach ein paar Minuten des Selbstmitleids, zu Fuß weiterzugehen. Theoretisch sind es nur zwanzig Kilometer bis zu meinem Endziel. Kann man zwölf Meilen in Flip-Flops und einer brütenden Hitze überleben?


Zumindest kann man es dreißig Minuten lang. Ich bin eine gefühlte Ewigkeit auf dünnen Sohlen unterwegs, was den letzten Funken Ausdauer nach jedem Schritt aufs Neue prüft. Der Schweiß rinnt nass über meine Stirn, die Sonne flackert am Horizont und scheint nur eine Aufgabe erfüllen zu wollen: mich zu verbrennen. Ich fächere mir Luft zu und laufe tapfer weiter. Dabei denke ich an all die Extremsportler – kurz genannt … irren Menschen –, die meilenlang durch die Wüste rennen, auf der Suche nach … Ja, was denn eigentlich? Hitzebedingt würde ich sagen, sie fordern eine Konfrontation mit dem Tod, vielleicht eine Nahtoderfahrung? Auch wenn man das einfacher erleben könnte als mit einem Hürdenlauf durch eine Sandwüste.

Motorengeräusche reißen mich plötzlich aus meinen Gedanken. Ein Auto! Na endlich! Rettung! Ich drehe mich um. Winke. Hüpfe. Hastig rudere ich mit den Armen in der Luft. Eine schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben rast in schneller Geschwindigkeit an mir vorbei.

»Vollidiot!«, brülle ich und zeige ihm den Stinkefinger. »Ich werde hier sterben! Welches Arschloch ignoriert eine Frau, die kurz vor dem Verdursten steht?!«

Plötzlich legt der Wagen eine Vollbremsung hin. Die Reifen quietschen. Eine heftige Staubwolke wirbelt über den grau flirrenden Beton. Das Auto fährt rückwärts. Am Rande einer Kurve hält es an. Der Staubnebel lichtet sich und die Sonne bringt die schwarze Karosserie zum Glänzen. Einige Meter vor mir stehen die vier Räder still. Niemand steigt aus. Seltsam. Ich beobachte die exklusive Karre aus sicherer Entfernung. Vielleicht hätte er doch weiterfahren sollen. Oder ist es eine sie?

Schwungvoll geht die Beifahrertür auf. Polierte Männerschuhe berühren den staubigen Boden. Bewegung kommt ins Spiel. Eine schwarze Stoffhose, dann ein muskulös gebauter Oberkörper und schlussendlich das kantige und harte Gesicht eines Mannes Mitte vierzig, dessen Haar grau meliert ist, erscheinen. George Clooney Style. Auf der Nase sitzt eine dunkle Sonnenbrille, die er sich zurechtrückt. Er streicht sich sein schwarzes Sakko glatt und sieht zu mir. Als er zwei Schritte hinter den Wagen macht, wirbelt er den Staub der trockenen Straße auf, der sich träge über das glänzende Leder seiner Schuhe legt. Ein Kopfnicken in meine Richtung, dann Worte, die auf mich zielen: »Signora Branson?«

Ungläubig starre ich den Mann an.

»Signora Branson?«, fragt er abermals, als ich nicht antworte, und kommt näher.

Stumm nicke ich. Trage ich ein Schild oder eine Tätowierung mit meinem Namen?

»Wir wurden von Emanuele De Luca geschickt, um Sie abzuholen. Sie hatten sichtlich ein Problem mit Ihrem Wagen.«

Problem? Die Karre hatte einen Hitzekollaps. Man wird sie aus ihrem Dornröschenschlaf nicht mehr erwecken können. »Woher wussten Sie von meiner Panne?« Nervös mache ich ein paar vorsichtige Schritte auf den Unbekannten zu, auch wenn Zurücklaufen die weitaus sicherere Alternative wäre, doch ich werde von Gefahr ebenso angezogen wie von Stracciatella Eis mit Sahne.

Er öffnet die Hintertür der Limousine.

»Wir wissen so einiges, Signora. Darf ich bitten?«

Steig nicht in das Auto eines Fremden! Alle Warnungen aus der Kindheit echoen in meinem Kopf.

»Wir bringen Sie zu Signore De Luca. Er hasst es, zu warten. Veni! Um Ihren Wagen kümmern wir uns später.« Er wirkt ungeduldig wie jemand, der keine Zeit darauf verschwenden will, länger hier stehen zu bleiben.

Mein Herz pocht aufgeregt vor sich hin, was nicht an der Hitze liegt. Mit jedem naiven Schritt, den ich auf das Auto zumache, verstärkt es seine Schläge wie eine Armee an warnenden Soldaten. Mein Verstand fordert mich auf, umzudrehen, zum Fiat zurückzukehren, davonzulaufen. Doch das erfolgshungrige Ego, das einen narzisstischen, unkontrollierbaren Part in mir eingenommen hat, möchte zum Anwesen der Familie De Luca fahren. Eine andere Variante stand nie zur Debatte. Entweder wäre ich verschwitzt mit dem Fiat auf das Grundstück angerollt, oder eben in dieser mit Klimaanlage ausgestatteten Luxuskarre. Ich hätte es schlimmer treffen können. Wovor habe ich plötzlich Angst? Wenn ich jetzt den Rückwärtsgang einlege und zurück nach Rom düse – oder retour laufe – würde mir alles entgehen. Eine komplett fremde Welt. Eine wahnsinnig spannende Geschichte – vielleicht die Story meines Lebens, die mich berühmt machen würde, und das Abenteuer, das mich aus meiner Alltagslethargie reißen wird. Ich muss De Luca treffen, auch wenn mir dieser Abholservice mehr als suspekt ist. Ungeduldig trommelt der Beifahrer auf das Autoblech und mustert mich wie eine unliebsame Fracht, die er abzuliefern hat, ehe er zu seinem Mittagessen kommt.

»Okay, okay, ich komme ja schon«, murmele ich, doch ehe ich einsteigen kann, werde ich auf Waffen untersucht.

Mit einem tiefen Atemzug rutsche ich auf die Rückbank.

Das mulmige Gefühl klammert sich an mich, dieses Mal verstärkt, als wäre es sauer, dass ich die warnenden Herzschläge und das Zittern in den Händen ignoriert habe. Ich streiche mit den Fingern über das kühle, glatte Leder der Sitzbank, das meine Oberschenkel in den nächsten Minuten wieder auf Normaltemperatur bringen wird, und sauge die klimatisierte Luft in die Lungen wie ein Taucher, der in eine andersartige Welt abdriften will. Alles wird gut werden.

Der Fahrer blickt über den Rückspiegel zu mir. Mit einem tiefen »Buongiorno« begrüßt er mich, dann startet er den Motor. Er trägt ebenso einen dunklen Anzug, schwarze Sonnenbrille und glatt frisiertes Haar. Sein Gesicht ziert ein aufgesetztes Lächeln, das seine kantigen Züge versucht, zu entschärfen, doch gelingt es nicht. Der Beigeschmack von Kompromisslosigkeit gegen Leute, die ihm zuwider sind, bleibt. Der Beifahrer, der mir eben noch die Tür aufgehalten hat, rutscht zu mir auf die Rückbank.

»Signora, bitte setzen Sie diese hier auf!« Er zeigt mir eine schwarze, seidene Augenbinde, die man aus Filmen im Spätabendprogramm kennt.

Doch anstatt der Bitte nachzukommen, ziehe ich nur eine Augenbraue hoch.

»Kein höfliches Anliegen«, knurrt er. »Eine Aufforderung, Vorsichtsmaßnahme. Niemand darf wissen, wo das Gelände der De Luca Familie liegt.«

»Aber ich habe sogar die Adresse«, spotte ich und entsende ein überhebliches Grinsen in seine Richtung.

»Sie haben nicht die Anschrift des Anwesens. Lediglich eine Adresse. Weit entfernt von der Casa! Der Wohnsitz der Familie De Luca ist ein gut gehütetes Geheimnis, beinahe so mysteriös wie Atlantis«, sagt er und seine Überlegenheit wirkt anmaßend.

Missmutig neige ich den Kopf, damit er mir die Augenbinde anlegen kann. Als er das tut, verdunkelt sich die Welt um mich herum. Die lauten Herzschläge in meinem Inneren füllen die Ungewissheit und Dunkelheit aus. Es war ein Fehler, in den Wagen zu steigen. Eine ganz große Dummheit, hierherzukommen! Das alles hier wird böse enden.

Bitterböse.

»Andiamo!«, ruft der Typ neben mir und klopft auf etwas, das wie hartes Leder klingt.

In Gedanken erinnere ich mich an die wesentlichen Merkmale der zwei Männer, sollte ich entführt werden und sie später – im Falle einer unwahrscheinlichen Rettung – identifizieren müssen: Beide tragen dunkle Anzüge, schwarze Sonnenbrillen und braunes Haar. Sie sind über vierzig, aber unter fünfzig. Italiener, wie man unschwer an der perfekten Aussprache und ihrem Auftreten erkennen kann. Groß gewachsen. Ihr Erscheinen signalisiert elegante Männlichkeit gepaart mit gefährlicher Dominanz. Einladend gefährlich. Das Auto, in dem ich sitze, ist kostspielig, eindeutig eine Spezialanfertigung, das erkennt man an der teuren Sonderausstattung. Vermutlich kugelsicher. Ich gehe das Kennzeichen in meinem Kopf durch. Nur für den Fall, dass … Doch plötzlich versagt das selbst auferlegte Beruhigungsritual, denn eine einzige Frage ist alles, was mich noch beschäftigt: Komme ich lebend aus der Sache raus?

»Woher wussten Sie, dass ich ein Problem mit dem Wagen habe?«, will ich wissen und lasse einen hörbaren Zynismus mitschwingen.

Der Beifahrer stöhnt. »Signorina, Sie haben ein Treffen mit Emanuele De Luca. Er überlässt nichts dem Zufall und schon gar nichts dem Schicksal. Er weiß alles. Immer.«

Ich nicke knapp und halte mich am kalten Türgriff fest. Keine Ahnung, warum ich mir das antue, weshalb ich unbedingt eine Geschichte über diesen mächtigen Clan schreiben will. In der Redaktion haben mich alle davor gewarnt und haben es als absurd abgestempelt. Die naive Amerikanerin möchte die geheimen Machenschaften der De Lucas aufdecken, haben sie im Büro gewitzelt, doch darin versteckt war kein Witz, sondern Argwohn, Absurdität, eine gewisse Unverständlichkeit mir gegenüber. Dabei will ich die Mafia nicht herausfordern, nur verstehen, wie das System »Untergrundorganisation« funktioniert.

Und die De Luca Familie ist nun mal der Bugatti unter ihnen. Sie sind eine, wenn nicht die einflussreichste Mafiafamilie Italiens.

Als meine Kollegen erfahren haben, dass ich eine Einladung für ein Interview mit dem großen Emanuele ergattert habe, ist allen die Spucke weggeblieben. Immerhin bin ich aus den Staaten.

»Wieso eine Amerikanerin?«, hat Fabrizio heute Morgen gegrübelt, als ich mich mit einem Kuss von ihm verabschiedet habe.

Mit Fabrizio habe ich mehr Glück als Verstand gehabt, denn uns verbindet eine lockere Bettgeschichte. Wir haben uns bei der Zeitung, bei der ich arbeite, kennengelernt. Ein verheißungsvolles Treffen vor der Mikrowelle, verbunden mit dem kläglichen Scheitern, Makkaroni mit Käse darin aufzuwärmen, hat uns zusammengebracht. Eine glückliche Fügung mit einer aussichtslosen Zukunft. Er hat die Makkaronibox gesehen, und sie mit einem Kopfschütteln und einem angeekelten Ausdruck in den Augen aus meinen Händen entrissen und in den Müll geworfen, weil niemand Nudeln mit Käse aus einem Pappbecher verzehren sollte. Nicht in Italien!

Was soll ich sagen, damit hat er mein hungriges Herz gewonnen. Ich stehe nun mal auf den männlichen Beschützertyp. Er ist mit mir Pasta essen gegangen und damit ist unser Liebesschicksal besiegelt gewesen. Letztendlich konnte mich nur sein Body überzeugen, nicht sein Charakter, denn mehr als Anziehung und guter Sex ist da nicht zwischen uns. Er ist chaotisch, selbstüberzeugt, will sich nicht binden und findet jede Frau schön, die ihm in High Heels und einem kurzen Röckchen über den Weg läuft. Ein italienisches Laster und Desaster. Das Che-Bella-Syndrom, als das ich es bezeichnen würde.

