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Chicago Moments

Liebesroman

von Rachel Callaghan (Autor:in)
240 Seiten
Reihe: Moments, Band 1

Zusammenfassung

Erlaubnis zur Liebe verzweifelt gesucht ... Ein schwarzer Tag für die Architektin Vanessa Stone! Innerhalb weniger Stunden verliert sie ihren Job und erwischt zudem ihren Freund in flagranti beim Seitensprung. Hals über Kopf flüchtet sie zu einer Freundin nach Chicago, um ihre Wunden zu lecken. Von Männern hat sie erstmal die Nase gestrichen voll. Dann lernt sie den schwerreichen Womanizer George kennen, dessen arrogantes Auftreten sie gleichermaßen aufregt wie erregt. Trotz aller Warnungen beginnt sie ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Der erfolgreiche CEO George Franklin lebt nur für seinen Job – und zahllose One-Night-Stands. Hinter der Fassade jedoch verbirgt er eine tiefsitzende Angst vor Verlusten, verursacht durch einen Schicksalsschlag. Auch Vanessa landet ganz oben auf seiner Liste möglicher Betthäschen. Doch dann spürt er, dass sie mehr für ihn bedeuten könnte. Eine Erkenntnis, die ihn verwirrt. Kann sie seine Wunden heilen? Oder stößt ihn die Liebe ein weiteres Mal in den Abgrund? Eine rasante Liebesgeschichte mit spannenden und heißen Momenten und einem garantierten Happy-End aus der Feder der Newcomerin Rachel Callaghan.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Chicago Moments

 

 

 

Rachel Callaghan

Über das Buch

 

 

Erlaubnis zur Liebe verzweifelt gesucht ...

 

Ein schwarzer Tag für die Architektin Vanessa Stone! Innerhalb weniger Stunden verliert sie ihren Job und erwischt zudem ihren Freund in flagranti beim Seitensprung. Hals über Kopf flüchtet sie zu einer Freundin nach Chicago, um ihre Wunden zu lecken. Von Männern hat sie erstmal die Nase gestrichen voll.

Dann lernt sie den schwerreichen Womanizer George kennen, dessen arrogantes Auftreten sie gleichermaßen aufregt wie erregt. Trotz aller Warnungen beginnt sie ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.

 

Der erfolgreiche CEO George Franklin lebt nur für seinen Job – und zahllose One-Night-Stands. Hinter der Fassade jedoch verbirgt er eine tiefsitzende Angst vor Verlusten, verursacht durch einen Schicksalsschlag.

Auch Vanessa landet ganz oben auf seiner Liste möglicher Betthäschen. Doch dann spürt er, dass sie mehr für ihn bedeuten könnte. Eine Erkenntnis, die ihn verwirrt. Kann sie seine Wunden heilen? Oder stößt ihn die Liebe ein weiteres Mal in den Abgrund?

 

Eine rasante Liebesgeschichte mit spannenden und heißen Momenten und einem garantierten Happy-End aus der Feder der Newcomerin Rachel Callaghan.

Kapitel 1

 

 

Vanessa

 

Meine Laune würde an diesem sonnigen Tag nichts trüben können. Davon zumindest war ich felsenfest überzeugt, bis Bob Waters mich ins Büro zitierte.

»Nehmen Sie bitte Platz, Vanessa«, sagte mein Chef zu mir und allein der brüchige Ton in seiner Stimme machte mich nervös.

Hatten sich die Fullers etwa über meinen Entwurf für ihr neues Eigenheim bei ihm beschwert? Volle vier Tage hatte ich über den Zeichnungen gebrütet, jeden Wunsch und jede Extravaganz in die Pläne integriert, obwohl das bei deren Budget fast unmöglich erschien. Doch die erwartungsvollen Blicke des Ehepaares bei unseren Gesprächen hatten mich so eingenommen, dass ich es einfach für sie möglich machen wollte. Oder war das etwa der Grund? War mein Chef sauer darüber, dass ich so knapp kalkuliert und unseren, seinen Gewinn dadurch spürbar reduziert hatte? Nun, ich war keine Kauffrau, aber ich dachte, es würde dennoch genug für die Firma dabei herausspringen. Und würde die Hütte erstmal fertig sein und wir, wie ich es mit den Fullers vereinbart hatte, regelmäßig Kunden dort zur Besichtigung vorbeischicken dürfen, wären uns Folgeaufträge sowas von sicher.

»Was gibt´s denn so Wichtiges, Bob?«, fragte ich lächelnd, in der Hoffnung, dass es doch einen völlig harmlosen Grund für dieses Gespräch gab.

»Nun, Vanessa, Sie wissen, dass ich kein Mann vieler Worte bin«, begann er und mein Funke Optimismus wurde weggefegt wie das Strohhaus des ersten Schweinchens aus dem Märchen mit dem bösen Wolf. »Daher mache ich es kurz: Ich muss Sie entlassen.« Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen. Er muss mich entlassen? Das kann doch nur ein Scherz sein!

»W-was? Warum müssen ...?«

»Es liegt nicht an Ihnen«, unterbrach er mich und quälte sich zu einem Lächeln. »Im Gegenteil, Sie leisten hervorragende Arbeit.« Er senkte den Blick und seufzte. »Es ist meine Schuld. Ich habe mich leider blind auf meinen Steuerberater verlassen und der hat mich und die Firma jetzt dermaßen reingeritten, dass ich Insolvenz anmelden muss.« Insolvenz? Steuerberater? Ich hatte mich in den drei Jahren, die ich für ihn arbeitete, nie um etwas anderes gekümmert als um meine Zeichnungen, daher war ich vollkommen überrumpelt von dieser Situation.

»Aber kann man da nichts machen? Eine Zwischenfinanzierung oder Schadenersatz vom Steuerberater einklagen?« Ich schüttelte verständnislos den Kopf. So einfach ließ man doch keine Firma den Bach runter gehen, erst recht nicht, wenn sie, wie diese, schon seit 25 Jahren ein fester Bestandteil meiner kleinen, in der Nähe Denvers gelegenen, Heimatstadt war.

»Glauben Sie mir, ich habe lange mit dieser Entscheidung gehadert und in den letzten Wochen alles versucht, aber wegen meiner Scheidung vor fünf Jahren, die mich die Hälfte meines Vermögens gekostet hat, kann ich den Banken leider nicht die nötigen Sicherheiten bieten und unsere Auftragslage verspricht in den nächsten Monaten auch keinen plötzlichen Geldsegen, der die Firma noch retten könnte.« Er kam um seinen Schreibtisch herum und legte seine Hand auf meine Schulter. »Ich kann Ihnen lediglich versprechen, dass Sie Ihr Gehalt für diesen Monat auf jeden Fall bekommen. Eine Abfindung kann ich Ihnen leider nicht zahlen.« Langsam erhob ich mich und schlich wie in Trance aus dem Büro. Vor der Tür drehte ich mich noch einmal zu ihm um.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich jetzt nach Hause gehe?«, fragte ich ihn, denn ich hatte noch nicht wirklich realisiert, was er mir gerade mitgeteilt hatte.

»Vanessa«, sagte er traurig. »Sie können Ihre Sachen mitnehmen und die letzten Tage freimachen. Bezahlt.«

Mir fehlten die Worte, daher suchte ich eilig meinen Kram zusammen und machte die Biege. Einerseits tat mir Bob leid, da ich ihn als äußerst fairen und herzensguten Chef schätzen gelernt hatte, andererseits machte ich mir natürlich Gedanken um meine eigene Situation.

Auf dem Weg nach Hause verflogen meine negativen Schwingungen mit jeder zurückgelegten Meile. Hatten mein fester Freund Joshua, mit dem ich seit nunmehr zwei Jahren zusammenlebte, und ich uns nicht längst darüber unterhalten, eine Familie zu gründen? Sicher, wir hatten beschlossen, uns damit Zeit zu lassen und nichts über´s Knie zu brechen, aber war meine Kündigung nicht ein Wink des Schicksals, ein Zeichen, eine Fügung, diesen Plan jetzt in die Tat umzusetzen? Ich ging mit gemächlichen Schritten auf die 30 zu und Joshua hatte einen gut bezahlten Job, von dem er uns zumindest für ein paar Jahre gut durchfüttern könnte. Darüber, dass ich bei einer Babypause nicht weiterarbeiten würde, herrschte Einigkeit zwischen uns.

Mit dieser Erkenntnis brachte ich das letzte Stück des Weges lächelnd hinter mich und überlegte bereits, wie ich es ihm am besten verkaufen könnte. Und ja, ich streifte gedanklich schon durch die Shops, um die Babyerstausstattung für unsere Tochter auszusuchen. Woher ich denn wissen wollte, dass es ein Mädchen würde, hatte er mich mit hochgezogenen Augenbrauen damals gefragt. »Weil in meinem Familienstammbaum das Erstgeborene immer ein Mädchen war. Jedenfalls, soweit es dokumentiert wurde«, hatte ich ihm erklärt. Ob er es akzeptiert hatte oder mich einfach für ein wenig naiv oder verhuscht hielt, und deswegen bei weiteren Gesprächen zwischen uns ebenfalls von einem Mädchen gesprochen hatte, wusste ich nicht. Aber ich musste auch nicht alles wissen.

