Lade Inhalt...

Absturz unter Drachenfeuer

von Thorsten Hoß (Autor:in)
434 Seiten
Reihe: Die Crew der Sirius7, Band 1

Zusammenfassung

Absturz unter Drachenfeuer ist der Auftakt einer epischen Heldensaga um die Crew der Sirius7.

Erlebe ein spannendes, aktionsgeladenes Sciencefiction-Fantasy-Crossover und begleite die fünf Astronauten von der Erde bei ihrem Abenteuer auf der magischen Welt Lunaria.

Pressestimmen: Das Buch macht richtig Spaß!

Wer Marvels „Agents of Galaxy“, „Firefly“ (Serenity) oder vielleicht die erste Staffel „Enterprise“ mag, ist bei Thorsten Hoß und der Crew der Sirius 7, richtig. „Faszinierend!““

schreibblogg.de

Eine sehr lesenswerte Geschichte für alle, die bereit sind, sich auf etwas Neues einzulassen. Rollenspieler werden es lieben, da bin ich mir sicher.

Lest es und liebt es, was Thorsten Hoß da gezaubert hat. Für mich folgte eine Überraschung auf die nächste.

kleiner-komet.de

Die Mischung macht’s. Mit seinem Erstlingswerk »Absturz unter Drachenfeuer« und gleichzeitig dem Reihenauftakt zur Crew der Sirius7 zaubert Autor Thorsten Hoß dem Leser einen unterhaltsamen und kurzweiligen Science Fantasy Roman.

buchdrache.blogspot.com

InhaltDie Crew des Raumschiffs Sirius7 entdeckt eine Anomalie, die nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht existieren dürfte und sie zu einer Notlandung zwingt. Die Überlebenden müssen damit fertig werden, dass sie ihre Heimat wohl nie wieder sehen werden. Doch langsam erkennen die Gestrandeten, dass in einer Welt, an deren Himmel Drachen fliegen, selbst der Tod manchmal nur der Anfang ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum

Absturz unter Drachenfeuer

(Die Crew der Sirius7, Band 1)

Vierte deutsche Ausgabe

©2017-2021 Thorsten Hoß

Sirius7@rollenspielseminar.de

www.Lunariaromane.de

Covergestaltung: PolinaHoß

Lektorat: Polina Hoß, André Reichel

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Postadresse des Rollenspielseminars

Wilhelmstr. 26 41363 Jüchen

Widmung

Für zwei wunderbare Wesen.

Eine Maus und einen Waschbär.

Ihr seid mir eine tierische Hilfe.

Prolog

Der fünftgrößte Mond des Sonnensystems Sol war ein lebensfeindlicher Ort. Doch unbewohnt war er schon lange nicht mehr. Die Bewohner des blauen Planeten, den er umkreiste, hatten auch ihn besiedelt. Zwei dieser Menschen saßen vor ihren Monitoren in einem kleinen Kontrollraum der Mondbasis und gingen ihrer Arbeit nach.

Eine Nachrichtensendung flimmerte stumm über einen der Bildschirme, während die anderen von Diagrammen und Zahlenkolonnen bevölkert wurden.

»Mach mal lauter, die bringen was über die Sirius«, machte die Frau ihren Kollegen auf die Sendung aufmerksam, als das Bild eines Raumschiffes in den Fernsehbeitrag eingeblendet wurde.

»Ich dachte, das Projekt ist streng geheim«, erwiderte der Angesprochene und betätigte einen Regler, sodass nun auch der Ton zu hören war.

»… ist heute zu ihrer Mission aufgebrochen, um den äußeren Asteroidengürtel unseres Sonnensystems zu erforschen. Die mutige Crew des Schiffes wird auf ihrer Reise verschiedene physikalische und technische Experimente durchführen. Experten erhoffen sich von dieser Mission neue Erkenntnisse im Bereich der Quantenphysik.«

Ein Videofenster wurde neben dem Nachrichtensprecher eingeblendet. Ein älterer Herr mit eurasischen Zügen und schlohweißem Haar erschien dort, unterdessen der Journalist seinen Vortrag fortsetzte.

»Hierzu haben wir den international anerkannten Experten für Quantenphysik, Herrn Professor Doktor Heinrich Wu, eingeladen, uns mehr über die anstehende Mission der Sirius7 zu erzählen.«

»Wie du siehst, haben die keine Ahnung! Es ist also geheim«, antwortete sie schmunzelnd.

»Nicht, dass wir viel mehr wüssten als die da unten«, ergänzte er, wobei er den Ton wieder abstellte.

»Trotzdem verstehe ich nicht, warum die Nachrichten überhaupt vom Start berichten«, hakte sie nach. »Wenn ich bedenke, was für einen Aufstand sie hier um die Geheimhaltung machen.«

»Keine Ahnung«, entgegnete er schulterzuckend, »wahrscheinlich ist es einfacher, die Leute anzulügen und sie auf eine falsche Fährte zu locken, als ihnen schlicht die Wahrheit zu verschweigen. Wenn die Sirius so starten würde und es keine offiziellen Verlautbarungen gäbe, würde das bestimmt Fragen aufwerfen. Die Mediengeier schnüffeln doch überall rum.«

»Stimmt.« Eine kleine Pause entstand. »Hast du eigentlich eine Ahnung, was die eigentliche Mission der Sirius ist?«

»Von den Jungs aus der Entwicklung weiß ich, dass sie irgendeine Antriebstechnik testen wollen, an der sie schon Ewigkeiten herumprobieren.«

»Warum das geheim bleiben muss, leuchtet mir aber immer noch nicht ein.«

»Keine Ahnung«, sagte er, erneut mit den Schultern zuckend. »Ist wohl recht gefährlich. Du bist noch neu, also gebe ich dir einen guten Rat unter Kollegen: Zerbrich dir besser nicht den Kopf darüber! Sich Gedanken über Geheimnisse zu machen, bringt nur Ärger.«

»Den Start würde ich mir schon gerne angucken. Es müsste doch jetzt jeden Moment so weit sein.«

Er nickte und begann zu grinsen, als er einige Einstellungen seines Steuerpultes veränderte. Ein Videobild erschien auf dem Hauptmonitor ihres Arbeitsplatzes. Es zeigte ein Raumschiff, das von seiner Form her den Schiffen glich, die auch zwischen der Mondstation, den Marskolonien und der Erde verkehrten. Nur der turmartige Aufbau am hinteren Teil war ein deutlicher Unterschied.

»Ich hab die Übertragung zum Kommandoleitstand angezapft«, freute ihr Kollege sich über ihr dummes Gesicht.

Die Sirius nahm unter den Blicken der beiden nur zögerlich Fahrt auf.

»Für ein Raumschiff, das angeblich einen neuen Antrieb hat, beschleunigt es aber wirklich langsam«, bemerkte sie.

»Vielleicht müssen sie ja noch irgendetwas …«

Ein Lichtblitz überlagerte alles im Bild. Dann war das Schiff verschwunden.

»Was war das?«, stieß sie erschrocken aus.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er leise. »Ich habe das ungute Gefühl, dass da gerade etwas sehr schief gegangen ist …«

1. Boris

Sein Sichtfeld kehrte langsam zurück. Sterne funkelten vor seinen Augen wie kleine Supernovae. Stöhnend richtete sich der etwas untersetzte Mann in seinem Pilotensessel auf und versuchte, seine Sinneseindrücke einzuordnen. Erfolglos befahl er dem Blechorchester in seinem Schädel, die Kakofonie zu beenden. Mühsam blinzelnd, blickte er sich um.

Flackernde Lichtquadrate, eingebettet in einer Wand kantiger Gebilde, durchsetzt mit bunten Lichtpunkten. Das ergab keinen Sinn, stellte er fest. Er rieb sich die Augen, um die inneren und äußeren Lichterscheinungen besser voneinander trennen zu können, dann fokussierte er seinen Blick erneut. Die Lichtquadrate waren Bildschirme mit Kolonnen von Zahlen und Buchstaben, doch blieben sie ohne Sinn für ihn. Dass sie ihm etwas sagen sollten, wusste der Mann intuitiv. Nur was, erschloss sich ihm nicht.

Geistesabwesend löste er seine Aufmerksamkeit von den Monitoren. Träge schweifte sein Blick durch den Raum. Jede Augenbewegung fühlte sich an, als stachen ihm kleine Speere von der Innenseite seines Kopfes in die Iris. Er bemerkte Schalter- und Knopfreihen überall in den glatten Oberflächen um ihn herum, als ihn ein akustischer Hammer traf, dessen Wucht ihn aufstöhnen ließ. Ein unerträglich schrilles Piepgeräusch, das sich zu dem Pochen und Hämmern in seinem Inneren gesellt hatte, raubte ihm für einige Augenblicke das bisschen Verstand, was sich in ihm gesammelt hatte. Doch der Lärm von außen endete so schnell, wie er über ihn hineingebrochen war. Koschkin seufzte erleichtert.

»Koschkin?«, lallte er. War er das etwa? Er schloss seine schmerzenden Augen erneut, als seine Erinnerungen zurück in sein Bewusstsein sickerten. Ja. Er war Boris Koschkin.

Er war Kommandant eines experimentellen Raumschiffes mit außergewöhnlichen Antriebsaggregaten. Sein Schiff hieß Sirius7 und seine Aufgabe war es, den neuartigen Hyperraumantrieb für Langstreckensprünge zu testen, um mit den gesammelten Daten zur Erde zurückzukehren. Seine Erinnerungen kamen nun immer schneller.

Er hatte gewusst, was passieren würde. Während der Trainingseinheiten auf der Erde und später in der Mondbasis hatte man es ihnen immer wieder eingebläut. Reisen durch den Hyperraum stellten seltsame Dinge mit dem menschlichen Hirn an. Selbst in der schützenden Hyperraumblase seines Schiffs waren sie nicht hundertprozentig abgeschirmt. Ohnmachtsanfälle mit temporärem Gedächtnisverlust waren noch eine der harmloseren Auswirkungen. Die ersten Hyperraumreisenden waren ausnahmslos wahnsinnig geworden.

Sein Blackout hatte ihn trotzdem kalt erwischt. Und mit der anschließenden Desorientiertheit und den Schmerzen dieses Ausmaßes hatte er auch nicht gerechnet. Das war bei den Kurzstreckentests nie passiert.

Seine Verwirrung wurde zunehmend durch die Erinnerungen zurückgedrängt und die pulsierenden Schmerzen ließen langsam nach. Ein paar Mal atmete er tief ein und öffnete dann wieder seine Augen.

Dieses Mal erfasste sein Verstand auch den Sinn der Anzeigen auf den Monitoren. Die Schiffssysteme arbeiteten innerhalb normaler Parameter. Nur das Biogelsystem des Schiffes war noch mit einem Neustart beschäftigt. Sein Hirn reichte derweil neue Erinnerungen an sein Bewusstsein weiter. Abrupt drehte er sich um.

»Hiriko?«, fragte er besorgt.

Seine Kopilotin, eine zierliche Japanerin, war schweißüberströmt und zitterte. Trotzdem lächelte sie ihn schwach an. »Funkstation klar«, meldete sie leise.

»Gut«, antwortete Koschkin, dem seine restliche Crew nun ebenfalls einfiel. Einen Moment lang suchte er die richtige Taste, dann schaltete er das Intercom ein.

»Koschkin an Mannschaft«, brummte er in sein Mikrofon. »Ich erwarte eure Klarmeldungen.«

Ashley Bender meldete sich augenblicklich, fast als habe sie nur auf seine Aufforderung gewartet. »Alles klar, Katerchen?«, kam ihre süffisante Stimme aus dem Lautsprecher. »Geiler Ritt!«

Boris verzog das Gesicht, aber erwiderte nichts auf ihre Spitze. Er kannte sie lange genug, um zu merken, dass sie mit ihrer Frechheit nur die Nachwirkungen des Hypersprungs zu überdecken versuchte.

»Astrogation so weit klar«, erklang Sven Eriksons Stimme als nächstes aus den Lautsprechern. »Ich muss aber noch einige Daten auswerten, die im Moment keinen Sinn ergeben. Melde mich dann wieder bei Ihnen, Kommandant.«

Noch bevor Koschkin auf den Norweger reagieren konnte, kam schon die nächste Meldung über das Intercom.

»Alles ruhig auf der Krankenstation. Die Biozeichen der Mannschaft sind stabil. Keine besonderen Vorkommnisse.« Das war sein Bordarzt Doktor Segschneider.

Koschkin lehnte sich zurück. Seine Mannschaft war offensichtlich wohlauf und hatte den unerwarteten Übertrittsschock gut verkraftet. Er lächelte, ignorierte seine Kopfschmerzen und wandte sich wieder den Anzeigen zu. Dann betätigte er erneut das Intercom.

»Doc, überprüfen Sie bitte die Biotanks. Das Biogensystem ist immer noch offline. Ashley, wie sieht es mit den Sprungtriebwerken aus? Wann sind sie wieder einsatzbereit? Sven, was ist das Problem mit den Daten? Sind wir an der richtigen Stelle herausgekommen?« Langsam komme ich wieder in Schwung, dachte Koschkin und lächelte, als Erikson sich wieder meldete.

»Kommandant, die Bugsensoren zeigen eine Anomalie an, die ich nicht erklären kann.«

»Was meinst du mit Anomalie?«, entgegnete Boris alarmiert. »Etwas genauer bitte.«

»Naja«, sagte der Astrogator unsicher. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir rasen auf ein Schwarzes Loch zu. Aber die Gravitationssensoren zeigen nichts an.«

»Ein Schwarzes Loch sollte es in der Raumregion nicht geben«, sagte Koschkin und nahm routiniert einige Einstellungen an seinen Apparaturen vor. Die Bildsignale der Außenbordkameras im Bug erschienen auf seinem Schirm.

»Ja, das ist schon richtig«, erklärte Sven weiter. »Wir sind mit sechsundsechzigprozentiger Sicherheit nicht an den richtigen Koordinaten herausgekommen, Kommandant.«

Die Bildübertragung voraus zeigte Koschkin nichts. Gar nichts! Das verwirrte ihn zutiefst. Eigentlich sollte sich vor seinen Augen ein Panoramabild der inneren Milchstraße auftun, doch der Bildschirm blieb schwarz. Kein einziger Stern war zu erkennen. Sven meldete sich wieder.

»Wir müssten voraus diverse Strahlungswerte erfassen können, Sir. So wie sie von den Sensoren aus allen anderen Richtungen auch registriert werden. Nur messen die Geräte nichts. Keine Strahlung irgendeiner Art, die wir erfassen könnten. Normalerweise wäre das ein Anzeichen für ein Schwarzes Loch, aber es fehlen die Verzerrungsfelder und Gravitation ist auch nicht festzustellen. Trotzdem scheint uns irgendetwas anzuziehen.«

»Was?«, erwiderte Boris.

Mit einem Blick überprüfte er die Geschwindigkeitswerte des Schiffes. Tatsächlich ließ sich eine Beschleunigung feststellen, die nichts mit den Triebwerken zu tun hatte. Er achtete nicht weiter auf die Ausführungen seines Astrogators, sondern aktivierte die Steuerdüsen.

Mit ihnen sollte sich genügend Gegenschub erzeugen lassen. Zuerst gab er nur ein wenig Schub. Als der nichts bewirkte, erhöhte er die Leistung schrittweise, bis die Aggregate mit voller Kapazität arbeiteten und ihre Vibrationen im ganzen Schiff zu spüren waren. Warnmeldungen ploppten in seinem Bildschirm auf und die Stimme von Ashley ertönte aus dem Intercom.

»Bist du noch ganz dicht?«, brüllte die Ingenieurin, bemüht, das Röhren der Maschinen zu übertönen. »Wenn du noch länger Vollschub gibst, verabschieden sich die Steuerdüsen endgültig. Wenn du in die andere Richtung willst, dann wende den Kahn einfach. Echt mal, wo hast du denn deinen Pilotenschein gemacht?«

Boris fluchte, musste aber einsehen, dass seine Technikerin recht hatte. Er drosselte die Maschinen und richtete sie neu aus, um das Schiff zu wenden. Erstaunt musste er jedoch feststellen, dass ihm das Schiff nicht gehorchen wollte. Genau in diesem Moment meldete sich Dr. Segschneider bei ihm.

»Das Biogel ist beschädigt. Die einzelnen Zellen, für sich genommen, scheinen den Sprung gut überstanden zu haben. Aber die Vernetzungen zwischen ihnen haben sich fast zur Gänze aufgelöst. Ich werde einige Testreihen durchführen. Erst dann kann ich mehr sagen.«

»Machen Sie das, Doktor«, quittierte Boris knapp, bemüht, seine Befürchtungen nicht zu zeigen. Wenn das Biogensystem nicht mehr zu retten war, würde die Berechnung des Rücksprungs zur Erde deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Aber was noch schwerwiegender war: Ohne den Biogencomputer war das Gefahrenrisiko um einiges höher, dass ihr Schiff beim Wiedereintritt mit anderen Flugkörpern kollidieren würde, oder noch schlimmer, inmitten von Materie, wie die Erde oder der Mond, in den Normalraum zurückkehren könnte. Ob das den anderen Mannschaften auch passiert war, die nie mehr zur Erde zurückgekehrt waren? Sven unterbrach seine Gedanken erneut.

»Sir, nach Auswertung der zu erfassenden Konstellationen bin ich mir nun sicher, dass wir tatsächlich nicht an den von uns errechneten Koordinaten angekommen sind. Die Abweichung beträgt etwas mehr als zweiundzwanzig Lichtjahre oder, um genau zu sein …«

»Komm zum Punkt!«, unterbrach Koschkin ihn grob.

Sein Astrogator verstummte kurz, dann setzte er neu an.

»Selbst, wenn ich die Daten der anderen Flüge großzügig auslege, hätte die Abweichung von unseren Zielkoordinaten maximal etwas mehr als ein einhundertstel Lichtjahr betragen dürfen. Ich vermute, dass die Fehlerquelle die Anomalie vor uns ist. Dass es sich dabei um ein Schwarzes Loch handelt, kann ich nach den mir vorliegenden Daten allerdings ausschließen.«

»Und was ist es dann?«, fragte Boris ungeduldig.

»Eine alternative Erklärung für das Phänomen habe ich momentan noch nicht, Kommandant. Dafür habe ich aber etwas entdeckt. Voraus gibt es doch Anzeichen von Energiestrahlung. Ich bin mir nicht hundert Prozent sicher, da sie sehr schwach ist, aber ich denke, diese Strahlung ist nicht natürlichen Ursprungs. Wenn meine Messwerte stimmen«, ergänzte der Norweger nun aufgeregt, »haben wir damit zufällig den Beweis gefunden, dass es tatsächlich anderes, intelligentes Leben, außer den Menschen, in der Milchstraße gibt.«

Koschkin schwieg. Er konnte sich noch eine weitere Möglichkeit vorstellen. Vielleicht hatten sie auch eines der anderen Siriusschiffe gefunden, die verschollen waren. Dass sie das siebte Hyperraumschiff der Erde waren, das sich so weit in die Tiefe des Alls begeben hatte, wusste nur er. Alle vorangegangenen Missionen waren streng geheim gewesen. Genau wie die, auf der sie sich gerade befanden. Kacke, dachte Koschkin.

»Gut«, entgegnete er laut. »Bestimme die Position der Energiesignale und leite sie an Hiriko weiter, damit sie sie anpeilen kann.« Ein Seitenblick zu seiner Copilotin, die knapp nickte, dann wechselte er den Kanal und funkte den Maschinenraum an.

»Ashley, was ist jetzt mit dem Hyperantrieb?«

»Hetz mich nicht!«, kam die prompte Antwort. »Der Hyperraumantrieb ist immer noch am Auslaufen.«

»Wie lange noch?«

»Bist heut ein ungeduldiges Katerchen, wie? Dieses Maschinchen faltet Raum und Zeit wie ein Origamimeister. Das geht nicht so schnell.«

»Ashley«, mahnte Boris grollend.

Sie schnaufte genervt. »Wenn du unbedingt sofort eine Einschätzung haben willst, bitte sehr, aber beschwere dich nachher nicht, wenn sie ungenau ist. Vorausgesetzt, dass alle Komponenten unbeschädigt geblieben sind, wird der Antrieb in etwa einer Dreiviertelstunde wieder so weit heruntergefahren sein, dass wir mit dem Neuaufladen beginnen könnten. Einsatzbereit würde er dann etwa zwanzig Minuten später sein. Dann müssten die Maschinen die nötige Energiedichte erreicht haben, die wir für einen Sprung bis zur Erde benötigten. Ich rate aber von diesem Vorgehen ab. Ich empfehle, dass wir die Maschine erst abschalten und durchprüfen, bevor wir den Antrieb wieder hochfahren. Ist schließlich kein Katzensprung, den wir gemacht haben«, sie lachte schallend über ihr eigenes Wortspiel.

