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Die Bakers

Sammelband

von Alina Jipp (Autor:in)
508 Seiten

Zusammenfassung

Eine Familie - zwei Geschichten. Die Bakers umfasst die ungekürzten Bücher »Der Arzt meiner Tochter« und »Geburtstagskuss mit Folgen« zudem den »Bonus« mit einer Kurzgeschichte und Outtakes. Der Arzt meiner Tochter: Ein Schicksalsschlag ändert Maddies Leben von einer Minute zur anderen. Auf einmal ist ihre Tochter schwer krank, ihr Mann hat eine Geliebte und die Krankenversicherung ist nicht bezahlt. Alles scheint hoffnungslos, doch Maddie gibt nicht auf und als der attraktive Dr. Baker ihr ein unmoralisches Angebot macht, nimmt sie es an, um ihr Kind zu retten. Aber was ist, wenn auf einmal Gefühle ins Spiel kommen, die nicht geplant waren? Geburtstagskuss mit Folgen: Der große Bruder, der große Held. Ihre Beziehung ist schon immer sehr eng. Doch was passiert, wenn ein Geburtstagskuss die Gefühle verändert? Wenn aus Geschwisterliebe mehr wird? Paula verliebt sich in ihren Adoptivbruder und weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Hat sie überhaupt eine Chance mit ihm glücklich zu werden?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Alina Jipp

 

Die Bakers

 

Der Arzt meiner Tochter

 

Kapitel 1

Ich machte gerade eine kurze Pause, als mein Mann mich rief. »Maddie, kannst du mir kurz helfen?« John war meine geliebte bessere Hälfte und seit fünf Jahren mein Ehemann. Schnell verließ ich den aufgeräumten Schreibtisch in meinem ordentlichen Büro, um in sein Chaos zu gehen. Wir waren Ying und Yang, zwei Seiten einer Medaille oder einfach John und Maddie. Auch äußerlich waren wir das komplette Gegenteil voneinander. Während ich klein, zierlich und dunkelhaarig war, hatte er einen leichten Bauchansatz, der bei seiner Größe nur wenig auffiel, sein blondes Haar war kurz und lockig. Die kleinen Pölsterchen störten mich nicht weiter, denn so hatte ich etwas zum Ankuscheln.

»Was kann ich für dich tun, mein Süßer?«, fragte ich ihn, während ich um seinen Schreibtisch herum ging, um ihn zärtlich in den Nacken zu küssen.

»In spätestens zwanzig Minuten muss ich los zu Black & Black und ich finde die Akte nicht. Hilfst du mir bitte suchen?«, fragte er mich völlig verzweifelt und durchsuchte hektisch den nächsten Stapel Akten auf seinem Tisch. Manchmal fragte ich mich, warum hier mehr Ordner lagen, als wir Kunden hatten. Ein weiterer Stapel machte sich selbstständig und rutschte vom Tisch hinunter, sodass sich die losen Blätter auf dem Boden verteilten. John stöhnte genervt auf und ließ den Kopf hängen. Ich musste grinsen, es war doch immer dasselbe bei ihm.

 

Schon als wir uns vor sieben Jahren an der Uni in Los Angeles kennenlernten, war er das Chaos in Person. Ich wunderte mich noch heute, dass ich ihn vorher nicht gekannt hatte, obwohl er in unserem letzten Highschool-Jahr nach Aptos gezogen war und wir in einem Jahrgang gewesen waren. Ich hatte ihn zwar einige Male gesehen, mich aber nicht weiter mit ihm beschäftigt. An der Uni waren wir dann einer Arbeitsgruppe zugeteilt worden und ohne mich, hätte er seine Arbeiten nie rechtzeitig abgeben können. Nicht etwa, weil er den Stoff nicht verstand oder er zu faul war, etwas zu tun, sondern weil er seine Sachen nie wiederfand. Aber ich liebte ihn, so wie er war, und wollte ihn auch gar nicht anders haben.

»Mein lieber Chaos-König, die Unterlagen für B&B hast du mir gestern selbst gegeben, damit sie nicht verloren gehen«, erklärte ich ihm, ging dabei zu seinem fast leeren Aktenschrank und zog die gesuchten Unterlagen aus dem richtigen Fach heraus.

»Hier sind sie. Man kann Aktenschränke nämlich wirklich dafür nutzen, um etwas abzulegen«, erklärte ich ihm lächelnd. Nur gut, dass wir mit unserer eigenen kleinen Werbeagentur selbstständig waren. John war wahnsinnig kreativ und schuf wunderbare Kampagnen, aber ohne mich, würde er sie nie wiederfinden. Als Angestellter würde er wahrscheinlich hoffnungslos versagen. Mein Schatz strahlte über das ganze Gesicht, sodass seine Grübchen zu sehen waren. Oh Mann, wie sehr ich die liebte.

»Machst du jetzt Feierabend?«, fragte er mich.

»Ja«, antwortete ich glücklich, »ich muss gleich Paula abholen. Mom hat noch einen Termin beim Friseur.«

Paula war unsere kleine Tochter, unser Sonnenschein und ein süßer Wirbelwind. Sie hatte die hellblonden Haare ihres Vaters geerbt und im Moment standen diese in kurzen Borsten von ihrem Kopf ab. Sie hatte sich selbst die Haare abgeschnitten und von ihren ehemals süßen Locken, die sie von mir geerbt hatte, nur dass meine nicht blond, sondern dunkelbraun waren, war nichts mehr zu sehen. Zum Glück wuchsen Haare ja schnell nach.

Es war ein Risiko gewesen, so früh ein Kind zu bekommen und gleichzeitig eine eigene Firma aufzubauen, aber wir wollten es so. Unser Traum war es, eine große Familie zu haben und wir arbeiteten schon seit einigen Monaten daran, dass Paula ein Geschwisterchen bekam. Leider bisher vergeblich.

John griff nach seiner Jacke und machte sich auf den Weg nach Los Angeles. B&B war ein sehr wichtiger Kunde für uns, auch wenn die fünfeinhalb Stunden Autofahrt dorthin eine Herausforderung waren. Er musste wirklich aufpassen, dass er gut durch kam, um pünktlich dort zu sein. Da wir nicht aus Aptos wegziehen wollten, da hier unsere Familien lebten, die uns sehr wichtig waren, war es manchmal schwierig für uns, neue Aufträge zu bekommen. Obwohl sich fast alles über Internet und Telefon regeln ließ, wollten die Kunden meist keine kleine Werbeagentur, wenn diese nicht sozusagen direkt vor der Haustür lag.

Als er weg war, versuchte ich, sein Büro noch etwas aufzuräumen, allerdings schaffte ich das heute nicht komplett. Wie konnte ein einzelner Mensch nur alles so durcheinanderbringen? Ich fand Unterlagen von sechs verschiedenen Kunden und wer weiß, wie viele Ideen für Kampagnen. So gut es ging, sortierte ich alles, aber dann musste ich los, schließlich wollte ich meine Mutter nicht warten lassen. Deshalb schaltete ich nur noch den Anrufbeantworter an, machte alle Lichter aus und stellte die Alarmanlage an, dann lief ich schnell zu meinem Auto, um das kurze Stück zum Haus meiner Mutter zu fahren.

Sie und mein Vater hatten sich scheiden lassen, als ich vier Jahre alt war, jedoch hatten sie zwei Häuser nebeneinander, sodass ich immer guten Kontakt zu beiden halten konnte. Als Kind konnte ich jederzeit selbst entscheiden, ob ich lieber bei Mom oder Dad war. Heute musste ich zugeben, dass ich das manchmal ausgenutzt hatte. Vor allem in meiner Teenagerzeit, da hatte ich jedem der Beiden erzählt, ich sei jeweils beim Anderen und war in Wirklichkeit auf Partys gegangen.

Allerdings hatte ich es nie zu sehr übertrieben und mein damaliger Freund Andrew, bei dem ich zu der Zeit oft war, war noch heute mein bester Freund. Mittlerweile war mein Dad pensioniert, nachdem er einen Arbeitsunfall gehabt hatte. Früher war er Dachdecker gewesen und vor einigen Jahren von einer Leiter gefallen und hatte sich das Knie zertrümmert. Mittlerweile humpelte er zwar kaum noch, aber arbeiten konnte er nicht mehr mit der Verletzung. Damit ihm nicht die Decke auf den Kopf fiel, fuhr er, seit ich die Highschool abgeschlossen hatte, oft monatelang mit seinem Wohnmobil kreuz und quer über den Kontinent.

Meine Mom war Grundschullehrerin und teilte sich mit Johns Mutter, die Hausfrau war, die Betreuung von Paula. Die beiden Omas waren sich einig, dass so ein kleines Kind nicht in fremde Hände gehörte. Und so konnte ich schon kurz nach der Geburt wieder stundenweise ins Büro und meinen Mann davor retten, im Chaos zu versinken. Selbst die vierzehn Tage nach ihrer Geburt hatten schon gereicht, um eine mittlere Katastrophe auszulösen. Eine seiner Ideen fanden wir erst sechs Monate später wieder, da hatte er längst eine neue Kampagne für den Kunden erstellt. Wer kam denn auch auf die Idee, Unterlagen im Tiefkühlfach des Kühlschrankes zu suchen? Ich nicht! Und wir nutzten das Fach auch nur im Hochsommer, wenn wir mal etwas Eis im Büro brauchten. So dauerte es, bis ich diese Unterlagen irgendwann fand. Ich musste immer noch lachen, wenn ich an sein Gesicht dachte, als ich ihm die tiefgefrorenen Unterlagen grinsend unter die Nase hielt.

Auf dem Weg zu meiner Mutter träumte ich mal wieder davon, bald noch ein zweites Baby zu bekommen. Ein kleiner Junge wäre toll, aber über ein Mädchen würde ich mich genauso freuen. Ich träumte von der Zukunft mit zwei Kindern, als mich plötzlich ein Krankenwagen mit Blaulicht überholte. Mich beschlich ein komisches Gefühl, hoffentlich war bei meinen Lieben alles in Ordnung. ›Mach dich nicht verrückt, Maddie‹, dachte ich noch, als ich in die Straße einbog, in der meine Eltern lebten. Aber jetzt wurde mein schlechtes Gefühl bestätigt, der Krankenwagen stand direkt vor dem Haus meiner Mutter. Mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen, hoffentlich ging es meiner Mom gut. Sie war doch erst Anfang sechzig, sportlich und lebte gesund. Vorsichtig parkte ich neben dem Krankenwagen, stieg aus und rannte ins Haus. Wenn ich allerdings geahnt hätte, was mich dort erwartet hatte, wäre ich noch viel schneller gelaufen.

 

 

Kapitel 2

Nicht meiner Mutter war etwas passiert, sondern mein kleiner Engel Paula lag auf der Trage der Rettungssanitäter und wurde gerade festgeschnallt, als ich das Wohnzimmer betrat. Entsetzt registrierte ich den Beutel mit Flüssigkeit, den einer der Sanitäter hochhielt und dessen Schlauch in einer Nadel im Arm meines Babys endete. Paula schien bewusstlos zu sein und war leichenblass. Schnell lief ich zu ihr und streichelte ihre Wange. Meine Mutter erklärte den Rettungsassistent währenddessen, wer ich war. Meine Kleine reagierte nicht und meine Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, sie war nicht bei Bewusstsein. Was war nur los? Ich blickte verzweifelnd meine schluchzende Mutter an und hätte am liebsten einfach mitgeweint.

»Mom, was ist passiert?«, fragte ich völlig geschockt und rechnete damit, dass sie etwas von einem Unfall erzählte, doch dem war aber nicht so.

»Ich weiß es nicht«, schluchzte sie, »Paula hatte schon den ganzen Tag über Kopfschmerzen und dann ist sie plötzlich beim Spielen einfach umgefallen und wurde nicht mehr wach. Ich habe sofort den Rettungsdienst angerufen.«

»Was hat sie?« Verzweifelt sah ich den Rettungssanitäter an, aber der zuckte nur mit den Schultern.

»Kann ich so nicht sagen. Wir bringen sie jetzt ins Krankenhaus, dort kann sie genauer untersucht werden. Wir stabilisieren solange ihren Kreislauf. Wollen sie mitfahren?«, fragte er mit ruhiger Stimme. Was für eine Frage? Natürlich wollte ich mit, ich konnte meine Paula doch nicht alleine lassen. Eine Antwort ersparte ich mir und folgte den Sanitätern einfach in den Krankenwagen.

»Ich packe euch ein paar Sachen zusammen und komme dann nach«, rief meine Mutter uns noch hinterher, aber ich hörte ihr gar nicht wirklich zu, da ich nur Augen für Paula hatte. Sie sah so winzig und zerbrechlich aus, auf dieser großen Trage.

Der eine Sanitäter schwang sich auf den Fahrersitz und der andere deckte meine Kleine noch zu, ehe er sich neben sie setzte. Für mich wurde ebenfalls ein Sitz aufgeklappt. »Schnallen Sie sich bitte an, Mrs. Stone«, forderte er mich auf. Da John und ich schon unsere Werbeagentur »Stone&Stark« führten, als wir geheiratet hatten, hatte ich meinen Mädchennamen behalten und auch Paula trug diesen. Während der Fahrt stellte er mir einige Standardfragen über meine Tochter, die ich, wie ein Roboter, brav beantwortete, ohne groß nachzudenken. Kaum waren wir im Krankenhaus, wurde sie auch schon aus dem Wagen gehoben und schnell in ein Untersuchungszimmer gebracht. Ich lief einfach hinterher. Kurz darauf betrat ein Arzt den Raum und untersuchte meine Kleine wortlos.

»Mrs. Stone?«, sprach er mich dann endlich zum ersten Mal an. »Warten Sie bitte im Warteraum, wir müssen einige Tests mit Ihrer Tochter machen.« Ich sah ihn entsetzt an.

»Kann ich dabei nicht bei ihr bleiben?«, fragte ich leise, aber er schüttelte den Kopf.

»Wir rufen Sie, sobald wir etwas Neues wissen. Jetzt müssen wir erst einmal heraus finden, was Ihrer Tochter fehlt«, antwortete er, drehte sich um und ging schnell davon. Ich starrte ihm minutenlang hinterher, bis mich eine Krankenschwester aufforderte, nun endlich den Wartebereich aufzusuchen.

Das Wartezimmer war ein trostloser, grau gestrichener Raum mit zwölf gelben Plastikstühlen. Ein abstraktes Bild hing an der Wand neben einem Kaffeeautomaten, ansonsten gab es nur ein kleines weißes Tischchen, auf dem ein paar Zeitschriften lagen. Zum Hinsetzen war ich viel zu aufgewühlt, also lief ich unablässig von der Tür zum Fenster und wieder zurück. In meinem Kopf kreisten die Gedanken unaufhörlich. Was hatte Paula? Hatten wir irgendetwas übersehen? War sie schon krank gewesen, als ich sie heute Morgen bei meiner Mutter gelassen hatte? Sie hatte wie immer gewirkt, aber vielleicht ging es ihr schon schlecht, als ich gefahren bin und ich hatte es einfach nicht bemerkt.

Ich brauchte zwanzig Schritte, um von einer Seite zur anderen zu gelangen. Also lief ich immer wieder diese zwanzig Schritte zum Fenster, warf einen Blick auf den grauen, verregneten Parkplatz, drehte mich um und lief wieder zurück, um einen Blick durch das Fenster in der Tür, auf den Gang zu werfen. Die Uhr, die dort hing, musste kaputt sein, die Zeiger bewegten sich kaum, egal, wie lange ich auch darauf starrte. Wie konnte die Zeit nur so langsam vergehen?

Ich versuchte mehrmals, John auf dem Handy zu erreichen, während ich auf und ab lief, aber er ging einfach nicht an sein Telefon. Wahrscheinlich hatte er es während der Fahrt auf lautlos gestellt. Beim wer weiß wievielten Blick durch das Fensterchen der Tür, sah ich meine Mutter den Gang entlang kommen. Schnell öffnete ich diese, um ihr entgegenzugehen. Die Warterei machte mich wahnsinnig, aber nun war ich wenigstens nicht mehr alleine.

»Weißt du schon, was sie hat?«, fragte Mom schluchzend und nahm mich in den Arm. Ich klammerte mich an sie und schüttelte traurig den Kopf.

»Sie untersuchen Paula noch, ich durfte nicht bei ihr bleiben«, flüsterte ich verzweifelt.

»Hast du John schon erreicht?«, fragte sie weiter und wieder konnte ich nur den Kopf schütteln.

»Er ist wahrscheinlich noch auf dem Weg oder er ist gerade bei B&B im Meeting. Es wäre unser erster wirklich großer Auftrag in L.A., wenn es klappen würde. Er wird sein Handy ausgeschaltet haben«, seufzte ich.

Warum musste gerade heute dieser Termin sein? Von Los Angeles hierher würde er Stunden brauchen und noch wusste er ja nicht, dass Paula im Krankenhaus war. Zum Glück hatte er meinen Vorschlag über Nacht in L.A. zu bleiben, abgelehnt und wollte gleich nach dem Termin zurückfahren. Ich schluchzte auf, als ich darüber grübelte, was mein Engel nur haben könnte. Meine Mom zog mich einfach in ihren Arm und führte mich zu einem dieser gelben Stühle. Wir setzten uns und ich lehnte meinen Kopf an ihre Schulter. Uns liefen beiden die Tränen über die Gesichter. Warum kam nur niemand und sagte mir, was los war? Ich hatte das Gefühl, schon mehrere Stunden hier zu warten. Als ich allerdings auf mein Handy sah, bemerkte ich, dass erst fünfundvierzig Minuten vergangen waren. Wie lange mussten wir wohl noch warten?

 

Auch nach zwei weiteren Stunden im Warteraum hatte ich John noch immer nicht erreicht. Nachdem die Krankenschwester an der Rezeption mich zweimal böse angemeckert hatte, traute ich mich auch nicht mehr nachzufragen. Kein Mensch kam, um mir zu sagen, was mit Paula los war.

Zwanzig endlose Minuten später ging endlich die Tür des Warteraumes auf und ein Arzt trat ein.

»Mrs. Stone?«, fragte er.

»Ja. Wie geht es Paula?«, fragte ich aufgeregt. In diesem Moment klingelte mein Handy, doch ohne hinzusehen, drückte ich den Anruf weg und schaltete es aus. Der Arzt räusperte sich.

»Handys sind im Krankenhaus verboten, Mrs. Stone. Aber nun zum Thema. Ich bin Doktor Taylor und habe Ihre Tochter untersucht. Sie ist jetzt wieder bei Bewusstsein, allerdings hat sie große Schmerzen und wir mussten ihr starke Schmerzmittel verabreichen.« Dr. Tayler blickte mich nun traurig an. Ich ahnte bereits Schlimmes und hielt vorsorglich die Luft an.

»Leider habe ich keine guten Neuigkeiten für Sie, Mrs. Stone. Wir haben gleich einige Untersuchungen gemacht, um eine Kindesmisshandlung auszuschließen, deshalb durften Sie auch nicht dabei sein. Es tut mir leid, aber bei den Symptomen hätte es auch eine Kopfverletzung durch Schütteln sein können. Das konnten wir ausschließen, aber Ihre Tochter hat vielleicht einen Hirntumor. Ob es wirklich einer ist und wenn ja, ob dieser dann gut- oder bösartig ist, können wir ohne weitere Untersuchungen und eine eventuelle Operation nicht feststellen.«

Ich keuchte auf. Mein Baby sollte einen Hirntumor haben? Vielleicht bösartig? Sie ist doch erst drei Jahre alt, fast noch ein Baby. Das durfte einfach nicht sein!

»Mrs. Stone?«, riss der Arzt mich aus meinen Gedanken.

»Ihre Tochter muss so schnell wie möglich weiter untersucht werden. Hier bei uns ist das aber nicht möglich. Ich empfehle Ihnen, Ihre Tochter sofort nach Los Angeles verlegen zu lassen. Besprechen Sie das mit dem Vater und sagen mir oder meinen Kollegen Bescheid. Wenn Sie möchten, dürfen Sie nun zu ihr.« Ob ich möchte? Ich wollte nichts anderes, nur zu meiner Tochter und mich davon überzeugen, dass es ihr gut ging und der Arzt Unrecht hatte. Es durfte einfach nicht wahr sein.

Meine Mutter und ich folgten dem Arzt in das Zimmer, in dem meine Tochter lag. Sie sah so winzig und zerbrechlich aus in diesem riesigen Ungetüm von Bett. An den Seiten waren Gitter angebracht, damit sie nicht herausfallen konnte. Sie war an einen Überwachungsmonitor angeschlossen und hing an einem Tropf. Was war nur passiert? Heute Morgen hatte ich eine süße, gesunde und sehr aufgeweckte kleine Tochter und nun sollte sie vielleicht todkrank sein? Ich konnte und wollte es nicht glauben. So grausam konnte das Schicksal doch nicht sein.

Ich zog mir einen Stuhl ans Bett und setzte mich neben Paula. Immer wieder streichelte ich ihr zärtlich mit dem Zeigefinger über die Nase und die Wangen. Ich merkte gar nicht, dass meine Mutter auch noch da war und auch nicht, wie die Zeit verging.

»Maddie«, sprach meine Mutter mich irgendwann an, »ich gehe raus und versuche, John zu erreichen.«

Ich nickte nur und schämte mich; an ihn hatte ich gar nicht mehr gedacht, seit ich an Paulas Bett saß. Ich wusste nicht einmal, ob er der Anrufer gewesen war, den ich weggedrückt hatte. Paula war im Moment das Einzige, was noch für mich zählte und ich schwor mir, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um sie zu retten.

Nach einiger Zeit, waren es Minuten oder Stunden, ich konnte es nicht mehr sagen, kam meine Mutter zurück.

»Ich habe John auf die Mailbox gesprochen, er geht immer noch nicht an sein Telefon«, erzählte sie mir. Ich seufzte. Wo war er nur? Mittlerweile war es dunkel geworden, er hätte längst auf dem Heimweg sein müssen. Eine Schwester betrat das Zimmer.

»Die Besuchszeit ist vorbei, wollen Sie über Nacht hierbleiben, Mrs. Stone? Ich lasse Ihnen dann eine Pritsche aufstellen.« Sie sah mich mitleidig an, während sie sprach.

»Natürlich bleibe ich hier!«, sagte ich. Nichts und Niemand hätte mich daran hindern können.

»Schatz, ich gehe dann jetzt. Soll ich dir morgen früh ein paar Sachen bringen?«, fragte meine Mutter liebevoll.

»Danke, Mom, das wäre lieb. Und könntest du weiter versuchen, John zu erreichen?«, erwiderte ich.

»Natürlich, Maddie. Bleib stark, Paula braucht dich!«, sagte sie noch, ehe sie ging.

Ein Pfleger brachte die Pritsche für mich herein und stellte sie ans Fußende von Paulas Bett. Zum Glück hatte meine Mutter mir ein Nachthemd und eine Zahnbürste eingepackt. Nun lag ich auf der Liege und wartete darauf, dass John endlich kam, aber die Einzige, die das Zimmer ab und zu betrat, war die Nachtschwester. Sie kam jede Stunde um die Werte zu kontrollieren oder den Tropf zu wechseln. Ich lag ewig wach und konnte nicht einschlafen. Tränen liefen mir lautlos über das Gesicht und ab und zu schluchzte ich doch leise. Die Nachtschwester kam zurück und reichte mir eine Packung Taschentücher.

»Weinen Sie ruhig, das hilft. Sie müssen in nächster Zeit noch oft genug stark sein«, sagte sie leise und verließ das Zimmer. Hier lag ich nun, alleine bei meiner Tochter. Wie viel Zeit blieb mir noch mit ihr? Das waren meine letzten Gedanken, ehe ich erschöpft in einen unruhigen Schlaf fiel.

Kapitel 3

Die Nacht im Krankenhaus war schrecklich für mich und ich hatte kaum geschlafen. Nun war es sieben Uhr morgens und eine Krankenschwester gerade dabei, Paula zu waschen. Scheinbar waren die Medikamente gegen ihre Schmerzen so stark, dass sie selbst dadurch nicht richtig wach wurde. Ich schlich mich schnell hinaus, um John anzurufen, er hatte sich immer noch nicht bei mir gemeldet. Nach dem achten Klingeln nahm er endlich ab.

»Stark«, brummte er ins Telefon, anscheinend hatte ich ihn geweckt.

»John Stark, wo bist du und warum meldest du dich nicht?«, schimpfte ich gleich los, doch im selben Moment tat mir mein Verhalten schon wieder leid. Gerecht war das sicher nicht, das wusste ich auch, aber ich war völlig überfordert mit der Situation. Die letzte Nacht hatte meine Kräfte aufgezehrt und ich wollte eigentlich nur noch, dass er zu mir kam und mich festhielt.

»Wo ich bin?«, motzte er zurück. »Wo bist du? Und wo ist Paula? Zwölf Anrufe von dir und wenn ich zurückrufe, drückst du mich weg? Ich komme nach Hause, um mit euch zu feiern und ihr seid verschwunden. Das hat mir echt den Abend verdorben.« Ich holte tief Luft. Wie konnte er behaupten, dass ich ihm den Abend verdorben hätte? Dachte er, dass ich zum Spaß über Nacht weg war? Das hatte ich doch noch nie getan.

»Wir sind im Krankenhaus! Paula ist schwer krank und ich hätte dich gestern hier gebraucht! Ich musste mein Handy ausschalten, aber meine Mutter hat doch versucht, dich zu erreichen«, warf ich ihm vor. Ich hörte ihn schlucken.

»Fuck! Was hat sie? In welchem Krankenhaus? Santa Cruz Medical?«, fragte er kleinlaut. Ich bestätigte es.

»Ich komme sofort.«

Ich erklärte ihm noch, in welchem Zimmer wir waren und was er mir mitbringen sollte, danach legte ich auf. Dann eilte ich wieder zu Paula zurück, ich wollte sie keine Minute länger als nötig allein lassen.

Als ich das Zimmer wieder betrat, war sie endlich etwas wacher.

»Mommy, ich will nach Hause!«, jammerte meine arme Kleine kläglich. Schnell ging ich zu ihr und streichelte ihr über das Haar. Dabei besah ich mir das Bett etwas genauer und versuchte herauszufinden, wie ich die Gitter herunter lassen konnte. Als ich es endlich geschafft hatte, setzte ich mich vorsichtig auf den Rand des Bettes und legte ihren Kopf auf meinen Schoß. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht loszuweinen, aber für Paula musste ich stark sein.

»Soll ich dir etwas vorlesen, Engelchen?«, fragte ich daher. Ihr Lieblingsbuch war in der Tasche gewesen, die meine Mutter am Vortag mitgebracht hatte. An Bücher dachte sie immer. Paula und ich hatten ihre Liebe zum Lesen und zu Büchern geerbt. Aber selbst das wollte sie nicht.

»Mein Kopf tut so weh, Mommy. Hilf mir!«, bettelte sie stattdessen mit schmerzverzerrter Stimme. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Ich klingelte nach einer Krankenschwester, mehr konnte ich leider nicht tun. Meine Hilflosigkeit trieb mir die Tränen in die Augen. Ich beschloss, sie so schnell wie möglich operieren zu lassen, sollte es nötig sein. Mein Baby sollte sich nicht so quälen müssen.

Endlich ging die Tür auf und in der Hoffnung, eine Krankenschwester zu sehen, drehte ich schnell den Kopf zur Tür, doch es war nur John. Oh Gott, was dachte ich da nur? Ich versuchte zu lächeln, um ihm zu zeigen, wie froh ich war, dass er endlich hier war, aber es wurde eher eine Grimasse, als ein Lächeln. Mehr brachte ich jetzt einfach nicht zustande.

»Was ist passiert? Warum seid ihr hier?«, fragte John aufgebracht, noch ehe ich etwas sagen konnte. Warum war er denn nun sauer?

»Paula ist gestern umgekippt und war bewusstlos. Die Ärzte haben sie dann untersucht…«, versuchte ich, die Situation zu erklären.

»Ach, und mich musstest du davon nicht unterrichten?«, schrie er mich an. Ich bebte vor Zorn, versuchte aber, Paula zuliebe, ruhig zu bleiben. Sie war bei Johns Lautstärke schon zusammen gezuckt und weinte nun noch heftiger, als zuvor. Sah er denn gar nicht, was er ihr antat?

»Paula hat Schmerzen. Meinst du, es hilft ihr, wenn wir uns hier anschreien?«, sagte ich betont leise.