Ich lenkte meinen kleinen Flitzer auf den Hof und parkte neben dem SUV. Einen Wagen können wir dann verkaufen, kam mir als Erstes in den Sinn, der nächste Gedanke war, warum er denn schon zu Hause war. Vielleicht war er krank geworden oder er hatte etwas Wichtiges daheim vergessen. Na ja, ich würde es ja gleich erfahren.

Wie immer nahm ich die Hintertür und stellte meine Handtasche auf dem Küchentisch ab. Es war irgendwie ruhig hier. Ungewöhnlich ruhig, denn an den meisten Tagen war Joshua etwas früher als ich von der Arbeit zurück und ließ das Radio oder das TV laufen. Ich neckte ihn deswegen öfter, aber er meinte, er bräuchte halt immer Leben um sich herum. Was mit einem Baby natürlich gewährleistet wäre, dachte ich grinsend. Ich ging ins Wohnzimmer und schaute auch in unserem Büro nach, doch Joshua war nirgends auffindbar. Gerade wollte ich nach ihm rufen, da hörte ich ein Geräusch. Besser gesagt, hörte ich eine Salve von Geräuschen. Sie drangen gedämpft aus dem Obergeschoss nach unten, doch sie waren für mich eindeutig als Kichern und Stöhnen zu identifizieren. Mein Puls stieg an. »Mach dich nicht lächerlich«, versuchte ich, mich zu beruhigen. »Er hat sich bestimmt hingelegt und hat das Fernsehgerät im Schlafzimmer laufen.« Diese Erklärung klang eigentlich plausibel, aus irgendeinem Grund überzeugte sie mich jedoch nicht. Ich lief schnell die Treppe hinauf und verharrte vor der verschlossenen Zimmertür. Das ist nicht das TV! Ich atmete tief durch, drückte leise die Klinke herunter und im nächsten Moment bot sich mir ein Bild des Schreckens.

Fassungslos sah ich, wie mein splitternackter, verschwitzter Freund Joshua unserer ebenso nackten und vor Schweiß glänzenden Nachbarin Juliette in bester Doggystyle-Manier immer wieder seinen Betrügerschwanz von hinten in ihre Verrätermuschi rammte, hörte, wie sein Becken gegen ihren Arsch klatschte, und roch, wie die Pheromone den ganzen Raum ausfüllten, als ob sie ihn zum Platzen bringen wollten. Verdammt, das konnte doch nicht sein!

Ich stand nur da. Meine Augen klebten an den beiden, die mich noch nicht bemerkt hatten und es munter weiter miteinander trieben. Mein Mund stand offen und ich fühlte mich, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich spürte, wie Tränen über meine Wangen rollten, und ich wollte losschreien, beide anschreien. Der Nachttisch! Ich wollte hinlaufen, meinen Revolver aus der Schublade holen und die Trommel leerfeuern. Auf die beiden natürlich, nicht in die Luft. Mitten ins Herz, auf dass sie es dort spürten, wo es mich gerade zerriss.

Nichts davon tat ich. Was stattdessen mit mir passierte, konnte ich mir nicht erklären. Denn ich begann zu lachen. Ganz leise am Anfang, doch es wurde immer lauter. Längst hatten mich die beiden bemerkt und waren panisch dabei, sich anzuziehen. Ich lachte, immer lauter, immer hysterischer, während die Tränen aus meinen Augen schossen. Juliette rannte wimmernd und mit abgewandtem Blick an mir vorbei nach unten. Kurz darauf hörte ich das Knallen unserer Haustür. Joshua redete auf mich ein. »Es ist nicht so, wie es aussieht«, und »lass es mich erklären.« Wie ich es halt aus diversen Filmen und Büchern kannte. Was zum Teufel fiel ihm ein, jetzt mit mir zu reden? Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass mir so etwas passieren könnte. Niemals! Er redete immer weiter, und als er sich endlich angezogen hatte, kam er auf mich zu und unternahm tatsächlich den Versuch, mich anzufassen. Ich sprang zurück, mein Gelächter erstarb, wie mein ganzes Leben in mir zu ersterben schien. In diesem Moment war ich tot, leer, eine Hülle.

»Wage es nicht, mich zu berühren!«, zischte ich ihn an, worauf jetzt er zurückwich. Seine Augen zeigten Angst und Scham, als ob das irgendetwas hätte ändern können. Irgendetwas entschuldigen könnte. Angewidert von diesem Kerl, der mir gestern noch ins Ohr gesäuselt hatte, wie sehr er mich doch liebte, wandte ich mich ab. Es war unerträglich, ihn weiter anschauen zu müssen, daher rannte ich aus dem Zimmer und hinaus zum Auto. Meine Finger krallten sich am Lenkrad fest, doch das Zittern hörte nicht auf. »Du gottverdammtes Schwein!«, schrie ich. Mit quietschenden Reifen fuhr ich von der Auffahrt. Trotz des Tränenfilms, durch den ich die Umgebung wahrnahm, als befände ich mich unter Wasser, kam ich nicht von der Straße ab. Entschlossen drückte ich das Gaspedal durch. Ich musste weg, weit weg!

Kapitel 2

 

 

George

 

Schon wieder eine SMS. Schon wieder von Vivien, der Kleinen, die in Sam´s Diner bediente und die ich vor ein paar Tagen vernascht hatte. ›Ich fand es wunderschön mit dir und würde dich gerne wiedersehen‹, las ich und musste mich innerlich schütteln. Sicher, Vivien sah top aus, konnte sich sensationell bewegen und ich konnte nicht behaupten, dass ich in dieser Nacht etwas vermisst hätte. Aber warum zum Teufel begriffen diese Dinger nicht, dass ich kein Interesse an einer Bindung hatte? Ich meine, hey, sie war bereits die Dritte aus diesem Laden, die ich in den letzten Monaten flachgelegt hatte, und es sollte sich auch bis zu ihr herumgesprochen haben, dass ich Mr. Unverbindlich war. Zumal ich keine Gelegenheit ausließ, genau das den Frauen klarzumachen, bevor wir uns in den ekstatischen Kampf unter der Bettdecke stürzten.

Gut, ich war mit einem athletischen Körper, markanten Gesichtszügen und vollem Haar sicher nicht von der Natur benachteiligt worden. Meine etwa 1,90 m vereinfachten das Flirten ebenfalls und meine tiefe Stimme, mit der ich wohlformulierte Sätze sprechen konnte, war quasi das Topping auf den Traummann-Cocktail, mit dem ich nie hinter dem Berg hielt. Dass ich mir seit Jahren keine Gedanken mehr über meinen Kontostand zu machen brauchte, ergab sicher noch das Schirmchen. Kurzum: Ich hätte mich schon ziemlich dämlich anstellen müssen – oder es bewusst darauf anlegen – um einen Abend allein nach Hause zu gehen. Was durchaus öfter vorkam. Strenggenommen sogar sehr oft. Höchstens zwei bis drei Mal im Monat gab ich meinem Verlangen, meinem Drang nach einem jungen, knackigen Frauenkörper, gekrönt von einem hübschen Gesicht, nach und schleppte nach kurzer Sondierung des jeweiligen Angebots in der Regel genau das Objekt meiner Begierde ab, das ich auserkoren hatte, mir die Nacht zu versüßen. Und wie sie mir versüßt wurden. Nicht selten hatte ich das Gefühl, die Damen würden sich die Seele aus dem Leib vögeln und alles in die erotische Waagschale werfen, was sie nur zu bieten hatten – als wäre es der letzte Sex ihres Lebens, als gäbe es kein Morgen. Ob sie das quasi als Bewerbung verstanden oder ich sie einfach durch meine Erfahrung in diese unbekannten Sphären ihrer Lust katapultierte, interessierte mich schon lange nicht mehr. Meist nach der zweiten, spätestens nach der dritten Runde sank meine Libido rapide ab und wich dieser gähnenden Leere in mir, diesem Gefühl, meinen Platz im Leben verloren zu haben.

Ich machte ihnen grundsätzlich im Vorfeld klar, dass es bei mir kein Frühstück geben würde. Außerdem gab ich zu verstehen, dass das Laken neben mir am nächsten Morgen gerne sehr zerwühlt sein dürfte, aber bitte leer zu sein hätte. Die meisten meiner Bettgeschichten verstanden das und ich hörte nie wieder etwas von ihnen.

Doch es gab hin und wieder auch andere – so wie Vivien. Die mir nun mit ihrer dritten, vierten, ach, was weiß ich wievielten SMS auf den Sack gehen musste. Kurz hatte ich überlegt, ihr eine unmissverständliche Antwort zu schreiben, doch gerade heute war ich mit meinen beiden Kollegen aus der Chefetage in Sam´s Diner zum Lunch verabredet. Hoffentlich hatte Vivien heute frei.

Eine Stunde später zerschlug sich meine Hoffnung, als ich auf den Eingang des Diners zuging. Mit einem Tablett in der Hand und einem Tuch über dem Arm kreuzte sie meine Blickrichtung. Ich seufzte und trat ein. Am hinteren Ecktisch, unserem Stammplatz, wenn wir dort waren, entdeckte ich meine beiden Kollegen und gesellte mich zu ihnen.