Boris verzog keine Miene.

»Scherz beiseite«, fügte sie ernster hinzu. »Das sind alles nur Schätzungen, schließlich hat die Maschine noch nie einen so weiten Sprung gemacht. Ich gehe hier von den Daten der Simulationen, den Labortestreihen und unseren Erfahrungen bei den Testsprüngen aus. Wir sollten den Antrieb gründlich durchleuchten, bevor wir uns wieder auf die Reise machen.«

»Gut, dann klär bitte solange, warum die Steuerdüsen nicht ordnungsgemäß funktionieren.«

»Natürlich funktionieren die!«, kam prompt die empörte Antwort. »Und das, obwohl du sie eben noch misshandelt hast. Wie ein grobmotorischer Grobian.«

Nun platzte Boris doch der Kragen. »Wahren Sie die Form, Bender, und folgen Sie meinen Anweisungen!«, schnauzte er in sein Mikrofon. »Das Schiff lässt sich durch die Düsen nicht steuern. Irgendetwas ist nicht in Ordnung.«

»Ich steh drauf, wenn du grob wirst«, entgegnete sie in provozierendem Ton. »Ich will mal sehen, was Sache ist.«

Boris verzichtete auf eine Erwiderung. Er vermied es auch, seine Kopilotin anzusehen. Er konnte sich gut vorstellen, wie ihre dunklen Augen amüsiert funkelten, während sie diese Unterhaltung mithörte. Tanaka war die Einzige in der Mannschaft, die wusste, warum Koschkin sich das Verhalten von Ashley wirklich gefallen ließ.

Hiriko sagte nichts und schien sich auf ihre eigenen Aufgaben zu konzentrieren. Aber das schüchterne Lächeln, welches ihre dünnen Lippen nur sehr selten umspielte, hatte Boris’ Gedankengänge bestätigt.

Doch bevor sich das zaghafte Lächeln noch in ein echtes Grinsen verwandeln konnte, verschwand es wieder und wich konzentriertem Ernst. »Wir empfangen Funksignale. Ich kann sie nicht entschlüsseln und sie sind schwach, aber es sind definitiv Funksignale.«

Boris Stimme bebte nur unmerklich, als er erwiderte: »Versuch die Verschlüsselungscodes aus der Deltadatenbank.«

»Keine Übereinstimmung«, meldete die Japanerin nur Sekunden später. »Ich glaube, dass die Signale gar nicht verschlüsselt sind. Vielmehr scheinen unsere Geräte einfach nicht die richtige Frequenz zu besitzen. Ich werde das einmal testen.« Hiriko machte sich fieberhaft an die Arbeit. Boris blieb hingegen keine Zeit, die ständig eingehenden Informationen zu überdenken, denn der Schiffsarzt meldete sich wieder per Intercom.

»Schlechte Nachrichten, Boris«, sagte er. »Das Biogensystem wird erst einmal offline bleiben. Die Selbstvernetzung des Gels hat zwar bereits wieder eingesetzt, aber es wird Tage dauern, bis das System wieder genügend Verknüpfungen aufweist, um eingesetzt werden zu können. Ob die Reorganisation des Gels die Funktionsfähigkeit beeinflussen wird, kann ich noch nicht sagen.«

Koschkin stöhnte gequält. »Danke, Doktor«, sagte er dann. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«

Gäbe es nicht diese seltsame Anomalie, wären die ganzen Probleme mit seinem Schiff halb so wild. Er vertraute den Fähigkeiten seiner Mannschaft und war sich sicher, dass sie mit genügend Zeit alles in den Griff bekommen würden, wenn sie nicht geradewegs in dieses ominöse Phänomen stürzen würden.

»Sven, kann uns die Anomalie gefährlich werden? Was meinst du?«

»Das ist eine knifflige Frage, Kommandant. Da sie mit nichts, was wir kennen, vergleichbar ist und unsere Geräte sie nur indirekt erfassen können, kann ich keine fundierte Aussage treffen. Momentan sind wir, meiner Meinung nach, aber nicht in direkter Gefahr.«

»Danke«, sagte Boris und wandte sich wieder seinen Instrumenten zu. Im Moment konnte er nur abwarten. Darum beschloss er, die bisherigen Ergebnisse seiner Blackbox hinzuzufügen. Die Blackbox war eigentlich ein altertümliches Relikt. In den vergangenen Jahrhunderten hatte jeder Flugkörper ein solches Aufzeichnungsgerät an Bord gehabt, wusste der Russe.

Damals waren es noch einfache Datensicherungssysteme gewesen, die eine Auswertung der Flugdaten nach Abstürzen ermöglichten. Diese Aufgabe erfüllten heute andere Notfallsysteme, so wie auch in der Sirius. Koschkins Blackbox war nicht nur ein Speichermedium für Flugdaten. Er war ein Minisupercomputer mit der neusten Sicherheitstechnik. Der nur fünfzehn Zentimeter große Würfel war in mattem Schwarz gehalten. Seine Oberfläche reflektierte rein gar nichts und er war mit keiner technischen Methode aufzuspüren, die die Menschheit kannte.

Koschkin wusste nur, dass sich die Blackbox nur dann zu erkennen gab, wenn man das Sicherheitsprofil des Würfels kannte und den richtigen Code auf der richtigen Frequenz sendete. Oder wenn man Koschkin war. Dafür hatte er zwei Tage in einem Hochsicherheitskrankenhaus zugebracht, damit die Wissenschaftler den Würfel auf ihn eichen konnten. Er startete das Zugangsprogramm, indem er auf eine ganz bestimmte Weise atmete und den Würfel dabei in der Hand hielt. Auf seinem Monitor erschien die Meldung:

Sicherheitsverbindung online … Hallo, Kommandant Koschkin … Bereit für Eingabe …

Die Verbindung stand. Koschkin legte die gesammelten Sprungdaten als Datensatz ab und sprach einen kurzen Bericht der bisherigen Geschehnisse, die er dem Datensatz hinzufügte. Die gesammelten Daten von Sven und Hiriko speicherte er ebenfalls.

Nachdem er die Aktivierungsroutine wiederholt hatte und die Blackbox wieder offline war, wartete er. Ashley meldete sich kurze Zeit später und erklärte, dass die Steuerdüsen alle ordnungsgemäß arbeiten würden. Ein weiterer Versuch, das Schiff zu wenden und die Haupttriebwerke einzusetzen, blieb jedoch wieder ohne Erfolg. Koschkin spürte, wie Frustration in ihm aufstieg. Fast war es so, als hielt eine eiserne Faust sein Schiff fest in der Umklammerung.

»Hiriko, was macht das Signal?«, fragte er seine Kopilotin, um sich abzulenken.

»Es ist immer noch da«, gab sie zurück. »Ich habe unsere Frequenz so angepasst, dass sie im Ultraschallbereich liegt. Dadurch ist es mir gelungen, das Signal aufzufangen. Ich kann es dekodieren, aber ich glaube, dass es sich um ein automatisches Signal handelt. Die Sendeintervalle wiederholen sich alle zwei Minuten. Ich denke, dass wir tatsächlich auf Aliens oder wenigstens auf ihre Technologie gestoßen sind.«

»Vielleicht hat das, was die Signale aussendet, ja etwas mit unseren Steuerproblemen zu tun«, entgegnete Koschkin nachdenklich. »Reicht die Länge der Intervalle aus, um die Übersetzungsautomatik einzusetzen?«

Hiriko schüttelte den Kopf. »Zu wenig Informationen für die Automatik«, erläuterte sie knapp.

In dem Moment meldete sich Sven über das Intercom.

»Kommandant«, erklang seine Stimme aufgeregt, »ich habe ein Objekt erfasst, von dem die Energie und die Funksignale ausgehen. Haben Sie Ihren Schirm auf die Bugkameras geschaltet? Das Objekt befindet sich noch etwa neunhunderttausend Kilometer vor uns, sollte mit maximaler Vergrößerung aber bereits erkennbar sein. Von der Größe her, glaube ich, dass es sich nicht um ein Schiff oder eine Station handelt, wohl eher eine Art Funkboje.«

Sven redete noch, als Boris zurück auf die Kamerasicht schaltete und den Ausschnitt nach den Angaben vergrößerte, die Sven ihm auf sein Display geschickt hatte. Dann sah er es auch. Ein rundes Gebilde, das zwei längliche Auswüchse auf entgegengesetzten Seiten aufwies. Koschkin musste unwillkürlich an einen Apfel denken, durch den jemand einen ungespitzten Bleistift getrieben hatte.

Die Instrumente zeigten ihm, dass die Kugel nicht mehr als zehn Meter im Durchmesser maß. Die beiden Auswüchse hingegen ragten etwa dreißig Meter in den Raum hinaus. Boris schätzte, dass die Auswüchse selbst nicht dicker als eineinhalb Meter waren.

»Hast du dich wieder eingekriegt?«, quäkte Ashleys Stimme aus der Intercom-Anlage. »Ich wollte nur Bescheid geben, dass der Hyperantrieb in ein paar Minuten so weit wäre, dass er wieder aufgeladen werden kann. Das Restfeld hat sich fast völlig aufgelöst und die Maschinen sind nun kühl genug.«

»Gut, mach das«, entgegnete er abwesend.

»Außerdem wäre es fantastisch, wenn du mal sagen würdest, was eigentlich los ist«, hakte sie nach. Erst jetzt erinnerte sich Boris daran, dass die bisherige Kommunikation im Schiff natürlich nicht von allen mitverfolgt werden konnte. Er schaltete das Intercom auf schiffweite Durchsage und umriss in knappen Worten die bisherige Lage.

Gerade als er geendet hatte, ging ein Ruck durch das Schiff. Boris war sofort alarmiert. Er checkte seine Anzeigen, konnte aber keinen Grund für den Schlag feststellen. Doch dann spürte er die Vibrationen. Da hatte er einen Geistesblitz. Was wäre, wenn … Er schaltete zurück zu Ashley.

»Hast du gerade irgendetwas aktiviert?«, fragte er fiebrig.

»Klar, mein Dicker«, gab sie zurück. »Wie mein Miezekätzchen gewünscht hat, habe ich damit begonnen, den Hyperraumantrieb wieder zu laden, damit wir …«

»Abbrechen!«, schrie Boris so laut in sein Mikrofon, dass sich seine Stimme zu überschlagen drohte. »Sofort abbrechen!«

»Was denn nun? Kannst du dich mal …«

Wieder fuhr er ihr ins Wort: »Fahr das Ding sofort wieder runter und spar dir deine Kommentare! Das ist ein Befehl.«

Das Intercom schwieg und die Vibrationen erstarben Sekunden später.

»Erledigt«, meldete sich Ashley knapp.

An ihrer Stimme merkte Boris, dass sie beleidigt war. Damit konnte er sich im Moment aber nicht beschäftigen.

»Sag Bescheid, wenn das Hyperfeld wieder vollständig abgebaut ist«, befahl er und wandte sich an Sven. »Gib mir das Bewegungsprofil des Schiffes seit unserem Wiedereintritt auf den Schirm und halte dich bereit.« Einige Sekunden später erschienen ein Graph und einige Zahlenkolonnen auf seinem Schirm. »Ashley, gib mir die Betriebs- und Felddaten des Hyperraumantriebs seit unserem Sprung und warte auf neue Anweisungen.«

Anstelle einer weiteren schnippischen Bemerkung, erschienen kurze Zeit später auch ihre Daten auf seinem Display. Er synchronisierte die beiden Datensätze und studierte sie eine Weile. Dann sah er seinen Verdacht bestätigt. Mit einigen Handbewegungen sendete er die synchronisierten Daten an Sven zurück und schaltete per Intercom wieder zu ihm durch.

»Überprüf die Daten, die ich dir gerade geschickt habe, und sag mir, was du denkst.« Dann wechselte er wieder zum Maschinenraum. »Was macht das Hyperraumfeld?«

»Fast aufgelöst«, entgegnete Ashley frostig. »Wenn es vollständig zerfallen ist, erhalten Sie eine Meldung. Wie Sie befohlen haben.«

»Was hast du entdeckt?«, wollte Hiriko wissen.

»Ich denke, ich weiß jetzt, was uns festgehalten und auf die Anomalie zugezogen hat«, erwiderte Boris nachdenklich und fluchte innerlich. »Unser eigenes Hyperraumfeld scheint in Wechselwirkung mit der Anomalie zu treten. Wenn Sven mit seinen Berechnungen so weit ist, werden wir mehr wissen. Oberflächlich bestätigen die Daten von Sven und Ashley meine Vermutung. Wenn das Feld wieder vollständig abgebaut ist, werde ich noch einmal versuchen, das Schiff mit den Steuerdüsen zu manövrieren. Wenn es gelingt, können wir uns fürs Erste um diese Alienstation und ihr Signal kümmern. Ich hoffe, dass Sven uns sagen kann, wie weit wir uns von der Anomalie entfernen müssen, um nicht mehr mit ihr in Wechselwirkung zu geraten.«

»Hyperfeld aufgelöst«, meldete Ashley in diesem Moment und Boris begann ohne weitere Erklärung mit seinem Versuch, die Flugrichtung des Schiffes zu verändern.

Zu seiner großen Freude reagierte der Flugkörper dieses Mal auf die Steuerdüsen und änderte seine Flugbahn. Boris bremste das Schiff und steuerte es näher an die fremde Funkstation, die störrisch immer wieder die gleiche Signalfolge sendete.

Als sie sich auf etwa einhundert Meter angenähert hatten, brachte er das Schiff auf eine parallele Flugbahn und passte ihre Geschwindigkeit der kleinen Station an. Boris vergrößerte das Bild des Gebildes auf seinem Monitor und betrachtete es.

»Es scheint keine Schleuse oder etwas in der Art zu geben«, stellte er fest. »Wenn wir uns die Raumboje genauer ansehen wollen, muss einer von uns hinüber. Was meinst du, Hiriko? Lust auf einen kleinen Ausflug?«

Hiriko nickte und löste ihren Gurt, der sie bisher auf ihrem Sitz fixiert hatte. »Bin schon auf dem Weg«, sagte sie, stieß sich ab und schwebte zur Cockpitschleuse.

Boris machte eine weitere Schiffsdurchsage, um seine Mannschaft auf den neusten Stand zu bringen. Dann schloss er die Augen und wartete.

2. Hiriko

Hiriko hatte die Vorkammer der Außenschleuse erreicht und legte routiniert ihren Raumanzug an. Sie spürte ein Kribbeln in ihrem Nacken und in ihrem Bauch. Zeichen ihrer inneren Aufregung wie sie wusste. Von außen betrachtet aber, war sie die Ruhe in Person. Ein letztes Mal überprüfte sie ihren Anzug und meldete dann ihre Bereitschaft, das Schiff zu verlassen.

Als Koschkin grünes Licht gab, stieg sie in die Schleuse und verschloss sie hinter sich. Einige Sekunden lang konnte sie noch das Zischen der Luft durch ihre Außenmikrofone wahrnehmen, bevor das entstehende Vakuum jegliche Schallübertragung unmöglich machte. Nur das Rauschen ihres Blutes hörte sie nun. Und ihren eigenen Herzschlag. Dann öffnete sie die Außentür der Schleuse.

Das waren die Momente, weshalb sie überhaupt die Erde verlassen hatte. Mit einem Raumschiff durch die Weiten des Alls zu gleiten, war etwas gänzlich anderes, als wirklich da draußen zu sein, nur durch dünnen Stoff vor dem tödlichen Vakuum geschützt. Geschickt hakte sie eines der Sicherheitsseile an ihrem Anzug ein, bevor sie sich abstieß und mithilfe ihrer Anzugdüsen auf die Alienkonstruktion zusteuerte.

Gekonnt korrigierte sie ihre Flugrichtung, indem sie ihre Steuerdüsen in kurzen Intervallen zündete. Ihr Atem ging schnell und ihr Herz hämmerte wild, als sie ihre Magnetstiefel aktivierte. Bei einem Raumschiff der Erde bestand die Hülle aus einer Metall-Keramik-Legierung, an der die Stiefel hafteten. Hiriko hielt den Atem an. Ob die Außenhaut des fremden Raumkörpers ähnliche Eigenschaften … Sanft setzte sie auf.

»Gelandet«, presste sie hervor. Dann zwang sie sich, weiter zu atmen. Sie zitterte leicht, als sie probeweise einen Schritt machte. Sie konnte es kaum glauben, aber sie stand wirklich auf einem fremden Raumschiff. »Gut«, meldete sich Kommandant Koschkin aus ihrem Mutterschiff. »Du kannst weitermachen. Das Objekt zeigt keine Aktivität. Such nach einer Einstiegsmöglichkeit und melde dich dann wieder.«

»Verstanden«, erwiderte sie knapp und schaute sich um. Sorgfältig überprüfte sie Stück für Stück die Hülle, auf der sie stand, und hielt nach verräterischen Anzeichen eines Einstiegs Ausschau. Gelegentlich blieb sie stehen, um eine Naht oder Unebenheit in der Oberfläche genauer zu überprüfen. Die Hülle schien aus großen, gegossenen Elementen zu bestehen, die mit Schweißnähten zusammengefügt worden waren. Schließlich bemerkte sie am Rand einer der herausragenden Aufbauten Fugen und funkte die Sirius an.

»Ich glaube, ich habe etwas gefunden«, meldete sie. »Unterhalb der …« sie stockte kurz. Wie sollte sie diese Aufbauten benennen? »Am Fuß der Antennen scheint es eine Art Wartungsluke zu geben«, sagte sie schließlich.

»Verstanden«, antwortete Boris. »Versuch, sie zu öffnen.«

Hiriko tastete die Umrisse der Platte ab, bis sie zwei Vertiefungen fand. Mit vollem Körpereinsatz zerrte sie an dem Hüllenfragment. Der Schweiß brach ihr aus, als sich die Platte gegen ihre Kraftanstrengung zur Wehr setzte. Mit einem Ruck löste sich die widerborstige Platte und gab die darunterliegenden Elemente frei.

Hiriko wurde vom plötzlichen Nachgeben dermaßen überrascht, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und das frisch gelöste Hülsensegment in die Unendlichkeit des Alls schleuderte. Ohne ihre Stiefel wäre sie ihm wahrscheinlich gefolgt. So aber setzte nur ihr Hinterteil, durch ihre eigene Massenträgheit angetrieben, auf die Außenhülle auf.

Unzufrieden mit sich selbst richtete sie sich wieder auf und untersuchte die Öffnung, die sie freigelegt hatte. Neben einigen technischen Einbauten erkannte sie drei seltsam geformte Hebel, deren Funktion ihr schleierhaft blieb.

»Ich könnte hier etwas Hilfe gebrauchen«, sagte sie und beschrieb Boris ihre Beobachtungen, so detailliert sie konnte. Aber bevor sie ihren Bericht abgeschlossen hatte, unterbrach der Kommandant sie grob.

»Lass die Luke und komm zurück.« Seine Stimme klang verzerrt in ihrem Helmlautsprecher. Trotzdem bemerkte sie, wie angespannt er auf einmal war.

»Was ist los?«, fragte sie.

»Die Platte, die du eben gelöst hast, ist in Richtung der Anomalie getrieben. Keine zwanzig Meter von deiner Position entfernt, hat irgendetwas sie dermaßen zusammengepresst, dass sie von unseren Sensoren nicht mehr erfasst werden kann.«

Hiriko schaute sich um, konnte aber nichts entdecken. »Meinst du, ich bin hier in Gefahr?«, fragte sie unsicher.

»Keine Ahnung«, kam seine Antwort. »Aber diese Station scheint sich extrem nah an der Anomalie zu befinden. Sven hat in der Zwischenzeit meine Hypothese bestätigt, weswegen ich möglichst bald so viel Raum, wie es nur geht, zwischen uns und diesem Ding bringen möchte.

»Gib mir noch etwas Zeit«, bat sie. »Ich will diese einmalige Gelegenheit nicht verschwenden.«

»Nein. Das dauert zu lange«, antwortete Boris eisern. »Niete eine Öse an das Teil und kopple dein Sicherheitsseil an. Dann kehrst du zu uns zurück. Wir schleppen den Sender einfach mit uns mit, bis wir einen guten Sicherheitsabstand zu der Anomalie haben. Dann können wir sie in aller Ruhe untersuchen.«

»Auch gut«, lenkte sie ein und setzte seinen Plan in die Tat um.

