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Seattle Moments

Liebesroman

von Rachel Callaghan (Autor:in)
160 Seiten
Reihe: Moments, Band 2

Zusammenfassung

Eine romantische Geschichte über Liebe, Puderzucker und Wasserpfützen. Nach längerer Abwesenheit kehrt Beverly Greenwall für eine Stelle als Redakteurin eines Lifestyle-Magazins in ihre Heimatstadt Seattle zurück. Sie will sich erstmal eingewöhnen und ihre Karriere in Schwung bringen, für eine Beziehung fehlen ihr Zeit und Lust. Doch dann trifft sie morgens in ihrer Küche auf den smarten Matthew Miller, der seelenruhig und nur mit Shorts bekleidet einen Kaffee schlürft. Ganz langsam lichtet sich der Schleier: Wie konnte sie sich nur auf einen One-Night-Stand mit einem Kerl einlassen, der überhaupt nicht ihr Typ ist? Schnell wimmelt sie ihn ab und ist froh, als er die Türe hinter sich schließt. Der junge Start-up-Gründer hat jedoch Feuer gefangen und lässt erst locker, als er die sich sträubende Beverly zu einem Date überreden kann. Langsam nähern sich die beiden an, doch ein dunkles Kapitel aus Beverlys Vergangenheit hindert sie daran, sich ganz auf ihn einzulassen. Schafft es Matthew, ihre Zweifel zu zerstreuen und sie für sich zu gewinnen?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seattle Moments

 

 

 

 

 

Rachel Callaghan

Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Nachwort

Leseprobe Fremde Angst – Burns Creek

Leseprobe Fremde Angst – Nemesis

Impressum

 

Über das Buch

 

 

Eine Geschichte von Liebe, Puderzucker und Wasserpfützen.

 

Nach längerer Abwesenheit kehrt Beverly Greenwall für eine Stelle als Redakteurin eines Lifestyle-Magazins in ihre Heimatstadt Seattle zurück. Sie will sich erstmal eingewöhnen und ihre Karriere in Schwung bringen, für eine Beziehung fehlen ihr Zeit und Lust.

Doch dann trifft sie morgens in ihrer Küche auf den smarten Matthew Miller, der seelenruhig und nur mit Shorts bekleidet einen Kaffee schlürft. Ganz langsam lichtet sich der Schleier: Wie konnte sie sich nur auf einen One-Night-Stand mit einem Kerl einlassen, der überhaupt nicht ihr Typ ist? Schnell wimmelt sie ihn ab und ist froh, als er die Türe hinter sich schließt. Der junge Start-up-Gründer hat jedoch Feuer gefangen und lässt erst locker, als er die sich sträubende Beverly zu einem Date überreden kann.

Langsam nähern sich die beiden an, doch ein dunkles Kapitel aus Beverlys Vergangenheit hindert sie daran, sich ganz auf ihn einzulassen.

 

Schafft es Matthew, ihre Zweifel zu zerstreuen und sie für sich zu gewinnen?

Kapitel 1

 

 

Beverly

 

Verdammt, warum dröhnte es in meinem Schädel, als würde ich unter einer startenden Boeing 747 liegen? Ach ja, die Party gestern. Natürlich hatte ich wieder kein Ende finden können und musste nach dem fünften auch noch den sechsten und was weiß ich wievielten Longdrink in mich hineinkippen. Ganz zu schweigen von den Tequilas zwischendurch. Sauber! Ich würde einen verflucht guten Eindruck in meiner neuen Firma schinden können, wenn ich bereits in der zweiten Woche mit dunklen Augenrändern und einer verkaterten Stimme aufschlug. Doch das Jammern half mir jetzt auch nicht weiter, daher quälte ich mich aus dem Bett und bugsierte mich, mich am Handlauf festhaltend, die Treppe zum Erdgeschoss hinab in Richtung Küche. Kaffee! Der würde mich retten. Hoffentlich. Aber warum bitte roch es schon im Flur danach? Hatte ich heute Nacht noch einen gekocht und stehengelassen? Nein, unmöglich. Oder doch? Keine Ahnung. War etwa Audrey um diese Uhrzeit schon wach? Nein, auch das schloss ich aus, denn meine Mitbewohnerin und beste Freundin schlug nur in den seltensten Fällen vor Mittag auf, da sie nachts arbeitete. Ein seltsames Gefühl der Neugierde beschlich mich, als ich mich der Küchentür näherte.

»Hey, guten Morgen, wie trinkst du ihn? Schwarz oder mit Milch und Zucker?«, hörte ich den fremden Mann fragen, der sich, offensichtlich frisch geduscht und nur mit Boxershorts bekleidet, ein Frühstück an meinem Esstisch gönnte. Als wohnte er hier. Nach einem kurzen Schreck folgte die Ernüchterung in Form der wiederkehrenden Erinnerung. Ich hatte ihn mit nach Hause genommen, stimmt. Aber wieso? Hm, um ... keine Ahnung, ihn zu vögeln? Mein Gedächtnis setzte in dem Moment aus, als wir das Taxi vor meinem Haus verlassen hatten. Ein dumpfes Pochen hinter meiner Stirn erschwerte mein Denken und ich rieb fest mit der Hand darüber, als könnte ich den Schmerz dadurch hinauspressen.

»Du musst gehen«, sagte ich emotionslos, trat an ihn heran, nahm die Kaffeetasse aus seiner Hand und kippte die dampfende Flüssigkeit zur Hälfte hinunter. »Jetzt.« Unbeeindruckt davon stand er auf, lächelte mich mit seinen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen unverschämt an und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Arbeitsplatte. Ihm hingen Strähnen seines dunklen Haars wild im Gesicht und der schlanke, drahtige Körper zog meinen Blick magnetisch an. Kopfschüttelnd zwang ich mich, nicht länger hinzusehen.

»Jetzt sofort? Darf ich noch meinen Kaffee austrinken?« Er deutete mit dem Kopf auf die Tasse, ich folgte seinem Blick und trank den Rest. Danach drehte ich sie um, woraufhin die letzten Tropfen auf die Fußbodenfliesen fielen.

»Er ist ausgetrunken. Ich muss duschen und du musst gehen«, wiederholte ich, während ich aus der Küche schlurfte. Viel deutlicher konnte ich ihm doch nun wirklich nicht klarmachen, dass er verduften sollte.

»Hey«, rief er mir hinterher, »bekomme ich deine Nummer oder verrätst du mir wenigstens deinen Namen?«

»Du musst jetzt gehen«, sagte ich zum dritten Mal und kam mir langsam vor, als würde ich mit einem Kleinkind reden. Was stimmte nicht mit dem Typen?

Zurück in meinem Zimmer fiel mein Blick auf seine Klamotten, die er wohl heute Nacht auf dem Stuhl vor meinem Schminkspiegel abgelegt hatte. Ich griff danach, schnappte seine Lederschuhe und warf alles die Treppe hinunter.

»Danke«, hörte ich ihn fröhlich von unten rufen und fragte mich erneut, ob der Typ noch alle Tassen im Schrank hatte, wenn er so reagierte. Hätte das andersherum jemand mit mir gemacht, würde er sich unter einer Kanonade aus Beschimpfungen und Beleidigungen wiederfinden. Ihm, der mich optisch an den jungen Keanu Reeves erinnerte, schien es jedoch überhaupt nichts auszumachen. Umso besser, dachte ich mir und schleppte mich unter die Dusche.

Es war nicht mein erster One-Night-Stand gewesen, wobei ich auch nicht behaupten würde, bezüglich dessen über einen großen Erfahrungsschatz zu verfügen – jedenfalls nicht in der klassischen Version. Aber es war das erste Mal, dass ein Blackout meine Erinnerungen daran gelöscht hatte. Was ich einerseits begrüßte, andererseits etwas schade fand, da er irgendwie doch verdammt niedlich war. Das kalte Wasser aus dem Brausekopf traf auf meine Haut und ließ mich kurz zusammenzucken, doch im nächsten Moment hatte ich mich daran gewöhnt und ich spürte von Sekunde zu Sekunde, wie meine Lebensgeister zurückkehrten und es in meinem Kopf wieder normal zu arbeiten begann.

 

***

 

 

Matthew

 

Die Frau war ein Knaller. Aber sie schien ein kleines Alkoholproblem zu haben, denn offensichtlich hatte sie mich nicht wiedererkannt, obwohl sie es war, die mich heute Nacht an der Bar angegraben und schließlich mit nach Hause genommen hatte. Nicht, dass ich mich gewehrt hätte – sie sah in ihrem roten Cocktailkleid klasse aus und unsere Unterhaltung war wirklich äußerst witzig. Obwohl, oder vielleicht gerade weil sie zum großen Teil daraus bestand, dass wir uns über die anderen Gäste des Clubs amüsierten.