»Du solltest absagen, lass es bleiben«, hat er gesagt, als wir heute bei einem zeitlichen Frühstück gesessen haben. »Wer weiß, was die mit dir vorhaben. Vielleicht ist die Geschichte nur ein Vorwand und du landest in einem Bordell. Hübsch genug wärst du ja. Oder sie schlachten dich aus. Organhandel und so, du weißt schon.« Dabei hat er die Frühstücksflocken mit seinem Kiefer zu Brei gemalmt und sie mit einem Schluck Kaffee nachgespült.

Stirnrunzelnd hat er auf eine Antwort à la: »Du hast recht Darling, ich mache es nicht und bleibe bei dir im warmen Bett, um weiter über Trends in der Toilettenkosmetik zu schreiben!« gewartet. Ich habe überzeugt den Kopf geschüttelt, den Rest des Kaffees in meinen Rachen gekippt, und mich nicht von meinem Vorhaben abbringen lassen, nach Süditalien zu reisen.

Natürlich kenne ich die ganzen Schauerstorys über die Mafia. Aus Filmen und Büchern, aus unzähligen Recherchen – doch was davon stimmt? Was ist wirklich wahr? Ab heute habe ich die Gelegenheit, im selben Haus mit ihnen zu wohnen, dieselbe Luft zu atmen. Es wird das Abenteuer meines Lebens werden! Ich wollte Achterbahn fahren, um der Langeweile des Alltags den Stinkefinger zu zeigen. Vorhin bin ich offiziell in das Wagnis eingestiegen, ohne den Sicherheitsgurt anzulegen, nun gibt es kein Zurück mehr.

Vor Wochen hat die Redaktion eine Ausschreibung für Autoren, die Story von Emanuele De Luca zu verfassen, erreicht. Ich habe mich beworben und mir dabei null Chancen ausgerechnet. Warum die Wahl ausgerechnet auf mich gefallen ist, ist vielen ein Rätsel. Laut des Schreibens der Familie darf ich nur das zu Papier bringen, was der Big Boss will. So der Deal. Dass ich vorhabe, eine ganz andere Story zu veröffentlichen, wissen sie nicht. Natürlich nicht. Und dass es absolut naiv von mir ist, zu glauben, damit davonkommen zu können, wahrscheinlich auch. Doch die besten Journalisten sind die, die sich zu weit aus dem Fenster lehnen und mit ihrer Unvernunft spielen. Immerhin bin ich auf der Suche nach Abgründen, nach der Geschichte, die niemand erzählt, die verborgen im Halbdunkel liegt. Es wird die Enthüllungsstory des Jahres – nein, des Jahrzehnts! Ich sehe die Headline schon vor mir: Die dunklen, geheimen Machenschaften der De Luca Familie. Mit diesem Artikel werde ich zur Elite der Journalisten weltweit aufsteigen. Und danach um Asyl in Grönland ansuchen müssen. So viel ist sicher.


Etliche Minuten fahren wir auf ebenem Untergrund dahin. Der Innenraum ist erfüllt mit dem Aftershave der beiden Männer. Holz trifft auf Erde. Amber auf Orange. Niemand sagt etwas. Puccini dringt aus den Boxen an mein Ohr. Eine Melodie, die ich erst kürzlich in einer Wellnessoase gehört habe, doch mit Entspannung hat das hier nichts zu tun.

Wir sind eine ganze Weile unterwegs. Zwanzig Kilometer, dreißig Kilometer? Wie lange schon? Wir müssten längst da sein. Wohin bringen sie mich?

»Sind Sie sicher, dass Sie den Weg kennen? Sollten wir nicht bereits an unserem Ziel angekommen sein?«

»Keine Sorge. Wir sind gleich da. Sie wissen die Endadresse nicht. Oder glauben Sie noch immer, Emanuele De Luca würde Ihnen seine Wohnadresse geben? Dann hätten sie ebenso gut im Telefonbuch nachsehen können.« Beide lachen aus ganzer Kehle, als hätte ich ihnen gesagt, dass die Queen meine Großmutter sei. Wenn Absurdität ein Lachen besitzt, dann dieses.

»Der Wohnsitz der Familie De Luca ist ein Geheimnis. Ein Mysterium. Einige glauben sogar, sie würden nicht in Italien leben. So gut versteckt sind sie. Aber das sind Gerüchte, denn eines können wir Ihnen versprechen: Wir bleiben auf italienischem Terrain«, erklärt der Fahrer.

»Dann bin ich aber froh, dass wir nicht Richtung Afrika driften, denn ich habe keinen Reisepass dabei und die Höhe des Lichtschutzfaktors wäre für afrikanische Gefilde zu niedrig«, grummele ich und halte mich am kalten Türgriff fest. Ob ich ihn öffnen und hinausrollen soll? Wie schnell fahren wir? Und wo, verdammt noch mal, sind wir?

»Keine Sorge«, ergänzt der Mann neben mir. Pah! Der Satz mit den versucht beruhigenden Worten »Keine Sorge« verursacht ein kleines hyperventilierendes Problem in meinem Kopf, denn Aussagen, die diese Wörter beinhalten, enden ausnahmslos immer in Katastrophen. Das hat mich die Erfahrung gelehrt.

Wir stoppen. Wo halten wir? Die Fensterscheibe wird hinuntergelassen. Ein summendes Geräusch erklingt. Dann dieselbe Tonfolge erneut. Die Glasscheibe wird wieder hochgefahren. Aufbruchstimmung macht sich im Innenraum breit. Sie vertreibt das Schweigen, das die ganze Zeit im Wagen gehangen hat. Ist es zu spät für eine Stuntrolle in die Freiheit? Nein, aber dazu hätte ich kein Talent, selbst dann nicht, wenn das Auto steht. Und wer springt schon gerne ins Schwarze?

Das Fahrzeug kommt wieder ins Rollen, dieses Mal gemächlich, langsam, als würde ich eine Beute sein, die man im Schneckentempo einer Schlange entgegenführt. Erneutes Schweigen hängt rätselhaft im Wagen wie der Nebel nach einem Gewitterregen auf Asphalt. Plötzlich ist eine Hand an meinem Gesicht. Ich erschrecke. Doch es folgt Helligkeit. Die Augenbinde ist entfernt. Das Aftershave nach Amber und Orange kitzelt mich in der Nase. Ich sehe in braune Augen, die dieses Mal nicht von einer dunklen Sonnenbrille verdeckt werden.

»Benvenuto, Signora Branson, a la casa De Luca!«, flötet der Beifahrer kehlig und deutet präsentierend aus dem Auto, als würde er mich in eine besondere Welt einführen wollen.

Zaghaft sehe ich durch die verdunkelten Fensterscheiben. Erst zur Seite, dann zurück. Hinter uns liegt ein großes, schwarzes Tor, welches aufgrund seiner Wuchtigkeit einschüchternd wirkt. Gerade ist es dabei, sich automatisch zu schließen. Zwei bewaffnete Männer spazieren vor dem Eingang auf und ab, sie wirken wie Elitesoldaten, die die Zufahrt bewachen. Dunkelgraue Kappen schützen ihre Köpfe und Schusswesten bedecken ihre Oberkörper, die bei den heißen Temperaturen einiges an Disziplin bei ihren Trägern abverlangen. Wir rollen eine gepflasterte Straße entlang, die sich durch einen Olivenhain schlängelt. Das gesamte Gelände ist von hohen, schlanken Bäumen umgeben, die sich wie Zinnsoldaten aneinanderreihen. Oleandersträuche mit pinken Blüten verleihen dem Ort eine lebendige Schönheit, die durch den blauen Himmel, der sich über das Anwesen spannt, akzentuiert wird.

Auf einem großen Parkplatz mit Springbrunnen, vor einer gigantischen terrakottafarbenen Villa, halten wir. Das Gebäude ist kolossal, schön, doch wie eine Festung, die niemanden freiwillig hinein- oder hinauslässt. Das Wasser im Brunnen plätschert besonnen vor sich hin und erweckt einen falschen Eindruck von Ruhe und Gelassenheit. Ich beobachte die Figuren darauf, die leidend zueinander blicken. Die Darstellung wirkt wie ein dramatischer Auftritt in einem Theaterstück. Zwei Personen greifen nach den Händen des jeweils anderen, doch kriegen sich nicht zu fassen. Wehmut liegt in ihren aus Stein gemeißelten Gesichtern. Unschwer zu erkennen, ein Mann und eine Frau. Ein starker Mann, der seine Geliebte zu sich ziehen will, doch irgendetwas hält sie zurück.

Fehlende Liebe? Eine fremde Macht? Ablehnung ihrerseits? Nein, ihre Mimik wirkt nicht so, als würde sie davonlaufen wollen, vielmehr möchte sie zu ihm, doch kann es nicht, als würden unsichtbare Hände sie an der Taille zurückhalten. Was sollen die Figuren auf diesem Brunnen aussagen? Die gesetzte Dramaturgie beschäftigt mich und wirft Fragen auf.

Erst als der Beifahrer aus dem Auto steigt, komme ich wieder im Jetzt an. Er öffnet mir die Tür, doch ich zögere, denn ich erblicke eine kleine Truppe an Männern, die neben dem parkenden Fahrzeug vorbeimarschiert. Alle tragen dieselbe Uniform: Kappen und schwarze, feste Schuhe, ähnlich wie die Typen, die am Eingang das Tor bewachen, nur mit dem Unterschied, dass sie keine Schusswesten anhaben und man ihre trainierten Oberkörper in den weiß anliegenden T-Shirts erkennen kann. Um ihre Hüften geschnallt: Pistolen. In Rom sind mir vergleichbare Gestalten untergekommen, die die Sehenswürdigkeiten vor Terroranschlägen sichern. Doch das ist keine Touristenattraktion, sondern eine Festung, als drohe hier weit Schlimmeres als ein Anschlag. Insofern es dafür noch eine Steigerung gibt.

Der Fahrer, der mich durch den Rückspiegel beobachtet, klärt mich auf: »Das sind De Lucas Männer. Sie beschützen das Grundstück und alles, was Emanuele wichtig ist. Auch seine Gäste. Gewöhnen Sie sich an den Anblick, denn sie werden Ihr Schatten sein.«

Sie werden jeden meiner Schritte beobachten – das ist es, was er sagen will. Ich nicke knapp, denn mir ist alles, was mit Gewehren, Pistolen oder Messern zu tun hat, suspekt. Wenn es nach mir ginge, würden wir in einer Welt leben, in der Gewalt keinerlei Existenzberechtigung hat. Es wäre eine glückliche Welt. Doch es ist ein naiver Traum von mir, das weiß ich.

»Wie heißen Sie zwei Men in Black eigentlich?«, frage ich.

Beide sehen mich ernst an, dann entrutscht einem ein Lachen. »Man in Black Nummer eins ist Fernando, ich bin Giuseppe.«

»Ella«, erwidere ich. »Ist mir lieber als Signora Branson.« Dann steige ich aus.

Erstmalig berühre ich De-Luca-Terrain. Sofort umgarnt mich heiße Luft, kein Wunder, steht die Sonne im Zenit. Sie glüht unbarmherzig auf den Kies und die terrakottafarbene Villa nieder. Mit jedem Schritt, den ich mache, fürchte ich, dass die Entscheidung, hierherzukommen, ein gewaltiger Fehler war. Und dennoch hat dieser Ort etwas an sich, das mir vertraut vorkommt, regelrecht einladend wirkt. Ein ambivalentes Gefühl: hin- und hergerissen zwischen Vorwärtslauf und Rückwärtsgang.

»Bereit, sich auf all das einzulassen?«, fragt mich Fernando und geht zielstrebig auf das Eingangstor zu. Eine schwere Holztür entscheidet über Einlass oder Ausschluss.