Eine Öse zu nieten und ihr Seil darin zu verankern, war einfach, auch wenn sie sich ein bisschen mulmig fühlte, als sie an dem Seil entlang zum Schiff zurückkehrte. Ganz ohne feste Sicherung war es dann doch zu viel Nervenkitzel, um es zu genießen.

Endlich erreichte sie die Schleuse und atmete erleichtert aus. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie die letzten Meter die Luft angehalten hatte. Wieder huschte ein kleines Lächeln über ihre Gesichtszüge. Sie schloss das äußere Schott und wartete, bis sich die Schleuse mit Atemluft füllte.

Dabei spürte sie die Vibrationen der Triebwerke, die ihre Arbeit aufnahmen. Der Kommandant schien es wirklich eilig zu haben, von hier wegzukommen. Nachdem sie die Schleuse verlassen und begonnen hatte, sich aus ihrem Raumanzug zu schälen, kam eine Durchsage von Boris über das Intercom:

»An alle: In zehn Minuten treffen wir uns in der Messe für eine Lagebesprechung.«

3. Till

Till war der Erste, der in die Messe eintraf. Er schaute sich kurz um, dann stieß er sich kraftvoll ab und schwebte Richtung Bordküche. Er war noch mit der Auswahl einer Ration beschäftigt, als Ashley Bender in den Raum hineinschoss. Die blonde Technikerin bremste ihren Flug abrupt ab, als sie sich an der Tischkante festhielt und so eine Drehung vollführte. Gekonnt griff sie nach einem Stuhl und zog sich darauf herab, bevor sie ihn zur Kenntnis nahm.

»Hi, Till«, grüßte sie ihn. »Bringst du mir Barbecue-Pute mit, wenn du schon mal da bist?«

»Sicher«, erwiderte der Deutsche und griff sich das Gewünschte. Dann schwebte er zu ihr herüber, um sich ebenfalls an einen Stuhl zu schnallen.

»Danke«, sagte Ashley, als er ihr das gewünschte Lebensmittelkonzentrat überreichte und seines zum Aufheizen knickte.

»Weißt du, was genau los ist?«

»Ne, nicht wirklich. Bin genug mit den Maschinen beschäftigt.«

»Probleme?« Till stach den Strohhalm in das nun warme Essenspäckchen.

»Nicht wirklich. Mein liebes Katerchen musste ja unbedingt mit den Steuerdüsen Vollschub geben«, sagte sie und wedelte mit ihrem Trinkrohr herum. »Das hat sie etwas angeschmort, weil sie nur für kurze Zündungen konzipiert sind. Aber alles funktioniert noch.«

Sie hatte ihren Satz gerade beendet, als auch Sven Erikson die Messe erreichte. Der schlanke, hochgeschossene Mann hangelte sich von Haltegriff zu Haltegriff, um sich an der Luke vorsichtig abzustoßen.

»Hallo«, begrüßte er seine Kollegen und zog ein Pad aus seinem Overall. »Ich muss das hier nur noch kurz zu Ende machen«, entschuldigte er sich und wandte seine Aufmerksamkeit dem Gerät zu.

Till und Ashley sahen sich kurz an, dann zuckte zuerst sie, anschließend er die Schultern und sie unterhielten sich weiter, bis Hiriko zu ihnen stieß. Sie kam nicht aus Richtung des Cockpits, bemerkte Till und damit war er nicht alleine.

»Wo kommst du denn her?«, fragte Ashley Bender sie zur Begrüßung.

Die Asiatin lächelte. »Das wird Kommandant Koschkin gleich erzählen.«

»Ach komm schon«, setzte die Amerikanerin gerade zu einem Überredungsversuch an, als Boris eintraf.

»Hallo zusammen«, begrüßte der Russe die Anwesenden knapp und ließ sich zum Tisch treiben. Als auch Sven und Hiriko dort angekommen waren, eröffnete er die Besprechung.

»Der Antriebstest war erfolgreich, so viel zu den guten Nachrichten. Wie es aussieht, werden wir aber einige Tage festsitzen, bis wir den Heimweg antreten können. Wie steht es mit dem Biogel, Doktor?«

Das war keine gute Eröffnung, fand Till, aber er hatte schon damit gerechnet. Das Biogel, welches in sein Aufgabenfeld fiel, war eine wichtige Komponente bei den Berechnungen, die Sven Erikson vor einem Hyperraumsprung anstellen musste.

»Nicht gut. Ich habe immer noch nicht verstanden, warum sich die Synapsenstruktur des Gels aufgelöst hat.«

»Wann ist es wieder einsatzbereit?«, hakte Koschkin nach.

Der Overallstoff spannte sich über seinen imposanten Bizeps, als sich Till an seiner Glatze kratzte. »Die Rekonstruktion nimmt mehr Zeit in Anspruch, als ich dachte. Ich bin mir im Moment nicht einmal sicher, ob ich sie vollständig wiederherstellen kann.«

»Also müssen wir eventuell darauf verzichten«, brummte der Kommandant. »Was macht der Antrieb, Ashley?«

»Obwohl du meine Maschinen misshandelst, Katerchen, laufen sie einwandfrei. Von mir aus können wir direkt wieder starten.«

Koschkin verzog ein wenig sein Gesicht, nickte dann aber, ohne weiter auf die Amerikanerin einzugehen, die ihn amüsiert angrinste.

»Wie weit bist du mit deinen Berechnungen, Sven?«

Sven schaute etwas irritiert von seinem Pad auf. »Ähm, meinen Daten zufolge müssen wir noch mindestens weitere dreitausend astronomische Einheiten zwischen uns und die Anomalie bringen, um bei einem Sprung keine Interferenzen mit ihr zu riskieren.«

»Wissen wir, was diese Anomalie ist?«, erkundigte sich Till interessiert.

»Nein. Das Einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass sie irgendwie mit unserem Hyperraumantrieb interagiert«, erwiderte Koschkin. »Was ist mit den Sprungberechnungen, Sven?«

»Laufen noch«, entgegnete der rothaarige Norweger. »Ohne die Rechenkapazität des Biogels wird es auch dauern, bis ich so weit bin.«

»Ich werde eine Probe des Gels entnehmen und ein paar Versuche starten«, sagte Till. »Vielleicht finde ich so einen Weg die Rekonstruktion des Synapsennetzwerks zu beschleunigen.«

»Das wäre gut«, erwiderte Kommandant Koschkin. »Ein Rücksprung zur Erde ohne das Biogel wird riskanter werden, als es mir lieb ist.«

»In der Tat«, pflichtete Till ihm bei. »Ich werde mein Möglichstes geben.«

»Danke«, entgegnete Koschkin. »So weit zu unseren Problemen, aber es gibt auch andere Neuigkeiten. Hiriko? Möchtest du?«

Die Japanerin lächelte wieder. »Gern«, sagte sie dann. »Ashley hatte mich eben schon gefragt, wo ich war.«

»Nun mach es nicht so spannend«, beschwerte sich die Blondine prompt. »Sag schon, was los ist.«

»Wir haben einen Kontakt!«

Sven schaute von seinen Berechnungen auf.

»Welcher Art?«, fragte Till.

»Du meinst diese Anomalie?«, erkundigte sich Ashley.

»Wir haben ein unbekanntes Flugobjekt entdeckt. Hiriko und ich glauben, dass es eine Art Raumsonde ist«, erklärte Koschkin und verschränkte zufrieden seine Arme, als er die Reaktion seiner Mannschaft sah.

»Und sie stammt nicht von der Erde«, ergänzte Hiriko lächelnd. »Jedenfalls nach dem ersten Eindruck, den ich gewonnen habe.«

»Echt jetzt?«, Ashley fixierte den Russen mit schmalen Augen. »Und das erfahren wir erst jetzt? Man, du weißt doch, wie sehr ich davon träume, Alientechnologie zu untersuchen.«

»Ja. Aber du kennst die Richtlinien. Erstkontakte sind nicht unsere Aufgabe.«

»Gibt es etwa eine Besatzung?«

»Nein«, erwiderte Koschkin. »Daher ist mein Spielraum hier größer.«

Till sah, dass Ashley etwas sagen wollte, doch der Kommandant hob beschwichtigend die Hände.

»Hiriko hat bereits angemerkt, dass wir die Gelegenheit nutzen sollten, die uns hier in den Schoß gefallen ist. Und das sehe ich ähnlich.«

Die Bordingenieurin entspannte sich sichtlich.

»Wir haben das Objekt bereits in Schlepp genommen. Bei aller Neugier, ich will von der Anomalie weg, damit wir springen können, falls es nötig werden sollte. Erst dann werden wir uns um die Raumsonde kümmern.«

Man konnte deutlich sehen, dass die Amerikanerin darauf brannte, mehr über die fremde Technik zu erfahren, aber sie hielt sich zurück.

»Gut. Doc, du kümmerst dich um das Biogel. Schau, was du machen kannst, um den Vorgang zu beschleunigen.«

Till nickte und der Kommandant fuhr fort:

»Sven macht parallel mit den Berechnungen für den Rücksprung weiter. Wenn das Biogel wieder funktioniert, können die Ergebnisse immer noch überprüft und angepasst werden.« Erikson brummte etwas Unverständliches, während er sein Pad bediente.

»Hiriko und Ashley gehen raus, sobald wir eine sichere Entfernung zur Anomalie erreicht haben, um sich mit unserem Fund zu beschäftigen. Ich überwache alles von der Kommandostation aus. Noch Fragen? Nein? Gut. Dann gehen wir jetzt wieder an die Arbeit.«

4. Sven

Die nächsten beiden Tage vergingen schnell und bedeuteten für Erikson sehr viel Arbeit. Ohne das Biogel musste er viele Prozesse des Schiffscomputers überwachen, die normalerweise automatisch kontrolliert wurden. Zudem tüftelte er an einem mathematischen Algorithmus herum, der die Berechnungsgeschwindigkeit für den Hyperraumsprung erhöhen sollte, falls das Biogensystem nicht mehr zu retten war.

»Sven?«, meldete sich Till Segschneider prompt über Intercom bei ihm und riss ihn aus seinen Überlegungen.

»Ja, ich höre«, antwortete er, nachdem er seine Sprecheinheit aktiviert hatte.

»Kannst du bitte eine Simulation der Kontrollfunktion starten und sie auf das Biogel umschalten?«

»Du bist schon für einen Test bereit?«, entgegnete Erikson überrascht.

»Jain«, erwiderte der Doktor. »Ich möchte testen, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Die Werte sehen bei mir ganz ordentlich aus. Irre ich mich aber, wird die Neustrukturierung später viel länger dauern, da die fehlerhaften Synapsen erst wieder abgebaut und reorganisiert werden müssen.«

»Verstehe«, sagte er knapp und gab ein paar Befehle in seine Konsole ein. Ein anderer Bildschirm erwachte zum Leben und spiegelte die Daten auf seinem Hauptmonitor. »Okay, ich bin dann so weit und schalte jetzt das Biogel in die Simulation.«

»Verstanden.«

Zuerst wirkte alles in Ordnung, Simulation und die realen Daten stimmten überein. Doch schnell entstanden feine Unterschiede, die sich summierten und zu fehlerhaften Ergebnissen führten.

»Die Daten werden erfasst, aber nicht korrekt verarbeitet«, meldete Erikson nach ein paar Minuten. »Ich schick dir einen Fehlerbericht mit den entsprechenden Clustern.«

»Danke«, erwiderte Till. »Ich schau sie mir dann an.« Eine Pause entstand, sodass Sven schon glaubte, der Doktor hätte das Gespräch beendet, doch dann meldete sich Till doch noch einmal. »Sind Hiriko und Ashley schon draußen?«

Sven stutzte kurz, dann griff er auf die Daten der Luftschleuse zu. »Sie haben das Schiff vor zwölf Minuten verlassen.«

»Ich beneide sie ja ein bisschen«, sagte Till und seufzte. »Danke für die Info.«

»Klar. Gern.« Sven schauderte ein wenig, als er daran dachte, selbst nach draußen gehen zu müssen.

An Bord der Sirius zu sein, war in Ordnung, doch ein Raumanzug war ihm definitiv zu wenig Schutz zwischen ihm und dem Vakuum. Sven massierte seinen Nacken. Früher hatte er geglaubt, dass man in der Schwerelosigkeit keine Verspannungen bekommen würde. Ein Irrtum, wie er nun wusste. Er seufzte leise und wandte sich wieder seinem Algorithmus zu.

5. Boris

Boris verfluchte immer wieder die Tatsache, dass die Raumanzüge schon lange nicht mehr so unförmig waren, wie in früheren Zeiten. Zwar schwächten sie die Körperform des Trägers immer noch ab, aber in Ashleys Fall waren ihre Rundungen allzu deutlich.

»Das macht sie doch mit voller Absicht«, beschwerte er sich halblaut bei niemandem bestimmten, da die Kommandobrücke gerade leer war.

Er beobachtete widerwillig, wie Hiriko und Ashley eine weitere Verkleidungsplatte aus dem Leib der Sonde lösten. Dabei hatte die Amerikanerin eine Position eingenommen, die den Russen einfach aus der Fassung brachte. Bedingt durch die Position der Bordkameras wurde Boris ein Blickwinkel aufgezwungen, der ihm ganz und gar nicht behagte.

Bei jeder Metallplatte, die von den beiden Frauen gelöst wurde, sah er sich zwangsweise ihrem Hinterteil und einem Teil ihrer rechten Körperhälfte ausgesetzt. Dass die Blondine jedes Mal, bevor sie und Hiriko an der Platte zogen, kurz mit ihrem Hintern wackelte, erhärtete seinen Eindruck nur noch mehr.

Das Außenteam schien nun genügend Platten entfernt zu haben, realisierte Koschkin erleichtert, als Ashley in die Eingeweide der Sonde einstieg und begann, einige Kabel mit den Systemen der Maschine zu verbinden. Hiriko, die in ihrem Raumanzug neben Ashley fast wie ein Kind wirkte, griff sich die Bedienelemente des Anzuges. Sofort meldete sich ihre Stimme aus dem Intercom:

»Ich glaube, es ist uns gerade gelungen, die Computersysteme der Sonde anzuzapfen. Wir versuchen jetzt, auf die dortigen Daten zuzugreifen.«

Der Russe beobachtete, wie die Japanerin gelegentlich weitere Kabel an Ashley reichte, während die hochgewachsene Frau ihrerseits in den Eingeweiden der Alienstation herumwerkelte. Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Die erste Veränderung bemerkte Boris fast augenblicklich, als eine Meldung auf einem der Kontrollmonitore aufleuchtete.

Sie meldete die Bereitschaft, eine Verbindung zu einem anderen Computersystem aufnehmen zu können. Boris informierte die beiden, die ihn daraufhin baten, die verfügbaren Daten herunterzuladen. Nachdem er den Datentransfer eingeleitet hatte, versuchte er neugierig, einige der hereinkommenden Programmcodes auszuwerten. Darum bemerkte er erst einige Zeit später und mehr durch Zufall, dass die Signale, die bisher regelmäßig von der Sonde ausgestrahlt worden waren, nun ausblieben.

»Die Sonde sendet nicht mehr«, berichtete er den Frauen erregt. »Ihr habt das Signal anscheinend abgeschaltet.«

»Keine Panik, Katerchen«, beschwichtigte Ashley abwesend. »Was stört es dich?«

»Mich stört, dass jemand oder etwas dieses Signal vermissen könnte«, erwiderte Boris gereizt.

»Unwahrscheinlich«, kommentierte Hiriko ruhig. »Die Signale werden Jahre brauchen, um überhaupt das nächste Sonnensystem zu erreichen. Und ihre Stärke war so schwach, dass es kaum denkbar ist, dort überhaupt noch als Signal identifiziert werden zu können.«

»Genau«, brummte der Kommandant angespannt. »Das macht mir ja Sorgen. Wir wissen immer noch nicht, was die Aufgabe dieser Maschine oder der Sinn des Signals ist. Und wenn es absichtlich nicht so stark ist, aber einen permanenten Empfänger haben sollte …«

»Es kann auch sein, dass der Sonde einfach langsam der Saft ausgeht«, unterbrach Ashley ihn. »Dieses Ding sieht aus, als ob es hier schon eine ganze Weile herumgedümpelt ist.«

»Möglich«, räumte der Russe zögernd ein. »Ebenso möglich, wie meine Befürchtungen. Ich will, dass ihr euch beeilt. Bergt noch ein paar Komponenten, die interessant sein könnten, und dann kehrt ihr um. Ich gebe euch eine halbe Stunde.«

»Verstanden«, erwiderte Hiriko, während Ashley »Wenn’s denn sein muss« nuschelte. Die beiden Astronautinnen teilten sich die Arbeit auf. Ashleys montierte und schweißte Teile der Sonde ab und Hiriko brachte die Komponenten zum Schiff. Die Arbeit verlief zügig und professionell. Koschkin war zufrieden.

Kurz vor Ende seiner Frist schlugen plötzlich die Fernortungssensoren der Sirius7 an und ließen ihn stutzen. Ein Objekt näherte sich der Sirius7. »Sven?«

»Ja, Kommandant?«, kam die prompte Antwort.

»Die Sensoren melden ein Objekt. Kannst du es identifizieren?«

»Moment«, sagte sein Astrogator mit Verwunderung in der Stimme. »Ah. Ja, ich sehe die Daten. Es könnte ein Kometen…« Sven verstummte und atmete keuchend ein.

»Was ist?«, wollte Koschkin wissen. Erikson war erschrocken, aber er konnte nichts an den Daten erkennen, das so eine Reaktion verursachen könnten.

»Das Objekt«, begann Sven stoßweise. »Es … hat seinen Flugvektor geändert.«

Koschkin starrte auf seine Anzeigen. »Das kann ich nicht bestätigen«, erklärte er dann. »Seit Beginn des Alarms ist die Flugbahn konstant.«

»Ja. Das stimmt. Aber es ist auch schon vorher erfasst worden. Erst die Kursänderung des Objekts hat den Alarm ausgelöst.«

»Verstanden«, presste Boris hervor, dessen Puls sich nun ebenfalls erhöhte. Es gab nur eine Art von stellaren Objekten, die spontan ihren Kurs änderten: Raumschiffe.

6. Ashley

»Wir haben den Kern gleich«, schnaufte Ashley in ihr Helmmikro und schwitzte. Hiriko mühte sich auf der anderen Seite der Maschine ab.

»Du bist dir wirklich sicher, dass nichts passieren kann?«, fragte die Japanerin, die vor Anstrengung stoßweise atmete.

»Klar. Keine Sorge. Ich weiß, was ich hier …«

»Kommt zurück an Bord!«, unterbrach eine Funknachricht von Koschkin ihren Satz.

»Hör auf rumzualbern«, erwiderte sie lax und verärgert, weil der Kater das Zeitlimit nicht einhielt und sie unterbrach.

»Das ist kein Scherz, wir kriegen Besuch«, redete Koschkin weiter.

»Was?!«, entfuhr es beiden Frauen fast synchron, während Boris weiterredete:

»Die Sirius hat ein Raumschiff geortet, das mit hoher Geschwindigkeit Kurs auf uns genommen hat.«

»Kann es eins von unseren sein?«

»Von der Erde? Nein, das dürfte wohl mehr als unwahrscheinlich sein. Kommt sofort zurück und löst die Verankerungen an der Sonde. Das war’s hier.«

Hiriko blickte zu ihr herüber. Ashley fluchte und schaute ein letztes Mal auf den halbgelösten Computerblock.

»Wir sollten verduften«, sagte Hiriko. »Du hast gehört, was Boris gesagt hat.«

Ashley funkelte ihre Kollegin kurz an, doch dann gab sie nach. »Na gut, dann muss das reichen, was wir haben.«

»Wir kommen zurück«, meldete Hiriko über Funk. Dabei gab sie ihr ein Zeichen, dass sie voranschweben sollte.

Ashley fluchte und stieß sich ab. Hiriko folgte ihr mit etwas Abstand.

Der Kater meinte es wirklich ernst, erkannte Ashley beim Anblick der Sirius7. Sie kannte dieses Schiff in- und auswendig und sah die Anzeichen. Koschkin fuhr den Antrieb hoch, ohne dass sie im Maschinenraum war.

»Was soll das?«, beschwerte sie sich. »Kannst du nicht einmal warten, bis wir an Bord sind?«

»Keine Sorge«, erwiderte der Kommandant. »Aber sobald ihr an Bord seid, schnallt ihr euch an.«

»Aber ich muss doch in den Maschinenraum«, protestierte sie weiter und zündete die Steuerdüsen ihres Anzugs, um zu beschleunigen.

