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New York Moments

winterlicher Liebesroman

von Rachel Callaghan (Autor:in)
234 Seiten
Reihe: Moments, Band 3

Zusammenfassung

Eine Geschichte über Sehnsucht, Schneeflocken und Weihnachtswunder … Patricias langgehegter Traum erfüllt sich, als sie ein Volontariat bei einem berühmten Lifestylemagazin in New York antritt. Für die Karriere nimmt sie die Trennung von ihrer Familie in Kauf und beendet rigoros die bröckelnde Beziehung zu ihrem Freund. Nach ein paar kleineren Artikeln für das Magazin ergattert sie die Titelstory über den Rocksänger Timothy Clarke, einen bekannten Macho mit dem rauen Charme eines Grizzlybären. Sein rüpelhaftes Benehmen sorgt zunächst dafür, dass sie problemlos die professionelle Distanz zu ihm wahren kann. Doch immer stärker fühlt sie sich zu ihm hingezogen und Timothy scheint ihre Gefühle zu erwidern. Zusätzlich wühlt die besinnliche Vorweihnachtszeit in Patricia eine nie geahnte Sehnsucht auf. Nach Glück, Geborgenheit und nach … Liebe? Liebe oder Karriere – wie wird Patricia sich entscheiden?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

New York Moments

 

 

 

 

 

Rachel Callaghan

 

 

Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Nachwort

Leseprobe

Impressum

 

Über das Buch

 

 

Eine Geschichte über Sehnsucht, Schneeflocken und Weihnachtswunder …

 

Patricias langgehegter Traum erfüllt sich, als sie ein Volontariat bei einem berühmten Lifestylemagazin in New York antritt. Für die Karriere nimmt sie die Trennung von ihrer Familie in Kauf und beendet rigoros die bröckelnde Beziehung zu ihrem Freund.

Nach ein paar kleineren Artikeln für das Magazin ergattert sie die Titelstory über den Rocksänger Timothy Clarke, einen bekannten Macho mit dem rauen Charme eines Grizzlybären. Sein rüpelhaftes Benehmen sorgt zunächst dafür, dass sie problemlos die professionelle Distanz zu ihm wahren kann. Doch immer stärker fühlt sie sich zu ihm hingezogen und Timothy scheint ihre Gefühle zu erwidern. Zusätzlich wühlt die besinnliche Vorweihnachtszeit in Patricia eine nie geahnte Sehnsucht auf. Nach Glück, Geborgenheit und nach … Liebe?

Liebe oder Karriere – wie wird Patricia sich entscheiden?

 

(K)eine einfache Weihnachtsliebesgeschichte mit ergreifenden, humorvollen und spannenden Momenten und einem garantierten Happy-End aus der Feder Rachel Callaghans.

Kapitel 1

 

 

Patricia

 

Seit nunmehr einer Woche versuchte ich, mich an New York City zu gewöhnen, doch ich war immer noch total geflasht von dieser Stadt. Ach, was sage ich, von dieser Weltmetropole! Jeden Abend musste ich den überfüllten Arbeitsspeicher in meinem Gehirn vor dem Einschlafen defragmentieren, so sehr erschlugen mich tagsüber die gewaltigen Eindrücke. Dabei hatte ich mich noch nicht einmal gezielt mit den berühmten Sehenswürdigkeiten beschäftigt. Die Freiheitsstatue hatte ich beispielsweise lediglich ein einziges Mal aus der Ferne gesehen, hatte bestaunt, wie Lady Liberty ihre Fackel gen Himmel über Bedloe’s Island reckte. So lautete der Name von Liberty Island, bevor die Statue Ende des neunzehnten Jahrhunderts dort errichtet worden war. Jedenfalls hatte ich das in einem Reiseführer gelesen. Doch das war alles, was ich unter der Kategorie Sightseeing verbuchen konnte, denn ich hatte bisher einfach den Bus oder die U-Bahn genommen, deren Haltestellen gerade mal fünf Minuten zu Fuß von meiner zwar kleinen, aber sehr gemütlichen Wohnung in Brooklyn entfernt lagen. Weniger gemütlich war die Lage: Meine vier Wände in der vierten Etage musste ich aufgrund des defekten Liftes jedes Mal zu Fuß erklimmen.

Wahllos stieg ich während meiner Touren jedes Mal ein paar Stationen später aus, reihte mich in den Passantenstrom ein, ließ mich durch die Straßen treiben, inhalierte die Luft, versuchte, das Innenleben meiner Traumstadt in mich aufzunehmen, die Menschen, den Lärm und die Gebäude, die teils endlos bis zur Wolkendecke und hindurch zu wachsen schienen. Kurzum, ich hatte das Gefühl, in einer vollkommen fremden, aber wahnsinnig aufregenden Welt zu sein.

Was strenggenommen auch gar nicht so weit hergeholt war. Denn ich stieg erst vor einer Woche aus der Maschine, die mich aus meiner Heimatstadt Hannover über den großen Teich direkt zum Big Apple geflogen hatte. Diesen Spitznamen gaben schwarze Musiker der Jazzszene in den 1920er Jahren der Stadt und er stand dafür, das große Los gezogen zu haben, wenn man hier einen Auftritt bekam. Wer weiß, vielleicht würde auch ich hier den großen Apfel vom Baum pflücken. Meinen eigenen Big Apple. Die Hoffnung darauf war jedenfalls riesig.

Es war später Abend, als meine Maschine auf einer Landebahn des im Stadtteil Queens gelegenen JFK-Airports butterweich aufgesetzt hatte.

›Zu Akklimatisierungszwecken‹, so hatten meine Eltern es bezeichnet und darauf gedrängt, dass ich ein paar Tage vor meinem Arbeitsantritt herkommen und schon etwas Großstadtluft schnuppern sollte, und mich in der neuen Umgebung orientieren, damit ich nicht ausgerechnet am ersten Tag zu spät in der Redaktion aufschlagen würde. Wie so oft lagen sie auch dieses Mal richtig, denn hier war alles wirklich groß und anders. Aber es war schön. Gerade schlenderte ich am Times Square entlang, bestaunte die Fassaden der bekannten Theater und Musicals und tausender anderer Geschäfte. Von allen Seiten flackerten bunte Leuchtreklamen über der Menschenmenge, die sich Tag und Nacht hier versammelte, wodurch es etwas surreal wirkte. Ich hörte, dass der Times Square eigentlich eine Ansammlung von mehreren Plätzen war und dort lag, wo der Broadway und die Seventh Avenue sich kreuzten, dass er seinen Namen der bekannten Zeitung New York Times verdankte, deren Verlagshaus im Jahr 1904 hier eröffnet worden war. Plötzlich vibrierte mein Smartphone. Mama. Schnell suchte ich eine ruhige Ecke und nahm das Gespräch an.

»Hey, du Süße, wie sieht es aus? Hast du dich schon etwas eingelebt? Bist du bereit für den großen Tag morgen?«, brabbelte sie los und mich durchlief ein warmes Gefühl beim Klang ihrer Stimme.

»Ja, Mama, ich finde mich gut zurecht hier und ja, ich bin aufgeregt wegen morgen.«

»Das kriegst du schon hin, Pat«, bestärkte sie mich. Trotz des lärmenden Straßenverkehrs konnte ich sie laut und deutlich über meine In-Ear-Stöpsel verstehen.

»Danke, Mama. Wie geht es Paps?« Eine Pause entstand. Mir war es sehr schwergefallen, meine Heimat zu verlassen, da Papa erst vor ein paar Wochen einen Schlaganfall erlitten hatte und nicht absehbar war, wann er sich wieder einigermaßen davon erholt haben würde. Falls er sich überhaupt jemals davon erholte. Doch sowohl er als auch meine Mutter bestanden darauf, dass ich mir diese einmalige Chance nicht entgehen lassen und meinen Traum auf keinen Fall versäumen dürfte. ›Irgendwas ist immer‹, hatte er mir mit seinem besten, schiefen Lächeln gesagt, das er mit der halbseitigen Gesichtslähmung zustande brachte, und hinzugefügt, dass er es sich nie verzeihen können würde, wenn ich wegen ihm das Volontariat im New Yorker Hauptsitz meiner Redaktion nicht antreten würde. Schließlich wusste Paps wie kein zweiter, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als von den ganz Großen der Szene zu lernen. Schon als Teenager hatte ich ihn immer wieder genötigt, sich für verschiedene Prominente auszugeben und mir in deren Rolle bei einem Interview Rede und Antwort zu stehen. Wir lachten oft während der Gespräche, da er mich jedoch ernstgenommen hatte, lernte ich unheimlich viel dabei und profitierte mittlerweile im Job vom damaligen Training. Zwar machte er nie einen Hehl daraus, dass er mich lieber in einer seriösen Rubrik wie der Wirtschaft oder der Politik gesehen hätte, doch ich blieb mir treu und landete bei den Reichen und Schönen, auch wenn das etwas substanzlos war, wie mein Vater mir immer wieder auf´s Brot schmieren musste.

»Ach, du weißt doch, der ist einfach nicht totzukriegen.« Der Ton in ihrer Stimme verriet mir, dass es ihm wohl nicht so gutging, wie sie vorgab. Und sie wusste, dass ich es merken würde.

»Ein Wort und ich steige in den nächsten Flieger zurück«, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, wovon ich den Flug hätte bezahlen sollen. Meine Ersparnisse waren während meines Studiums fast komplett draufgegangen und meine Eltern hatten selbst gerade genug, um davon leben zu können. Was sich durch die Krankheit meines Vaters natürlich noch dramatisch verändern könnte. Doch mir würde schon etwas einfallen. Wie immer.