»Ich denke, wir sollten uns aus diesem Zirkus verabschieden, bevor ich noch einen Krampf vom Dauergrinsen bekomme«, hatte sie irgendwann vorgeschlagen. Sie hätte noch eine Flasche Rotwein zu Hause, die dringend geleert werden müsste. Dem konnte ich nicht widerstehen und wenig später saßen wir bereits im Taxi. Zugegeben, auch ich hatte den einen oder anderen Drink zuviel und so verlief der Rest des Abends doch anders, als ich erwartet hatte.

Nachdem ich heute Morgen von einem höllischen Nachdurst und dem Knurren meines Magens geweckt wurde, musste ich mich erstmal orientieren. Im ersten Moment war ich etwas überrascht, als ich registriert hatte, in einem fremden Bett und überdies nicht allein geschlafen zu haben. Doch schnell überkam mich ein Lächeln, als ich sie beim Schlafen beobachtete, wie sie gleichmäßig atmete, nur ab und zu durch einen kleinen Schnarcher unterbrochen. Wer war diese Frau, deren langes, brünettes Haar gerade die Hälfte ihres fein geschnittenen Gesichts verdeckte und die mich gestern abgeschleppt hatte? Mein Blick schweifte durch das von der Morgensonne in weiches Licht getauchte Schlafzimmer. Es war sauber und tadellos aufgeräumt, keine Spinnwebe in den Ecken und auch die schlierenfreie Fensterscheibe ermöglichte eine freie Sicht nach draußen. Akkurat angerichtete Deko auf dem Sims und der angrenzenden Kommode rundeten das schon fast spießige Bild ab, das zu der Frau von heute Nacht so überhaupt nicht passen wollte.

Leise stieg ich aus dem Bett und schlich die Treppe hinunter.

»Guten Morgen, Fremder«, hörte ich eine weibliche Stimme hinter mir sagen und erschrak ein wenig. Ich wandte mich zu ihr und erst jetzt hörte ich das Rauschen der Toilettenspülung. »Ich bin Audrey«, verkündete sie und schlurfte in ihrem viel zu großen T-Shirt, das bis zu den Knien reichte, an mir vorbei. »Und muss jetzt weiterschlafen.«

»Matt«, erwiderte ich und schaute ihr hinterher, wie sie durch eine Tür verschwand. Würde wohl eine Wohngemeinschaft sein, schoss es mir durch den Kopf und ich war gespannt darauf, wer mir noch so alles begegnen würde.

Die nächsten Minuten verbrachte ich ungestört damit, mir einen Kaffee zu kochen und ein Sandwich zu machen. Mein Blick fiel auf die Küchenuhr. Verdammt, ich musste langsam los. Doch bevor ich mich aufraffte, erschien meine attraktive Gastgeberin, deren Namen ich vergessen hatte. Oder hatte sie ihn mir gar nicht genannt? Egal, ich würde ihn schon in Erfahrung bringen.

Offensichtlich war sie ein Morgenmuffel, denn sie machte mir sehr direkt klar, dass ich mich zum Teufel scheren sollte, indem sie meinen Kaffee austrank und mir unverblümt und mehrfach sagte, dass ich jetzt gehen müsste. Sie trug ein Nachthemd, das ihr ebenso zu groß war, wie das ihrer Mitbewohnerin Audrey. Ihr hingegen stand dieser Look deutlich besser. Obwohl es ziemlich schlabberig fiel, konnte es die Rundungen ihrer Brüste nicht verbergen und das, was ich von ihren schlanken Beinen erkennen konnte, gefiel mir auch außerordentlich. Doch ich musste mich ranhalten, damit ich nicht zu spät zu meinem Termin kommen würde. Sie wollte sich ja eh nicht mit mir unterhalten, so versuchte ich gar nicht erst, ihr ein Gespräch aufzuzwingen und beließ es dabei, sie nach ihrem Namen zu fragen. Hier lagen nämlich weder Briefe herum, von denen ich darauf hätte schließen können, noch gab es einen Kalender, dessen Spalten mit den Namen sämtlicher Bewohnerinnen beschriftet gewesen wären. Wenig überraschend reagierte sie nicht darauf, sondern wiederholte den Rauswurf, ging aus der Küche und kurz darauf hörte ich, wie meine Sachen auf den unteren Stufen der Treppe aufschlugen.

»Danke«, rief ich ihr zu und musste mich beherrschen, nicht laut zu lachen. Sie war zwar nicht besonders freundlich zu mir, aber ich hatte in meinem jungen Leben weitaus Schlimmeres durchmachen müssen, daher zog ich mich schnell an und kritzelte meine Nummer auf ein Stück Papier. Auch wenn sie mich nicht schnell genug loswerden konnte, hatte sie mein Interesse definitiv geweckt. Daher legte ich den Zettel auf den Küchentisch, überließ es damit dem Schicksal, ob sie sich bei mir melden würde, und machte mich auf den Weg.

Ein kühler Ostwind wehte mir vom Pazifik her ins Gesicht und verscheuchte die letzte Müdigkeit. Und es regnete. Natürlich tat es das, denn mit durchschnittlich 300 Regentagen im Jahr hier in Seattle war die Chance eher gering, einen der trockenen Tage zu erwischen. Vor allem jetzt im Februar. Da schaffte es die Sonne, wie auch in den anderen Wintermonaten, nur höchst selten, ein Loch in die graue Wolkendecke zu reißen. Schon verrückt: Die meisten Einwohner sagten, wenn man sie danach fragte, dass es gefühlt das ganze Jahr über regnete. Mich würde das auf Dauer depressiv machen, aber den Leuten hier schien es kaum etwas auszumachen, denn die Suizidrate war hier meines Wissens nach nicht höher als in anderen Teilen der USA. Zwar waren in den letzten Jahrzehnten viele von der George Washington Memorial Bridge gesprungen, die die beiden Stadtteile Queen Anne und Fremont miteinander verband, und hatten so ihrem Leben ein Ende gesetzt, aber dieses Schicksal teilte sie mit sehr vielen anderen Brücken in den Staaten. Warum dachte ich jetzt überhaupt über so etwas Morbides nach? Der letzte Abend und die Nacht waren viel zu schön, um solchen Gedanken nachzuhängen.

Einen Block weiter erwischte ich ein freies Taxi. Der Mann hinter dem Steuer, dessen Dreadlocks unter einer in den Nationalfarben Jamaikas gehaltenen Strickmütze herausschauten, grinste mich an, wobei zwei Reihen gelblicher Zähne zum Vorschein kamen. Wieder einmal war ich froh darüber, niemals mit dem Rauchen angefangen zu haben.

»Wohin soll es gehen?«

»Bringen Sie mich bitte ins Four Seasons«, erwiderte ich auf die Frage des Taxifahrers.

»Four Seasons, Union Street«, bestätigte er, während er die Taxiuhr anstellte. »Alles klar, Chef.« Der Wagen ruckelte kurz, dann waren wir auch schon auf dem Weg. Während wir durch die Stadt fuhren, konnte ich mich weder auf die interessanten Gebäude, die Seattle zweifellos bot, noch auf meinen abendlichen Termin konzentrieren, zu präsent war diese Frau in meinem Kopf, deren Namen ich immer noch nicht wusste. Na ja, wenigstens kannte ich den ihrer Mitbewohnerin und falls Audrey ein gutes Wort für mich einlegen würde, wer weiß, vielleicht rief sie mich ja in den nächsten Tagen mal an. Plötzlich stellte ich fest, dass es nicht mehr regnete. Ich beugte mich nach vorn.

»Lassen Sie mich an der Ecke raus, den Rest gehe ich zu Fuß.« Gleichzeitig fuhr er an den Straßenrand und antwortete mir.

»Wie Sie wünschen, Chef.« Nachdem wir angehalten hatten, drückte er eine Taste am Taxameter. »21,40 bekomme ich.« Verdammt, ich hatte überhaupt nicht in meinen Taschen nachgesehen. Hoffentlich versteckte sich darin noch etwas. Dann fühlte ich das typische Banknotenpapier unter meinen Fingern, zog ein paar Scheine hervor und drückte dem Fahrer fünfundzwanzig Dollar in die Hand.

»Stimmt so, danke«, sagte ich lächelnd und verabschiedete mich. Allerdings hätte ich ihm nicht beim Wegfahren hinterhersehen, sondern lieber auf den Gehweg achten sollen, denn im nächsten Moment trat ich in eine Pfütze und spürte das Wasser sofort zwischen meinen Zehen. »Na super, läuft ja.« Kopfschüttelnd ging ich weiter. Typisch für mich, aber nicht weiter tragisch, denn so weit war es nicht mehr bis zum Hotel und duschen müsste ich eh, nachdem ich die ganze Nacht durchgesumpft hatte.