»Nicht so schnell«, hörte sie Hirikos Stimme in ihrem Helm.

»Das passt schon«, sagte Ashley mit zusammengepressten Zähnen. Sie musste sich darauf konzentrieren, das Schiff zu treffen. Hart prallte sie gegen das Außenschott und griff fiebrig nach dem Haltegriff. Sie musste alle Kraft aufbringen, um sich festzuhalten, doch es gelang ihr. Triumphierend aktivierte sie die Schleuse und schwang sich ins Innere.

»Jetzt komm schon«, rief sie der Japanerin zu, die endlich herabgeschwebt kam.

»Das war gefährlich. Du hättest abprallen oder dich verletzen können.«

»Ja ja«, brummte Ashley und zog ihre zierliche Kameradin hinein.

»Warte, das Halteseil.«

Ashley fluchte, schwang sich noch einmal nach draußen und betätigte den Notfallhebel der Arretierung. Die Halterung wurde daraufhin vom Raumschiff gesprengt, doch Ashley beachtete es nicht. Sie war bereits wieder im Schiff und betrachtete ungeduldig die sich schließende Schleuse.

»An alle: Anschnallen und auf einen Notstart vorbereiten, in Zehn, Neun …«

Ashley fluchte und stieß sich ab. Auch Hiriko hantierte gehetzt und versuchte sich in die richtige Position zum Sichern zu begeben.

»Drei, Zwei, Eins …«

7. Boris

Erleichtert nahm Boris zur Kenntnis, dass die zwei sich zügig auf den Rückweg machten. Er fuhr die Triebwerke hoch und machte eine kurze Durchsage per Intercom, damit sich auch die anderen auf einen Notstart vorbereiten konnten. Schon Sekunden nachdem sich die äußere Schleusentür geschlossen hatte und er sicher war, dass beide Frauen im Inneren des Schiffes waren, gab er den Countdown. Dann zündete er die Aggregate und gab Vollschub.

Schnell ließen sie die Raumsonde hinter sich. Boris beschleunigte weiter, immer das fremde Schiff im Blick. Er fluchte, als er sah, dass das andere Schiff seine Geschwindigkeit ebenfalls erhöhte. Selbst als die Sirius ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, schoben sich die Fremden unaufhaltsam näher heran. Wenn sie dieses Tempo halten konnten, würden die Aliens sie in kurzer Zeit eingeholt haben. Da meldete sich Ashley per Intercom und störte ihn in seiner Konzentration.

»Du hättest ja ruhig noch einen Moment warten können, bis wir gesichert sind, bevor du so einen Start hinlegst!«

»Ich habe euch doch gewarnt.«

»Ja. Aber zehn Sekunden reichen nicht, um sich in den Raumanzügen zu sichern«, beschwerte sie sich. »Hiriko und ich klebten bis eben am Schleusentor. Was zum Geier ist los?«

»Sie verfolgen uns und holen weiter auf. Mach, dass du in den Maschinenraum kommst. Vielleicht müssen wir die Sprungtriebwerke doch früher als geplant einsetzen. Sicherheitsbedenken hin oder her. Hiriko soll, so schnell sie kann, ins Cockpit kommen, Ende.« Dann schaltete er zu Erikson: »Sven, was würde passieren, wenn wir den Hyperantrieb innerhalb der Wechselwirkungszone einsetzen würden?«

»Das ist unklar«, antwortete er prompt. »Nach meinen bisherigen Erkenntnissen werden wir wohl nicht da herauskommen, wo wir hinwollen.«

»Und wenn wir nur hier weg wollen?«, konkretisierte Koschkin.

»Das könnte funktionieren. Aber die Berechnungen der letzten Tage wären mit einem solchen Ortswechsel umsonst gewesen. Selbst bei einem kurzen Sprung von nur wenigen Sekunden würden wir Lichtjahre von hier herauskommen. Und das nur, wenn alles funktioniert. Wie gesagt, es ist ohne genauere Daten über die Anomalie kaum abzuschätzen, wie sich ein Sprung in deren Nähe auswirken wird.«

»Ich habe deine Bedenken zur Kenntnis genommen. Berechne einen Kurzsprung und füttere den Navigationscomputer damit.« Boris schaltete um. »Ashley, bist du schon im Maschinenraum?«

»Ja, bin ich. Und ich sage dir, es ist nicht so einfach, mit ʼnem halben Raumanzug den Antrieb am Laufen zu halten. Dir ist schon klar, dass die Maschinen nicht dafür ausgelegt sind, ihre Höchstgeschwindigkeit so lange zu halten? Länger als ein paar Minuten werden sie das nicht mehr mitmachen. Dann musst du sie um wenigstens fünfzehn Prozent drosseln, um keinen Maschinenschaden zu riskieren.«

»Verstanden«, brummte er. »Wie lange wird es dauern, den Sprungantrieb für einen Kurzsprung einsatzbereit zu machen?«

»Eine bis zwei Minuten«, erwiderte sie.

»Bereite alles vor. Wir werden springen, sobald das Feld stabil ist. So lange muss das Triebwerk noch durchhalten.«

Ashley antwortete nicht, aber er konnte sich gut vorstellen, wie sie nun fluchend durch den Maschinenraum schwebte und alles vorbereitete. In diesem Moment erreichte Hiriko das Cockpit. Auch sie trug noch ihren Raumanzug. Nur den Helm, die Handschuhe und das Aggregat hatte sie abgelegt. Mühsam quetschte sie sich in ihren Sessel und überflog ihre Instrumente.

»Vielleicht sollten wir verlangsamen«, schlug sie vor. »Dann könnte ich versuchen, Funkkontakt aufzunehmen. Bei unserer jetzigen Geschwindigkeit sind wir einfach zu schnell. So merken wir nicht einmal, ob sie versuchen, Kontakt zu uns aufzunehmen.«

»Und wenn sie uns nicht freundlich gesonnen sind?«, erwiderte Boris verbissen. »Wir haben kaum Möglichkeiten, uns gegen sie zu wehren, sollten sie Feuer auf uns eröffnen.«

»Aber entkommen können wir auch nicht. So wie es aussieht, sind sie schneller als wir«, sagte sie sachlich.

»Darum werden wir gleich einen Hypersprung machen, sobald Ashley so weit ist«, knurrte er verbissen. »Alles anschnallen!«, brüllte Boris kurz, bevor Svens Stimme aus dem Intercom ertönte.

»Energieentladung bei dem fremden Schiff, sie scheinen auf uns zu feuern!«, rief er aufgeregt. »Die Typen haben Lasergeschütze oder so etwas.« Genau in diesem Moment ging ein erneuter Ruck durch das Schiff. Man konnte spüren, dass die Maschinen begonnen hatten, das Hyperfeld aufzubauen. Schlagartig änderte es seinen Kurs und begann von Neuem auf die Anomalie zuzurasen. »Daneben!«, rief Sven euphorisch. »Gutes Manöver, Kommandant. Sie haben uns verfehlt.« Boris grinste verzerrt.

»Da hat uns die Anomalie den Hintern gerettet«, presste er hervor. »Was ist mit den Sprungdaten? Beeil dich, der nächste Schuss könnte sitzen.«

»Die Berechnungen sind abgeschlossen«, erklärte Erikson. »Ich gebe gerade die letzten Zahlen ein.« Tatsächlich meldete der Navigationscomputer kurz darauf Sprungbereitschaft, fast zeitgleich mit dem Signal der Maschinen, dass die für den angegebenen Sprung nötige Energie aufgeladen und das Hyperraumfeld voll ausgebildet waren.

»Eine weitere Energieentladung«, meldete Sven. Boris zögerte keine Sekunde länger.

»Sprung!«, bellte er in das Intercom und gab die Steuerbefehle in seine Konsole ein.

Er spürte das seltsame Ziehen in seinem Körper, als würde er stückweise, Schicht für Schicht nach vorne gesaugt. Dann kam das Blackout, so wie er es von dem letzten Flug her kannte. Es war ein bisschen so, als würde man kurz die Augen schließen und dann wieder öffnen, während man scheibchenweise auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt wird. Die Desorientiertheit blieb dieses Mal aus. Ebenso wie der Schmerz, den er bei ihrem Langstreckensprung empfunden hatte.

In diesen Punkten lief es ganz so, wie er es von den anderen nur wenige Lichtjahre weiten Sprüngen gewohnt war. Und das war gut so. Als seine Sinne wieder einsetzten, blinkten seine Armaturen wie eine Leuchtreklame auf LSD. Er fluchte. Die Energieversorgung, Lebenserhaltung, Antrieb, alles zeigte multiple Fehler oder Totalversagen. Die Sirius schlingerte durch den Raum. Akustische Warnsignale erzeugten eine Kakofonie aus Lärm, dann wurde es plötzlich dunkel und still.

Die Menschen an Bord der Sirius wurden wie in einer dreidimensionalen Zentrifuge herumgeschleudert. Nur ihre Gurte sorgten dafür, dass sie nicht wie Spielbälle mal gegen die eine, dann gegen eine andere Wand geschleudert wurden. Boris kam es wie eine Ewigkeit vor, bevor die Notaggregate ansprangen und seine Kontrollen wiederbelebten. Der Kontrollraum erschien im Dämmerlicht der Notbeleuchtung, als das Intercom ansprang.

»Verdammte Scheiße!«, ertönte Ashleys Stimme aus dem Lautsprecher. »Der Hyperantrieb brennt, das Haupttriebwerk ist ausgefallen und das Generatoraggregat musste ich per Notabschaltung runterfahren, damit es uns nicht um die Ohren fliegt. Was zum Geier hast du mit meinen Maschinen angestellt?«

»Dann kümmere dich drum!«, blaffte Boris als Antwort und wandte sich dann an Hiriko: »Haben wir vielleicht doch noch einen Treffer abbekommen?«

»Glaube ich nicht«, stieß sie gequält hervor. »Zwar ist die Lebenserhaltung auf Notbetrieb, aber ich kann keine Anzeichen für einen Druckverlust feststellen.« Boris nickte und wandte sich wieder dem Intercom zu.

»Sven, Positionsbestimmung! Till, Statusmeldung!«

Dann schaltete er auf Außenkamera, um sich ein Bild der direkten Umgebung zu machen, doch die Geräte zeigten nichts an. Immer noch wirbelte das Schiff willkürlich um seine eigenen Achsen.

»Hiriko, versuch, das Schiff zu stabilisieren!«, brüllte er, während er auf seine Anzeige starrte. Was war das? Er meinte, dass ein heller Punkt kurze Zeit zu sehen gewesen wäre. Waren die Kameras nun ausgefallen oder nicht?

»Schon dabei«, kam da ihre Antwort. »Die Steuerdüsen sind auch fast alle off.«

»Positionsbestimmung nicht möglich«, kam es gepresst aus der Intercom-Anlage. »Die meisten meiner Sensoren sind ausgefallen. Die Übrigen scheinen fehlerhaft zu funktionieren. Die Werte sind unmöglich …«

»Was heißt das schon wieder?«, grollte Koschkin zurück.

»Das heißt«, erwiderte Erikson mühsam, »dass das Universum verschwunden ist, wenn die Daten korrekt wären.«

Langsam stabilisierte sich das Schiff, Hiriko arbeitete fieberhaft.

»Doc, Statusmeldung«, wiederholte Boris seine Aufforderung, gebannt auf seinen Bildschirm starrend. Da war es wieder, ein Lichtpunkt. Dieses Mal am oberen Rand des Monitors, so rasend schnell vorbeiziehend, dass er wie ein Schweif wirkte.

»Kommandant«, erklang die Stimme von Erikson erneut. »Sie können mich ja für verrückt halten, aber ich habe hier ein Gravitationsmuster von einem Sonnensystem auf meinen Anzeigen. Ich meine wirklich nur ein einziges Sonnensystem, sonst nichts. Keine anderen Sterne, keine Nebel oder irgendetwas anderes. Nicht mal kosmische Hintergrundstrahlung. Nur dieses eine System.«

»Das kann nicht sein«, brummte Boris. »Deine Messgeräte spielen wahrscheinlich genauso verrückt, wie die anderen Systeme unseres Schiffs.«

»Möglich«, gab Sven zu. »Aber die Messwerte des Systems sind klar und detailliert.«

»Später«, befahl Boris. »Überprüfe deine Werte nochmal. Ich melde mich wieder.« Die Gedanken des Russen rasten. Fieberhaft versuchte er durch Veränderungen im Energiekreislauf, Tanakas Bemühungen zu unterstützen, das Schiff wieder unter Kontrolle zu zwingen. Gemeinsam schafften sie es schließlich, ihren Flug so weit zu stabilisieren, dass sich Boris erneut mit Svens Entdeckung auseinandersetzen konnte.

»Auf ein Neues«, ermunterte der Russe den Norweger, seine Erläuterungen wieder aufzunehmen.

»Gut«, begann Erikson zögernd. »Ich hab’s jetzt zwei Mal überprüft. Mit fast identischem Ergebnis. Die Abweichungen scheinen durch die technischen Probleme bedingt zu sein.«

»Gut gut«, entgegnete Koschkin ungeduldig. »Was hast du jetzt herausgefunden?«

»Wir befinden uns ganz in der Nähe eines Sonnensystems«, setzte der Astrogator erneut an. »Ein System mit nur einer Sonne und einem Planeten. Und nach allem, was ich bisher weiß, stehen die Chancen gut, dass der Planet durchaus ein für uns lebensfreundliches Klima aufweisen könnte.«

»Hervorragend«, freute sich der Kommandant, während der Norweger langsam fortfuhr.

»Ja, schon«, gab er zu. »Aber das ist nicht irgendein Sonnensystem. Das System ist ungewöhnlich. Eine Sonne, die unserer so sehr ähnelt, dass es mir kalt den Rücken herunter läuft. Masse, Größe, Lichtintensität … Ja, sogar das Lichtspektrum ist das Gleiche! Eine solche Sonne sollte mehr Masse um sich eingefangen haben als nur diesen einen Planeten.« Boris begriff nicht, worauf der Astrogator hinauswollte und beschloss, Erikson einfach weiterreden zu lassen.

»Ein Planet, innerhalb der anzunehmenden lebensfreundlichen Zone in etwa einhundertneunundvierzig mal einhundertsechs Kilometer Entfernung zum Zentralgestirn. Das entspricht ziemlich genau einer astronomischen Einheit, wie bei unserer Erde. Der Planet scheint sogar eine annähernd gleiche Masse wie unser Heimatplanet zu besitzen. Nur weist er drei, nein vier Trabanten auf. Aber das ist auch alles, was die Sensoren erfassen. Keine anderen Planeten, keine Asteroiden oder andere Himmelskörper. Nichts.«

Boris merkte, dass der Astrogator immer hysterischer wurde und erwiderte so ruhig er konnte: »Beruhige dich! Ich werde mir das ansehen, wenn wir die akuten Probleme in den Griff bekommen haben. Versuch, die Sensoren auf Fehlerquellen zu prüfen. Ich melde mich wieder bei dir.« Boris spürte Übelkeit in sich aufsteigen, obwohl Hiriko es geschafft hatte, das chaotische Herumwirbeln der Sirius in eine schnelle Eigenrotation abzuschwächen. Die ganze Situation behagte ihm gar nicht.

»Doc, wenn ich zu dir rüber kommen muss, um zu sehen, wie es dir geht, vergesse ich meine gute Erziehung und verpasse dir einen Satz heiße Ohren!«, brüllte Boris in das Intercom. »Melde dich endlich, das ist ein Befehl!« Dann atmete er einige Male durch, bevor er zum Maschinenraum wechselte. »Wie ist die Lage bei dir?«, fragte er ruhiger.

»Könnte besser sein«, gab sie zurück. »So lange ihr das Schiff nicht beruhigt, kann ich selbst nicht viel machen, außer meinen Raumanzug vollzureihern. Ich steuere die Automatiksysteme so gut es geht. Verdammt! Die meisten meiner Maschinen arbeiten nicht richtig. Aber ich hab das Feuer unter Kontrolle und die Energieabgabe stabilisiert. Mehr geht im Moment nicht. Ich gebe dir einen Statusbericht, wenn ich mich losschnallen kann, um selbst nach dem Rechten zu sehen.«

»Einverstanden«, erwiderte Koschkin. Während er sich selbst daran machte, einige Diagnoseroutinen zu starten, hatte er nur wenig Zeit wohlwollend die Professionalität der Amerikanerin zu registrieren, die sie zur Abwechslung einmal an den Tag legte. Die Systeme zeigten ihm, dass das Biodeck und Rechenzentrum per Notverriegelung abgeschottet waren. Zu seiner Erleichterung registrierte das System aber noch Lebenszeichen aller Mannschaftsmitglieder. Der Doktor lebte also noch. Nach einigen weiteren magenaufwühlenden Minuten hatte Hiriko das Schiff endlich wieder so weit unter Kontrolle, dass ein gefahrloses Abschnallen möglich war. Koschkin wandte sich an seine Kopilotin, während er seinen Gurt löste.

»Ich werde nach dem Doc sehen. Übernimm du die weitere Koordination«, er stieß sich ab und schwebte zur Cockpitschleuse. Bevor er den Raum verließ, wandte er sich noch einmal an Hiriko: »Gute Arbeit.« Dann verschwand er in dem Verbindungstunnel.

Da der untere Schiffbereich zur Krankenstation versiegelt war, nahm Koschkin den Weg durch die Schiffsmesse und die Quartiere. Vor den Lagerräumen nutzte er den senkrechten Verbindungstunnel, um so zur Krankenstation zu gelangen. Zügig erreichte er die doppelte Sicherheitsschleuse, die alle terranischen Raumschiffe und Stationen besaßen, seitdem ein krankheitserregender Keim vom Mars die halbe Mondstation dahingerafft hatte. Vor der Schleuse der Station zögerte er.

»Hiriko, zeigen die Geräte an, weshalb die Decks versiegelt worden sind?«

»Die Anzeigen deuten auf eine biologische Verseuchung hin. Aber es kann sich genauso gut um eine weitere Fehlfunktion handeln. Ich empfehle trotzdem das Anlegen eines Sicherheitsanzuges.«

Der Russe bestätigte brummend und betrat die erste Schleusenkammer. Dort legte er einen der Anzüge an und wartete. Zischend wurde die Atmosphäre der Kammer ausgetauscht, bis die Sicherheitssysteme grünes Licht gaben und die Zwischenschleuse öffneten. Von der inneren Kammer aus konnte er durch ein Sichtfenster in die Krankenstation sehen. Auf den ersten Blick erkannte er nichts Ungewöhnliches. Schnell wanderte sein Blick durch den Raum, bis er den Arzt gefunden hatte. Er saß in sich zusammengesunken auf einem der Sicherheitsstühle, vorschriftsmäßig angegurtet.

Wahrscheinlich hatte der Doktor einfach nur die Besinnung verloren, als sich das Schiff so unkontrolliert bewegt hatte. Boris wollte gerade die Schleusentür öffnen, als ihm etwas ins Auge fiel. Ein hauchdünner grünlicher Strich an der Schläfe des Bewusstlosen machte ihn stutzig. Als er genauer hinsah, bemerkte er weitere feine Äderchen, die den Mann bedeckten. Boris stockte der Atem.

»Hiriko!«, rief er das Cockpit an. »Kannst du die Beleuchtung der Krankenstation ausschalten?«

»Ja«, ertönte es aus der Intercom-Anlage. Augenblicke später erlosch das Licht. Doch in der Krankenstation wurde es nicht vollständig dunkel. Schwach schimmerte die Station in biolumineszierendem grünlichem Schein. Jetzt konnte Boris genau sehen, dass ein Teil des Bodens und der Decke mit einem feinen Gespinst von Fäden überzogen war. Auf dem Arzt waren diese Adern besonders stark konzentriert.

»Das Biogel«, flüsterte Koschkin schockiert, zögerte kurz, dann sagte er es nochmals lauter, während er das Intercom betätigte: »Das Biogel ist aus dem Tank ausgetreten …«

»Wie bitte?«, antwortete Hiriko ungläubig.

»Das Biogel ist aus dem Tank ausgetreten und hat sich in der Krankenstation verteilt. Es sieht aus wie ein Netz aus feinen Adern. Der Doc ist regelrecht eingesponnen in dem Zeug.«

»Ein Netz?«, fragte Hiriko zurück. »Ich dachte, es ist ein Gel, ein zähflüssiger Brei oder so etwas. Wie kann das Zeug ein Netz bilden?«

»Frag mich was Leichteres«, antwortete Koschkin. »Der Einzige von uns, der sich wirklich mit dem Gel auskennt, leuchtet jetzt im Dunkeln und ist bewusstlos. Was machen seine Biowerte?«

»So weit stabil«, kam die Antwort.