»Den Teufel wirst du tun, Pat«, sagte sie energisch, und da ihr Dickkopf mindestens genauso groß war wie der meines Vaters – kein Wunder, dass ich selbst so geworden bin, dachte ich schmunzelnd – legte ich die Überlegungen ad acta, eventuell nach Hause zu fliegen. Nach einem Moment wechselte meine Mutter gekonnt das Thema und so sprachen wir noch einige Minuten über weniger wichtige Dinge, bevor wir das Telefonat beendeten und ich mein Handy mit gemischten Gefühlen zurück in die Handtasche steckte. Mach dich nicht verrückt, er wird sich erholen und wieder gesund werden. Du bist halt aufgeregt wegen morgen, versuchte ich, mich zu beruhigen, und wich im letzten Moment einem Jugendlichen aus, der mich fast mit seinem Skateboard angefahren hätte. Zumindest meinte ich das. Er sah das jedoch offensichtlich ganz anders, denn er grinste mich unter seiner, den Schirm nach hinten gedrehten Cappy frech an und formte das Victoryzeichen mit den Fingern. Verdutzt schaute ich ihm hinterher, doch nur kurz, denn einen Moment später hatte ihn die Menschenmenge bereits verschluckt.

Langsam machte ich mich auf den Heimweg. Es begann zu dämmern und auf keinen Fall wollte ich den ersten Eindruck bei meinen neuen Chefs und Kollegen durch dunkle Augenringe oder unterdrücktes Gähnen versauen.

Kapitel 2

 

 

Patricia

 

Es dauerte, bis ich das richtige Gebäude an der Sixth Avenue gefunden hatte, das mit achtzehn anderen Hochhäusern den Rockefeller Center im Stadtteil Manhattan bildete, der sich über drei Blocks erstreckte. Mit einer Mischung aus Aufregung und Ehrfurcht verharrte ich wie festgetackert vor den Stufen des Wolkenkratzers, die zu der gläsernen Doppelschiebetür führten. An der Vorderseite der steinernen Säulen, die einen gewaltigen Mauervorsprung stützten, der sicher die Funktion eines Regendaches erfüllen sollte, waren mehrere silbern glänzende Tafeln angebracht, die mir verrieten, welche Firmen hier ihren Sitz hatten. Es dauerte eine Sekunde, bis mein Blick auf das Schild fiel, auf dem ich in schwarz-grüner Schrift ›RICHES ET BEAUX, Lifestyle-Magazin, vierzehnte Etage‹ las, gekrönt vom geschwungenen Logo, das eine langhaarige Frau verwoben mit einem Löwen zeigte. Bislang hatte mir allerdings niemand logisch erklären können, was es mit diesem Mischwesen auf sich hatte. Der Name unserer Zeitschrift hingegen war Programm, denn ohne eine der beiden Kriterien zu erfüllen, hatte man keine Chance, in der monatlichen Ausgabe zu erscheinen. Um gar auf die Titelseite zu gelangen, musste man verdammt reich und schön sein. Mittelmaß wurde nicht geduldet und das Journal erreichte in allen vierundzwanzig Ländern, in denen es verkauft wurde, bombastische Verkaufszahlen, trotz der immer stärker werdenden Konkurrenz im TV und Internet. Das lag nach Meinung meiner Chefredakteurin der deutschen Ausgabe vor allem an zwei Dingen. Zum einen kam unser Journal dem Inhalt entsprechend schick und hochwertig daher, nicht zuletzt aufgrund der Hochglanzqualität, die für den Druck genutzt wurde. Zum anderen hoben wir uns von den klassischen Formaten ab, die beispielsweise die Dokusoap ›Die Geissens‹ ablieferten, in denen nur mit Prunk geprotzt wurde und möglichst derbe Sprache erwünscht war, und auch von den üblichen, vor Schmalz triefenden Klatschblättern, in denen die europäischen Königshäuser oder alternden Schlagersänger gefeiert wurden. Wir recherchierten jeden Artikel seriös und durften die Prominenten durchaus kritisch hinterfragen – das sollten wir sogar – ohne sie dabei in ein schlechtes Licht zu rücken. ›Auch wir bedienen die niederen Instinkte und Wünsche der Leute, nur gehen wir dabei subtiler vor‹, sagte sie mir einst. Ein Spagat, der mir in meinem ersten Jahr manches Mal den Schweiß aus den Poren schießen ließ. Dennoch, oder gerade deswegen, bekamen wir nur höchst selten einen Korb, wenn wir wegen einer Reportage oder eines Berichts anfragten. Im Gegenteil: Es galt in der Szene eher als Ritterschlag, wenn man in unserer Zeitschrift erwähnt wurde.

Kurz hielt ich inne und dachte an meinen Vater, der stets kopfschüttelnd abwinkte, wenn ich ihm von unseren Standards erzählte. »Wie du es auch nennst, ihr seid ein kitschiges Glam-Magazin, das die Eliten bauchpinselt und hofiert und dem gemeinen Leser durch pseudointellektuelles Geschwurbel eurer Texte suggeriert, dass das alles schon so in Ordnung sei. Ist es aber nicht, da Reichtum fast immer zu Lasten anderer entsteht. Über die Botschaft, die ihr damit aussendet, brauchen wir gar nicht zu reden.« Schon lange ließ ich mich auf diese Diskussion mit ihm nicht mehr ein, zu oft waren wir uns dabei in die Haare geraten und erst durch meine Mutter, die uns dieselbigen wusch, fanden wir wieder zusammen.

Ein Lächeln huschte durch mein Gesicht, während ich tief durchatmete und noch einmal an der beeindruckenden Fassade meiner neuen Arbeitsstelle hinaufsah.

»Okay, Paps«, sagte ich laut, obwohl er mich im tausende Meilen entfernten Hannover natürlich nicht hören konnte. »Halt dir die Augen zu, dein Töchterchen erklimmt die nächste Stufe des Belanglosen.« Kurz darauf betrat ich das Gebäude und hatte wenig später mit dem Fahrstuhl die vierzehnte Etage erreicht.

Uff, ich hatte zwar damit gerechnet, dass hier mehr los sein würde als in meiner alten, gerade mal zwanzig Mitarbeiter umfassenden Redaktion, jedoch überraschte mich das emsige Treiben sehr, das sich vor meinen Augen abspielte, nachdem sich die Türen des Lifts geöffnet hatten. Auf die Schnelle konnte ich gar nicht erfassen, wie viele Leute hier herumschwirrten. Das Szenario erinnerte mich sofort an ältere Filme, in denen man einen Einblick in das Innenleben der New York Times oder einer anderen Tageszeitung mit Millionenauflage gewährt bekam. Überall standen Leute zu zweit oder in kleinen Gruppen, steckten ihre Köpfe zusammen und diskutierten gestenreich. Ich sah hektisch dreinblickende Mitarbeiter, die mit Fotoabzügen in der Hand von einem Schreibtisch zum nächsten hetzten, nach bestimmten anderen Kolleginnen oder Kollegen fragten und mit Schweiß auf der Stirn wieder zu ihrem eigenen Arbeitsplatz zurückrannten. Je länger ich das Schauspiel beobachtete, umso mehr korrigierte ich mich. Es wirkte doch eher wie an der Börse, fünf Minuten, bevor sie schloss und die Broker noch eben ein paar Milliarden verschieben mussten. Hach, das wäre mein Traum, wenn ich mal einen dieser Aktienakrobaten ein paar Tage an der Wall Street begleiten und über ihn berichten dürfte. Aber jetzt musste ich mich erstmal zum Büro meiner neuen Chefin durchfragen.

»Auf der anderen Seite, dann den Gang runter, letzte Tür rechts«, erfuhr ich von Kelly, während die Frau ihren Blick nicht vom Monitor abwandte. Diesen Namen nannte sie jedenfalls gerade einem Anrufer.

»Danke«, sagte ich, was sie mit einem knappen Nicken quittierte.

Es war einfach großartig, in diese Hektik einzutauchen, von der Geräuschkulisse betäubt zu werden. Nichts schien hier stillzustehen. Normalsterblichen mochte das Angst einflößen und den Puls zum Rasen bringen, doch ich genoss es in vollen Zügen, wie ich mich durch die Menschen und Schreibtische navigierte und zu einem Puzzleteil dieses Ameisenhaufens wurde.

Auf dem Korridor ebbte die Geräuschkulisse ab, als würde er von einer unsichtbaren Lärmschutzwand vom Treiben im Großraumbüro getrennt. Mit jedem Schritt, den ich der Tür näherkam, hinter der ich einen Termin mit der Frau hatte, die über den weiteren Verlauf meiner Karriere entschied, stieg mein Puls an. Kein Wunder, wenn ich es hier verbocken würde, könnte ich zurück in Deutschland auch wieder ganz unten anfangen. Mir war durchaus bewusst, welches Glück ich hatte, schließlich wurde jedes Jahr unter allen Auslandsabteilungen nur eine Mitarbeiterin ausgewählt, hier an der Quelle der Macht, dem Allerheiligsten des Magazins, zeigen zu dürfen, was man draufhatte. Und dieses Jahr war ich die Auserwählte, die Ms. Anderson quasi, wenn man den Vergleich zur Sci-Fi-Trilogie Matrix ziehen wollte. Kein Wunder also, dass mir etwas die Düse ging, obwohl ich mich selbst als durchaus tough und selbstbewusst charakterisiert hätte.

Gerade wollte ich anklopfen, da schwang die Tür nach innen auf und der Mann, der mit eingezogenem Kopf hinaustrat, lief mich fast über den Haufen. Zigarettengeruch stieg mir in die Nase.

»Sorry«, sagte er kurz und lief, ohne mich anzusehen, an mir vorbei.

»Kein Problem«, erwiderte ich leise, trat auf die Schwelle und räusperte mich.

»Was ist?«, hörte ich eine raue Stimme krächzen.