»Wenn sie schläft, können wir das vor der Tür klären.« Zum Glück ging jetzt wieder die Tür auf und die Krankenschwester kam endlich.

»Meine Tochter hat starke Kopfschmerzen«, erklärte ich ihr. Sie nickte und warf einen Blick auf das Krankenblatt.

»Ich gebe ihr gleich etwas«, sagte sie und verließ das Zimmer wieder.

John stand noch immer an der Tür, sagte aber nichts mehr im Moment. Ich wusste, wie sehr er Krankenhäuser hasste, aber hier ging es um unsere Tochter.

»Komm doch näher, sie braucht uns nun beide«, forderte ich ihn auf, doch er blieb unbewegt an der Tür stehen.

»John?«, versuchte ich es weiter. Da drehte er sich um und verließ einfach das Zimmer. Paula sah ihm weinend nach und ich war einfach fassungslos.

»Warum geht Daddy wieder? Er hat nicht einmal Hallo gesagt«, fragte sie traurig und ich sah, wie sie mit den Tränen kämpfte. Ich war hoffnungslos überfordert. Was sollte ich ihr darauf nur antworten? Schließlich wusste ich gerade selbst nicht, was in ihm vorging. Normalerweise war er immer so ein liebevoller und aufmerksamer Vater, doch heute hatte er Paula kaum angesehen. Eine Antwort blieb mir aber erspart, da es kurz an der Tür klopfte und ein Arzt eintrat.

»Mrs. Stone?«, fragte er. »Haben Sie sich schon darüber Gedanken gemacht, ob Sie einer Verlegung zustimmen? Wir würden Ihre Tochter am liebsten sofort nach Los Angeles verlegen lassen. Die Ärzte dort wissen schon Bescheid und haben auch ein Bett für sie frei. Die Untersuchungen könnten dann bereits morgen früh starten und wenn es nötig ist, kann sie dort auch gleich operiert werden. Sie sollten nicht zu lange warten, damit die Kleine sich nicht unnötig quälen muss. Wir brauchen nur noch die Unterschriften von Ihnen und Ihrem Mann.« Ich schluckte, wo war nur John?

»Ich unterschreibe sofort und mein Mann müsste auch gleich kommen«, log ich. Ich hoffte, dass er wenigstens noch vor der Tür war.

»Am besten gehe ich eben kurz raus und rufe ihn an.«

Ich gab Paula noch einen Kuss und legte ihren Kopf dann vorsichtig auf das Kissen.

»Ich bin gleich wieder bei dir, Engelchen. Ich schaue nur schnell, wo Daddy ist«, flüsterte ich ihr zu und streichelte noch einmal sanft über ihr Haar, dann stand ich schnell auf und verließ das Zimmer. John war nicht auf dem Gang und auch nicht im Wartebereich, deshalb eilte ich nach draußen. Ich wollte meine Kleine nicht länger als unbedingt nötig allein lassen und endlich fand ich ihn auf dem Parkplatz an sein Auto gelehnt.

Er hatte den Kopf gesenkt und rauchte. Ich war so sauer auf ihn, dass ich ihn am liebsten geschüttelt hätte.

»John!«, zischte ich ihn regelrecht an. »Was soll der Scheiß? Unsere Tochter liegt da drin und ist schwer krank und du bist erst nicht zu erreichen und meckerst mich dann an, dass ich mich nicht gemeldet hätte? Weißt du eigentlich, wie oft ich gestern versucht habe, dich anzurufen? Und als mir das Telefonieren im Krankenhaus verboten wurde, hat meine Mutter es weiter versucht. Und jetzt kommst du da mit rein und unterschreibst, damit Paula nach Los Angeles verlegt werden kann. Sie soll dort morgen weiter untersucht werden um zu sehen, ob sie operiert werden muss.« Völlig verständnislos starrte er mich an.

»Op…operiert?«, stotterte er.

»Ja, sie hat vielleicht einen Hirntumor«, schluchzte ich. Ich brauchte jetzt alle Kraft für Paula und konnte nicht noch welche in einen Streit mit John stecken.

»Nun komm bitte, Paula braucht uns.«

»Keine Vorwürfe mehr?«, fragte er und meine Wut kochte wieder hoch. Machte er sich das nicht gerade etwas einfach? Aber in seinem Blick sah ich die Angst, um das Leben unserer Tochter, er konnte einfach nicht mit der Situation umgehen. Streiten konnten wir später, jetzt mussten wir schnellstmöglich wieder zu Paula und alles dafür tun, dass unserer Tochter geholfen wurde. Ich schluckte meine Wut herunter und ging in Richtung der Tür.

»Komm bitte«, forderte ich ihn auf und wünschte mir nichts mehr, als dass er mich einfach in den Arm genommen hätte. Aber das tat er nicht. Fast widerwillig folgte er mir und vermied dabei jeglichen Körperkontakt. In Paulas Zimmer trafen wir die Schwester von vorhin wieder, sie verabreichte Paula gerade ein Schmerzmittel.

»Doktor Taylor ist in seinem Büro und erwartet Sie. Zimmer 402, das ist die zweite Tür rechts im Flur«, teilte sie uns mit. Wir eilten zu besagtem Büro und dann ging alles ganz schnell. Als die Papiere fertig waren, beschlossen wir, dass ich mit Paula per Krankentransport fahren würde, während John die Sachen für uns einpacken und dann hinterherfahren würde. Er würde uns ein Zimmer in der Nähe der Klinik suchen, da wir nicht beide rund um die Uhr bei ihr bleiben konnten.

Keine zehn Minuten nachdem wir das Arztzimmer verlassen hatten, wurde Paula auf eine Trage geschnallt und zu einem wartenden Krankenwagen gerollt. Mir machte diese Geschwindigkeit Angst, wenn es alle so eilig hatten, war es wahrscheinlich noch schlimmer, als ich befürchtete. Wenigstens bekam sie von dem Transport nicht viel mit. Sie hatte starke Schmerzmittel bekommen, weil sie nur noch vor Kopfschmerzen gewimmert hatte. Die komplette Fahrt im Krankenwagen verschlief sie. Mein Baby tat mir so leid und die Hilflosigkeit machte mich wahnsinnig. Ich konnte nichts tun, außer ihre Hand halten und sie beruhigen, wenn sie weinte, ihre Schmerzen konnte ich ihr nicht nehmen. Während der Fahrt liefen mir immer wieder lautlose Tränen über das Gesicht. Gestern Morgen war sie noch gesund gewesen und jetzt? Ich verstand noch immer nicht, wie das so schnell gehen konnte.

In Los Angeles wurde Paula in ein Zimmer mit drei anderen Kindern gelegt, denen es allen ganz gut zu gehen schien. Das hatte den Nachteil, dass es ziemlich laut in diesem Zimmer war und meine arme Kleine wimmerte immer wieder vor Schmerzen. Ich bat die anderen Kinder mehrmals, doch bitte etwas ruhiger zu sein, aber es hielt immer nur wenige Minuten an, bevor es wieder laut wurde. John kam bald darauf und wir gingen ins Büro des zuständigen Arztes um die letzten Papiere für die Untersuchungen zu unterschreiben.

Die nächsten zwei Tage waren unheimlich nervenaufreibend. Paula musste zu unzähligen Untersuchungen und mir schwirrte der Kopf wenn ich an MRT, CT, EEG und die ganzen anderen Untersuchungen dachte, die bei ihr gemacht wurden. Zum Glück konnte ich wenigstens die meiste Zeit bei Paula bleiben. Darüber war ich wirklich froh, auch wenn es erschreckend war, wie sie aussah. Da sie nicht essen mochte und sich wegen der starken Schmerzen oft übergeben musste, sah man jetzt schon, dass sie abgenommen hatte. Außerdem war sie so blass wie noch nie in ihrem Leben. John ertrug das alles kaum und blieb immer nur kurz bei uns im Krankenhaus. Angeblich hatte er keine Zeit, weil er arbeiten musste, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er in dieser Situation kreativ sein konnte.

Irgendwann stand das schreckliche Ergebnis fest, vor dem wir uns gefürchtet hatten. Paula hatte wirklich einen Tumor und sollte so schnell wie möglich operiert werden. John und ich saßen in einem Büro und der Arzt, seinen Namen hatte ich völlig vergessen, klärte uns zunächst über den Ablauf der morgigen Operation auf. Er rechnete damit, dass diese mindestens vier bis fünf Stunden dauern würde und anschließend müsste Paula noch einige Tage auf der Intensivstation bleiben. Der Arzt verabschiedete sich von uns, nachdem er mir erklärt hatte, dass ich diese Nacht nicht bei Paula bleiben konnte. John kam nur noch kurz mit in Paulas Zimmer, ehe er auch schon wieder aus dem Krankenhaus verschwand.

»Ich kümmere mich um ein größeres Zimmer für uns, meins ist zu klein für uns beide«, sagte er nur noch, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Das Geräusch ließ Paula wieder wimmern und ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht mit zu weinen. Vor ein paar Tagen war unsere Welt noch in Ordnung gewesen und nun saß ich hier; meine Tochter hatte große Schmerzen und mein Mann hatte nichts Besseres zu tun, als ständig zu verschwinden.

Paula schlief dann zum Glück, trotz der anderen Kinder bald ein und eine Schwester betrat das Zimmer, um ihr noch etwas zu spritzen, und die anderen Kinder zum Schlafen aufzufordern, es war schon nach zwanzig Uhr.

»Mrs. Stone«, sagte sie dann. »Am besten gehen Sie jetzt auch und ruhen sich aus, morgen wird ein harter Tag für Sie werden. Die Operation ist um neun Uhr angesetzt, doch Sie können ab sieben Uhr wieder kommen und bei Ihrer Tochter bleiben, bis sie in den OP gefahren wird. Ich habe ihr jetzt ein Beruhigungsmittel gegeben, damit sie in der Nacht gut schläft.« Ihre Worte waren zwar freundlich, aber ihr Ton klang eher nach: ›Nun gehen Sie endlich und lassen uns unsere Arbeit machen, Sie stören hier nur.‹

Ich gab Paula noch einen Kuss und verließ dann leise das Krankenzimmer. Es fiel mir unglaublich schwer, mein Baby hier alleine zu lassen. Als ich vor der Tür angekommen war, rief ich erst einmal John an.

»Stark«, meldete er sich.

»John, könntest du mir sagen, wo du ein Zimmer bekommen hast? Ich wurde mehr oder weniger rausgeschmissen«, erklärte ich ihm.

»Warte vorm Krankenhaus, ich hole dich ab«, antwortete er und hatte schon aufgelegt. Sein Verhalten heute verstand ich absolut nicht, so kannte ich meinen liebevollen Chaoten gar nicht. Ich hatte große Angst, dass er mich am nächsten Tag wieder mit allem alleine lassen würde und beschloss noch an diesem Abend mit ihm zu reden.

 

Kapitel 4

Es dauerte fünfzehn endlose Minuten nach meinem Anruf bei John, bis er endlich kam, dabei hatte er doch gesagt, dass er ein Zimmer gefunden hatte, das nur zwei Minuten von hier entfernt läge. Ich stieg wortlos zu ihm ins Auto, körperlich und vor allem seelisch viel zu kaputt, um jetzt gleich mit ihm zu streiten. Eigentlich wollte ich nur noch, dass er mich einfach festhielt und mir versprach, dass alles wieder gut werden würde. Aber er sagte erst einmal gar nichts, sondern fuhr, ebenfalls schweigend, zu einer Pension ein paar Blocks vom Krankenhaus entfernt.

Immer noch, ohne etwas zu sagen, führte er mich an der Rezeption vorbei und in unser Zimmer. Dort setzte er sich auf das Bett und ließ den Kopf hängen. Sollte es nun so weiter gehen damit, dass wir uns einfach anschwiegen? Sonst redeten wir immer über alles, aber nun, da wir beide mit den Nerven am Ende waren, fiel uns das Reden auf einmal schwer. John war schließlich der Erste, der das Schweigen brach.

»Ich halte das nicht aus, Schatz«, erklärte er mit Tränen in den Augen.

»Paula so zu sehen, dann dieser Geruch im Krankenhaus…«, seine Stimme brach ab und nun weinte er wirklich. Ich hatte John bisher nur ein einziges Mal weinen gesehen und das war, als er vom Tod seiner Oma erfahren hatte, an der er sehr gehangen hatte. Sie war an Krebs erkrankt und hatte sehr leiden müssen, am Ende war ihr Tod nur noch eine Erlösung für sie gewesen. Monatelang hatte sie immer wieder im Krankenhaus gelegen und es war ein Sterben auf Raten gewesen. Seitdem hatte er große Probleme damit, ein Krankenhaus auch nur zu betreten.

»Es tut mir leid, dass ich dich damit die letzten Tage so alleine gelassen habe. Kannst du mir verzeihen? Ich halte es nicht aus, sie so zu sehen.« Flehentlich sah er mich an, seine Augen baten mich um Vergebung und ich warf mich einfach nur noch in seine Arme. Lange Zeit weinten wir beide, aber wenigstens war ich nicht mehr alleine mit meinem Schmerz. Er fühlte sich ebenso hilflos wie ich, wir hatten nur unterschiedliche Arten, damit umzugehen. Zusammen legten wir uns aufs Bett und ich kuschelte mich ganz eng an ihn. Endlich hielt er mich, endlich hatte ich eine Stütze und musste nicht alleine stark sein, sondern konnte schwach sein und mich gehen lassen. Den ganzen Tag hatte ich für Paula stark sein müssen. Jetzt konnte ich nicht mehr.

Langsam wurden unsere Tränen weniger und wir hielten uns einfach ganz fest, ohne etwas zu sagen. Ich sah ihm in die Augen und wischte vorsichtig seine letzten Tränen mit meinem Zeigefinger weg. Ganz sanft küsste ich ihn auf den Mund, ich brauchte jetzt unbedingt seine Nähe und Zuneigung. Auch er küsste mich jetzt und strich mir zärtlich mit der Zunge über die Unterlippe, liebkoste sie und biss kurz darauf leicht zu, ehe er wieder sanft darüber leckte. Mir entwich ein Stöhnen und dabei öffneten sich meine Lippen. Sofort war er mit seiner Zunge in meinem Mund und begann mit meiner Zunge zu spielen.

John wollte mehr, aber das konnte ich jetzt nicht. Ich konnte nicht mit meinem Mann schlafen, während ich in Gedanken bei Paula war, er sollte mich einfach nur festhalten. Damit ich auf andere Gedanken kam, erzählte er mir von dem Deal, den er mit B&B abgeschlossen hatte. Er war so stolz darauf und wollte Pläne mit mir machen, wie wir das angehen konnten.

»John, lass uns darüber reden, wenn Paula die OP überstanden hat. Ich habe den Kopf jetzt einfach nicht frei.«

John war beleidigt, aber das konnte ich nicht ändern. Die Sorge um Paula war zu groß, um mich über den Vertrag, den er abgeschlossen hatte, zu freuen, deshalb würgte ich das Thema ziemlich schnell ab. Solange unsere Tochter so krank war, konnte ich sowieso nicht daran arbeiten. Im Moment war sie das Einzige, das zählte. Obwohl ich wusste, dass er mindestens genauso unter der Situation litt wie ich, konnte ich nicht verhindern, dass ich mich über sein Verhalten ärgerte. Er hatte zwar Probleme mit Krankenhäusern und das respektierte ich, aber hier ging es nun mal um unsere Tochter. Konnte er nicht einmal für sie über seinen Schatten springen?

Ich wollte mich nicht gleich wieder mit ihm streiten, also verschwand ich schnell im Bad, um zu duschen. John folgte mir nicht, wie er es sonst oft tat und darüber war ich froh. Im Moment war einfach alles anders als sonst. Wir befanden uns im Ausnahmezustand. Es fühlte sich so falsch an hier zu sein, während Paula im Krankenhaus lag, aber mir blieb nichts anderes übrig. Jetzt war es erst zweiundzwanzig Uhr, noch neun Stunden ehe ich wieder bei Paula sein durfte und noch elf Stunden bis zur Operation.

Als ich wieder ins Zimmer kam, lag John quer auf dem Bett und schlief. Ich versuchte, ihn etwas zur Seite zu schieben, was mir aber nicht gelang. Deshalb nahm ich mein Handy aus der Handtasche und stellte den Wecker auf fünf Uhr dreißig, nur um nicht zu verschlafen. Danach versuchte ich noch einmal John zur Seite zu schieben, was mir aber wieder nicht gelang. Also zerrte ich die Decke mühsam unter ihm hervor und legte mich, so gut es eben ging, neben ihn und breitete die Decke über uns beiden aus. Viel Platz blieb mir nicht und besonders bequem war es auch nicht, so an der Kante des Bettes zu liegen, aber im Moment war es mir egal. Meine Gedanken kreisten sowieso nur um Paula. Sie musste die Operation einfach gut überstehen und danach wieder unser kleiner Wirbelwind sein. An die Risiken, die der Arzt uns aufgezählt hatte, durfte ich gar nicht erst denken: Tod – Koma – bleibende Hirnschäden, die eine geistige Behinderung, Taubheit oder auch Blindheit zur Folge haben könnten …

Ich setzte mich auf und versuchte, die Gedanken aus meinem Kopf zu bekommen.

»Nein!«, schrie ich fast, um sie zu vertreiben. John grunzte und drehte sich etwas zur Seite. Nun wäre mehr Platz im Bett für mich gewesen, aber ich konnte sowieso nicht schlafen, deshalb setzte ich mich in den Sessel und schaltete den Fernseher an. Was für ein Mist nachts im Fernsehen lief. Ich zappte durch die Programme und konnte nur immer wieder den Kopf schütteln. Bei Krankenhausserien schaltete ich noch etwas schneller um als sonst, die ertrug ich heute gar nicht. Schließlich blieb ich bei einer Naturdokumentation über Pumas hängen. Was für schöne Tiere es doch waren. Mein Blick wanderte zur Uhr. Es war kurz vor Mitternacht, noch sieben Stunden, bis ich wieder zu Paula durfte. John schnarchte mittlerweile leise vor sich hin und eigentlich sollte ich auch schlafen, allerdings wollte mich die Müdigkeit noch immer nicht übermannen, also zappte ich weiter … und blieb irgendwann an der nächsten Dokumentation hängen, diesmal über Braunbären und wie gut die Bärenmutter ihr Junges beschützte. Ich seufzte, schaltete den Fernseher ab und legte mich wieder hin. Noch sechs Stunden …

Irgendwann war ich wohl doch noch eingeschlafen, denn das Klingeln des Weckers riss mich aus furchtbaren Träumen, in denen ich an Paulas Grab stand. Tränen liefen mir über die Wangen.

 

Nachdem wir kurz geduscht und uns angezogen hatten, fuhren wir viel zu früh ins Krankenhaus.

Während der Fahrt sprachen John und ich mal wieder kein Wort miteinander. Sollte das jetzt etwa zur Gewohnheit werden? Unser ganzes Leben war auf den Kopf gestellt worden und nichts war mehr so, wie es sein sollte. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Meine kreisten nur darum, dass ich Paulas Leben gleich in die Hände der Chirurgen legen musste. War es wirklich die einzige Möglichkeit, die wir hatten, um ihr helfen zu können? Sie war bisher noch nie krank gewesen und jetzt würde sie vielleicht sterben. Nein! Daran durfte ich erst gar nicht denken. Unser Sonnenschein musste einfach wieder gesund werden. Mein Handy klingelte und riss mich aus meinen Gedanken.

»Stone?«, meldete ich mich.

»Maddie, ich bin es, Mom. Gibt es etwas Neues? John hat gestern angerufen und gesagt, dass Paula heute operiert wird«, sagte meine Mutter. Siedend heiß fiel mir ein, dass ich völlig vergessen hatte, mich bei ihr zu melden. Gut, dass John wenigstens das getan hatte. Dankbar lächelte ich ihn an. Ich erzählte ihr, wann die Operation sein würde und sie versprach mir am Nachmittag, zusammen mit Johns Mutter, nach Los Angeles zu kommen.

»Matthew habe ich auch angerufen, er nimmt den nächstmöglichen Flug und kommt dann direkt ins Krankenhaus«, erzählte sie mir. Krampfhaft versuchte ich, die Tränen zurückzuhalten. Wie hatte ich meine Familie vergessen können? Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, meinen Dad anzurufen. Als ich schluchzte, beruhigte Mom mich.

»Ganz ruhig Schatz, wir verstehen alle, dass du nun nur an Paula denken kannst. Keiner ist dir böse!« Wir beendeten das Gespräch, da John auf dem Parkplatz des Krankenhauses hielt. Wir gingen gleich in Paulas Zimmer. Eine Schwester war gerade bei ihr und hatte ihr schon ein OP-Hemdchen angezogen.

»Guten Morgen«, begrüßte sie uns und lächelte uns aufmunternd zu.

»Morgen«, antwortete John einsilbig, wahrscheinlich dachte er genau dasselbe wie ich. Dieser Morgen war alles andere als gut! Wir setzten uns rechts und links von Paula auf die Bettkante und hielten sie einfach fest. Am liebsten wäre ich für immer so sitzen geblieben, Arm in Arm mit John und Paula in der Mitte, als könnten wir sie vor allem Bösen beschützen. Aber das konnten wir nicht. Schneller als uns lieb war, kam die Krankenschwester wieder, verabreichte Paula ein Beruhigungsmittel und legte ihr die Zugänge für die Operation.

»Ich lasse Sie noch etwas alleine und komme dann mit einer Kollegin wieder, um Ihre Tochter in den OP zu bringen. Sie wird gleich müde werden und vielleicht sogar einschlafen«, erklärte sie uns ruhig und verließ das Krankenzimmer. Die anderen Kinder waren heute auch ruhiger als gestern und störten uns in den letzten Minuten, die wir vor der Operation mit Paula hatten, nicht. Dass es vielleicht die letzten Minuten mit ihr, in unserem Leben sein könnten … daran versuchte ich nicht zu denken.

Viel zu früh war es so weit und zwei Krankenschwestern kamen, um Paula zu holen. Ich gab ihr noch einen Kuss.

»Wenn du aufwachst, bin ich da, Süße. Alles wird gut. Ich liebe dich«, verabschiedete ich mich von ihr. John gab ihr nur einen Kuss, sagte aber nichts. Wir liefen bis zum Operationssaal hinter dem Bett her.

»Hier können Sie nicht mehr mit rein«, sagte die eine Schwester dann.

»Gehen Sie bitte in das Wartezimmer, Sie werden informiert, sowie Ihre Tochter aus dem OP kommt.« Wir küssten unsere Kleine, die nicht mehr viel mitbekam und fast schon schlief noch ein letztes Mal, dann fiel die schwere Metalltür hallend hinter ihnen ins Schloss. Dieses Geräusch würde ich nie wieder in meinem Leben vergessen können. Am liebsten hätte ich die Tür aufgerissen und Paula dort wieder herausgeholt. Ein beklemmendes Gefühl beschlich mich. Würde ich mein Engelchen je wieder sehen und wenn ja, würde sie dann wieder die Alte sein?

Nachdem ich die Tür wohl einige Minuten lang angestarrt hatte, nahm John meine Hand und führte mich wortlos zum Wartebereich. Hier in Los Angeles war das kein abgeschlossener Raum, sondern einfach eine Ecke am Ende des Flures, von dem der Operationssaal abging. Dort standen drei grüne Bänke und ein Kaffeeautomat, das war alles. Über dem Kaffeeautomaten hing eine überdimensionale Uhr, die laut tickte. Tick Tack, Tick Tack, Tick Tack. Das Geräusch machte mich schon nach wenigen Minuten verrückt. John hielt es jetzt schon nicht mehr aus, aber das kannte ich ja von ihm.

»Ich gehe eine Zigarette rauchen«, murmelte er und verließ den Wartebereich in schnellen Schritten, ohne auf eine Antwort von mir zu warten. Ich sah ihm nach und hoffte, dass er mich nicht lange alleine lassen würde. Ich setzte mich auf eine der Bänke, zog die Füße hoch und umklammerte meine Knie. Dieses Warten war die Hölle, still liefen mir die Tränen über das Gesicht.

Tick Tack, Tick Tack. Quälend langsam schlichen die Minuten dahin und John war immer noch nicht wieder gekommen. Ob ich wohl mal nachsehen sollte, wo er war? Doch er war erwachsen, und würde schon nicht verloren gehen. Aber Paula war hinter der grauen Metalltür auf diesem Flur, ich konnte hier nicht weg. Allerdings konnte ich auch nicht mehr still sitzen und fing deshalb an, den Flur hoch und runter zu wandern. Ein weiteres Bett wurde herangefahren und zwei Schwestern verschwanden mit dem nächsten Patienten, einem älteren Mann, im OP Bereich, dort mussten wohl mehrere Operationssäle sein. Die Schwestern kamen nach einiger Zeit miteinander redend und lachend wieder heraus, für sie war es einfach ein ganz normaler Arbeitstag. Wie gern hätte ich auch einen normalen Arbeitstag gehabt, um dann zu meiner gesunden Tochter zurückkehren zu können. Ich tigerte den Flur weiter auf und ab, um dem Ticken der Uhr zu entkommen, das mich verrückt machte. Weitere Patienten wurden in den OP-Bereich gebracht und Ärzte und Schwestern gingen dort ein und aus. Im Wartebereich war ich nun auch nicht mehr alleine. Auf einer Bank saß eine Frau und las seelenruhig in einem Buch, ab und zu schmunzelte sie sogar beim Lesen. Wie konnte sie hier sitzen und dabei so gelassen sein? Wartete sie nicht auf einen Angehörigen, der auf dem OP-Tisch lag? Ich fühlte mich so alleine, wie noch nie in meinem Leben. Wo blieb John nur?

Nun war Paula schon fast eine Stunde im OP und mein Mann noch immer nicht zurück. Ich lief weiterhin den Flur auf und ab und auf und ab. Ein anderes kleines Mädchen wurde in den OP-Bereich gefahren. Ich beobachtete neidisch, wie liebevoll der Mann sich um seine Frau kümmerte, als diese zu weinen anfing, nachdem die Tür zugefallen war. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Warum war John nicht so? Bisher hatte ich ihn immer für den perfekten Mann gehalten, aber jetzt, da ich ihn brauchte, war er nicht für mich da.

Ich überlegte, wann er je für mich da gewesen war und musste mir eingestehen, dass es in unserer Beziehung eigentlich immer eher andersherum war. Ich war für John da und kümmerte mich um all seine Probleme. Ich selbst brauchte selten Hilfe, da ich schon immer ein sehr selbstständiger Mensch war, doch John hatte nie gelernt, sich alleine durchzuschlagen. Seine Mutter und seine Großmutter hatten immer alles für ihn geregelt, deshalb kam er mit der Krankheit und dem Tod seiner Großmutter auch nicht klar.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er wieder und nahm mich endlich in den Arm. Er sah aus, als würde er jede Sekunde zusammenbrechen.

»Wo warst du solange?«, fragte ich ihn. Er sah mich unsicher an und zögerte lange.

»Maddie, ich habe Scheiße gebaut, große Scheiße!«, flüsterte er fast schon verzweifelt. Unsicher sah ich ihn an. Was hatte er getan und warum musste er es ausgerechnet jetzt erzählen, während Paula operiert wurde? Hatte ich nicht schon genug Sorgen? Ich fragte nicht nach, sondern wartete, bis er von sich aus mit der Sprache rausrückte.

»Maddie, ich … wir … ich. Ach Scheiße, ich kann das nicht«, stotterte er herum und fing dabei fast an zu weinen. Langsam wurde ich wirklich sauer.

»Was ist so wichtig, dass du es mir jetzt sagen musst, während unsere Tochter dort drinnen auf dem OP-Tisch liegt?«, fuhr ich ihn an und zeigte dabei auf die Metalltür. Er schien immer kleiner zu werden.

»Ich … ich habe die Krankenversicherung nicht bezahlt«, schluchzte er schließlich.

Ich war sprachlos und konnte ihn nur entsetzt anstarren. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein!

»Aber den Überweisungsbeleg hatte ich dir doch gegeben, als du zur Bank gegangen bist, zusammen mit der Miete und den anderen Sachen, die bezahlt werden mussten. Wie konntest du das vergessen?«, fragte ich verzweifelt. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was das nun für Paula bedeuten konnte. Die Kosten für die Operation und die Nachbehandlung waren unkalkulierbar. Wie sollten wir das alles nur bezahlen können? Und was würde das Krankenhaus machen, wenn sie erfuhren, dass Paula doch nicht versichert war, wie wir angegeben hatten?