»George, wie geht es mit dem Projekt in Hongkong voran?«, wollte Paul Fulham von mir wissen, noch bevor ich mich auf die Sitzbank hatte fallen lassen. Er und Harry Coldwater hatten die Firma gegründet, in die ich kurz darauf eingestiegen war und die seitdem ein schier unaufhaltsames Wachstum an den Tag legte, sodass wir bereits ernsthaft über eine Börsennotierung nachdachten. Ich kam damals direkt aus meinem Militärdienst zu den beiden, nachdem Sergeant Frederic Fulham, der Neffe Pauls, mich mit seinem Onkel zusammengebracht hatte. Mein technisches Studium, meine Mehrsprachigkeit und nicht zuletzt meine ausgezeichneten Beziehungen zu wichtigen Entscheidern der Army, die ich mir über die Jahre aufgebaut hatte, gaben den Ausschlag, dass ich mich gleichberechtigt einkaufen konnte. Eine Entscheidung, die bislang keiner von uns dreien bereut hatte, was noch unverschämt untertrieben war.

»Hongkong ist am Haken, auch wenn sie sich noch ein bisschen winden. Aber ich denke, nächste Woche sollte der Deal stehen«, erklärte ich überzeugt, obwohl ich mir dabei nicht ganz so sicher war. Ich hoffte, sie würden meine Zweifel nicht heraushören. Doch selbst, wenn wir zu keinem Abschluss kämen, würde uns das nicht sehr treffen. Vielleicht ein paar Schritte zurückwerfen, aber wir waren mehr als solide aufgestellt, sodass wir uns nicht von einem anderen Player abhängig machen mussten.

»Das ist unser George«, schaltete sich Harry ein und schlug mir anerkennend auf die Schulter.

»Guten Tag, die Herren, was darf ich Ihnen heute bringen?«, unterbrach die Bedienung unser Gespräch. Sie stand schräg hinter mir und natürlich hatte ich ihre Stimme sofort erkannt.

»Bringen Sie mir das Thunfisch-Sandwich«, bestellte Harry als Erster. Er nahm immer das Thunfisch-Sandwich.

»Mir reicht heute ein kleiner Salat, ohne Dressing bitte.« Paul wandte sich uns zu. »Mein Magengeschwür macht wieder Alarm.« Ich nickte ihm mitfühlend zu und drehte mich etwas zur Seite, sodass ich Vivien sehen konnte.

»Bringen Sie mir bitte das Tagesgericht.« Demonstrativ schaute ich auf ihr Namensschild, bevor ich hinzufügte: »Vivien.«

»Natürlich, sofort«, sagte sie mit erstickter Stimme und ihr Blick sprach Bände, bevor sie sich umdrehte und davoneilte. Als ich mich meinen Kollegen zuwandte, starrten sie mich vorwurfsvoll an. Beide.

»George, sag mir bitte, dass du sie nicht –.«

»Schon gut«, unterbrach ich. Das Letzte, worauf ich gerade Lust verspürte, war eine Moralpredigt von zwei älteren Herren, die wahrscheinlich selbst unter Zuhilfenahme der legendären blauen Pille keinen mehr hochbekamen. »Es war ein Ausrutscher und kommt nicht mehr vor.« Ich sah zu Paul, der einen kurzen Blick mit Harry wechselte, worauf beide die Schultern zuckten. »Wie sieht es mit unserem Bauprojekt aus? Gibt es da mittlerweile etwas Neues?« Seit Monaten suchten wir für die ISU ein anderes, wesentlich größeres Firmengebäude, da unser derzeitiges einfach nicht genügend Kapazität aufwies, um alles unter einem Dach behalten zu können. Doch Chicago war verbaut. Ohne ein paar Scheinchen an den richtigen Stellen zu ›vergessen‹, entpuppte sich die Suche danach zu einer Herkulesaufgabe.

»Tja«, begann Paul und seine Stimme verhieß nichts Gutes. »Du weißt ja, wie das ist. Wir haben zwei Angebote abgegeben, worüber das Bauamt demnächst entscheiden wird.« Er hob die Hände und senkte etwas den Kopf. »Wir müssen einfach abwarten.« Abwarten, genau das würden sie heute in ihrer kleinen Werkstatt immer noch tun, wenn ich nicht dazugekommen wäre und ihnen Dampf unter dem Hintern gemacht hätte. Ich stöhnte leise auf.

»Ist der Anderson noch Leiter der Baubehörde?«, wollte ich wissen.

»Nein, eine Maxime Bauer, Dr. Maxime Bauer. Warum fragst du?«, hakte Paul nach und auch Harry sah mich neugierig an. Ich lehnte mich zurück und lächelte.

»Warum sagt ihr das nicht gleich! Ich werde mich mal mit ihr unterhalten.«

»George, bitte!«, erwiderte Paul sofort. »Du kannst doch nicht mit der anbandeln, nur, damit wir das Grundstück bekommen.« Jetzt hob ich entschuldigend die Hände.

»Sie ist eine Frau, ich bin ein Mann. Und nichts würde mir ferner liegen, als Dienstliches mit Privatem zu verquicken.« Ich schickte ein Zwinkern hinterher. Auch Harry setzte einen echauffierten Blick auf, der wie bei Paul jedoch schnell wieder verschwand. Sie würden es nie zugeben, doch sie waren heilfroh darüber, dass ich mich um die Sache kümmern würde.

Den Rest unserer Pause verbrachten wir mit belanglosem Smalltalk, unterbrochen von Vivien, die mit bösem Blick unser Essen servierte und später wortlos kassierte. Als ich wieder auf den Bürgersteig vor den Diner trat, hatte ich das Mädchen bereits weitestgehend von meiner Festplatte gelöscht. Gedanklich beschäftigte ich mich schon mit Dr. Maxime Bauer und hoffte inständig, dass sie das halten würde, was ihr Name versprach.

Kapitel 3

 

 

Vanessa

 

Susan redete nicht lange um den heißen Brei herum. Das tat sie nie. Meine allerliebste, beste Freundin, die seit einigen Jahren im etwa 1000 Meilen entfernten Chicago lebte, ließ keinen Widerspruch zu.

»Du hörst jetzt sofort auf zu heulen, legst auf, steigst in den nächsten Flieger und kommst zu mir«, forderte sie mit scharfer Stimme, nachdem ich ihr gerade am Telefon mein Herz ausgeschüttet hatte.

»A-aber ich muss mit Joshua reden«, jammerte ich. Zwar war erst eine Stunde vergangen, seitdem ich ihn beim Fremdvögeln erwischt hatte, aber vielleicht sollten wir darüber sprechen. Ich konnte doch nicht einfach so zwei Jahre über Bord werfen. Und schließlich hatte er es schon über zehn Mal auf meinem Handy probiert. Aber ich wollte ihn einfach nicht hören.

»Das Einzige, was du diesem Schwein zu sagen hast, ist, dass er seine Sachen packen und sich verpissen soll.«

»Du weißt doch, dass es seine Wohnung ist. Ich kann nicht einfach –.«

»Und ob du kannst. Scheiß drauf, dann soll er halt deine Sachen zusammenpacken, die holen wir dann später ab und fertig. Du brauchst jetzt nichts außer deiner Kreditkarte, um den Flug zu bezahlen. Alles andere habe ich hier oder wir besorgen es dir. Hier gibt es viele Shopping-Malls. Hast du mich verstanden, Schatz?« Erneut schluchzte ich. Sollte ich einfach so weglaufen? Ich meine, vielleicht war es wirklich nur ein Ausrutscher gewesen. Er liebte mich doch und ich ihn.

»Ich denke darüber nach«, wich ich aus, woraufhin Susan noch energischer wurde.

»Schatz, ich kenne dich und ich weiß, dass du dich wieder von ihm einlullen lässt. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass er Scheiße gebaut hat!« Ich wusste, worauf sie anspielte. Bei einer Feier hatte er Susan ziemlich offensichtlich angeflirtet. Sie hatte ihm daraufhin den Kopf gewaschen und mir nahegelegt, mir einen anderen, zuverlässigen Kerl zu suchen und mit diesem Typen Schluss zu machen. Aber Joshua erklärte mir damals sehr glaubhaft, dass er nur Spaß gemacht und Susan das in den vollkommen falschen Hals bekommen hätte.

»Ich weiß, dass du ihn nicht magst, aber –.«

»Nichts aber! Nicht mögen ist untertrieben. Diese Sorte Mann braucht kein Mensch. Du kommst jetzt zu mir – zur Arbeit brauchst du ja eh nicht – bleibst ein paar Tage hier und gewinnst Abstand, und wenn du dann immer noch meinst, mit ihm reden zu müssen, deine Entscheidung. Aber bitte, bitte, bitte, renn ihm jetzt nicht hinterher! Das würde ihn doch nur darin bestätigen, dass er sich bei dir alles erlauben kann.« Tief in meinem Inneren wusste ich natürlich, dass Susan recht hatte. Mit allem. Nur war ich hin- und hergerissen. Ich war zeit meines Lebens nie die Femme fatale, oder die, an der alles so abprallte. Mein Traum war seit meiner Kindheit eine kleine Familie mit eigenem Häuschen in einer idyllischen Lage. Fernab von allem, was laut, groß und schnell war. Trotzdem gab ich mir einen Ruck.