Ich war leicht irritiert über die Rauchschwaden, die unter der Zimmerdecke aussahen wie Wolkenschleier. Dann sah ich sie hinter ihrem Schreibtisch: Maxime Fields, die Grande Dame dieses Magazins. Die Brille schien ihr jeden Moment über den Nasenrücken zu rutschen, doch sie blieb an Ort und Stelle, als der Kopf meiner Chefin in meine Richtung schwenkte.

»Guten Morgen, mein Name ist Patricia Stiller, ich komme –.«

»Das deutsche Supertalent?«, unterbrach sie mich und winkte mich heran. »Setzen Sie sich, Kindchen, und atmen Sie durch. Das wird der letzte Moment der Ruhe sein, den Sie in diesem Jahr bekommen.«

Zügig durchquerte ich den Raum und ließ mich auf dem lederüberzogenen Stuhl ihr gegenüber nieder. Durchatmen? Die Frau hatte gut reden, mir wurde fast schlecht von dem Gestank.

»Ich freue mich, dass ich –.«

»Ja, ja«, unterbrach sie mich abermals. »Sie wissen, welche Chance Ihnen hier geboten wird?« Maxime wartete mein Nicken nicht ab. »Ich verlange nur eines: Vollgas! Ihr Privatleben existiert ab dem Augenblick nicht mehr, in dem Sie gleich dieses Büro verlassen und zu Ihrem neuen Arbeitsplatz gehen werden.«

»Verstanden.«

»Gut. Damit eines klar ist: Unser Magazin ist die Nummer eins weltweit und diese Position ist uns nicht zugeflogen. Wir arbeiten nicht hart, wir gehen über unsere Grenzen. Und falls Sie ein Problem haben, erwarte ich, dass Sie es lösen.« Sie kniff die Augen zusammen und fixierte mich über den Rand ihrer Brille hinweg. »Noch Fragen?«

Ob ich noch Fragen hatte? Tausende, aber mir war bewusst, dass sie es rhetorisch meinte.

»Nein«, erwiderte ich deswegen.

»Gut.« Maxime drückte auf eine Taste der Telefonanlage und im nächsten Moment hörte ich eine helle Stimme.

»Ja?«

»Stella, bringen Sie Patricia bitte zu ihrem Schreibtisch.«

»Sofort«, kam es wie aus der Pistole geschossen und kurz darauf erschien eine vollschlanke Frau im Türrahmen, die trotz der zu vielen Kilos auf ihren Rippen eine attraktive Erscheinung darbot. Wie übrigens fast alle, die ich bislang hier gesehen hatte, und auch Maxime, die sicher über 50 und offensichtlich starke Raucherin war, hatte sich fantastisch gehalten. »Folgen Sie mir bitte«, sagte Stella und deutete mit dem Kopf in Richtung Korridor. Ich schaute zu Maxime, die jedoch schon wieder in irgendwelchen Unterlagen vertieft war und mich scheinbar gar nicht mehr wahrnahm, stand auf und schloss zu Stella auf, die mit kurzen Schritten den Gang hinunterlief.

»Hi, ich bin –.«

»Patricia, ich weiß«, unterbrach auch sie mich. Kurz malte ich mir eine Zukunft aus, in der ich nie mehr dazu kommen würde, meine Sätze auszuformulieren. »Dort ist dein Reich.« Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf einen Doppelschreibtisch, der kleiner war als der Schminktisch meiner Mutter – und der war nicht wirklich groß. Auf der anderen Seite saß ein junger Mann, der seine lateinamerikanischen Wurzeln nicht verbergen konnte. »Raúl, das ist sie. Du weißt ja Bescheid.« Kaum zu Ende gesprochen machte sie auf dem Absatz kehrt und ließ mich mit meinem neuen Partner allein. Ich ging auf ihn zu und streckte ihm meine Hand entgegen.

»Hey, ich bin Patricia. Oder Pat, ganz wie du willst.« Er musterte mich von den blauen Pumps über die Bluejeans bis zur weißen Bluse und blieb mit seinen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen an meinen hängen. Zögernd stand er auf, er war wirklich groß, sehr groß, reichte mir die Hand und drückte sie fest. Als er zu einer Erwiderung ansetzte, rechnete ich fest mit einer tiefen, rauchigen Stimme, die mir mit einem südamerikanischen Akzent einen machohaften Spruch drücken würde. Doch in dem Moment, als er mit einer recht hohen, gerade noch als männlich erkennbaren Stimme zu sprechen begann, lockerte sich sein Handgriff.

»Hi, Schatz, ich freue mich sehr, dich kennenzulernen«, sagte er und die Tonmelodie erfüllte das Klischee absolut: Mein neuer Partner war offensichtlich schwul. Das Grinsen in meinem Gesicht irritierte ihn nicht, sicher hatte er diese Situation schon etliche Male erlebt. Er trat einen Schritt zurück und taxierte mich abermals. Dann legte er seinen Zeigefinger auf die Lippen. »Nein, so kann das nicht bleiben.« Er schnappte seine Jacke und hakte sich bei mir unter.

»Wohin gehen wir?«

»Frag nicht so dumm. Wir müssen dir etwas zum Anziehen besorgen. So kannst du unmöglich herumlaufen.«

 

***

 

Keine fünfzehn Minuten später präsentierte Raúl mir seine bevorzugte Shopping-Mall im Herzen Manhattans. Erst dachte ich, bei meinen bisherigen, halbblinden Erkundungstouren schon einmal hier gewesen zu sein, doch auf den zweiten Blick wurde mir klar, dass ich mich irrte. Kein Wunder, die Geschäfte waren allesamt riesig und viele davon waren in mehreren dieser Einkaufszentren vertreten.

»Ja, das gefällt mir schon.« Er hatte Geschmack. Das Oberteil, das er ausgesucht hatte, stand mir wirklich gut und ich hätte mich sofort darin verliebt, wenn, ja wenn ich das Preisschild nicht gesehen hätte. »Aber dafür kann ich einen halben Monat meine Miete bezahlen.«

»Ach herrje, das kleine, deutsche Mauerblümchen hat sein Sparschwein vergessen«, sagte er und hielt sich die flache Hand vor den Mund, bevor er abwinkte und lachte. »Du glaubst doch nicht, dass Maxime dich so auf unsere Promis loslässt.« Dabei zeigte er naserümpfend auf die Bluse, die am Haken in der Umkleidekabine hing. »Warte, ich hol dir noch was.« Einen Moment später steckte er seinen Kopf durch den Vorhang und kreischte kurz auf. »Oh nein, was ist denn das?«

Es dauerte einige Sekunden, bis ich kapierte, dass er auf meinen BH anspielte, der zugegebenermaßen etwas aus der Mode war. Genau wie meine Brüste schon bessere Zeiten erlebt hatten. Nicht was ihre Form anging, denn die war tadellos. Zwar waren sie nicht übertrieben groß, dafür fest und handlich. Nein, ich hatte mich vor einem halben Jahr von meinem Freund getrennt, sobald ich von der Stelle hier erfahren hatte. Das war jedoch nur der Auslöser, denn auch ohne den Jobwechsel hätte unsere Beziehung dieses Weihnachten kaum überlebt. Dazu passte, dass er es gefasst aufgenommen hatte und ohne Schwierigkeiten zu machen aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Seit dem Tag allerdings lebte ich nur noch für meine Arbeit und blockte jeden Versuch einer Anmache anderer Kerle schon im Ansatz ab, was bezogen auf Männerhände für meine Brüste und meinen Hintern allerdings eine lange Unterversorgung zur Folge hatte.

»Meine Klamotten darf ich während der Interviews doch anbehalten, oder?«

»Schatz, du könntest wunderschön aussehen, wenn wir das hier noch in Ordnung bringen würden.« Er berührte eine Strähne meines Haares und verzog das Gesicht dabei. »Aber du kannst dich doch gar nicht wohlfühlen, wenn du die Unterwäsche deiner Grandma trägst. Nein, nein, wir müssen dich von Grund auf renovieren!«

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Schließlich entschied ich, mich seiner Typberatung zu unterziehen und die Andeutung, dass die Rechnung dafür vom Magazin bezahlt werden würde, vereinfachte das Ganze. Solange es auch stimmte. Denn würde ich das Geld selbst aufbringen müssen, das wir in den vergangenen drei Stunden in den Boutiquen, dem Schuhladen und beim Friseur gelassen hatten, könnte ich mir schon mal einen netten Schlafplatz am Fuß der Brooklyn Bridge suchen und hoffen, dass mich meine neuen Freunde dort hin und wieder zum Aufwärmen an das brennende Fass ließen.

Wir gönnten uns noch einen Snack, bevor wir zur Redaktion zurückgingen. Wenigstens in der Wahl meines Essens, einem Chefsalat, konnte ich den Ansprüchen Raúls genügen. Auf dem Weg warf ich verstohlene Blicke in jedes Schaufenster, in dem ich mich spiegelte. Man musste es ihm einfach lassen: Geschmack hatte er. Und trotz der drastischen Verwandlung, die er mit mir angestellt hatte, erkannte ich mich wieder.

»Du siehst heiß aus, Schatz«, sagte er und knuffte mich. »Das wird sich auch im nächsten Spiegel nicht ändern. Vertrau mir.«

»Bisschen viel verlangt, wo wir uns erst ein paar Stunden kennen, findest du nicht?«, erwiderte ich, doch mir kam es vor, als wäre er bereits seit Jahren mit mir befreundet. »Aber du hast meine Frage von vorhin noch nicht beantwortet.«

»Du meinst, ob das wirklich alles von Maxime bezahlt wird?« In der Tat beschäftigte mich die Rechnungsfrage ein wenig, darauf hatte ich aber nicht angespielt. »Oder redest du vom Job?« Er sah mich von der Seite her an und bemerkte mein Nicken. »Keine Ahnung, wie das bei euch in Deutschland läuft, aber hier gibt es eine klare Rollenverteilung: Wir haben die Techniker, die Grafiker und die Lektoren und Korrektoren, die allesamt dafür sorgen, dass die fertige Ausgabe perfekt ausschaut. Und dann haben wir die kreative Abteilung, in der die Zuarbeiter, so nenne ich sie zumindest, für die Recherche zuständig sind, Fotografen oder Kameraleute buchen und den Terminkalender ihrer zugeteilten Interviewer im Auge behalten.« Okay, dachte ich, die technische Seite lief bei uns ähnlich ab, die Leute jedoch, die für die Interviews zuständig waren, mussten sich um jeden Kram selbst kümmern. Was mich natürlich gut auf das vorbereitete, was hier von mir erwartet wurde.