»Keine Angst, Signora Br… Ella«, erwidert Giuseppe und dirigiert mich nach vorne zu den Stufen. »Sie sind der Gast von Signore De Luca, und solange Sie sich an seine Spielregeln halten, werden Sie das auch bleiben. Zu geladenen Besuchern ist er äußerst zuvorkommend und zu Damen ohnehin ein wahrer Gentleman.«

Nicht fürchten? Leicht gesagt, vor allem, wenn man so stark ist wie Giuseppe oder Fernando. In ihrer Gegenwart komme ich mir schmächtig vor, und im Gesamten zu unbewaffnet und hilflos für diesen Ort. Die Angst durchflutet mich wie eine Welle den Sandstrand, und wirbelt Unruhe in mir auf. Aufregung gesellt sich hinzu und hinterlässt einen herben Beigeschmack von Ungewissheit.

Dabei sollte ich viel mutiger sein, käme ich nach meinem Vater. Er war Polizist in Rom, stammte aus Kampanien, so wie Emanuele De Luca. Doch ich habe ihn nie kennengelernt, denn er ist vor meiner Geburt gestorben. Daraufhin ist meine Mutter mit mir zurück in ihre Heimat Seattle gegangen, wo ich aufgewachsen bin und später mit dem Journalismusstudium begonnen habe. Sie hat die italienische Kultur nicht verachtet und mir Italienisch beigebracht, denn ich habe mich schon immer zu diesem Land hingezogen gefühlt. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, mit ihrer Musik, dem italienischem Essen und dem Erlernen ihrer Sprache meinem Vater ein Stück näher zu sein, denn alles, was mir von ihm geblieben ist, sind Fotos und Erzählungen meiner Mutter.

Leider ist ihr Gedächtnis mit der Zeit erloschen, da sie an Alzheimer erkrankt ist. In viel zu jungen Jahren. Es ist erschütternd für ein Kind, wenn die eigene Mutter ihre Tochter nicht wiedererkennt. Aus der liebevollen Mama mit den vielen schönen Erinnerungsstücken ist eine Frau geworden, die ihr altes Leben und mich vergessen hat, als würde sie leugnen wollen, ihr Herz an einen Mann verschenkt zu haben. Als würde sie mich leugnen wollen. Und mit ihr stirbt auch die Erinnerung an meinen Vater, denn ich habe keine einzige von ihm. Nur die vielen Fotos und eine blühende Fantasie. Angeblich hat er lange Zeit in Rom gegen die Mafia gearbeitet, weshalb ich mich dazu entschlossen habe, das Journalismusstudium in der Hauptstadt Italiens fortzuführen. Erst dort habe ich die Neugierde für die dunklen, kriminellen Seiten des Landes entdeckt. Mein Vater ist ein Kämpfer für das Gute gewesen und ich schlage in eine ähnliche Kerbe, denn ich möchte das Böse aufdecken und der Welt davon berichten. Wie eine Motte vom Licht wurde ich angezogen von den dramatischen Geschichten der Syndikate in Italien. Ich habe unzählige Bücher gelesen, Interviews geführt und jedes Detail aufgesaugt, das ich über sie finden konnte. Ich habe mich oft gefragt, wie wahr die Fakten über die Camorra, ’Ndrangheta oder die Cosa Nostra sind, und mir Nächte um die Ohren geschlagen, um zu recherchieren. Und nun bin ich hier und kann alles in Echtzeit in Erfahrung bringen, was ich schon immer über sie wissen wollte.

Glatteis. Das ist es, auf dem ich jetzt stehe.


Giuseppe öffnet die Tür und deutet mir den Vortritt an.

Zaghaft betrete ich das einschüchternde Gebäude, das die Macht und das Geld der De Luca Familie in voller Pracht widerspiegelt. Weißer Marmor zieht sich glänzend durch die prunkvolle Eingangshalle, die mit hohen, cremefarbenen Säulen gestützt ist. Ein breiter Treppenaufgang führt in die obere Etage und schlängelt sich an schwarzen Skulpturen entlang. Zaghafte Bewegungen mache ich auf dem edlen Boden. Die Schritte meiner Begleiter sind hart und hallen auf dem Marmor nach. So laut, als würden sie ankündigen wollen, dass wir angekommen sind. Mit den Augen scanne ich die Eingangshalle ab, betrachte die großen, metallenen Lüster, die von der Decke baumeln, und sehe hoch auf die Galerie, als mich plötzlich ein flammender Blick mitten ins Herz trifft.

Dunkle Augen fixieren mich. Kraft und Dominanz schwappen mir entgegen, sodass ich mich wie ein Eindringling fühle. Ein Mann steht im Schatten des Sonnenlichts, das träge an uns vorbeischleicht. Die Hände des Fremden umklammern das Gelände, die Adern auf den Unterarmen treten vor Kraft hervor. Seine Miene wirkt angespannt. Zorn schwappt meinen Begleitern entgegen. Der Unbekannte trägt eine geheimnisvolle Aura, die mich anzieht. Das cremefarbene Hemd, das er bis zu den Ellbogen hinaufgekrempelt hat, verleiht ihm eine unnahbare Eleganz. Er betrachtet mich wie eine Beute. Sein Blick streift mich. Meinen Körper, genauso wie meine Seele. Der unheilvolle Moment pulsiert durch meine Adern, hämmert wild durch mein Herz, sodass es aussetzt und in seiner minutiösen Routine erschüttert wird. Braune Augen. Gefährliche, tiefbraune Augen inspizieren mich. Sie wirken wie eine optische Täuschung an bernsteinfarbenen Höhlen, in denen Geheimnisse verborgen liegen, die ein Mensch unmöglich entschlüsseln kann. Die Zeit steht still, unsere Blicke verkeilen sich ineinander.

Eine Sekunde.

Zwei Sekunden.

Eine gefühlte Ewigkeit lang existiert nur die Nichtigkeit eines Augenblickes, die sich in ihrer vollen Lebendigkeit in mein Herz gebrannt hat. Mit den Händen stößt er sich vom Geländer ab und marschiert harten Schrittes die Treppe hinunter.

Während er auf uns zugeht, behält er mich weiterhin im Blick. Die Muskeln, sichtbar unter dem anliegenden Hemd, sind ein perfektes Zusammenspiel an Erotik, Kraft und Dominanz. Würde er mir in einer Bar begegnen, ich würde alles dafür tun, seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Doch die Beachtung, die er mir seit meiner Ankunft zuteilwerden lässt, ist gerade zu viel für mich.

Giuseppe und Fernando sehen ehrfürchtig zu ihm und deuten ein Nicken an, was vielmehr einer Verbeugung ähnelt. Alles ergibt sich. Ihm, einem Mann, der diese magische, unvergleichliche Aura ausstrahlt, die mich anzieht und zugleich wegstößt. Davonlaufen.

Flieh, solange du noch kannst, flüstert mir der Wind zu, der durch ein offenes Fenster dringt und versucht, mich mit sich zu ziehen. Lauf! Lauf an einen sichereren Ort als diesen! Wir dürfen uns nicht begegnen – steht dem Unbekannten ins Gesicht geschrieben. Eine unmögliche Vorstellung, die mich noch näher an ihn binden wird.

Die Luft flirrt, sie ist voller Spannung.

Er kommt näher.

Mein Herz schlägt in schnellem Takt. Bumm. Bumm. Bumm. Bumm.

Knapp vor mir bleibt er stehen.

»Wieso ist sie hier?«, knurrt er.

Unter seinem linken Auge thront eine Narbe, die eine Geschichte erzählen mag, die er nicht preisgeben will.

Drohend hebt er eine Hand und schießt mit dem Blick auf die beiden Männer.

»Ihr solltet es verhindern! Sie darf nicht hier sein! Sie hätte nicht herkommen dürfen!«, zischt er, packt meinen Arm und schüttelt mich, so heftig, dass ich erschrecke.

»Au!«, rufe ich. »Sie tun mir weh!«

Doch das scheint ihm egal zu sein, er registriert nicht, dass sein fester Griff zu stark für meinen schmächtigen Unterarm ist. Die beiden nicken reuevoll, dann senken sie ihren Blick.

»Es war unser Auftrag«, sagt Giuseppe leise und die beiden kommen mir wie mickrige Gestalten vor, wo sie im Vorfeld kräftige Bodyguards verkörpert haben. Wer ist er? Wer ist dieser Mann, der es vermag, solch robuste Mannsbilder einzuschüchtern?

Der Unbekannte lockert den Griff und lässt mich los. Ich taumele nach hinten. Sein Zeigefinger schnellt in meine Richtung, als stünde ich am Pranger.

»Dein Untergang, Fiorella und meine Bürde! Du hättest nicht herkommen dürfen. Niemals! Und eure Schuld!«, knurrt er zu meinen Begleitern. »Ihr tragt die Verantwortung!«

Mit diesen Worten dreht er sich um und geht. Sein Schrittklang ist mehr eine Kampfansage als ein Abgang. Hinter ihm fällt die Eingangstür schwer ins Schloss, als würde er damit ein Gefängnis schließen. Er hinterlässt nichts als eine fragende Atmosphäre, die den Raum kalt ausfüllt.

Woher kennt dieser Mann den Namen, den nur meine Mutter immer zu mir gesagt hat?

»Wer war das?«, will ich wissen und sehe Giuseppe und Fernando an.

»Signore De Luca.«

»Das war Signore De Luca?« Ich dachte, er wäre älter und nicht so gut aussehend, und nicht … und überhaupt … Himmel!

»Es ist sein Sohn. Der älteste Sohn von Emanuele und rechtmäßiger Nachfolger des De Luca Clans. Einer der mächtigsten Männer Italiens. Besser, Sie gehen ihm aus dem Weg. Er will Sie hier nicht haben.«

Irritiert sehe ich Giuseppe an.

»Keine Sorge, Sie wurden eingeladen, um die Geschichte von Emanuele De Luca aufzuschreiben. Weiteres muss Sie nicht interessieren. Halten Sie sich von Angelo fern. Solange Sie das tun, was man von Ihnen verlangt, wird Ihnen nichts geschehen, und Sie bleiben Gast in diesem Haus.«

Ein weiterer Satz mit keine Sorge. Das wird in einer Katastrophe enden.

Fernando zeigt mir das Zimmer, welches für die kommende Zeit mein neues Zuhause sein wird. Es liegt im ersten Stock der Villa und wirkt, konträr zur einschüchternden Eingangshalle, freundlich und charmant. Es ist ganz nach meinem Geschmack eingerichtet. Ein großes Himmelbett mit verschwenderisch vielen Kopfkissen nimmt den Großteil des Raumes ein. Der cremefarbene Steinboden, der den Füßen im Hochsommer als wahre Abkühlung dient, harmoniert mit den hellen Wänden, die mich umgeben. Ein kleiner Balkon gibt eine atemberaubende Sicht auf die Olivenhaine und das offene Meer frei. Lange seidene, weiße Vorhänge flattern im Wind und lassen die Sonnenstrahlen ungehindert durch das geöffnete Fenster tanzen.

Ich fühle mich wohl, obwohl ich nicht die Absicht habe, mich hier zu Hause zu fühlen. Doch der Raum versucht, mich mit seiner Atmosphäre umzustimmen. Neben dem Balkon befindet sich ein kleiner, weißer Sekretär, eine alte Rarität, die ich bezaubernd finde. Ein Brief liegt auf der Holzfläche, auf dessen Umschlag mein Name steht. Ich greife danach, doch dann klopft es an der Tür.

»Sì«, antworte ich und drehe mich um. Giuseppe betritt mit meinen beiden Gepäckstücken das Zimmer.

»Woher haben Sie … Sie hatten keine Schlüssel! Sind Sie in mein Auto eingebrochen?« Ich stemme die Arme in die Flanken.

Er zuckt mit den Schultern. »Der Wagen ist ohnehin Schrott. Eigentlich war er das schon vor dem hitzebedingten Kollateralschaden. Und Frauen können nie lange ohne ihr Gepäck auskommen. Es bestand also dringender Handlungsbedarf«, kontert er und lacht verhalten.

Erbost greife ich nach dem Koffer und der Umhängetasche.

»Das Auto, in das Sie eingebrochen sind, gehört mir noch nicht einmal!«, wüte ich und stelle die Gepäckstücke in die Ecke.

Er ignoriert meine Anmerkung. »Lassen Sie uns wissen, wenn Sie noch etwas brauchen.« Dann dreht er sich um und geht.