»Okay. Ich komme zu dir.«

»Das ist eine gute Entscheidung, Schatz. Meld dich, sobald du weißt, wann du hier landest.«

»Mache ich, bye.« Oh Mann, war das jetzt wirklich die richtige Entscheidung? Oder sollte ich schnell nochmal nach Hause und mit Joshua reden? Immer noch zerriss es mich. Dann jedoch tauchten die Bilder vor meinem inneren Auge auf, wie er es der Schlampe von nebenan besorgte, und meine Zweifel verflogen. »Susan hat recht, du bist ein Schwein, Joshua!« Ich öffnete die Navigationsapp meines Smartphones und gab ›Denver International Airport‹ ein. Voraussichtliche Ankunft in 25 Minuten, sagte mir die nette Stimme.

Trotz des Ziehens in meiner Magengrube und des betäubenden Schmerzes in meinem Kopf freute ich mich darauf, Susan nach fast einem halben Jahr wiederzusehen. Außerdem lag mein letzter Urlaub eh Monate zurück. Was hatte ich also zu verlieren? Noch zu verlieren?

 

***

 

Zum Glück hatte ich trotz meiner überstürzten Flucht aus unserer Wohnung meine Handtasche und somit meine Kreditkarte als auch meine Papiere dabei. Daher konnte ich ohne Probleme den nächsten Flieger nehmen und landete keine drei Stunden, nachdem wir abgehoben hatten, butterweich auf einer Landebahn des Chicago O´Hare International Airports. Das Auschecken ging flott und da ich kein Gepäck dabei hatte, konnte ich direkt Richtung Ausgang laufen.

Ich traute meinen Augen nicht, als ich Susan entdeckte. Sie hielt einen roten, herzförmigen, mit Helium gefüllten Luftballon an einer Schnur. ›I love you‹, stand in weißer, verzierter Schrift darauf. Ich konnte nicht anders und musste gleichzeitig heulen und lachen.

»Hey, Schatz, schön, dass du da bist«, rief Susan schon, als sie noch einige Schritte entfernt war. Dann fielen wir uns in die Arme und ich krallte mich an ihr fest. Mein Körper erzitterte und aus den einzelnen Tränen wurde ein wahrer Sturzbach.

»Ich freue mich auch«, flüsterte ich mit erstickter Stimme. Susan löste sich und hielt mich auf einer Armlänge Abstand.

»Heute darfst du weinen, meinetwegen den ganzen Tag und bis tief in die Nacht. Aber ab morgen beginnt ein neuer Lebensabschnitt für dich. Ist das klar?«

»Ja«, schniefte ich, obwohl ich mir in diesem Moment nicht vorstellen konnte, dass es mir jemals wieder gutgehen oder ich gar glücklich sein würde. Susan hakte sich unter und zog mich in Richtung Ausgang. Währenddessen reichte sie mir den Ballon und gab mir dabei einen Kuss auf die Wange.

»Den musst du draußen fliegen lassen.«

»Warum? Der ist doch schön.«

»Weil es hier in Chicago so üblich ist. Und der Mann, dem der Ballon irgendwann vor die Füße fällt, ist dein Traummann.« Sie zog den Ballon zu sich hinunter und malte ein schwarzes V mit einem Edding darauf. »Damit er dich auch findet, dein Prinz in schillernder Rüstung, der auf einem weißen Schimmel zu dir geritten kommt und dich auf ewig glücklich macht.« Sie lachte herzlich.

»Du verarschst mich doch.«

»Nur ein kleines bisschen, Schatz.«

»Und überhaupt: weißer Schimmel? Dein Ernst?« Sie stieß mir spielerisch ihren Ellbogen in die Seite und zog mich weiter. Wenig später stiegen wir in die L, wie die Einheimischen ihre U-Bahn nannten, und fuhren zu Susans Apartment.

 

***

 

Wir verbrachten den Rest des Tages mit Eiscreme, Shoppen, Eiscreme, weinen, Eiscreme und Eiscreme. Nach dem vierten Becher wurde es Susan jedoch zu bunt.

»Nun reicht es langsam, sonst gehst du noch auseinander wie ein Hefekloß.«

»Na und?«, erwiderte ich und schob mir den nächsten Löffel voller Vanilleeis in den Mund.

»Dann kriegen wir dich überhaupt nicht mehr an den Mann.« Sie lachte. Ich weinte.

»Ich will sowieso keinen Mann mehr. Wenn Joshua mich nicht mehr –.«

»Hör endlich mit diesem Arschloch auf«, sagte sie und blickte mich streng an. »Es gibt Millionen anständiger Kerle, zigtausend allein in dieser Stadt, und jeder einzelne davon ist besser als dieser Dreckskerl Joshua!« Ihr Blick wurde wieder mild und sie schob mir ihren Becher vor die Nase, der noch halbvoll war. »Aber wenn du dich unbedingt in das Michelin-Männchen verwandeln willst, bitte sehr.«

»Ja, du Nervensäge, ich hab es verstanden«, erwiderte ich gespielt böse und schob beide Becher von mir weg in die Mitte des Tisches, nur, um nach ein paar Sekunden erneut danach zu greifen. Entgegen meiner tiefsten Überzeugung, dass ich ihn hätte leer essen müssen, löste ich mich schweren Herzens davon und folgte Susan, die mich noch durch eine Boutique und einen Dessousshop schleifte, um mir ein paar Sachen zum Anziehen zu besorgen. Sie hätte mir natürlich auch Kleider von ihr geliehen, da sie jedoch zwei Konfektionsgrößen über mir rangierte und ihre Brüste nach einem D verlangten, wonach meine sich mit einem B begnügten, kam das nicht in Frage.

»Es sei denn, du willst hier herumlaufen wie der letzte Schlunz«, erklärte sie lachend und bestand darauf, die Sachen zu bezahlen.

»Das musst du nicht, ich hab doch meine Karte dabei.« Sie ließ ihre Finger und den Daumen zusammenschnappen, zeigte mir also den Schweigefuchs – so der Name dieser Geste, wie unsere Lehrerin uns zu Highschoolzeiten mal erzählt hatte – und reichte ihre Mastercard über den Verkaufstresen.

»Solange du bei mir bist, bist du mein Gast. Verstanden?« Ich nickte zögerlich. Ein schlechtes Gewissen hatte ich an dieser Stelle nicht, da Susan als Abteilungsleiterin eines großen Geldinstitutes soviel verdiente, dass sie es allein gar nicht ausgeben könnte, hatte sie schon öfter angemerkt. Und falls es doch mal knapp werden würde, säße sie ja an der Quelle, schob sie stets augenzwinkernd hinterher.

Später in Susans Apartment fielen mir vor Erschöpfung schnell die Augen zu und ich verzog mich in das Gästezimmer, das sie mir besonders lieb hergerichtet und auch nicht die Schokolade auf dem Kopfkissen vergessen hatte. Trotzdem weinte ich. Weinte, bis ich einschlief und vielleicht auch noch etwas länger.

Kapitel 4

 

 

George

 

Die Zeit wurde knapp. Anscheinend war Ms. Maxime Bauer eine vielbeschäftigte Person, denn trotz mehrfacher Anfragen durch meine Sekretärin musste ich eine halbe Woche warten, um einen Termin bei ihr zu bekommen. Das hieß, ich musste mich heute ordentlich ins Zeug legen, da die Bekanntgabe der Grundstücksvergabe in nur drei Tagen anstand.

Nichtsdestotrotz war ich optimistisch, die sprichwörtliche Kuh vom Eis bringen zu können. Das war schließlich nicht das erste Mal, dass ich durch meinen Charme zu einem geschäftlichen Durchbruch gelangen würde. Wobei sämtliche Dienstleistungen und Systeme, die wir von der ISU vertrieben, wirklich jeden einzelnen Cent wert waren. Nicht umsonst kam gestern ein weiteres Übernahmeangebot für unser Unternehmen aus China herein. Selbstverständlich würden wir auch dieses ablehnen, das verlangte der Rest Patriotismus in uns.

Schnell fand ich das Büro der Dame. Dr. Maxime Bauer, stand an der Tür und der Name ging runter wie Öl. Ich klopfte an und nach einem Moment hörte ich eine helle Stimme aus dem Inneren des Zimmers.

»Herein.« Ich trat ein, setzte mein bestes Zahnpastalächeln auf und dann sah ich sie, mit ernstem Gesicht hinter einem schlichten Schreibtisch sitzend.

»Guten Tag, Ms. Bauer, mein Name ist –.«

»Dr. Bauer«, korrigierte sie mich und nicht einmal der Anflug eines Lächelns streifte ihr Gesicht. Wobei ich zugeben musste, dass es wahrscheinlich auch nicht so einfach zu erkennen gewesen wäre, denn Dr. Maxim Bauer war etwa 60 Jahre alt und hatte ein faltiges Gesicht wie ein Shar Pei, diese Hunderasse, die aussieht, als hätte man vergessen, das Gesicht irgendwo zu befestigen. Die qualmende Zigarette im Aschenbecher deutete auf einen Grund hin, warum sie aussah, wie sie aussah. Ich zwang mich, mein Lächeln nicht zu verlieren, und reichte ihr die Hand.