»Ich verstehe, also bist du mein zugeteilter Interviewer und ich dein Zuarbeiter. Was hast du doch für ein Glück, Raúl, ich werde dich nicht enttäuschen. Sag mir nur, wo ich was oder wen finde, und wir können loslegen.« Raúl blieb abrupt stehen und wandte sich mir zu, die Augenbrauen unter seinem dichten, schwarzen Haar zusammengekniffen. Verdammt, hatte ich etwas Falsches gesagt? Warum schaute er jetzt so ernst?

»Tontuela. Glaubst du, ich hätte dich so herausgeputzt, wenn du trockenen Bürodienst machen solltest?«

»Äh, hast du mich gerade Dummerchen genannt?«

»Si, tontuela. Siehst du? Schon wieder.« Er lachte und ich wäre gern mit eingestiegen, wusste aber gerade nicht, wohin der Hase lief. Langsam jedoch beschlich es mich.

»Du meinst also im Ernst, dass ich ein Interviewer sein soll? Als Frischling? In einer fremden Stadt in einem fremden Land?«

»Si.« Kopfschüttelnd ging er weiter. Ich folgte ihm und schloss zu ihm auf.

»Und bekomme ich etwa auch einen eigenen Zuarbeiter?« Er nickte. »Und wann lerne ich den kennen? Oder ist es eine Sie?«

»Tontuela, grande Tontuela.« Raúl hakte sich wieder bei mir unter. »Ich hoffe, dass du nicht immer so begriffsstutzig bleiben wirst.«

Kapitel 3

 

 

Vier Wochen später, Anfang November

 

Patricia

 

Besser hätte der Start in meinen neuen Lebensabschnitt gar nicht laufen können. Mein Vater befand sich auf gutem Weg, versicherte er mir bei jedem Telefonat und meine Mutter bestätigte es. Er konnte gar die ersten Schritte allein, das hieß, mit Hilfe eines Rollators hinter sich bringen. Laut Aussage seiner Physiotherapeutin würde er aber nicht mehr lange auf eine Gehhilfe angewiesen sein. Raúl war ein Goldschatz, auch wenn er mich immer wieder wegen meiner – seiner Meinung nach – Landeieigenschaften aufzog. Was er leistete, konnte ich kaum in Worte fassen. Manchmal dachte ich, sein Tag müsste 72 Stunden haben und Schlaf gäbe es für ihn nicht, sodass ich teilweise schon ein schlechtes Gewissen bekam. Doch er brannte genauso wie ich für diesen Job und das zahlte sich aus. Für uns beide. Binnen kürzester Zeit hatten wir uns in der internen Hierarchie aus dem unteren Mittelfeld hochgearbeitet und konnten uns bereits Aufträge aussuchen. Jedenfalls unter denen, die von dem unangefochtenen Starduo unseres Magazins übrig gelassen wurden. Samantha und Jeanne – die beiden sahen so verdammt gut aus, als wären sie der Vogue entsprungen, was sie mit ihrer arroganten Art jeden spüren ließen.

»Ich will ehrlich zu dir sein, an deinem ersten Tag hatte ich ein schlechtes Gefühl.«

»Was meinst du damit, Raúl?«

»Nun, nachdem du Carls Posten bekommen hattest, der echt nichts draufhatte, und du hier abgekippt wurdest, dachte ich, dass ich mir bald einen neuen Job suchen könnte. Aber Schatz, ich habe dich massiv unterschätzt.« Jeder bekam gern ein Lob ausgesprochen, warum er anfangs jedoch so skeptisch gewesen sein wollte, erschloss sich mir nicht. Doch das störte mich nicht, ich hatte mich daran gewöhnt, dass Raúl nicht um den heißen Brei herum schwafelte, sondern Klartext sprach. Natürlich tat das manchmal weh, aber damit konnte ich umgehen. Dank der harten Schule meines Vaters.

»Nur, weil ich ein dummes Landei aus Deutschland bin und einen miesen Geschmack hinsichtlich meiner Klamotten habe?« Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah ich ihn streng an, bevor wir beide lachen mussten.

»Si, ich bin leider zu schnell, wenn es darum geht, jemanden in eine Schublade zu stecken. Obwohl gerade einer wie ich da sensibler sein sollte.«

»Findest du? Nur, weil du schwul und ein illegaler Einwanderer mit einem grausamen Akzent bist?« Jetzt war es Raúl, der mich tadelnd ansah.

»Das trifft mich ins Herz«, sagte er, wobei er jedes Wort bewusst betonte, um den Akzent zu verstärken, und sich demonstrativ mit beiden Händen an die Brust fasste.

»Ja, genau. Aber genug gescherzt. Was steht an?« In den ersten Wochen hatten wir drei Artikel geschafft. Ein lokaler Politiker, der sich vergebliche Hoffnung bei der nächsten Bürgermeisterwahl der Stadt machte, riss Maxime nicht vom Hocker und landete am Ende der Ausgabe. Die Nachwuchssportlerin, die sich für die Leichtathletikweltmeisterschaften qualifiziert hatte und supersüß auf den Fotos rüberkam, schaffte es schon ins mittlere Drittel. Doch den Vogel schossen wir mit unserer Reportage über Michelle Martins ab, die es geschafft hatte, sich innerhalb von nur drei Jahren von einer Diner-Bedienung in eine der begehrtesten Immobilienmaklerinnen des Bundesstaates zu verwandeln. Der wahr gewordene American Dream – von der Tellerwäscherin zur Millionärin! Das zog halt immer. Ausschlaggebend für den Erfolg des Interviews war aber weniger ihre berufliche Karriere als vielmehr die Tatsache, dass sie eine leidenschaftliche Affäre mit dem Kapitän der New York Knicks führte. Auch wenn das Raúl zutiefst bestürzt hatte, hoffte und glaubte er doch, dass der Basketballstar homosexuell sein würde.

»Dann muss ich den wohl schweren Herzens von meiner Liste streichen«, hatte er betrübt verlauten lassen, als uns Michelle damit überraschte.

»Nimm es wie ein Mann«, erwiderte ich. »Außerdem ist deine Liste noch lang genug.«

Der Beitrag jedenfalls hatte sich für die nächste Ausgabe den Platz auf den Seiten 4-6 gesichert, was uns beiden einige Sticheleien und böse Blicke von Jeanne und Samantha eingebracht hatte, die es laut Raúl nicht ertragen konnten, wenn jemand an ihrem Podest rüttelte. Doch deren Ziel, also vorrangig mich einzuschüchtern und klein zu halten, erreichten sie dadurch nicht, denn mich stachelte es nur weiter an, und das wiederum motivierte Raúl noch mehr, als er es eh schon war.

»Also, was steht an?«, wiederholte ich meine Frage von eben, da Raúl gedankenverloren an mir vorbei starrte und sie offensichtlich nicht mitbekommen hatte. Neugierig drehte ich mich um und folgte seinem Blick. Erst jetzt bemerkte ich die Stille im Büro, da fast jeder der Frau hinterher guckte, die den Raum durchquerte und im Korridor verschwand, der zu Maximes Büro führte. Erst, als sie nicht mehr zu sehen war, schwoll der Geräuschpegel wieder auf das übliche Maß an. Raúl räusperte sich.

»Du hast keine Ahnung, wer das war, richtig?«

»Wer? Die rothaarige Trulla, der ausnahmslos jeder außer mir hinterhergeglotzt hat? Nein, keinen blassen Schimmer.« Mir war natürlich klar, dass es etwas Besonderes mit der zwar topgestylten, aber dennoch nicht sonderlich attraktiven Frau im Kostüm auf sich haben musste, doch ich wollte nicht zu neugierig wirken. Raúl sog zischend die Luft ein.

»Du musst noch viel lernen, Schatz. Das ist Veronica Flowers.«

»Ach, DAS ist Veronica Flowers? DIE Vernonica Flowers? Wirklich?«, fragte ich mit weit aufgerissenen Augen, woraufhin er zustimmend nickte. Dann entspannte sich mein Gesicht. »Kenn ich nicht. Was ist mit der?«, hakte ich trocken nach, was die typische Raúl-Mimik provozierte, die in der Regel mit einem gesprochenen ›Tontuela‹ untermauert wurde.

»Du weißt gar nichts, Patricia Snow«, tadelte er mich in Anspielung auf das bekannte Zitat aus der Hammer-Serie Game of Thrones, woraufhin ich losprustete. »Aber ich will dich nicht dumm sterben lassen. Veronica Flowers ist die Managerin von Timothy Clarke«, sagte Raúl in einem Ton, als ob ich genau wissen müsste, wer dieser Clarke war. Und langsam dämmerte es bei mir.