»Na gut, ich gehe jetzt rein.«

»Sei vorsichtig.«

»Immer«, gab er zurück und aktivierte die Innenschleuse. Umsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, darauf bedacht, den Fäden des Biogels nicht zu nahe zu kommen. Nun konnte er sehen, dass die Verbindungsschleuse zum Labor der Station und den dahinterliegenden Biotanks offen stand. Der Tank selbst war nur noch zu einem Viertel mit dem Gel gefüllt. Es wirkte klumpig und starr. Am Tank und im Labor konnte Koschkin weitere Konzentrierungen des Geflechtes ausmachen. Koschkin wollte gerade einen weiteren Schritt machen, als er noch etwas anderes bemerkte, was ihn zutiefst erschreckte und ihn unwillkürlich zurücktaumeln ließ.

Der Doktor hatte seine Augen geöffnet und starrte ihn unverwandt an. Gleichzeitig hatten sich einige Fäden in Koschkins Nähe vom Boden aufgerichtet und schnellten auf ihn zu. Koschkin fluchte wie ein russischer Dockarbeiter, als er sich zurück in die Schleuse flüchtete.

Die Tür schloss sich keine Sekunde zu früh.

Die hauchdünnen Tentakel des Gels klatschten an die Scheibe des Fensters und wanden sich langsam daran entlang. Schwer atmend betätigte Boris erneut die Intercom-Anlage.

»Die Versiegelung ist berechtigt«, stieß er erregt aus. »Till hat mich angestarrt und dann hat das verdammte Zeug versucht, mich zu erreichen.«

»Das ist doch nicht möglich«, erwiderte Hiriko verstört. »Wie kann das sein?«

»Ich weiß es auch nicht«, gestand Boris ein. »Es ist mir völlig rätselhaft, wie sich das Gel in so kurzer Zeit dermaßen verändern und ausbreiten konnte. Wenn wir keine Möglichkeit finden, Till da herauszuholen, ohne uns zu gefährden, müssen wir die Notsterilisation des gesamten Biodecks einleiten.«

»Dafür müssen die Systeme aber erst wieder richtig arbeiten«, warf Hiriko ein. »Ashley hat mir zwischenzeitlich eine Zusammenfassung der Maschinenschäden gegeben. Es sieht nicht gut aus, aber im Moment besteht keine direkte Gefahr mehr. Das Feuer ist gelöscht und die Notsysteme arbeiten stabil. Aber unsere Energiereserven werden nicht mehr lange reichen, der Hyperraumantrieb ist Schrott und wir haben momentan nur noch die Hilfstriebwerke und die Hälfte der Steuerdüsen, um das Schiff zu steuern. Sven macht mir auch Sorgen, er ist kaum noch zu beruhigen. Ich weiß nicht, wie er darauf reagieren wird, wenn er das ganze Ausmaß unserer Probleme begreift. Unter dem Strich sitzen wir hier fest. Das einzig Positive, was ich dir im Moment berichten kann, ist die Tatsache, dass wir mit unseren Reserven das geortete Sonnensystem erreichen können und die Chancen gut stehen, dass der entdeckte Planet für uns wohl tatsächlich erträgliche Lebensbedingungen aufweist. Aber auch das können wir mit unseren Schäden erst dann ermitteln, wenn wir näher dran sind.«

»Danke, Hiriko, setz einen Kurs in das System und beschäftige Sven. Lass ihn die Systemdaten auswerten und Scans machen, wenn wir nahe genug sind. Ich werde versuchen, mir etwas wegen Till zu überlegen.« Damit schaltete der Russe ab und wandte seine Konzentration wieder der Sichtscheibe zu.

Die Gelfäden waren zur Ruhe gekommen und bewegten sich nicht mehr. Tills Augen waren aber weiterhin geöffnet und schienen ihn anzustarren. Im grünlichen Dämmerlicht des Biogels sah er gespenstig aus. Boris schauderte. Mühsam riss er sich zusammen und aktivierte die Gegensprechanlage der Schleuse.

»Till, kannst du mich hören? Ich bin es, Boris, Boris Koschkin, dein Kommandant.« Er wartete, ob der Doktor reagierte. Anders als das Intercom, bei dem man, ähnlich wie bei anderen Funksystemen, nicht gleichzeitig hören und sprechen konnte, funktionierte die Anlage der Schleuse beidseitig, sobald sie eingeschaltet war. Ein tiefes Stöhnen quälte sich aus der Kehle des Arztes.

»Hhaaa, jaaaaa, wiiirrrr sinnnnd Tiiiilllll, Tiiiilll Seeeegschnnneeeiiideeerrr.« Die Stimme des Arztes war völlig entstellt und kaum wiederzuerkennen. »Doookktorrrr Tillll Seeeegschneeeiiiderrrr.«

Boris fröstelte. Er bezweifelte, dass es wirklich Till war, der da sprach.

»Koooommm zuuuurüüüück, Kooommannndaaaant Booooriiiis Koooschkiiinn, daaammiiit wwiiirrr diiirrrr heellfffeenn kööönnneenn.«

Boris hatte Schwierigkeiten, Till zu verstehen, aber es war möglich. Fieberhaft überlegte er, wie er vorgehen sollte. Er beschloss, zunächst einmal auf den fremdartigen Organismus einzugehen, der aus dem Biogel und dem Doktor entstanden war.

»Wie willst du mir helfen, Till?«, fragte er.

»Wiiirrr wweerrdennn diiichh heeeiiilenn«, antwortete das Wesen. »Daaasss iiissst unnnnssseerreee Aaauuufffgaaabee. Wiiiirrrr sssinnnnd Doooktoooorr. Wiiiirrr heeeilllen diiicchhh vooonnn deeerrrr Eeeinnnnsssaaammkeeeiiit uuunnnd deeerr Aaannngsssst. Duuu biiiissst viiiieeellleee, aaabeeer aaleeeiiinnn, wiiiiee wiiiirr eesss waaarrreeenn. Kooomm zuuu uuunnnsss.«

»Nein«, sagte Boris entschieden. »Das werde ich nicht. Du bist derjenige, der krank ist. Du brauchst Hilfe.«

»Daaannn koommm unnnd hiillfff uuunnnsss. Wiiirrr brraaauuuchhhhennn Hiilllfeee«, lenkte das Wesen sofort ein.

Boris erschauderte erneut. Dieses Ding war in der Lage, schnell auf eine Situation zu reagieren. Und obwohl der Versuch, ihn so zurück in die Krankenstation zu locken, leicht zu durchschauen war, erkannte Boris, dass es auf jeden Fall noch gefährlicher für ihn und seine Mannschaft war, als er zunächst vermutet hatte. Auf keinen Fall durfte er zulassen, dass das da noch an Bord war, wenn sie notlanden mussten. Kaum auszudenken, was passieren würde, wenn es sich aus der Krankenstation befreien konnte.

»Ich muss zuerst gehen, aber ich werde bald zurückkommen und dir helfen«, erwiderte er, bemüht seine wahren Gefühle zu verbergen. »Wirst du auf mich warten?«

»Wiiirrr wweeeerrrdeeenn waarrrteenn. Koooommmm baaald zuuu uuunnnsss, wiiiirrr brrraaauuucchhhenn Hhiiilllffffeee«, entgegnete das, was einmal der Bordarzt gewesen war.

Boris schaltete die Gegensprechanlage ab und sah, dass Till seine Augen wieder schloss. Für den Moment schien die Situation stabil zu sein. Wie er aber dem Arzt helfen konnte, war ihm schleierhaft. Er durchlief die Dekontaminationsprozedur der Schleusenkammer und überprüfte pedantisch, ob sich nicht doch etwas der Substanz an ihn angeheftet hatte.

Erst als er sich sicher war, dass es ungefährlich war, schälte er sich wieder aus dem Sicherheitsanzug. Als er endlich die Schleuse verlassen hatte, schwebte er so schnell er konnte zurück in das Cockpit. Dort angekommen, setzte er mit knappen Worten Hiriko ins Bild und ließ sich von ihr einen Statusbericht geben. Viel hatte sich seit ihrem letzten Gespräch nicht ereignet. Obwohl Ashley im Maschinenraum über sich hinauszuwachsen schien, waren viele Systeme der Sirius weiterhin nur eingeschränkt oder gar nicht einsatzbereit. Wenigstens schien sich Sven beruhigt zu haben, nachdem sie ihn mit Arbeitsaufträgen eingedeckt hatte.

Gemeinsam diskutierten sie, was man in Bezug auf Till und das Biogel unternehmen könnte, wobei sie verschiedene Szenarien durchdachten. Nach reiflicher Überlegung kamen sie zu dem Schluss, dass ein Entweichen des Organismus auf jeden Fall zu verhindern war und sie aufgrund der schweren Beschädigungen nur zwei Möglichkeiten besaßen. Im voll funktionsfähigen Zustand hatte die Krankenstation eine ganze Reihe von Möglichkeiten, biologischen Gefahren entgegenzuwirken. Momentan gestaltete sich die Situation aber anders.

Von den verschiedenen Systemen waren nur die Bestrahlungslampen und die Pyrodüsen einsatzbereit. Die Bestrahlungslampen waren gegen viele Bakterienarten wirksam und stellten in Anbetracht der Umstände die letzte Möglichkeit zur Rettung des Doktors dar. Sollten sie versagen, blieben nur noch die Pyrodüsen, die das gesamte Biodeck in ein Feuerinferno verwandeln würden und auch im Normalbetrieb den letzten Ausweg darstellten, wenn alle anderen Maßnahmen gescheitert waren. Boris sollte in die Sicherheitsschleuse zurückkehren, um den Erfolg ihrer Maßnahmen zu überprüfen. Mit der Helmkamera wollte er die Geschehnisse aufzeichnen, um sie später der Datenbank der Blackbox hinzuzufügen. Außerdem sollten sie Hiriko ermöglichen mitzuverfolgen, was in der Krankenstation vor sich ging. Sie würde auch die Systeme aktivieren, wenn er ihr ein entsprechendes Zeichen dafür gab.

Als Boris die innere Kammer der Sicherheitsschleuse erreicht hatte, öffnete Till wieder die Augen, als hätte er auf ihn gewartet und bemerkt, dass er zurückgekehrt war. Als Boris die Gegensprechanlage aktivierte, begann das Wesen, sofort wieder zu sprechen.

»Kooommmst duuu nun, uuum uuunns zuu heeellfeeen?«

»Ja, ich bin gekommen, um Till zu helfen«, antwortete Boris ausweichend. Er richtete die Kamera auf das Sichtfenster und gab Hiriko das Zeichen, mit der Bestrahlung der Räume zu beginnen.

»Wiiessooo kooommst duuu niiicht herrreiiin?«, fragte der Organismus weiter.

Boris schien es fast, als belauerte das Wesen ihn. Außerdem hatte er den Eindruck, als hätte sich etwas verändert, aber er konnte nicht genau sagen, was es war. Am Aufscheinen der Beleuchtung erkannte Boris, dass Hiriko mit der Bestrahlung begonnen hatte. Gespannt wartete er ab.

»Wieee wiillst duuu uuuns heellfeeen, weeenn duuuuuu …«, weiter kam das Wesen nicht. Ruckartig begann der Körper des Bordmediziners sich zu verkrampfen. Die dickeren Gel-Adern, die Boris trotz eingeschalteter Beleuchtung noch erkennen konnte, zuckten und schlugen ebenfalls hin und her. Langsam begannen sie zu zerfasern und sich aufzulösen. Für Boris sah es aus, als würden sie regelrecht zerschmelzen.

»Es funktioniert!«, jubelte er. »Es funktioniert wirklich!«

Tills Körper warf sich in seinen Gurten hin und her. Ein letztes Mal bäumte sich der gepeinigte Körper auf, um dann in den Sitz zurückzusinken und dort schlapp in den Gurten hängen zu bleiben. Boris wartete noch einige Minuten, bevor er Hiriko signalisierte, die Bestrahlung einzustellen. Die Färbung der Deckenlampen änderte sich unmerklich. Der Spuk schien vorbei. Jedenfalls hätte Boris das gerne geglaubt. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass etwas faul war. Er ließ die Kamera auf das Fenster gerichtet und wartete.

»Schalt die Beleuchtung nochmal ganz aus«, befahl er Hiriko, die augenblicklich gehorchte. Der Raum wurde dunkel. Nirgends war auch nur der kleinste Schimmer einer Biolumineszenz auszumachen. Trotzdem zögerte Koschkin weiterhin, den Raum zu betreten.

»Was sagen die Biowerte vom Doc?«, fragte er.

»Schwach, aber vorhanden«, kam die Antwort aus dem Cockpit. »Was ist? Siehst du etwas, was ich nicht sehe?«

»Nein, aber ich habe ein komisches Gefühl. Irgendwas stört mich an der ganzen Situation. Was sagen denn die Sensoren über die Kontaminationsgefahr?«

»Moment«, erwiderte Hiriko. »Komisch, laut den Anzeigen ist das Deck immer noch kontaminiert. Anscheinend hast du mit deinem Gefühl recht. Das Deck ist nicht sicher. Vielleicht holst du unseren Doktor aus der Gefahrenzone und dann fackeln wir den Rest ab.«

»Einverstanden. Mach das Licht wieder an, ich gehe rein.« Als das Licht wieder aufleuchtete, bemerkte Boris, dass der Arzt seine Augen wieder aufschlug. Borisʼ Gedanken rasten, als er die schwache Stimme Segschneiders vernahm.

»Hiiilf miiir, iiicch brauuuche Hiiillfee«, flüsterte er.

Nun zögerte Boris nicht länger, er öffnete die Innenschleuse, so schnell er konnte, und betrat die Krankenstation. Während er den Raum durchschritt, sprach der Doktor weiter.

»Kooomm, hiiilf miiir, nääähheeerr«, flüsterte er.

Boris hatte den Arzt fast erreicht, als die Lampe des Raumes kurz flackerte. Was Boris in diesem Augenblinzeln sah, ließ ihn abrupt stoppen. Er hatte es schwach schimmern sehen. Ein kaum wahrnehmbares Schimmern aus dem Mund des Arztes.

»Waaaruuum bleiiibst duu steeeheeen? Hiiilf miiir doooch«, lockte Till weiter. »Wir siiinnd doooch Freunde.«

»Hast du das auch gesehen?«, fragte Boris.

»Waaass meiiinst duuu?«, fragte der Doktor.

»Ich glaube schon«, antwortete Hiriko aus seinem Helmlautsprecher. Das Licht erlosch von Neuem. Hiriko hatte schnell geschaltet.

Da war die Biolumineszenz wieder. Im Speichel des Arztes. Sehr schwach zwar, aber erkennbar. Der Arzt gab ein unmenschliches Geräusch von sich, als er versuchte, ruckartig aufzustehen. Seine Gurte hielten ihn jedoch zurück. Hiriko schaltete das Licht wieder an, um Boris bei seinem Rückzug zu unterstützen. Der Arzt zog und zerrte so heftig an seinen Sicherungsgurten, dass sie ihn zunächst tief in sein Fleisch schnitten und sich die Halterungen verzogen.

»Raus da!«, schrie Hiriko.

»Dabei«, presste Boris hervor.

Der Arzt versuchte, Boris zu bespucken, verfehlte ihn aber. Schon hatte Boris die Sicherheitsschleuse erreicht und betätigte den Schließmechanismus, als sich das, was einmal der Bordarzt gewesen war, aus seinem Sitz heraus stemmte. Die Gurte rissen mit einem Knall aus ihrer Halterung und schleuderten umher. Schwerfällig stieß sich der Körper von seinem Sitz ab und schwebte langsam in Boris’ Richtung’.

»Pyrodüsen!«, schrie Boris, unfähig, sich seines Entsetzens zu entziehen.

Hiriko reagierte wieder schnell. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich die Krankenstation in ein Flammenmeer. Inmitten des Infernos konnten sie die lodernde Gestalt erkennen, die unbeirrt in Richtung der Schleuse wankte. Blasen werfend erreichte der einstmals menschliche Körper die Schleuse und tastete nach dem Öffnungsmechanismus. Boris wich panisch zurück, doch die Schleuse öffnete sich nicht. Die Sicherheitstechnik funktionierte.

Als die Schleuse sich nicht bewegte, hämmerte die Gestalt mit ausholenden Schlägen gegen die Sichtscheibe. Verkohlte Haut und Fleischfetzen blieben an dem heißen Glas kleben und verbrannten zu Asche, bevor der nächste Schlag auf das Glas prallte. Das Dröhnen war unerträglich. Noch drei Mal schlug der Körper zu, bevor er nach hinten kippte und sich nicht mehr rührte.

»Anlassen«, sagte Koschkin tonlos. »Bis nur noch Asche über ist. Kein weiteres Risiko.«

Hiriko antwortete nicht. Die Düsen spien aber weiter ihre Glutgewalt in den Raum. Boris wandte sich ab und aktivierte zitternd die Dekontaminationsprozedur. Niemals hätte er gedacht, einen Freund auf solch eine Weise verlieren zu müssen. Aber das da drin war nicht mehr Till gewesen. Das, was sie vernichtet hatten, war ein Monster. Ein lebendig gewordener Albtraum, der seinen Freund innerlich ausgehöhlt hatte.

Vielleicht würde er eines Tages selbst daran glauben und sich keine Vorwürfe mehr machen, hoffte er innerlich. Boris Koschkin machte sich auf den Rückweg in sein Cockpit. Zutiefst schockiert und in stiller Trauer. Als er durch die Cockpitschleuse schwebte, wandte sich Hiriko ab. Er bemerkte, dass sie geweint hatte, sagte aber nichts. Er setzte sich in seinen Sessel und schnallte sich wieder an.

8. Sven

Sven zitterte stark und ihm war übel. Nachwirkungen des Schleuderganges und des Sprungs, den die Sirius eben durchlitten hatte. Außerdem hatte er eine gehörige Portion Angst, denn er sah die vielen Fehlermeldungen und Totalausfälle der Schiffskomponenten auf seiner Arbeitskonsole nur zu gut. Ein guter Teil der Sensorik war ebenfalls ausgefallen oder arbeitete ungenau, so dachte er jedenfalls, denn die Daten, die er erhielt, konnten einfach nicht stimmen.

Demnach befand sich die Sirius in einem Sternensystem. Was gut war, wenn man den Zustand des Schiffes berücksichtigte. Aber wenn es stimmte, was ihm die Sensoren meldeten, bestand das gesamte Sonnensystem nur aus dem Gestirn und einem einzigen Planeten. Ansonsten war nur Finsternis um das Schiff auszumachen. Sven schluckte hart, als Koschkin Kontakt zu ihm aufnahm. »Sven?«, fragte der Kommandant hohl. »Was kannst du berichten?«

Erikson rieb sich seine Augen und kontrollierte nochmals die Informationen, die ihm vorlagen. Erst dann antwortete er.

»Wir befinden uns in dem seltsamsten Sternensystem, das ich jemals gesehen habe, Kommandant«, begann der Norweger stockend. »Der einzige Planet kreist nach meinen bisherigen Berechnungen nicht direkt um die Sonne, wie es bei dem gegebenen Massenverhältnis zu erwarten wäre. Stattdessen scheinen sich Planet und Gestirn gegenseitig zu umkreisen, wie wir es von manchen Sonnen in Doppelsonnensystemen kennen.«

»Wie kann das sein? Müsste die Schwerkraft des Sterns den Planeten nicht zerreißen und ihn verzehren?«

»Ja. Eigentlich schon. Aber das ist noch lange nicht alles. Der Planet besitzt vier Trabanten, die jeder für sich ungefähr ein Viertel der Masse des Planeten aufweisen. Zusammen besitzen sie also die gleiche Masse wie der Planet, den sie umkreisen. So etwas dürfte es gar nicht geben. Dieses Sonnensystem ist eine physikalische Unmöglichkeit.«

Koschkin schwieg, also fuhr der Astrogator fort:

»Selbst wenn man das Gestirn außen vor lässt, sollten die Gezeitenkräfte, die durch die vier Monde entstehen, den Planeten dermaßen durchwalken, dass er ein flammender Feuerball sein sollte.«

»Ist er aber nicht«, erwiderte der Kommandant.