»Einen neuen Wagen für meine Freundin und … tja, das Bild der Mona Lisa, das würde gut an die Wand passen. Finden Sie nicht?«, rufe ich. Er zögert, dreht sich um und hebt eine Augenbraue. »Können Sie für mich in den Louvre einbrechen? So ganz spontan mal, nebenbei?! Sichtlich haben Sie ein Händchen für Besitzentwendungen!«

»Das ist in Frankreich!«, empört er sich. »No, grazie, diesen Auftrag lehne ich ab. Ich hasse Paris und Franzosen. Keinen Fuß setze ich in das verrückte Land!«

Kopfschüttelnd verlässt er das Zimmer, als hätte ich ihm eine Reise zum Mond vorgeschlagen. … Oder als würde ich ernsthaft in Erwägung ziehen, in einer Nacht- und Nebelaktion in den Louvre einzufallen.


Ich gehe nach draußen auf den Balkon, um das Gelände zu inspizieren, und sauge die warme Luft in die Lungen. Obwohl die Veranda Freiheit bedeutet, fühlt es sich nicht so an, denn ich weiß, dass ein Kommen und Gehen in diesem Haus nach meiner Vorstellung unmöglich sein wird. Was bleibt, ist die Aussicht, die ein Stück von der Welt preisgibt, die meine ist.

Zurück im Zimmer setze ich mich an den Sekretär und nehme den Brief vom Tisch. Vorsichtig öffne ich das Kuvert, welches mit dem Familiensiegel der De Lucas verschlossen ist. Eine handgeschriebene Nachricht, mit einem eleganten Schriftzug, unterzeichnet von Emanuele persönlich, liegt in meinen Händen.


Benvenuto in der Casa De Luca, Signora Branson.


Ich hoffe, Sie sind gut angekommen und fühlen sich in unserem Hause wohl. Wir speisen heute um 20:30 Uhr auf der Westterrasse zu Abend. Bitte ziehen Sie sich ein schickes Kleid an. Ich habe mir erlaubt, eine kleine Auswahl aus der aktuellen Luca d’Oro Kollektion zu treffen. In Ihrem Kleiderschrank finden Sie passende Roben, die Ihnen schmeicheln werden. Ich freue mich auf unser Kennenlernen und Ihre Gesellschaft. Wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es das Personal wissen! Fühlen Sie sich bei uns wie zu Hause.

Es grüßt Sie in freudiger Erwartung,

Emanuele De Luca


Eine neue Garderobe? Ich lege den Brief beiseite, springe auf und gehe an den Kleiderschrank. Meine Augen bekommen die Größe von Untertellern, als ich die Schiebetür zur Seite manövriere. Drei wunderschöne Roben kommen zum Vorschein, die sich im Stil und in ihrer Aufmachung übertreffen.

Das erste Kleid ist smaragdgrün, hat einen V-Ausschnitt und ist aus einer edlen Stoffqualität gefertigt. Auf dem Etikett lese ich den Namen der exklusiven italienischen Designermarke Luca d’Oro – das bekannte Textilunternehmen der Familie. Nach einer kurzen Inspektion hänge ich die Robe zurück, denn es gewährt Einblicke in das Dekolleté, die ich nicht geben will. Nicht heute. Und nicht hier.

Das zweite Kleid in der Farbe Rot ist bodenlang und hochgeschlossen. Wunderschön, doch zu auffällig und zu mutig für mich. Es würde eine falsche Botschaft aussenden.

Meine Finger greifen nach dem letzten Stück. Ein dunkelblaues, langes Seidenkleid, zurückhaltend, welches die notwendige Kühle und Distanziertheit signalisiert. Es ist die perfekte Wahl für heute Abend. Das ideale Kleid für ein erstes Aufeinandertreffen mit meinem Gastgeber.

Kapitel Zwei

Ein azurblauer, meterlanger Pool liegt eingebettet in weißen Steinplatten vor mir. Dunkelbraune Liegestühle mit cremefarbenen Auflagen säumen sich auf dem Poolgelände und bieten Platz für ausgewählte sonnenhungrige Menschen. Die Sonnenschirme sind abgespannt, hinter der Bar, die sich seitlich des Schwimmbeckens entlangzieht, steht ein Kellner in einem schneeweißen Hemd, der emsig Gläser poliert und mich mit einem großzügigen Lächeln bedenkt.

Der Wind weht mir sachte durch das dunkelblonde Haar, streift mein freigelegtes Dekolleté, welches durch das dunkelblaue, bodenlange Chiffonkleid zart nach Aufmerksamkeit hascht. Ein Collier aus Weißgold umringt meine nackte Haut, und der Tautropfen, der in der Mitte der Kette hängt, geht in das V meines Busens über. Ich liebe dieses Goldstück. Es ist ein Glücksbringer und war ein vorzeitiges Erbstück meiner Mutter. Sie hat die Kette zu ihrem ersten Hochzeitstag von meinem Vater geschenkt bekommen.

»Wir träumten voneinander und sind davon erwacht, wir leben, um zu lieben, und sinken zurück in die Nacht. Du tratst aus meinem Traume, aus deinem trat ich hervor. Wir sterben, wenn sich eines im andern ganz verlor. Auf einer Lilie zittern zwei Tropfen, rein und rund, zerfließen in eins und rollen hinab in des Kelches Grund. Friedrich Hebbel.«

Dieser Text war in der Schatulle beigelegt – in der Handschrift meines Vaters. Eine Liebeserklärung an meine Mutter.


Langsam bewege ich mich auf die Bar zu. Meine Füße sind in filigrane, silberfarbene Sandalen gebettet, deren Schnürungen zärtlich meine Waden umfassen. Woher hat Emanuele De Luca meine Schuh- und Kleidergröße gewusst? Bei unserer Korrespondenz habe ich kein Bewerbungsschreiben mit Konfektionsgrößen abgegeben. Seltsam. Vom Ambiente des Anwesens verzaubert, denke ich nicht weiter über diese Sonderbarkeit nach und schließe kurz die Augen, um die Atmosphäre zu genießen. Der Abend riecht nach Sommer, die Olivenhaine strecken sich dem Sonnenuntergang entgegen und die Luft ergreift den Duft der Zypressen und des Meeres und trägt ihn hoch auf die Terrasse. Der Wind umspielt mein Kleid und lässt es um die Knöchel tänzeln.

An der Bar setze ich mich auf einen Hocker. Niemand außer dem Kellner und mir sind zugegen. Dennoch werden wir beobachtet, denn an den Hausmauern hängen Kameras und an den unerwartetsten Punkten sind Männer postiert, die das Haus und das Grundstück bewachen. Warum haben sie diese Vorkehrungsmaßnahmen getroffen? Ich möchte mit meinem Handy den Standort lokalisieren, doch aus irgendeinem Grund habe ich kein Netz. Hatte ich auch in meinem Zimmer schon nicht, denn ich konnte Julia nicht erreichen. Bin ich in ein Funkloch geraten? Vielleicht befinde ich mich am Arsch der Welt und die Mafia korrespondiert mit Brieftauben? Zumindest ist es ein sehr bezaubernder Arsch der Welt, wie ich feststelle, denn die letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages trippeln an meinem Rücken entlang und hinterlassen eine wohlige Wärme.

Der hübsche Kellner fragt mich nach meinen Wünschen. Irritiert und abgelenkt durch sein schönes Lächeln, bestelle ich ein Glas Amaro mit Soda und einer Scheibe Zitrone. Entspannt lasse ich meinen Blick umherschweifen, zur weitläufigen Terrasse, die in das offene Meer und in den rot verwaschenen Abendhimmel überzugehen scheint. Einzigartig! Der Architekt war ein wahrer Meister.

Auf dem Rundbalkon, der in das tiefe Blau des Ozeanes hinausragt, ist eine schön gedeckte Tafel, in weißer Farbe mit lachsfarbenen Rosen und silbernen Platztellern, zu sehen. Darauf sind Wasser- und Weingläser abgestellt. Drei Gedecke befinden sich auf dem Tisch. Wer wird der dritte Gast sein? Er? Der Mann, der mich bei meiner Ankunft so unwirsch in Empfang genommen hat? Der Kellner überreicht mir meinen Drink. Ein erfrischender Schluck davon lässt mich entspannen.


Ich versinke in die abendliche Stille und den schönen Sonnenuntergang, als mich eine tiefe Stimme in das Hier und Jetzt zurückholt: »Che bella vista!«, höre ich und dumpfe Schritte nähern sich. Für einen kurzen Moment wünschte ich, es wäre der Fremde, der mich heute Nachmittag so fest aus meiner Welt geschüttelt und in eine mir vollkommen andersartige Realität geworfen hat. Angelo. Doch er ist es nicht. Seinen Bariton würde ich wiedererkennen, da bin ich sicher. Seine Stimme würde mir eine zärtliche Gänsehaut bereiten. Der Gedanke an ihn setzt ein Kribbeln in meinem Inneren in Gang, das jeglichen Beherrschungswillen in mir zunichtemacht. Anziehung, Gefahr, Ekstase, Hingabe – das ist es, was ich spüre, wenn ich an unsere Begegnung zurückdenke. Und bei Angelos Worten von Untergang denke ich vielmehr an einen leidenschaftlichen Niedergang, den ich unbedingt erleben möchte.

Langsam, in aufrechter Position, drehe ich mich um und setze ein freundliches Lächeln auf. Ein gepflegter alter Mann, in braunen Leinenhosen und einem weißen, glatt gebügelten Hemd, kommt auf mich zu. Eine goldene, teure Uhr ziert sein linkes Handgelenk und die Arme wirken, als wären sie einmal stark gewesen, doch in den letzten Jahren kraftlos geworden. Er trägt sein graues Haar glatt zurückgekämmt, was mich an Humphrey Bogart aus alten Schwarz-Weiß-Filmen erinnert. Giuseppe und Fernando begleiten ihn, zwei treue Bodyguards, die ihren Herren nicht aus den Augen lassen. Das ist er also, der große Emanuele! Mit einem respektiven Abstand bleibt er vor mir stehen.

»Mit bella vista war nicht die Aussicht, sondern Ihre bezaubernde Erscheinung gemeint, Signora Branson. Sie haben sich für Blau entschieden. Eine ausgezeichnete Wahl. Die Farbe schmeichelt Ihnen«, äußert er und ergreift meine Hand, um mir einen Kuss auf den Handrücken zu hauchen. Ein Gentleman der alten Schule. Vermutlich hat er allen Charme der Welt abbekommen und sein Sohn ist bei der Familienverteilung leer ausgegangen.

Ich lächele und bringe ein »Grazie« hervor.

Er stellt sich offiziell mit Namen vor und die Erkenntnis, dem Clanchef persönlich gegenüberzustehen beziehungsweise zu sitzen, lässt mich ehrfürchtig zusammenzucken.

Er ist ein Mysterium in Italien, ein Gerücht, kaum in der Öffentlichkeit gesehen, es existieren nur verschwommene, unkenntliche Bilder von ihm und laut diversen Medienberichten hat seine Familie so viel Einfluss in Italien, dass sie bei allen Gesetzen und wichtigen Entscheidungen teilhaben. Sie haben Einwirkung auf alle politischen und wirtschaftlichen Beschlüsse. Solche Personen strahlen diese Macht aus. Sie liegt in ihrer Gestik, ihrer Mimik, ihrem Blick. Das habe ich heute in den Augen seines Sohnes gesehen und das erkenne ich in einer anderen Ausprägung in Emanueles. Doch, wo Emanueles Augen ruhig flackern, als hätten sie sich zur Ruhe gesetzt, hat es in den Iriden von Angelo geflammt, es hat in ihnen gebrannt, als wüte ein Sturm darin, als hätte er seine Aufgaben und Ziele im Leben noch alle offen.

Signore De Luca Senior ist ein eleganter Mann, seine herbe Parfumwolke umgibt ihn wie die mächtige Aura eines Mannes, der in die Jahre gekommen ist, doch noch immer genügend Einfluss besitzt, um zu bekommen, was er will. An seiner linken Hand prangt ein großer Siegelring, unverkennbar das Wappen der Familie. Eine Schlange, die sich um einen Olivenbaum windet. Jenes Bild, das ich schon am Briefsiegel erkannt habe und mir bei meiner Recherche in unzähligen Geschichtsbüchern und im Internet untergekommen ist. Die Schlange ist ebenso im Logo der Kleidermarke verewigt, die weltweit als Luxusmarke bekannt ist.