»Der Frontmann der Rockband ›The Escalation‹?« Mein Kollege nickte. Klar, von denen hatte ich gehört, im wahrsten Sinne des Wortes. An deren Musik kam man auch kaum noch vorbei, seitdem die Band vor etwa drei Jahren einen Raketenstart in den Rockolymp hingelegt und mehrere Hits in internationalen Musikcharts gelandet hatte. Die raue Stimme des Leadsängers ergab zusammen mit den harten Gitarrenriffs einen unverwechselbaren Sound. In den deutschen und anderen europäischen Hitparaden waren sie allerdings noch nicht richtig angekommen, zählten eher noch als eine Art Geheimtipp. Jedoch musste ich gestehen, dass mein Musikgeschmack vom harten Sound dieser Band abwich. Als Kind der Stadt Hannover ließ ich natürlich nichts auf den Sound der Scorpions kommen, die wie ich aus der Landeshauptstadt stammten. Doch deren eher softer Rock war schon grenzwertig für meine Ohren. Ich bevorzugte ganz klar die lateinamerikanischen Rhythmen, die in den Zumbakursen aufgelegt wurden, in denen ich mich gern verausgabte, wo jede Faser meines Körpers ab und wann so erotisch vibrierte, dass ich mich kaum mehr als Frau fühlen konnte, als in diesen Situationen. Vielleicht war auch das der Grund dafür, dass ich Raúl vom ersten Moment an mochte, denn zumindest äußerlich bot er das Bild des typischen Machos, der sie alle haben konnte. Was ihm jedoch nichts half, stand er doch auf Männer. Aber ich vermutete, dass er auch bei denen gut landen konnte.

»Ja, die Band kenn ich, auch wenn ich bei dem Frontmann jetzt kein Gesicht vor Augen habe.« Während ich den Satz sprach, flogen seine Finger über die Tastatur. Kurz darauf drehte er den Monitor zu mir und mich sprang das Bild eines Mannes an, mit verschwitzten Haaren, engem T-Shirt, das einige Tattoos freigab – ich erkannte ein Tribal und den Kopf einer Gitarre auf dem kräftigen Oberarm – und einer engen Jeans, die von einem knackigen Hintern in Form gebracht wurde. Das Gesicht war verzerrt und von bunten Scheinwerfern beleuchtet, während er gerade inbrünstig ins Mikro sang, das er mit der Hand so fest umschlossen hielt, dass die Adern auf dem muskulösen Arm deutlich zu sehen waren. Ich zog leicht die Augenbrauen hoch, während ich den Mann betrachtete. »Ist jetzt nicht so mein Geschmack«, erklärte ich wahrheitsgemäß, denn ich stand doch eher auf den Anzugtyp mit kurzgeschnittenen Haaren und rasiertem Gesicht.

»Müssen wir dir etwa auch noch eine Brille mit stärkeren Gläsern besorgen?«, fragte Raúl echauffiert. »Der Typ ist Zucker, den würde ich mal gerne so richtig –.«

»Keine Details«, unterbrach ich ihn, indem ich eine Hand hob und demonstrativ wegschaute. »Verschone mich mit deinem Liebesleben und überhaupt mit dem ganzen Romantikquatsch. Ich bin zum Arbeiten hier.«

»Ach ja, du hast ja wegen des Jobs deinen Freund zum Teufel gejagt, du kaltherziges Ding du.«

»Wie du vorhin schon sagtest: Patricia Snow. Aber was will sie denn jetzt hier?« Ich deutete mit dem Daumen über meine Schulter hinweg nach hinten.

»Wenn sie hier aufschlägt, kann es eigentlich nur Eines bedeuten: Wir bekommen ein Interview mit Timothy Clarke. Dazu passt, dass die Band einen Auftritt im Madison Square Garden hat. Da findet um Weihnachten ein großes Benefizkonzert mit mehreren Künstlern statt und ›The Escalation‹ gehören zu den Top-Acts.«

»Worauf warten wir dann noch? Holen wir uns den Auftrag.« Ich setzte an, aufzustehen und in Maximes Büro zu gehen, aber er unterbrach mich:

»Vergiss es, keine Chance«, erwiderte er, während er quer durch den Raum schaute. Ich folgte seinem Blick und sah gerade noch, wie Jeanne um die Ecke bog. »Den Auftrag werden sich die beiden Supertrullas unter den Nagel reißen, wie üblich.«

»Raúl Emilio Bernadino Christiano Failla, so einfach geben wir nicht auf!«

»Ich heiße weder Emilio noch Bernadino oder Christiano«, erklärte er mir und sah mich befremdlich an.

»Das ist doch völlig egal, aber so klingt es energischer.« Keine Ahnung, woher ich die Zuversicht nahm – an Raúls pessimistischer Miene konnte es nicht gelegen haben – aber ich war mir sicher, dass Maxime uns damit betrauen würde. Vermutlich stützte sich meine Hoffnung darauf, dass es mir dabei mehr um meinen Kollegen ging als um mich selbst, denn ich kannte die wenigsten unserer Interviewpartner und musste in den meisten Fällen eine gründliche Recherche betreiben. Und sollte es nicht klappen, würde mir persönlich kein Zacken aus der Krone brechen. Wir würden uns einfach in den nächsten Fall einarbeiten und gut.

»Wie auch immer. Diesen heißen Typen werden sich die beiden nicht entgehen lassen.«

»Wir werden sehen«, sagte ich verschwörerisch und ging los.

»Wohin willst du?«, rief er mir hinterher, doch ich lief einfach weiter.

Fast hatte ich Maximes Bürotür erreicht, da schwang sie auf und Jeanne marschierte mit hochrotem Kopf an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Was war passiert? Sollte ich mein Vorhaben vielleicht besser überdenken und wieder umdrehen? Ich könnte Raúl sagen, dass ich es erfolglos versucht hatte. Nein, das wäre nicht meine Art. »Augen zu und durch.«

»Ja?«, brummte es und ich trat ein. Die beiden Frauen saßen sich am Schreibtisch gegenüber und schauten mich fragend an, während ich ein unschuldiges Gesicht aufsetzte, auf sie zuging und der Managerin des Rockstars die Hand reichte. Zögerlich griff sie danach.

»Guten Tag«, sagte ich knapp und wandte mich zu Maxime. »Wir sind fertig, haben Sie schon was Neues für uns?«, log ich, denn wir waren mit unserer aktuellen Arbeit bei weitem noch nicht durch. Doch ich zweifelte nicht daran, dass wir es hinbekommen würden, fehlten im Endeffekt doch nur noch die Feinheiten. Und warum sollte ich nicht für Raúls Glück ein paar Extra-Nachtschichten einlegen?

»Ist sie auch eine?«, hörte ich die Managerin fragen. Sie deutete auf mich. Maxime nickte langsam.

»Ja, das ist Patricia, aber sie ist noch nicht –.«

»Sie ist perfekt. Die will ich«, unterbrach sie meine Chefin. Jetzt war ich es, die fragend in die Runde blickte.

»Wie Sie meinen. Aber ich muss Ihnen sagen, dass Patricia noch nicht sehr lange bei uns ist.«

»Allerdings meine ich das. Wenn sie noch frisch ist, wird sie sicher besonders engagiert sein. Und vor allem muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen, dass Tim sie flachlegt. Anders als bei dem Feger von eben.«

Das lief ja mal so gar nicht, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sicher, ich wollte diesen Auftrag. Aber ich empfand es als äußerst verletzend, dass mich diese Frau mehr oder weniger als unattraktiv bezeichnet und mich nur deswegen ausgewählt hatte. Veronica Flowers hatte es binnen weniger Sekunden auf meine schwarze Liste geschafft, auch wenn es sie wahrscheinlich nicht die Bohne interessierte, was ich von ihr hielt. Auch Maxime schien sich nicht besonders wohl dabei zu fühlen. Sie warf mir einen Blick zu, der nichts anderes sagte als ›Es ist deine Entscheidung‹. Ich atmete tief durch und nickte.

»Okay, sie macht es«, bestätigte Maxime mit ihrer rauen Stimme. Die Managerin sprang auf, ergriff meine Hand und danach die von meiner Chefin.

»Fantastisch. Dann sehen wir uns morgen Abend«, sagte sie zu mir, schnappte ihre Chanel-Handtasche und stolzierte hinaus.

»Sagen Sie nichts«, bat Maxime, nachdem wir allein waren. »Jetzt wissen Sie wenigstens, womit ich mich hier immer herumschlagen muss, damit ich eure Jobs sichere. Vergessen Sie einfach, was sie gesagt hat, und konzentrieren Sie sich auf diesen Sänger. Das wird der Titel für unsere Neujahrsausgabe.«

»Wir werden Sie nicht enttäuschen.« Die Titelstory! Unglaublich. Zwar hatte ich noch etwas Wut im Bauch, doch ich zwang mich, es mir möglichst nicht anmerken zu lassen. In diesem Business war es häufiger vorgekommen, dass ich herablassend behandelt wurde, doch handelte es sich dabei in der Regel um Männer, die mich anfangs nicht ernst nahmen. Was allerdings, so dachte ich jedenfalls immer, an meinem sehr jungen Aussehen lag – ich ging spielend als 19, 20 durch, obwohl ich im nächsten Jahr meinen 27. Geburtstag feiern würde – für quasi hässlich befunden wurde ich eben zum ersten Mal.

Maxime lächelte mich aufmunternd an und reichte mir einen dünnen Pappordner, in dem ich zwei einzelne Zettel mit groben Informationen fand, wann und wo ich Timothy Clarke treffen würde und welchen Umfang die Reportage in etwa haben sollte.

Auf dem Weg zum Schreibtisch brach das Glücksgefühl durch und verdrängte den kleinen Egoknick. Stolz hielt ich die Mappe mit beiden Händen vor die Brust und grinste Raúl an. Er schaute ungläubig, sprang dann auf, kam um den Tisch herum und nahm mich in den Arm.