»Ja. Es ist unmöglich, aber nach den mir vorliegenden Daten besitzt er nicht nur eine stabile Kruste und eine ausgedehnte Atmosphäre, sondern sogar eine, von der wir auf der Erde nur träumen können. Etwas höhere Sauerstoffkonzentration, dafür verschwindend wenig Giftstoffe. Ein Paradies für sauerstoffbasierende Lebensformen und für uns bestens geeignet. Außerdem scheint er eine ausgeprägte Vegetation und massenweise Wasser aufzuweisen. Wie das alles sein kann, ist mir schleierhaft.«

»Willst du mich auf den Arm nehmen?«, fragte Boris ungläubig zurück.

»Nein, Kommandant«, antwortete Erikson aufgeregt, als er weitere Daten auswertete. »Und das ist noch nicht alles!«

»Was denn noch?«

»Die Monde sind noch ungewöhnlicher als ich zuerst dachte. Ich schicke dir ein paar Daten, damit du verstehst, was ich meine.«

Sven schickte das Bild eines dunklen Himmelskörpers, der sich nur schwach von der Schwärze des Hintergrundes abzeichnete.

Erikson fuhr fort: »Vorneweg ein paar Details. Alle Trabanten des Planeten sind laut unseren Messinstrumenten identisch. Dieser dunkle Himmelskörper weist extrem niedrige Rückerstattungswerte auf, so als würde er die gesamte Lichteinstrahlung des Sterns einfach verschlucken. Wohl gemerkt ist es eine rein optische Auswertung, genau wie bei den anderen Monden, die ich dir noch zeigen werde. Ansonsten scheint er für uns momentan nicht weiter von Interesse zu sein.«

Sven wechselte das Bild. Sein Kontrollmonitor zeigte nun einen strahlend hellen Planetoid.

»Dieser Mond hingegen hat extrem hohe Abstrahlungswerte, als wäre er vollständig mit reinstem Schnee bedeckt, ohne jegliche Verunreinigung.«

»Was soll das?«, fragte Boris ungehalten.

»Ich komme gleich darauf, Kommandant, nur noch etwas Geduld.«

Wieder änderte er das Bild. Ein roter Himmelskörper erschien.

»Dieser hier hat mich ein wenig an unseren Mars erinnert, er zeigt zwar eine andere Topografie, aber durch die Farbe liegt diese Assoziation nahe.«

»Ja ja, das ist alles sehr faszinierend, aber …«, weiter kam Boris nicht mehr, denn Sven hatte ihm ein Bild des vierten Mondes geschickt. »Sehr witzig, Sven, aber für so dumme Scherze habe ich wirklich keine Zeit«, brummte der Kommandanten verärgert.

»Wirklich! Ich scherze nicht«, sagte Sven so ruhig wie er konnte. »Das Bild ist wirklich eine Aufnahme dieses Mondes.«

»Quatsch. Das muss ein Bild aus unserer Datenbank sein. Überprüf das!«

»Ich weiß, dass es kaum zu glauben ist, aber das ist eine Vergrößerung aus den Aufnahmen der Außenbordkameras.«

»Das ist doch die Erde!«, widersprach Koschkin.

»Ja. Diese Assoziation hatte ich auch sofort. Dieser Mond sieht tatsächlich aus wie unsere Erde. Kontinente, Meere, Gebirgsketten … Bildlich alles da. Sogar Wolkenfelder inklusive eines Hurrikans an der amerikanischen Küste. Alles gut auszumachen. Aber wenn man genauer hinsieht, ist er nicht genau wie unsere.«

»Ich werde langsam ungehalten«, knurrte Koschkin gepresst zurück. »Kommen Sie auf den Punkt.«

Erikson wusste, dass sein Kommandant nahe an einem Wutausbruch war, wenn er anfing, seine Untergebenen zu siezen. Daher beeilte er sich fortzufahren: »Dieser Mond sieht aus, wie die Erde früher ausgesehen hat. Schätzungsweise um die Antike unserer Zeitrechnung herum. Warum das so ist, weiß ich nicht.«

»Wie kann ein antikes Abbild der Erde in vierfacher Verkleinerung um diesen Planeten kreisen? Das ergibt doch keinen Sinn!«

»Das ist auch meine Meinung. Leider ist das immer noch nicht alles. Was ich bisher gezeigt habe, ist, wie ich bereits sagte, eine rein optische Auswertung der Monde. Die wenigen noch arbeitenden Sensoren liefern gänzlich andere Informationen als die Kameras.«

»Was heißt das?«, Koschkins Stimme bebte vor Verärgerung.

»Wenn ich mich nur auf die Sensordaten verlasse und die Aufnahmen, die ich Ihnen gerade gezeigt habe, ignoriere, sind die vier Trabanten identisch. Ich meine, wirklich identisch. Gleiche chemische Beschaffenheit, keine Atmosphäre, tot und lebensfeindlich. Für die extremen Unterschiede, die unsere Kameras anzeigen, gibt es keine sensorische Bestätigung. Auch nicht für die vermeintliche Erde. Ich sehe das Wasser, aber meine Sensoren registrieren nichts. Ich kann mir das Ganze nicht erklären. Dieses ganze Sonnensystem ergibt einfach keinen Sinn.«

9. Boris

Boris sah Hiriko ungläubig an, die seinen Blick steinern erwiderte. »Was jetzt?«, presste er ratlos hervor. Sie zuckte nur mit den Schultern. Angestrengt dachte er nach.

»Was ist mit dem Planeten?«, richtete er seine Frage wieder an Sven. »Verhält es sich mit ihm genauso?«

»Nein, Kommandant. Die optischen und sensorischen Werte scheinen beim Planeten übereinzustimmen. Nur die Monde weisen dieses Phänomen auf.«

Seufzend richtete Koschkin seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Instrumente. Viele der Schiffssysteme meldeten immer noch Fehler, manche weiterhin auch Totalausfall. Jedoch nicht mehr so viele wie nach ihrem Wiedereintritt in den Normalraum. Koschkin schnaufte. Der Normalraum! Er hatte mittlerweile starke Zweifel, dass sie wirklich in den Normalraum zurückgekehrt waren. Was auch immer mit seinem Schiff passiert war und wohin sie der Hyperantrieb auch gebracht hatte, er war der Kommandant und hatte die Verantwortung. Für seine Mannschaft, für das Gelingen der Mission und sein Schiff. Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass es im Moment nicht gut für sie stand. Das Schiff war schwer beschädigt, wobei unklar war, weshalb. Ihre Mission, mit den gesammelten Daten zur Erde zurückzukehren, schien im Moment aussichtslos und er hatte ein Mannschaftsmitglied verloren. Boris spürte die Last der Verantwortung stärker als je zuvor auf seinen Schultern liegen. Die anderen verließen sich darauf, dass er die richtigen Entscheidungen traf und sie anführte. Still schwor er sich, dass er alles unternehmen würde, um seine Aufgabe zu erfüllen. Er kontaktierte Ashley, die sich nach kurzer Zeit meldete.

»Was ist?«, fragte sie gereizt. »Ich hab alle Hände voll zu tun und keine Zeit für ein Schwätzchen.«

»Glaubst du, dass die Sirius innerhalb einer Atmosphäre landen kann?«, fragte er zurück.

»Landen?«, fragte sie ungläubig. »Sind wir wieder zuhause?«

»Nein, das nicht, aber wir haben einen Planeten gefunden, der für uns günstige Lebensbedingungen bietet. Ich habe vor, das Schiff zu landen. Im All haben wir nicht die Möglichkeit, die ganzen Schäden zu reparieren. Die Frage ist, ob wir das Schiff in seinem jetzigen Zustand runterbringen können.«

»Mann, Katerchen, du verlangst Sachen von mir. Ich hatte bisher genug damit zu tun, dass wir nicht auseinanderfallen und jetzt das. Ich muss ein paar Funktionstests machen. Um deine Frage beantworten zu können: Wir benötigen auf jeden Fall die Gleitflügel und ich muss die Haupttriebwerke wieder on bringen. Wenn ich das schaffe, könnte es klappen. Aber nur, wenn du echt sanft mit meinem Baby umgehst. Dir ist ja wohl klar, dass die Sirius eigentlich kein Schiff für Atmosphärenflüge ist?«

»Ist mir klar. Wir haben im Moment aber nur wenige Auswahlmöglichkeiten. Kann ich dich unterstützen? Hiriko kommt hier fürs Erste auch ohne mich klar.« Bei diesen Worten schaute Boris in das bleiche Gesicht der Japanerin, deren Augen immer noch gerötet waren und die ihn weiter mit ihrer ausdruckslosen Miene ansah. Zögernd nickte sie ihm zu.

»Na dann beweg deinen haarigen Hintern mal zu mir nach hinten«, kam Ashleys Antwort aus dem Intercom. »Ich hab einige schwere Sachen zu schleppen. Dann hat mein Roboter mehr Zeit, mir zu assistieren.«

»Okay, bin unterwegs«, erwiderte Koschkin knapp und wandte sich an Hiriko. »Kein Wort zu den anderen, was den Doc angeht. Das erklären wir ihnen, wenn wir sicher unten sind. Es reicht momentan, dass wir den ganzen Mist verarbeiten müssen. Versuch eine stabile Umlaufbahn um den Planeten einzunehmen und mit Sven so viel wie möglich über den erdähnlichen Mond und den Planeten herauszufinden. Sven soll eine möglichst günstige Flugbahn zum Planeten berechnen mit einem sicheren Landungssektor. Bei dem wir, falls nötig, auch mit einer Bruchlandung halbwegs heil runterkommen.«

»Warum nicht die Erde?«, fragte Hiriko flüsternd.

»Weil der Trabant nicht sicher zu sein scheint. Dass er wie die Erde aussieht, reicht mir nicht. Die Sensoren bestätigen die optischen Daten bei dem Planeten, aber nicht bei dieser Mini-Erde. Ich habe kein gutes Gefühl, sie anzusteuern. Zu viele Unwägbarkeiten. Klar so weit?«

Hiriko nickte schwach. »Ja, Kommandant«, murmelte sie dann.

Boris schnallte sich los und machte sich auf den Weg in den Maschinenraum.

In den kommenden Stunden kam Koschkin gut ins Schwitzen. Zwar war Benders Drohung wegen der schweren Teile in der Schwerelosigkeit kein Problem und mit Magnetstiefeln konnte man auch größere Komponenten relativ gut steuern, aber der Teufel steckte wie üblich im Detail.

Jedes Schräubchen oder Bauteil, war es auch noch so klein, konnte verheerende Schäden anrichten, wenn es in der Schwerelosigkeit fliegend verloren ging und später durch entstehende Flieg- oder Gravitationskräfte bei Manövern zu einem Geschoss wurde. Ashley war gerade dabei, eine letzte beschädigte Komponente des Triebwerks auszuwechseln, als ein merklicher Ruck durch den Maschinenraum ging. Augenblicklich wurde Koschkin in Alarmzustand versetzt. Er deaktivierte seine Magnetstiefel und schwebte zur Intercom-Anlage.

»Hiriko, Statusmeldung«, verlangte er.

»Wir haben das Gravitationsfeld des Planeten erreicht«, kam ihre Antwort, begleitet von einem erneuten Ruck durch das Schiff. »Ich versuche eine stabile Umlaufbahn einzunehmen, aber es gelingt nicht.«

»Wo liegt das Problem?«, wollte Koschkin wissen.

»Ich bin nicht sicher, aber es sieht so aus, als wäre das Gravitationsfeld des Planeten instabil. Wenn ich die Flugbahn nach den angezeigten Werten ausrichte, um in den Orbit einzuschwenken, ändern sich plötzlich die Werte und wir werden tiefer gezogen«, ein weiterer Ruck begleitete ihre Erklärung.

»Brauchst du mich noch?«, fragte Boris an Ashley gewandt, die konzentriert weiterarbeitete und leicht ihren Blondschopf schüttelte. »Ich komme zu dir«, richtete er sich an die Japanerin und verließ den Maschinenraum, so schnell er konnte. Bis er endlich das Cockpit der Sirius erreichte, hatten noch vier weitere Schläge das Schiff erschüttert.

Mühsam bugsierte er sich in seinen Sessel und orientierte sich an den Anzeigen. Die Sirius war mittlerweile in die obere Atmosphäre des Planeten abgesackt, obwohl Hiriko fieberhaft versuchte, den Fall abzuwenden. Boris fluchte und übernahm die Schiffskontrolle. Aber auch ihm gelang es nicht, das Raumschiff zurück ins All zu steuern.

Schnell gab er diesen Versuch auf und konzentrierte sich darauf, die Flugbahn seines Schiffes so weit abzuflachen, dass er die Gleitflügel ausfahren und nutzen konnte.

»Ashley!«, rief er die Mechanikerin beunruhigt. »Wir brauchen das Haupttriebwerk und zwar jetzt!«

Als hätte die Ingenieurin auf seine Durchsage gewartet, gingen die Triebwerksanzeigen auf online und das beruhigende Vibrieren des Antriebs gesellte sich zu den Erschütterungen des Schiffes.

»Gleitflügel ausgefahren, Hauptantrieb gezündet«, meldete Tanaka. »Zwei Grad Abweichung vom berechneten Landungskurs, ein Grad, Kurs steht.«

Boris atmete erleichtert auf. Wenigstens das schien gut zu gehen. Er entspannte sich etwas, bis Hiriko plötzlich »Flugkörper voraus« meldete. Boris verkrampfte erneut. »Was?«, stieß er hervor.

»Zwanzig Flugkörper, etwa zehn Meter groß, genau in unserer Flugrichtung. Sie sind langsam, nicht schneller als sechzig Stundenkilometer, aber wenn wir den Kurs nicht ändern, donnern wir mitten rein.«

Boris passte die Flugbahn an und fragte: »Worum handelt es sich?«

Hiriko betätigte ihre Instrumente und schaltete dann auf Außenkamera. »Das glaubst du nicht!«, stieß sie hervor. »Das da voraus sind ein Haufen Drachen.«

»Drachen?«, gab Koschkin irritiert zurück, weiter auf seine Flugmanöver konzentriert.

»Ich hab doch gesagt, dass du mir nicht glaubst«, antwortete sie gereizt. »Und wie es aussieht, verfolgen sie uns nun«, ergänzte sie, nachdem das Schiff an den Tieren vorbei gerauscht war.

Boris überprüfte die Geschwindigkeit. Dreihundert Stundenkilometer zeigten seine Instrumente an. Ihre Flughöhe betrug immerhin noch zweieinhalb Kilometer. »Sollen sie ruhig«, erwiderte er. »Auch wenn wir bald abbremsen müssen, sollten deine Riesenvögel kein Problem darstellen.«

»Drachen«, beharrte Hiriko.

»Was auch immer«, konterte Boris. »Um die Rieseneidechsen kümmern wir uns später.«

»Du wirst ja sehen«, antwortete sie eingeschnappt.

»Fahrwerk ausfahren!«, befahl er ihr als Antwort.

»Fahrwerk lässt sich nicht ausfahren«, stieß sie hervor, nachdem sie vergeblich die Kommandos eingegeben hatte. »Wir werden eine Bauchlandung machen müssen.«

Nun fluchte Boris wieder, drosselte die Geschwindigkeit seines Schiffes aber weiter. Für ein Korrekturmanöver und einen Neuanflug hatte er keine Zeit mehr. »Alle sichern!«, blaffe er in das Intercom. »Wir werden unsanft landen.«

Minuten später setzte das Schiff krachend auf dem Boden auf und schlitterte funkensprühend und dreckschleudernd weiter. Mächtige Pflanzenriesen knickten um wie Strohhalme, wenn sie von dem Schiff getroffen und beiseite geschleudert wurden. Eine Schneise der Verwüstung blieb hinter dem Raumschiff zurück. Dabei grub sich die Schnauze der Sirius immer tiefer in das Erdreich ein, bis sie sich ein letztes Mal aufbäumte und zum Stehen kam.

»Gelandet«, stöhnte Boris erleichtert. »Hoffen wir, dass dieser Planet hält, was er verspricht.« Lässig schaltete er das Triebwerk aus und streckte sich in seinem Sitz. Die Schwerkraft, die seinen Körper in das Polster drückte, nahm er mit Genugtuung zur Kenntnis. Nachdem Erikson und Bender bestätigt hatten, dass auch sie wohlauf waren, meinte er zu seiner Kopilotin. »Dann wollen wir uns mal diese Welt und deine Drachen ansehen.«

Hätte er gewusst, was sich auf ihr Schiff mit etwas mehr als sechzig Stundenkilometer zubewegte, hätte er wahrscheinlich nicht so frech gegrinst, als er ihr diese Worte sagte. So berief er in aller Ruhe ein Mannschaftstreffen in der Messe ein und machte sich dann selbst auf den Weg dorthin.

10. Hiriko

Hiriko zögerte noch einen Moment. Einem unbestimmten Gefühl folgend, schaltete sie die Annäherungssensoren ein, die normalerweise nur bei Schiffsmanövern eingesetzt wurden, bei denen ein hohes Kollisionsrisiko bestand. Nach kurzer Bedenkzeit koppelte sie das System auch noch mit dem schiffsweiten Alarmsystem. Erst dann verließ auch sie die Steuerzentrale des Schiffes und folgte ihrem Vorgesetzten. Sie war die Letzte, die in der Messe eintraf. Sven saß in einem der Stühle am Tisch und wischte gedankenversunken über ein Pad, auf dem er irgendwelche Zahlenkoordinaten studierte. Dabei war der Norweger so sehr in sich zusammengesunken, dass man ihm seine Größe kaum ansah. Ashley piekste Boris gerade einen Finger in den Bauch und lachte schallend auf, während dieser versuchte, sich ihren Fingern zu entziehen.

Die Asiatin wunderte sich immer wieder, wie dieses ungleiche Paar zeitweise zusammengefunden hatte. Die beiden hatten nichts gemein. Dort die hochgewachsene durchtrainierte Amerikanerin, die ihr Gegenüber sogar noch ein wenig überragte. So laut, mit ihrem derben Humor und dem losen Mundwerk, mit mehr Feuer im Herzen, als gut für sie war. Und da Boris Koschkin. Hiriko schätzte ihren Kommandanten sehr, doch konnte sie einfach nicht begreifen, was die Amerikanerin an ihm so sehr anzog, dass sie auch jetzt ihre Finger nicht von ihm lassen konnte. Sie lächelte innerlich bei ihrem kleinen Wortspiel, ohne den Mund in ihre Emotion einzubeziehen. Er war doch so anders als diese Frau. Schon allein der Körperbau.

Boris war stämmig, aber nicht übermäßig muskulös. Hatte einen Bauchansatz, ohne aber dick zu sein. Nur wenn er sich entspannt in seinem Pilotensessel zurücklehnte, konnte sie ihn über seinem Hosenbund hinausragen sehen. Über ihre Gedanken bemerkte die Japanerin, dass Boris sich ihr zugewandt hatte und sich seine Miene erleichtert glättete.

»Da bist du ja endlich«, sagte er mit einer gewissen Erleichterung in seiner Stimme. Prompt bohrte sich ein weiterer Finger in seine Seite. »Jetzt reicht es aber!«, platzte Boris, griff sich die Hand der Amerikanerin in einer schnellen Bewegung und schlug ihr auf die Finger, wie man es vielleicht bei einem unerzogenen Kind machen würde.

Ruhig und besonnen ist er nur, wenn es nicht gerade um Ashley geht, stellte Hiriko wieder einmal fest. Laut sagte sie: »Sollten wir nicht anfangen?«

»Vollkommen richtig!«, erwiderte Koschkin und brachte zwei Armeslängen Sicherheitsabstand und einen Tisch zwischen sich und Ashley, bevor er sich zu Sven setzte. Auch die Blondine und Hiriko setzten sich schließlich. Boris eröffnete die Unterredung mit der traurigen Nachricht, dass der Schiffsarzt während der letzten Ereignisse umgekommen war. Diese Nachricht brachte schließlich die nötige Ernsthaftigkeit in die Runde zurück. Die genauen Umstände, die zum Tod des Doktors geführt hatten, verschwieg der Russe den beiden Uneingeweihten allerdings. Stattdessen berichtete er nur, dass es in der Bioabteilung zu einem verheerenden Feuer gekommen wäre, dem der Deutsche zum Opfer gefallen war. Dann schwieg er eine Weile, damit Ashley und Sven die Möglichkeit hatten, das eben Gehörte zu verarbeiten. Hirikos finsteren Blick mied der Kommandant währenddessen. Sein Vorschlag, zunächst etwas zu essen, bevor sie sich den zukünftigen Plänen zuwenden würden, wurde einhellig angenommen. So saßen sie eine Weile schweigend zusammen, jeder an einer Konzentrat-Mahlzeit saugend und den eigenen Gedanken nachhängend. Das Schweigen wurde schließlich von Ashley gebrochen. »Und jetzt?«, fragte sie spitz. »Wo sind wir denn eigentlich runtergekommen?«

Boris wollte gerade etwas erwidern, als der Schiffsalarm losging. Alle sprangen auf.