Der Clan blickt auf eine jahrhundertalte Tradition aus Blut und Leben zurück. Auch eine sagenhafte Liebesgeschichte mit einem tragischen Ende rankt sich um die Familie. Der Springbrunnen am Eingang dürfte damit zu tun haben. Es wird behauptet, die De Luca Männer könnten nicht lieben, sie würden keinerlei Zuneigung verspüren. Das erzählt man sich. Schauermärchen.

»Die zwei Herren kennen Sie bereits. Giuseppe und Fernando.« Er deutet zu seinen Begleitern. »Sollten Sie etwas brauchen, oder sich unwohl fühlen, dann scheuen Sie nicht davor zurück, die beiden aufzusuchen. Sie sind für meinen und auch Ihren Schutz zuständig und zählen zu unseren engsten Vertrauten. Sie sind Brüder und schon seit zwei Jahrzehnten Teil meiner Familie.«

Freundlich nicken sie mir zu, dann blicken sie De Luca respektvoll an, und als er ihnen mit einem Kopfnicken zum Stiegenabgang deutet, verschwinden sie.


Ein roter Feuerball versinkt im Meer, als wir am Rundtisch Platz nehmen. Möwen plärren befreit über den rostroten Himmel hinweg.

»Für wen ist das dritte Gedeck?«, will ich wissen, während ich mir die Serviette auf den Schoß lege.

»Ursprünglich für Angelo. Meinen ältesten Sohn. Doch zu meinem Bedauern werden wir heute Abend ohne ihn speisen.«

»Ist er verhindert?«

»Stur! Verfolgt seine eigenen Pläne … Wie immer. Er war nie gut darin, Dinge abzugeben. Er will sich persönlich um eine Angelegenheit kümmern. Mi bastardo«, knurrt er, doch in seiner Stimme liegt Liebe, kein Zorn.

Die Kellnerin entfernt das dritte Gedeck und schenkt uns Wasser ein. Sie präsentiert Emanuele eine Flasche Weißwein und lässt ihn verkosten. Emanuele nickt. Daraufhin füllt sie unsere Weingläser auf.

»Sie haben noch weitere Kinder?«, frage ich, obwohl ich die Antwort darauf kenne, denn ich habe gründlich recherchiert.

»Ja, zwei weitere. Angelo ist der älteste. Aufgrund des Geburtsjahres und seiner Fähigkeiten ist er der Nachfolger des De Luca Imperiums. Deshalb wollte ich, dass er heute Abend mit uns speist, damit Sie ihn kennenlernen, denn er ist ein wesentlicher Aspekt meiner Lebensgeschichte. Marco und Giuliana – meine beiden anderen Kinder – sind Zwillinge. Gegenwärtig nicht in der Casa, doch Sie werden sie morgen kennenlernen.«

Er macht eine kurze Pause, legt sich ebenso die Stoffserviette auf den Schoß und blickt zu mir. Ein sanfter Ausdruck erreicht mich. »Meine drei Kinder sind das Wertvollste, das ich besitze.« Dabei küsst er das Kreuz, das an seiner Kette baumelt und sieht mich eindringlich an. »Angelo, Giuliana und Marco sind grundverschieden. Meine Tochter ist feinfühlig und künstlerisch talentiert. Sie kommt ganz nach ihrer Mutter und hat ein Gespür für die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen. Sie ist erfolgreich in der Modebranche etabliert und leitet Luca d’Oro. Marco, der jüngste im Bunde, denn Giuliana kam ein paar Sekunden vor ihm auf die Welt, liebt Musik, Festivitäten und reist gerne. Doch aktuell ist er orientierungslos. Er muss seinen Weg noch finden. Und Angelo … leitet und lenkt die Geschäfte seit einigen Jahren. Ich bin zu alt und zu müde, um mich um alles zu kümmern. Auf ihn ist Verlass.« Emanuele erhebt sein Glas. »Doch genug von meiner Familie. Erzählen Sie etwas von sich!«, fordert er mich auf und prostet mir zu.

Die Kellnerin serviert Lachs auf Safranrisotto als Vorspeise. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Es sieht köstlich aus! Ich spreche ein wenig von meiner Vergangenheit und meinem Werdegang. Nichts, das er nicht schon kennen würde, denn nach der Sache mit der Konfektionsgröße bin ich sicher, dass er auch weiß, wie ich meinen Kaffee am liebsten trinke.

»Haben Sie sich in der Casa bereits umgesehen?«

»Nein, ich hatte noch keine Zeit und wusste nicht, ob ich das darf.« Im Grunde genommen war ich mit Auspacken, Duschen und der Kleider- und Schuhauswahl beschäftigt. Prinzessinenproblematiken.

»Sie dürfen. Sie sollen! Sie sind mein Gast, fühlen Sie sich wie zu Hause. Benutzen Sie den Pool, essen und trinken Sie … Wir haben die edelsten Weine im Keller, das schönste Salzwasser vor den Füßen und die unvergesslichsten Sonnenuntergänge Italiens.«

Präsentierend breitet er seine Arme aus, als wolle er mir die Welt zu Füßen legen. Er deutet nach hinten zu einem Stiegenabgang. »Über die Treppe kommen Sie hinunter zum Meer an unseren Privatstrand. Am besten, Sie fragen Fernando oder Giuseppe, damit Sie sie begleiten. Der Abgang ist steil, viel zu gefährlich für so eine zarte Frau wie Sie. Meine Bodyguards werden Sie sicher geleiten.«

»Keine Sorge, ich bin gut zu Fuß.«

Er sieht mich abschätzend an. »Dennoch. Jemand wird Sie begleiten. Es ist besser für Sie. Sie werden genügend Zeit haben, um die Sonne und das Meer zu genießen, denn Sie bleiben, so lange Sie für die Geschichte brauchen. Ich möchte, dass Sie sich wohlfühlen. Sobald Sie meine Lebensgeschichte zu meiner Zufriedenheit fertiggestellt haben, erhalten Sie das versprochene Honorar.«

»So, wie es vereinbart war«, bestätige ich und lege das Messer und die Gabel beiseite.

»Sì! So war es ausgemacht.«

Während wir den Hauptgang verspeisen – Rosmarinlamm mit Parmesan und grüner Pasta – erzählt mir Emanuele von seiner Kindheit in Salerno und Neapel. Mit seinem Einverständnis lege ich das Aufnahmegerät auf den Tisch und mache mir Notizen.

Er spricht von aufregenden Kindheitsjahren in Neapel, von den schönen und hässlichen Seiten seines Lebens. Ich erfahre, dass er ein Einzelkind war und in Salerno und Neapel aufgewachsen ist. Er hätte noch zwei Geschwister gehabt, doch beide Male sind es Fehlgeburten gewesen. Seinen Eltern waren weitere Kinder nicht vergönnt … Er erzählt von einem Massaker in Neapel, bei dem er Zeuge war und nur durch Glück überlebt hat. Da war er sieben Jahre alt.

»All das Blut, all die toten Leute. Wie verkraftet man das?«, will ich wissen, denn seine Geschichte erschreckt mich … wühlt mich auf.

»Indem man überlebt.«

»Aber wie haben Sie -«

»Ich habe mich in einer Holztruhe versteckt. Habe es nicht gewagt, zu atmen. Die Truhe hat mir das Leben gerettet. Ich habe sie noch immer, ich zeige sie Ihnen, wenn Sie wollen. Sie steht in der Bibliothek.«

Ich nicke, doch es ist mir unverständlich, dass er lächelt, wenn er an diese Tragödie zurückdenkt. »Das Trauma konnten Sie verarbeiten?«

»Niente!«, sagt er und legt das Besteck zur Seite. »Das hat mich abgehärtet. Aus dem kleinen Jungen einen großen gemacht.« Er gestikuliert andächtig mit den Händen. »Man macht in seinem Leben so einiges durch. Ich wünschte, ich hätte all das nicht erlebt, doch so wurde ich früh erwachsen. Matteo – mein bester Freund schon seit Kindheitstagen – stand mir bei. Zusammen bezwangen wir jedes Abenteuer und beinahe jedes Drama unseres Lebens. Nur das letzte nicht. Aber das ist eine andere Geschichte.«

Ich mache mir Notizen. »Matteo war also Ihr bester Freund.«

»Sì.«

»Und er gehört auch einer großen Familie an?«

»Gehörte«, verbessert mich Emanuele. »Nein. Matteo entstammte einer unbedeutenden, armen Familie. Wir haben uns kennengelernt, als er die Dreistigkeit besaß, mein nagelneues Fahrrad zu stehlen. Nach anfänglichen Kämpfen wurden wir die besten Freunde. Wir wurden zu Blutsbrüdern, im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir schauten zu viele Westernfilme, und schworen uns ewige Treue. Italienische Männer sind auf ihre Art und Weise sehr romantisch. Ich bin mir sicher, er hätte uns heute Abend gerne Gesellschaft geleistet. Er war ein großartiger Freund, ein großartiger Mann, der noch immer an meiner Seite kämpfen würde, hätte das Schicksal ihm einen Ausweg gestattet.«

Kurz senkt er den Blick, die Erinnerung scheint ihn zu schmerzen.

»In unserer Familie gibt es kein behütetes Leben, wie Sie es kennen«, sagt er, als er wieder aufsieht. »Blut und Tod gehören dazu. Von meinen Kindern wurde Angelo diesbezüglich am meisten geprägt. Jeder der De Luca Familie muss einiges erleben oder tun, um zu dem zu werden, der er ist. Wie lange wir existieren, ist ungewiss, und mit diesem Risiko leben wir.«

Ein Stich geht mir durch den Magen. Erschrockenheit, die sich lähmend durch mich hindurchzieht. Tod? Spricht er ernsthaft davon, dass er mit dieser Gefahr tagtäglich lebt?

»Ich habe mein ganzes Leben in Italien verbracht. Am sichersten ist es in der Casa, doch ich kann meine Kinder nicht zwingen, hierzubleiben, dann würden sie ihr Leben verpassen. Giuliana wohnt in Mailand, dort ist der Hauptsitz von Luca d’Oro. Marco reist rund um den Erdball, führt ein Jetset-Leben und hängt auf Liegestühlen herum. Immer einen Cocktail in der Hand und Musik in seinen Ohren. Ihn kann man nirgendwo festhalten. Angelo ist der Einzige, der hier wohnt. Allerdings ist er aufgrund der Familiengeschäfte ständig unterwegs. Er hat auch einige Zeit in Seattle gelebt.«

»In meiner Heimatstadt?« Emanuele nickt. »Sie machen dort Geschäfte?«

Mein Gegenüber schmunzelt, als wäre die Frage absurd. »Wir haben auf der ganzen Welt Geschäfte, Signora Branson. Wir mischen überall ein wenig und manchmal auch sehr viel mit.«

Angelo ist in meiner Nähe gewesen? Schade, dass sich unsere Wege nie gekreuzt haben, ich hätte ihn aus einer anderen Perspektive kennengelernt.


Der Abend endet bei einem köstlichen Pannacotta, welches ich mit einem Schluck Pinot Grigio nachspüle. Genial! Der Wein und Emanueles Geschichten sind mir zu Kopf gestiegen und beflügeln mich. Amalfi, Salerno, Sorrent, Neapel … Capri – wunderschöne Schauplätze für spannende Erzählungen.

Entspannt und glücklich lehne ich mich zurück.

Ich bin in eine Welt eingetaucht, die so anders ist als meine und ich liebe diese Andersartigkeit, denn ich mag das Versinken in fremde Geschichten. Der Mafioso vor mir ist, konträr zu allen Erwartungen, charmant, weltgewandt und durch und durch Geschäftsmann. Eine faszinierende Mischung, die bestimmt viele Frauenherzen hat höherschlagen lassen. Einst war er ein schöner Mann, das verraten seine kantigen Gesichtszüge, das bestätigt sein auffallendes Charisma und die guten Manieren.

Die Sonne ist längst hinter der Horizontlinie verschwunden. Die dunkle Nacht, die über uns hereingebrochen ist, legt ihre Schatten über das Poolgelände und zeitgleich mit dem Einbrechen der Dunkelheit ist die Beleuchtung rund um den Pool angegangen. Um das erhellte Becken reihen sich Fackeln, die die Bediensteten während des Hauptganges angezündet haben. Alles erscheint in einer geheimnisvollen Aura und ich fühle mich als Statistin eines Märchens, gefangen und verzaubert an einem verwunschenen Ort.