»¡Gracias! Pat, du bist unglaublich!«

»Vergiss das nur nie«, erwiderte ich lachend und befreite mich aus seinem Griff. »Und es ist sogar, tadaa: Die Titelstory der Januarausgabe.«

»Nein!«

»Doch.«

»Das kann doch nicht sein. Du bist noch keine zwei Monate hier und hast schon den Titel? Das hat dein Vorgänger in Jahren nicht geschafft.«

»Tja, er ist ja auch kein German Wunderkind wie ich, oder?«, sagte ich zwinkernd.

»Nein, ist er nicht. Er ist eher so der Idaho-Hillbilly.«

Wir machten uns sofort an die Arbeit, denn einerseits musste ich bis morgen Abend so gut wie alles über den Sänger in Erfahrung bringen, was das Internet und die Presse über ihn hergaben, und andererseits galt es, den letzten Auftrag schnell in trockene Tücher zu bringen. Wortlos verständigten wir uns darauf, die Nacht durchzuarbeiten. Ich würde morgen Nachmittag ein paar Minuten Powernapping einlegen müssen, damit ich beim Termin mit Timothy Clarke nicht aussehen würde wie ein frisch gevögeltes Eichhörnchen. Bei dem Gedanken daran, warum wir den Job bekommen hatten, verspürte ich wieder einen kleinen Stich, doch ich wollte es Raúl gegenüber nicht erwähnen. Außerdem fragte er auch nicht danach.

Kapitel 4

 

 

Timothy

 

»Das ist doch eine Scheißidee!« Warum konnte mich diese dumme Kuh nicht einfach mal in Ruhe lassen? Sicher, ich hatte ihr aus einer Laune heraus vor ein paar Wochen zugesagt, dass sie das bescheuerte Interview mit diesem versnobten Glamourmagazin bestätigen durfte. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie es ernst meinen und mir tatsächlich einen ihrer Jetset-Reporter schicken würden. Ich meine, hey, ich bin Sänger einer Rockband, und kein neureicher Schnösel, der sich in einem Hochglanzjournal sieht.

»Beruhig dich, Tim«, erwiderte Veronica mit ihrer säuselnden Stimme, die mich fast zur Weißglut brachte. »Wir hatten das besprochen und es ist wichtig.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Es sei denn, du willst ewig wie ein pubertierender Halbstarker über die Bühne toben.«

»Was zur Hölle? Die Band ist mein Leben. Rockmusik ist mein Leben. Die Fans –.«

»Ja ja, die Groupies, die du flachlegen und die Koksline, die du dir in die Nase ziehen kannst«, unterbrach sie mich mit scharfer Stimme. So sprach sie immer, wenn sie es ernst meinte. Uns verband eine Art Hassliebe. Sie begleitete mich schon seit der Zeit, als ich mit einer anderen Band durch die Dörfer getingelt war und wir in kleinen Clubs und Saloons vor einer Handvoll, meist besoffener Zuhörer gespielt hatten. Veronica war es, die mir auf die Füße trat, wenn ich mit der Nase im Schnee lag oder wenn ich wieder irgendeinen Mist gebaut hatte. Mehr als einmal hatte sie mich aus einer Ausnüchterungszelle geholt und mit Engelszungen auf Staatsanwälte und Richter eingeredet, sodass ich bislang lediglich mit einer kurzen Bewährungsstrafe davongekommen und nicht ein paar Jahre im Knast eingesessen war. Ja, ich wusste, was ich an ihr hatte, und dennoch schaffte sie es immer wieder, mich aufs Äußerste zu reizen.

»Aber warum müssen die mir so lange auf die Pelle rücken? Warum nicht ein Interview und fertig?«

»Auch das habe ich dir schon mehrfach erklärt: Ich wollte dich auf die Titelseite bringen, damit du auch in die internationalen Ausgaben kommst. Du weißt doch, dass euch in Europa und Asien kaum ein Schwein kennt.« Sie sah mir tief in die Augen. »Und Bedingung für die Titelstory ist nun mal eine Reportage über mehrere Tage. Keine Sorge, sie werden dir nicht 24/7 am Bein hängen. Ich pass schon auf, dass es nicht zu sehr stört.«

»Warum sollten sich die Rockfans in Übersee diese Zeitschrift überhaupt kaufen? Die lesen doch ganz anderes Zeug und vor allem nicht mehr auf Papier.« Veronica schüttelte den Kopf. Da war er wieder, dieser nachsichtige Blick. Wie ihn meine Lehrerinnen mir früher regelmäßig schenkten, wenn ich mal wieder an einer Matheaufgabe verzweifelte.

»Tim, es geht dabei nicht um die Band. Es geht darum, dich zu vermarkten. Vergiss die anderen Jungs, die können froh und dankbar dafür sein, was sie wegen dir schon alles erlebt und abgesahnt haben. Du bist der Star. Und ich will, dass du es auf der ganzen Welt wirst.«

»Die Band ist –.«

»Dein Leben, du wiederholst dich«, unterbrach sie mich. »Ich bin deine Managerin und sorge dafür, dass du auch noch ein Leben haben wirst, wenn diese Karriere vorbei sein wird. Du weißt, wie schnell das gehen kann. Bekommst du noch einmal so eine Entzündung deiner Stimmbänder wie letztes Jahr, ist es aus und vorbei.« Sie rückte auf der Couch dicht an mich heran und begann, über mein Haar zu streicheln. Ich lehnte mich zurück und seufzte, denn ich wusste, was als Nächstes kam. Kaum gedacht, wanderte ihre Hand über mein Gesicht bis zu meiner Brust und blieb dort liegen. Sie zuckte zusammen, als ich mich plötzlich von ihr befreite und aufstand.

»Jetzt nicht«, sagte ich bestimmt, doch sie folgte mir und drückte sich von hinten an mich, sodass ich ihre Brüste an meinem Rücken spüren konnte.

»Komm schon, du bist verspannt. Lass mich dir helfen, bevor die Reporter kommen.« Ihre Arme schlangen sich von hinten um mich, doch abermals entzog ich mich ihr.

»Jetzt nicht, verstanden?« Kopfschüttelnd ging ich ins Bad und schloss hinter mir die Tür. Manchmal kam es mir ja ganz gelegen, wenn sich Veronica ihrer Rundum-Sorglos-Betreuung für mich bewusst wurde und sie es mir besorgte, doch in der letzten Zeit wurde mir das etwas lästig, und wenn sie ihren Job nicht so perfekt machen würde, hätte ich sie wahrscheinlich schon gefeuert.

»Denk dran, in einer Stunde ist der Termin«, rief sie mir durch die geschlossene Tür zu und ich hörte ihre Enttäuschung über die entgangene Nummer deutlich heraus, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte.

 

***

 

 

Patricia

 

Unruhig trat ich von einem Bein auf das andere, während der Aufzug mich in die siebenundsiebzigste Etage brachte. In wenigen Minuten wartete die größte Herausforderung meiner bisherigen Karriere auf mich, dachte ich während der scheinbar endlosen Fahrt in Richtung Himmel, die von leiser, aus dem in der Decke eingelassenen Lautsprecher erklingender Jazzmusik begleitet wurde.

Nachdem ich mein Ziel erreicht hatte, öffnete sich die Fahrstuhltür surrend und ich trat in den Flur. Kurz orientierte ich mich an den Zimmernummern, die ich an den beiden, dem Lift gegenüberliegenden Türen ablesen konnte, und folgte dem Flur rechts entlang, bis ich vor der 7733 stehen blieb. Gedanklich ging ich schnell noch einmal durch, was ich mir für das heutige Treffen vorgenommen hatte. »Du packst das«, sagte ich mir, atmete tief durch und klopfte an.

Statt eines Herein-Rufes hörte ich Schritte auf der anderen Seite der Tür und im nächsten Moment wurde sie nach innen aufgezogen.

»Ja?«, fragte mich der Mann, den ich sofort erkannte, trotz des eher häuslichen Outfits. Den nassen Haaren nach zu urteilen, von denen einige Strähnen wild in seinem Gesicht klebten, kam er gerade aus der Dusche und hatte entweder keine Zeit oder keine Lust gehabt, sich etwas anzuziehen. Stattdessen empfing er mich in einem dunkelblauen Bademantel, der das Logo des Hotels trug und locker über seinen breiten Schultern nach unten fiel. Er folgte meinem, an ihm hinabgleitenden Blick mit einem süffisanten Lächeln. Hätte er ihn nicht wenigstens zumachen können, durchschoss es mich, anstatt mich zu nötigen, seine mehrfarbige Boxershorts betrachten zu müssen?

»Patricia Stiller vom RICHES ET BEAUX-Journal. Wir haben einen Termin«, sagte ich und starrte immer noch auf seine Unterhose.

»Gefällt dir, was du siehst?«, hörte ich ihn mit einem tiefen Bass fragen. Ich zuckte zusammen und schaute ihm in die Augen, deren Grün fast zu leuchten schien.

»Ich, äh, was? Nein, das heißt –«, stotterte ich, was ihn offensichtlich sehr amüsierte. Ich betete inständig, nicht zu erröten, doch die Hitze in meinem Gesicht machte diese Hoffnung im Keim zunichte. Er trat lachend beiseite und bedeute mir, einzutreten. Dankbar dafür, ihn nicht weiter ansehen zu müssen, ging ich schnell an ihm vorbei bis etwa zur Mitte des Apartments, von dem ich durch die bodentiefe Fensterfront auf das südliche Manhattan sehen konnte. »Wow, was für eine Aussicht«, sagte ich und trat direkt an die Scheiben.

»Nicht wahr?«, erwiderte er und stellte sich neben mich.

»Das ist die Brooklyn Bridge, oder?«, stellte ich mehr fest, anstatt zu fragen, und es faszinierte mich, die Verbindung zu meinem Stadtteil aus der Vogelperspektive betrachten zu können. Kaum vorstellbar, dass ich täglich selbst zweimal dort entlangfuhr.