»Dr. Bauer, natürlich, entschuldigen Sie bitte. Mein Name ist George Franklin, ich bin von der ISU. Wir haben einen Termin.«

»Das weiß ich selbst«, sagte sie schroff, schlug meine ausgestreckte Hand aus und deutete stattdessen auf einen Stuhl vor mir.

»Danke«, sagte ich und setzte mich. Langsam bekam ich einen Krampf im Gesicht.

»Was kann ich nun für Sie tun?« Okay, sie kam schnell zum Punkt. Das war nicht gut. Meine Strategie war zwar nicht unbedingt auf ein Model ausgelegt, eine Frau ungefähr in meinem Alter und ohne Weglauf-Attribut wäre annehmbar gewesen, aber keinesfalls war ich auf eine ausgetrocknete, alte Jungfer vorbereitet, die zum Lachen nicht einmal in den Keller, sondern wahrscheinlich in einen unterirdischen Atombunker ging. Ich musste mir also schnellstens etwas einfallen lassen, wie ich das Ruder noch herumgerissen bekäme.

»Nun, Sie wissen ja, dass sich unser Unternehmen um das Bowman-Grundstück beworben hat. Ich dachte, wir unterhalten uns mal darüber, wie unsere Chancen so stehen.« Sie blickte mich argwöhnisch an und erwiderte mit leicht gereiztem Unterton:

»Natürlich weiß ich das, schließlich läuft der gesamte Vorgang über meinen Schreibtisch. Ich verstehe nur nicht, worüber Sie da reden wollen. Ihre Firma hat ein Angebot abgegeben wie einige andere Interessenten ebenfalls, und am kommenden Freitag erfolgt die Bekanntmachung darüber, wer den Zuschlag erhält.« An der würde ich mir die Zähne ausbeißen, das stand schonmal fest. Trotzdem wagte ich einen Versuch, obwohl ich damit ganz dünnes Eis betrat. Ich hätte mich vorab über diese Schrapnelle informieren müssen. Vielleicht wäre ich über einen Punkt gestolpert, an dem ich den Hebel hätte ansetzen können. Denn ich wusste, dass jeder eine Schwachstelle hatte, ein dunkles Geheimnis in sich trug. Verdammt, ich hatte meine Hausaufgaben nicht gemacht.

»Nun, Ihnen dürfte bekannt sein, dass wir eine Vielzahl an Mitarbeitern beschäftigen und bestrebt sind, sowohl unsere Produktion als auch unsere Verwaltung in Chicago zu belassen. Wozu dieses Grundstück und der darauf geplante Gebäudekomplex schon fast unabdingbar wären.« Was war das? Sah ich tatsächlich ein kleines Lächeln zwischen den Hautlappen ihres Gesichts?

»Mr. Franklin, selbstverständlich wissen wir als Behörde der Stadtverwaltung um das soziale Engagement Ihres Unternehmens. Und Sie können mir glauben, dass wir nach bestem Wissen und Gewissen sämtliche eingegangenen Angebote prüfen werden. Aber am Ende bekommt in der Regel der Bieter mit dem höchsten Betrag den Zuschlag.« Okay, sie lächelte. Aber nicht aus Freundlichkeit, es war eher ein überhebliches, süffisantes Grinsen, das eine klare Botschaft vermittelte: Ich sitze hier am Ruder! Klar, ich könnte versuchen, ihre Entscheidung mit einer kleinen Zuwendung zu unseren Gunsten zu beeinflussen, doch ich war mir sicher, dass Dr. Maxime Bauer eine Beamtin durch und durch war, die mir sofort die Cops auf den Hals schicken würde. Des Weiteren würden unsere öffentlichen Aufträge flöten gehen. Vom Imageverlust mal ganz abgesehen, den wir uns in unserer Branche nicht erlauben sollten. Ich tat also das, was ich nur sehr selten und äußerst ungern tat: Ich gab auf. Für den Moment jedenfalls.

»Ich verstehe«, sagte ich, stand auf und reichte ihr erneut meine Hand, die sie jetzt nach einem kurzen Zögern schüttelte. »Auf dass wir das beste Angebot abgegeben haben.«

»Ach, Mr. Franklin?« Ich war schon in der Tür.

»Ja?« Ihr Gesichtsausdruck hatte sich auf seltsame Art verändert und ich wusste in diesem Moment nicht, was sie von mir wollte.

»Ihr Unternehmen, vertreiben und installieren Sie auch Sicherheitssysteme für private Immobilien?«

»Selbstverständlich. Warum fragen Sie?«

»Nun«, druckste sie herum, »in meiner Gegend gab es mehrere Einbrüche in der letzten Zeit und da dachte ich ...« Mit einem Schlag kehrte mein Lächeln zurück. Warum denn nicht gleich so?

»Dr. Bauer, wir können Ihr Haus in die Bank von England verwandeln, wenn Sie wollen. Es so sicher machen, dass Sie sich vor einer Purge-Nacht nicht zu fürchten bräuchten.«

»Das ist doch sicher sehr teuer, oder?« Ein diebisches Lächeln arbeitete sich durch die Hautwülste ihres Gesichts. Ich nahm mein Smartphone hervor und fragte nach ihrer Adresse.

»Morgen früh schicke ich jemanden vorbei, der sich alles ansieht. In einer Woche können Sie zuhause so ruhig schlafen wie ein Neugeborenes«, versprach ich, nachdem ich ihre Anschrift eingegeben hatte.

»Viel Glück bei der Bekanntgabe am Freitag«, sagte sie und zwinkerte. Ich nickte. Wir verstanden uns. Darauf verabschiedete ich mich nochmals freundlich und begab mich auf den Weg zurück ins Büro. So hatte ich es mir zwar nicht vorgestellt, aber am Ende zählte nur das Ergebnis und so konnten wir uns schonmal um einen Architekten bemühen.

Kapitel 5

 

 

Vanessa

 

Susan war der größtmöglich vorstellbare Schatz, den man sich als beste Freundin nur vorstellen konnte. Nimmermüde hatte sie mich wieder aufgebaut, wenn ich in den vergangenen Wochen in ein Loch fiel und mit mir haderte, ob ich nicht zu Joshua zurückkehren sollte, zurückkehren müsste.

»Schatz, guck dich doch mal an, wie du aufblühst, seit du hier bist«, sagte sie dann. »Und wenn das mit dem Job klappen sollte, kannst du richtig durchstarten.« Susan hatte recht, mit allem. Mir ging es, abgesehen von den kleinen Einbrüchen, jeden Tag besser. Sicher auch, weil Joshua nicht mehr mehrfach täglich, sondern nur noch alle paar Tage versuchte, mich auf dem Handy zu erreichen. Bislang war ich standhaft geblieben, auch wenn mir das mitunter nicht leicht fiel. Vielleicht hatte ich ja überreagiert oder es lag tatsächlich an mir, vielleicht hatte ich ihn unterbewusst in die Arme dieser Schlange von Nachbarin getrieben. Susan gegenüber durfte ich das natürlich nicht erwähnen, jedenfalls, wenn ich sie nicht zur Weißglut bringen wollte.

Seit mittlerweile vier Wochen betrieb ich mit Susan eine eingespielte Zweier-WG, kümmerte mich um die Einkäufe und hielt die Bude sauber, während sie natürlich ihrem Job nachgehen musste. Wir verhielten uns schon wie ein altes Ehepaar, scherzten wir untereinander, was natürlich totaler Quatsch war, schließlich beschäftigte ich mich ernsthaft mit der Suche nach einem neuen Job. Wobei wir, zumindest vorübergehend, zusammen wohnen bleiben wollten.

Einen schwierigen Moment hatte ich vor einer Woche durchlebt, als Susan und ich nach Denver geflogen waren, um die wichtigsten persönlichen Dinge aus meiner alten Wohnung zu holen. Dazu passten wir einen Zeitpunkt ab, an dem Joshua in der Firma war, und luden schnell alles in einen Lieferwagen, den wir uns extra zu diesem Zweck gemietet hatten. Mir liefen während der ganzen Aktion die Tränen über die Wangen, das alles wühlte mich auf und machte mich furchtbar traurig. Als ich jedoch an der Schwelle zum Schlafzimmer auf unser breites Bett schaute, brannten sich die Bilder des Betrügerpärchens wieder in mein Bewusstsein. Spätestens da war ich mir sicher, dass Susan mit jedem Wort recht hatte. Ich hinterließ Joshua einen handgeschriebenen Zettel in der Küche, auf den ich schrieb, dass er all das, was ich dagelassen hatte, entweder behalten, verkaufen oder entsorgen könne, es wäre mir völlig egal. Auch, dass er mich nicht weiter anrufen solle, erwähnte ich, und dass ich endgültig mit ihm und unserer Beziehung abgeschlossen hätte. Ich verzichtete darauf, ihn mit Vorwürfen zu überhäufen oder ihm zu schreiben, wie sehr er mich verletzt hätte. Neben den Wohnungsschlüsseln steckte ich den Ring mit dem kleinen Stein, den er mir zu unserem Jahrestag geschenkt hatte, und den kurzen Brief in einen Umschlag und warf ihn auf den Küchentisch.