John sagte lange nichts, sondern starrte nur auf den Boden.

»Ich brauchte das Geld und dachte, die Versicherung sei nicht so wichtig. Wir waren doch nie krank«, flüsterte er. Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt und geschlagen, doch ich ballte nur meine Hände zu Fäusten und versuchte, mich zusammenzureißen, das hätte jetzt auch nichts mehr gebracht.

»Wofür brauchtest du das Geld?«, fragte ich daher nur eiskalt. John zuckte zusammen.

»Du … ähm… also… Jeany. Du erinnerst dich?«, stotterte er. Natürlich erinnerte ich mich an Jeany Stanson, sie hatte mit uns zusammen studiert und hatte sich immer wieder an John rangeschmissen.

»Jeany? Jeany Stanson?«, mühsam unterdrückte ich meinen Wunsch, ihn anzuschreien. Jeany konnte mich nie leiden und neidete mir nicht nur John, sondern auch meine guten Noten. Sie selbst hatte nur mit Ach und Krach die Prüfungen geschafft und dann herumerzählt, dass ich nur wegen John durch gekommen sei und wahrscheinlich noch mit dem Prüfer geschlafen hätte.

»Warum brauchtest du ausgerechnet für sie unser Geld?« Wieder bekam John zuerst den Mund nicht auf und ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht loszubrüllen. Er konnte froh sein, dass wir hier im Krankenhaus waren. Ich wollte endlich wissen, was er getan hatte.

Aber gerade in diesem Moment öffnete sich diese bedeutungsvolle Metalltür, und der Arzt, der uns gestern über die Operation aufgeklärt hatte, kam auf uns zu.

»Mrs. Stone, Mr. Stark, würden Sie bitte mit in mein Büro kommen?«, bat er uns höflich. Wieso in sein Büro? Ich wollte zu meinem Kind.

»Wie geht es Paula? Ist alles gut gelaufen?«, fragte ich und ein ganz komisches Gefühl beschlich mich. Mein Baby war doch nicht etwa gestorben?

»Kommen Sie bitte mit in mein Büro, dann erkläre ich Ihnen alles«, sagte der Arzt. Das klang nicht gut, absolut nicht gut. Beklommen folgte ich dem Arzt. Als John meine Hand griff, drückte ich sie kurz und hielt sie dann ganz fest. Egal was mit Jeany war, das Einzige, was jetzt in diesem Moment zählte, war Paula! Und ich konnte jeden Halt brauchen, den ich bekommen konnte. Das Büro des Arztes war nicht weit entfernt. An der Tür hing auch sein Namensschild. Dr. Weber hieß er.

»Setzen Sie sich doch bitte«, forderte er uns auf und zeigte auf zwei mit schwarzem Leder bezogene Stühle vor seinem Schreibtisch. Er selbst setzte sich hinter den Tisch und sah uns ernst an.

»Also die Operation Ihrer Tochter ist eigentlich gut verlaufen«, fing er dann an. Eigentlich? Das klang so, als wäre doch etwas schief gegangen.

»Eigentlich?«, fragte ich daher flüsternd. Ich hatte große Angst vor dem, was nun kommen würde.

»Ja, die Operation ist gut verlaufen, wir konnten den Tumor vollständig entfernen, ohne wichtige Bereiche des Gehirns zu schädigen. Ob er gut- oder bösartig war, können wir natürlich erst nach der genaueren Untersuchung in der Pathologie sagen«, erklärte er ruhig. Das klang doch bisher ganz gut und doch spürte ich, dass es das noch nicht gewesen war.

»Allerdings ist der Druck im Gehirn zu stark gewesen und trotz all unserer Bemühungen ist Paula ins Koma gefallen. Wir sind allerdings zuversichtlich, dass sie bald wieder aufwachen wird.«

Die ganze Welt schien still zu stehen, ich sah alles nur noch wie durch einen Nebel und in meinem Kopf hallte nur noch ein Wort … Koma. Mein Baby lag im Koma. Weinend brach ich zusammen.

 

 

Kapitel 5

Ich überlegte gerade, wie es weiter gehen sollte, aber ich konnte einfach keine Lösung finden. Meine Mutter, die mich ansprach, ignorierte ich völlig. Die Tage nach der Schreckensnachricht waren wie im Nebel an mir vorbeigegangen, aber dann hatte ich mich aufgerappelt und einfach funktioniert. Die neuen Nachrichten der Ärzte waren eigentlich positiv. Der Tumor war gutartig gewesen und konnte vollständig entfernt werden. Er würde sehr wahrscheinlich nicht wieder kommen und Paulas Hirnströme waren normal. Die Ärzte gingen nicht von bleibenden Schäden aus. Nun musste sie nur noch aufwachen, doch genau das tat sie nicht und keiner konnte uns sagen, warum sie es nicht tat. Fünf lange Wochen lag sie bereits im Koma und schon mehrmals hatten die Ärzte mit mir darüber reden wollen, sie in ein Pflegeheim verlegen zu lassen. Aber das konnte ich nicht, für mich war das gleichbedeutend damit, Paula aufzugeben. Sie war krank und kein Pflegefall, sie musste einfach wieder gesund werden. John und ich sprachen kaum noch miteinander, ich konnte immer noch nicht glauben, was er mir am Abend nach Paula Operation gestanden hatte. Wieder wanderten meine Gedanken an diesen Abend zurück.

Wir hatten gerade unser Pensionszimmer betreten. John hatte mich abgeholt, nachdem ich stundenlang an Paulas Bett gesessen hatte, er selbst war immer nur kurz da gewesen, ehe er wieder geflüchtet war. Sein Geständnis konnte ich immer noch nicht fassen. Wie konnte er ausgerechnet die Krankenversicherung nicht bezahlen und was hatte Jeany damit zu tun? John lief nervös im Zimmer auf und ab.

»Nun erzähl mir schon alles, bevor ich durchdrehe!«, schrie ich ihn an. Sofort ließ er den Kopf hängen.

»Maddie. Schatz. Oh Mann, ist das schwer«, stammelte er vor sich hin. Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt, warum machte er den Mund nicht auf?

»Weißt du noch, am Ende der Studienzeit, als es bei uns gekriselt hat?«, fragte er und ich überlegte, was nun kommen sollte. Kurz vor unserem Examen hatten wir einen riesigen Streit gehabt. Wir waren beide im Lernstress gewesen und wegen einer Kleinigkeit kam es zu dem Streit, der fast unsere Beziehung beendet hätte. John holte tief Luft.

»Ich hatte damals einen One-Night-Stand mit Jeany und sie wurde schwanger«, sagte er so schnell, dass ich es kaum verstehen konnte. Ich war sprachlos, er hatte mich betrogen? Jeany war schwanger gewesen? Ich fragte mich, ob unsere ganze Ehe eine Lüge gewesen war.

»Sie hat abgetrieben«, fuhr er fort und ich zog zischend die Luft ein. Abtreibung war etwas, was ich gar nicht nachvollziehen konnte.

»Und wir hatten keinerlei Kontakt mehr. Bis ich sie beim ersten Termin bei B&B traf. Sie arbeitet dort als Sekretärin und das mit ihrem Abschluss. Sie hat ihr Leben bis heute nicht auf die Reihe bekommen und ich bin schuld. Sie hat die Abtreibung sehr bereut. Außerdem hatte sie gerade ihre Wohnung verloren und wusste nicht wohin, deshalb habe ich versprochen, ihr bei der Wohnungssuche zu helfen und sie finanziell zu unterstützen. Aus diesem Grund habe ich ihr auch das Geld für die Mietkaution ihrer neuen Wohnung gegeben. Nach dem Termin bei B&B, bei dem wir den Auftrag bekommen haben, war ich mit ihr feiern … unseren Auftrag und ihre neue Wohnung.« Nun reichte es mir.

»Und hast du mich da wieder betrogen?«, schrie ich ihn an. »Während ich mit unserer Tochter im Krankenhaus war und dich gebraucht hätte, warst du bei ihr?« Er hatte es nicht bestätigt und nur den Kopf hängen lassen, aber das sagte mehr als tausend Worte. In mir war in diesem Moment etwas zerbrochen.

Seit dem Gespräch sahen wir uns nur noch ab und zu im Krankenhaus. Mittlerweile war klar, dass die Versicherung nicht zahlen würde und wenn ich nicht an Paulas Bett saß und ihr stundenlang vorlas oder ihr Geschichten erzählte, versuchte ich, Geld zu organisieren. Mein Vater hatte eine Hypothek auf sein Haus aufgenommen, genau wie Johns Eltern. Meine Mutter gab mir all ihre Ersparnisse und selbst Andrew, mein bester Freund, half uns, indem er Spenden für Paula sammelte. John arbeitete wie verrückt und ich hatte auch meinen Laptop überall dabei und arbeitete bis spät in die Nacht an Paulas Krankenbett. In mein Pensionszimmer ging ich nur noch, wenn die Schwestern mich herauswarfen, einige ließen mich jedoch die ganze Nacht an ihrem Bett sitzen.

Auch wenn unsere Ehe wohl gescheitert war, John und ich waren immer noch Eltern und Geschäftspartner und hatten nur ein Ziel – unsere Tochter zu retten. Schlafen konnte ich kaum noch, genau wie essen. Ich bekam einfach kaum noch etwas herunter und könnte mittlerweile wahrscheinlich als Model arbeiten, so dünn war ich geworden. Die Sorgen um Paula und darüber, wie wir das ganze Geld für ihre Behandlung auftreiben sollten, fraßen mich auf. Die Rechnungen waren wahnsinnig hoch und unser Schuldenberg wuchs täglich.

»Maddie!« Meine Mutter riss mich wieder aus meinen Gedanken.

»Du kommst jetzt mit und wir gehen etwas Essen. So geht es nicht weiter, wenn du zusammenbrichst, ist Paula auch nicht geholfen.« Sie nahm einfach meine Hand und zerrte mich von Paulas Bett weg. Ich streichelte ihr noch einmal vorsichtig über die Haarstoppeln, die nun auf ihrem Kopf wuchsen. Für die OP war sie fast vollständig kahl rasiert worden. Wehmütig dachte ich an ihre Stachelhaare zurück. Ich sehnte mich nach der Zeit, als mein Kind gesund, meine Ehe intakt und mein größtes Problem war, dass Paula sich selbst die Haare geschnitten hatte. Diese glückliche Zeit schien Ewigkeiten her zu sein, dabei waren es nur ein paar Wochen, die seitdem vergangen waren.

Als ich den Weg zur Krankenhauskantine einschlagen wollte, schüttelte meine Mutter den Kopf und zog mich in Richtung des Ausgangs.

»Schatz, du musst auch mal wieder etwas Anderes sehen, als immer nur das Krankenhaus. Du gibst dich selbst ja völlig auf.« Ihre Stimme klang tadelnd, als sie das sagte. Was erwartete sie denn von mir? Sollte ich fröhliche Partys feiern, während mein Baby hier im Krankenhaus lag? Ich wollte nicht von ihr weggehen. Was wäre, wenn es ihr schlechter ging oder wenn sie aufwachen würde? Dann wollte ich bei ihr sein.

»Wir gehen zum Italiener um die Ecke. Das wird dir guttun«, bestimmte sie.

»Ich habe der Stationsschwester Bescheid gesagt, dass du eine Zeit lang weg bist. Wenn irgendetwas mit Paula ist, wird sie dich anrufen.« Wir gingen schweigend zu einem kleinen italienischen Restaurant. Das Bella Italia war wirklich sehr gemütlich eingerichtet, meine Mutter bat um einen ruhigen Tisch und wir wurden zu einer kleinen Nische geführt. Wir saßen schweigend da, bis die Kellnerin unsere Bestellung – eine Pizza für mich und Lasagne für meine Mutter – aufgenommen hatte. Sie blickte mich ernst an.

»Maddie, wir müssen reden«, fing sie an.

»Dr. Snow hat mit John gesprochen und er dann mit uns. Du weigerst dich ja, mit ihm über ein Pflegeheim für Paula zu sprechen und er hat Recht, Paula kann nicht ewig im Krankenhaus bleiben. Schatz, du musst dich für ein Heim entscheiden und dein Leben weiter leben!« Entsetzt sah ich sie an.

»Mom!«, sagte ich aufgebracht.

»Wie kannst du nur so etwas sagen? Ich kann Paula doch nicht aufgeben, sie ist mein Kind. Ich kann sie nicht einfach in ein Pflegeheim abschieben.«

»Und John ist dein Ehemann, er braucht dich auch«, versuchte meine Mutter, mich zu beruhigen, nur erreichte sie damit genau das Gegenteil.

»Wenn John jemanden braucht, soll er doch zu Jeany gehen! Ich fasse es nicht, dass er es gewagt hat, damit zu dir zu gehen. Und das nach allem, was er getan hat«, schrie ich sie an und wollte nur noch weglaufen. Aber meine Mutter hielt mich fest und ich brach weinend in ihren Armen zusammen. Es war einfach alles zu viel.

Irgendwann stand die Kellnerin mit dem Essen neben uns und sah mich verstört an. Wahrscheinlich hielt sie mich für verrückt, aber was andere von mir hielten, war mir im Moment wirklich völlig egal. Ich richtete mich auf und ging schnell zur Toilette, um mich etwas frisch zu machen. Als ich mein Spiegelbild sah, seufzte ich. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, ging ich zum Tisch zurück, und wir begannen an, zu essen.

»Maddie, ich muss dir etwas erzählen und vielleicht verstehst du dann, warum ich das eben gesagt habe. Du weißt, dass dein Vater und ich geheiratet haben, als ich gerade zwanzig war«, fing sie an zu erzählen und ich nickte. Meine Eltern hatten sehr früh geheiratet, mich aber erst fünfzehn Jahre nach ihrer Hochzeit bekommen, um sich dann vier Jahre später scheiden zu lassen.

»Wir haben geheiratet, weil ich schwanger war.« Ich starrte sie mit offenem Mund an. Davon, dass ich kein Einzelkind war, hatte mir nie jemand etwas erzählt.

»Bitte unterbrich mich nicht, auch wenn es dir schwerfällt«, bat sie mich eindringlich und so sagte ich nichts.

»Mir fällt es auch schwer, darüber zu reden. Ben wurde nur sechs Monate nach der Hochzeit viel zu früh geboren. Er lag monatelang im Krankenhaus und als wir ihn mit nach Hause nehmen durften, war klar, dass er nie ein normales Leben würde führen können.« Sie kämpfte sichtbar mit sich, die richtigen Worte zu finden. »Er war körperlich und geistig schwer behindert und musste dauerhaft beatmet werden. Ich tat alles für ihn und gab mich selbst völlig auf. Ich lebte sechs Jahre lang nur für Ben, bis er starb. Mit ihm starb damals auch ein Teil von mir. Ich konnte gar nichts anderes mehr, als mein krankes Kind zu versorgen. Ich hatte keine Freunde mehr, keinen Job und keine Hobbys …« Sie sah mir tief in die Augen.

»Mach nicht denselben Fehler wie ich, Maddie. Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder ein normales Leben führen konnte und dann endlich bekam ich dich. Matthew und ich beschlossen, dir nichts von Ben zu erzählen. Wir wollten dich nicht damit belasten. Allerdings hatte er seine Meinung mit der Zeit geändert, was immer öfter zu Streit führte und als ich die letzten Fotos von Ben vernichtet hatte, trennte er sich von mir. Heute fragte ich mich oft, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er gleich gestorben wäre. Das hätte uns und vor allem ihm viel Leid erspart. Es hätte unser Leben viel einfacher gemacht. Und wir hätten früher eine normale Familie haben können, mit dir und Matthew …« Sie brach ab und blickte traurig auf ihren Teller. Sprachlos starrte ich meine Mutter an. War das ihr Ernst? Wollte sie damit etwa auch sagen, dass es besser wäre, wenn Paula sterben würde? Wie konnte sie das auch nur andeuten?

Einige Minuten saßen wir beide schweigend da und hingen unseren Gedanken nach.

»Sei mir bitte nicht böse, Maddie«, flehte meine Mutter dann. »Ich bin nicht herzlos, auch wenn es dir vielleicht so erscheint. Ich liebe Paula, aber ich möchte nicht, dass es dir in ein paar Jahren so geht wie mir. Ich nehme bis heute Tabletten, weil ich eine Depression habe.« Auch davon hatte ich keine Ahnung, was hatte meine Mutter mir noch alles verschwiegen?

»Mom, ich brauche Zeit, um das alles zu verarbeiten. Bitte lass mich jetzt alleine wieder zu Paula gehen«, sagte ich und stand auf. Sie drückte mir noch einige Prospekte von Pflegeheimen in die Hand und am liebsten hätte ich diese gleich entsorgt. Meine Mutter schien meine Gedanken zu erraten.

»Sieh sie dir wenigstens in Ruhe an«, bat sie mich. Ihr Blick folgte mir, als ich aus dem Restaurant eilte. Ich wollte nur noch schnell wieder zu meinem Engel zurück.

Wie sollte ich mit der Geschichte meiner Familie umgehen? War nicht nur meine Ehe eine Lüge, sondern mein ganzes Leben? Völlig in Gedanken versunken rannte ich fast durch die Eingangshalle des Krankenhauses und die Treppen hoch zur Neurologie. Die Geduld auf den Aufzug zu warten, hatte ich jetzt nicht und die zwei Etagen konnte ich auch zu Fuß hochgehen. Im Flur der Station rannte ich in einen Arzt. Ich hatte ihn einfach nicht gesehen.

»Hoppla«, lachte er.

»Das hier ist ein Krankenhaus und kein Sportplatz, Miss.« Ich wollte mich eigentlich entschuldigen, aber als ich den Blick hob, konnte ich ihm nur in seine funkelnden grünen Augen blicken und brachte kein Wort mehr heraus. Wie hypnotisiert blieb ich stehen und starrte ihn an. Eigentlich kannte ich alle Ärzte auf dieser Station, aber ihn hatte ich hier noch nie gesehen. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln und seine Augen funkelten. Ich riss mich aus meiner Starre, murmelte eine Entschuldigung und verschwand schnell in Paulas Zimmer. Beim Tür schließen bemerkte ich noch, dass er mir nachsah.

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Warum reagierte ich so komisch auf diesen fremden Arzt? Das war doch sonst nicht meine Art. Ich kannte ihn ja gar nicht, aber er hatte irgendetwas in seinem Blick, das mich magisch anzog. Und dann noch dieses schiefe Lächeln … Mit erneutem Kopfschütteln versuchte ich, ihn aus meinen Gedanken zu vertreiben. Was war nur mit mir los? Ich ging zu Paulas Bett und küsste sie vorsichtig auf die Stirn, dabei streichelte ich ganz sanft mit zwei Fingern über ihre Wange.

»Mein Baby, ich gebe dich nicht auf. Ich werde alles tun, Kleines, damit dir geholfen wird. Alles!«, versprach ich ihr zum wiederholten Mal. Ein Pflegeheim kam für mich absolut nicht in Frage. Das hieße ja so viel, wie die Hoffnung auf Paulas Heilung aufzugeben, und das konnte und wollte ich nicht.

Ich griff nach meinen Laptop und loggte mich in mein E-Mail Postfach ein. Schon wieder sechs neue Mails von John, nahm ich seufzend wahr. Er kam alleine im Büro einfach nicht zurecht und nachdem er wieder mal nichts mehr gefunden hatte, scannte er nun alles ein und schickte mir alle möglichen Unterlagen per Mail. Auch wenn wir kaum noch miteinander sprachen, so schafften wir es, immer noch zusammen zu arbeiten. Aber es war sehr kompliziert. John bat mich in seinen Mails ständig, doch wieder nach Aptos zu kommen, um ihm im Büro zu helfen, aber ich konnte und wollte Paula nicht alleine lassen. In der letzten Mail stand, dass er heute wieder vorbeikommen wollte. Das kam auch immer seltener vor, in dieser Woche war er noch gar nicht im Krankenhaus gewesen. Ich nahm ihm das sehr übel. Wie konnte er unsere Tochter nur so im Stich lassen? Früher war sein erster Gang, wenn er nach Hause gekommen war, immer ins Kinderzimmer gewesen. Paula war seine kleine verwöhnte Prinzessin gewesen und ich verstand einfach nicht, wie er sie jetzt so im Stich lassen konnte. Wahrscheinlich wollte auch er mich überreden, sie in ein Pflegeheim zu geben, doch das würde ich nie tun. Selbst wenn sie nie wieder aufwachen sollte, wollte ich sie wenigstens zu Hause pflegen, aber vorher wollte ich alle Behandlungsmöglichkeiten ausschöpfen, egal was es kostete. Dr. Snow hatte mir von einigen Kliniken erzählt, die Stiftungen hatten für Fälle wie unseren und ich war nicht zu stolz, um Almosen zu bitten. Die Möglichkeit war viel besser, als ein Pflegeheim. Alles war besser als das.

Leise klopfte es an der Tür und mein Vater kam herein.

»Hey, Kleines, wie geht es dir und dem Engelchen?«, fragte er vorsichtig.

»Ich weiß, dass deine Mutter mit dir geredet hat.« Ich seufzte.

»Willst du mir nun auch erzählen, dass ich sie aufgeben soll?«, fuhr ich ihn an. Traurig schüttelte er den Kopf, kam auf mich zu und nahm mich einfach fest in den Arm.

»Ich fasse es nicht, dass sie das zu dir gesagt hat. Paula ist nicht Ben und du bist nicht deine Mutter. Lass dir das nie von ihr einreden.« Bei seinen Worten liefen mir die Tränen über das Gesicht. Ich konnte gar nicht sagen, wie froh ich war, dass er mich jetzt nicht alleine ließ.

»Warum hast du mir nie von ihm erzählt?«, schluchzte ich.

»Emma tat es zu weh und erst warst du noch viel zu klein und dann hatten wir einfach schon viel zu lange geschwiegen, um es dir noch zu erzählen. Wir haben so oft darüber gestritten, bis wir irgendwann gar nicht mehr normal miteinander reden konnten«, versuchte er, die Situation zu erklären. Aber ich konnte es nicht verstehen - oder wollte ich es nicht?

»Verzeih mir bitte, Maddie. Ich möchte dich nicht auch noch verlieren.« Er klang wirklich verzweifelt. Dad war kein Mann vieler Worte und ich wusste, dass er es nicht besser erklären konnte. Gegen Mom hatte er rhetorisch keine Chance, das wusste ich. Wahrscheinlich hatte sie solange auf ihn eingeredet, bis er ihr zugestimmt hatte. Ich nahm ihn einfach in den Arm, mir fiel sowieso keine Antwort ein. Lange standen wir Arm in Arm an Paulas Bett.

»Egal was kommt, Maddie, ich bin für euch da und zur Not verkaufen wir mein Haus, um die Kosten zu bezahlen«, versprach er mir.

»Dad, das geht doch nicht«, protestierte ich.

»Doch, Kleines, das geht natürlich«, erwiderte er sofort.

»Für mich reicht auch eine kleine Wohnung, wenn ich in Aptos bin. Die meiste Zeit bin ich doch sowieso unterwegs. Allerdings bleibe ich hier, solange ihr mich braucht! Wir beide geben unsere Kleine nicht auf, egal was kommt.« Bei diesen Worten schluchzte ich auf und warf mich ihm um den Hals. Ich ließ ihn erst wieder los, als es kurz an der Tür klopfte und sich diese dann auch sofort öffnete. Herein kam Dr. Weber, dicht gefolgt von dem fremden Arzt. Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht.

»Mrs. Stone, darf ich Ihnen einen geschätzten Kollegen aus New York vorstellen, der uns einige Tage unterstützt?«, fragte Dr. Weber und zeigte dabei auf den zweiten Arzt.

»Das ist Dr. Baker. Dr. Baker, das ist Mrs. Stone, die Mutter der kleinen Patientin, von der ich Ihnen erzählt habe. Dr. Baker würde Ihre Tochter gerne untersuchen, wenn Sie nichts dagegen haben. Er ist ein sehr angesehener Neurochirurg.« Natürlich hatte ich nichts dagegen.

»Ich geh dann jetzt, Kleines. Sei Emma nicht zu böse, sie meint es nur gut«, verabschiedete sich mein Vater schnell. Er hatte wohl Angst zu stören. Als er meine Mutter erwähnte, warf ich ihm kurz einen bösen Blick zu.

»Bye, Dad«, erwiderte ich, sagte aber lieber nichts wegen meiner Mutter. Die Ärzte gingen unsere Probleme ja nun wirklich nichts an. Auch Dr. Weber verabschiedete sich wieder und so war ich mit Dr. Baker alleine.

»Ich würde gerne einige Untersuchungen, wie zum Beispiel das EEG, CT und MRT bei Ihrer Tochter wiederholen, wenn Sie nichts dagegen haben. Vielleicht kann ich etwas sehen, was den Kollegen hier bisher entgangen ist«, erklärte Dr. Baker und lächelte mich wieder so schief an, wie nach unserem Zusammenstoß auf dem Flur. Ich nahm es kaum wahr, neue Untersuchungen hießen noch höhere Kosten. Obwohl ich einen riesigen Kloß im Hals spürte, nickte ich. Es musste einfach sein und vielleicht konnte Dr. Baker meiner Tochter helfen.

»Ok, ich leite dann alles in die Wege, damit die Untersuchungen zeitnah erfolgen können. Dr. Weber erwähnte Ihr Versicherungsproblem. Da ich ein paar Gastvorlesungen an der hiesigen Universität gebe, könnte ich diese Untersuchungen kostenlos für Sie machen, wenn ich mit den Studenten den Fall Ihrer Tochter behandeln dürfte«, schlug er mir lächelnd vor. Mein Herz machte einen Satz, damit wäre uns sehr geholfen.

»Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, möchte ich anschließend mit Ihnen über eine eventuelle Verlegung nach New York sprechen. Die Klinik, in der ich eigentlich arbeite, ist auf solche Fälle spezialisiert«, erzählte er weiter. Ich keuchte auf, eine Verlegung nach New York? Wie sollten wir das bezahlen? Nicht nur die Klinik dort würde wahrscheinlich noch mehr kosten als hier, auch Paula dorthin zu transportieren wäre in ihrem Zustand nicht so einfach. Das Ganze würde wahrscheinlich Unsummen verschlingen. Ob John dem zustimmen würde? Alleine konnte ich das nicht entscheiden. Dr. Baker schien meine Gedanken lesen zu können.

»Sprechen Sie in Ruhe mit Ihrem Mann darüber, wenn es soweit ist«, sagte er.

»Unsere Klinik hat eine Stiftung und vielleicht kann ich etwas tun, damit sie zumindest einen Teil der Kosten übernehmen wird. Ich komme wieder, sobald ich weiß, wann die Untersuchungen gemacht werden können«, sagte er und sah mir dabei tief in die Augen. Ich war wie hypnotisiert durch seinen Blick und brachte kein Wort heraus. Ein Nicken war alles, was ich zustande brachte. Was war in Gegenwart dieses Mannes nur mit mir los? Es war, als würden Funken durch den kleinen Raum sprühen. So etwas hatte ich noch nie erlebt, irgendetwas an Doktor Baker zog mich magisch an und ich war wie erstarrt. Wir mussten uns minutenlang in die Augen gesehen haben, denn ich erwachte erst aus meiner Starre, als sich die Tür öffnete und John das Krankenzimmer betrat. Dr. Baker wandte sich schnell ab.

»Reden Sie mit Ihrem Mann darüber, Mrs. Stone. Auf Wiedersehen«, sagte er, nickte John zu und verließ mit wehendem Kittel das Zimmer.

»Wer war das und was willst du mit mir besprechen?«, fuhr John mich an, noch ehe die Tür ganz zu war. Was hatte er nur? Ob er die seltsame Stimmung im Raum auch wahrgenommen hatte? Nachdem Dr. Baker gegangen war, verflog diese doch auch sofort.

»Das war Dr. Baker, ein Arzt aus New York, der gerade hier zu Gast ist. Er möchte Paula noch einmal, auf Kosten der Universität, untersuchen und sie vielleicht nach New York verlegen lassen. Die Klinik dort hat eine Stiftung«, erklärte ich ihm. John sah mich frustriert an.

»New York?«, fragte er fast entsetzt.