Kapitel 2

 

 

Beverly

 

Es überraschte mich angenehm, dass mein Gast sich offenbar zu benehmen wusste, denn er hatte sowohl die Kaffeetasse als auch das Brett, von dem er sein Sandwich aß, abgespült und wieder in den Schrank zurückgestellt.

»Womit er wohl über eine bessere Kinderstube verfügt als du«, sagte ich zu mir selbst.

»Wer? Matt?«, hörte ich Audrey fragen, die wie aus dem Nichts in der Küche auftauchte. Aber klar, es war ja schon später Vormittag.

»Matt?«

»Mensch, Bev, lässt du dir von den Kerlen, die du abschleppst, nicht mal die Namen geben?«, fragte sie zwinkernd und nahm mir mit derselben Selbstverständlichkeit die volle Kaffeetasse aus der Hand, wie ich es vorhin bei Matt getan hatte – wenn das denn wirklich sein Name war.

»Dazu bin ich irgendwie nicht gekommen«, wich ich aus, denn es war mir schon etwas peinlich.

»Gut, dass du mich hast«, sagte Audrey, trank einen Schluck und stellte mir die Tasse vor die Nase. »Oh, was ist das?« Sie bückte sich umständlich und kroch halb unter den Tisch. Ich schob mich mit dem Stuhl zurück und schaute neugierig, wonach sie suchte. Mit einem kleinen Zettel in der Hand richtete sie sich wieder auf, warf einen Blick darauf und ließ ihn auf den Tisch fallen. »Ist sicher für dich«, sagte sie und ging zum Kühlschrank. Mit schiefgelegtem Kopf inspizierte ich das Stück Papier, als wäre es etwas Gefährliches oder zumindest etwas Besonderes. Aber es war nur ein Zettel mit einer Handynummer drauf. Kurz überlegte ich, dann griff ich danach, zerknüllte ihn und warf ihn gekonnt in den Mülleimer, der neben der Arbeitsplatte stand. »Du willst ihn nicht zurückrufen? War es so schlecht? Oder war er so schlecht? Dabei sieht er doch total heiß aus.«

»Es war so gut oder so schlecht, dass ich keine Erinnerung mehr daran habe. Und sooo heiß war er nun auch wieder nicht«, versuchte ich, gleichgültig zu klingen.

»Blackout? Wieder zuviel Tequila gestern?«

»Mh«, erwiderte ich und nickte langsam. Auch nach dem Duschen war meine Erinnerung nicht wiedergekehrt, sodass die letzte Nacht wohl für immer im Dunklen bleiben würde. Allein deswegen würde ich ihn nicht anrufen, aber hauptsächlich aus dem Grund, dass mir eine Beziehung oder sowas im Moment nicht in den Kram passte. Schließlich war ich noch recht neu in meiner Firma und wollte mich in den nächsten Jahren auf meine Karriere konzentrieren. Da würde ein fester Freund nur Ballast sein und mich in meiner Konzentration stören. So jedenfalls redete ich es mir erfolgreich ein und ließ dabei natürlich außen vor, dass mehr dahinter steckte. Aber das ging niemanden etwas an. Mit einem eigenen Kaffeepott und einem Salat setzte sich Audrey zu mir an den Tisch.

»Okay, ich stell keine weiteren Fragen zu dem Thema. Aber zu anderen schon: Bist du aufgeregt wegen heute Abend? Hast du das Kleid nochmal anprobiert?«

»Boah, geh mir mit dem Kleid weg. Ich hoffe inständig, dass ich da noch reinpasse, ohne auszusehen, wie eine Presswurst.«

»Ach komm, Bev, du spinnst doch.« Sie schaute demonstrativ an mir herunter. »Wahrscheinlich müssen wir es noch abnähen, so dünn wie du bist.«

»Mh. Wir werden sehen«, sagte ich und starrte auf den Rest meines Sandwiches. Sollte ich das vielleicht lieber nicht mehr essen? Keinesfalls teilte ich Audreys Meinung über meine Figur, im Gegenteil: An den Hüften und den Oberschenkeln sah ich durchaus noch Handlungsbedarf. Egal, dachte ich, und stopfte mir das Brot in den Mund. Wenn ich nichts mehr essen würde, würde ich heute Abend noch zusammenklappen, und das wäre sehr unangenehm. Ich musste auf die Charity-Gala zu Gunsten irgendeiner Stiftung für Gewaltopfer ins Four Seasons und darüber einen Artikel für das Lifestyle-Magazin schreiben, für das ich seit einigen Wochen arbeitete. Zwar hatte es mich überrascht, dass ich dafür ausgewählt worden war, denn mein Bereich in der Zeitschrift war ›Wohnen und Innenausstattung‹. Jedoch war eine der beiden Kolleginnen, die sich normalerweise mit den Veranstaltungen der High Society beschäftigten, in Europa unterwegs, um über die Klimakonferenz zu berichten, und die andere lag mit einem gebrochenen Bein im Grey Sloan Memorial Hospital. So fiel die Wahl meiner Redaktionsleiterin auf mich, zumal ich in Seattle aufgewachsen war und zumindest über die regionale Prominenz ganz gut Bescheid wusste. Mir sollte es recht sein, auch wenn ich mit Menschenansammlungen nicht viel anfangen konnte. Im Gegenteil, ich litt schnell unter Platzangst und war auch nicht gerade für Smalltalk geboren. Das wäre aber hoffentlich auch nicht notwendig. Ich würde mir die offiziellen Reden anhören, ein paar Fotos machen, mich mit Lachs, Hummer, Kaviar und anderen dekadenten Speisen vollstopfen, drei oder vier Gläser Champagner schlürfen und mich wieder auf den Heimweg machen. Wahrscheinlich würde ich mir währenddessen bereits das Kleid ausziehen – falls es nicht von allein platzte – und mir vor dem Schlafengehen noch ein paar Folgen einer Liebesschnulze auf Netflix gönnen.

»Also nein«, sagte ich, »ich bin nicht aufgeregt deswegen und werde daher auch keinen Freudentanz auf dem Tisch aufführen.«

»Schade, ich sehe dich so gerne tanzen, und dann noch in diesem Cocktailkleid. Rrrrr.«

»In zwei Wochen hast du doch wieder frei, dann geh ich mit dir in den Club. Versprochen.«

»Und dort tanzt du nur für mich?«, fragte Audrey und klimperte übertrieben mit den Wimpern, sodass ich losprustete und aufpassen musste, nicht den Rest des Sandwiches über den Tisch zu verteilen.

»Als ob du dort Augen für mich hättest. Du hängst doch in Nullkommanichts wieder irgendeinem Latinoboy am Hals, wenn wir da sind.« Jetzt lachte auch meine Mitbewohnerin.

»Was soll ich denn machen? Die sind einfach zum Anbeißen.«

 

***

 

 

Matthew

 

»Na, ich hoffe, es hat sich gelohnt«, hörte ich meinen Bruder Henry aus dem Bad rufen, nachdem ich ins Zimmer gekommen war und mich zurückgemeldet hatte. Hatte er etwa mitbekommen, dass ich mit dem Mädel abgedampft bin? Mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden trat er in den Türrahmen und rubbelte mit einem weiteren Tuch sein kurzes, blondes Haar trocken.

»Keine Ahnung, wovon du redest«, erwiderte ich, bemüht darum, möglichst desinteressiert zu klingen. Er lächelte, wodurch er mich sofort an unseren Dad erinnerte, der vor einigen Jahren zusammen mit unserer Mom bei einem Verkehrsunfall verunglückt war. Henry war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, sowohl die strahlend blauen Augen wie auch den athletischen Körperbau hatte er geerbt und mit viel Sport hielt er ihn in Form. Bei mir hingegen hatten sich die Gene unserer mexikanischen Mom durchgesetzt, somit glaubte uns kein Mensch, dass wir Brüder waren.

»Das kann ich mir vorstellen, du hattest ja nur noch Augen für diese Beverly und hast mich gar nicht mehr wahrgenommen.«

»Beverly? Woher kennst du ihren Namen?«

»Was? Oh Mann, da war wohl der ein oder andere Kurze zu viel!« Er grinste über beide Ohren. »Den hat sie dir jedenfalls genannt, als sie sich zu dir gesetzt hat. Nebenbei bemerkt war das der Zeitpunkt, ab dem ich nicht mehr für dich existiert habe«, erklärte er mir lachend. »Aber mach dir keine Sorgen, ich hatte ebenfalls einen schönen Abend.«

»Da bin ich ja beruhigt.« Beverly hieß sie also und jetzt, wo ich den Namen hörte, fiel mir auch wieder ein, dass sie ihn mir gesagt hatte. ›Ich bin Beverly und verkneif dir irgendwelche Anspielungen, ob Hills mein Nachname sei‹, hatte sie mir zugeraunt und beim zweiten Teil des Satzes auf ihren Ausschnitt gedeutet, ›sonst ist das hier schneller wieder vorbei, als es angefangen hat.‹ In mich hineingrinsend drangen weitere Gesprächsfragmente wieder in meine Erinnerung. Die Nebelschwaden verschwanden zusehends.