Unser anschließender Roadtrip zurück nach Chicago, der fast einen Tag dauerte, erinnerte uns an unsere Collegezeit, in der wir oft mit Freunden im zum Wohnmobil umgebauten Kleintransporter von Susans Eltern für ein Wochenende in einen Nationalpark gefahren waren zum Campen. Zwar konnten wir die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir hatten trotzdem sehr viel Spaß und mein Kummer verblasste von Meile zu Meile. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie dankbar ich Susan war – nicht wegen der nostalgischen Reise, die war nur die Kirsche auf der Sahne – nein, sie hat mich aufgefangen, aufgenommen und aufgebaut, sodass ich optimistischer in meine ungewisse Zukunft schaute, als ich mir vor wenigen Wochen hätte vorstellen können.

Doch jetzt ging der Ernst des Lebens für mich wieder los. In wenigen Stunden durfte ich bei einem großen Planungsbüro vorsprechen, was mir Susan über ihre beruflichen Kontakte vermittelt hatte. Ich stand vor meiner Seite des Kleiderschranks und konnte mich einfach nicht entscheiden, was ich anziehen sollte. Ich hatte auch gar nichts anzuziehen. Wie immer.

»Schatz, übertreib nicht«, sagte Susan lachend und holte zielsicher drei Bügel aus dem Schrank, die sie mir der Reihe nach vor die Brust hielt. »Hm, das Kleid ist doch etwas zu sommerlich.« Sie hängte es zurück. »Bluse mit Rock. Geht immer.« Sie verzog das Gesicht und hängte kopfschüttelnd auch diesen Bügel zurück. »Nein, das sieht zu sehr nach Kellnerin aus. Bleibt nur noch das Kostüm.« Sie hielt es an und bedachte es mit dem nächsten prüfenden Blick. »Nicht zu kurz, der Ausschnitt nicht zu gewagt. Perfekt.«

»Meinst du?«, fragte ich unsicher nach. Am liebsten lief ich das ganze Jahr in Jeans und T-Shirt oder leichten Sommerkleidern herum. »Macht mich das nicht zu alt und spröde?« Susan lachte lauthals auf.

»Spröde wirst du nur, wenn du noch viel länger keinen Kerl an dich ranlässt.« Damit spielte sie auf den Abend letztens im Pub um die Ecke an, an dem ich zwei Männer hatte abblitzen lassen. Mit einer Kälte in deiner Stimme, die der Eiskönigin Beine gemacht hätte, betonte sie. Ich verstand das nicht, ich konnte doch ein paar Wochen nach meiner Trennung nicht mit einem Kerl anbandeln. Nein, das war nichts für mich. Noch nicht. »Das Kostüm ist ideal für diesen Anlass. Es unterstreicht deine Seriosität.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher, Schatz.« Ich beschloss, Susan in dieser Sache freie Hand zu lassen, sie kannte sich deutlich besser mit dem Großstadtleben aus und schließlich hatte ich das Bewerbungsgespräch erst durch ihre Connections bekommen.

Keine zwei Stunden später wartete ich im vierten Stock vor dem Büro der Geschäftsführerin. Ich zupfte am Saum meines Rockes, der mir viel zu kurz erschien und meine speckigen Oberschenkel nur zur Hälfte versteckte, und der Blazer zwickte auch in der Taille. Ich war fett geworden. Wie konnte das sein, wo doch immer gesagt wurde, dass man durch Kummer verhärmte, eher abmagerte? Die aufploppende Erinnerung an den Eiscrememarathon am ersten Tag hier gab mir die postwendende Antwort. Ab heute Abend gehst du joggen, schwor ich mir, als die Tür zum Büro aufging und eine wunderschöne, brünette Frau Ende 50 erschien und mich hineinbat.

»Setzen Sie sich, Ms. Stone«, sagte sie freundlich und deutete auf eine Couch in der Ecke des geschmackvoll eingerichteten Büros. Ich wartete, bis sie sich gesetzt hatte.

»Danke, Ms. Fisher«, erwiderte ich.

»Nennen Sie mich Mary, das tun alle.« Das verwirrte mich. Sie behandelte mich wie eine gute Bekannte und nicht wie eine Bewerberin um einen lukrativen Job. Oder wollte sie mich testen?

»Danke ... Mary, ich heiße Vanessa«, sagte ich zögernd. Sie strahlte mich an.

»Warum so schüchtern, meine Liebe?« Sie zog die Augenbrauen hoch und hielt sich die Hand vor den offenen Mund. »Ach du meine Güte, Sie dachten, ich würde Sie hier jetzt nach allen Regeln der Kunst auseinandernehmen.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf, wahrscheinlich, weil ich ziemlich dumm aus der Wäsche guckte. »Vanessa, Ihre Freundin Susan hat sich quasi für Sie verbürgt und ich habe mir die Freiheit genommen, mich mit Ihrem letzten Arbeitgeber in Verbindung zu setzen.« Sie nickte mir zu und fuhr fort. »Bob Waters hält große Stücke auf Sie.« Sie deutete auf die Mappe, die ich in der Hand hielt. »Wie ich sehe, haben Sie sich vorbereitet. Darf ich mal sehen?«

»Ja, natürlich«, erwiderte ich, etwas überrascht vom großen Zuspruch, den ich gerade erhalten hatte. »Ich habe meinen Lebenslauf, meine Zeugnisse und einige meiner Arbeiten mitgebracht.« Ich öffnete den Ordner und reichte ihr die Unterlagen. Mary überraschte mich erneut, da sie meine persönlichen Papiere lediglich überflog und sich schnell mit meinen Zeichnungen beschäftigte. Gespannt beobachtete ich ihr Gesicht, das relativ wenig Veränderung in ihrer Mimik zeigte. Verdammt, dachte ich, sie findet die Entwürfe schlecht.

»Mh.« Sie betrachtete bereits die dritte und letzte Zeichnung, faltete sie anschließend zusammen und gab sie mir zurück. Das konnte nur bedeuten, dass ich raus war. Eindeutig. »Das sind Zeichnungen für Ein- und Zweifamilienhäuser. Ihnen ist bekannt, dass unsere Firma ausschließlich große Gebäudekomplexe, vorrangig für Klienten aus der Industrie und Wirtschaft plant und beim Bau betreut?«

»Ja«, sagte ich, obwohl ich mir dessen nicht bewusst gewesen war. »Damit habe ich bislang zwar wenig Erfahrung, aber ich lerne sehr schnell und bin flexibel.« Sie wandte sich mir zu und wieder konnte ich ihrem Gesichtsausdruck absolut nichts entnehmen. Ich unterdrückte es, hibbelig mit dem Fuß zu wackeln.

»Vanessa, Ihre Entwürfe sind bezaubernd. Wirklich sehr gut, doch wie erwähnt, erwarten wir etwas ganz Anderes von unseren Architekten.« Ich seufzte und wollte schon aufstehen, da zog Mary ihre Mundwinkel nach oben. »Aber ich denke, Sie bekommen das hin.« Hatte ich gerade richtig gehört? »Können Sie nächsten Montag anfangen?« Ich schluckte. Und nickte.

»Natürlich. Das ist ..., ich meine, ich ..., äh, danke für Ihr Vertrauen, Mary.«

»Das ist ein Vorschuss und ich bin guter Dinge, dass Sie mich nicht enttäuschen werden. Ich biete Ihnen einen Einjahresvertrag mit einer dreimonatigen Probezeit. Sagen wir, 120.000 plus Ihre Kosten für die Sozialversicherungen? Für das zweite Jahr setzen wir uns im Frühling zusammen.« 120.000 Dollar, das waren 40.000 mehr, als ich bei Bob verdient hatte. Natürlich war Chicago ein teureres Pflaster als meine Kleinstadt, aber mit dem Geld würde ich mehr als gut auskommen.

»I-ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll«, stammelte ich, woraufhin sie mir eine Hand auf den Unterarm legte.

»Sagen Sie einfach ja.«

»Ja.«

»Fein«, sagte Mary und sprang auf. »Dann gehen Sie am besten direkt zur Personalabteilung im ersten Stock. Ich rufe eben unten an, dann ist ihr Vertrag fertig, bevor Sie dort ankommen. Wir sehen uns am Montag um 8 Uhr.« Ich stand ebenfalls auf. Wir verabschiedeten uns mit einem Handschlag und im nächsten Moment wartete ich bereits auf den Fahrstuhl. Nein, du nimmst die Treppe, befahl ich mir, nachdem mir meine Zusatzkilos gerade wieder eingefallen waren, und schon lief ich die Stufen hinunter, erfüllt von einem lange nicht mehr gespürten Glücksgefühl.

Wie Mary es vorhergesagt hatte, lag der unterschriftsreife Vertrag bereits parat, und nachdem ich ihn gründlich studiert hatte und zusätzlich zum erwähnten Gehalt ein großzügiger Urlaubanspruch Bestandteil unseres Arbeitsverhältnisses war, unterschrieb ich. Beide Ausfertigungen waren bereits von Mary Fisher unterzeichnet, bevor sie mir übergeben worden waren. Ich bedankte mich bei der Sekretärin für mein Exemplar und verließ das Gebäude meines neuen Arbeitgebers. Draußen zückte ich mein Smartphone und schrieb Susan, dass ich sie heute zur Feier des Tages groß ausführen würde. Kurz darauf antwortete sie mit einer Armee von Kuss-, Herz- und Glückwunsch-Smileys und, dass sie sich für mich und auf heute Abend freute.