»Du kannst nicht nach New York gehen, ich brauche dich in der Firma. Lass uns Paula in ein Pflegeheim geben, unsere Firma und unsere Ehe retten und noch einmal von vorne beginnen.«

»Unsere Ehe retten?«, fragte ich ungläubig und wenn das Ganze nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich am liebsten gelacht.

»John, an unserer Ehe ist nichts mehr zu retten und ich werde Paula niemals aufgeben, ehe ich nicht alles versucht habe!« Was war nur aus meinem liebevollen Mann und Paulas tollem Vater geworden? Mittlerweile war ich sehr froh, dass es auch im letzten Monat nicht mit einem Geschwisterchen für Paula geklappt hatte. In dieser Situation hätte ein zweites Kind alles nur noch schwerer gemacht.

»Nicht mehr zu retten?«, fragte er verdutzt.

»Willst du dich etwa scheiden lassen?«

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich kann zur Zeit nur an Paula denken, aber nach allem, was vorgefallen ist, sehe ich keine Zukunft mehr für uns«, sagte ich traurig. Johns Verrat tat mir fast so weh, wie meine Kleine hier im Krankenhaus liegen zu sehen.

»Und was ist mit der Firma? Du weißt doch, wie ich bin, ich schaffe das nicht alleine«, jammerte er.

»Dann musst du eine Aushilfe einstellen, wenn dir meine Arbeit von hier aus nicht reicht. Ich werde sie nicht alleine lassen und sie auch nicht in ein Heim abschieben«, erklärte ich ihm entschlossen.

John sah mich fassungslos an. »Du wirst uns damit finanziell völlig ruinieren«, warf er mir vor. Das hätte er lieber nicht tun sollen.

»Ich ruiniere uns? ICH? Wer von uns hat denn die Krankenversicherung nicht bezahlt und das Geld lieber seiner Geliebten gegeben? Soll Jeany dir doch in der Firma helfen«, schrie ich ihn an.

»Das war es dann Maddie, ich gehe noch heute zum Anwalt und reiche die Scheidung ein und beantrage das medizinische Sorgerecht für Paula. Ich lasse mir nicht von dir das Leben zerstören«, schrie er zurück und rannte aus dem Zimmer. Fassungslos sah ich ihm hinterher, ehe ich weinend zusammenbrach und auf dem Boden liegenblieb. Ich konnte einfach nicht mehr.

 

Kapitel 6

Wie aus weiter Ferne hörte ich ein kurzes Klopfen und schon wurde die Tür geöffnet.

»Mrs. Stone?«, fragte eine sanfte Stimme, wie aus einer anderen Welt. Dann spürte ich weiche, aber kräftige Hände, die mir hoch halfen.

»Kommen Sie, Mrs. Stone, setzen Sie sich hier hin«, sagte die Stimme und ich ließ mich widerstandslos auf einen Stuhl setzen. Dankbar blickte ich nun auf und versank ein weiteres Mal in den leuchtend grünen Augen von Doktor Baker.

»Was machen Sie nur für Sachen?«, fragte er mich lächelnd. »Ich habe jetzt Feierabend und würde Sie gerne nach Hause bringen, es ist auch schon spät. Sie müssen sich ausruhen, sonst brechen Sie uns noch völlig zusammen und damit ist niemandem geholfen. Morgen schon werden die weiteren Untersuchungen bei Ihrer Tochter stattfinden und da wollen Sie doch fit sein.«

Ich nickte und ließ mir von Dr. Baker in die Jacke helfen, dann führte er mich aus dem Krankenhaus und zu seinem Auto. Er hielt mir die Tür auf, damit ich einsteigen konnte. Die ersten Minuten der Fahrt verliefen schweigend. Das Radio lief leise auf einem Klassiksender. Als mein Magen laut knurrte, blickte Dr. Baker zu mir herüber.

»Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen?«, fragte er streng.

»Heute Mittag«, antwortete ich wahrheitsgemäß, allerdings verschwieg ich, dass ich durch das Gespräch mit meiner Mutter nur sehr wenig gegessen hatte. Wenn ich den Tag Revue passieren ließ, war es einfach zu viel gewesen. Erst meine Mutter mit ihrer Beichte und den Andeutungen, dass ich Paula aufgeben sollte. Dann mein Vater, der wenigstens zu mir stand, anschließend Dr. Baker, der mir neue Hoffnungen machte und zum Schluss John, der sich nicht nur von mir scheiden lassen, sondern mir auch noch Paula wegnehmen wollte.

›Schlimmer als jede Seifenoper‹, dachte ich ironisch und lachte kurz und fast hysterisch auf. Dr. Baker sah mich besorgt an.

»Ein harter Tag?«, fragte er dann.

»Das können Sie laut sagen«, antwortete ich seufzend.

»Was halten Sie davon, wenn ich Sie in ihre Pension bringe, Sie machen sich fertig und in einer Stunde hole ich Sie zum Essen ab?«, fragte er. Verwirrt sah ich ihn an. Warum tat er das? Bestimmt nur aus Mitleid, entschied ich und beschloss, deshalb sein Angebot abzulehnen. Ich wollte nicht, dass er mich aus einem Pflichtgefühl heraus einlud. Peinlich genug, dass er mich zusammengebrochen in Paulas Zimmer gefunden hatte.

»Danke, aber ich esse einfach eine Kleinigkeit auf dem Zimmer, dusche und gehe dann zu Bett. Trotzdem noch einmal vielen Dank für die Einladung, Dr. Baker«

Er sah geknickt aus, aber mir fehlte die Kraft, lange darüber nachzudenken, warum das so war.

»Schade, aber wenn Sie nicht möchten … Wir sehen uns dann morgen in der Klinik, nehme ich an?«, fragte er kurz angebunden. Hatte ich ihn mit meiner Ablehnung verärgert? Er hielt den Wagen vor der Pension an und ich nickte kurz. Wahrscheinlich war er froh, wenn er schnell verschwinden konnte.

»Danke fürs Fahren, gute Nacht, Dr. Baker«, verabschiedete ich mich, während ich ausstieg.

»Gute Nacht, Mrs. Stone, und angenehme Träume«, wünschte er mir, warf mir noch einen verletzten Blick zu und fuhr davon. Ich fühlte mich schlecht, weil ich ihn scheinbar mit meiner Ablehnung verletzt hatte, dabei wollte ich das gar nicht.

Ich lief schnell zu dem kleinen Fast-Food-Lokal auf der anderen Straßenseite und holte mir einen Hamburger, Pommes und einen Milchshake. Nachdem ich das Essen in meinem Zimmer verschlungen hatte, duschte ich noch schnell, dann fiel ich todmüde ins Bett und schlief auch fast augenblicklich ein.

Erholsam war mein Schlaf aber leider nicht wirklich. Immer wieder wachte ich aus wirren Träumen auf, in denen John und meine Mutter an Paulas einen Arm zogen und ich an ihrem anderen. Dabei schaffte ich es kaum, sie festzuhalten, so sehr zerrten die beiden an ihr. Um fünf Uhr morgens wachte ich schweißgebadet auf und gab den Versuch etwas Erholung zu finden, endgültig auf.

Ich sprang kurz unter die Dusche und verließ gleich darauf schon wieder die Pension. Lange würde ich mir die auch nicht mehr leisten können, meine Ersparnisse waren schon restlos aufgebraucht. Ich ging in Richtung Krankenhaus, wagte es aber noch nicht, hineinzugehen. So früh sahen die Nachtschwestern das nicht gerne, deshalb ging ich in den Krankenhauspark und setzte mich dort auf eine Bank. Ich überlegte kurz, ob ich Andrew schon stören konnte, und entschied mich dann dafür. Er war schon immer ein Frühaufsteher gewesen.

Ich zückte mein Handy und wählte Andys Nummer. Schon nach dem zweiten Klingeln nahm er ab.

»Guten Morgen, Maddie, du rufst früh an. Ist alles in Ordnung bei euch?«, meldete er sich. Fast musste ich lachen, wie konnte ein Mensch nur so schnell reden?

»Guten Morgen, ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt«, antwortete ich.

»Mich doch nicht. Jimmy ist schon vor zwei Stunden zum Angeln gefahren und ich wollte noch kurz bei Vanessa reinschauen, ehe ich zur Werkstatt fahre«, erklärte er. Vanessa war seit einigen Wochen seine große Liebe und arbeitete im Postamt in Aptos.

»Also spuck es schon aus, was beschäftigt dich, dass du dich so früh meldest?«, fragte er. Er kannte mich einfach zu gut.

Kurz überlegte ich noch, was ich ihm sagen konnte und dann sprudelte einfach alles aus mir heraus. Von meiner Mutter, John und der Hoffnung, die Dr. Baker mir gemacht hatte und auch von meinen Ängsten, wie ich das Ganze finanzieren sollte. Nur die komischen Gefühle, die ich in Dr. Bakers Gegenwart hatte, ließ ich lieber aus.

»Wenn dieser Doktor Paula helfen kann, dann kriegen wir euch schon nach New York. Mach dir darüber mal keine Sorgen. Lieber sollte dein untreuer Arsch von Ehemann sich Sorgen machen, dass ich ihm dafür, was er gestern getan hat, nicht eine reinhaue«, drohte er. Dann erzählte er, dass er mit Vanessa und ein paar anderen schon ein Stadtfest zugunsten von Paula plante. Auf meinen besten Freund konnte ich mich wenigstens noch verlassen.

»Andy, du bist ein Schatz. Ich könnte dich küssen, aber da hätte Vanessa wohl etwas dagegen«, freute ich mich und hob den Kopf etwas. Als mein Blick nach oben ging, sah ich direkt in die mir mittlerweile schon bekannten grünen Augen von Dr. Baker, der mich durchdringend ansah, aber kein Wort sagte.

Schnell sagte ich Andy noch Tschüss und legte auf. Er musterte mich eingehend, sagte aber noch immer nichts.

»Guten Morgen«, begrüßte ich ihn deshalb.

»Sollten Sie sich nicht besser ausschlafen Mrs. Stone?«, fragte er, meinen Gruß ignorierend.

»Ich konnte nicht mehr …«, wollte ich mich rechtfertigen, aber er unterbrach mich mit der Frage, ob ich wenigstens gefrühstückt hätte. Ich lief rot an und damit war eine Lüge wohl zwecklos.

»Dann kommen Sie jetzt mit, ich lade Sie ein«, forderte er mich auf und griff nach meiner Hand, um mich hochzuziehen.

Kurze Zeit später saßen wir uns in einem Starbucks in der Nähe des Krankenhauses, der schon so früh geöffnet hatte, gegenüber. Vor mir stand ein Vanille Latte Macciato und ein Teller mit Rührei. Dr. Baker hatte nur Kaffee und einen Muffin.

»Warum konnten Sie nicht schlafen?«, fragte er. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, denn von meinen wirren Träumen wollte ich ihm nichts erzählen, schließlich kannten wir uns kaum.

»Es ging einfach nicht mehr«, antwortete ich deshalb einsilbig. Er seufzte.

»So wird das nichts. Tun wir doch einfach so, als würden wir uns schon lange kennen. Ich bin Sebastian und du?«, fragte er doch tatsächlich.

»Maddie, also eigentlich Madison, aber Maddie ist mir lieber«, stellte ich mich vor.

»Maddie, der Name passt zu dir«, lächelte er mich schief an und mein Herz schlug schneller. Ich war nur froh, dass er das nicht hören konnte.

»Ich nehme an, dass du nicht aus Los Angeles kommst, da du in einer Pension wohnst. Also, wo kommst du her und was machst du sonst so?«, fragte er und ich erzählte ihm von Aptos, meiner Jugend dort, meinem Studium und meiner Arbeit. John erwähnte ich dabei so wenig wie möglich.

Zum Ausgleich erzählte er mir von New York, seinen Eltern, seiner Schwester und von seinem Sohn Alexander, den er, wie er selber sagte, leider kaum kannte, da dieser bei seinen Eltern und seiner Schwester lebte. Mir drängte sich die Frage auf, ob John das auch eines Tages sagen würde.

»Was ist los?«, fragte Sebastian, »du wirkst betrübt.« Wie sollte ich ihm gerade das erklären? Er war ja selbst ein Vater, der sich wenig um sein Kind kümmerte. Wie sollte er da meine Sorgen verstehen? Ich verstand ihn ja auch nicht, als Elternteil sollte man sein eigenes Kind doch kennen. Und dieses arme Kind hatte gar keine richtigen Eltern, die Mutter war weg und der Vater überließ den Jungen den Großeltern.

»Ich möchte jetzt zu Paula«, antwortete ich deshalb ausweichend. Das stimmte aber auch wirklich, denn mittlerweile war es sieben Uhr dreißig und damit konnte ich wieder zu ihr.

Sebastian zahlte und weigerte sich, mein Geld zu nehmen, als ich mein Frühstück selbst bezahlen wollte.

»Ich hatte dich eingeladen, also zahle ich auch«, sagte er und ließ sich auch nicht umstimmen. Dann gingen wir zu Fuß zurück zum Krankenhaus. Sebastian verabschiedete sich am Eingang von mir, mit dem Versprechen, bald wegen der Untersuchungen zu Paula zu kommen und kurz darauf saß ich wieder allein an ihrem Bett. Ihr Zustand hatte sich über Nacht nicht verändert. Kurz vor neun Uhr kam Sebastian mit einer Schwester ins Zimmer.

»Guten Morgen, Mrs. Stone, dann wollen wir Ihre Tochter noch einmal untersuchen«, sagte er und zwinkerte mir hinter dem Rücken der Schwester zu. Scheinbar duzten wir uns nur, wenn wir alleine waren. Aber mir sollte es Recht sein, Hauptsache Paula wurde geholfen. Ich durfte nicht mit und setzte mich solange an den Laptop, um zu arbeiten. Allerdings war dort ausnahmsweise mal keine Mail von John und ich konnte nicht auf dem Firmenserver zugreifen. Was sollte das denn jetzt?

Vergeblich versuchte ich, ihn zu erreichen, aber er ging nicht ans Telefon und auch in der Agentur lief nur das Band. Eigentlich müsste John um diese Zeit dort sein, gestern stand noch kein Kundentermin für heute fest. Ich hoffte nur, dass er keinen Mist baute, auch wenn ich mir sicher war, dass wir über kurz oder lang unsere Ehe endgültig beenden würden. Die Firma war sozusagen unser erstes Baby gewesen, aber dann kam Paula. Wenn ich mich allerdings zwischen Paula und der Firma entscheiden musste, wusste ich, was für mich an erster Stelle stand. Bei John fiel die Wahl da wohl anders aus, daher wunderte ich mich noch mehr, dass er nicht im Büro war.

Um mir die Wartezeit zu verkürzen, nahm ich ein Buch aus der Tasche und las etwas, dazu kam ich in letzter Zeit auch nicht oft. Allerdings fiel es mir unheimlich schwer, mich darauf zu konzentrieren. Ständig wanderten meine Gedanken zu Paula. Ob Sebastian eine Möglichkeit fand, um ihr zu helfen? Und warum hatte ich das Gefühl, dass er es wirklich konnte? Hier im Krankenhaus gab es viele gute Ärzte und die konnten ihr auch alle nicht helfen.

Zwanzig Minuten später öffnete sich endlich die Tür und die Schwester brachte sie zurück.

»Doktor Baker wertet noch die Bilder aus, dann kommt er zu Ihnen«, teilte sie mir mit.

Ich seufzte. Schon wieder warten, aber wenigstens konnte ich nun dabei Paulas Hand halten.

 

 

Kapitel 7

Fast eine Stunde dauerte es, bis sich endlich die Tür wieder öffnete und Sebastian erschien. Ihm folgte eine Gruppe von zwölf jungen Leuten, sowie zwei ältere Ärzte. Vermutlich waren das die Studenten, von denen er gesprochen hatte. Besorgt blickte ich ihn an. Was hatte dieser Menschenauflauf zu bedeuten? Ich verkrampfte mich innerlich total. Sebastian lächelte mich aufmunternd an und sofort fiel ein Teil der Anspannung von mir ab. Er sah nicht so aus, als wollte er schlechte Nachrichten überbringen. Er kam zu mir und die anderen Personen hielten sich etwas zurück.

»Mrs. Stone, wir haben eine mögliche Ursache gefunden, warum Ihre Tochter nicht aufwacht …« Er erklärte mir etwas von einem kleinen Blutgerinnsel, das auf einen Hirnteil drückte und von einer weiteren Operation, die er aber lieber in New York durchführen wollte. Das Meiste, was er sagte, verstand ich gar nicht, nur, dass es endlich neue Hoffnung gab.

»Ich komme nachher noch einmal, um die Einzelheiten mit Ihnen zu klären. Sie sollten dann schon einmal den Vater des Kindes informieren, wir brauchen sein Einverständnis für die erneute Operation«, sagte er noch, ehe er sich verabschiedete und ging. Die anderen folgten ihm wortlos.

John informieren! Eigentlich sollte ich das jetzt wirklich tun, aber ich konnte ihn wieder mal nicht erreichen. Deshalb rief ich meinen Vater an und bat ihn, bei seinem Schwiegersohn vorbei zu fahren. Zudem schrieb ich ihm per SMS und E-Mail, dass er sich bei mir melden sollte. Mehr konnte ich zurzeit einfach nicht tun.

Diesmal dauerte es nicht lange, bis Sebastian wieder erschien.

»So unter vier Augen lässt sich das doch alles viel besser besprechen. Hast du mit dem Vater geredet?«, fragte er. Ich wunderte mich, dass er immer von dem Vater sprach und nicht von meinem Mann. Für ihn schien schon klar zu sein, dass wir kein Paar mehr waren.

»Ich konnte ihn den ganzen Tag schon nicht erreichen«, teilte ich ihm mit.

»Und ich dachte, ich wäre ein mieser Vater«, brummelte er so leise, dass ich ihn kaum verstand. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, daher verkniff ich mir einen Kommentar.

»Also ich würde deine Tochter gern so schnell wie möglich nach New York verlegen und sie dort selber operieren. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sie bald wach wird, wenn die OP erfolgreich verläuft. Das Problem wird sein, die Kosten zu decken. Ich behandle Paula kostenlos, aber die anderen Ärzte und Schwestern und das Krankenhaus werden das nicht umsonst machen. Ich werde meinen Vater bitten, bei der Stiftung des Krankenhauses ein gutes Wort für euch einzulegen, aber ich befürchte, dass diese, wenn überhaupt, nur einen Teil der Kosten übernimmt. Und den Transport von hier nach New York wird sie auch nicht übernehmen. Du wirst aber darlegen müssen, warum ihr nicht versichert seid. Kannst du das Geld irgendwie aufbringen?«, fragte er mich.

»Dafür musst du wegen der medizinischen Ausstattung des Flugzeugs und der Personalkosten mit mindestens 5000 Dollar rechnen.«

»Ich werde es versuchen«, sagte ich unsicher und musste dabei schlucken. Unsere Ersparnisse waren nicht nur aufgebraucht, sondern wir hatten durch Paulas Krankheit schon Schulden angehäuft. Wann würde das Stadtfest zu ihren Gunsten sein, von dem Andy gesprochen hatte und würde das Geld reichen? Ansonsten würde mein Vater sicher sofort versuchen, sein Haus zu veräußern, aber keiner konnte sagen, wie lange es dauern würde einen Käufer dafür zu finden.

Ich grübelte und grübelte, aber mir fiel keine Lösung ein, wie ich in dieser kurzen Zeit so viel Geld auftreiben sollte. Dass Sebastian sich von mir verabschiedete, nahm ich nur am Rande wahr und nickte mechanisch. 5000 Dollar, alleine für den Transport! Wie sollte ich das zusammen bekommen? Die ganze Sache erschien mir nach und nach immer hoffnungsloser. Selbst wenn er sie kostenlos behandeln würde, kämen tausende von Dollar an weiteren Kosten auf uns zu. Ich bezweifelte, dass John mir noch großartig dabei helfen würde, das Geld zusammen zu bekommen. Und was wäre, wenn er die Behandlung in New York ganz ablehnen würde?

Ich entschied mich, erst einmal John ausfindig zu machen, um mit ihm zu reden, aber er ging immer noch nicht an sein Telefon. Nach zehn erfolglosen Versuchen gab ich es schließlich auf. Der Kerl trieb mich heute wirklich in den Wahnsinn!

Ungefähr zehn Minuten später klingelte mein Handy. War es endlich John? Scheinbar nicht, denn die angezeigte Nummer war mir völlig unbekannt.

»Stone«, meldete ich mich höflich.

»Amy Dickens, von Dickens und Partner Rechtsanwälte hier, Mrs. Stone. Ich bin von Ihrem Mann beauftragt worden, mich um Ihre Scheidung und die Übertragung des medizinischen Sorgerechts für Ihre Tochter Paula Stone zu kümmern. Sind Sie mit den Forderungen meines Mandanten einverstanden?«, ratterte eine kalte Frauenstimme herunter. Das konnte doch nicht Johns Ernst sein.

»Ich möchte erst einmal wissen, was mein Mann genau will und dann suche ich mir einen eigenen Anwalt. Schicken Sie mir bitte alles schriftlich zu«, forderte ich sie auf und nannte ihr meine Emailadresse und die Adresse der Pension. Ich würde garantiert nicht irgendwelchen Forderungen am Telefon zustimmen. Ich brauchte dringend einen Anwalt und mir fiel nur einer ein, der in Frage kam. Ein alter Kumpel von mir und Andy aus der Highschool, Landon Scott. Wir hatten zwar in letzter Zeit wenig Kontakt gehabt, weil er und John sich gestritten hatten, aber gerade das machte ihn vielleicht jetzt zum richtigen Ansprechpartner.

Nach kurzer Suche im Internet fand ich seine Kanzlei. Er war gar nicht mehr in Los Angeles, wie ich erwartet hatte, sondern in New York. Kurz überlegte ich, ob er mir von dort aus überhaupt helfen konnte, aber andererseits konnte er mich zumindest beraten und ich wollte ja selbst mit meiner Kleinen schnellstmöglich dorthin.

»Platt und Partner, Mr. Scotts Büro, Lindsey Saundrey am Apparat, was kann ich für Sie tun?«, leierte eine junge Stimme herunter. Ich musste grinsen, was für ein Satz, den sie da aufsagen musste.

»Madison Stone, ich würde gern mit Mr. Scott persönlich sprechen, wenn er Zeit hat«, erklärte ich.

»Einen Moment bitte, ich sehe nach, ob er frei ist«, sagte sie noch und dann hörte ich nur noch die blecherne Warteschleifenmusik. Warum gab es eigentlich immer nur furchtbare Musik in Warteschleifen? Nach fünf weiteren Minuten Gedudel und immer wieder der Ansage ›Bitte warten‹, klingelte es endlich und nach nur einem Signalton meldete sich Landon.

»Maddie? Maddie Stone? Bist du es wirklich?«, fragte er.

»Ja, ich bin es! Hi, Landon«, antwortete ich.

»Was kann ich für dich tun, Kleine? Und wie geht es der Prinzessin?«, fragte er weiter.

»Oh, Landon, das ist eine lange Geschichte …«, sagte ich und dann sprudelte alles aus mir heraus. Paulas Krankheit, Johns Reaktionen, die fehlende Krankenversicherung, die Hoffnung, die Sebastian mir machte und dem Anruf der Anwältin.

»Unterschreib ja nichts, Maddie. Ich kenne die Dickens, mit denen ist nicht zu spaßen. Schick mir alle Unterlagen per Mail zu und ich kümmere mich um alles. Auch darum, dass John aufgefordert wird zu unterschreiben, damit du mit Paula nach New York kommen kannst«, erklärte Landon und klang dabei hochprofessionell.

»Ich bin für euch da, Maddie!«, versprach er noch und wir klärten noch einige Einzelheiten, dann musste ich ihm ein Abendessen versprechen, wenn ich in New York sein würde.

 

Nachdem wir das Gespräch beendet hatten, versuchte ich noch einmal, John anzurufen, und endlich ging er an sein Telefon.

»Was willst du?«, fragte er nicht gerade freundlich.

Ich seufzte, was war nur mit ihm los? Irgendwie war der Mann am Telefon mir völlig fremd und das nach sieben Jahren Beziehung.

»John, was soll das alles? Ich komme nicht mehr auf den Firmenserver, du bist nicht zu erreichen und dann der Anruf deiner Anwältin«, verlangte ich eine Erklärung von ihm.

»Du musst dich entscheiden, Maddie, entweder retten wir unsere Ehe und unsere Firma, oder es ist alles aus. Ich kann und will nicht mehr. Komm nach Hause und wir können über alles reden«, forderte er.

»Ich lasse Paula nicht im Stich! Sie braucht mich. Was bist du überhaupt für ein Vater, dem die Firma wichtiger ist, als das Leben seines einzigen Kindes?«, fragte ich ihn. Ich erkannte John wirklich nicht wieder. Er war immer so ein liebevoller Vater gewesen. Hatte er das immer nur gespielt? Wie konnte sie ihm plötzlich so egal sein?

»Einer, der sein Leben nicht wegwerfen will. Wir haben so viele Jahre Arbeit in die Firma gesteckt, die lasse ich mir nicht kaputt machen. Klar tut Paula mir leid, aber ich kann nicht ändern, was passiert ist. So wie sie da liegt, ist es doch kein Leben. Aber unsere Firma, die ist mein Leben …«

Ich versuchte, noch länger mit ihm über alles zu reden, aber es hatte keinen Sinn. Er wollte nicht, dass sie verlegt wird, außer in ein Pflegeheim. Nach fast einer Stunde Diskussion kam er mit einer Idee daher, die ich kaum noch ablehnen konnte. Er bekam die Scheidung und die Firma und ich das alleinige Sorgerecht für Paula. Er würde Unterhalt zahlen, sich aber darüber hinaus nicht an den Krankenhauskosten beteiligen. Die Alternative wäre, dass er um das medizinische Sorgerecht kämpfen würde. Die zweite Variante hätte zumindest alle Chancen, Paula nach New York zu bekommen, verzögert. Deshalb stimmte ich zu, obwohl ich jetzt schon ahnte, dass Landon mir dafür den Kopf abreißen würde.

Bereits zwanzig Minuten später, hatte ich die Papiere in meinem E-Mail Postfach und schickte sie an Landon weiter mit der Anmerkung, dass ich damit einverstanden war. Kurz nachdem ich die E-Mail abgeschickt hatte, klingelte auch schon mein Handy.

»Stone?«, meldete ich mich.

»Bist du wahnsinnig geworden Maddie?«, schrie Landon mich durchs Telefon an.

»Das unterschreibst du auf keinen Fall! Er ist doch derjenige, der die Krankenversicherung nicht bezahlt hat. Lass mich das mal machen, dann zahlt er auch, verlass dich darauf!« Ich wusste, dass Landon es nur gut meinte, aber ich konnte keine Zeit verlieren.

»Und wie lange würde das dauern, Landon?«, fragte ich deshalb nur.

»Im Schnellverfahren nur ein paar Wochen«, antwortete er und damit war es für mich erledigt.

»Landon, ich habe keine Wochen. Paula liegt seit fünf Wochen im Koma und ich kann da nicht noch länger zusehen. Schau einfach, ob das alles rechtmäßig ist und dann unterschreibe ich. Ich brauche das medizinische Sorgerecht, damit ich sie verlegen lassen kann!«

Er versuchte weiter mich zu überzeugen, gab dann aber seufzend auf und versprach, sich um alles zu kümmern. Außerdem wollte er versuchen, wenigstens noch eine Abfindung herauszuschlagen, um wenigstens einen Teil der zukünftigen Krankenhausrechnungen abzudecken.

Ich saß gerade da und versuchte, mich von dem Gespräch zu erholen, als es kurz klopfte und Sebastian ins Zimmer kam und sah, wie ich böse auf den Monitor starrte.

»Hallo, alles in Ordnung bei dir?«, fragte er.

»Hallo, kann ich hier im Krankenhaus irgendwo etwas ausdrucken?«, antwortete ich ihm mit einer Gegenfrage. Ich wollte mir die Papiere noch einmal genau durchlesen und mir Notizen machen, das ging auf Papier besser, als auf dem Laptop.

Er zögerte kurz.

»Hier im Krankenhaus ist das schlecht, aber ich muss nachher noch zur Uni und könnte dir dort etwas ausdrucken, wenn du möchtest«, bot er mir dann an. Ich überlegte kurz, ob ich ihm die Papiere wirklich zeigen wollte, dachte dann aber, dass das nun auch keinen Unterschied mehr machen würde. Ich stimmte schließlich zu und zog die Daten auf einen Stick.