»Nun bring dich mal wieder in Ordnung, du siehst scheiße aus. Denk an das Meeting in zwei Stunden und zur Charity-Gala willst du doch auch noch, oder?«

»Bleib locker, ich hab alles im Griff.« Mir war durchaus bewusst, dass der heutige Tag zukunftsweisend für meinen Bruder und mich sein könnte. Dennoch überwogen die Gedanken an Beverly. Hoffentlich würde sie mich anrufen, solange ich noch in der Stadt war und nicht erst, wenn wir wieder zu Hause in Odgen waren, einer Kleinstadt nahe Salt Lake City, in der wir seit unserer Kindheit lebten und die 800 Meilen südöstlich von Seattle entfernt lag.

 

***

 

Wir wurden bereits erwartet, obwohl unser Termin erst in fünfzehn Minuten anberaumt war. Die Dame am Empfang winkte uns direkt durch, nachdem sie uns den Weg zum Besprechungsraum gezeigt hatte.

»Sehr schön, dass Sie es einrichten konnten«, begrüßte uns Mr. Swanson, ein untersetzter Mann mit fliehender Stirn, und wir schüttelten ihm nacheinander die Hände. Darauf stellte er uns seine Sekretärin und den anwesenden Anwalt vor, die am Konferenztisch saßen, auf dessen glänzender Oberfläche einige Stapel Dokumente lagen.

»Wir haben zu danken«, entgegnete mein Bruder, worauf wir uns den Dreien gegenüber setzten.

»Haben Sie sich mittlerweile entschieden, ob Sie unser Angebot annehmen?«, fragte ich direkt, bevor wir unnütz Zeit mit minutenlangem Gequatsche verschwenden würden. Mr. Swanson lachte merkwürdig auf, fast hörte es sich wie ein Quieken an. Mit einem Seitenblick auf Henry stellte ich fest, dass auch er sich zusammenreißen musste, um nicht selbst zu lachen.

»Direkt zur Sache, Mr. Miller, so habe ich es gern«, schmierte er mir Honig um den Mund.

»So ist es bei uns in Utah üblich«, behauptete Henry, wobei das natürlich vollkommener Unfug war, denn auch bei uns gab es unzählige Leute, die sich am liebsten selbst beim Reden zuhörten. Aber sei´s drum, deshalb waren wir nicht hier.

»Nun«, begann Mr. Swanson, »wir haben uns das gründlich überlegt und ich habe es mit meinen Partnern, die ich hier und heute mit vertrete, eingehend besprochen. Bis auf kleine Änderungen stimmen wir mit Ihnen überein und sollten wir das noch korrigieren können, stünde einem Abschluss nichts mehr im Wege.« Erneut wechselte ich einen Blick mit Henry.

»Okay, dann lassen Sie hören«, forderte ich ihn auf, seine Wünsche zu äußern. Vor zwei Jahren hatte ich mit meinem Bruder und meinem Onkel ein Start-up gegründet – wir entwickelten eine softwarebasierte Technik, mit der wir die Sicherheit und den Transport von Schiffscontainern revolutionieren würden, und hatten uns das weltweite Patent darauf gesichert. Um jedoch nicht nur das Know-how zu veräußern, wodurch uns mittelfristig von der Konkurrenz das Wasser abgegraben werden würde, entschlossen wir, selbst in Produktion zu gehen. Da die ersten Interessenten für unser System bereits Schlange standen, und zwar neben den USA und Kanada auch Europa und vor allem Asien, brauchten wir einen Fertigungsstandort, in dessen Nähe sich ein internationaler Hafen befand. So kam außer Los Angeles und San Diego nur noch Seattle in Frage, da wir an die Westküste wollten, um einen kurzen Weg zu den asiatischen Kunden zu gewährleisten. Am Ende machte wegen vieler Punkte Seattle das Rennen und die Firma von Mr. Swanson sollte uns das passende Grundstück suchen, auf dem wir die Fertigungshallen errichten konnten. Sein Ruf eilte ihm voraus: Er galt als bestens vernetzt in der Wirtschaft und Politik des Staates Washington und würde uns, wie er betonte, alle Wege ebnen.

»Nun, wir haben momentan zwei in Frage kommende Objekte. Beide erfüllen Ihre Kriterien, wobei das eine etwas teurer käme, dafür schneller bebaubar wäre, die Lage des Anderen ist deutlich günstiger, wie auch der Preis, allerdings müssten wir dazu im Umfeld noch etwas Platz schaffen.«

»Was meinen Sie mit Platz schaffen?«

»Neben dem Objekt befindet sich eine stillgelegte Fabrikanlage, die abgerissen werden müsste. Der Stadtrat würde das sofort durchwinken, wenn der Eigentümer mitspielt.«

»Und, spielt er mit?«, wollte ich wissen.

»Nun, wenn wir ihm gut zureden«, erwiderte Mr. Swanson und rieb mit dem Daumen am Zeigefinger. »Aber keine Sorge, die Kosten dafür würden wir uns mit der Stadt Seattle teilen, wenn sie dafür einen Teil der freigewordenen Fläche für sozialen Wohnungsbau nutzen könnte.«

»Hört sich kompliziert an«, sagte Henry.

»Ist aber relativ einfach«, sagte Mr. Swanson und winkte ab. »Die Gesamtkosten für Sie blieben auf jeden Fall unter denen für das andere Projekt.«

»Das klingt gut. Solange wir uns darüber einig sind, dass alle Parteien davon profitieren.«

»Selbstverständlich. Neue Arbeitsplätze, neue Wohnungen und eine weitere Stärkung des Wirtschaftsstandortes Seattle. Eine win-win-win-Situation sozusagen.«

Wir hörten uns in der Folge die angesprochenen Punkte an, die er gern vertraglich geändert haben wollte, gingen den anvisierten Ablauf noch einmal gemeinsam durch, bevor wir uns gut gelaunt verabschiedeten.

»Wir lassen den neuen Vertragsentwurf unseren Anwälten in Salt Lake City zukommen. Wenn die ihn abnicken, unterschreiben wir nächste Woche und es kann beginnen.«

»Das machen wir so. Es ist mir eine Freude, Geschäfte mit Ihnen beiden zu machen. Ich hoffe, Sie bleiben noch etwas hier und schauen sich unsere schöne Stadt an.«

»Danke«, sagte Henry knapp.

»Wir fliegen morgen zurück. Wenn es mit dem Bau los geht, werden wir noch genügend Möglichkeiten haben, uns hier umzuschauen. Und dann werden wir auch regenfeste Klamotten dabeihaben«, ergänzte ich.

»Ja, daran muss man sich gewöhnen.«

Kapitel 3

 

 

Beverly

 

Audrey hatte recht behalten. Egal, wie ich mich vor dem Spiegel auch drehte, mich zur Seite oder leicht nach vorn neigte: Das Kleid saß perfekt. Natürlich, wenn ich ganz genau hinsah, wölbte sich hier und dort eine kleine Delle und wenn ich meinen Bauch rausstreckte, ging das auch etwas zu Lasten der Konturen. Aber ich wollte nicht härter mit mir ins Gericht gehen als nötig, und wenn ich mich beim Essen maßregelte, würde ich sicher einen guten Eindruck machen. Wobei ja ich die Journalistin war und mir einen ebensolchen von den vielen Gästen und den Gastgebern zu machen hatte. Dennoch öffnete es Türen zu den Gesprächen oft wie von allein, gerade mit den alten, weißen Männern, von denen ich etliche erwartete, wenn man ihnen etwas zu Gucken anbot. So brachte ich meine C-Körbchen mit einem Wonderbra ordentlich in Form, wodurch ich mir sicher sein konnte, die Blicke auf mein Dekolletee locken und dadurch ihre Zungen lockern zu können. Männer waren doch so einfach zu manipulieren. Ich zog die dunklen Nylons über meine frisch epilierten Beine und schlüpfte in die, zum schwarzen Minikleid passenden, schwarzen Pumps.

»Nun komm schon, ich muss los«, rief meine Mitbewohnerin.

»Bin schon unterwegs.« Auf dem Weg zur Wohnungstür schnappte ich mir den Mantel und einen Regenschirm und folgte Audrey zu ihrem Wagen.

»Lieb von dir, mich mitzunehmen.«

»Meinst du etwa, ich würde dich so allein draußen herumlaufen lassen?« Sie blickte mich anzüglich an. Wenn ich nicht genau gewusst hätte, dass Audrey auf Männer stand, hätte ich mir Sorgen gemacht, dass sie auf der Stelle über mich herfallen würde.