»Keine Ahnung, ich bin doch kein Taxifahrer.« Er wandte sich ab und entfernte sich von mir. »Willst du einen Drink?«

»Gern, aber ohne Alkohol bitte«, sagte ich leise, verabschiedete mich von der Aussicht, bewegte mich in Richtung der weich gepolsterten Sessel, die der breiten Couch gegenüberstanden, und wartete dort, bis er mit den Getränken dazukam. Er stellte sie ohne Untersetzer auf der Glasplatte des Tisches ab und ließ sich auf das Sofa fallen. Ich folgte seinem Beispiel und entschied mich für den Sessel, sodass ich links über Eck zu ihm saß. Der Bademantel gab mehr frei, als er verbarg, präsentierte seine definierten Bauchmuskeln und weitere Tattoos. Zwei davon hatte ich bereits auf Bildern gesehen, ein weiteres, das Gesicht eines jungen Mädchens auf seiner Brust, sah ich jetzt zum ersten Mal, auch der Schriftzug auf der Taille war mir bislang unbekannt. »Danke, Mr. Clarke.« Ich bemühte mich, ihm in die Augen zu schauen.

»Warum so förmlich, Patty? Nenn mich einfach Tim«, schlug er vor und überrumpelte mich etwas damit.

»Okay, Tim.« Klar, ich hatte schon häufig mit Prominenten zu tun gehabt, doch bislang hatten sich alle an eine gewisse Etikette gehalten und die herkömmlichen Gepflogenheiten der Höflichkeit beachtet. Ob sich Timothy Clarke benahm wie ein Proll, weil es in seiner Branche so üblich war, oder ob es seinem Wesen entsprach, erschloss sich mir noch nicht. Aber egal, ich würde mich schon daran gewöhnen. Immerhin war es mir lieber so, als wenn er mich herablassend behandeln würde. Kurz schoss mir in den Sinn, was seine Managerin bei Maxime geäußert hatte, und ich konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Als ob ich mich von einem ungehobelten Typen wie dem flachlegen lassen würde, selbst wenn ich – ihrer Meinung nach – attraktiv genug gewesen wäre.

»Also Patty, was hast du mit mir vor?« Mein Mund war trocken, daher nahm ich einen großen Schluck aus dem Glas, das er mir hingestellt hatte. Mir zog es sofort sämtliche Gesichtsmuskeln zusammen, als meine Geschmacksknospen die Bitter-lemon-Richtung erkannten. Gerechnet hatte ich mit Mineralwasser. »Wohl bekomms«, sagte er und nippte ebenfalls an seinem braun-schimmernden Getränk. Vermutlich trank er Whiskey oder Bourbon. Vor meinem inneren Auge rief ich die Aufzeichnungen ab, die ich von Maxime bekommen hatte.

»Wie wir mit Ihrer Managerin besprochen haben, werde ich Sie, teilweise unterstützt von meinem Team, während der nächsten Wochen bei verschiedenen Anlässen begleiten, damit wir unseren Leserinnen ein möglichst rundes Bild von Ihnen bieten können.«

»Deiner.«

»Was?«

»Deiner Managerin, nicht Ihrer. Mädchen, wir sind noch jung, warum sollten wir dann miteinander reden, wie es die alten weißen Männer machen?« Jetzt verstand ich und wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mich nicht vollkommen wohl dabei fühlte, mit diesem Typen auf Du und Du zu sein. Aber was blieb mir übrig? Wenn ich ihm in dieser Phase schon ans Bein pinkeln würde, könnte ich gleich einpacken, denn eine richtig gute Story würde ich nur bekommen, wenn ich das Vertrauen meines Gegenübers gewinnen konnte. Daher sprang ich über meinen Schatten, obwohl wir definitiv nicht im selben Alter waren, auch wenn es Tim, der sicher eher Mitte dreißig als Ende zwanzig war, nicht wahrhaben wollte. Aber so waren die Kerle nun mal und im Musik- und Schauspielerbusiness hatten sie wohl noch mehr Probleme damit, in Würde zu altern, als im gewöhnlichen Leben.

»Sorry, natürlich. Also, wie wir es mit deiner Managerin besprochen haben.« In diesem Moment wunderte ich mich, dass sie gar nicht anwesend war. So wie ich sie auf den ersten Blick eingeschätzt hatte, rechnete ich fest damit, dass sie bei jedem Termin dabei sein würde, um nach dem Rechten zu sehen. Dann fiel mir wieder ein, dass sie mich ja aufgrund meines unscheinbaren Äußeren als ungefährlich eingestuft hatte. »Du bekommst die Titelstory in unserer Neujahrsausgabe, das heißt, wir haben noch ungefähr zwei Monate. Ich muss die fertige Reportage zwei Tage vor Druckbeginn abgeben.«

»Zwei Monate? Willst du meine Biografie schreiben?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte ich und erfreute mich klammheimlich an seinem Gesichtsausdruck. Ob es an mir lag oder ihm das gesamte Projekt nicht passte, wusste ich nicht, aber er versuchte nicht, seine Abneigung zu verbergen. »Und keine Sorge, ich werde hier nicht einziehen und dich rund um die Uhr beobachten.«

»Nein? Was für ein Pech«, sagte er abwertend.

»Nun, heute geht es darum, den Ablauf zu besprechen und klare Grenzen auszuloten. Sprich: Was ist dir wichtig und wovon möchtest du nicht, dass es im Magazin auftaucht?«

»Heißt das etwa, du schreibst nur, was ich freigebe?« Ich lachte kurz auf.

»Na ja, so einfach ist das auch wieder nicht. Ich werde den Artikel so ausarbeiten, wie ich es für richtig halte – wie ich meine, dass der Anspruch unserer Leserinnen gewahrt bleibt. Aber du und deine Managerin bekommen ihn natürlich vorab zur Ansicht.«

»Und wenn mir darin etwas nicht passt?«

»Dann reden wir darüber. Einigen wir uns, wird es geändert, können wir uns nicht einigen, wird der Artikel in dieser Form eingestampft und ich schreibe ihn komplett neu. Du denkst sicher, wir sind ein Schickimicki-Blatt, aber wir haben durchaus einen journalistischen Anspruch, dem wir Rechnung tragen.«

»Du kannst also im Endeffekt über mich schreiben, was du willst, sehe ich das richtig?« Ich schüttelte den Kopf.

»Wir sind kein reißerisches Schmierblatt, das auf der ständigen Jagd nach sensationellen Skandalen ist. RICHES ET BEAUX unterhält und informiert mit hohem Anspruch.« Ich musterte ihn, wie er gedankenverloren durch mich hindurchzusehen schien. Er wirkte nicht unsicher auf mich, doch ich konnte ihn nicht genau einordnen. Irgendwie hatte ich mir das Gespräch ganz anders vorgestellt. »Sag mal, kann es sein, dass du noch nie eine Ausgabe des Magazins gelesen hast?« Er grunzte auf.

»Ist das eine ernsthafte Frage? Mädchen, ich bin Rockmusiker und kein Wallstreet-Broker oder König von sonst was. Natürlich habe ich es noch nicht gelesen. Ehrlich gesagt kannte ich es vor drei Monaten noch nicht einmal.« Aufrichtig war er jedenfalls. Das bildete eine gute Basis. Jetzt musste ich ihn nur noch einzuschätzen lernen, dann könnte mein Artikel ganz groß werden.

»Das überrascht mich nicht«, erwiderte ich und zwinkerte ihm zu. »Du bist zu hart für diese weichgespülten Frauenmagazine.«

»Genau.« Seine Gesichtszüge entspannten sich. Endlich.

»Deine Band tritt kurz vor Weihnachten bei der Benefizveranstaltung im Madison Square Garden auf, das wäre meiner Meinung nach der perfekte Abschluss für unsere Zusammenarbeit.«

»Wtf? Bis Weihnachten? Wir haben gerade mal November.« Als ob er seine Entrüstung darüber unterstreichen müsste, leerte er sein Glas in einem Zug und wischte anschließend mit dem Handrücken über den Mund. »Willst du vielleicht doch gleich hier einziehen?«

»Die Aussicht würde mich schon reizen«, antwortete ich und auch das Apartment, in das meine Wohnung sicher fünfmal hineinpassen würde, sprach mich an. Aber dann hätte ich doch gern einen Mitbewohner, der mich ebenfalls ansprach. »Lass uns von dir reden. Wie bist du zur Musik gekommen? Warum Rockmusik?« Aus meiner Handtasche holte ich das Diktiergerät, legte es auf den Tisch und schaltete es ein. »Du hast nichts dagegen, oder?«

»Nein. Besser so, als wenn du uns heimlich über dein Smartphone aufnehmen würdest.« Nun zwinkerte er. »Keine Sorge, ich leide nicht unter Verfolgungswahn. Lass es ruhig laufen.« Er stand auf und ging erneut zur Bar, wo er sich den nächsten Drink eingoss. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte er sich wohl, dass mein Glas noch halbvoll war, denn er bot mir nichts an. Während er den Bourbon im Glas kreisen ließ – dieses Mal hatte ich die Flasche gesehen – blieb er vor dem Tisch stehen. »Meine Mom ist ebenfalls Musikerin, doch sie ist in der Countrymusik zu Hause, sie hatte sogar mal einen Auftritt als Einheizer für Loretta Lynn

»Die Nashville-Lady?« Obwohl ich das bereits von meinen Recherchen her wusste, gab ich mich überrascht.

»Ja, genau die. Meine Mom singt immer und überall und sie hat meinen Dad dazu bekommen, ein paar Gitarrengriffe zu lernen, damit er sie begleiten kann. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es bei uns zugeht, wenn die Bude voll ist.« Ich wollte ihn nicht unterbrechen, da er sich gerade warm redete und sich in diesem Thema wohlzufühlen schien.