»Danke, das ist sehr lieb von dir«, sagte ich.

»Dafür gehst du heute Abend aber mit mir essen«, forderte er und ich stimmte zu.

Einige Stunden später saßen wir in einer ruhigen Nische in einem Restaurant. Bis unser Essen kam, unterhielten wir uns über alles Mögliche aus unseren doch sehr unterschiedlichen Leben und Sebastian erklärte mir, wie es zu seiner Vortragsreise gekommen war. Er beschönigte nichts, er wäre suspendiert worden wegen diverser Frauengeschichten am Arbeitsplatz, erklärte aber auch, dass er zwar die Frauen oft wechselte, aber nie einer von ihnen falsche Versprechungen gemacht hatte.

Dann kam das Thema auf die Papiere, die er für mich ausgedruckt hatte. Ich erzählte ihm wirklich alles, auch dass ich nicht wusste, wie ich das Geld für Paulas Transport nach New York zusammen kriegen sollte, von den anderen Kosten mal ganz abgesehen.

»Maddie, ich hätte eine Lösung für all deine Probleme. Denk bitte darüber nach, ehe du gleich ablehnst, auch wenn du vielleicht erst einmal schockiert sein wirst«, sagte Sebastian und sah mich lächelnd an. Warum hatte ich auf einmal das Gefühl, dass er ein Raubtier war und ich seine Beute?

»Ok, ich höre mir alles an«, versprach ich.

»Du weißt nicht, wie du das alles finanzieren sollst und ich hätte eine Lösung dafür. Ich übernehme sämtlich Kosten für den Transport und die, die im Krankenhaus anfallen, dafür ziehst du für diese Zeit zu mir und spielst meine Freundin…«, erklärte er und ich wollte ihm gerade ins Wort fallen, als ein Blick von ihm mich zum Schweigen brachte.

»Maddie, lass mich bitte ausreden. Ich mag dich, sonst würde ich dir dieses Angebot nicht machen. Ich habe keinerlei Interesse daran, wirklich eine Beziehung zu führen, aber ich brauche eine Freundin in der Öffentlichkeit und in diesem Fall heißt Öffentlichkeit auch vor meiner Familie. Ich habe den Ärger im Krankenhaus leid und muss nun sozusagen sesshaft werden, damit sie Ruhe geben.« Ich wurde immer ungläubiger, meinte er das ernst? Ich sollte seine Freundin spielen? Vor seiner Familie und in der Öffentlichkeit? Warum das Ganze? Jemand wie er konnte doch leicht wirklich eine Freundin finden. Aber das Warum war eigentlich auch egal, was er genau erwartete, war viel wichtiger.

»Was beinhaltet es, deine Freundin zu spielen?«, fragte ich unsicher nach.

Genau in diesem Moment kam aber unser Essen. Die Kellnerin knallte es mir fast vor die Nase, warf ihm eindeutige Blicke zu und beugte sich tief herunter, um seinen Teller vor ihm abzustellen. Dabei fielen ihre Brüste fast aus ihrem Kleid, aber er ignorierte das völlig.

»Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«, fragte sie mit verführerischer Stimme, aber Sebastian ging nicht darauf ein und schüttelte nur den Kopf.

»Wenn Sie noch etwas wünschen, dann rufen Sie einfach nach mir. Mein Name ist Candy«, versuchte sie es weiter.

»Danke. Wir würden gerne in Ruhe essen«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen. Mich ignorierte sie bisher ja völlig. Sie ging aber immer noch nicht.

»Sie haben meine Freundin gehört«, sagte Sebastian grinsend und endlich schien sie zu begreifen. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich wohl schon gestorben, so wie sie mich ansah. Wütend rauschte sie davon und er und ich lachten laut.

»So gefällst du mir noch viel besser«, sagte er lächelnd. »Du solltest viel öfter lachen.«

Ich zuckte nur mit den Schultern, was sollte ich dazu auch sagen? In letzter Zeit hatte ich nun mal nicht viel Grund zum Lachen.

»Ich warte noch auf eine Antwort auf meine Frage«, sagte ich, um das Thema zu wechseln, aber er schien nicht daran interessiert zu sein, diese Frage schnell zu klären.

»Lass uns das später an einem weniger öffentlichen Ort besprechen«, schlug er vor.

»Nun wollen wir doch erst einmal in Ruhe essen, wie du der Kellnerin so nett mitgeteilt hast.«

Damit war ich so schlau wie vorher. Was wollte er nur alles von mir, damit er meiner Tochter half? Und konnte ich das überhaupt annehmen? Schließlich ging es hier um Tausende von Dollar. Wäre es nicht für Paula, würde ich sowieso gar nicht darüber nachdenken.

»Entspann dich, Maddie«, riss Sebastian mich aus meinen Gedanken. Er fing an zu essen und ich folgte seinem Beispiel, das Gericht war wirklich vorzüglich. Er erzählte mir einige lustige Geschichten über New York und fragte mich über einiges aus. Die Themen Paula, Krankenhaus und sein Angebot ließ er dabei völlig außen vor, sodass es ein wirklich entspanntes Essen war. Ab und zu erwischte ich mich sogar selbst dabei, dass ich lächelte. Seitdem der Krankenwagen vor der Haustür meiner Mutter gestanden hatte, hatte ich das nicht mehr getan.

Als das blonde Gift dann die Rechnung brachte, versuchte sie wieder, mit Sebastian zu flirten, doch der zog nur das Geld aus der Tasche und legte es auf die Rechnung, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Dann nahm er meine Hand und küsste sie zärtlich, sodass mein Herz schneller anfing zu schlagen.

»Komm, mein Herz, jetzt beenden wir den schönen Abend etwas privater.« Mit diesen Worten zog er mich hoch, zwinkerte der Kellnerin frech zu und wir gingen Hand in Hand aus dem Restaurant. Sie starrte mir noch böse hinterher und ich musste ungewollt Schmunzeln. Wenn sie keine anderen Probleme hatte, als einen Mann, der nicht auf ihren Flirt einging, dann war sie zu beneiden.

»Passiert dir so etwas öfter?«, fragte ich ihn, als wir draußen waren und befreite meine Hand aus seiner.

»Dass ich angeflirtet werde schon, aber so hartnäckig, obwohl ich in Begleitung bin, das habe ich auch noch nicht erlebt«, antwortete er und fing wieder an zu lachen.

»Als ob solche Aufdringlichkeit etwas bringen würde. Mich schreckt das eher ab. Außerdem will ein Mann jagen und nicht die Beute sein.« Ein ganz schöner Macho, unser Dr. Baker. Er jagt lieber selbst, als gejagt zu werden, ging mir durch den Kopf. Aber ich musste zugeben, dass ich ihn trotz seiner manchmal etwas arroganten Art und seiner Einstellung zu Frauen durchaus mochte. Er war sehr anziehend, aber ich fürchtete mich etwas vor seiner Antwort auf meine Frage. Wollte er auch Sex mit mir? Und wenn ja, konnte ich das tun? Ich war nie der Typ für One-Night-Stands gewesen. Außer mit Andrew und John hatte ich nie etwas mit einem Mann gehabt und in beiden Fällen hatte es sich um längerfristige Beziehungen gehandelt.

»Maddie?«, fragte Sebastian und riss mich damit aus meinen Gedanken.

»Ähm, ja? Hattest du etwas gesagt?«, fragte ich unsicher. Er lachte laut.

»Wo warst du denn gedanklich?«, fragte er, wartete aber keine Antwort ab.

»Egal. Ich habe gefragt, ob ich dich in deine Pension bringen darf, um unser Gespräch dort fortsetzen zu können. Dort haben wir wenigstens keine Zuhörer.« Ich nickte. Warum auch nicht? Dann hatte ich das wenigstens hinter mir. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir bereits neben seinem Auto standen. Er öffnete mir die Tür und ließ mich einsteigen, dann lief er um das Auto herum und ließ sich auf dem Fahrersitz nieder. Nach kurzer Fahrt hielt er vor meiner Pension und wir stiegen aus. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie nervös ich war. Zum Glück sah uns niemand, als wir zu meinem Zimmer gingen. Da ich ein ordentlicher Mensch war, konnte ich ihn auch problemlos in das winzige Zimmer lassen.

»Möchtest du etwas trinken?«, fragte ich ihn unsicher, als er sich auf das Bett setzte. Ich war schon wenige Tage nach der Operation in ein kleineres Zimmer umgezogen, um Geld zu sparen, aber hier gab es nicht mal einen Sessel. Sebastian sah sich um. Man sah ihm an, dass er so ein kleines Zimmer nicht gewohnt war, aber wenigstens sagte er nichts dazu.

»Ich habe allerdings nur Wasser da«, erklärte ich leise. Er lächelte und schüttelte den Kopf.

»Nein, danke«, antwortete er. Krampfhaft überlegte ich, wie ich mich beschäftigen könnte, ich war so nervös. Aber Sebastian wollte das Gespräch nun wohl möglichst schnell hinter sich bringen und klopfte neben sich auf die Bettkante.

»Komm schon, Maddie, setz dich«, forderte er mich auf.

»Ich werde dich schon nicht fressen.« Dessen war ich mir gerade nicht mehr wirklich so sicher.

»Also, um auf deine Frage zurückzukommen«, fing er das Gespräch ohne Umschweife an.

»Wir würden zusammen mit Paula nach New York fliegen. Dort würde ich sie in der Klinik, in der ich arbeite, operieren und ich bin zuversichtlich, dass sie dann schnell wieder aufwachen wird. Allerdings müssen wir dann sehen, was für Auswirkungen die Operationen und das Koma hatten. Eine Reha wird auf jeden Fall notwendig sein, aber auch die könnte in unserer Klinik erfolgen.

Ich übernehme alle Kosten, allerdings sollten wir das nicht zu auffällig machen, sonst sorgt das gleich wieder für Gesprächsstoff. Du eröffnest einfach in New York ein Konto und ich zahle das Geld ein, damit du die Rechnungen begleichen kannst, die die Stiftung nicht übernimmt …«

Er hatte sich das scheinbar schon alles ganz genau überlegt. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte, aber das musste ich auch gar nicht, denn Sebastian fuhr gleich fort und erklärte mir die Geschichte, die wir in New York erzählen sollten.

»Offiziell solltest du vielleicht nicht sagen, wie frisch die Trennung von deinem Mann ist. Du bist alleinerziehend, wir haben uns in der Klinik hier getroffen und sofort verliebt. Dass ich Paula helfe, hat damit gar nichts zu tun. Du wirst mich zu einigen offiziellen Anlässen und Familienfeiern begleiten, kannst aber natürlich auch täglich zu deiner Tochter ins Krankenhaus. Wohnen kannst du in der Zeit bei mir, du bekommst auch ein eigenes Zimmer, wenn du möchtest …«

Wenn ich möchte? Und sonst? Würde er Paula dann nicht helfen? Sollte ich wirklich das Bett mit ihm teilen, als Bezahlung für Paulas Behandlung? Ich hatte es ja schon geahnt, aber nun, wo er es so einfach aussprach, musste ich doch schlucken. Klar, er war ein begehrter Mann und manch andere Frau würde wohl nur zu gern das Bett mit ihm teilen, aber konnte ich das so einfach?

»Maddie?«, unterbrach er meine Grübeleien.

»Ich weiß, dass mein Angebot ungewöhnlich ist und ich kann verstehen, wenn du es ablehnst, aber denk bitte vorher in Ruhe darüber nach. Ich mag dich und würde euch gerne helfen.« Dieser Satz traf mich bis in mein Innerstes. Ich musste es tun, schließlich hatte ich ihr schon so oft versprochen alles zu tun, um sie zu retten. Warum also zögern, wenn ich die Gelegenheit dazu bekam? ›Verkauf dich ruhig an den hübschen Doktor, es fällt dir ja sowieso nicht allzu schwer. Du findest ihn anziehend‹, flüsterte mir eine leise Stimme zu, aber ich versuchte, sie zu ignorieren. Ich musste es einfach tun, für meine Tochter!

Sebastian schien zu spüren, dass ich immer noch zögerte, und lachte leise.

»Bin ich dir denn so zuwider, dass du so lange nachdenken musst?«, fragte er frech.

»Du weißt, dass ich dir das Angebot nicht aus Mangel an Gelegenheiten mache.« Ich musste an die aufdringliche Kellnerin denken und musste ihm zustimmen. Gelegenheiten hatte er wahrscheinlich mehr als genug, was ja auch zu seinen Lebensstandard passte, von dem er mir erzählt hatte. Aber irgendwie brachte ich die Zustimmung trotzdem immer noch nicht über die Lippen, dabei war ich mir doch sicher, dass ich sein Angebot annehmen musste. ›Als würde dir das so schwerfallen‹, flüsterte mir die leise Stimme wieder zu.

»Sebastian, wenn ich bei dir einziehe … heißt das auch, dass wir … ich meine …« Er wusste genau, dass ich damit Sex meinte, sein Blick sagte alles. Statt einer Antwort, nahm er vorsichtig meinen Kopf zwischen seine Hände und drehte mein Gesicht zu ihm. Die Hände fühlten sich so gut an, weich, aber auch kräftig. Und dieser Blick, mit dem er mich ansah. Seine unwahrscheinlich grünen Augen schienen regelrecht zu funkeln, mein Herz schlug mir bis zum Hals.

»Vielleicht brauchst du erst eine Kostprobe, um dich entscheiden zu können«, meinte er und lächelte dabei verführerisch. Ganz langsam kam sein Gesicht immer näher, dabei sah er mich fragend an.

»Ein Wort von dir und ich höre sofort auf«, flüsterte er rau, kurz bevor seine Lippen meine berührten. Erst war es nur ein flüchtig gehauchter, völlig unschuldiger Kuss auf meine Lippen, aber da ich immer noch nichts sagte, wurde er schnell fordernder. Seine Zunge strich mir sanft über die Unterlippe.

»Maddie… Bitte…. ich… will… dich… so… sehr«, flüsterte er und nach jedem Wort küsste er mich sanft. Sein Blick war weich und bittend, sodass ich nicht mehr anders konnte.

»Ja, ich gehe auf dein Angebot ein, Sebastian«, sagte ich und das nicht nur für Paula. Nachdem ich wochenlang von John mehr oder weniger ignoriert worden war und meine Tochter so reglos dort in ihrem Bett lag, sehnte ich mich so sehr nach Zärtlichkeiten. Ein Strahlen ging über Sebastians Gesicht, als ich zustimmte.

»Du wirst es nicht bereuen«, versprach er mir, zog mich in seine Arme und ließ uns beide nach hinten aufs Bett fallen.

Ich war mir nicht sicher, ob ich es später nicht doch bereuen würde, aber Sebastian ließ mir keine Zeit jetzt länger darüber nachzudenken.

Vierzig Minuten später lag ich völlig befriedigt im Bett, während er sich im Badezimmer frisch machte. Eigentlich war ich todmüde, aber schlafen konnte ich nicht. Stattdessen grübelte ich schon wieder. Konnte ich das wirklich durchziehen? Mir kamen große Zweifel. Sollte ich nicht besser einfach alles absagen? Für mein Gefühlsleben wäre das wohl das Beste, aber würde er Paula dann noch helfen?

»Reiß dich zusammen, Maddie, für dein Kind musst du das tun!«, ermahnte ich mich selber. ›Außerdem hat es dir doch gefallen. Tu nicht so, als wäre es dir schwergefallen‹, flüsterte meine innere Stimme gehässig.

Im Badezimmer hörte ich nun die Dusche rauschen und ich war froh, dass ich Sebastian nicht gleich wieder ins Gesicht sehen musste. Erst einmal musste ich mein gedankliches Chaos geordnet bekommen. Schnell räumte ich das Zimmer auf, faltete Sebastians Sachen und legte sie auf das Bettende. Ich musste mich einfach beschäftigen, sonst würde ich mich im Bett verkriechen und rumheulen und so sollte er mich nicht sehen. Diese Blöße wollte ich mir nicht vor ihm geben.

Das Wasser im Bad hörte auf zu laufen und kurz darauf stand er wieder im Zimmer, nur mit einem kleinen Handtuch um die Hüften. Seine Haare waren noch feucht und standen wirr von seinem Kopf ab. Er war wohl nur kurz mit den Händen durchgefahren. Völlig ungeniert ließ er das Handtuch fallen und nahm seine Sachen, um sich langsam anzuziehen. Als ich mich wegdrehen wollte, lachte er.

»Auf einmal so schüchtern?«, fragte er.

»Ich sehe jetzt nicht anders aus, als vor ein paar Minuten, als du …« Ich lief knallrot an und er lachte wieder.

»Das könnte noch lustig werden. Du bist wohl etwas prüde«, meinte er.

»Ich hoffe doch sehr, du nimmst mein Angebot an. Sowie du die Unterschrift deines Mannes hast, können wir Paula nach New York bringen. Ich kümmere mich schon mal um alles, damit es dann gleich losgehen kann.«

Auch wenn mich seine Worte und sein Lachen hart getroffen hatten, gegen seine Argumente rund um Paula kam ich nicht an und ich war mir auf einmal wieder sicher, dass es richtig war, sein Angebot anzunehmen. Für sie musste ich das tun und wenn er ihr helfen konnte, wäre ich ihm ewig etwas schuldig.

 

 

Kapitel 8

Am nächsten Morgen wachte ich ziemlich gerädert auf. Sebastian hatte sich zwar sehr früh verabschiedet, um genau zu sein, gleich nachdem er aus dem Badezimmer gekommen war, aber ich hatte trotzdem kaum geschlafen. Nachdem er weg war, hatte ich versucht, John wegen der Verlegung nach New York zu sprechen, aber am Telefon war nur Jeany gewesen, die ihn mir nicht geben wollte und mir mitgeteilt hatte, dass solche Sachen in Zukunft nur noch über die Anwälte geklärt würden.

Ich hatte lange wach gelegen und darüber nachgegrübelt, warum ich nur immer an solche Männer geriet. John entwickelte sich plötzlich zum größten Arschloch des Universums und Sebastian nutzte meine Situation aus, indem er mir ein unmoralisches Angebot machte, das ich nicht ablehnen konnte. War es richtig, auf sein Angebot einzugehen, oder der größte Fehler meines Lebens? Ich wusste es nicht. Um Paulas Willen musste ich einfach daran glauben, dass es das Richtige war. Zum Glück war er mir nicht unsympathisch, was hatte ich also zu verlieren? Zumindest versuchte ich, mir das einzureden.

Um sieben Uhr in der Früh rief ich Landon an. Er hatte mir seine Handy- und Privatnummern gegeben, damit ich ihn jederzeit erreichen konnte.

»Guten Morgen, Maddie. Was kann ich so früh für dich tun?«, meldete er sich. Scheinbar hatte er meine Handynummer schon eingespeichert.

»Guten Morgen, Landon. Ich hoffe, dass ich dich nicht geweckt habe«, begrüßte ich ihn. Er lachte nur.

»Ach, Maddie, ich war schon eine Stunde im Fitnessraum, mein Tag beginnt früh«, erklärte er. Landon war schon immer sehr sportlich gewesen. An der Highschool und anfangs auch auf dem College, hatte er im Footballteam gespielt, dann war ihm aber sein Studium wichtiger, als der Sport und er hatte die Mannschaft verlassen.

Sein Coach hatte es absolut nicht verstanden, denn Landon hätte Profispieler werden können, aber er war lieber Anwalt geworden, eine Footballkarriere war ihm einfach zu unsicher gewesen.

»Ich möchte Paula so schnell wie möglich nach New York verlegen lassen, aber dazu brauche ich Johns Unterschrift und mir wurde von Jeany am Telefon mitgeteilt, dass er solche Sachen nur über die Anwälte klären würde«, erklärte ich ihm.

Landon kannte Jeany aus meinen Erzählungen und wurde richtig sauer.

»Auf welchem Telefon hast du sie erreicht?«, fragte er.

»Sie ging an Johns Handy«, teilte ich ihm mit.

»Ich kümmere mich um alles, Kleines. Und wenn er nicht unterschreibt, schicke ich ihm Andy vorbei«, versprach Landon. Andy und John hatten sich bisher immer gut verstanden, vielleicht war es tatsächlich eine gute Idee, wenn Andy ihm mal ins Gewissen reden würde. Allerdings war er stinksauer auf ihn, seit er wusste, was John getan hatte.

Ich hoffte nur, dass er ihn nicht zusammenschlagen würde. Andy reagierte manchmal etwas über und ich wollte nicht, dass er meinetwegen in Schwierigkeiten geriet. Aptos war ein kleiner Ort und er war darauf angewiesen, dass die Leute dort ihre Autos und Motorräder bei ihm reparieren ließen. Ein schlechter Ruf würde seinem Geschäft schaden.

»Ich melde mich bei dir, sowie ich etwas erreicht habe. Bis später, Maddie«, versprach Landon mir und legte dann auf. Ich saß noch fast eine Minute da und hielt mir das Handy ans Ohr, bis es sich automatisch abschaltete und das Tuten in der freien Leitung aufhörte. Warum musste das Leben nur so kompliziert und grausam sein? Ich wollte doch einfach nur eine gesunde und glückliche Familie und war auch bereit, hart dafür zu arbeiten, aber nun war nichts mehr von meinem Leben übrig. Paula lag im Koma, John war weg, unsere Firma gehörte bald ihm allein und im besten Fall war ich eine arbeitslose, alleinerziehende Mutter. Im schlimmsten Fall … Nur nicht daran denken.

Ich duschte noch schnell und machte mich dann auf den Weg ins Krankenhaus. Ich musste einfach schnell wieder bei meiner Tochter sein, damit ich wieder wusste, was richtig und wichtig war, sonst hätte ich mich wahrscheinlich im Bett unter der Decke versteckt und geheult, aber dafür hatte ich keine Zeit! Paula brauchte mich jetzt und ich musste für sie stark sein. Ich verbrachte den ganzen Vormittag mehr oder weniger alleine mit ihr. Nur ein paar Mal sah eine Schwester kurz nach ihr, um ihr Essen über die Magensonde zu verabreichen, sie umzulagern oder den Katheterbeutel zu entleeren. Ich wartete sehnsüchtig auf einen Anruf von Landon oder ein Lebenszeichen von Sebastian, aber keiner von beiden meldete sich. Ob Sebastian es sich anders überlegt hatte und sein Angebot zurückziehen wollte? Wie sollte ich dann das Geld nur aufbringen?

Langsam aber sicher steigerte ich mich immer weiter in meine Ängste hinein und als ich auf dem Stuhl an Paulas Bett einschlief, hatte ich furchtbare Träume. Ich stand weinend an Paulas Grab, während John lachend mit Jeany im Arm davon ging. Er hatte sich vor Gericht durchgesetzt und dafür gesorgt, dass die künstliche Ernährung eingestellt worden war.

»Maddie! Maddie, wach auf«, weckte mich Sebastians Stimme und er ruckelte fest an meiner Schulter.

»Paula«, schluchzte ich.

»Ihr Zustand ist unverändert. Es war nur ein Traum«, sagte er und strich mir sanft die Tränen aus dem Gesicht. Erst da bemerkte ich, dass ich im Schlaf geweint hatte. Mein Blick wanderte sofort zu ihrem Bett und erst, als ich sie dort liegen sah, konnte ich mich etwas beruhigen. Trotzdem schluchzte ich noch einmal kurz auf, ehe ich aufstand und zu ihr ging. Mir ging es erst etwas besser, nachdem ich meine Tochter auf die Stirn geküsst und mich davon überzeugt hatte, dass ihr Zustand wirklich unverändert geblieben war. Sebastian warf mir einen komischen Blick zu, fast schien er besorgt zu sein. Ich verstand ihn nicht. War er etwa um mich besorgt, oder war noch etwas anderes?

»Wir können…«, fing er gerade einen Satz an, als es an der Tür klopfte und mein Vater hereinkam.

»Hey, Kleines, was ist los?«, fragte er sofort, als er die Tränenspuren in meinem Gesicht sah und dazu Sebastian, der dicht neben mir stand. Wie sollte ich ihm nur alles erklären? Schnell wischte ich mir noch einmal über das Gesicht.

»Hi, Dad«, begrüßte ich ihn und umarmte ihn.

»Das ist Se…«, wollte ich ihn vorstellen, als dieser mir ins Wort fiel.

»Guten Tag, Mr. Stone. Ich bin Doktor Baker und möchte Ihre Enkelin in New York weiter behandeln«, stellte er sich selbst vor.

Dad schaute ein paar Mal seltsam von ihm zu mir und wieder zurück, sagte aber nichts.

»Also, Maddie«, sagte Sebastian und warf meinem Vater einen kurzen Blick zu, »mit der Stiftung und dem Krankenhaus ist alles geregelt, Paula kann verlegt werden, sowie du die Unterschrift deines Mannes hast.« Dann verabschiedete er sich schnell und verließ das Zimmer. Nichts an seiner Haltung deutete darauf hin, dass zwischen uns etwas lief.

»Ihr duzt euch?«, fragte mein Vater natürlich trotzdem sofort.

»Ja, warum nicht? Er ist nett«, antwortete ich ausweichend. Wie sollte ich ihm das nur erklären? Ich konnte ja schlecht sagen: »Ja, Dad, da ich mit ihm ins Bett steige, damit er Paula hilft, ist duzen einfacher.« Also wechselte ich lieber schnell das Thema und erzählte ihm von John und den Problemen, die er mir schon wieder machte.

Mein Vater kochte vor Wut.

»Wenn du die Unterschrift bis heute Abend nicht hast, werde ich ihm einen Besuch abstatten und zu seinen Eltern gehe ich auch«, schnaubte er zornig. Mein Vater verstand sich gut mit meinen Schwiegervater und ging oft mit ihm und Jimmy angeln und vielleicht konnten sie ja John zur Vernunft bringen. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Schwiegereltern noch nicht einmal bei uns im Krankenhaus gewesen waren, dabei hingen sie doch so an der Kleinen.

»Komm, wir gehen erst mal etwas essen, Kleines«, forderte Dad mich auf.

»Du bist so schrecklich dünn geworden.« Dann strich er Paula vorsichtig über die Wange.

»Deine Mami muss jetzt essen, ich bring sie dir dann wieder.« Das liebte ich so an meinem Vater, er ging mit ihr immer noch so um, als würde sie alles mitbekommen und vielleicht tat sie das ja auch. Wer wusste schon genau, was man im Koma mitbekam? Ich beschloss augenblicklich, dass ich mich in Zukunft in Paulas Zimmer zusammenreißen würde, es durfte keine Zusammenbrüche mehr an ihrem Bett geben.

Beim Essen versuchte Dad, mich abzulenken, und erzählte alles Mögliche über seine Fahrten durch Amerika. Dann klingelte plötzlich mein Handy und eine New Yorker Nummer wurde angezeigt.

»Stone«, meldete ich mich aufgeregt, ich hoffte, dass es Landon war.

»Maddie!«, schrie er auch gleich jubelnd ins Telefon.

»Ich habe seine Unterschrift. Du bekommst ab sofort das alleinige medizinische Sorgerecht. Um den Rest kümmere ich mich noch. Eine Kopie ist schon per Fax an das Krankenhaus in Los Angeles und Dr. Baker hier in New York raus gegangen…« Vor Erleichterung brach ich in Tränen aus. Mein Dad nahm mir das Handy weg und redete noch kurz mit Landon, dann zog er mich in seinen Arm und hielt mich fest, bis ich mich beruhigte. Endlich konnte ich etwas Hoffnung schöpfen und egal, was ich dafür tun musste, nun konnte Paula endlich geholfen werden. Mir fiel ein, dass ich gar nicht wusste, wie ich Sebastian erreichen konnte. Wahrscheinlich nur über das Krankenhaus, seine Nummer hatte ich ja nicht.

»Dad, ich muss sofort zurück zu Paula, um alles in die Wege zu leiten. Du musst nicht mitkommen, ich habe jetzt leider keine Zeit mehr für dich«, verabschiedete ich mich von ihm, gab ihm noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange und rannte auch schon los.

»Kein Problem, Kleines!«, rief er mir noch nach und winkte mir freudig hinterher. Zum Glück waren wir in der Nähe des Krankenhauses geblieben, sodass ich nicht weit laufen musste.

Kurz vorm Eingang des Krankenhauses lief ich in jemanden herein und landete unsanft mit dem Hintern auf dem Boden.