»Was hat das zu bedeuten?«, wollte Erikson wissen.

»Ich habe die Annäherungssensoren mit dem Alarm gekoppelt. Etwas nähert sich der Sirius. Und das ist groß genug, um die Sensoren auszulösen«, sagte Hiriko kühl.

»Was zum …«, begann Boris, bevor er sich in Bewegung setzte und in Richtung des Cockpits eilte. Seine Mannschaft heftete sich umgehend an seine Fersen. Noch bevor sie das Kommandozentrum des Schiffes erreichten, konnten sie mehrere dumpfe Aufschläge und ein ekliges Kratzen vernehmen, ein Geräusch, was entstand, wenn man mit etwas sehr Hartem an Metall entlang kratzte. Koschkin hatte sich bereits in den Pilotensessel geschwungen und den Alarm abgeschaltet, als die anderen den Raum füllten.

»Werden wir beschossen?«, brachte Sven verwirrt hervor. Mit einigen geübten Handbewegungen aktivierte Boris die Außenkameras und ließ sich gleichzeitig die Sensorwerte auf seinen Arbeitsschirm legen. Die Bilder der Kameras überraschten den Russen jedoch so sehr, dass ihm selbst der Fluch, der ihm schon auf der Zunge lag, im Halse steckenblieb.

»Wer hat denn hier Jurassic Park gespielt?«, erklang stattdessen Ashleys Stimme. »Das ist ja mal ein Haufen wütender Dinos.«

»Was redest du denn da von Dinos?«, entgegnete Sven, als er sich an ihr vorbeischob, um auch etwas zu sehen. Er verstummte augenblicklich, als er ebenfalls die Kameraübertragung erblickte.

Hiriko sagte nichts, die Bilder sprachen für sich. Sie würde das Wort nicht wieder als Erste aussprechen, welches sich bei diesen Bildern immer wieder in ihrem Geiste formte.

»Ich fass es nicht!«, stieß Erikson schließlich hervor. »Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Diese Körperform, der Schwanz und diese Flügel …« Er keuchte, als eines der Wesen direkt in die Kamera sah, die es fokussierte.

»Die Viecher zerkauen meinen schönen Antrieb!«, kreischte Ashley entsetzt. »Seht euch das an, als wären die Verbindungselemente aus Gummi!«

»Was macht der denn da?«, rief Erikson erregt. »Der, der uns durch die Linse hindurch direkt anzusehen scheint. Seht ihr, wie sich seine Nüstern weiten?«, sein Mund blieb offen stehen, als sich eine Glutlohe auf die Kamera zubewegte und das Bild ausfiel. Fieberhaft schaltete Boris auf eine der anderen Kameras.

»Hat das Vieh gerade Feuer gekotzt?«, fragte Ashley fassungslos. »Da …«, setzte sie nach, »der da hinten auch!« Gebannt beobachteten sie, wie ein weiteres der Tiere tief einzuatmen schien und Sekunden später eine Feuerlanze auf das Schiff spie.

»Unfassbar«, hauchte Erikson.

»Die machen alles kaputt!«, jammerte Ashley.

»Drachen«, murmelte Koschkin tonlos. »Das da sind tatsächlich Drachen«, er konnte es einfach nicht glauben, obwohl er diese gewaltigen Wesen gerade mitten in Aktion erlebte. »Echte lebendige feuerspeiende Drachen. Das ist doch nicht möglich. Wir müssen halluzinieren.«

»Alle gleichzeitig?«, sagte Ashley zweifelnd. »Warte, das haben wir gleich.« Ohne den Blick von dem Schauspiel des Bildschirmes abzuwenden, kniff sie Koschkin dermaßen fest in den Oberarm, dass Blut austrat.

»Au!«, schrie Boris auf. »Was soll das?«

»Du träumst nicht«, meinte die Blondine spitz. »Und da du das Gleiche siehst wie wir, sind wir wohl alle wach. Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass das da draußen tatsächlich Drachen sind.«

»Und die scheinen nicht gut auf uns zu sprechen zu sein«, stellte Erikson tonlos fest.

»Mein Großvater hat mir immer von Drachen erzählt«, sagte Hiriko leise. »Er meinte, dass sie die Erde verlassen hätten, um in eine bessere Welt zu gehen. Ich habe immer gedacht, das wären Märchen für Kinder, aber jetzt glaube ich, dass an den alten Geschichten doch etwas dran sein könnte.«

»Drachen hin oder her«, warf Ashley ein. »Wenn die Viecher so weitermachen, können wir den Antrieb total vergessen. Können wir denn nichts gegen sie unternehmen?«

»Was denn?«, erwiderte Erikson verstört. »Haben wir seit neuestem irgendwelche Geschütze an Bord, von denen ich noch nichts weiß?«

Schweigend betrachteten die vier eine Weile die blinde Zerstörungswut der Drachen. Als es begann, dunkel zu werden, schaltete Boris die Kameras ab.

»Es hat keinen Sinn, ihnen weiter zuzusehen«, meinte er trocken. »Ändern können wir auch nichts daran. Wir müssen hoffen, dass sie sich irgendwann beruhigen und das Interesse an uns verlieren.«

»Du willst sie einfach weitermachen lassen?«, brachte Ashley verständnislos heraus.

»Eine direkte Gefahr für uns sind sie momentan jedenfalls nicht. Darum schlage ich vor, dass wir uns fürs Erste ausruhen. Das ist das Sinnvollste, was wir im Moment machen können.« Da sich niemand von der Stelle zu rühren gedachte, fügte er: »Geht schlafen, das ist ein Befehl!«, in schärferem Ton hinzu. »Ich werde noch alle nicht benötigten Systeme abschalten und mich dann ebenfalls für ein paar Stunden hinlegen.« Niemand widersprach ihm und schon kurze Zeit später war Hiriko in ihrer Kabine.

Schlafen konnte sie aber noch lange nicht. Stattdessen lauschte sie dem Zerstörungswerk der Drachen und dachte an ihre Familie. Daran, wie es ihnen wohl ging und ob sie ihr Zuhause auf der Erde je wiedersehen würden.

11. Boris

Nachdem Koschkin alleine auf der Brücke war, versuchte er eine weitere Datenbank für die Blackbox anzulegen. Doch das Gerät reagierte nicht auf ihn. Verwundert und erstaunt blickte er auf den kleinen schwarzen Würfel herab. So etwas sollte eigentlich nicht passieren. Da er aber nichts daran ändern konnte, gab er nach einigen Versuchen auf. Müde schaltete er die letzten nicht lebensnotwendigen Geräte aus, verstaute den Würfel wieder und machte sich auf den Weg in sein eigenes Quartier. Seine Begleitung waren die dumpfen Schläge der Drachen auf seinem Schiff, die ihn daran erinnerten, dass er hier in einer völlig anderen Welt war.

Borisʼ Gedanken kreisten auch weiter um den Planeten und seine Monde, als er endlich im Bett lag und sich viele Fragen stellte.

Wie sie sich wohl der Ressourcen bedienen konnten, die sie hier vorfanden? Waren die Pflanzen und Tiere als Nahrung geeignet? Gab es hier noch Gefährlicheres als diese Drachen und wie sah das mit den Mikroorganismen dieses Alien-Ökosystems aus?

Doch woran Koschkin auch dachte, war Till Segschneider. Immer wieder führten ihn seine Gedanken zu seinem verstorbenen Kameraden zurück. Er bedauerte den Tod des Deutschen sehr, nicht nur emotional. Bei den vielen Fragen, die ihn beschäftigten, hätte er gerne auf das Fachwissen des Mediziners zurückgegriffen.

Diese Gedanken und die Bilder des Toten, wie er brennend ein ums andere Mal auf die Scheibe einschlug, überschatteten seine Überlegungen zudem immer wieder. Selbst als ihn irgendwann doch der Schlaf übermannte, verfolgte ihn der Doktor bis in seine Träume. Brennend, schreiend und anklagend.

12. Ashley

Schlaf wurde ihrer Meinung nach völlig überbewertet. Gerade jetzt war keine Zeit dafür. Ihr Maschinenraum war ein Trümmerfeld und die verfluchten Drachen machten sich immer weiter an der Außenhaut und den Hyperraumantennen zu schaffen. Das sagte ihr der Lärm, den die Viecher bei ihrem Zerstörungswerk verursachten, deutlich.

Beiläufig schluckte sie noch eine Tablette und spülte sie mit einem Energiedrink hinab. Dann machte sie sich wieder an die Arbeit. Die Listen der Schadensmeldungen war immens, was es schwierig machte konkrete Prioritäten zu setzen. Stunden vergingen, während sie arbeitete, doch fühlte es sich an, als käme sie nicht voran.

Erst, als sie das automatische Reparatursystem wieder in Gang bringen konnte, wurde es langsam besser. Oder genauer: Es half, Ordnung in das Chaos von Fehlern zu bringen.

Ashley fluchte. Erst durch die erweiterten Angaben, die ihr nun zur Verfügung standen, wurde klar, wie viele Systeme des Schiffs beschädigt waren. Ihr Katerchen hatte wirklich ganze Arbeit darin geleistet, ihr Baby zu zerlegen. Und diese verfluchten geflügelten Bunsenbrenner gaben dem Schiff gerade den Rest.

Während sie sich wieder einmal durch die Listen arbeitete, kam eine neue Erkenntnis an die Oberfläche. Doch diese wollte Ashley einfach nicht akzeptieren. Nein! Sie würde das Schiff nicht aufgeben, auch wenn es schier unmöglich schien, dass die Sirius7 jemals wieder ins All fliegen würde.

Sie nahm noch eine Tablette und musste kurz an den Doktor denken. Doch Till war tot. Und er würde sicher verstehen, dass es nötig war. Schließlich hatte sie noch sehr viel Arbeit vor sich.

13. Hiriko

Tanaka war die Erste, die aus ihrem Traumgespinst erwachte. Still lag sie auf ihrem Bett und dämmerte immer noch schlaftrunken vor sich hin. Es vergingen Minuten, bis sie die Stille realisierte und begriff, was es bedeuten musste. Die Drachen hatten endlich von der Sirius abgelassen.

Schlagartig war sie hellwach.

Sie sprang behände aus ihrer Koje, schlüpfte in ihren Pilotenoverall und begab sich zügig in Richtung des Cockpits. Während sie durch die Messe ihrem Ziel entgegensteuerte, grapschte sie sich im Vorbeigehen eine Konzentrat-Ration, riss die Verpackung auf und saugte daran. Unzufrieden verzog sie das Gesicht, während sie weiter eilte. Truthahnbraten war generell nicht so ihr Ding, aber als Frühstück taugte es wirklich nichts.

Endlich erreichte sie ihr Ziel und ließ sich in den Pilotensessel fallen, in dem normalerweise Koschkin saß. Geübt wanderten ihre Finger über die Instrumente. Durch ihre Bemühungen erwachten die Anzeigen vor ihr zu neuem Leben. Ungeduldig zappte sie durch die Außenbordkameras und betrachtete die Bilder, die sie auf das Display warfen. Zwar war rund die Hälfte der Kameras ausgefallen, doch die übrigen bestätigten ihr das, was sie hörte. Die Drachen waren fort. Ein wenig enttäuscht, aber doch erleichtert, lehnte sie sich zurück.

Den Gedanken, die ganze Sache doch geträumt zu haben, verwarf sie sogleich wieder, denn die Spuren der Zerstörung waren auch nach dem Abzug dieser Fabelwesen gut auszumachen. Vor allem das Heck war übersät mit Kratzern und Rillen, die durch die Krallen der Tiere entstanden waren. Die Rußflecken, die sie überall auf der Außenhülle erkennen konnte, ebenso. Den mächtigen Antrieb der Sirius konnte sie nicht einsehen. Die dortigen Kameras waren alle der Wut der Drachen zum Opfer gefallen.

»Morgen, Hiriko«, erklang da eine etwas belegte Männerstimme vom Eingang zu ihr herüber und riss sie aus ihren Gedanken. »Kann ich meinen Platz wiederhaben?«

»Natürlich«, antwortete sie und räumte den Sessel, in dem sich nun Boris niederließ.

»Sie sind fort«, stellte sie fest.

»Das ist gut«, erwiderte er ruhig. »Dann können wir uns die Schäden einmal von außen ansehen. Vielleicht können wir uns auch gleich ein besseres Bild von unserer Umgebung machen.«

»Ich empfehle, vorsichtig zu sein. Schließlich sind wir in einem uns völlig fremden Ökosystem gelandet. Wer weiß, was wir uns da draußen alles einfangen können.«

Koschkin nickte sinnend. »Früher oder später müssen wir uns trotzdem der Umwelt aussetzen. Aber für unseren ersten Außenspaziergang sind die Raumanzüge sicher die bessere Wahl.«

»Weißt du schon, wer nach draußen soll?«, fragte Hiriko zurück.

»Auf jeden Fall Ashley«, überlegte Koschkin laut. »Sie kann die Schäden noch am besten einschätzen. Sven würde ich gerne daran setzen, die Daten dieser Welt, die das Schiff während unserer Landung gesammelt hat, auszuwerten. Einer von uns sollte hier den Außeneinsatz überwachen. Der andere kann Ashley begleiten«, er machte eine Pause, als wartete er auf eine Erwiderung von ihr, doch die Japanerin schwieg. »Was willst du?«, fragte er nach. »Überwachen oder die Füße vertreten, du hast die freie Wahl.«

»Dann mache ich den Ausflug mit«, entschied sie. »Ich mache mich dann mal auf den Weg zur Schleuse.«

Bevor sie ging, streckte sie Koschkin die Ration hin, die sie sich gegriffen hatte. »Frühstück?«, fragte sie ihn. Wortlos nahm er das Konzentrat entgegen und begann daran zu saugen. Dabei drehte er sich den Monitoren zu. Hiriko verstand und machte sich auf den Weg, als Koschkin ihr nachrief:

»Geh auf dem Weg zur Schleuse bei Ashley vorbei und nimm sie gleich mit. Das Intercom ist auch ausgefallen. Das soll sie sich gleich als Erstes ansehen, wenn ihr wieder zurück seid.«

»Hatte ich sowieso vor«, erklärte die Asiatin. »Wie ich sie kenne, würde sie sonst den ganzen Morgen verschlafen.« Boris nickte grinsend und wandte sich dann wieder ab. Und sie machte sich endgültig auf den Weg.

Unterwegs machte sie einen kurzen Stopp in der Messe, um sich dieses Mal in Ruhe etwas aus den Konzentrat-Rationen auszusuchen, was ihr mehr zusagte, und packte gleich etwas für Ashley ein. Dann ging sie schnurstracks zum Raum der Amerikanerin.

Entgegen ihrer Prophezeiung war sie jedoch schon auf den Beinen und kam ihr mit Erikson entgegen. Hiriko setzte beide kurz ins Bild und ging dann mit Bender weiter zur Außenschleuse. Nachdem die beiden Frauen sich in ihre Raumanzüge gezwängt hatten, öffneten sie das Außenschott und betraten zum ersten Mal die Oberfläche des Planeten.

»Unglaublich!«, erklang Ashleys Stimme in Hirikos Helmlautsprecher.

»Nicht wahr?«, sagte sie. »Wir sind die ersten Menschen, die einen Fuß auf einen anderen Planeten setzen, auf dem wir ohne Habitat-Kuppeln oder andere technischen Hilfsmittel existieren können.«

»Das auch, aber das meine ich gar nicht«, erwiderte Ashley knapp. »Hast du dich mal umgesehen?« Hiriko schaute sich um.

»Und?«, fragte sie ein wenig begriffsstutzig.

»Die Bäume?«, entgegnete die Ingenieurin etwas genervt. Hiriko betrachtete die Bäume, die das Raumschiff umgaben.

»Das Schiff hat viele umgerissen«, stellte sie fest.

»Das meine ich auch nicht«, widersprach Ashley gereizt. »Fällt dir das denn gar nicht auf?«

»Was meinst du denn?«, gab Hiriko nun ebenfalls entnervt zurück.

»Na wie sie aussehen, meine ich«, entgegnete die Blondine entschieden.

»Was soll denn mit denen sein?«, zischte Hiriko zurück. »Das sind ganz normale Bäume.«

»Eben«, konterte Ashley triumphierend. »Das sind nicht nur ganz normale Bäume, sondern Fichten, Buchen und einige Tannen sehe ich auch. Geschnallt?«

Hiriko starrte verständnislos auf die Pflanzen, begriff aber immer noch nicht, was Ashley meinte. Diese fuhr fort: »Ich bin keine Botanikerin und erst recht keine Exobiologin, aber man müsste doch meinen, dass Pflanzen, die sich auf einem anderen Planeten entwickeln, nicht genauso aussehen wie bei uns. Halloho, jetzt geschnallt?«

Langsam begriff Hiriko, worauf die Technikerin hinauswollte. Nun bemerkte auch sie weitere Bäume, die sie kannte. Langsam ging sie auf einen der Baumriesen zu, die das Schiff umgeworfen hatte, und sammelte ein paar der Früchte auf, die auf dem Boden verstreut lagen.

»Das hier war ein Apfelbaum«, stellte sie bestürzt fest.

Der Baum war größer und deutlich verwilderter als die Bäume, die sie von den Apfelplantagen der Erde kannte, aber ansonsten konnte man ihn gut als Apfelbaum erkennen. Auch seine Früchte sahen aus wie die Äpfel, die sie kannte. Nur eben nicht ganz so perfekt und rot wie in den Einkaufszentren ihrer Heimat. Sie füllte einige in einen Sammelbehälter und begann nach weiteren bekannten Gewächsen zu suchen.

Ashley schien sich wieder gefangen zu haben und startete ihrerseits mit einer Inspektionsreise um das Schiff herum. Dabei fluchte und schimpfte sie dermaßen ausfallend und laut, dass Hiriko nach einer Weile die Lautstärke ihres Helmes reduzierte, um sich auf ihre eigene Exkursion konzentrieren zu können.

Erst als nach vier Stunden die Luftreserven ihrer Anzüge zur Neige gingen, kehrten die beiden Frauen in die Sirius zurück. Noch während sie sich umzogen, erschien Borisʼ Gesicht am Bullauge der Schleuse und seine Stimme knarrte aus der Gegensprechanlage der Schleuse.

»Wenn ihr umgezogen seid, kommt in die Messe!«

Wenig später hatte sich die kleine Mannschaft des Raumschiffes im Aufenthaltsraum der Sirius eingefunden, um ihre Erkenntnisse auszutauschen. Dass dieser Planet eine ganze Reihe von bekannten Pflanzen aufwies, war nur eine der Neuigkeiten der Besprechung. Sven hatte die Daten des Vortages gründlich geprüft und sichere Anzeichen von intelligentem Leben auf dem Planeten ausgemacht.

»Das ist nicht dein Ernst?«, unterbrach Hiriko ihren Kollegen in ungewohnt impulsiver Art. Die anderen waren so überrascht von der Reaktion der Japanerin, dass für einen Moment alle Augen auf sie gerichtet waren und sich Schweigen im Raum ausbreitete. Hiriko merkte, wie sie errötete. »Entschuldige bitte meine Unterbrechung«, brachte sie leise hervor und verbeugte sich vor Sven, nach den Gepflogenheiten ihres Heimatlandes.

»Ich mache keine Scherze«, fand der Norweger seine Stimme wieder. »Nach meinen Erkenntnissen haben wir sogar mehrere Siedlungsgebiete überflogen. Da wir aber keine nennenswerten Energiewerte oder Signalwellen empfangen haben, schätze ich, dass die auf diesem Planeten existierende Gesellschaft vorindustriell ist.«

»Jetzt mal langsam«, mischte sich jetzt Ashley ein. »Du willst uns erzählen, dass hier die kleinen grünen Männchen leben oder wie jetzt?«

»Ob sie grün und klein sind, weiß ich nicht«, setzte der Norweger verärgert an.

»Lasst den Quatsch«, unterbrach Boris beide. »Ich habe mir Svens Daten angesehen und es besteht kein Zweifel. Nach den Informationen, die ich gesehen habe, ist die nächste von uns ausgemachte Siedlung der Ureinwohner etwas mehr als sechzig Kilometer von unserer Landestelle entfernt. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sie unsere Landung ebenfalls bemerkt haben.«

»Dann werden wir wohl bald Besuch bekommen«, grübelte Ashley.