»Welche Bedeutung hat der Springbrunnen vor dem Eingang?«, hake ich nach und fülle unsere Weingläser auf, weil ich beschlossen habe, dass der Abend noch nicht enden darf, denn der Wein ist nicht leer getrunken, die Geschichte nicht zu Ende erzählt.

Emanuele seufzt, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und zündet eine Zigarre an. Der Rauch schwingt kreisförmig in die sternenklare Nacht davon.

»Oh, Cara, das ist eine triste Geschichte. Eine sehr, sehr traurige.« Emanuele presst nachdenklich die Lippen aufeinander und hält die Zigarre andächtig in den Fingern. »Das Denkmal erinnert an die größten Flügel und die schwerste Last meines Lebens.«

Ich mag Melancholie und Schwermut in Erzählungen, am liebsten lese ich Geschichten à la Romeo und Julia. Tragische Endungen wühlen mich auf, doch faszinieren mich zugleich. Ich bin wie ein kleiner Masochist und doch eine hoffnungslose Romantikerin, denn jedes Mal überlege ich mir alternative Enden für die Dramen, die ich verschlinge. Etliche Male habe ich mir vorgestellt, wie die Geschichte von Romeo und Julia anders hätte ausgehen können.

»Würden Sie mir davon erzählen?«

»Ein andermal, Signora Branson.« Die Absage kam schnell. »Ich möchte gerade nicht daran denken. Der Abend ist zu charmant, um ihn mit einer Charakterschwäche meines Lebens zu überschatten«, sagt er und zeitgleich bemerke ich, wie sein Herz schwer wird. Seine Züge wirken trotz des warmen Kerzenlichtes hart. Erst jetzt erkenne ich die Furchen, die von Schmerz und Trauer erzählen. Eine große Bürde, die sein Herz zu tragen hat.

Ich nehme mein Glas in die Hände, um mich daran festzuhalten, denn ich weiß im Moment nicht, wie ich damit umgehen soll, oder welche Frage ich stellen kann, um die Schwere aus der Atmosphäre zu nehmen.

Schritte sind zu hören, sie durchbrechen die bleierne Stille. Vermutlich ein Bediensteter. Jemand von der Security, denn es sind energische Männerschritte. Emanuele blickt langsam nach links. Er wirkt nicht überrascht. Er kennt den Klang des zielstrebigen Ganges. Aus dem Schatten schält sich eine Gestalt.

Ich schnelle aus der gemütlichen Position hoch und richte mich auf. Angelo. In meinem Herzen beginnt es, zu wummern. Nervös zupfe ich an meinem Haar herum, drehe mich nach rechts und sehe den Mann auf uns zukommen, der meine Gedanken vor etlichen Stunden zum Erliegen gebracht hat.

»Wir hatten bereits das Vergnügen«, sage ich barsch, als er vor dem Tisch stehen bleibt und mich misstrauisch mustert. »Wobei das Wort ›Vergnügen‹ es nicht genau trifft«, ergänze ich und recke das Kinn in Angelos Richtung.

Signore De Luca hebt abschätzend eine Augenbraue, dann schmunzelt er. »Ich muss mich wohl für meinen Sohn entschuldigen. Er kann manchmal über das Ziel hinausschießen. Gegenüber Neuankömmlingen ist er sehr misstrauisch! Wie sein Großvater. Gott habe ihn selig.« Emanuele küsst den Siegelring.

Angelo verzieht keine Miene, stellt sich zu seinem Vater und legt schützend eine Hand auf dessen Schulter, als wäre er sein persönlicher Bodyguard und ich der Tod in einem dunkelblauen Designerkleid. Er erbaut sich zu voller Statur, sodass er mir größer als heute Nachmittag vorkommt. Meine sitzende Position ist nachteilig, denn sein harter Blick drückt mich weiter in den Sessel zurück. Geballte Kraft gleitet mir von den beiden Männern entgegen. Ich wirke in dieser Machtdemonstration wie ein kleiner Schmetterling, auf den man versehentlich drauf tritt. Zu viel Energie! Dabei ist es Angelos Aura, die mir Angst macht. Seine Ausstrahlung könnte ein ganzes Heer für einen Kampf mobilisieren.

»Manche Personen sollten nicht in die Casa eindringen. Das ist kein Platz für eine Amerikanerin wie sie. Nicht jeder ist hier willkommen!«, zischt er und die Worte legen sich wie ein Würgegriff um meine Kehle.

Ich japse nach Luft und setze zum Sprechen an, um ihm etwas entgegenzuschleudern, doch verstumme ich bei der ersten Silbe. Woher kommt diese Feindseligkeit? Was habe ich falsch gemacht? Nur, weil ich in dieses Haus und somit in seine Welt eingebrochen bin? Weil ich … Amerikanerin bin?

»Ella ist mein Gast, Angelo! E basta!« Scharf sieht Emanuele zu seinem Sohn hoch. »Es war meine Entscheidung, sie einzuladen! Sie wird die Geschichte hören. Ob es dir gefällt oder nicht!«

»Eine Amerikanerin«, zischt er abwertend und schüttelt den Kopf.

»Mein Sohn hat nicht viel für Ihr Land übrig.«

»Ach wirklich?«, werfe ich ironisch ein und nehme das Weinglas in die Hand. »Und das, obwohl er in Seattle gelebt hat?«

»Gerade deshalb«, knurrt Angelo und öffnet seine Lederjacke.

Ein betörender Duft von Holznoten, Blutmandarine und Amber umfängt mich. Eine Komposition wie ein Glücksspiel an maskuliner Macht. Wie eine Überdosis Gefahr und zugleich ein berauschender Überfall auf meine Sinne. Oh Gott, ich liebe diesen Geruch! Und das, obwohl er mir den Verstand raubt.

»Ich habe die Zeit in Seattle gehasst. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, Fiorella.«

Schon wieder dieser Name.

»Woher wissen Sie davon? – Von Fiorella?« Ich stelle mein Glas ab, ohne einen Schluck davon genommen zu haben.

»Wir machen unsere Hausaufgaben. Glauben Sie, wir würden Tor und Haus für eine Fremde öffnen? Sie befinden sich auf einem der sichersten Terrains Italiens. Doch nehmen Sie sich in Acht, die Gefahr lauert überall und versteckt sich meist dort, wo man sie am wenigsten erwartet.«

»Ist das eine Warnung?«

»Eine Drohung.«

»Sehr freundlich!«

»Angelo, genug jetzt! Du verschreckst sie. Lass das!« Emanuele knallt eine Handfläche auf den Tisch, sodass die Gläser darauf erzittern. Angelo beeindruckt diese Geste keineswegs.

»Sie ist unser Gast! Behandele sie dementsprechend!«

»Certamente«, stößt der Filius aus und senkt den Kopf ein Stück, doch die Ironie des Wortes ist nicht zu überhören. »Ich wünsche unserem Gast einen schönen Aufenthalt in der Casa und eine gute Nacht. Träumen Sie schön, Amerikanerin! Mögen die wunderschönen Träume nie enden«, sagt er und deutet eine überhebliche Verneigung an, ehe er zum Gehen ansetzt und mir den Rücken zukehrt.

»Ich habe italienische Wurzeln!«, rufe ich ihm nach, als würde ich mit den Worten nach ihm werfen. Abrupt bremst er ab. Ein kurzes Zögern, ehe er sich umdreht. Mit tigergleichen Schritten kommt er zurück zu mir, als hätte er seine Beute erhascht, und müsste nur noch zubeißen.

Knapp vor mir bleibt er stehen. Beugt den Kopf. Forscht in meinem Gesicht. Ein Knurren, das aus seiner Kehle jagt.

»Heutzutage glaubt jeder, der Pasta essen und einen guten sizilianischen Wein dazu auswählen kann, er sei Italiener.« Sein Blick bohrt sich in meinen, versucht, mich damit kleinzukriegen, doch ich halte stand.

»Ich kann verdammt gut auf Italienisch schimpfen. Asino!« Im Schnelltempo bin ich aufgestanden und bohre einen Zeigefinger in seine Brust. Steinhart. Verdammte Perfektion von einem Mann! Verdammte Erotik!

»Esel?! Du beschimpfst mich als Esel?«

Ich nicke und meine Mundwinkel beginnen, zu zucken. Ein besseres Wort ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen.

Emanuele schmunzelt.

Plötzlich bricht Angelo in schallendes Gelächter aus. »Favoloso! Wenn du auch noch auf Italienisch bis zwanzig zählen kannst, dann bekommst du die italienische Staatsbürgerschaft von Berlusconi höchstpersönlich verliehen. Vergiss den kurzen Rock nicht bei der Verleihung, darauf steht er, sonst gibt es keine Papiere.«

»Immer dabei. Ich bin flexibel«, sage ich und schiebe das Kleid ein Stück nach oben, sodass meine Beine sichtbar werden.

»Kurz genug?«, frage ich kokett, während ich meinen gebräunten rechten Schenkel in seine Richtung strecke und sanft darüber streiche. Endlich habe ich diesen asino aus der Fassung gebracht.

Angelo fährt sich wirsch durch das Haar, möchte etwas erwidern, öffnet den Mund, schließt ihn wieder, als würde er nicht wissen, was er darauf kontern könnte. Einige wenige Nanosekunden sieht er mich perplex an. Angelo schluckt, sein Kehlkopf bewegt sich.

Dieser Punkt geht an mich.

»Schluss jetzt mit diesen Albernheiten! Morgen nach dem Frühstück wirst du ihr die Umgebung zeigen – du weißt, was du ihr zeigen sollst – und keine Widerrede, du wirst es machen. Persönlich!«, befiehlt er und der Zeigefinger schnellt dabei wie ein Pistolenschuss in Angelos Richtung.

»Wenn du es möchtest, Vater!«, zischt er.

Emanuele nickt entschlossen, doch als er sich mir zuwendet, wird sein Blick weich. »Ella, ich bin morgen den ganzen Tag über in Palermo, da ich wichtige Besprechungen habe. Am Abend möchte ich, dass wir wieder gemeinsam speisen, damit Sie meine Geschichte weiter aufschreiben können. Wir werden das von nun an jeden Tag so handhaben, bis alles erzählt ist.«

»Sehr gerne. Ich bin gerne Gast in Ihrem Haus«, bestätige ich und schmunzele triumphierend Angelo entgegen, denn ich habe nicht vor, so schnell zu verschwinden.

»Neun Uhr«, presst mein unfreiwilliger Co-Gastgeber hervor. »Nach dem Frühstück, Amerikanerin!« Mit diesen Worten verschwindet er im Schein der Fackeln und scheint mit dem Dunkel der Nacht eins zu werden. Alles, was liegen bleibt, ist sein Geruch. Eine Überdosis an Angelo, die in dieser Sommernacht für einen kurzen Augenblick verweilt.

»Warum ich?«, will ich von De Luca wissen. »Warum haben Sie ausgerechnet mich für Ihre Geschichte ausgewählt, wo ich doch am allerwenigsten mit Ihnen oder dem Land zu tun habe?«

Es stimmt ja, Angelo hat recht. Ich bin eine Amerikanerin. Keine bekannte Journalistin oder Buchautorin. Ich stehe erst am Anfang meiner Karriere, insofern man diese schon als Karriere bezeichnen kann. Ich bin ein einfaches Mädchen aus Seattle, das noch viel zu jung und unerfahren ist, eine so großartige Geschichte zu erzählen.

»Sie sind die ideale Besetzung dafür und am Ende werden Sie erfahren, warum ich ausgerechnet Sie ausgewählt habe. Es hat alles einen Grund, Cara. Geduld. Nur Geduld«, sagt er und in seinen Augen liegt ein verschwiegenes, beinahe unheilvolles Glänzen, das mir Angst macht.

Dein Untergang, Fiorella. Angelos warnende Worte.