»Maddie, wird das nun zur Gewohnheit?«, fragte Sebastian lachend und half mir wieder auf die Beine. Ich war schon wieder in ihn hinein gerannt.

»Du siehst glücklich aus, gibt es Neuigkeiten?« Ich strahlte ihn an.

»Ja!«, erwiderte ich. »Ich habe das alleinige medizinische Sorgerecht für Paula.«

»Na dann, auf nach New York!«, freute er sich. Dann gingen wir ins Krankenhaus und regelten alles Nötige für die Verlegung von Paula. Schon am nächsten Morgen sollte es losgehen.

Kapitel 9

Am frühen Abend trafen Sebastian und ich uns noch einmal im an Paulas Bett, um die letzten Einzelheiten zu klären. Nachdem die unzähligen von mir unterschrieben waren, hatte er mir aufgetragen, meine Sachen zu packen. Er wollte so schnell wie möglich nach New York, um meiner Paula zu helfen. Ich hatte dann mit Matthew und Landon telefoniert und in der Pension ausgecheckt. Am nächsten Morgen musste ich nur noch den Schlüssel abgeben, meine Sachen waren auch schon fertig gepackt.

»Paula wird morgen früh um acht Uhr mit einem Krankenwagen zum Flughafen gebracht, dort erwartet uns ein Flugzeug mit medizinischer Ausstattung, ein zweiter Arzt und eine Krankenschwester aus meinem Krankenhaus. Mit einer Linienmaschine dauert der Flug etwa fünfeinhalb Stunden, da diese Maschine etwas kleiner ist, wird es wohl eher länger dauern …« Sebastian erklärte mir noch einmal alles ganz genau, aber ich war viel zu aufgeregt, um das genau mitzubekommen.

Solange ich beschäftigt war, ging es mir noch ganz gut und ich freute mich sogar, dass es endlich losging, aber nun kam die Angst. Angst? Nein! Panik traf es wohl eher. Konnte es wirklich sein, dass wir morgen schon nach New York fliegen und Sebastian Paula dort noch einmal operieren würde? Gestern schien mir das noch als unerreichbares Ziel und nun sollte es auf einmal so schnell wahr werden? Plötzlich fing ich an zu zittern und konnte es kaum verhindern in Tränen auszubrechen. Mühsam versuchte ich meine Atmung und mein Zittern, in den Griff zu bekommen, ich durfte nun nicht zusammenbrechen, sondern musste stark sein, für meine Tochter! Ich schluckte die aufsteigenden Tränen herunter. Nur wie sollte ich es noch einmal überstehen, stundenlang alleine vor dem OP zu sitzen und zu warten? Und was wäre, wenn Sebastian ihr nicht helfen konnte? Wenn sie danach immer noch im Koma liegen, oder gar sterben würde? Wenn alles umsonst war? Die Tränen drängten immer stärker und ich schluchzte leise auf, obwohl ich das gar nicht wollte. »Maddie, ganz ruhig«, sagte er und nahm mich einfach in den Arm.

»Die Einzelheiten sind jetzt sowieso gar nicht wichtig und du musst keine Angst haben, wir schaffen das.« Dieses ›wir‹ irritierte mich nun doch etwas, denn auch wenn er Paula helfen würde, als Team sah ich uns bisher wirklich nicht. Und wie sollte ich dem Mann, der meiner Tochter doch nur half, wenn er von mir Sex bekam, mein Herz ausschütten und ihm von meinen Ängsten erzählen? Außerdem würde er im OP sein, während ich draußen vor der Tür warten musste, ohne etwas tun zu können. Diese Hilflosigkeit machte mich jetzt schon fast wahnsinnig.

Am liebsten hätte ich Dad mit nach New York genommen, aber der konnte nicht mitkommen. Er würde in den nächsten Tagen alle meine Sachen aus Johns und meiner alten Wohnung holen und diese erst einmal bei sich einlagern. Für New York reichten die Sachen, die ich in der Pension hatte, viel mehr hatte ich sowieso nicht mehr. Das war der Preis für Johns Unterschrift gewesen, er bekam alle Möbel und die Wohnung zur alleinigen Nutzung und ich dafür das alleinige Sorgerecht, sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht für Paula. Mir war es relativ egal, dass ich nun kaum noch etwas besaß. Sollte er doch glücklich mit der Wohnung werden, ohne Paula hätte ich dort sowieso nicht mehr wohnen können.

Landon hatte sich zigmal entschuldigt, dass er das einfach so vereinbart hatte, aber mir waren die Sachen in der Wohnung nicht wichtig und wertvolle Dinge hatten wir sowieso nicht gehabt. Außerdem hatten wir vorher alles genau besprochen und ich hatte gewusst, was auf mich zukommen konnte. John würde auch noch die Firma bekommen und dafür alle gemeinsamen Schulden bei der Scheidung übernehmen. Den Namen Stone & Stark hatte er schon in Stark geändert. Aber auch das war mir egal, Paula war mir sehr viel wichtiger, als die Firma.

Langsam wurde ich wieder ruhiger und mir fiel auf, dass Sebastian mich noch immer im Arm hielt und mir beruhigend über den Rücken streichelte. Mein Kopf lag an seiner Brust und ich ließ ihn noch etwas länger dort, weil es sich einfach gut anfühlte. So geborgen hatte ich mich schon länger nicht gefühlt und er roch so gut. Gab es vielleicht doch ein ›wir‹?

Wenn ich ehrlich zu mir war, musste ich zugeben, dass ich mich sehr wahrscheinlich sogar in Sebastian hätte verlieben können. Zumindest wenn ich nicht verheiratet wäre, meine Tochter gesund wäre und er mich nicht sozusagen gekauft hätte. Aber diese Gedanken verbannte ich ganz schnell wieder aus meinem Kopf. Egal wie wohl ich mich gerade bei ihm fühlte, ich durfte mich einfach auf gar keinen Fall in ihn verlieben, dabei konnte ich nur verlieren.

»Geht es wieder?«, fragte Sebastian und ließ mich los. Ich ging zwei Schritte zurück, sah auf den Boden und nickte. Dabei fühlte ich genau, wie ich rot anlief.

»Tut mir leid«, flüsterte ich.

»Es geht dir jetzt wohl doch zu schnell«, stellte er mit überraschend warmer Stimme fest. Manchmal war er sehr einfühlsam.

»Lass uns noch etwas Essen gehen und dann sollten wir schlafen, morgen wird ein anstrengender Tag.« Kurz überlegte ich, ihm wieder für das Essen abzusagen, aber dann entschied ich mich dagegen. Wir hatten ja auch noch einiges zu besprechen.

Ich wusste ja noch nicht einmal, wo ich in New York wohnen sollte und wie er sich das genau vorstellte, oder hatte er dazu bereits etwas erwähnt? Ich war so verwirrt. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen, diese Einzelheiten früher zu klären, aber nun war es nicht mehr zu ändern.

 

Als wir wenig später beim Essen saßen, diesmal zum Glück in einem anderen Restaurant, wo keine Kellnerin Sebastian anschmachtete, versuchte ich das Thema zur Sprache zu bringen.

»Wo werde ich…« Ich fing den Satz gerade an, als ich auch schon unterbrochen wurde.

»Hallo, Sebastian«, sagte ein großer blonder Mann. Irgendwie hatten seine Gesichtszüge Ähnlichkeiten mit Sebastians.

»Hallo, Dad. Was machst du denn hier?«, fragte er sichtlich überrascht. Er stand auf, um seinen Vater zu begrüßen.

»Darf ich dir Madison Stone vorstellen?«, fragte er.

»Madison, das ist mein Vater, Doktor William Baker.« Wir gaben uns kurz die Hand und begrüßten uns. Sebastians Vater lächelte und erschien mir sofort sehr sympathisch.

»Ich bin hier, um dich morgen beim Transport der kleinen Patientin nach New York zu unterstützen. Eigentlich dachte ich ja, dass wir uns erst morgen früh im Krankenhaus treffen würden. Ich nehme an, dass Sie die Mutter sind, Mrs. Stone?«, sprach Sebastians Vater mich dann an.

»Ja, ich bin Paula Stones Mutter, Dr. Baker«, stimmte ich ihm zu.

»Nennen Sie mich doch William, sonst kommt es in unserer Familie leicht zu Verwechslungen«, verlangte er lächelnd.

»Dann nennen Sie mich doch bitte Maddie«, forderte ich ihn höflich auf.

William setze sich zu uns an den Tisch und damit war es wieder nicht möglich, Sebastian die Fragen zu stellen, die ich mit ihm eigentlich noch klären wollte. Dann musste ich wohl einfach alles auf mich zukommen lassen. Er würde mich ja hoffentlich nicht in New York auf der Straße stehen lassen.

Während wir aßen, wobei es bei mir eher ein Herumstochern im Essen war, sprachen die beiden zunächst alles wegen des Transportes und der Operation ab. Als das geklärt war, redeten Sebastian und sein Vater über alles Mögliche. Zu den meisten Dingen konnte ich nichts sagen, denn weder kannte ich die Personen, über die sie sprachen, noch kannte ich mich in medizinischen Dingen aus. Die beiden versuchten zwar immer wieder, mich ins Gespräch einzubeziehen, aber als sie merkten, dass ich mit meinen Gedanken ganz woanders war, gaben sie es auf. Ich versuchte, mir vorzustellen wie es wäre, wenn Paula endlich wieder wach sein würde, aber auch das gelang mir kaum. Ich hatte Angst, dass sie nie wieder so sein würde, wie vor dem schrecklichen Tag, an dem wir von ihrer Krankheit erfahren hatten.

»Was machen Sie beruflich?«, fragte William mich plötzlich und ich schreckte leicht zusammen.

»Als alleinerziehende Mutter ist es bestimmt nicht einfach Beruf und Familienleben zu vereinbaren.« Hilflos blickte ich zu Sebastian, was sollte ich jetzt sagen? Er hatte ja gemeint, dass ich nicht sagen sollte, wie frisch meine Trennung von John war, aber er war mir keine Hilfe, denn scheinbar wusste er auch nicht, was ich antworten sollte.

»Mein ›Noch-Ehemann‹ und ich hatten zusammen eine kleine Werbeagentur. Paula wurde meistens von ihren Großmüttern betreut, wenn ich im Büro war und sonst konnte ich auch viel von zu Hause aus machen«, erklärte ich ihm deshalb. Möglichst nahe an der Wahrheit bleiben, war wahrscheinlich die beste Lösung. So würde ich mich auch nicht so leicht verplappern, denn ich war eine grausige Lügnerin. Wenigstens lief ich diesmal nicht rot an.

»Oh das stelle ich mir auch schwierig vor. Mit dem Expartner zusammen zu arbeiten, ist bestimmt eine Herausforderung«, meinte William. Ich seufzte.

»In Zukunft ist das ja vorbei. Ich muss mir etwas Neues suchen, sobald es Paula besser geht«, erklärte ich, um das Thema zu wechseln, allerdings machte ich William damit wohl nur noch neugieriger auf das Thema.

»Warum denn das?«, fragte William und ich sah wieder hilflos zu Sebastian. Sollte ich die Wahrheit erzählen, oder es verharmlosen? Er seufzte und nickte mir ganz kurz zu.

»Die Firma gehört ihm nach der Scheidung alleine, dafür übernimmt er die Schulden, die bisher für Paulas Behandlung aufgelaufen sind«, erklärte ich und hoffte, dass William nicht weiter nachfragen würde.

Er schien zu merken, dass ich nervös auf meinem Stuhl herumrutschte und wechselte dann, zum Glück für mich, endlich das Thema. Bald danach verabschiedeten wir uns auch und ich lief zu meiner Pension, um zu schlafen. Sebastian wollte mit seinem Vater noch etwas trinken gehen und William wollte mich noch zu meiner Pension fahren, aber ich bestand darauf, das kurze Stück zu laufen. Ich brauchte etwas Ruhe und frische Luft.

Zum Abschied hatte Sebastian mich umarmt und mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben. In New York musste ich ihn unbedingt fragen, wie wir unsere ›Beziehung‹ denn nun vor seinen Eltern spielen wollten. Mir lag so etwas ja gar nicht und gerade, weil William mir sympathisch war, fiel es mir schwer, ihn zu belügen. Wir hatten noch abgemacht, dass er mich morgens um sieben Uhr mit meinem Gepäck abholen und ich dann mit Paula und Sebastians Vater im Krankenwagen mit zum Flughafen fahren würde. Sebastian würde mit dem Leihwagen fahren und unser ganzes Gepäck mitnehmen.

 

Kapitel 10

In der Nacht schlief ich mal wieder sehr schlecht und bereits um sechs Uhr war ich fertig geduscht und angezogen. Im Bett hatte ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Als Sebastian dann endlich pünktlich kam, ging alles ziemlich schnell. Wir luden mein Gepäck in seinen Leihwagen und fuhren zum Krankenhaus, dort wartete schon William und eine mir unbekannte Krankenschwester auf uns, die wir kurz begrüßten.

Zwei Krankenschwestern aus diesem Krankenhaus halfen dabei, Paula für den Transport fertigzumachen, und kurz danach saß ich mit William neben ihr im Krankenwagen auf dem Weg zum Flughafen. Ich war froh, dass er nicht versuchte, ein Gespräch mit mir zu führen, denn dafür war ich viel zu aufgeregt. Ich konnte nur daran denken, dass es nun losging. Ich hielt Paulas Hand und redete leise auf sie ein. Dass sie es wahrscheinlich nicht mitbekam, war mir egal, aber falls doch, musste sie wissen, was mit ihr geschah.

Am Flughafen fuhr der Krankenwagen direkt an ein Rollfeld und dort mussten wir einige Zeit warten. Ich sah, wie er mit einem Flughafenmitarbeiter das Gepäck ins Flugzeug lud. Dann kam er mit der Krankenschwester zum Wagen und gab mir die Anweisung, auszusteigen und schon zum Flugzeug zu gehen.

Ich kam mir völlig überflüssig und fehl am Platz vor, sozusagen aufs Abstellgleis geschoben. Ich konnte nur zuschauen, wie der Krankenwagen langsam rückwärts an das Flugzeug heranfuhr und wie Paula dann umgeladen wurde. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit stiegen die Leute aus dem hiesigen Krankenhaus aus, verabschiedeten sich kurz von mir, bevor ich dann endlich einsteigen durfte.

Kurz darauf saß ich endlich am Kopfende von Paulas Liege und schon hob das Flugzeug ab, auf nach New York, wo meiner Tochter hoffentlich geholfen werden konnte. Zum Glück war der Flug sehr ruhig und irgendwann musste ich eingeschlafen sein, kein Wunder nach der fast schlaflosen Nacht. Ich wurde erst wach, als Sebastian mich weckte, weil ich mich anschnallen musste. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass wir gerade erst losgeflogen waren, setzten wir bereits zum Landeanflug an. Kaum stand das Flugzeug, fuhr sofort wieder ein Krankenwagen vor, zwei Sanitäter stiegen aus und kamen ins Flugzeug. Dann wurde Paula vorsichtig umgeladen. Wir stiegen auch aus und sein Vater und er begrüßten zwei Frauen, die neben dem Wagen standen und scheinbar schon auf uns gewartet hatten. Die eine schien Williams Frau zu sein, denn er begrüßte sie mit einem Kuss. Die andere Frau war in etwa in meinem Alter, blond und wunderschön. Als Sebastian sie zur Begrüßung umarmte, fühlte ich einen Stich im Herzen. War das etwa seine Freundin? Aber das konnte ja nicht sein, denn dann bräuchte er keine Alibifreundin.

Ich stand alleine etwas abseits, um niemandem im Weg zu sein, und fühlte mich völlig verloren. Vor allem, als er verkündete, dass er sich um unser Gepäck kümmern wollte und mit einem anderen Mann einfach verschwand. Dann stieg auch noch William in den Krankenwagen und ich fühlte mich völlig alleine in dieser fremden Stadt.

»Kann ich im Krankenwagen mitfahren?«, fragte ich den Fahrer, der auf seinen Sitz saß und aus dem weit offenen Fenster sah. Ich musste dafür allen Mut zusammen nehmen. Er nickte gnädig, wie es mir vorkam. Die zwei Frauen beobachteten mich, als ich den Fahrer ansprach. Die Ältere der beiden lächelte freundlich und ihr Blick war ganz warm, aber die Blicke der jüngeren Frau waren eiskalt und machten mir etwas Angst. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht mochte, aber warum? Sie kannte mich ja gar nicht.

Gedanklich schalt ich mich selber dafür, warum sollte ich Angst vor der Blondine haben? Zum Glück stieg in diesem Moment William wieder aus dem Krankenwagen aus.

»Paula scheint den Transport bisher gut überstanden zu haben«, stellte er fest.

»Darf ich euch nun erst einmal Madison Stone vorstellen, die Mutter der kleinen Patientin? Maddie, das sind meine Frau Olivia und meine Tochter Elizabeth. Die Beiden werden schon einmal dein Gepäck zu Sebastians Wohnung bringen.« Wir schüttelten uns kurz die Hände und murmelten ein paar nette Worte.

Ich atmete auf, denn jetzt fiel mir auch wieder ein, dass Sebastian mir gesagt hatte, dass ich bei ihm im Gästezimmer wohnen konnte. In meiner Aufregung und Panik hatte ich das völlig vergessen. Und die Blonde war seine Schwester, auch wenn die beiden sich gar nicht ähnlich sahen, wahrscheinlich kam sie eher nach William und er eher nach seiner Mutter.

»Wo ist eigentlich Alexander?«, fragte William da und zum ersten Mal sah ich Elizabeth herzlich lächeln.

»Alex ist auf der Aussichtsplattform, er wollte unbedingt die Flugzeuge anschauen. Ich hole ihn dort gleich ab«, erklärte sie. Ich stutzte. War Alexander nicht Sebastians Sohn? Ein Kind in dem Alter hätte ich nicht alleine auf diesem riesigen Flughafen herumlaufen lassen. Ich war entsetzt, sagte jedoch lieber nichts, es ging mich ja auch nichts an. Außerdem wollte ich mich nicht gleich bei den Bakers unbeliebt machen, immerhin war ich auf ihre Hilfe angewiesen.

Zum Glück kam dann Sebastian mit einem voll beladenen Gepäckwagen, auf dem sich unsere Sachen befanden.

»Könntet ihr die Taschen in meine Wohnung bringen und einfach in den Flur stellen? Und nachsehen, ob das vordere Gästezimmer gelüftet werden müsste?«, fragte er seine Mutter.

»Ich weiß nicht, wann ich das zuletzt getan habe.« Sebastians Mutter nickte.

»Ist Alex wieder mit Tim Flugzeuge schauen?«, fragte er dann. Ich atmete etwas auf, der Kleine war also nicht alleine unterwegs. Trotzdem fand ich es seltsam, dass der Junge seinen Vater nicht persönlich begrüßte, immerhin war er einige Zeit weg gewesen.

»Wo sonst«, sagte Olivia lächelnd. Keiner außer mir schien es seltsam zu finden, dass der Junge nicht hier war.

Sebastian und ich verabschiedeten uns von seiner Familie und stiegen in den Krankenwagen zu Paula. Die Fahrt vom Flughafen zum Krankenhaus erschien mir endlos zu sein, erst fünfundvierzig Minuten später waren wir endlich am Ziel. Eine Krankenschwester zeigte mir alles. Paula wurde in ein Zimmer gebracht und in ein Krankenhausbett umgelagert, dann wurde sie frisch gemacht, gewickelt, umgezogen und versorgt. Ich begann derweil ihre Sachen auszupacken. Er hatte sich, gleich nachdem wir im Zimmer waren, verabschiedet und versprochen, bald wiederzukommen.

Als die Krankenschwester fertig war, durfte ich zum ersten Mal an diesem Tag mit Paula allein sein und hatte etwas Ruhe. Ich setzte mich auf einen Stuhl neben sie und begann, ihr etwas aus ihrem Lieblingsbuch vorzulesen. Auch wenn sie nicht ansprechbar war, der Tag war für sie ebenfalls anstrengend gewesen. Ich jedenfalls war hundemüde und musste aufpassen, dass mir die Augen nicht zufielen beim Lesen. Wie immer hatte das Lesen eine beruhigende Wirkung auf mich.

Mir fiel ein, dass ich Landon versprochen hatte mich zu melden, sowie ich in New York angekommen war und holte das schnell nach. Er freute sich sehr, von mir zu hören und darüber, dass alles gut gelaufen war. Allerdings hatte er nicht viel Zeit und wollte sich am nächsten Tag wegen eines Treffens, wieder bei mir melden. Dann rief ich noch schnell meinen Vater an und teilte ihm mit, dass alles gut gelaufen war.

»Du solltest dich auch bei deiner Mutter melden«, verlangte er, als ich mich gerade verabschieden wollte. Ich seufzte. Seit dem Gespräch mit ihr, über meinen Bruder, hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt.

Aber mein Vater hatte Recht, ich konnte ihr sowieso nicht ewig böse sein, also wählte ich brav ihre Nummer, nachdem ich das Gespräch mit meinem Vater beendet hatte.

»Maddie!«, meldete sie sich schon nach dem zweiten Klingeln.

»Endlich meldest du dich, ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ist alles in Ordnung bei dir? Soll ich dich morgen besuchen …« Sie stellte pausenlos Fragen, wartete aber keine Antwort ab. Sie erinnerte mich an einen Wasserfall, der permanent rauschte. Was war nur mit ihr los?

»Mom?«, fragte ich seufzend.

»Ja, ja, ich komme einfach morgen vorbei, Kleines. Ich habe mich so gefreut, dass du angerufen hast. Nun muss ich los. Ciao« Als sie dann einfach auflegte, ohne mich auch nur zu Wort kommen zu lassen, starrte ich das Telefon fassungslos an. So kannte ich sie gar nicht. Drehten nun alle um mich herum durch?

Seufzend schrieb ich ihr eine SMS, dass Paula nicht mehr in Los Angeles im Krankenhaus lag, sondern in New York. Eigentlich rechnete ich damit, dass sie gleich wieder anrief, aber sie tat es nicht. Ich versuchte, den Ärger, der in mir hochkochte, zu verdrängen. Sie hatte mir nicht nur nicht zugehört, sondern auch kein Wort über Paula verloren und auch nicht nach ihr gefragt. Was war nur mit meiner Mutter plötzlich los? Gerade hatte ich beschlossen, nicht länger auf einen Rückruf von ihr zu warten und Andy anzurufen, als es kurz klopfte und Sebastian wieder ins Zimmer kam.

»So, ich habe alles geklärt, aber du musst noch ein paar Papiere unterschreiben, das kennst du ja schon aus Los Angeles. Zum Glück hat dein Anwalt schon die Papiere wegen des medizinischen Sorgerechts hierher geschickt, so geht das alles ganz einfach«, erklärte er fröhlich.

»Morgen und übermorgen machen wir noch einige Untersuchungen, dann ist Wochenende, da passiert hier nicht viel und am Montag könnte ich sie operieren.«

Montag! Noch fünf schlaflose Nächte und vier ellenlange Tage warten, wie sollte ich die überstehen, ohne durchzudrehen? Egal wie, ich musste stark sein und durchhalten. Paula brauchte mich, denn wer, außer mir, wäre sonst für sie da? Also trat ich mir gedanklich selbst in den Hintern und nickte einfach.

Sebastian sagte nicht mehr viel und führte mich in ein Ärztezimmer, wo ich unzählige Papiere unterschrieb und mir ellenlange Aufklärungen anhören sollte. Als er bei den Komplikationen ankam, hielt ich es nicht mehr aus.

»Ich unterschreibe alles, aber bitte hör auf, ich kann das nicht mehr hören«, flehte ich ihn an. Er seufzte.

»Eigentlich ist das nicht erlaubt, aber ich verstehe dich«, sagte er und drückte mich kurz an seine Brust. Dann ließ er mich schnell wieder los, aber wenigstens zeigte er mir auf den restlichen Papieren nur noch, wo ich unterschreiben musste.

»So, das war es!«, sagte er, als ich endlich den letzten Zettel unterschrieben hatte.

»Lass uns fahren, damit ich dir dein Zimmer zeigen kann. Ich bin kaputt und dir wird es ja wohl ähnlich gehen.« Ich nickte, denn ich war sehr müde.

»Ich möchte nur noch kurz zu Paula«, antwortete ich. Auch wenn sie es vielleicht nicht mitbekam, ohne Abschied konnte ich nicht gehen und sie alleine im Krankenhaus lassen.

Also gab ich Paula noch schnell einen Kuss und sagte ihr gute Nacht, dann folgte ich Sebastian aus dem Krankenhaus. Wir stiegen in ein Taxi, er nannte dem Fahrer die Adresse und wir fuhren schweigend zu seiner Wohnung. Zum Glück war es keine weite Fahrt, denn trotz des unheimlichen Verkehrsaufkommens hier in New York, waren wir keine zehn Minuten später am Ziel.

Er bezahlte und führte mich dann in ein riesiges Hochhaus. Alleine der Eingangsbereich war schon unwahrscheinlich groß und in der Eingangshalle standen Bänke und Blumenkübel, es gab sogar eine Rezeption.

»Guten Abend, Ben. Das hier ist Madison Stone, sie wird einige Zeit bei mir im Gästezimmer wohnen und bekommt freien Zugang und einen eigenen Schlüssel für meine Wohnung«, erklärte er dem Mann hinter dem Tresen.

»Guten Abend, Miss Stone. Ben Bauers ist mein Name und ich bin einer von vier Portiers in diesem Haus. Ich bräuchte einmal Ihren Ausweis für die Unterlagen, damit auch meine Kollegen Bescheid wissen«, stellte er sich vor. Dann nahm er auch gleich meinen Ausweis, den ich ihm reichte und verschwand in einem Büro hinter der Rezeption. Er tat so, als wäre es das Normalste der Welt, dass ich nun bei Sebastian wohnte, obwohl er mich ja noch nie hier gesehen hatte. Ich fragte mich, ob Sebastian wohl öfter Frauen freien Zugang zum Haus erteilte oder ihn auch wieder strich? Und was dachte Mr. Bauers wohl von mir?

»Dies ist ein bewachtes Haus, in die Wohnungen kommen nur eingetragene Personen ohne Anmeldung. Jeder andere Besucher wird telefonisch angekündigt und es wird gefragt, ob die Person hoch in die Wohnung darf. Der Aufzug funktioniert nur mit Schlüssel und auch die Tür zum Treppenhaus lässt sich von unten aus nur mit einem Schlüssel öffnen. Du bekommst natürlich deinen eigenen Schlüssel und freien Zugang zum Haus, damit du dich frei bewegen kannst, wenn ich nicht da bin«, erklärte er mir. Für mich war das alles sehr verwirrend. So ein Haus hatte ich noch nie betreten und scheinbar war ich hier in einer völlig anderen Welt gelandet.

Wozu waren diese ganzen Sicherheitsmaßnahmen nur nötig? War Sebastian etwa ein Millionär oder so etwas? Arm konnte er jedenfalls nicht sein, sonst könnte er kaum die Behandlungskosten übernehmen. Nur bisher hatte ich mir darüber keine Gedanken gemacht und ehrlich gesagt, war es mir auch jetzt egal. Es war ja sowieso nur für eine begrenzte Zeit und danach würde ich mir ein neues Leben für Paula und mich aufbauen müssen. Denn so wenig wie dies hier meine Welt war, genau so wenig konnte ich in mein altes Leben zurück.

Der Aufzug brachte uns in die zwölfte Etage. Irgendwie war ich froh, dass er nicht auch noch im Penthouse wohnte. Sebastian zog mich zu einer der drei Wohnungstüren auf dieser Etage und schloss diese auf.

»Komm herein«, forderte er mich auf und führte mich in einen Flur. Mein Koffer, meine Reisetasche und meine Laptoptasche standen dort an der Wand, zwischen zwei Türen. Insgesamt gab es, mit der Eingangstür, sechs Türen, die von diesem Flur abgingen.

Er zeigte auf die Tür gegenüber der Eingangstür. »Dort geht es ins Wohnzimmer, von dort aus kommt man auch in die Küche und in mein Schlafzimmer«, erklärte er nüchtern. Irgendwie herrschte eine seltsam angespannte Stimmung zwischen uns. Dann zeigte er auf die Türen rechts.

»Vorne ist das Badezimmer, daneben ist dein Zimmer. Es ist das Größere und ich hoffe, es wird dir gefallen, auch wenn es kein eigenes Bad hat«, erklärte er weiter.