»Ich hätte ein Taxi genommen.«

»Dann hätte sich der Taxifahrer an dir vergangen«, konterte sie, woraufhin ich seufzte.

»Somit weiß ich also, worauf ich mich auf dem Rückweg einstellen muss.«

»Nicht, wenn du dir wieder einen Kerl mitnimmst, der dich beschützt – und dann selbst flachlegt.«

»Du bist ja so witzig – in etwa so wie ein Geschwür am Hintern.« Audrey lachte laut und kam fast von der Spur ab, weil sie etwas das Lenkrad verriss.

»Ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass sowas durchaus witzig sein kann«, erwiderte sie und ich zweifelte keine Sekunde daran, dass sie in ihrem Job als Ärztin schon einige Patienten hatte, die ihrer Unterhaltung dienten.

»Dann ist es ja gut, dass ich das Pfefferspray dabei habe.«

Wir blödelten noch etwas herum, bis Audrey den Wagen vor dem Haupteingang des Hotels anhielt.

»Danke dir und eine stressfreie Arbeitsnacht.«

»Stress ist meine Lebensgrundlage, das weißt du doch. Aber ich wünsche dir auch einen netten Arbeitsabend, ich würde glatt mit dir tauschen.«

»Das kannst du vergessen, ich würde spätestens nach einer Stunde wahnsinnig werden vom Gepiepe der ganzen Geräte auf deiner Station.«

»Solange die Geräte auf der Intensivstation gleichmäßig piepen, leben noch alle. Von daher ist dieses Geräusch etwas Gutes.«

»Wie auch immer.« Wir gaben uns einen Kuss auf die Wange, dann schwang ich mich aus dem Wagen, spannte den Schirm auf und lief ins Foyer des Four Seasons. Ein älterer Herr in einer Uniform begrüßte mich und nahm mir Mantel und Schirm ab, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich Gast der Charity-Veranstaltung wäre.

»Dort den Gang hinunter, dann kommen Sie direkt in den Festsaal«, erklärte er mir mit einem Lächeln, das dem Weihnachtsmann zur Ehre gereicht hätte.

»Vielen Dank«, sagte ich und folgte dem breiten Flur, an dessen Wänden sich geschmackvolle Bilder und teure Wandlampen abwechselten. Das Four Seasons war eine der besten Adressen der Stadt und bislang kannte ich es nur vom Vorbeilaufen. Da musste ich Mitte zwanzig werden, bis ich hier einmal offiziell hineinkam, dachte ich mir, wobei ein Besuch dieser Location auf meiner To-Do-Liste der Dinge, die ich in meinem Leben unbedingt noch machen wollte, nicht zu finden war. Schade eigentlich, sonst könnte ich mal wieder etwas darauf abhaken.

Der Saal wirkte riesig. Wahrscheinlich hätte man hier spielend ein Basketball-Match stattfinden lassen können und für ein paar Zuschauer würde sich auch noch Platz finden. An den Decken baumelten Kronleuchter über den runden Tischen, auf denen jeweils für zehn oder zwölf Leute eingedeckt war. In der Mitte standen neben einem Blumenarrangement Champagnerflaschen in Kühlbehältnissen, gerahmt von Dekantern, die wahrscheinlich mit teurem, französischem Wein gefüllt waren. Dutzende, in grün-roten Hotelfarben gekleidete Bedienungen schwirrten zwischen den in Gruppen zusammenstehenden Menschen umher und versorgten sie mit Getränken und Häppchen. Ich atmete tief durch. So viele Menschen auf einem Haufen waren einfach nichts für mich, daher griff ich dankbar nach dem Glas Orangensaft, das mir eine Kellnerin noch an der Türschwelle anbot. Ich nickte ihr zu, schob mich an einem besonders gut gelaunten Trio vorbei und lehnte mich an die Theke. Meine Hand glitt in die Tasche an meiner Taille und zog einen kleinen Spiegel hervor. In einem unbeobachteten Moment checkte ich mein Make-Up und den Sitz der Frisur und steckte ihn wieder zurück. Alles so, wie es sein sollte. Ich trank mein Glas leer, stellte es auf den Tresen und ging ein paar Schritte nach vorn, damit ich einen besseren Überblick bekam. Grob betrachtet sahen alle Männer gleich aus: Fast ausnahmslos trugen sie dunkle Smokings. Das verhielt sich bei den Damen ganz anders: Man hätte den Eindruck gewinnen können, diese Charity-Veranstaltung wäre ein Schaulaufen der neuesten Modelle der Fashion Week in New York. Besonders ein rotes Exemplar mit einem raffinierten Schnitt an der Schulter hatte es mir angetan und ich war der festen Überzeugung, dass es mir definitiv besser gestanden hätte, als dieser mit Botox vollgepumpten Rothaarigen, in deren Gesicht sich fast nichts mehr bewegte.

Die ersten Prominenten hatte ich bereits erfasst, wobei es sich mehrheitlich um lokale Größen handelte, Politiker und Geschäftsführer von mittelständischen Unternehmen. Einige Kollegen der städtischen Presse und von regionalen TV-Sendern hatte ich ebenfalls bereits ausmachen können, wobei man Letztere aufgrund der Kameras auch kaum übersehen konnte.

Ein dumpfes Geräusch erklang, als ob jemand gegen ein Mikrofon klopfte. Kurz darauf hörte ich eine Männerstimme über die Lautsprecher.

»Meine Damen und Herren, wir möchten Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Vielen Dank.« Die Gäste strömten zu den Tischen und ich musste nochmal auf meiner Einladungskarte nachsehen, an welchem ich eine Reservierung hatte. Tisch 17. Okay, auf dem vor mir stand ein Schild mit der Nummer 24, der daneben hatte die 23. Ich hob den Kopf und ließ meinen Blick durch den Saal schweifen. Wenn ich richtig vermutete, müsste es der da vorne sein. Vorsichtig schlängelte ich mich durch die Menschenmenge, bis ich mein Ziel erreichte. Es war nicht ganz der Tisch, den ich ursprünglich als meinen ausgemacht hatte, sondern ich musste einen weitergehen.

»Guten Abend«, sagte ich freundlich zu meinen Tischnachbarn, worauf einige den Gruß erwiderten, andere nickten lediglich. Ein besonders zuvorkommender Herr kam auf mich zu und zog den Stuhl für mich zurück. Sehr zum Missfallen seiner Begleiterin, die mir einen bösen Blick zuwarf, den ich demonstrativ mit einem Grinsen beantwortete. Was konnte ich dafür, dass sie so einen höflichen Ehemann hatte? Jedenfalls ging ich davon aus, denn sie trugen zueinanderpassende Ringe. Nur der eingefasste Stein im Exemplar der Frau unterschied sie.

»Meine Liebe, ich hoffe, Sie werden gutes Material für Ihren Artikel bekommen«, warf eine Dame ein, die auf meiner anderen Seite saß und mir offenherzig zulächelte.

»Woher wissen Sie –?« Sie deutete auf die Tischkarte vor mir, auf der unter meinem Namen der meines Magazins vermerkt war. »Ach, natürlich«, sagte ich. »Aber ja, ich denke, ich werde reichlich Material bekommen, schließlich ist die ganze High Society der Stadt vertreten.«

»Und die, die sich grundlos dazu zählen«, giftete die Frau meines Galans.

»Darling, das muss doch nicht sein«, versuchte er, sie zu beschwichtigen.

»Wenn es aber nunmal so ist. Guck doch selbst.« Sie deutete mit dem Kopf zum Nachbartisch. »Die Mahonies sind letztes Jahr bankrott gegangen und haben fast ihr komplettes Vermögen verloren. Wegen dieser verdammten Immobilienspekulationen. Mich würde brennend interessieren, wer die eingeladen hat.«

»Lass es doch bitte.«

»Willst du mir den Mund verbieten?«, keifte sie und ich fragte mich, wie er es nur eine Minute mit ihr aushalten konnte. Vielleicht hatte sie aber auch nur einen schlechten Tag, mir war es egal. Ich konzentrierte mich auf die sympathische Gesprächspartnerin zu meiner Linken und plauderte mit ihr, auch wenn mein Interesse daran sehr schnell verflog. Bevor es allerdings peinlich wurde, trat unser Bürgermeister an das Mikrofon auf der Bühne und richtete unter Applaus der Anwesenden ein Grußwort an die Gäste. Seinen Ausführungen folgte ich nur mit einem Ohr und das war auch kein Problem, denn mir reichte es für meine Arbeit, wenn ich ein paar schicke Promifotos schießen und eine Zusammenfassung des Abends bringen würde, ohne eine tiefgründige oder gar investigativ-journalistische Erkenntnis damit zu transportieren. Unsere Leserinnen wollten keine Sorgen und Probleme serviert bekommen, sondern zumindest an ein paar Momente im Leben der Reichen und Schönen teilhaben. Und davon saßen sehr viele hier herum. Weiter vorn erkannte ich an einem der Tische ein Vorstandsmitglied von Amazon und auch das ebenfalls hier ansässige Megaunternehmen Microsoft hatte ein paar ihrer hohen Tiere hierher entsandt. Auch einen Manager von Starbucks hatte ich auf dem Weg zu meinem Platz fast angerempelt. Hier war also zumindest die zweite Reihe der ersten Liga vertreten, mit Jeff Bezos oder Bill Gates persönlich hatte ich allerdings auch nicht gerechnet.