Kapitel 6

 

 

George

 

Begeistert waren meine Kollegen der Chefetage nicht unbedingt darüber, dass ich dieser Dr. Maxime Bauer eine De-Luxe-Security-Ausstattung für einen geradezu lächerlichen Preis verkauft hatte und installieren ließ. Ihre moralischen Bedenken sowie die über die mit der kleinen Bestechung verbundenen Kosten konnte der von uns herbeigesehnte Zuschlag für das Grundstück allerdings schnell beiseiteschieben.

»Ihr müsst wissen, was ihr wollt: Entweder weiter herumdümpeln oder den nächsten Schritt nach vorn machen. Think big!«

»Das stimmt schon, George«, bestätigte Paul. »Und die Mitbewerber haben sicher auch keine weiße Weste.«

»Keine Sorge, Leute, uns kann niemand ans Bein pinkeln. Das ging alles seinen offiziellen Weg, es wurden keine Steuergelder verschwendet und niemand ist zu Schaden gekommen. Schließlich konnte nur einer den Zuschlag bekommen. Also, lasst uns das bitte abhaken und uns um die wichtigen Dinge kümmern. Zum Beispiel, wen wir den Bau hochziehen lassen.« Wie meistens gelang es mir auch jetzt spielend, sie von meiner Ansicht zu überzeugen.

»Ich habe bereits mit unseren bisherigen Partnern gesprochen, und wenn es nach mir geht, lassen wir es wieder vom Planungsbüro der Fisher machen«, schaltete sich Harry ein. Das stimmte, bei unserem letzten Auftrag hatte sich die Firma von Mary Fisher als sehr kompetent und überaus zuverlässig erwiesen und sofort reagiert, wenn mal etwas nicht reibungslos funktioniert hatte. Ich schaute zu Paul, der mit den Schultern zuckte.

»Von meiner Seite keine Einwände. Paul?« Er nickte lediglich. Ich sah Harry an. »Okay, kümmerst du dich darum, dass die alle notwendigen Informationen bekommen?«

»So gut wie erledigt. Bist du denn wieder gewillt, den Baufortschritt im Auge zu behalten?« Ich lächelte und nicht zum ersten Mal dachte ich, was die beiden wohl ohne mich machen würden. In einem meiner dunklen Momente hatte ich schon einmal überlegt, ihnen die Anteile an der ISU abzuluchsen. Sie vertrauten mir und es wäre ein Leichtes gewesen, sie zu übertölpeln. Zum Glück hatte ich mich damals schnell wieder gefangen und die durchtriebenen Pläne ganz tief vergraben. Das hätte ich langfristig nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können.

»Klar, kein Problem.« Die Gespräche an der frischen Luft mit anderen kreativen Köpfen waren mir stets eine willkommene Abwechslung und da ich, wie üblich, wahrscheinlich eh jeden zweiten Tag zur Baustelle fahren würde, weil mich einfach faszinierte, wie aus dem Nichts imposante Bauwerke entstanden, konnte ich es auch gleich damit verbinden, Fishers Leuten dabei auf die Finger zu schauen und gegebenenfalls auch mal zu klopfen.

 

***

 

Eine Woche später war es soweit. Meine Sekretärin hatte mit der von Mary Fisher einen Termin vor Ort vereinbart, um uns über die Begebenheiten abzustimmen und etwaige notwendige Änderungen bei den Bauplänen zu besprechen. Zwar lag dem Planungsbüro Fishers ein sehr detailliertes Dossier vor, aus dem alle uns wichtigen Punkte hervorgingen, doch jeder, der einmal auch nur ein Haus gebaut hatte, wusste, dass es niemals genauso ablief, wie man es geplant hatte.

Während ich auf dem Lake Shore Drive in Richtung Süden fuhr, genoss ich vor meinem geistigen Auge bereits den unbeschreiblichen Ausblick, den ich aus meinem Büro im obersten Stockwerk unseres neuen Firmenkomplexes auf den Lake Michigan haben würde. Ich setzte den Blinker und bog ab. In fünfzehn Minuten würde mir die nach Mary Fishers Aussage beste Kraft ihres Teams deren Sichtweise erläutern. Ich war gespannt.

Kapitel 7

 

 

Vanessa

 

Trotz eines mulmigen Gefühls in den ersten Tagen in meinem neuen Job schaffte ich es, den Erwartungen meiner Chefin und meines direkten Vorgesetzten Steven zumindest standzuhalten, auch wenn ich in naher Zukunft vorhatte, sie zu übertreffen. Denn auf zwei Dinge konnte ich mich stets verlassen: auf mein Fachwissen und meinen Ehrgeiz. Zwar würde ich nie soweit gehen, jemand anderen mit unlauteren Mitteln aus dem Weg zu räumen, doch die Hornhaut an meinen Ellbogen war in den Jahren, die ich in meiner von Männern dominierten Arbeitswelt verbrachte hatte, durchaus robust geworden. Da meine Chefin eine Frau und des Weiteren neben mir noch andere Architektinnen, Statikerinnen und Ingenieurinnen in dieser Firma beschäftigt waren, fielen mir diese geschlechtsspezifischen Machenschaften bisher nicht auf. Aber ich war auch erst in der dritten Woche hier.

Einige kleinere Projekte durfte ich bereits nach gemeinsamer Vorarbeit mit Steven allein zum Abschluss bringen. Doch beim größten Auftrag des Jahres, wie jeder im Büro wusste, durfte ich zwar zuschauen und kleine Hilfstätigkeiten verrichten, worunter auch das ständige Kaffeeholen für Steven fiel, mich konstruktiv einzubringen schaffte ich bislang jedoch noch nicht, da er mir kaum zuhörte. Oder besser gesagt, nicht zuhören wollte. Einige meiner Kolleginnen hatten mich am Anfang bereits vorgewarnt, dass eine Zusammenarbeit mit ihm äußerst schwierig wäre, weil er andere Meinungen kaum gelten ließe. Abgesehen natürlich von der Meinung Marys. Es war ebenfalls ein offenes Geheimnis, dass er zwar als genial im Job aber auch als Kotzbrocken galt, und ich demnach schon die vierte Architektin innerhalb der letzten zwei Jahre war, die direkt unter ihm arbeitete. Es arbeiteten uns zwar noch weitere Kollegen zu, doch die Fäden liefen bei uns, besser gesagt bei Steven zusammen.

»Dein Gehalt musst du als Schmerzensgeld betrachten«, riet man mir und: »Nimm es dir nicht zu Herzen, wenn er dich anmault. Wenn du es ein halbes Jahr unter ihm aushältst, wirst du sicher in eine entspanntere Abteilung gesteckt.«

»Das sind ja schöne Aussichten«, hatte ich erwidert und mir nicht anmerken lassen, wie unangenehm mir das gewesen war. Doch im Nachhinein entpuppte es sich als halb so schlimm.

Als ich wie gewohnt um kurz vor acht unser Büro betrat, überraschte es mich, es leer vorzufinden. Bislang war Steven immer vor mir da gewesen und hatte mir einige Sachen auf meinen kleinen Schreibtisch gelegt, die ich für ihn zu erledigen hatte. Die erste war meist, frischen Kaffee zu kochen. Doch ich sah weder Steven noch Unterlagen auf meinem Platz. Sollte er tatsächlich verschlafen haben? Mir konnte es egal sein, ich hatte genug Aufgaben, mit denen ich mich beschäftigen konnte, und empfand es als angenehme Abwechslung, mal keinen Kaffee kochen zu müssen. Plötzlich schwang die Tür auf und Eileen steckte ihren Kopf herein.

»Hi, Vanessa, guten Morgen, ich soll dir ausrichten, wenn du hier aufgeschlagen bist, dass Mary dich in ihrem Büro erwartet.« Das war das erste Mal, dass ich zu ihr zitiert wurde, und sofort blitzten die Erinnerung daran auf, wie mich mein letzter Chef einbestellt hatte. Was in meiner Kündigung endete. Aber das war doch lächerlich. Mary würde schon nichts Dramatisches von mir wollen, schließlich hatte ich mir nichts zu Schulden kommen lassen. »Was du in deiner letzten Firma auch nicht getan hast ...«

Ich lief ins Treppenhaus und rannte die Stufen nach oben, wartete vor Marys Büro, bis sich mein Puls wieder beruhigt hatte, und klopfte an.

»Guten Morgen, Vanessa. Gut, dass Sie da sind, wir müssen reden.«

»Guten Morgen, Mary«, erwiderte ich leise. Ich schluckte und nahm auf dem Stuhl Platz, den sie mir angeboten hatte. Was will sie nur von dir?

»Puh, es ist schwierig, ich weiß gar nicht genau, wie ich Ihnen das beibringen soll.« Sagen Sie es einfach geradeheraus. ›Du bist süß, Vanessa, aber gefeuert.‹

»Okay«, sagte ich lediglich. Mary stand auf, kam um den Schreibtisch herum und setzte sich schräg vor mir auf die Tischplatte. Mach es kurz und schmerzlos, bat ich stumm.