»Fühl dich ganz wie zu Hause. Links sind ein weiteres Gästezimmer und ein Zimmer für meinen Sohn. Pack erst einmal in Ruhe aus und mach dich frisch. Handtücher findest du im Einbauschrank im Badezimmer. Wir treffen uns dann im Wohnzimmer, wenn du soweit bist.«

Sebastian öffnete die Tür zu ›meinem Zimmer‹, nachdem er mir die zum Wohnzimmer gezeigt hatte und stellte meinen Koffer sowie meine Tasche hinein. Dann ging er, ohne mich noch einmal anzusehen, durch die Tür und schloss diese gleich hinter sich.

Ich stand wie benommen im Flur und starrte auf die geschlossene Tür. Bereute er es, mich hierher geholt zu haben? Sein Verhalten war seltsam und ich fühlte mich sehr einsam. Was erwartete er jetzt von mir? Sollte ich mich in meinem Zimmer aufhalten, um ihn nicht zu stören? Seufzend drehte ich mich nach einiger Zeit um und ging in das Gästezimmer. Zum Reden war hoffentlich später noch Zeit.

Als ich den Raum betrat, sah ich mich erstaunt um. Das sollte ein Gästezimmer sein? Es war riesig und sehr modern eingerichtet, mir allerdings fast zu modern. Das Ganze sah aus, wie aus einem Möbelkatalog. Ein großes, weißes Metallbett mit zwei schwarzen Nachtkonsolen dominierte den Raum. Ein schwarzer viertüriger Kleiderschrank mit Spiegeltüren, ein kleiner weißer Tisch mit zwei schwarzen Sesseln und ein kleiner schwarzer Schreibtisch mit einem weißen Stuhl davor, standen ebenfalls im Zimmer. An der Wand hing ein riesiger Flachbildschirm und darunter stand eine weiße Kommode.

Selbst die Bettwäsche und die Vorhänge waren schwarz-weiß gemustert, genau wie das abstrakte Bild, das über dem Bett an der Wand hing. Viele Leute fanden dieses Zimmer bestimmt wunderschön, aber auf mich wirkte es kalt und steril, es hatte überhaupt keine eigene Persönlichkeit. Und ich passte hier absolut nicht her und bezweifelte sehr, dass ich mich hier jemals wohlfühlen konnte. War das Sebastian, oder hatte er die Wohnung von jemandem einrichten lassen?

Ich räumte schnell meine Sachen in den Schrank und in die Kommode, bevor ich ins Badezimmer ging, um mich, nach der langen Reise, etwas frisch zu machen. Auch das Badezimmer war sehr groß, modern und komplett in Weiß gehalten. Es gab zwei Waschbecken unter einem riesigen Spiegelschrank, eine Dusche und eine große Badewanne. Nur die Handtücher, die ich in dem großen, natürlich ebenfalls weißen Einbauschrank fand, waren dunkelblau und wunderschön flauschig. Am liebsten hätte ich mich zur Entspannung in die Badewanne gelegt, um alles um mich herum, zu vergessen. Aber dafür war jetzt keine Zeit, also machte ich mich nur kurz frisch, putzte meine Zähne und stand wenig später zögernd vor der Wohnzimmertür.

Sollte ich klopfen oder einfach hineingehen? Ich war mir nicht sicher, was er von mir erwartete, aber wenn ich mich wie zu Hause fühlen sollte, brauchte ich bestimmt nicht anklopfen. Vorsichtig öffnete ich also die Tür und stand kurz darauf in dem riesigen Wohnzimmer, oder sollte ich besser sagen in der Wohnhalle?

Zum Glück war der Wohnbereich nicht so kalt, wie das Gästezimmer. Es war zwar alles völlig überdimensioniert, aber gleichzeitig doch wohnlich. Von Sebastian war keine Spur zu sehen, auch nicht in der angrenzenden modernen Küche, die durch einen Tresen vom Wohnzimmer getrennt war. Und so sah ich mich in Ruhe um. Es gab zwei große rote Sofas mit einem kleinen Tisch, einen Esstisch für zehn Personen und eine Wand war völlig von einem Regal eingenommen, in dem Bücher und CDs standen …

Vor der Glasfront, die auf einen großen Balkon führte, stand sogar ein Klavier. Da ich nicht wusste, wo er war und auch nicht in seinen Sachen schnüffeln wollte, ging ich zur Balkontür und blickte auf das bunte Treiben draußen auf der Straße. Ob ich mich jemals an dieses Verkehrschaos dort draußen gewöhnen würde? Von hier oben sahen die Autos fast wie Ameisen aus und die Scheinwerfer wie ihre Augen.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich Sebastian, der mittlerweile hinter mir stand, erst gar nicht bemerkte. Erst als er sich räusperte, wurde ich aufmerksam und drehte mich zu ihm um.

»Du bist schon fertig?«, fragte er erstaunt. Ich nickte nur, was sollte ich auch dazu sagen?

»Ich bin angenehm überrascht«, fuhr er fort. »Normalerweise lassen Frauen einen ja immer ewig warten.« Ich schnaubte.

»Ich weiß ja nicht, was für Frauen du kennst, aber ich bin eine berufstätige Mutter und daran gewöhnt, Termine pünktlich einzuhalten. Außerdem haben meine Eltern mir beigebracht, dass Unpünktlichkeit unhöflich ist«, fuhr ich ihn fast an. Kaum waren die Worte aus meinem Mund, taten sie mir auch schon wieder leid. Wie konnte ich nur so unhöflich sein? Irgendwie war ich einfach völlig überfordert mit der ganzen Situation, aber das gab mir nicht das Recht, mich so zu benehmen. Ich lief rot an.

»Tut mir leid, so war das nicht gemeint«, entschuldigte ich mich, als ich Sebastians verblüfftes Gesicht sah.

»Na, das kann ja noch heiter werden«, grinste er anzüglich.

»Aber ich mag kleine Wildkatzen.« Für diesen Spruch hätte ich ihn am liebsten geschüttelt, aber dann hätte er wahrscheinlich nur noch mehr gegrinst. Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Was war nur mit mir los? Ich war doch sonst nicht so aggressiv. Allerdings verkaufte ich mich normalerweise auch nicht an einen reichen Kerl. Wahrscheinlich lagen meine Reaktionen einfach daran, dass ich völlig verunsichert war.

»Nun lass uns erst einmal etwas essen und reden«, schlug er dann auch in einem normalen Ton vor.

»Ich hatte nicht mit meinem Vater gerechnet, sonst hätten wir das gestern schon alles besprechen können. Komm!«, forderte er mich auf und ging in Richtung der Küche.

»Meine Mutter hat uns etwas zu essen in den Kühlschrank gestellt. Ich hoffe, du magst Lasagne und Salat«, sagte er und nahm eine Glasauflaufform und eine große Salatschüssel aus dem Kühlschrank. Dann erwärmte er die Lasagne schnell in der Mikrowelle. Wir setzten uns mit unserem Essen an die Theke und er öffnete eine Flasche Rotwein, ohne mich zu fragen, ob ich Wein trank. Das Essen war wirklich sehr gut und das sagte ich Sebastian auch.

»Ja, meine Mutter hat viele Talente und Kochen ist eines ihrer liebsten Hobbys«, erklärte er.

»Da sie ja nun schon wissen, dass du bei mir wohnst, musste ich meinen Plan etwas ändern. Wir werden Samstagabend bei ihnen zum Essen erwartet.« Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ein Essen mit Sebastians Familie? Wie sollte ich mich da verhalten? Vor Schreck verschluckte ich mich an meinem Essen und fing furchtbar an zu husten und nach Luft zu schnappen. Er sprang sofort auf und klopfte mir auf den Rücken.

»So schlimm, dass du gleich ersticken musst, ist die Familie Baker nun auch nicht«, lachte er.

»Ich habe meinem Vater erzählt, dass wir uns im Krankenhaus kennengelernt haben und ich mich in dich verliebt habe. Deswegen helfe ich dir und deshalb wohnst du jetzt auch bei mir. Er findet zwar, dass das alles viel zu schnell geht, sieht aber ein, dass die Situation es erforderlich macht. Dass ich Paulas Behandlung bezahle, weiß er nicht und so soll beziehungsweise muss es auch bleiben. Die Geschichte mit der Krankenkasse verschweigen wir besser, denn die Stiftung lassen wir jetzt außen vor«, erklärte mir Sebastian seinen Plan. Ich keuchte auf, wollte er wirklich sämtliche Kosten tragen? Ich war ja bisher davon ausgegangen, dass die Stiftung einen Großteil übernehmen würde.

»Jeder wird verstehen, dass du die meiste Zeit im Krankenhaus verbringst, aber ab und zu wirst du dich mit mir bei ihnen sehen lassen müssen«, fuhr er fort.

»Auch zu manchen Wohltätigkeitsveranstaltungen wirst du mich, als meine Freundin begleiten.«

Er redete weiter, aber meine Gedanken schweiften ab. Bis vor ein paar Wochen war ich eine glücklich verheiratete Frau gewesen, na ja, zumindest habe ich das gedacht und jetzt war ich plötzlich offiziell die Freundin eines Mannes, den ich kaum kannte. Wie hatte das alles nur passieren können? Es war, als hätte Paulas Krankheit eine Lawine ausgelöst und mein ganzen altes Leben unter sich begraben. Den Gedanken an meine Ehe mit John, verdrängte ich aber lieber schnell, sonst würde ich nur noch wütender werden.

»Du bekommst selbstverständlich noch Schlüssel für die Wohnung, das Treppenhaus und den Aufzug, aber das habe ich dir ja vorhin schon gesagt. Da ich sowieso arbeiten muss, kannst du tagsüber natürlich so viel bei Paula sein, wie du möchtest. Wenn ich frei habe, können wir uns absprechen, welche Termine anliegen, zu denen du mich als meine Freundin begleitest. Ansonsten bist du völlig frei in deiner Zeiteinteilung«, erklärte er weiter. Das alles schien so völlig normal für ihn zu sein, dass ich mich fragte, ob er das öfter tat.

Aber in Ordnung, damit konnte ich gut leben. Wie viele Termine konnten das schon sein, zu denen ich ihn begleiten musste? Sollte das wirklich alles sein, was ich für ihn tun musste? Nein, natürlich nicht. Ob er für den Sex auch einen Plan aufstellen würde? Ich hätte bei dem Gedanken beinahe angefangen zu lachen. Ob ich ihn einfach danach fragen sollte? Aber das brachte ich nicht fertig. Vielleicht traute ich mich das, wenn ich mehr Wein getrunken hatte. Normalerweise trank ich kaum etwas und vertrug dadurch auch nicht viel.

Mittlerweile waren wir fertig mit essen und Sebastian trug unsere Gläser zum Wohnzimmertisch.

»Nun noch ein paar Kleinigkeiten und dann können wir zum angenehmen Teil des Abends übergehen«, grinste er mich teuflisch an. Was würde wohl jetzt noch kommen? Doch noch ein Plan, wann ich mit ihm Sex haben musste?

»Wir müssen uns noch über die Verhütung unterhalten«, fing er an.

»Kondome sind mir nicht sicher genug. Wie sieht es mit hormoneller Verhütung bei dir aus? Verträgst du die? Die Dreimonatsspritze wäre mir die liebste Methode. Die könnte ich dir verabreichen und wenn du einverstanden bist, könnten wir nach einem Gesundheitscheck dann auf Kondome verzichten.«

Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Er sprach darüber, als wäre es das Normalste der Welt, solche Gespräche zu führen. Hatte er solche Verträge etwa wirklich schon öfter geschlossen? Ich wusste nicht mehr, was ich von ihm halten sollte, aber egal, ich musste da jetzt durch.

»Nun schau nicht so, Maddie«, meinte er.

»Du hast meinem Angebot zugestimmt und das gehört nun einmal dazu. Schließlich bist du jetzt meine Freundin und ich muss monogam leben, sonst fliege ich aus der Klinik.« Ich wusste ja, dass er Recht hatte, aber trotzdem fiel es mir schwer, so offen darüber zu sprechen.

»Ich hatte noch nie Probleme mit hormoneller Verhütung, aber ich hasse Spritzen«, antwortete ich deshalb brav. Als Arzt lachte Sebastian darüber.

»Das ist doch nur ein kleiner Piks«, meinte er mitleidslos.

»Die Pille kann man zu leicht vergessen.« Er schien fast panische Angst davor zu haben, noch einmal Vater zu werden. Als würde ich es jetzt darauf anlegen wollen. Natürlich hatte ich mit John noch ein Kind gewollt, aber da dachte ich auch noch, dass wir eine intakte Ehe führten. Jetzt war es das Letzte, was ich brauchen konnte, ich brauchte alle Kraft für Paula.

»Kleiner Piks? Dann lass du dich doch spritzen, wenn du da so scharf drauf bist. Ich werde die Pille schon nicht vergessen. Paula war geplant und kein Unfall und denkst du wirklich, dass ich in meiner jetzigen Situation ein zweites Kind will und das auch noch ausgerechnet von dir?«, fragte ich ihn aufgebracht. Das konnte er doch nicht wirklich von mir denken. Ich konnte mir doch nun nicht alles von ihm gefallen lassen, nur weil er Paulas Behandlung bezahlte. Oder musste ich das etwa doch? Würde er die Behandlung abbrechen, wenn ich nicht nach seiner Pfeife tanzen würde?

»Ich bin eine gute Partie!«, sagte er herausfordernd und ich musste sehr an mich halten, um ihn nicht zu schlagen. Dabei war ich eigentlich ein friedlicher Mensch, aber er brachte mich heute wirklich auf die Palme. Als wäre die ganze Sache nicht schon unangenehm genug für mich. Ich fühlte mich so billig. ›Billig bist du nicht. Er zahlt ja ganz ordentlich für dich‹, flüsterte mir eine fiese innere Stimme zu. ›Das kommt davon, wenn man sich selbst verkauft.‹

Ich atmete tief durch, denn wenn ich jetzt sagen würde, was ich dachte, dann würde der Deal wohl platzen und was würde dann aus Paula? Also schluckte ich meine Wut mühsam herunter und warf ihm nur einen bösen Blick zu. Sebastian blickte scheinbar amüsiert zurück, was meine Wut noch höher kochen ließ. Ich musste hier kurz raus, ehe ich etwas tat, was mir hinterher leidtäte.

»Wenn du nichts dagegen hast, gehe ich jetzt duschen und dann ins Bett. Der Tag war lang und ich bin müde«, sagte ich deshalb und trotz aller Mühe, die ich mir gab, war die Wut in meiner Stimme deutlich zu hören. Fast erwartete ich, dass er mich auffordern würde erst mit ihm zu schlafen, aber das tat er nicht.

»Gute Nacht, Maddie«, sagte er nur und sah mir lächelnd nach, als ich aus dem Wohnzimmer ging. Was sollte das nun wieder bedeuten? Nur nicht darüber nachdenken, sonst würde ich noch durchdrehen bei Mr. Stimmungsschwankung. Ich widerstand dem Drang, die Tür zu knallen, und schloss sie betont leise hinter mir.

Kurz darauf lag ich frisch geduscht in dem großen Bett und konnte nicht einschlafen. Ständig kreisten die Gedanken in meinem Kopf, ob ich es jetzt versaut hatte und ob Sebastian nun vielleicht ablehnen würde, Paula weiter zu behandeln. Ich gab mir einen Ruck und beschloss, mir diese dämliche Dreimonatsspritze geben zu lassen. Was war schon der eine Piks, gegen eine Schwangerschaft? Wenn ich daran dachte, wie oft ich in der Schwangerschaft mit Paula zum Blutabnehmen gemusst hatte, wurde mir immer noch ganz flau im Magen.

Wenn ich Paula damit helfen könnte, dann dürfen sie mich gerne mit Nadeln durchlöchern. Ich würde sogar über glühende Kohlen laufen, wenn ich ihr damit helfen könnte. Aber es gab nichts, das ich tun konnte, ich musste mich völlig auf die Ärzte verlassen, auch wenn es mir schwerfiel. Ich machte mir große Sorgen darum, wie es ihr ging und ob ihr der Transport vielleicht geschadet hatte. Aber wenn das der Fall gewesen wäre, dann wäre es Sebastian und William bestimmt aufgefallen. Auch wenn er oft ein Arsch war, als Arzt erschien er mir sehr gewissenhaft.

Morgen früh würde ich mich bei ihm für mein zickiges Benehmen entschuldigen, nahm ich mir noch vor, dann muss ich doch ziemlich schnell eingeschlafen sein, obwohl ich ja gedacht hatte, dass ich in diesem furchtbaren Zimmer niemals zur Ruhe kommen könnte. Ich schlief sogar recht gut und hatte einen wunderschönen Traum, in dem ich mit Sebastian und Paula glücklich am Strand von Aptos spazieren ging. Wir lachten zusammen, spielten Fangen und als Paula müde wurde, nahm er sie auf die Schultern und trug sie.

 

Kapitel 11

Doch aus der Entschuldigung am nächsten Morgen wurde nichts, denn als ich aufwachte, war die Wohnung verlassen, obwohl es erst sieben Uhr früh war. Erst dachte ich, Sebastian würde noch schlafen, aber dann fand ich auf dem Küchentresen einen Schlüssel, zweihundert Dollar Bargeld und die Codes für die Alarmanlage und das W-Lan Netz. Dazu ein kurzer Brief.

 

Guten Morgen Maddie,

ich wurde schon sehr früh wegen eines Notfalls ins Krankenhaus gerufen und wollte dich nicht wecken. Wir sehen uns dann dort oder heute Abend zu Hause. Gegen zwölf Uhr kommt die Putzfrau, also erschreck dich nicht, falls du dann noch in der Wohnung bist.

Sebastian

PS: Trag die Codes bitte nicht mit dir herum.

 

Für wie blöd hielt er mich eigentlich? Weder würde ich die Codes mit mir rumschleppen, noch würde ich mich mittags noch in der Wohnung aufhalten. Ich wollte so schnell wie möglich zu Paula ins Krankenhaus. Immerhin war der Brief so formuliert, als sei es das Normalste der Welt, dass ich Sebastians Freundin war und hier bei ihm wohnte. Falls die Putzfrau ihn gefunden hätte, hätte sie wahrscheinlich keinen Verdacht geschöpft. Trotzdem warf ich den Brief weg, damit sie ihn nicht später finden konnte.

Ich machte mir einen Kaffee, nachdem ich heraus gefunden hatte, wie dieser futuristisch aussehende Vollautomat funktionierte, dann setzte ich mich mit meinem Laptop kurz an den Esstisch, um meine Mails zu checken. Es gab aber nichts Wichtiges. Schnell schrieb ich Guten-Morgen-Grüße an meine Eltern und Landon, ehe ich mich fertigmachte, um zum Krankenhaus zu fahren. Später wollte ich mir unbedingt den Weg einprägen, um zu schauen, dass ich zu Fuß gehen konnte.

Das Geld machte mir einige Sorgen. Ich wollte das nicht, schließlich trug Sebastian bereits die Behandlungskosten und das war schon schlimm genug für mich, aber es fühlte sich so falsch an, auch noch Bargeld von ihm zu nehmen. Ich wollte mich nicht aushalten lassen, denn genau das ging mir durch den Kopf, als ich die zweihundert Dollar gesehen hatte. Eigentlich wollte ich sie liegen lassen, aber dann schluckte ich meinen Stolz hinunter. Als Leihgabe würde ich das Geld annehmen müssen, denn ich besaß nur noch fünfundzwanzig Dollar, nachdem ich mein Pensionszimmer in Los Angeles bezahlt hatte. Sobald wie möglich, würde ich mir einen Job suchen, damit ich Sebastian das Geld zurückzahlen konnte.

Schon als Teenager hatte ich nebenbei gejobbt, um mein eigenes Geld zu verdienen. Während des Studiums sogar nebenbei in einem Supermarkt gearbeitet und jetzt mit sechsundzwanzig Jahren, wollte ich nicht anfangen, mich aushalten zu lassen. Schlimm genug, dass er die medizinische Versorgung für meine Tochter zahlte und ich bei ihm wohnte, noch abhängiger wollte ich mich nicht machen.

Kurz darauf war ich auf dem Weg ins Krankenhaus. Nachdem ich mir den Weg auf einer Karte im Internet angesehen hatte, hatte ich eingesehen, dass laufen keine Alternative war. Die U-Bahn allerdings wäre da viel praktischer und so stand ich nun auf dem Bahnsteig und wartete auf die richtige Bahn. Das war viel billiger, als ein Taxi zu nehmen.

Die U-Bahn war völlig überfüllt, scheinbar mussten sämtliche New Yorker genau jetzt zur Arbeit. Ich wurde hin und her geschoben und hatte das Gefühl, erdrückt zu werden oder an einer Gasvergiftung zu sterben. Manche Menschen schienen sich niemals zu waschen, so wie das roch. Als die Bahn am Krankenhaus hielt, versuchte ich, mich zur Tür durchzukämpfen, aber es gelang mir einfach nicht und so musste ich durch das Fenster mit ansehen, wie die Station verschwand.

Ich drängelte mich durch, bis ich an der Tür ankam, damit ich wenigstens an der nächsten Station aussteigen konnte. Ich bekam dabei mehrmals Ellenbogen von anderen U-Bahnfahrern in die Rippen.

Wahrscheinlich wäre es doch besser, zukünftig zu laufen, überlegte ich mir, so ein Wagen hatte wohl mehr Passagiere, als Aptos Einwohner. Ich war wirklich kein Stadtmensch, auch wenn ich während meines Studiums in Los Angeles gelebt hatte. Aber dort hatte ich die meiste Zeit sowieso auf dem Unigelände verbracht und man konnte LA auch überhaupt nicht mit New York vergleichen.

Endlich hielt der Zug an der nächsten Haltestelle und ich schaffte es, auszusteigen. Ich wartete kurz, bis der Menschenstrom etwas nachließ, und ging dann auch die Treppe nach oben. Allzu weit weg vom Krankenhaus konnte ich ja eigentlich nicht sein. Allerdings war ich mehr als nur ein bisschen froh, als gerade jetzt mein Handy klingelte und Landon anrief.

»Guten Morgen«, begrüßte ich ihn.

»Guten Morgen, Maddie«, erwiderte er.

»So früh schon unterwegs? Wo bist du?«

Ich nannte ihm den Namen der Station und gestand, dass ich nicht wusste, wie ich von hier aus zum Krankenhaus kommen konnte. Zum Glück konnte er mir da weiterhelfen.

»Können wir uns heute Mittag treffen?«, fragte er, nachdem er mir den Weg erklärt hatte.

»Ich könnte dich so gegen eins abholen.« Ich freute mich darauf, ihn wieder zu sehen, und stimmte begeistert zu. Da er auch Paula sehen wollte, nannte ich ihm die Station und ihre Zimmernummer.

Normalerweise liebte ich Spaziergänge an der frischen Luft, aber der Weg zum Krankenhaus war absolut grässlich. Die Leute hasteten an mir vorbei und die Luft war sowieso alles andere als frisch. Kein Wunder bei den Automassen, die an mir vorbei fuhren. Ich war froh, als ich endlich ankam.

Kurze Zeit später saß ich wieder an Paulas Bett. Es war fast wieder wie in LA, auch wenn es jetzt ein anderes Zimmer in einem anderen Krankenhaus war. Das Ganze war schon zur Normalität für mich geworden und auch wenn mir die Schwestern fremd waren, wusste ich genau, was sie taten. Und es fühlte sich alles vertraut und heimisch an.

Wurde ich langsam verrückt, dass sich ein fremdes Krankenhaus heimisch anfühlte? Seufzend dachte ich darüber nach, wie sehr sich mein ganzes Leben verändert hatte. Kurz schweiften meine Gedanken zu John und seiner Krankenhausphobie. Ich hatte sie immer verstanden und jetzt? Komisch war auch, dass der Gedanke an ihn kaum noch wehtat. Wie konnte mir der Mann, den ich für die Liebe meines Lebens gehalten hatte, so schnell egal werden? Ich empfand irgendwie nur noch Wut darüber, was er Paula als Vater antat, aber unsere Beziehung erschien mir schon Lichtjahre entfernt zu sein.

Kurz darauf hatte ich auch gar keine Zeit mehr, über ihn nachzudenken, denn eine Schwester betrat das Zimmer.

»Hallo, ich bin Schwester Lindsey«, stellte sie sich vor.

»Ich bringe Paula nun zu einer Untersuchung. Möchten Sie mitkommen?« Das war neu für mich. In LA hatte ich nie mitgehen dürfen. Lächelnd nickte ich und stand schnell auf, um Schwester Lindsey zu folgen. Keine zwei Minuten später waren wir in einem Untersuchungszimmer, in dem ein fremder Arzt und mein Mitbewohner uns schon erwarteten.

Ich warf Sebastian einen hilflosen Blick zu. Wie sollte ich mich nur verhalten? Sollte ich auch hier seine Freundin spielen?

»Guten Morgen, Mrs. Stone, ich bin Dr. Flenning und werde Ihre Tochter mit Dr. Baker zusammen operieren«, stellte er sich vor.

»Guten Morgen, Dr. Flenning«, sagte ich und überlegte noch, wie ich Sebastian begrüßen sollte, als er auf mich zukam.

»Guten Morgen, Maddie«, sagte er und gab mir einen Kuss auf die Wange.

»Michael, darf ich dir meine Freundin vorstellen?«, fragte er lächelnd und ich musste aufpassen, dass mir meine Gesichtszüge nicht entglitten. Hoffentlich gelang es mir besser als Dr. Flenning, der starrte mich nämlich mit weit offenem Mund an.

»Freundin? Sebastian, seit wann hast du eine feste Freundin?«, fragte Doktor Flenning erstaunt. Scheinbar war er mit Sebastian sehr vertraut.

»Tja, Menschen ändern sich«, antwortete er lächelnd und zog mich kurz in seinen Arm, um mich demonstrativ auf die Wange zu küssen. Mir fiel es schwer da mit zu spielen, aber ich musste es lernen. Also lächelte ich zurück und warf ihm einen Blick zu, der hoffentlich verliebt wirkte.

Zum Glück ließ er mich sofort los, als sich die Türklinke bewegte. Herein kamen William und zwei Schwestern.

»Guten Morgen, Maddie, Michael, Sebastian. Wollen wir anfangen?«, fragte er. Ich war froh über diese kurze Begrüßung und dass es nun um Paula ging, denn deshalb war ich schließlich hier. Von der Untersuchung verstand ich nicht viel, aber die drei Ärzte schienen sehr zufrieden zu sein.

»Sieht alles sehr gut aus für die OP, Maddie«, lächelte William mir zu.

»Wir können zwar keine Garantien geben, aber ich bin mir fast sicher, dass Paula bald wieder wach sein wird.« Für diese Worte hätte ich ihn am liebsten umarmt, aber ich traute mich nicht, also strahlte ich ihn nur an.

»Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche!«, sagte ich hoffnungsvoll.

»Nach der Operation müssen wir dann weitersehen. Prognosen darüber, wie Paula dann reagieren wird, kann ich nicht abgeben«, versuchte Sebastian, mich etwas zu bremsen. Das hatte er mir ja schon alles erklärt, deshalb nickte ich nur.

»Ich weiß, aber auch wenn sie nicht wieder ganz die Alte werden sollte, wäre das ja ein riesiger Fortschritt zu jetzt«, meinte ich. Ich versuchte, meine Ängste zu verdrängen. Dass Paula mich nach der OP vielleicht nicht mehr erkennen würde oder gar geistig behindert sein könnte, war leider nicht auszuschließen. Aber daran durfte ich jetzt nicht denken, immer einen Schritt nach dem anderen.

Er sah kurz seinen Vater an, nahm mich dann in den Arm und hielt mich fest.

»Egal was passiert, wir schaffen das!«, sagte er mit fester Stimme und als wäre es das Normalste der Welt, dass ›wir‹ das zusammen meistern würden. Ich war verwirrt. War er ein so guter Schauspieler oder hatte er eine gespaltene Persönlichkeit? Gestern Abend war er so völlig anders gewesen als jetzt. So wie hier im Krankenhaus gefiel er mir viel besser, den mochte ich und in seiner Umarmung fühlte ich mich geborgen. Den Sebastian von gestern Abend hätte ich am liebsten auf den Mond geschossen. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und atmete tief ein. Sein ganz eigener Geruch beruhigte mich etwas.