Der Bürgermeister zeigte sich von seiner besten Seite, was mich in Anbetracht der im nächsten Jahr anstehenden Wahlen nicht verwunderte. Dass er allerdings so einfühlsam sein konnte, ließ mich aufhorchen. In den letzten Jahren hatte ich viele seiner Reden gehört und in keiner erreichte er mich so wie mit der heutigen, sodass ich den letzten Sätzen konzentriert lauschte.

»Und nun möchte ich Sie nicht länger mit meinem Politikergerede langweilen, sondern Ihnen die Vorsitzende der Stiftung ›Mein Leben nach der Entführung‹ vorstellen. Meine verehrten Damen und Herren, begrüßen Sie mit einem großen Applaus Ms. Helen Burke aus Pueblo, Colorado.« Er wandte sich zur Seite und klatsche ebenso wie der gesamte Saal, während eine junge, unglaublich attraktive, blonde Frau in einem hinreißenden Kleid auf die Bühne schwebte und ihm dankend die Hand schüttelte, bevor sie ans Mikrofon trat.

»Betty Miller – Deborah Greenwood – Laura Ingrim – Carrie-Ann Freewick – Gillian Andrews.« Nach jedem Namen machte sie eine Pause. »Guten Abend, meine Damen und Herren, mein Name ist Helen Burke und ich wurde entführt«, leitete sie ihre Rede ein und es hörte sich an wie die Vorstellung bei einer Selbsthilfegruppe. Meine Aufmerksamkeit jedenfalls hatte sie und dem Getuschel an den anderen Tischen nach zu urteilen, erging es vielen so. »Ich bin das einzig überlebende Opfer des als Nemesis-Killer bekannt gewordenen Psychopathen Damian Staanson, der vor einigen Jahren fünf junge Frauen entführt, gefoltert und anschließend getötet hat – die Frauen, deren Namen ich gerade aufgezählt habe.« Ein Raunen ging durch das Publikum und Helen ließ ihre Worte geschickt wirken, bevor sie weitersprach. Es ginge ihr nicht um Mitleid oder um Wiedergutmachung, erklärte sie, zumal sie das Glück gehabt hätte, von einem intakten Umfeld aufgefangen und wieder aufgerichtet worden zu sein. Sie sparte nicht mit den erschreckenden Details, die der Entführer ihr und den anderen Mädchen angetan hatte, berichtete darüber, wie sie sich gefühlt und welche Versuche sie unternommen hatte, dem Täter zu entkommen, und weihte die Zuhörer ein, wie es zu ihrer Befreiung gekommen war. Dabei passte sie jedoch auf, nicht zu schockierend zu wirken, damit sie alle im Saal mitnehmen konnte. Es war bedrückend, keine Spur mehr von der ausgelassenen Stimmung, die noch bei der Begrüßungsrede des Bürgermeisters herrschte. Aber ich vermutete, dass das genau so von Helen Burke beabsichtigt war. »Und das, verehrte Gäste, ist das Ziel unserer Stiftung: Wir wollen einerseits denjenigen Opfern, die keinen Halt finden können, eben diesen bieten und darüber hinaus mit unserem Team Wege aufzeigen, weiterzuleben und ihnen jede erdenkliche Hilfestellung dafür geben. Dafür arbeiten wir eng mit Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen, aber auch vielen Psychologen und Streetworkern zusammen, um ihnen genau das wieder zu ermöglichen. Aber das, liebe Gäste, ist nur ein kleiner Teil von dem, was wir uns auf die Fahne geschrieben haben.« Sie nahm einen Schluck Wasser und räusperte sich. »Wir alle können den Tod der fünf Mädchen nicht rückgängig machen und auch nicht den der etwa 100 Entführungsopfer, die es laut inoffizieller Aussage des FBI jährlich in den Staaten zu beklagen gibt. Nein, denen können wir nicht helfen. Aber denen, die diese Tortur überleben und vor allem denen, die noch nicht entführt worden sind. Ihren Kindern!« Erneut brandete eine Geräuschkulisse auf. »Das entsetzt Sie? Gut. Wir setzen seit Beginn unserer Arbeit auf Aufklärung, wir gehen in die Schulen, an die Highschools, sensibilisieren die Schülerinnen und Schüler, zeigen ihnen, wie sie sich wehren können und wann sie sich nicht wehren sollten, geraten sie einmal in eine solche Situation.« Sie führte weitere Aktionen der Stiftung aus, erklärte, dass sie Anlaufstelle und Verbindungspunkt zu öffentlichen Einrichtungen wie den Jugendämtern und der Polizeibehörden wäre, denn erschreckenderweise kämen die Entführer häufig aus dem näheren Umfeld der vorwiegend jungen Mädchen, was sich analog zur sexuellen Belästigung verhielte. Mich hätte nicht verwundert, wenn viele der Gäste ihr Smartphone gezückt und zuhause angerufen hätten, um nachzufragen, ob alles in Ordnung wäre.

Helen Burke gab interessante Einblicke in die bisherige Arbeit, das positive Feedback, das die Stiftung von allen Seiten dafür bekam, aber sie sagte auch, dass sie niemals fertig sein würden, denn dazu bräuchte es eine perfekte Welt. »Und davon sind wir leider weiter entfernt als vom Mars.« Sie lächelte. Zum ersten Mal, seit sie auf der Bühne stand. »Liebe Gäste, ich möchte Ihnen hier natürlich keine Angst machen, die statistische Wahrscheinlichkeit eines Börsencrashs ist tausendmal höher, als entführt zu werden.« Vereinzeltes Gelächter lockerte die Atmosphäre etwas auf. »Was ich möchte, ist, dass Sie am Ende des Abends nach dem vorzüglichen Essen, das wir Ihnen gleich servieren, an all diejenigen denken, denen Sie mit einer kleinen – oder gern auch großen – Spende helfen können. Und machen wir uns nichts vor, auch wenn unsere Stiftung auf einem soliden Fundament fußt, haben wir doch beträchtliche Ausgaben, die wir alleine nicht stemmen können. In diesem Sinne: Lassen Sie es sich schmecken, trinken Sie ein oder auch zwei Gläser Champagner und schwingen Sie das Tanzbein zur Musik unserer Band, die Sie den Rest des Abends musikalisch unterhalten wird. Natürlich haben die Musiker auf ihre Gage verzichtet, wofür ich ihnen noch einmal danken möchte. Falls Sie noch Fragen haben, stehen Ihnen mein Kollege Matthew Miller und ich später gerne zur Verfügung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.«

Ob es dem Anstand geschuldet war oder ob es aus Überzeugung passierte, wusste ich im Moment nicht, aber ausnahmslos jeder Gast, den ich sehen konnte, erhob sich von seinem Platz und spendete der Rednerin Standing Ovations, während sie langsamen Schrittes von der Bühne verschwand und zu ihrem Tisch ging. Auch mich hatte sie gepackt und mir taten schon fast die Hände weh vom Klatschen, doch das war mir egal. Helen Burke war eine starke Frau und verdiente meiner Meinung nach jede Sekunde des Beifalls.

Kurz darauf eilten die Angestellten bereits mit dem Essen in den Saal und zeigten, dass sie ihren Job verstanden. Es dauerte nur wenige Minuten, bis jeder Tisch versorgt war. Zum Glück aß meine Gesprächspartnerin von vorhin lieber, als sich zu unterhalten, so konnte ich einigermaßen in Ruhe selbst die vier Gänge genießen, während im Hintergrund entspannte Jazzmusik zu hören war. Eigentlich bestand das Essen aus fünf Gängen, denn vor dem abschließenden Dessert kamen die Bediensteten mit mobilen Kartenlesegeräten an die Tische und boten den Spendierwilligen dadurch die Möglichkeit, anstelle des früher üblichen Schecks ihren Obolus per Kreditkarte anzuweisen. Kurz überlegte ich, wie ich mich verhalten sollte, als mir ein solches Gerät gereicht wurde. Ach, es war ja für einen wirklich sinnvollen Zweck, dachte ich mir und steuerte 50 Dollar bei. Die würde ich natürlich versuchen, als Spesen von meinem Magazin zurückzubekommen.