»Nein, kann ich nicht. Aber ich hör dir gern zu.«

»Na ja, wenn beide Elternteile musikalisch sind, liegt es ja auf der Hand, dass das an die Kinder weitergegeben wird. Wenn alle da und schon ein paar Glas Wein geflossen sind, gibt es in der Regel ein kleines Hauskonzert, wozu sich gern auch noch ein paar Nachbarn gesellen.« Schöne Vorstellung. Als Einzelkind mit gerade mal einem Cousin, zu dem wir einschließlich seinen Eltern kaum Kontakt hatten, waren mir Familientreffen nur aus Erzählungen und dem TV bekannt. Wobei ich gerade noch etwas Schwierigkeiten hatte, mir diesen ungehobelten Rocksänger bei einem heimeligen Hauskonzert vorzustellen. »Was ist mit dir? Spielst du ein Instrument? Oder singst du?«

»Ich stelle hier die Fragen«, sagte ich grinsend. »Als Kind habe ich ein paar Stunden Blockflöten-Unterricht bekommen, fand das aber langweilig. Und singen ist jetzt auch nicht unbedingt mein Talent, dafür tanze ich ganz gut.«

»Tanzen? Zeig mal was.«

»Hä? Nein, ganz bestimmt nicht.« Was war das denn? Wenn ich nicht aufpasste, würde mir das Gespräch entgleiten und kaum verwertbaren Stoff für meine Story liefern. »Wie gehen deine Eltern mit deiner Musik um? Ist es okay für sie oder sahen sie in dir eher einen zweiten Johnny Cash

»Wie kommst du denn darauf? Rock, Country, Jazz, Heavy-Metal oder Pop, das sind doch alles nur kommerzielle Einteilungen. Musik muss klingen, muss Gefühle erzeugen und transportieren. Sie muss Menschen abholen. Wenn sie das schafft, hat sie ihre Daseinsberechtigung und dann ist es egal, in welches Genre du sie einsortierst. Und genau das hat meine Mom mir von klein auf mitgegeben.«

»Hört sich sympathisch an, wie du über deine Mutter redest.«

»Meine Mom ist für mich der wichtigste Mensch auf der Welt. Du würdest sie lieben, jeder liebt sie.« Auch ich hatte ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter, doch ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen wie er, auch wenn ich das irgendwie süß fand.

»Demnach erhältst du volle Unterstützung?«

»Absolut. Immer.« Ich machte mir einen gedanklichen Vermerk, seinen Eltern eventuell einen Besuch abzustatten.

»Du hast laut der Presse und gemäß einiger Posts im Internet, die ich über dich gelesen habe, einen eher derben Ruf. Frauenheld, Macho oder Rüpel sind immer wiederkehrende Beschreibungen, die mir auffielen. Was ist da dran?«

»Was denkst du?« Er warf mir einen herausfordernden Blick zu, dem ich fast unterlag.

»Dazu kenne ich dich viel zu wenig und meine Meinung bilde ich mir grundsätzlich selbst und nicht übereilt«, sagte ich, obwohl ich ihn gedanklich in der letzten halben Stunde schon einige Male mit Macho und Rüpel betitelt hatte.

»Das halte ich für eine gute Idee.«

»Was genau?«

»Morgen ist Bandprobe. Um 16 Uhr. Komm einfach dahin und mach dir einen Teil deines Bildes. Denn sein wir mal ehrlich: Das meiste von mir weißt du doch eh schon aus dem Netz. Was bringt es, wenn ich dir das alles noch einmal vorkaue?«

Ganz so einfach ließ ich mich dann doch nicht von ihm abwimmeln und arbeitete innerhalb der nächsten halben Stunde meine wichtigsten Fragen ab, die für die Story unabdingbar waren. Kurz bevor wir das Gespräch beendeten, gestand er ein, dass es ihm eigentlich nur darum ging, pünktlich das TV einzuschalten, um das Basketballspiel der New York Knicks nicht zu verpassen, deren Übertragung jeden Moment anfangen würde. Dem wollte ich natürlich nicht im Wege stehen und wir verabredeten uns für den nächsten Tag.

Kapitel 5

 

 

Timothy

 

Irgendwie tat es mir gestern Abend ja leid, die Kleine so abrupt abzuwürgen, aber das Gemetzel, das meine Knicks bei den Dallas Mavericks angerichtet hatten, ließ mein schlechtes Gewissen schnell verblassen. Wurde bei dem verpatzten Saisonauftakt auch höchste Zeit, dass die Jungs den ersten Sieg einfuhren. Einmal musste ich während des Spiels noch an meine deutsche Interviewerin denken, als der ebenfalls aus Deutschland stammende, ehemalige Superstar Dirkules, wie Dirk Nowitzki ehrfürchtig genannt wurde, in der ersten Zuschauerreihe hinter der Reservebank der Mavericks zu sehen war. Doch kurz vor Ende des Spiels und nach dem achten oder neunten Bourbon kreisten meine Gedanken nur noch darum, auf direktem Weg und ohne Zwischenfälle ins Bett zu kommen.

Die Strafe folgte in Form eines mächtigen Schädels direkt nach dem Aufwachen heute Vormittag. Doch das war nichts, was ich nicht mit einer heißen Dusche und einer Aspirin in den Griff bekommen könnte. Darin kannte ich mich mittlerweile bestens aus.

Nachdem das Brummen nachgelassen und ich mich angekleidet hatte, warf ich mir eine Jacke über und setzte eine Wollmütze auf, die ich bis über die Augenbrauen zog. Die obligatorische Sonnenbrille steckte ich in die Innentasche und machte mich auf den Weg nach unten, wo ich unerkannt das Gebäude verließ und mir im Diner einen Block weiter ein kräftiges Frühstück bestellte.

»Lange Nacht gehabt?«, wollte Alice wissen, so hieß sie zumindest laut dem Namensschild, das an der Brusttasche der weißen Bluse festgeklemmt war. Ich hörte kurz auf, mein Rührei zu kauen, und schaute mir die Bedienung genauer an, die mit einer Thermoskanne in der Hand wartend am Tisch stand. Gute Figur, nettes Gesicht, aber abgekaute Fingernägel.

»Jo«, antwortete ich kurz angebunden und schaute wieder auf meinen Teller, da sie mich nicht weiter interessierte.

»Kaffee?« Ich trank den letzten Schluck und schob wortlos meine Tasse zu ihr, woraufhin sie die schwarze Brühe nachgoss und zum nächsten Tisch eilte, nicht ohne mir einen Blick über die Schulter zuzuwerfen und mich anzulächeln. Enttäuscht verschwand sie danach hinter der Theke, als sie mein Desinteresse offensichtlich erkannt hatte.

Die Uhr über dem Tresen zeigte kurz nach Mittag. Verdammt, ich dachte nicht, dass es schon so spät wäre. Ursprünglich wollte ich vor der Probe noch einiges erledigen, wenn ich schonmal im Big Apple verweilte. Das kam wegen unserer jährlichen Tournee und den zahllosen Auftritten doch eher selten vor, sodass ich mich freute, mal wieder ein paar alten Freunden einen Besuch abstatten zu können. Heute allerdings würde das nichts mehr werden, dazu hatte ich zu lange gepennt. Egal, morgen war auch noch ein Tag.

Während ich auf dem kross gebratenen Bacon herumkaute, ließ ich noch einmal das Gespräch mit Patty Revue passieren. Es war schon irgendwie niedlich, wie mein Auftritt sie verunsichert hatte. Aber konnte ich ihr das verdenken? Natürlich nicht, auch wenn ich in solchen Momenten anders reagierte. Es kam durchaus vor, dass ich nach einem Konzert auf meinem Hotelzimmer von einem leicht oder gar nicht bekleideten Groupie überrascht wurde, das sich auf welche Weise auch immer Zutritt verschafft hatte. Meist warf ich das Mädel kurzerhand raus, weil ich nach drei Stunden on Stage doch ziemlich fertig war, aber manchmal, wenn sie besonders süß und ich in der richtigen Stimmung war, nahm ich die Gelegenheit wahr. Wer wusste schon, wie lange die knackigen Dinger noch auf mich stehen würden? Dass dieser Vergleich hinkte, denn ich war keinesfalls Pattys Groupie, war mir selbstverständlich bewusst, trotzdem musste ich beim Gedanken an ihren schockierten, aber neugierigen Gesichtsausdruck grinsen. Und sie hatte sich sehr schnell wieder gefangen, das musste man ihr lassen. Insgesamt empfand ich unsere Unterhaltungen als recht angenehm, sodass mir vor den nächsten Terminen mit ihr nicht mehr graute. Auch wenn sie durchaus etwas attraktiver hätte sein dürfen. Aber ich konnte nicht alles haben, und wer wusste schon, wofür es gut war, dass sie in ihrem mausgrauen Kostüm, der Brille und den streng zurückgebundenen Haaren eher wie eine Grundschullehrerin wirkte.

 

***

 

 

Patricia

 

Raúl folgte mit dem Gesichtsausdruck eines Kindes kurz vor der Bescherung meiner Zusammenfassung des Treffens mit Timothy Clarke. Es fehlte nur noch das begeisterte in die Hände Klatschen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739496481
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Mai)
Schlagworte
Bad boy Lovestory weihnachten Hannover Happy-End Rockstar milliardär big apple millionär große Liebe Roman Abenteuer Humor

Autor

  • Rachel Callaghan (Autor:in)

Rachel Callaghan ist eine junge und aufstrebende Romanceautorin. Sie ist ständig auf der Suche nach Geschichten, die die Herzen berühren und höher schlagen lassen. Die erfolgreiche Lovestory "Chicago Moments" ist ihr Debüt. Es folgen mit "New York Moments" und "Seattle Moments" zwei weitere Bände der Reihe, die jeweils eine abgeschlossene Geschichte erzählen.