Er ließ mich aus seinen Armen, hielt aber meine Hand noch fest, als sich Doktor Flenning von uns verabschiedete.

»So, ich muss auch weiter, wir sehen uns ja spätestens Samstagabend zum Essen, Maddie. Lass dich von meinem Sohn nicht ärgern«, verabschiedete sich dann auch William und lächelte mir noch einmal aufmunternd zu.

Sebastian übernahm es, Paula und mich zurück zum Zimmer zu begleiten.

»Ich hoffe, du hast heute Morgen meinen Brief und die anderen Sachen gefunden und schnell ein Taxi bekommen«, meinte er beiläufig.

»Ja, danke. Den Brief und die anderen Sachen habe ich gefunden«, antwortete ich, dass ich kein Taxi gerufen hatte, erzählte ich ihm nicht. Er musste ja nicht wissen, wie dämlich ich mich in der U-Bahn angestellt hatte.

Als wir im Flur ankamen, auf dem Paulas Zimmer lag, sah ich schon Landon vor der Tür warten.

»Maddie!«, rief er begeistert.

»Mann, Kleines, ich freue mich so, dich zu sehen!« Er kam schnell auf uns zu und nahm mich einfach in den Arm. Ich schmiegte mich an ihn und obwohl wir uns ewig nicht gesehen hatten, fühlte es sich prima an, endlich einen Freund und Vertrauten hier bei mir zu haben.

Erst als wir alle wieder in Paulas Zimmer waren und er mich losließ, fiel mir Sebastians Gesicht auf. Er sah verdammt sauer aus, sodass ich schlucken musste. Was hatte er nur? Landon begrüßte derweil Paula, als wäre sie wach und würde ihn genau verstehen. Er hatte ihr ein Plüschtier mitgebracht und scherzte sogar etwas mit ihr, als würde sie auf ihn reagieren. Damit brachte er mich zum Lächeln.

»Landon, darf ich dir Sebastian Baker vorstellen? Er ist Paula behandelnder Arzt und ein Freund. Sebastian, darf ich dir Landon Scott vorstellen? Er ist mein Anwalt und ein alter Freund von mir«, stellte ich die beiden einander vor, als Landon sich wieder von Paula ab und sich uns zuwandte.

»Freut mich«, grinste Landon ihn an. Wenn Blicke töten könnten, wäre er wohl schon umgefallen, so wie Sebastian ihn anstarrte.

»Mich auch«, knurrte dieser fast und ich war mir nicht sicher, was er danach noch murmelte.

Verwirrt sah ich ihn an. Was hatte er denn jetzt wieder? Landon warf mir auch einen fragenden Blick zu, aber ich konnte nur mit den Schultern zucken. Ich wusste ja selber nicht, was mit Sebastian los war.

»Können wir dann essen gehen, Maddie?«, fragte Landon.

»Ich dachte, du isst mit mir«, mischte Sebastian sich ein. Hilflos zuckte ich mit den Schultern.

»Du hattest nichts gesagt und deshalb habe ich mich mit ihm zum Mittagessen verabredet«, antwortete ich und blickte zwischen den beiden hin und her.

»Wir können ja auch zu dritt ins Restaurant gehen«, schlug Landon diplomatisch vor, scheinbar merkte er, dass ich Sebastian nicht verstimmen wollte. Dafür lächelte ich ihn dankbar an. Ich wusste zwar nicht, was mit ihm los war, aber ich war nun mal auf ihn angewiesen. Er sagte erst nichts und ich musste ein Seufzen unterdrücken.

»Bitte, Sebastian, lass uns zu dritt gehen«, bat ich ihn.

»Nein, geht ihr mal. Ich muss auch noch etwas erledigen. Aber heute Abend gehörst du mir!«, sagte er und als ich mich gerade fragte, was genau er damit meinte, küsste er mich einmal fest auf den Mund.

»Bis später, Maddie. Auf Wiedersehen, Mr. Scott«, sagte er, drehte sich um und ging aus dem Zimmer. Als die Tür hinter ihm zugefallen war, grinste Landon mich an.

»Hast du mir etwas zu sagen, Maddie?«, grinste er anzüglich.

»Dein Doktor scheint ganz schön eifersüchtig zu sein. Warum hast du mir nicht erzählt, dass du einen Freund hast?« Ich zögerte, was sollte ich ihm nur sagen? Mir war zwar klar gewesen, dass ich vor Sebastians Familie und vor Fremden schauspielern musste, aber vor meinen Freunden? Aber die Wahrheit konnte ich ihm ja auch nicht erzählen.

»Nun hör auf, herumzuzappeln, Maddie«, lachte er.

»Das hast du schon immer gemacht, wenn du ein Geheimnis hattest oder versucht hast zu lügen. Du musst mir ja nicht sagen, was zwischen dir und dem Doktor läuft. Und egal was da läuft, genieß es einfach. Du kannst etwas Aufmunterung gebrauchen, nachdem was John, das Arschloch euch angetan hat und brauchst dich nicht zu rechtfertigen.«

Wenn Landon wüsste … Wahrscheinlich würde er auf Sebastian losgehen, wenn er erfuhr, wie dieser meine Situation ausnutzte. Deshalb hielt ich erst einmal lieber meinen Mund, sollte er sich lieber etwas Falsches zusammenreimen. Bis zum Restaurant lief das auch gut, wir redeten über alles Mögliche. Über die Vergangenheit, Paula, Andrew und sogar etwas über John, wobei er sich darüber auch ganz schön aufregte. Als wir das Restaurant in der Nähe des Krankenhauses betraten, sah ich dort schon Sebastians Schwester, mit einer anderen Frau an einem Tisch sitzen. Sie sah mich natürlich auch sofort und diesmal war ich es, die mit Blicken erdolcht wurde. Dabei tuschelte sie aufgeregt mit der Frau, die mit ihr am Tisch saß. Ich fragte mich, ob ich sie begrüßen sollte, aber ihre Blicke hielten mich davon ab.

»Kennst du die?«, fragte er, während wir uns setzten, als er sah, wie Elizabeth und ich uns Blicke zuwarfen. Seufzend nickte ich.

»Das ist Sebastians Schwester«, erklärte ich ihm.

»Ich glaube, sie kann mich nicht leiden. Dabei kennen wir uns gar nicht, ich habe sie erst einmal kurz getroffen.« Landon sah noch einmal zu Lizzys Tisch hinüber.

»Schade, weißt du, ob sie Single ist? Die Frau ist heiß. Kannst du uns trotzdem vorstellen?«, grinste er und brachte mich damit zum Lachen. Das war mal wieder so typisch für ihn. Ich boxte ihn leicht gegen den Oberarm, musste dabei aber immer noch lachen.

Es tat so gut, ihn wieder zu sehen. So viel wie heute hatte ich ewig nicht gelacht und so entspannt hatte ich mich auch lange nicht gefühlt. Am liebsten hätte ich die Situation genutzt, um ihm alles zu erzählen, aber ich konnte es einfach nicht. Landon hätte mich wahrscheinlich nicht gleich verurteilt, aber verstanden hätte er es bestimmt nicht und wenn er Sebastian deshalb zur Rede stellen würde, wäre wahrscheinlich alles aus. Ich durfte es einfach niemandem erzählen und das bedrückte mich. Er hatte meinen Stimmungsumschwung natürlich gleich bemerkt.

»Komm, Maddie, nun wird nicht Trübsal geblasen. Dein Doktor hilft Paula und dann wird alles wieder gut«, versprach er mir. Ich lächelte ihn dankbar an. Gut, dass er nicht wusste, warum ich wirklich traurig war.

»Wann ist die Operation?«, fragte er.

»Wahrscheinlich Montag«, seufzte ich.

»Und ich habe riesige Angst, dass sie danach immer noch nicht wach wird, dass alles umsonst war.« Nun kämpfte ich wirklich mit den Tränen.

»Und die Wartezeit alleine vor dem OP macht mich jetzt schon wahnsinnig.«

Landon hielt einfach meine Hand und streichelte sanft darüber.

»Ich habe Montag keinen wichtigen Termin«, meinte er plötzlich.

»Weißt du was? Ich nehme mir einfach Montag frei und stehe dir bei, damit du nicht alleine warten musst. Dein Doktor wird ja nicht bei dir sein können, sondern sich um Paula kümmern.«

Ich vergaß völlig, wo wir waren und wer uns sah, stand von meinem Stuhl auf und fiel ihm um den Hals.

»Danke!«, flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme. Landon rieb mir sanft über den Rücken.

»Kein Problem, Kleines, wofür hat man Freunde«, sagte er grinsend und schob mich etwas von sich weg, da die Kellnerin in unsere Richtung kam.

»So, und nun lass uns bestellen, ich sterbe vor Hunger.« Das brachte mich dann schon wieder zum Lachen, in Landons Gegenwart konnte man einfach nicht lange traurig sein.

Während wir auf unser Essen warteten, redeten wir über die Scheidung. Da wir uns durch die Anwälte geeinigt hatten, ging nun alles sehr schnell. John hatte die Papiere schon unterschrieben und das musste ich in den nächsten Tagen auch tun. Wenn das erledigt war, würde es nicht lange dauern, bis wir einen Termin vor Gericht hier in New York haben würden. Da ich wegen Paula nicht hier wegkonnte, hatten sich die Anwälte darauf geeinigt, dass alles hier geregelt werden konnte. Landon teilte mir dann auch noch mit, dass John mir Unterhalt für Paula zahlen müsste und er darauf auch bestehen würde, schließlich stand ihr das Geld zu. Bei dieser Nachricht fiel mir ein riesen Stein von der Seele, so hätte ich wenigstens etwas eigenes Geld, bis ich wieder arbeiten konnte.

»Landon, weißt du nicht etwas, wo ich arbeiten könnte? Nur ein paar Stunden und möglichst viel von zu Hause beziehungsweise vom Krankenhaus am Computer aus?«, fragte ich ihn.

»Ich will mich nicht von Sebastian abhängig machen.« So viel konnte ich ja wohl sagen. Landon wusste leider nichts, aber er versprach sich umzuhören.

»Was läuft da eigentlich zwischen dir und dem Doktor?«, fragte er daraufhin natürlich prompt. Ich verwünschte mich, dass ich das Thema überhaupt angesprochen hatte.

»Das Ganze ging doch jetzt echt schnell bei euch, so kenne ich dich ja gar nicht.« Was sollte ich darauf nur antworten?

Ich versuchte, so nah es ging, an der Wahrheit zu bleiben.

»Wir haben uns in Los Angeles im Krankenhaus kennengelernt, als ich in ihn hinein gelaufen bin«, fing ich an zu erzählen und Landon lachte laut.

»Na, das ist doch mal wieder typisch für dich«, meinte er. Er kannte mich schließlich, in der Highschool war ich ständig gestolpert oder hatte andere Leute versehentlich angerempelt.

»Und weiter?«

»Na ja, wir haben uns öfter getroffen, schließlich kümmerte er sich auch um Paulas Fall und er war immer sehr nett zu mir …«, ich rang nach Worten, was nur sollte ich ihm erzählen? Er lachte schon wieder.

»Lass gut sein, Kleines, ich kann es mir vorstellen. Aber was mich wundert, ist, dass du bei ihm lebst. Wie kommt es denn dazu?«, bohrte er weiter. Ich stammelte irgendetwas von, kein Geld für ein Hotel und Gästezimmer. Zum Glück gab er sich damit ziemlich schnell zufrieden, sodass ich etwas aufatmen konnte.

»Auf jeden Fall scheint dein Doktor ganz schön eifersüchtig zu sein«, meinte Landon gerade, als Elizabeth zu uns herüber kam. Daran, dass sie auch hier im Restaurant war, hatte ich schon gar nicht mehr gedacht. Sie blieb an unserem Tisch stehen und sah mich böse an.

»Dass eine Frau, die mein Bruder anschleppt, nicht besonders verantwortungsbewusst sein kann, dachte ich mir ja schon. Aber dass Sie bei ihm leben und dann hier mit fremden Männern flirten und lachen, das hätte ich nicht gedacht. Was sind Sie überhaupt für eine Mutter? Sie sollten bei Ihrem Kind sein und sich nicht fremden Männern an den Hals werfen«, warf sie mir in einem eiskalten Tonfall vor. Ich sah rot und sprang auf. Am liebsten wäre ich ihr an die Gurgel gesprungen. Wie konnte sie es wagen?

»Sie kennen mich gar nicht, also hören Sie auf, über mich zu urteilen…«, schrie ich sie nahezu an und wollte gerade fast hinzufügen, dass sie ja gar nicht wusste, was ich alles für mein Kind tat, konnte es aber gerade noch herunter schlucken. Gerade das durfte sie ja nicht wissen. Ich bebte vor Wut, aber zum Glück unterbrach Landon mich, denn die Leute starrten uns schon alle an.

»Nett, Sie kennenzulernen, Miss Baker. Ich bin Landon Scott«, sagte er höflich.

»Ich weiß ja nicht, wo Sie fremde Männer sehen, aber Maddie und ich kennen uns schon ewig, wir sind zusammen zur Highschool gegangen. Ach übrigens, ich bin ihr Anwalt und Rufschädigung kann teuer werden.« Er streckte ihr wirklich die Hand hin und grinste dabei frech, als hätte er ihr nicht gerade indirekt gedroht, sie zu verklagen.

Elizabeth schaute ihn erst an, als ob er giftig wäre, griff dann aber doch nach seiner Hand.

»Freut mich«, murmelte sie, allerdings klang ihre Stimme dabei gar nicht erfreut. Was hatte diese Frau nur für ein Problem?

»Setzen Sie sich doch noch auf einen Kaffee zu uns«, forderte er sie auf einmal sehr höflich auf. Sie zierte sich und ehe sich das ewig hinziehen würde, kam mir eine Idee.

»Ich muss jetzt schnell wieder zu Paula, Landon. Es war schön, dich zu treffen. Trink doch noch einen Kaffee alleine mit Miss Baker, wenn sie mag«, schlug ich vor und erhob mich.

»Ok, Maddie, wir sehen uns dann Montag, teilst du mir die Uhrzeit der OP mit?«, fragte er und ich nickte. Elizabeth zögerte zwar noch etwas, sich zu setzen, sagte dann aber zu und ich verabschiedete mich von den beiden, nachdem ich es aufgegeben hatte, mein Essen bezahlen zu wollen. Landon bestand darauf, mich einzuladen.

Ich lief zum Krankenhaus zurück und wenig später saß ich wieder an Paulas Bett und las ihr aus einem Buch vor, das ich unterwegs gekauft hatte. An Buchhandlungen konnte ich schon immer schlecht vorbeigehen. Dort hatte ich auch eines von Paulas Lieblingsbüchern gekauft, das ich ihr nach der Operation vorlesen wollte, in der Hoffnung, dass ich ihr damit vielleicht eine Freude machen könnte. Meine Hoffnung war immer noch, dass sie nach der OP ganz die Alte sein würde, aber die Angst war groß, dass sie es nicht mehr sein würde.

Der Nachmittag verging schnell, ich telefonierte kurz mit meinem Vater und versuchte meine Mutter zu erreichen, leider erfolglos. Ansonsten kam nur ab und zu eine Schwester vorbei, den Rest der Zeit waren wir ganz alleine. Es war, als lebten wir in einer völlig fremden Welt, die mit der lauten und hektischen Stadt New York, nichts zu tun hatte. Irgendwann ging die Zimmertür auf und Sebastian kam herein.

»Ich habe Feierabend, wollen wir nach Hause gehen?«, fragte er kurz angebunden und nicht gerade freundlich. Kurz bekam ich Panik, wollte er mich nach Aptos zurückschicken? Dann ging mir ein Licht auf. Er meinte wohl einfach seine Wohnung. Wie Zuhause fühlte die sich bestimmt nicht an, dafür war mir die Wohnung viel zu kalt und steril, aber das sagte ich ihm lieber nicht. Stattdessen packte ich meine Sachen zusammen und verabschiedete mich von Paula. Auch Sebastian strich ihr kurz über die Hand und sagte »Tschüss«, damit überraschte er mich mal wieder.

Kaum hatten wir den Flur betreten, legte er seinen Arm um mich und setzte ein Lächeln auf. Mr. Stimmungsschwankung wollte wohl allen zeigen, was wir für ein glückliches Paar waren. Wir begegneten auch einigen Leuten, bis wir das Krankenhaus verlassen hatten und viele grüßten Sebastian und er grüßte zurück. Ich lächelte einfach artig und sagte nichts, dabei überlegte ich, warum er nicht einfach eine Schaufensterpuppe spazieren führte, der er ein nettes Lächeln aufgemalt hatte.

Wir stiegen in ein Taxi und fuhren zu Sebastians Wohnung, dabei sprachen wir kaum miteinander. Das Schweigen war unangenehm, aber ich wusste auch nicht, worüber ich mit ihm hätte reden sollen. Bisher kannte ich ihn ja kaum, allerdings bemerkte ich, dass er erschöpft wirkte.

»Ich gehe erst einmal duschen, danach können wir uns etwas zu Essen bestellen«, sagte Sebastian, kaum dass wir die Wohnung betreten hatten.

»Fühl dich ganz wie zu Hause.« Er zeigte dabei auf den Fernseher und das Bücherregal, dann verschwand er einfach in seinem Zimmer und ließ mich allein. Schon wieder Essen bestellen? Ich bekam große Lust, endlich mal wieder etwas Normales zu tun und selber zu kochen. Ob Sebastian wohl etwas dagegen hätte? Aber er hatte ja gesagt, dass ich mich wie zu Hause fühlen sollte, also sah ich mich einfach in der Küche um. Frisches Obst oder Gemüse gab es nicht, aber im Tiefkühler fand ich Steaks und Kartoffelspalten. Kochen war das zwar nicht wirklich, aber wenigstens beschäftigte mich das ein wenig. Ich beschloss, am nächsten Morgen erst einmal einige Lebensmittel einkaufen zu gehen, während ich die Sachen in der Mikrowelle auftaute. So würde ich in Zukunft abends kochen können, schließlich konnte ich mich ja nicht jeden Tag zum Essen einladen lassen. Die gewohnten Handgriffe machten mit Spaß, ich hatte schon immer gerne gekocht, allerdings waren Sebastians Küchenschränke teilweise etwas seltsam eingeräumt, sodass ich viel suchen musste. Ich wollte ihn später fragen, ob ich sie umräumen durfte, ansonsten würde ich mich mit der Zeit schon daran gewöhnen.

Als er aus der Dusche kam, war das Essen fast fertig. Er trug nur eine Jogginghose, die tief auf seinen Hüften saß und war ansonsten nackt. Seine Haare waren noch feucht und standen nach oben ab, ein paar Tropfen fielen auf seinen nackten Oberkörper und liefen langsam über seine Brust hinunter. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und meine innere Stimme mahnte mich, nun nicht auch noch zu sabbern. Fast hätte ich sogar das Essen über seinen Anblick vergessen.

»Du kochst?«, fragte er verwundert und brachte mich damit zurück in die Realität.

»Ähm … Ich hoffe, du hast nichts dagegen?«, fragte ich unsicher, doch er schüttelte nur lachend den Kopf.

»Was sollte ich dagegen haben?«, fragte er und mopste eine Kartoffelspalte aus der Pfanne.

»Als ich sagte, fühl dich wie zu Hause, meinte ich aber nicht, dass du das tun müsstest. Aber ich freue mich darüber.« Ich richtete das Essen an und er schnappte unsere Teller und trug sie zum Esstisch.

»Außer meiner Mutter hat noch nie eine Frau für mich gekocht«, sagte er mit einem seltsamen Unterton, als er sich setzte.

»Ich hoffe, dass du mich nun nicht ›Mom‹ nennen möchtest«, zog ich ihn auf.

»Garantiert nicht«, sagte er mit einem verheißungsvollen Lächeln auf dem Gesicht. Oh Mann, dieser Kerl hatte wirklich viele Gesichter, aber das, welches er im Moment zeigte, mochte ich, denn ich wusste, dass er jetzt nicht nur zur Show für andere, nett zu mir war. Während des Essens redeten wir über alles Mögliche und lernten uns dadurch etwas besser kennen. Wir hatten überraschenderweise in vielen Dingen den gleichen Geschmack.

Allerdings sprachen wir kaum über unsere jetzige Situation und genau das war es, worüber ich mit ihm reden wollte.

»Du hättest mich heute im Krankenhaus ruhig vorwarnen können, dass du mich gleich allen als deine Freundin vorstellst«, fing ich das Gespräch an und sofort verdüsterte sich seine Miene.

»Wolltest du das deinem Freund etwa verschweigen?«, fragte er mich gereizt. Ich seufzte.

»Ich meinte ja nicht nur vor Landon, obwohl das für mich nicht einfach war. Schließlich …« Doch Sebastian ließ mich gar nicht aussprechen.

»Schließlich was?«, schrie er fast und sprang dabei auf.

»Schließlich willst du was von ihm? Das kannst du dir abschminken, solange du meine Freundin spielst!«

Ich sprang ebenfalls auf und funkelte ihn böse an.

»So ein Schwachsinn …« Doch wieder ließ Sebastian mich meinen Satz nicht zu Ende bringen.

»Schwachsinn? Ich geb dir gleich Schwachsinn. Solange du meine Freundin spielst, vögelst du keinen Anderen!«

Konnte dieser Idiot nicht einmal zwei Minuten den Mund halten und mich aussprechen lassen?

»Dürfte ich jetzt wenigstens einmal einen Satz zu Ende sprechen?«, motzte ich ihn an.

»Das hast du ja gerade!«, fauchte er zurück und fuhr sich mit der Hand durch seine Haare, die dadurch noch verstrubbelter aussahen als zuvor. Der Kerl war so was von frustrierend. Ich stellte mich nun dicht vor ihn und legte ihm einen Finger auf den Mund.

»Nun lass mich doch bitte erklären!«, forderte ich mit etwas ruhigerer Stimme.

»Was gibt es da noch zu erklären?«, fragte er und biss mir doch tatsächlich leicht in den Finger. Sofort prickelte mein ganzer Körper.

»Bitte«, versuchte ich es noch einmal, doch Sebastian ließ mich nicht erklären, sondern küsste mich einfach leicht auf den Mund. So würden wir das Thema nie geklärt kriegen. Frustriert stöhnte ich auf, doch er interpretierte das Stöhnen wohl anders, denn er fing an, an meiner Unterlippe zu knabbern. Ein wonniger Schauer nach dem anderen lief mir über den Körper. Ach scheiß drauf! Warum sollten wir uns auch mit Reden aufhalten? Ich öffnete meinen Mund und ließ seine Zunge hinein, unser Kuss wurde immer wilder und kurz darauf lagen wir auf dem roten Sofa. Ich wusste gar nicht, wie wir dorthin gekommen waren, aber das war mir auch egal, als Sebastians Hand unter mein Shirt wanderte. Reden konnten wir auch später noch.

Sebastians Küsse wurden immer drängender und seine Finger, die mittlerweile an meinen Brüsten angekommen waren, wurden immer fordernder. Kurz zog er sich etwas von mir zurück und riss mir fast das Shirt vom Leib, dann öffnete er gekonnt den BH und streifte ihn mir ab.

»Darauf habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut«, flüsterte er und drückte dann sein Gesicht in meine Halsbeuge und atmete tief meinen Geruch ein. Meine Hände wanderten wie von selbst in seine Haare und zogen leicht daran. Sebastian knurrte fast an meinem Hals und biss mir zur Antwort leicht in die Schulter. Das brachte mich zum Kichern und ich ließ den Kopf in den Nacken fallen. Er nutzte diese Gelegenheit und küsste sich von meiner einen Schulter, über den Hals zur anderen. Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken, vor allem, als er meine Kehle küsste.

Ich ließ seine Haare los und meine Finger wanderten über seinen Hinterkopf und Nacken, soweit ich nach unten kam. Da er aber tiefer rutschte und sich nun zu meinen Brüsten vortastete, kam ich nicht weit, sondern krallte meine Finger wieder in seine Haare, um leicht daran zu ziehen. Er zwirbelte meinen linken Nippel mit den Fingern, während er den rechten in den Mund nahm und fest daran saugte. Ich bog meinen Rücken durch, als das Gefühl von meinen Brüsten in meinen Unterleib schoss. Unsere Kleider flogen durch den Raum und dann trug Sebastian mich in sein Bett.

 

Kapitel 12

Als mich etwas weckte, war es schon hell im Zimmer. Ich wollte mich aufrichten, um nachzusehen, warum ich aufgewacht war, aber das ging nicht. Sebastian, der tief und fest schlief, hatte seine Beine auf meine gelegt und seine Arme um mich geschlungen, mein Kopf lag dabei auf seiner Brust. Wie war ich denn hier her gekommen? Ich wusste es wirklich nicht mehr. Warum lag ich in seinem Bett und nicht im Gästezimmer?

Während ich noch darüber nachdachte, fing das Telefon auf Sebastians Nachttisch an zu klingeln. Scheinbar nicht zum ersten Mal, denn ich glaubte, dass dies Geräusch mich auch geweckt hatte. Nun wurde auch Sebastian munter und schaute mich erstaunt an. Augenblicklich ließ er mich los und rollte sich weg, sowie ich meinen Kopf von seiner Brust genommen hatte.

»Baker!«, brummelte er verschlafen ins Telefon und saß gleich darauf aufrecht im Bett.

»Was? … Mist! … Notfall? … Ja, schon in Ordnung. Sie können nichts dafür«, fluchte er ins Telefon, dann sah er mich an.

»Mein Vater ist auf dem Weg nach oben«, grummelte er und stand auf. Dann ging er zu einer Kommode und zog eine Unterhose heraus, die er sich schnell überzog.

»Zieh dir was von mir über!«, befahl er.

»Mein Vater hat einen Schlüssel und wird wohl gleich da sein, denn das war schon der zweite Versuch des Pförtners, mich anzurufen.« Während er sprach, lief er hektisch durchs Zimmer und zog sich schnell an. Dann warf er mir ein Shirt, eine Jogginghose und eine Unterhose zu.

»Zieh das an«, sagte er kalt. »Ich versuche, schnell unsere Sachen aus dem Wohnzimmer zu räumen, ehe mein Vater darüber stolpert.«

Er verließ das Zimmer und schloss die Tür schnell hinter sich. Ich saß immer noch wie betäubt in seinem Bett. Warum kam William so früh am Morgen hierher? Ich warf einen Blick auf Sebastians Wecker und erschrak. Erst sechs Uhr dreißig und dann bekam ich einen Schock, als mir bewusst wurde, was Sebastian am Telefon gesagt hatte. Notfall! Er hatte etwas von einem Notfall gesagt und William war hier. Ob etwas mit Paula war? Ich sprang geradezu aus dem Bett.

Schnell lief ich ins Bad, machte mich in Blitzgeschwindigkeit frisch und sprang regelrecht in die Klamotten, natürlich waren mir Sebastians Sachen viel zu groß. Ich musste die Hosenbeine und die Ärmel mehrmals umkrempeln und das Band der Hose sehr fest ziehen, damit ich sie nicht verlieren würde, aber es würde schon gehen. So schnell ich konnte, lief ich aus dem Zimmer, hinaus ins Wohnzimmer.

»Guten Morgen, Maddie. Entschuldige bitte, dass ich euch geweckt habe. Ich dachte ja, du würdest im Gästezimmer schlafen«, begrüßte William mich und grinste wissend. Ich lief knallrot an. Na super! Natürlich wusste er jetzt, dass ich bei und mit seinem Sohn geschlafen hatte, schließlich kam ich in Sebastians Sachen aus seinem Schlafzimmer.

»Guten Morgen, William«, flüsterte ich beschämt.

»Ist etwas mit Paula?« Das war nun erst einmal das Wichtigste für mich. Sollte William doch denken, was er wollte, schließlich war er Sebastians Vater und nicht meiner.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752115543
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (September)
Schlagworte
Young Adult Liebesroman Arzt Sammelband Bundle Arztroman Familie Liebe New Adult Stiefgeschwister

Autor

  • Alina Jipp (Autor:in)

Alina Jipp wurde 1981 in einem kleinen Ort im Harz geboren und lebt, nach einigen Jahren an der Nordsee, nun mit ihren Kindern wieder dort. Sie liebt beides, die See und die Berge und würde am liebsten ständig pendeln. Das Schreiben ist ihr Ausgleich vom oft sehr stressigen Alltag, auch wenn sie erst 2013 damit angefangen hat, nun kann sie nicht mehr damit aufhören.