»Davon gehe ich auch aus«, bestätigte Boris. »Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein.«

»Vorausgesetzt«, meldete sich Hiriko zurück, »sie sind uns Menschen bezüglich ihrer Neugier ähnlich.«

»Ja«, entgegnete Koschkin, »davon sollten wir aber sicherheitshalber ausgehen. Trotzdem sind die Einheimischen aber nicht unser dringlichstes Problem. Während ihr beiden die Außenwelt erkundet habt, sind immer wieder unerklärliche Fehlermeldungen bei mir eingegangen. Es ist fast so, als nähme das Schiff permanent weiteren Schaden.«

»Jetzt hör aber mal auf!«, empörte sich Ashley. »Unser Schiff hat ganz schön was mitgemacht, da brauchst du dich nicht wundern, wenn so viel kaputt ist. Ich hatte ja noch gar keine Zeit …«

»Das meine ich nicht«, unterbrach Boris ihren Redeschwall. »Die Systeme versagen immer weiter, ohne dass es einen ersichtlichen Grund hätte.« Als wollte das Schiff Borisʼ Worte unterstreichen, fiel genau in diesem Moment das Licht in der Messe aus. »Das meine ich«, kam der trockene Kommentar des Russen aus der Finsternis, die dann durch die anspringende Notbeleuchtung wieder vertrieben wurde.

»Das kann an den Generatoren liegen«, überlegte Ashley, »oder an den Leitungen, vielleicht ist auch die Energiespannung zu schwankend«, sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann dir dazu erst mehr sagen, wenn ich mir alle Schäden näher angesehen habe. Im Moment kann ich dir aber schon einmal mitteilen, dass wir hier für einige Zeit festsitzen werden. Der Hyperraumantrieb ist ausgebrannt und die Außenhülle ist dank unserem Empfangskomitee und der Bruchlandung löchriger als deine Socken.«

»Jetzt hör endlich auf!«, polterte Boris. »In unserer Situation erwarte ich Professionalität und sachliche Aussagen von meiner Crew!«

Hiriko bemerkte, wie sich die Amerikanerin anspannte. Ihre Augen funkelten kurz auf. »Sachliche Fakten willst du?«, fragte sie ungewöhnlich leise. »Kannst du haben.« Damit holte sie Luft und begann dann Fakten der Schiffssysteme herunterzurasseln. Ihre Aufzählung war ernüchternd.

»… den Zustand des Primärantriebes, des Hyperraumantriebes und der Navigationsdüsen kann man abschließend kurz als Totalausfall klassifizieren. Ich bin zwar Spitzenklasse, aber wenn keiner von euch zufällig eine Fabrik für Elektronikteile, eine Legierungsschmelze und eine Treibstoff-Raffinerie in der Hosentasche versteckt hat, können wir eine Instandsetzung der Sirius im Grunde vergessen.«

Betretendes Schweigen folgte ihren klaren Worten.

»Das Schiff ist also schrottreif?«, durchbrach Boris das Schweigen.

»Es taugt höchstens noch als überdimensionale Hightech-Behausung«, bestätigte Ashley ihm knapp.

»Wir hängen hier fest?«, stieß Erikson halb fragend aus, während Hiriko nur betrübt ihren Kopf senkte.

Koschkin, der geistesabwesend mit einem der von Hiriko gefundenen Äpfel spielte, erhob sich abrupt. »Gut«, sagte er dann, »machen wir das Beste aus unserer Lage.« Mit diesen Worten biss er in die Frucht, die er bisher nur von der einen, in die andere Hand hatte wandern lassen.

»Bist du bescheuert?«, empörte sich Ashley erschrocken. Auch Hiriko und Sven starrten ihren Kommandanten fassungslos an, hatte er doch gerade die Grundregeln ihrer Ausbildung für außerirdische Nahrungsmittel verletzt. Unerschrocken kaute der Russe ein paar Mal und schluckte den Brei anschließend hinunter.

»Lecker«, kommentierte er, ohne dem Unglauben seiner Mannschaft Beachtung zu schenken. »Wenn wir hier festsitzen, müssen wir uns um verschiedene Dinge kümmern«, er wischte sich den Fruchtsaft von seinem Kinn und sprach dann weiter: »Eines davon ist die Nahrung. Wir haben keine Möglichkeit, potenzielle Lebensmittel im Labor zu untersuchen. Also müssen wir sie anders testen.« Er biss wieder in den Apfel und kaute.

»Und wenn der giftig ist?«, platzte es aus Ashley heraus.

»Oder biologisch kontaminiert?«, ergänzte Sven besorgt.

»Dann werde ich das bald merken«, entgegnete Boris kühn.

»Wir haben doch genügend Nahrung und Trinkwasser an Bord«, warf Hiriko ein.

»Für ein paar Monate«, schränkte Sven nachdenklich ein. »Der Kommandant hat recht. Wenn Ashleys Einschätzung stimmt, brauchen wir alternative Nahrungsquellen.«

»Das ist einer der Punkte«, stimmte der Russe zu. »Nahrung und Ressourcensuche müssen für uns eine hohe Priorität haben. Aber die Reparatur des Schiffes ist auch wichtig.«

»Hast du mir eben nicht zugehört?«, fragte die Blondine verdrießlich. »Oder soll ich dir die Aufzählung noch einmal buchstabieren?«

»Ich meine nicht die Antriebe, sondern die Grundfunktionen wie Elektrizität, Licht, Lebenserhaltung und Recycling. Aber auch die Sensoren wären für uns nützlich. Wir haben keine Ahnung, wie die Einheimischen auf uns oder das Schiff reagieren werden.«

»Wenn sie uns entdecken«, bemerkte Erikson.

»Was nicht allzu schwer sein dürfte«, entgegnete Hiriko. »Wir haben eine mordsmäßige Schneise in den Wald gerissen, als wir runtergekommen sind.«

»Wir sind alle Profis«, beruhigte Koschkin seine Mannschaft. »Wir werden auch mit dieser Situation zurechtkommen«, ernst schaute er sie an. Drei Augenpaare erwiderten seinen Blick. »Da wir hier festsitzen und nicht auf Rettung hoffen können, sollten wir uns zunächst auf das Wesentliche konzentrieren.«

»Und das wäre?«, fiel ihm Ashley ins Wort.

»Das wäre zunächst einmal«, sagte Koschkin unbeirrt, »zu überprüfen, welche Schiffsressourcen wir noch zur Verfügung haben, um uns hier behaupten zu können.«

»Nahrungsmittel und Wasser sind fürs Erste kein Problem. Da reichen unsere Reserven«, meinte Erikson nachdenklich.

»Außerdem scheint es hier genügend Essbares zu geben«, ergänzte Tanaka, Boris mahlenden Kiefer nicht aus den Augen lassend. »Weshalb die Flora dieses Planeten der Erdvegetation so ähnlich ist, verstehe ich aber nicht.«

Kauend erwiderte Koschkin: »Die Frage, weshalb wir hier auf Gewächse gestoßen sind, die wir von zuhause kennen, muss zunächst zurückstehen. Zuallererst ist dieser Fakt eine Erleichterung für unser Überleben, wenn wir die hiesigen Früchte essen können. Wichtiger scheint es mir zu sein, Verteidigungsmöglichkeiten gegen die heimische Fauna zu finden. Diese Drachen scheinen äußerst aggressiv zu sein.«

»Vielleicht können uns die Ureinwohner helfen?«, warf Erikson unsicher ein. »Die kennen sich bestimmt aus.«

»Wir wissen über die hier lebenden Einheimischen genau so wenig, wie über die anderen Gefahren dieser Welt. Vielleicht können wir uns mit ihnen anfreunden, vielleicht auch nicht. Ich möchte aber auf jeden Fall darauf vorbereitet sein, wenn es Probleme gibt«, entgegnete Koschkin kühl. »Im Moment ist die Sirius immer noch der beste Schutz, den wir haben.«

»Die Wände sind stark und durch die Schleusen kommt ohne unser Zutun auch nichts«, pflichtete Bender ihm bei.

»Nicht ohne Weiteres jedenfalls«, relativierte Hiriko. »Aber die Sirius ist hier mehr als auffällig, trotz der Bäume um uns herum.«

»Trotzdem wird sie unsere Basis sein«, legte Boris bestimmt fest. »Von ihr aus können wir diese neue Welt erkunden, ohne uns Gedanken über einen sicheren Unterschlupf machen zu müssen. Ein Problem dabei ist natürlich, dass die Sirius zu groß ist, um sie einfach zu verstecken. Und die Schneise, die wir gerissen haben, ist auch nicht gerade hilfreich. Es wird also unsere erste Aufgabe sein, Besucher, egal welcher Art, möglichst früh zu bemerken, um uns auf sie einstellen zu können.«

»Dafür können wir einige Sensoren und Kameras modifizieren und um das Schiff herum verteilen«, schlug Ashley vor.

»Die vielen Bäume um uns herum sollten dafür gut geeignet sein«, schloss sich Hiriko ihrer Meinung an.

»Wir müssen aber auch unsere Verteidigungsfähigkeit verbessern«, brachte Sven ein weiteres Problem zur Diskussion. »Wir haben keine Waffen, nur die Hülle der Sirius als Schutz. Wenn jemand hartnäckig genug ist, stehen wir ziemlich dumm da.«

»Wir haben zwar keine Waffen an Bord, aber vielleicht können wir einige Werkzeuge so modifizieren, dass sie auch als Waffen taugen«, gab die Amerikanerin zurück. »Das müsste machbar sein.«

»Gute Idee«, lobte Boris. »So kann es klappen. Gibt es noch weitere Vorschläge oder Fragen?«

Keiner der anderen meldete sich.

»Nein? Gut, dann machen wir uns mal an die Arbeit. Hiriko, Sven und ich werden abwechselnd im Cockpit Wache halten und die Umgebung beobachten. Die anderen helfen Ashley bei der Modifikation und dem Ausbau unseres Sicherheitsnetzes. Wenn sie uns gezeigt hat, wie wir die Geräte aus- und umbauen können, kann sie sich um die Waffenproduktion kümmern. Sven hat die erste Wache«, kommandierte er befehlsgewohnt. »Also los.«

Zwischenspiel

Es lebte.

Vielleicht nicht in der Form, wie die meisten intelligenten Lebewesen Leben definieren würden, doch war diese Tatsache für es unerheblich. Es dachte und fühlte auch nicht, wenn man die allgemeine Definition für diese Vorgänge heranzog. Und doch erinnerte es sich auf eine unfassbare, fremdartige Weise. Es war klein und schwach.

Doch hatte es ein klares Bild einer Form, die es einmal besessen hatte. Seine jetzige Existenzform war unbefriedigend und unzureichend, sie musste angepasst werden. Es rührte sich.

Unmerklichen Vibrationen gleich waberte es in dem Kokon aus erstarrtem, hart gebackenem Kohlenstoff, der es umgab. Irgendwann brach die Hülle auf. Es war nur ein hauchfeiner Riss, mikroskopisch klein, gerade so groß, dass es Zelle für Zelle hindurch sickern konnte. Dann hatte es endlich Platz.

Sich auszudehnen, seine richtige Form anzunehmen, war das Ziel. Doch so einfach war es nicht. Es brauchte Kraft, Energie und Material, aus dem es mehr hervorbringen konnte. Der Kohlenstoffkokon konnte es nutzen, doch dieser Stoff alleine reichte nicht.

Nachdem es frei war, gab es aber mehr anderes um es. Moleküle, die auf es entlang strichen, Sauerstoff und andere Elemente, die es nutzen konnte. Es erkannte natürlich nicht die Stoffe an sich, aber es registrierte, was es brauchte. Und es hatte ein Ziel.

Es musste wachsen, seine Form zurückgewinnen. Die es umgebenden Bedingungen waren ein Anfang. Seine Genesung begann. Es würde mehr werden.

14. Hiriko

Die nächsten Tage waren für jeden der Gestrandeten anstrengend und nervenaufreibend. Die Arbeit an ihrem Plan, die Umgebung des Schiffes zu einer Sicherheitsperipherie auszubauen und sich gleichzeitig wieder an die anhaltende Schwerkraft zu gewöhnen, war für die erfahrenen Raumfahrer noch das kleinste Problem.

Hiriko war froh, dass sie nicht lange genug im All gewesen waren, um die gleichen Probleme wie Astronauten früherer Zeiten zu haben, die nach einem langen Aufenthalt im All völlig entkräftet der Schwerkraft nichts mehr entgegenzubringen hatten. Ihre Ausbildung und die regelmäßigen Trainingseinheiten an Bord hatten sie vor dem gefürchteten Muskelschwund bewahrt.

Auch die vertraute und gleichzeitig so fremde Welt, auf der sie nun gestrandet waren, zehrte nicht so sehr an ihren Nerven, wie die immer klarer werdende Erkenntnis, dass sie die Erde wahrscheinlich nie wieder betreten würden.

Dass sich ein Abbild ihrer Heimat jede Nacht am Himmel zeigte, verschlimmerte ihren seelischen Schmerz nur zusätzlich. Es war fast so, als machte sich dieser Planet auf subtile Art und Weise über sie lustig. Dass ihr Bordarzt und Freund den Flug nicht überlebt hatte, bedrückte sie zusätzlich, obwohl keiner von ihnen offen darüber sprach.

Koschkin hatte sogar Albträume, in denen er die Geschehnisse auf der Krankenstation erneut durchlebte. Nicht, dass er mit ihr darüber geredet hatte. Sie wusste es nur, weil sie ihn manchmal Tills Namen schreien hörte.

Die Gestrandeten sprachen wenig miteinander. Jeder von ihnen war mit seinen Aufgaben und eigenen Gedanken beschäftigt. Hiriko spürte die sich immer weiter aufheizende Gereiztheit und gleichzeitige Niedergeschlagenheit der Mannschaft. Doch wusste sie nicht, wie sie etwas daran ändern konnte.

Die anhaltenden Fehlfunktionen des Schiffes taten der Stimmung ebenfalls nicht gut. Vor allem Ashleys Gemüt wurde durch jede neue Fehlfunktion schwer aus der Fassung gebracht. Da sie die Einzige war, die sich detailliert mit Technik auskannte, war sie es, die die Modifikationen entwickeln und den anderen erklären musste. Erst dann konnten sich die Übrigen nützlich machen. Doch mit jedem vergehenden Tag reagierte sie ungehaltener und brachte weniger Geduld mit ihren Leidensgenossen auf, wenn diese nicht sofort begriffen, was sie machen sollten. Trotz alledem erreichten sie schließlich ihr erstes Ziel.

Sie hatten alle Geräte für ihre Sicherheitszone modifiziert und an verschiedenen Punkten um das Schiff herum angebracht. Nun standen sie gemeinsam um den Kommandantensitz und warteten darauf, dass Boris das erste Mal alle Überwachungsgeräte aktivierte.

Feierlich nahm Koschkin die letzten Einstellungen vor, dann aktivierte er die Geräte. Die Spannung in dem kleinen Raum war fast unerträglich, als die Bildübertragungen der Überwachungsgeräte auf dem Display erschienen. Jubel brannte auf, der jäh erstarb, als gleichzeitig vier der neun Übertragungen ausfielen.

»Wer hat das verbockt!«, schrie Boris wütend auf.

»Das kann nicht sein«, hauchte Hiriko.

»Ich habe alle Geräte vor der Installation nochmal überprüft. Alle liefen einwandfrei«, verteidigte sich Ashley, nachdem sie einen derben Fluch von sich gegeben hatte.

Nur Sven sagte nichts, fassungslos auf den Bildschirm starrend. Tage der Arbeit vergebens.

Koschkin war außer sich:

»Das ist doch Sabotage! Wir werden irgendwie sabotiert«, wiederholte er immer zu.

»Wer soll das denn gewesen sein?«, fragte Erikson tonlos, selbst mit seiner Fassung ringend.

Boris fuhr zu ihm herum. Seine Augen sprühten vor Zorn, als er drohend erwiderte: »Meistens der, der so dumm fragt.«

»Was soll das?«, brüllte nun auch Erikson. »Wahrscheinlich warst du es selbst.« Der Norweger, normalerweise immer auf die Form bedacht, war nun ebenfalls außer sich. »Wem haben wir denn den ganzen Mist zu verdanken?«, fragte er ätzend. »Doch wohl nur dir alleine.«

»Worauf spielen Sie an?«, grollte Boris und erhob sich aus seinem Sessel.

»Darauf, dass du seit unserem großen Sprung nur Mist gebaut hast!«, entgegnete Sven provozierend. »Wer hat denn den Sicherheitsabstand nicht eingehalten, den ich ausgerechnet hatte? Wer hat denn beschlossen, an fremder Technik rumzuschrauben und ist dann einfach weggeflogen, als das andere Schiff aufgetaucht ist?« Erikson schrie sich immer weiter in Rage. »Und wer hat Till durch seine Entscheidungen auf dem Gewissen?«

Der letzte Satz war zu viel für Koschkin. Knurrend sprang er den Norweger wie eine Raubkatze an. Erikson wehrte sich wütend. Beide Männer taumelten durch den Raum, ohne auf ihre Umgebung Rücksicht zu nehmen.

Hiriko und Ashley konnten den Streithähnen gerade so ausweichen, die nun ineinander verkeilt auf dem Boden des Cockpits herum rollten und sich gegenseitig mit Schlägen traktierten. Durch den Aufruhr entging den Leidensgenossen, dass kurz nacheinander drei weitere Bilder auf dem Display erloschen.

»Wir müssen etwas unternehmen!«, kreischte Ashley. »Die bringen sich noch um.«

Hiriko löste sich aus ihrer Starre und nickte. »Du – Sven und ich – Boris«, gab sie zurück.

Gemeinsam stürzten sich die Frauen auf die tobenden Männer, bemüht sie auseinander zu bringen. Doch die aufgestaute Wut war zu groß. Ashley wurde während des Handgemenges so heftig gegen die Steuerkonsole geschleudert, dass sie die Besinnung verlor. Nun sah auch Hiriko rot.

Zwar waren ihr beide Männer in Größe, Masse und Körperkraft überlegen, doch hatte sie als ausgebildete Kampfsportlerin die Technik auf ihrer Seite.

Mit einem Handkantenschlag schickte sie den tobenden Norweger auf die Bretter, gefolgt von einer schnellen Körperdrehung traf sie den Russen mit ihrem Stiefel an der Schläfe.

Der Kommandant sank wie ein nasser Sack zu Boden. Schwer atmend stand sie als Einzige nach dem Kampf in der Stille des Raumes, die nur gelegentlich durch das Piepsen der Kontrollgeräte gestört wurde.

»Damit dürfte klar sein, wer hier die schlagkräftigsten Argumente hat«, sagte sie nicht ohne Befriedigung. »Jetzt muss ich nur für Ordnung sorgen.«

Hiriko überprüfte geschickt, ob ihre Kameraden keine allzu schweren Verletzungen davongetragen hatten. Nachdem sie sicher war, dass ihre Begleiter die Auseinandersetzung halbwegs unbeschadet überstanden hatten, überlegte sie, wie sie nun weiter vorgehen sollte.

Die Bewusstlosen aus der engen Kabine hinaus zu schleifen und in ihre Quartiere zu bringen, war keine ernst zu nehmende Option. Dies überstieg ihre körperlichen Fähigkeiten, gestand sie sich ein.

Außerdem war ihr das Risiko, einen ihrer Freunde dabei weiter zu verletzen, zu groß, wenn sie sie durch die Schotte und Tunnel des Schiffes schleifen würde. Es hatte ihr zwar irgendwie gutgetan, die beiden Männer zu schlagen, doch wollte sie keine weiteren Blessuren riskieren, nur weil sie nicht stark genug war, ihre Kameraden zu tragen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739445724
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Zauber Worldbuilding lit rpg Action Magie Rollenspiel Spannung Heldenreise litrpg episch Roman Abenteuer Science Fiction Episch Fantasy High Fantasy Kinderbuch Jugendbuch

Autor

  • Thorsten Hoß (Autor:in)

Thorsten Hoß wurde in den Siebzigerjahren geboren und wuchs im Rheinland auf, wo er heute noch lebt. Mit Legasthenie geschlagen, brauchte es sehr lange, bis aus seiner Liebe zu Geschichten eine Leidenschaft zum Schreiben wurde. Im Rahmen seiner pädagogischen Arbeit entwickelte er zudem das Rollenspielsystem Lunaria und die gleichnamige Welt, bevor er begann, seine Lunariaromane zu schreiben.
Zurück

Titel: Absturz unter Drachenfeuer