Hatte ich während der Rede Helen Burkes noch einige Zweifel daran gehabt, ob die Stimmung sich wieder heben würde, musste ich mich spätestens jetzt korrigieren. Wir waren seit etwa einer Stunde mit dem Essen fertig, die Musiker schafften es, die Tanzfläche konstant gut gefüllt zu halten und meinem Eindruck nach hatte kaum jemand die Veranstaltung verlassen. Im Gegenteil: Gefühlt war es noch voller als bei meiner Ankunft. Und das bei meiner Aversion gegen Menschenmengen. Aber egal, ich hatte bereits ein paar gute Fotos geschossen, jetzt fehlte mir eigentlich nur noch ein schöner Schnappschuss von der Gastgeberin, am besten gemeinsam mit einer der lokalen Größen wie dem Bürgermeister oder mit Cyrus Habib, dem Vizegouverneur des Staates Washington, dem ersten iranischstämmigen Politiker, dem vor einigen Jahren der Sprung in ein solches Amt gelungen war.

»Hey, du bist wohl jeden Abend unterwegs«, hörte ich eine mir bekannte Stimme hinter mir. Langsam drehte ich mich um und glaubte, meinen Augen nicht zu trauen.

»Matt?« Mit vielem hatte ich heute gerechnet, aber nicht damit, hier auf meinen One-Night-Stand zu treffen. »Was machst du denn hier?« Meine Frage hörte sich wohl schroffer an, als sie gemeint war, denn er wich ein paar Zentimeter zurück und zog die Augenbrauen hoch, wodurch seine fast schwarzen Augen noch besser zur Geltung kamen. Überhaupt musste ich mir eingestehen, dass ich selbst angetrunken noch einen guten Männergeschmack zu haben schien, denn er sah auf eine gewisse Art wirklich nicht unattraktiv aus.

»Ähem«, räusperte er sich und deutete auf das kleine Schild, das er am Revers seines Zweiteilers trug.

»Matthew Miller? Also bist du der von Ms. Burke angesprochene Kollege?« Ein unangenehmes Ziehen durchfuhr meinen Magen. Wenn mich meine Kombinationsgabe nicht trog, hieß das erste von Helen Burke genannte Opfer ebenfalls Miller und daraus schloss ich, dass es sich dabei sicher um seine Schwester gehandelt hatte.

»Ja, genau, ich bin sozusagen einer der Gastgeber. Wobei ich mich natürlich dafür entschuldigen muss, dass mir dein Name auf der Gästeliste nicht ins Auge gestochen ist«, führte er lächelnd aus. »Ach halt, den wolltest du mir ja nicht verraten.« Jetzt räusperte ich mich. Die Situation war auch einfach zu skurril.

»Ich bin dienstlich hier und soll einen Artikel für mein Magazin über diese Veranstaltung schreiben.«

»Interessant. Deswegen hast du mich also gestern angesprochen: Du wolltest schon einmal vorab recherchieren«, sagte er und zwinkerte mich an. Verdammt, warum flirtete der jetzt mit mir?

»Hör zu, Matt, das mit gestern, das wird sich nicht wiederholen.« Sein Lächeln wich einem sehr ernsten Gesichtsausdruck, woraufhin ich schon etwas beschwichtigendes hinzufügen wollte, doch er verhinderte das, indem er laut loslachte. Verwirrt schaute ich in die Runde. Die um uns Herumstehenden starrten uns an, bevor sie sich wieder ihren Gesprächspartnerinnen widmeten. »Was ist daran so witzig?«

»Nun«, begann er, nachdem er sich beruhigt und eine Träne aus dem Auge gewischt hatte. »Was genau wird sich nicht wiederholen? Dass du mich in einer Bar ansprichst? Mich im Taxi mit nach Hause nimmst? Oder, dass du dir anschließend auf deinem Bett eine halbe Flasche Wein reinziehst und prompt einschläfst?« Ich verstand nur noch Bahnhof. Was hatte er da gerade gesagt? Hörte ich richtig?

»Du willst damit sagen, wir hätten nicht –?« Er neigte den Kopf nach vorn und flüsterte in mein Ohr.

»Nein, wir haben uns nicht die Seele aus dem Leib gevögelt. Du bist eingepennt, während wir geknutscht haben. Deine Klamotten musst du im Schlaf ausgezogen haben. Ich bin übrigens selbst kurz nach dir eingeschlafen, bevor ich mir ein Taxi rufen konnte.« Jetzt ergab es auch einen Sinn, dass ich mich nicht daran erinnern konnte. Wie auch, wenn nichts passiert war. Krampfhaft dachte ich an gestern Nacht zurück und schemenhaft sah ich vor meinem inneren Auge, wie unsere Gesichter ganz nah beieinander waren.

»Oh«, war das Einzige, was mir dazu einfiel. Im nächsten Moment erschien Helen Burke in meinem Sichtfeld. Sie kam auf uns zu und hakte sich bei Matt unter. Sie hätten ein tolles Paar abgegeben.

»Hey, Matt, warum stellst du mir deine Freundin nicht vor?«, fragte sie und lächelte mich dabei an.

»Helen, das ist Beverly, sie ist Journalistin und wird unser Anliegen ganz groß rausbringen. Stimmt doch, oder?«

»Äh, ja, ich werde mein Bestes geben«, stammelte ich.

»Und Beverly, das ist Helen Burke, aber das weißt du ja sicher schon.«

»Angenehm«, sagte ich und reichte ihr die Hand.

»Freut mich auch, Beverly. Aber ich müsste Ihnen Matthew kurz entführen.« An Matt gerichtet ergänzte sie: »Ich habe vorne einen dicken Fisch an der Angel, der dich aber noch kennenlernen möchte.« Das war wahrscheinlich die beste Möglichkeit und ich ergriff sie.

»Selbstverständlich. Könnte ich schnell noch ein Foto von Ihnen beiden schießen? Für den Artikel?« Matt und Helen nickten, gingen zwei Schritte zurück und posierten Arm in Arm. Ich machte zur Sicherheit drei Aufnahmen und bedankte mich.

»Wir reden nachher weiter?«, wollte Matt wissen, während Helen ihn schon in eine andere Richtung bugsierte. Auf gar keinen Fall, dachte ich bei mir und hob kurz die Hand, denn ich hatte alles, was ich für meine Arbeit benötigte. Gut gegessen hatte ich ebenfalls. Was ich aber überhaupt nicht gebrauchen konnte, wäre ein weiterer Flirt mit ihm, bei dem ich sicher wieder schwach werden würde. Und das wollte ich dringend verhindern. Ich trank mein Glas leer, stellte es auf den Tresen und machte mich auf den Weg zur Garderobe.

Derselbe ältere Herr, der mich beim Eintreffen im Hotel bereits begrüßt hatte, verabschiedete mich jetzt, aber nicht, ohne mir vorher ein Taxi zu rufen und die Wagentür aufzuhalten.

»Einen schönen Abend noch«, sagte er.

»Danke, den wünsche ich Ihnen ebenfalls.« Als ob Audrey es mit irgendeinem Voodoozauber geschafft hätte, erwischte ich eine der wenigen Taxifahrerinnen dieser Stadt. Sie brachte mich sicher nach Hause und so hatte ich den Ausflug gänzlich unbeschadet überlebt, wobei die Gedanken in meinem Kopf seit dem Moment kreisten, an dem ich Matt wiedergetroffen hatte. Ach, das kam bestimmt nur daher, weil mich das Thema der Veranstaltung mehr berührte, als ich es vorher vermutet hatte. Sobald ich den Artikel morgen fertig und in den Druck gegeben haben würde, wäre mein Kopf sicher wieder frei.

 

***

 

 

Matthew

 

Warum musste mich Helen nur gerade jetzt von Beverly wegzerren? Na ja, dann würde ich den Flirt mit ihr halt gleich fortsetzen, wenn ich demjenigen einen Batzen Kohle aus den Rippen geleiert hatte, zu dem mich meine Mitstreiterin gerade entführte. Entführte? Welch morbides Wortspiel, dachte ich schmunzelnd und folgte ihr zu einem Mann, den ich nicht kannte. Helen stellte ihn mir als Mr. Lincoln vor, Geschäftsführer eines überregional agierenden Dienstleisters im Gesundheitswesen.

»Das ist Mr. Miller, er kann Ihnen mehr zu unseren Zahlen sagen, ich habe mit der Buchführung nichts zu tun«, erklärte sie ihm, während er meine Hand schüttelte.

»Sie beide sind ja noch sehr jung«, sagte er, doch es klang nicht abwertend. Eher so, als wäre das etwas Besonderes.