»Ich weiß, dass das hart für Sie sein wird, vielleicht zu hart.« Sie sprang auf und wandte sich ab. »Verdammt, ich weiß einfach nicht, wie ich das anders machen könnte«, hörte ich sie mit dem Rücken zu mir sagen. Dann drehte sie sich wieder zu mir. »Steven liegt mit einem Herzinfarkt auf der Intensivstation. Das allein ist schon schlimm genug. Für ihn in erster Linie, aber auch für die Firma.« Ich riss meine Augen auf, denn damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.

»Das ist ja schrecklich«, sagte ich. »Auch für seine Familie.« Von der er mir bislang nicht ein einziges Wort erzählt hat, wie er generell mit mir nicht über persönliche Dinge sprach. Dass er Familie hat, weiß ich nur wegen des gerahmten Fotos auf seinem Schreibtisch, der doppelt so groß wie meiner ist.

»Ja, das ist es. Aber für uns ist es auch tricky, denn Sie wissen ja, dass er in wenigen Stunden einen Termin mit Mr. Franklin von der ISU hat.« Ich nickte. Von der ISU wusste ich, mit dem Namen Franklin konnte ich jedoch nichts anfangen.

»Ja, das weiß ich. Kann man den nicht verlegen?« Mary lachte trocken auf.

»Nein, meine Liebe, wir sind extrem unter Termindruck in dieser Sache, da muss ein Rad ins nächste greifen, sonst kommen wir in Verzug und das würde richtig teuer für uns werden.«

»Ich verstehe. Und warum wollten Sie mich jetzt sprechen?«

»Sie arbeiten mit ihm zusammen, Sie kennen das Projekt, Sie werden zu diesem Termin fahren. Auch wenn ich Ihnen damit viel zumute.« Sie lächelte mich aufmunternd an, doch richtige Zuversicht erkannte ich nicht in ihrem Blick. »Sehen Sie es als Feuertaufe.« Erneut schluckte ich. Klar, ich wollte mich beweisen, aber war das nicht mindestens eine Nummer zu groß für mich? Schließlich wurden meine Kolleginnen nie müde, zu betonen, wie wichtig dieser Auftrag für unsere Firma doch wäre.

»Vielen Dank für Ihr Vertrauen, Mary. Dann wird es wohl das Beste sein, wenn ich mir schnell noch einmal alles anschaue, bevor ich zu dem Meeting fahre, oder?« Mary nickte.

»Das ist die richtige Einstellung, Vanessa. Sie werden das schon hinbekommen.«

Ich beeilte mich, wieder in mein Büro zu kommen. Dort begann ich hektisch, diverse Unterlagen zusammenzusuchen, Dokumente zu überfliegen und die Anlage des Vertrags zu studieren, in der die Details des Auftrags beschrieben wurden. Ich kam mir vor, als würde ich ertrinken. »Das packst du nicht!« Der Schweiß schoss aus allen Poren. »Reiß dich zusammen!« Erneut stattete mir Eileen einen Besuch ab.

»Sag schon, worum ging es?«

»Steven liegt im Krankenhaus und jetzt muss ich zu seinem Termin mit diesem Franklin von der ISU«, antwortete ich beiläufig, da ich mich auf den Auftrag konzentrierte.

»Was? Du hast einen Termin mit Franklin? George Franklin?«, wollte sie kichernd wissen. Ich schaute verdutzt hoch.

»Ja, warum? Hat der Lepra oder warum sollte das so schlimm sein?«, fragte ich neugierig.

»Hihi, wenn´s das man wäre. Nein, im Gegenteil: George Franklin gehört zu den begehrtesten Junggesellen der Stadt und sein Ruf als Womanizer ist legendär. Man sagt, dass sich schon hunderte der schönsten Frauen vergeblich an ihm die Zähne ausgebissen hätten.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund, während sie kicherte. »Vielleicht hast du ja Glück.« Sie zwinkerte mir zu.

»Ja, sicher«, erwiderte ich. Als ob ich gerade keine anderen Probleme gehabt hätte, als einem Casanova hinterherzujagen, von dem ich bis vor einer Minute nicht einmal wusste, dass es ihn überhaupt gab. Ganz abgesehen davon, dass ich meine gescheiterte Beziehung mit Joshua immer noch nicht ganz verdaut hatte, war ein Mann das letzte, woran ich Interesse hatte. »Mach dir da keine Gedanken, ich bin immun gegen Männer, sehen sie auch noch so umwerfend aus. Es geht um die Firma und nur um die Firma.«

»Na, wenn du meinst«, sagte Eileen enttäuscht. »Aber du erzählst doch trotzdem nachher, wie es war, wie er war, oder? Bitte, bitte.« Ich konnte nicht anders als zurück zu grinsen. Eileen war Anfang 20 und gerade mit ihrer Ausbildung fertig geworden, da war diese jugendliche Schwärmerei noch normal. Schließlich stand ich auch mal auf Brad Pitt und wäre die Serie Lucifer zehn Jahre eher gedreht und gesendet worden, wäre ich wahrscheinlich Vorsitzende des Tom-Ellis-Fanclubs geworden, der den Lucifer Morningstar darstellte. Demnach hatte ich Verständnis für ihr Getue, aber hey, ich war fast 30, da haute mich so einfach nichts mehr vom Hocker.

 

***

 

Die Aktentasche, die ich mir mit einem Lederriemen über die Schulter geworfen hatte, klemmte fest unter meinem Arm. So waren die Unterlagen sicher verstaut, als ich aus der L stieg. Ich eilte die Treppen zur Straße hoch und erwischte an der Ampel gerade noch die Grünphase. Auf der anderen Seite angekommen orientierte ich mich kurz und nach einem Blick auf die Uhr atmete ich erleichtert durch. Noch etwa 20 Minuten Fußweg lagen zwischen mir und dem Grundstück, an dem mein Treffen in einer halben Stunde stattfinden sollte. Immer wieder ging ich im Kopf die Zeichnungen durch, versuchte, mir vorzustellen, welche Fragen dieser ach so tolle Typ mir stellen und wie ich am professionellsten darauf antworten könnte.

Durch die Buschreihen hindurch konnte ich einen Teil der glitzernden Wasseroberfläche des Lake Michigan erkennen. Ich vergewisserte mich auf Google Maps, dass ich mich nicht verlaufen hatte. Alles gut, es musste gleich hier hinter der Baumreihe sein. Im nächsten Moment stand ich am Rand des Grundstücks, auf dem man mehrere Footballfelder hätte anlegen können, inklusive der Parkplätze für die Spieler und Besucher. Ja, es war größer, als ich mir vorgestellt hatte, obwohl ich die Pläne für den Gebäudekomplex natürlich kannte. Da merkte ich, dass ich noch zu sehr in Einfamilienhausdimensionen dachte.

Am Ende des Schotterwegs, der fast mittig das Gelände teilte, sah ich jemanden an einem Wagen lehnen. Das musste George Franklin sein. Ich beschleunigte meinen Schritt und im gleichen Maße beschleunigte sich mein Herzschlag. Ob das wegen der Anstrengung oder aus Nervosität passierte, wusste ich nicht. Worüber ich mir jedoch sicher war: Es lag auf keinem Fall an diesem Mann, von dem Eileen so sehr geschwärmt hatte.

Je näher ich kam, desto nervöser wurde ich. Mittlerweile hatte ich erkannt, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen roten Lamborghini handelte und der Anzug des Mannes wahrscheinlich soviel gekostet hatte, wie alles in meinem und Susans Kleiderschrank zusammen. Er sah auf seine Uhr, dann zu mir. Entweder guckt der durch dich hindurch oder er hat eine Sehschwäche, sagte ich mir, als er den Blick sofort wieder von mir nahm und durch die Gegend schweifen ließ.

Nur noch wenige Meter. Ein flüchtiger Blick auf mein Handy beruhigte mich. Ich war pünktlich. Ich ging zu ihm und räusperte mich.

»Mr. Franklin?« Er drehte langsam den Kopf in meine Richtung und musterte mich von oben bis unten.

»Ja«, sagte er knapp und mein erster Gedanke war, dass, sollte Lucifer jemals fortgesetzt werden und Tom Ellis die Rolle nicht weiterspielen, es nur einen gab, der in seine Fußstapfen treten können würde: George Franklin. Ich schob den Gedanken beiseite und schüttelte mich innerlich.

»Mein Name ist Vanessa Stone, ich bin vom Planungsbüro Fisher.« Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Erneut musterte er mich, doch sein eben noch interessierter Blick war jetzt eher abschätzig.

»Ich bin mit Steven verabredet und er schickt mir seine Praktikantin?« Er ignorierte meine Hand und zog stattdessen sein Smartphone aus der Jackentasche.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739488011
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
romance Liebesroman Millionär sexy romance Bad Boy Lovestory Happy End milliardär romantasy

Autor

  • Rachel Callaghan (Autor:in)

Rachel Callaghan ist eine junge und aufstrebende Romanceautorin. Sie ist ständig auf der Suche nach Geschichten, die die Herzen berühren und höher schlagen lassen. Die erfolgreiche Lovestory "Chicago Moments" ist ihr Debüt. Es folgen mit "New York Moments" und "Seattle Moments" zwei weitere Bände der Reihe, die jeweils eine abgeschlossene Geschichte erzählen.
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Titel: Chicago Moments