Kapitel Drei

Es ist kurz nach sieben Uhr, als ich munter werde. Langsam tappe ich in das angrenzende Badezimmer, drehe den goldenen Wasserhahn auf und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Nach dem Zähneputzen nehme ich eine erfrischende Dusche. Mein langes, dunkelblondes Haar wringe ich zu einem Knoten im Nacken und krame ein luftiges, weißes Kleid aus dem Koffer, welches ich in einem Vintageladen in Rom erstanden habe. Dazu lederne, braune Flip-Flops und eine große dunkelbraune Tasche, in der sich ein Notizbuch und mein Survival Kit für Süditalien befindet: Deodorant, Sonnenbrille, Salbeipastillen und dreißigprozentiger Sonnenschutz.


Im Erdgeschoss, in der pompösen Halle, laufe ich einer älteren Dame in die Arme, die sich als Haushälterin Maria vorstellt. Auf den ersten Blick hält man sie für einen Gast oder ein Familienmitglied, denn sie trägt ein geblümtes Kleid und einen passenden roten Lippenstift, der sich ein wenig in ihren Mundfalten abgelegt hat. Ihr ergrautes, dunkles Haar ist streng zu einem Knoten zurückgebunden. Nur die kurze Schürze um ihren Schoß mit den Essensflecken verrät, dass sie vorhin eifrig in der Küche gewerkelt hat. Sie ist voller Energie und Fragen sprudeln aus ihrem kleinen Mund wie Tropfen aus einem aufgedrehten Wasserhahn.

Sie will wissen, ob ich gut geschlafen habe, wie die Anreise zur Casa war, ob ich mich eingelebt habe und vieles mehr. Ich komme mit Antworten gar nicht nach. Sie führt mich auf eine Terrasse am anderen Ende der Villa.

»Gefrühstückt wird im Hause De Luca im Osten, zu Abend gegessen im Westen. Immer der Sonne entgegen«, erklärt sie, und als wir durch eine große geöffnete Balkontür die Terrassenfläche betreten, werde ich von einer schönen Aussicht auf ein Hügelland in Empfang genommen.

Der blaue Himmel thront wie ein klarer Saphir über uns, keine Wolke ist zu sehen. Vor mir befindet sich ein reichhaltig gedeckter Tisch, der im Gegensatz zum Dinner gestern Abend dank der bunten Blumen in der Mitte frisch und fröhlich wirkt. Sie rückt mir einen Stuhl zurecht und ich setze mich. Auf dem großen Glastisch befindet sich jede Menge Essen. Die warme Morgensonne kitzelt mein Gesicht und noch ehe ich die Sonnenbrille aus der Tasche kramen kann, hat Maria im Eiltempo das Sonnensegel weit ausgefahren. Eilig serviert sie mir Kaffee.

»Sie sind die Sonne Süditaliens nicht gewohnt. So ist es besser«, sagt sie und in ihrer Stimme liegt eine Herzlichkeit, die mich vergessen lässt, dass ich mich in einem fremden Zuhause befinde.

Ich bin der einzige Gast an diesem Tisch, für den ein Zehn-Personen-Frühstück gedeckt ist. Weit und breit gibt es keine Spur von Emanuele, Angelo, Giuseppe oder Fernando.

»Frühstücke ich alleine? Wo sind die Hausherren?«, will ich wissen und nehme einen Schluck vom Kaffee, der vorzüglich schmeckt.

»Angelo frühstückt nicht. Er absolviert morgens sein Fitnessprogramm und wird Sie danach abholen kommen. Signore Emanuele ist früh nach Palermo abgereist. Und auch er ist kein Fan des Frühstücks. In Italien legen wir großen Wert auf das Abendessen. Giuliana und Marco kommen gegen Mittag in der Casa für das Fest an, das heute Abend stattfinden wird.«

»Ein Fest?«, frage ich und betrachte mit kulinarischer Vorfreude den üppig gedeckten Tisch. Maria reicht mir ein Glas Orangensaft.

»Ja, das Event des Jahres! Der Saft ist übrigens frisch gepresst aus Orangen aus Sizilien. Signore Emanuele lässt sie von einem Freund einfliegen. Er hat die süßesten Früchte weit und breit. Alles biologisch angebaut. Signore De Luca hat früher nur Wert auf den Geschmack gelegt, doch seit mehreren Jahren verwenden wir ausschließlich Produkte aus dem Bioanbau. Ich konnte ihn vor längerer Zeit mit guten Argumenten überzeugen.«

Ich gucke interessiert zu ihr hoch.

»Gesundheit. Fruchtbarkeit – Nachfolger für die Familie, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Sie schmunzelt und ich beginne, meinen Teller mit Köstlichkeiten zu beladen.

»Und das Fest?«

»Fest? Es wird das Event des Jahres werden! Ach, wie aufregend! Doch was für eine Arbeit! Die ganzen Vorbereitungen! Wir sind noch immer nicht fertig, und das, obwohl wir schon seit zwei Wochen in der Küche beschäftigt sind!« Sie fuchtelt mit einer Zange in der Luft herum und fischt nach einem Croissant, das sie mir auf den Teller legt. »Ursprünglich als kleines Sommerfest im Kreise der Familie gedacht, ist es zu einem der wichtigsten Events für das Who ist Who in Italien geworden. Was für ein Glück, dass Sie dabei sein können.«

»Und Giuliana und Marco reisen deshalb an?«

»Sì, natürlich! Die Familie tritt als Einheit auf. Alle müssen sich zeigen. Endlich kommen sie wieder zusammen«, sagt sie und seufzt.

»Sie vermissen sie?« Ich streiche mir Konfitüre auf das Croissant und frage mich, in Anbetracht der kulinarischen Frühstückshöchstleistung, welche delikaten Genüsse sie für das Fest gezaubert hat.

»Und wie! Sie sind mein Leben. Alle drei. Ich kenne sie, seit sie klein sind, denn ich bin das älteste Inventar der Casa. Die Dienstälteste.« Sie macht einen stolzen Knicks.

»Ein schönes und mit Sicherheit sehr wichtiges Inventar.«

»Grazie, Cara«, sagt sie und tätschelt mir die Schulter. »Zucker für den Orangensaft?« Ich verneine, dann stellt sie die Zuckerdose zurück.

»Und das hier soll alles für mich sein?«, frage ich und sehe über den gebratenen Speck, die Rühreier, den Kuchen, den Obstsalat und diverse Cerealien hinweg. Genüsslich beiße ich in das Croissant.

»Naturalmente! Endlich habe ich wieder Gelegenheit, jemanden zu verwöhnen!«, erfreut sie sich und schenkt mir Orangensaft nach. »Möchten Sie Pancakes? Etwas typisch Amerikanisches. Ich habe sie extra für Sie gemacht. Mit Sirup oder Vanillesoße? Ich habe gehört, sie sollen mit Vanillesoße vorzüglich schmecken.«

Ehe ich antworten kann, greift sie nach einem zweiten Teller und schaufelt drei dicke Pfannkuchen darauf. Sie stellt ihn neben meinen Hauptteller.

»Wie soll ich das alles essen, ohne danach zu platzen?«, frage ich und gucke sie Hilfe suchend an.

»Sie hat italienische Wurzeln, Maria. Sie will bestimmt keine amerikanischen Pancakes«, ertönt eine amüsierte Stimme hinter mir, die mir vertraut ist, wenn normalerweise ohne diesen fröhlichen Unterton. Doch es scheint, als hätte ihn sein Fitnesstraining aufgeheitert. Er sollte vor unserer nächsten Begegnung einen Marathon laufen, das würde unserer Beziehung guttun.

»Dio mio! Ich habe mir so viel Mühe gegeben«, ruft sie und fuchtelt dabei mit ihren Händen in der Luft herum, »habe mir einige Videos im Internet angesehen, um die Pancakes richtig zuzubereiten. Ella muss mindestens fünf Stück davon essen. Auf dich ist am Morgen ja kein Verlass«, tadelt sie und überreicht Angelo eine Espressotasse, die sie mit einer doppelten Dosis Koffein auffüllt. Erwartungsvoll sieht sie mich an. »Ella, bitte sagen Sie mir, ob sie amerikanisch genug schmecken!«

»Das ist eine Ehre«, wirft De Luca Junior ein und setzt sich zu mir an den Tisch. Interessiert beobachtet er, wie ich einen Bissen nehme, und nippt von seinem Kaffee. »Normalerweise boykottiert Maria neumoderne Dinge wie das Internet und liest in ihrem alten italienischen Kochbuch nach. Normalerweise würde sie auch nichts Amerikanisches kochen«, sagt er und grinst sie frech an.

Internet? Danach muss ich noch fragen, denn seit meiner Ankunft habe ich keinen Empfang. Maria kommt mir zuvor. »In meinem Familienkochbuch finde ich wohl kaum das passende Rezept für ausländische Pfannkuchen«, bemerkt sie schnippisch. »Meine Mutter würde sich im Grabe umdrehen, würde sie wissen, dass ich so etwas Verräterisches wie Pancakes zubereite!« Sie greift sich ehrfürchtig an das Medaillon, das um ihren Hals baumelt und entsendet ein gemurmeltes Mi dispiace Richtung Himmel. »Und mein lieber Großer, nur, damit du es weißt, ich kann sehr wohl mit dem Wischding umgehen! Ich weiß, wozu es zu gebrauchen ist.«

»Wir haben ihr vor zwei Jahren ein Tablet gekauft, also dieses Wischding, wie sie es fachkundig nennt, doch bis vor wenigen Wochen lag es noch verpackt in ihrem Zimmer.«

Sie zuckt mit den Schultern und hebt eine Augenbraue. »Seit Kurzem sehe ich mir meine Telenovelas darauf an.«

»Auf Netflix«, kommentiert Angelo. »Etwas Amerikanisches.« Beinahe rollt er mit den Augen. »Ich könnte dir Netflix auch auf dem Fernsehgerät installieren, das habe ich dir schon tausendmal gesagt.«

»No, no, Fernsehen ist nicht gut. Und ich weiß, du würdest mir auch einen Kinosaal einrichten, wenn ich dich darum bitte«, sagt sie und sieht ihn mit einem dankerfüllten mütterlichen Blick an. Als Antwort liegt: Ich würde alles für dich tun – in seinem Blick.

»Auf so einem kleinen Bildschirm mit deinen Augen zu schauen, ist nicht gut. Du weißt, was der Augenarzt gesagt hat.«

Sie wedelt aufgeregt zwischen uns herum, schüttet Unmengen an Ahornsirup auf meine Pancakes, sodass ich danach bestimmt Diabetes bekomme, und winkt lautstark ab. »Ach was, der will ein Geschäft mit mir machen, mir Augengläser verkaufen. Meine Augen sind gut. In die Jahre gekommen, aber gut.«

»Sie weigert sich, eine Brille zu tragen, obwohl sie mich bereits mit Vater verwechselt hat«, wirft Angelo ein.

»Siehst du hier Brösel oder Dreck? – Niente! Also … ich sehe gut! Und solange ich in meinem Kochbuch noch lesen kann, brauche ich diese Dinger nicht.« Sie fährt ihrem kleinen Großen liebevoll durchs Haar. Er lässt sie gewähren.

»Sie ist eitel«, flüstert er und ein Lächeln macht sich in seinem Gesicht breit. Erstmalig sehe ich ein wundervolles Glänzen in diesen braunen Augen, das mich sprachlos macht. Die Augen wirken, als sprechen sie vollkommene Treue und Loyalität gegenüber demjenigen aus, dem dieser Blick gilt.

Er drückt Marias Hand und schenkt ihr einen sanften Blick. Etwas, das mich überrascht, denn bislang habe ich nur Härte in seinem Gesicht erkennen können. Die Bartstoppeln, die sich auf der markanten Kinn- und Wangenpartie zeigen, bewegen sich mit dem Lächeln mit. Maria drückt liebevoll seine Hand. Sie mögen einander, das ist unverkennbar. Sie könnte seine Mutter sein. So die Theorie, denn ich weiß, dass Angelos Mutter tot ist. Seit gestern weiß ich das.

»Wo wir gerade von technischen Geräten sprechen, Ella … ich möchte dein Telefon haben«, sagt er und öffnet die rechte Hand.

»Oh, gut, dass du fragst! Ich habe keinen Empfang. Kannst du dir das bitte ansehen?«, erwidere ich und krame mein Handy aus der Tasche.

»Nein, du wirst weiterhin keinen Empfang haben und auch kein Telefon. Du brauchst es hier nicht.« Er streckt mir seine Handfläche entgegen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass ich ihm mein Mobiltelefon überreiche.