»Wir sehen jünger aus als wir sind«, erwiderte ich gut gelaunt. Es war nicht das erste Mal und würde sicher nicht das letzte Mal sein, dass gerade ich bei meinen Aktivitäten für die Stiftung und vor allem für die Firma, die ich mit meinem Bruder betrieb, für einen Grünschnabel gehalten wurde. Anfangs hatte es mich etwas gestört, doch mit der Zeit hatte ich gelernt, es zu meinem Vorteil zu nutzen, denn es zahlte sich meist aus, wenn man unterschätzt wurde. »Aber zu Ihrer Beruhigung, wir haben auch ein paar Erwachsene im Vorstand.«

»So war das nicht gemeint«, sagte Mr. Lincoln und hob entschuldigend beide Hände. »Meine Tochter dürfte ungefähr in Ihrem Alter sein und ich wäre froh darüber, wenn sie sich eine Scheibe von Ihnen beiden abschneiden würde. Zur Zeit liegt ihr Augenmerk eher auf den Verbindungspartys.«

»Der eine wird etwas eher mit dem Ernst des Lebens konfrontiert, die andere später«, schwafelte ich, »lassen Sie ihr die Möglichkeit, ihren Weg zu finden.«

»Weise gesprochen, aber nun zu meinem Anliegen: Meine Firma wäre bereit, eine fünfstellige Summe zu diesem Projekt beizusteuern, doch Sie werden verstehen, dass ich vorher einige Fragen habe. Zum Beispiel über die konkrete Verwendung der Spendengelder.«

»Selbstverständlich. Ich würde mein Geld auch nicht blind irgendwohin schicken, wo sich nachher nur die Funktionäre bedienen.« Helen war, nachdem sie sich gerade kurz entfernt hatte, wieder zu uns gestoßen und reichte mir einen gebundenen Ordner.

»Kommen Sie mit zum Tisch, Mr. Lincoln, und ich erkläre Ihnen anhand unserer Pressemappe die Strukturen der Stiftung.« Ich wedelte mit dem Schriftstück und ging voraus. »Darin finden sich auch die kompletten Geschäftsberichte der letzten beiden Jahre. Sie können mir glauben, uns liegt selbst daran, so transparent wie möglich vorzugehen. Gerade bei diesem sensiblen Thema.« Er folgte mir, lauschte eine Viertelstunde lang aufmerksam meinen Ausführungen und unterbrach mich nur selten mit gut gewählten Zwischenfragen, die ich offensichtlich zu seiner Zufriedenheit beantworten konnte.

»Danke, Mr. Miller. Lassen Sie mich nur kurz telefonisch mit meinem Partner Rücksprache halten.«

»Klar«, sagte ich und sah ihm gemeinsam mit Helen hinterher, wie er sich mit dem Smartphone am Ohr ein paar Schritte in eine ruhigere Ecke verzog. »Den haben wir im Sack.«

»Das denke ich auch«, pflichtete Helen mir bei. »Es war eine super Idee von dir, diese Veranstaltung ins Leben zu rufen. Wir haben jetzt schon ein kleines Vermögen zusammen.«

»Danke, aber wenn ich dich daran erinnern dürfte, es war deine Idee, ich hatte dir lediglich von den geschäftlichen Aktivitäten erzählt, die ich hier mit Henry am Laufen haben würde.«

»Einigen wir uns darauf, dass es eine gute Idee war. Aber wer war denn das Mädel, dem du vorhin so schöne Augen gemacht hast? Sie ist niedlich.«

»Äh, was?«, stammelte ich, obwohl ich natürlich wusste, auf wen und worauf sie anspielte, aber ich dachte nicht, dass es so offensichtlich war. »Ach so, Beverly. Das ist eine alte Bekannte«, log ich, denn ich wollte Helen gegenüber nicht zuzugeben, dass ich sie zum einen erst seit etwa 24 Stunden kannte, sondern sie zudem ein fehlgeschlagenes amouröses Abenteuer war.

»Wie auch immer«, sagte sie und zwinkerte mir zu. »Meinetwegen kannst du dich wieder auf die Suche nach ihr machen, mit Mr. Lincoln werde ich jetzt sicher allein fertig.«

»Du bist ein Schatz«, sagte ich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich von ihr abwandte.

»Vergiss aber nicht die Mitternachtsansage!«

»Werde ich nicht.« Das hoffte ich jedenfalls, denn ich wusste ja von gestern Abend, dass ich in Beverlys Gesellschaft nicht unbedingt rationale Entscheidungen traf.

Frohgelaunt arbeitete ich mich durch die Menge zu der Bar, an der ich mich vorhin noch mit ihr unterhalten hatte. Doch dort war sie nicht mehr. Egal, dann würde sie sicher zu ihrem Tisch gegangen sein. Ich zog mein Handy aus der Tasche, rief meinen Organizer auf, in dem sowohl die Gästeliste als auch die Tischverteilung abrufbar waren. Dummerweise waren die Vornamen abgekürzt und nur das Mr., Ms. oder Mrs. deutete darauf hin, ob es sich hierbei um eine Frau oder einen Mann handelte. Ich seufzte, als ich sieben Ms. oder Mrs. B. Soundso auf der Liste fand, die natürlich jede an einen anderen Tisch gesetzt worden waren. Beim vierten Versuch landete ich dann den Treffer: Auf Tisch 17 fand ich das Namensschild, auf dem Ms. B. Greenwall stand und darunter der Zusatz ›New Metropolitan Magazine‹. Das musste es sein. Sie hatte schließlich von ihrem Magazin gesprochen und laut meines Organizers war dies das einzige Boulevardblatt, ansonsten standen nur Vertreter der städtischen Tageszeitung auf der Presseliste. Leider war der Stuhl davor unbesetzt und es hing weder eine Jacke noch eine Handtasche über der Lehne. Es sah nicht danach aus, als ob sie hierher zurückkehren würde.

»Sind Sie auf der Suche nach dem liebreizenden Ding, das hier saß?«, fragte mich die Frau, die den Platz links von ihr hatte. Sie erinnerte mich sofort an Kathy Bates in ihrer Rolle als Molly Brown im Blockbuster Titanic, den ich auf Drängen der Frau meines Freundes Steve mit ihr zusammen bei einem Besuch dort hatte anschauen müssen.

»Ja, Beverly. Wissen Sie, wo ich sie finde?«

»Das tut mir jetzt wirklich leid, aber ich fürchte, das Mädchen ist gegangen. Sie kam mir vorhin entgegen, als ich vom frische Luft schnappen draußen wieder hineingegangen war, und hat sich dabei von mir verabschiedet.« Autsch, das saß. Die mitfühlende Frau an Beverlys Tisch erkannte meine Enttäuschung darüber sofort und bat mich, mich hinzusetzen. Sie brauchte nur wenige Minuten, um mit ein paar kleinen Geschichten meine Alles-Kacke-Laune zu Gunsten einer Geht-so-Laune aufzuwerten. Als sie dann mein Namensschild sah, verwickelte sie mich in ein anregendes und ernsthaftes Gespräch, in dem sie mir unter anderem gestand, dass ihre Enkeltochter ebenfalls das Opfer einer Entführung geworden war, wobei es sich bei ihr so verhalten hatte, dass es ihr eigener Vater war, ein Südamerikaner, der sie in seine Heimat verschleppt hatte und es viele Monate dauerte, bis er sie wieder zu ihrer Mutter in die Staaten hatte reisen lassen.

»Ja, das war sicher eine schlimme Zeit«, sagte ich, ohne vom Tisch aufzusehen.

»Für meine Tochter war es die Hölle, aber wenn ich mir die Geschichte von Ihrer Kollegin Helen so ins Gedächtnis rufe –.« Sie schüttelte sich. »Das ist ja nochmal eine ganz andere Nummer.«

Direkt am Tisch sitzend wurde ich von einem weiteren Gast in ein Gespräch verwickelt und so ging es ohne große Pausen den Abend weiter, sodass ich gar keine Gelegenheit hatte, mir einen Kopf über den schnellen Abgang Beverlys zu machen. Immerhin hatte ich ja jetzt ihren kompletten Namen und den ihres Arbeitgebers. Sollte mich diese Frau in zwei, drei Tagen immer noch umtreiben, nahm ich mir vor, sie anzurufen und zu einem Date einzuladen. Jetzt rückte allerdings Mitternacht immer näher, daher orientierte ich mich langsam in Richtung Bühne, an deren Aufgang Helen bereits auf mich wartete und mich ungeduldig heranwinkte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739494166
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
romance USA liebeskomödie Seattle lovestory liebe young adult wohlfühlroman happy end große liebe

Autor

  • Rachel Callaghan (Autor:in)

Rachel Callaghan ist eine junge und aufstrebende Romanceautorin. Sie ist ständig auf der Suche nach Geschichten, die die Herzen berühren und höher schlagen lassen. Die erfolgreiche Lovestory "Chicago Moments" ist ihr Debüt. Es folgen mit "New York Moments" und "Seattle Moments" zwei weitere Bände der Reihe, die jeweils eine abgeschlossene Geschichte erzählen.