»Du willst mein Handy haben? Es mir wegnehmen?«, frage ich verblüfft und drücke das Smartphone fest an meine Brust. Angelo verfolgt meine Handbewegung und quittiert es mit einem überlegenen Stirnrunzeln, als wolle er mir sagen: »Baby, wenn ich will, habe ich nicht nur deine Tasche und dein Mobiltelefon in wenigen Sekunden in der Hand, sondern auch dein Höschen.«

»Es dürfen keine Fotos oder Nachrichten von und über uns nach außen dringen … Eine Vorsichtsmaßnahme.«

»Aber ich habe hier doch überhaupt kein Netz«, werfe ich ein, denn seit meiner Ankunft bin ich jede Verbindung zur Außenwelt los. Vermutlich bewusst von den De Lucas unterbunden. Das ist mir jetzt klar.

»Wenn du telefonieren musst, dann sag es mir, und ich werde es dir ermöglichen.«

»Ermöglichen. Wie toll! Soll ich dich auch fragen, ob ich auf die Toilette kann?«

»Ob du kannst, obliegt dir. Doch wenn du Begleitschutz haben möchtest, dann sag Bescheid!« Er grinst dämlich.

»Ich bin hier Gast. Emanueles Gast! Und Gäste werden zuvorkommend behandelt.«

»Du kannst telefonieren, wann immer es nötig ist. Lass es mich einfach wissen. Genügend Gästeorientierung für deinen Geschmack?«

»Dafür bekommst du eine Bewertung auf Tripadvisor! Wirklich gnädig von dir! Du wirst es mir gewähren – wow! Aber danke, nein. Mit Sicherheit nicht. Ich gebe dir mein Handy nicht!«, rufe ich und ärgere mich darüber, dass ich den Scherz meines Kumpels Tomaso nicht ernst genommen habe. Er hat gemeint, ich solle zwei Mobiltelefone einpacken, falls sie mir eines wegnehmen. Und was habe ich getan? Ich habe ihn ausgelacht und eines eingepackt.

»Das ist kein Scherz, Amerikanerin«, knurrt Angelo und hebt mit Nachdruck seine Hand.

»Die Amerikanerin besitzt auch einen Namen!«

»Handy!«

»Ella!«, rufe ich und springe auf.

Eine Pause entsteht, in der er mich ungeduldig mustert. Das Telefon kriegt er nicht. Auch wenn es in diesem Zustand wertlos ist. Ohne Internet ist man ohnehin nicht mehr überlebensfähig und vermutlich werden sie alle Fotos bei der Abreise löschen. Doch hier geht es ums Prinzip.

»Nein, du kriegst es nicht!«, rufe ich und verschränke mit dem Handy in der rechten Hand meine Arme vor der Brust.

Mit einem Satz ist er auf den Beinen, die freundliche Aura, die er neben Maria ausgestrahlt hat, ist verschwunden. Ebenso die Geduld. Sein Blick brennt. Er streckt mir seinen Arm entgegen.

»Das ist keine Bitte!«, knurrt er. »Der Spaß ist vorbei!«

Ich schnaube laut, sehe sehnsuchtsvoll mein Smartphone an wie ein liebevolles Kind, das man drei Wochen in ein Sommercamp schicken muss, und knalle es ihm auf den Tisch. »Soll ich dir auch noch meine Hände reichen, damit du mich fesseln kannst?«

»Auf Fesselspiele stehe ich nicht, sorry, Cara!«, sagt er und greift nach dem Telefon, das er ausschaltet und in seiner Hosentasche verschwinden lässt. »Dann hätten wir das Begrüßungsprozedere hinter uns. Willkommen in der Casa De Luca!«, flötet er. »Sieh es als mobile Pause an. Leute zahlen Geld dafür, um runterzukommen, damit sie sich erholen können und nicht mehr von Postings und stumpfsinnigen Textnachrichten erschlagen werden.«

»Als ob das hier ein Erholungsurlaub wird!« Mit ihm in meiner Nähe werde ich dauerhaft auf hundertachtzig sein. Raserei auf der Gefühlsautobahn inklusive!

Angelo lächelt und nimmt gelassen einen Schluck von seinem Espresso, was mich rasend macht. Dann steht er auf, zwinkert mir zu und verschwindet. Im Gehen dreht er sich um und grinst mich triumphierend an.

Maria zieht ratlos ihre Schultern nach oben. »Angelo ist heute mit dem falschen Fuß aufgestanden.«

»Das dürfte ihm täglich passieren.«

Sie zuckt abermals mit den Schultern. »Er hat manchmal zwei falsche Füße.«

Nach einem kurzen Zwischenstopp auf meinem Zimmer, um den Sonnenhut zu holen, komme ich just in time vor dem Haus an, um von der Hitze beinahe erschlagen zu werden. In den letzten Minuten haben die Sonnenstrahlen gewaltig an Kraft zugelegt.

Hinzu kommt, dass ich die Sonne Süditaliens nicht gewohnt bin. Auch Rom hat mir in so manch heißen Nächten zu schaffen gemacht, doch nun befinde ich mich in einem wettermäßigen Ausnahmezustand.

Wie können Fernando und Giuseppe so cool am Autoblech lehnen, während sie in diesen dunklen Anzügen feststecken? Tragen sie Cooling Packs darunter? In meinem luftigen Kleid gehe ich auf die beiden zu und grüße sie. Angelo ist weit und breit nicht zu sehen. Wahrscheinlich wartet er im klimatisierten Wagen auf uns. Ich schiele an Fernando vorbei, doch kann nichts erkennen. Aufgrund der verdunkelten Scheiben bleibt mir der Innenraum verborgen.

»Ist euch beiden nicht heiß?«, frage ich, denn kein Schweißtropfen ist auf ihren Stirnen zu sehen. »Ich wäre in so einem Anzug verdünnisiert durch die Hosenbeine rausgerutscht.« Giuseppe und Fernando verziehen keine Miene. Niemand lächelt. Starre Miene, starrer Blick und … kein Angelo, denn Fernando hält mir die Tür auf und der leere Innenraum des Wagens kommt zum Vorschein.

»Ich dachte, der freundliche Hausherr, De Luca Junior, würde uns begleiten.«

Giuseppe runzelt die Stirn, vermutlich hat er den Sarkasmus hinter dem Wort ›freundlich‹ nicht verstanden. Vielleicht kommen meine Pointen nicht an. Zu amerikanisch für Süditaliener. Oder die Einwohner der Casa haben keinen Humor.

Fernando deutet mit einem Nicken rückwärts. Ein Surren ertönt und ein breites, silberfarbenes Garagentor fährt hoch. Ein ungeduldiger Motor heult auf. Laute Motorengeräusche erschallen, die den Boden beinahe zum Vibrieren bringen. Von der einen Sekunde auf die andere brettert ein metallicschwarzes Motorrad aus der Garage. In hoher Geschwindigkeit kommt es auf uns zu. Ich halte mir die Hand vor Augen, als könnte ich das Problem damit aus der Welt radieren, doch ich bin nie gut darin gewesen, mich in Gefahrensituationen adäquat zu verhalten. Man könnte meinen, ich besäße eine Anpassungsstörung. Normalerweise läuft man aus der Gefahrenzone, bringt sich in Sicherheit, wischt sich danach den Schweiß von der Stirn, und ist froh, überlebt zu haben. Doch was tue ich? Ich halte mir die Augen zu und bleibe wie ein Hydrant stehen. Mit dieser Erkenntnis öffne ich die Lider und sehe der 200 PS-starken Gefahr direkt in den silberfarbenen Ducati-Schriftzug.

Angelo bremst die Maschine knapp vor meinen Füßen ab. Seine schwarzen Stiefel radieren den Boden. Mit einer Pferdestärke von locker 200 PS galoppiert mein Herz in fremden pulstechnischen Sphären.

»Die Bremse ist Deko?! … Braucht ja keiner, wenn er diese schmucken Lederboots hat!«, rufe ich und bringe damit Giuseppe und Fernando zum Lachen. Erstmalig.

Angelo verzieht keine Miene, fährt sich durch das dunkle Haar und nimmt den Helm von der Lenkstange.

»Und dass du es weißt, ich fahre bestimmt nicht auf diesem Ding mit! Ich trage ein Kleid und keine Lederausrüstung. Wenn mir das jemand im Vorhinein gesagt hätte -«, entrüste ich mich, doch werde von Angelo unterbrochen.

»Ein Helm, ein einziger, Amerikanerin.« Er setzt sich den Sturzhelm auf, öffnet das Visier und tätschelt das Motorrad. »Außerdem ist sie Italienerin. Sie nimmt nicht jeden beziehungsweise jede mit.«

»Rassistisch wie ihr Besitzer?«

Fernando und Giuseppe lachen in ihre Fäuste. Mehr trauen sie sich in Angelos Gegenwart nicht.

»Wählerisch! … Und nun … andiamo!«, ruft er mit einer Nickbewegung und sogleich werde ich von Fernando in den Wagen dirigiert, der mir daraufhin eine Augenbinde aufsetzt.

Vier Räder sind mir lieber als zwei. Geräumiger Komfort ist besser als zu enges Aufeinanderkleben auf einem heißen Motorrad. Helme sind lästig. Und eine Klimaanlage hat das Zweirad ja auch keine … Und unter einem Sturzhelm würde ich nur schwitzen und meine Haare bekämen diese grauenhaften Krauselocken, die so gar nicht zu mir passen. Und sowieso und überhaupt! Verdammt! Zu gerne würde ich jetzt auf dieser Maschine sitzen, mich an Angelos starkem Rücken festhalten, während wir uns mit der Ducati in eine Kurve legen, und der Küstenwind meine Ledermontur küsst. Mit Vergnügen würde ich jede einzelne Minuten des leidenschaftlichen Freiheitsgefühls auskosten. Innerlich seufzend gurte ich mich an und wir fahren los – ohne Fahrtwind, Adrenalinausschüttung und anschmiegsamen, durchtrainierten Männerrücken.

Fernando, der neben mir sitzt, nimmt mir nach einer kurzen Weile die Augenbinde ab. Mit der Limousine geht es eine verlassene Küstenstraße entlang. Links zieht eine karge Vegetation aus vergangenem, verbranntem Grün an uns vorbei. Eine unendliche Weite liegt vor uns, rechts eine Steilküste, darunter das Meer, das im eigenen Antlitz silberblau tänzelt. Wellen schäumen und peitschen schroff gegen die Küste, als würden sie sich in die steinigen Felsen fressen wollen. Vögel ziehen in unzähligen Vs über unsere Köpfe hinweg und versinken hinter der Horizontlinie, wo die Fantasie ihre Träume schmiedet. Die Landschaft wirkt rau und schön – das Abbild eines Naturschauspiels, welches sich eindrücklich in meine Erinnerung brennt.

Wir kurven einen steilen Hügel aufwärts und parken auf einem kleinen gepflasterten Platz vor einer Kirche, die gefährlich nahe an einem Abgrund steht. Ein sonderbarer Ort für einen Zwischenstopp. Oder ist es jener Ort, den Angelo mir zeigen soll? Eine Kirche? Befremdlich.

Meine Begleiter steigen aus. Fernando hält mir die Tür auf.

»Das alles ist das Land der Familie De Luca«, erklärt Giuseppe und deutet mit einer ehrfürchtigen Handbewegung um sich.

»Das ist Italien«, korrigiere ich und ziehe die Sonnenbrille auf die Nase.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739481913
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Liebesroman Meer Bad Boy Lovestory Prickelnd Leidenschaftlich Happy End Liebe Romantisch Italien

Autor

  • Mina Jayce (Autor:in)

Mina Jayce hat sich dem Motto Love.Glam.Passion verschrieben und verfasst Romane über starke Protagonisten, leidenschaftliche Beziehungen, scharfe Storys und unvergessliche Begegnungen. <br>Mina studierte Management and Communication, liest viel, betreibt regelmäßig Couchsurfing und reist in der Welt herum, um ihren Erlebnisdrang zu stillen und neue Schauplätze für ihre Bücher zu finden. <p>Romane der Autorin: The Boss of Law, Milliards vs. Love, Mafia Prince, The Bodyguard - Love and Hate
Zurück

Titel: Mafia Prince