Lade Inhalt...

Scream Run Die

von Tanja Hanika (Autor:in)
115 Seiten

Zusammenfassung

Angetrunken überfährt Milton etwas. Ist es ein seltsames Tier oder womöglich doch ein Dämon aus der Hölle? Um keinen Beweis für seine Tat zurückzulassen, packt Milton das unheimliche Wesen in seinen Kofferraum – und feiert mit seinen Freunden eine Party. Statt es endlich loszuwerden, benutzen er und seine Teenager-Freunde das Blut der Kreatur für eine Geisterbeschwörung, mit der sie ihren Abend aufpeppen möchten. In derselben Nacht streicht ein Killer mit Pestarzt-Maske um das Haus, angezogen von dem toten Körper in Miltons Kofferraum und all den Jugendlichen, die es offensichtlich darauf anlegen zu sterben. Keinen Einzigen von ihnen will er am Leben lassen. Warnung: Blut, Gewalt und Übersinnliches treffen in diesem Slasherroman auf verrückte Entscheidungen und auf einen nicht besonders cleveren Protagonisten. Inklusive »Survival«-Tipps des Killers.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


EINS.

Milton

»Wer das Leben nicht schätzt, der verdient es nicht.« (Leonardo da Vinci)

Ein solcher Spruch auf einem Glückskeks war Milton in seinen siebzehn Lebensjahren niemals zuvor untergekommen, dabei hatte er schon etliche davon aufgeknackt wie den Panzer eines Käfers. Er hielt das Lenkrad seines orangefarbenen Muscle-Cars, ein Geschenk seines Patenonkels, fester, als er sich erneut einen Seitenblick zum weißen Zettelchen gönnte. Durch die Straßenbeleuchtung flackerte regelmäßig etwas Licht in den Innenraum des Wagens, ansonsten nahm ihm die Dunkelheit die Sicht auf die Botschaft aus der chinesischen Glückskeksfabrik.

Die Nachricht stimmte ihn nachdenklich. Als philosophisch hätte Milton keiner seiner Lehrer bezeichnet, nicht einmal seine eigene Mutter wäre auf die Idee gekommen, ihren Sprössling mit diesem Wort zu beschreiben, aber der Spruch hatte etwas, das in Milton Anklang fand.

Er war zufrieden mit seinem Leben und genoss es wahrscheinlich mehr, als er hätte sollen. Die Schule schwänzen, haufenweise Mädchen abschleppen, trinken und rauchen gehörte zu seinen Königsdisziplinen, aber es gab noch einige andere Fähigkeiten, auf die er stolz war. Unter anderem versuchte er stets seine eigenen Geschwindigkeitsrekorde im Schlösserknacken zu brechen, was dank seiner immer geschickteren Finger stets schwieriger wurde. Noch schneller konnte er lediglich Bierdosen auf seiner Stirn zerdrücken. Seiten im Internet zu hacken war Miltons Lieblingsbeschäftigung, wenn er in seinem Zimmer zu Hause festsaß. Nicht nur auf dem Schulserver hatte er sich ausführlich umgesehen, sondern inzwischen auch ein paar Firmen und Banken gehackt. Bislang war es ihm genug gewesen, in deren Systeme eindringen zu können, aber die Versuchung, dort auch etwas anzustellen, wuchs mit jedem Mal.

In ungewohnt grüblerischer Manier dachte Milton über sein Dasein nach. Er war froh, dass alles so war, wie es war. Ja, er schätzte sein Leben. Jessi hatte er zwar inzwischen zu Hause bei ihren Eltern abgesetzt und war sie damit glücklicherweise frühzeitig losgeworden, aber vor nicht ganz einer Stunde im Autokino, als Jessi ihm einen geblasen hatte, hatte er sein Leben ganz besonders wertgeschätzt. Er verdiente also sein Leben.

Aber was wollte ihm die Glückskeksbotschaft dann sagen?

Etwa: Gut so, Kumpel! Weitermachen und das Gezeter deiner Mama ignorieren, das wird schon?

Schulterzuckend drehte er die Musik lauter, sodass der Bass durch sein Auto namens Betty und seinen Körper donnerte. Betty mochte das, da war er sicher. Der Regen, der ihn und Jessi früher aus dem Autokino vertrieben hatte, wurde stärker. Noch war der Film zwar nicht fertig gewesen, aber Jessi hatte ihre Aufgabe erfüllt, damit war das für ihn interessante Programm ohnehin beendet. Milton beschleunigte seine Scheibenwischer auf volle Kraft, drosselte jedoch nicht seine Geschwindigkeit. Aufgeputscht von seiner Freiheit, einem bisschen Alkohol und der Aussicht auf sein grandioses bevorstehendes Leben, auf das ihn der Glückskeks aufmerksam gemacht hatte, nickte er im Takt zur Musik.

»Wer das Leben nicht schätzt, der verdient es nicht.« (Leonardo da Vinci)

Milton gab diesem alten, längst verstorbenen Mann aus tiefstem Herzen recht.

Erneut vernachlässigte er den Blick auf die Straße, um den Schriftzug auf dem winzigen Zettel zu analysieren, der auf dem Beifahrersitz lag. Seine Gedanken schlugen die verworrenen Wege ein, die nur jugendliche Gehirne finden können. Er grübelte, was der Sinn des Lebens im Allgemeinen und was der Sinn seines Lebens sein konnte. Gedanken, ja Rätsel, die sich Milton niemals zuvor gestellt hatten. Wie könnte die Welt sich irgendwann weiterdrehen, wenn es ihn nicht mehr gäbe? Das unangenehme Gefühl, dass auch sein Leben irgendwann ein Ende finden würde und er es bis dahin möglichst ausnutzen musste, wallte in ihm auf. Doch er schob es mit den Träumen, die er heimlich hegte, beiseite. Dinge, die er erleben wollte. Orte, die er bereisen wollte. Den Beruf, den er gerne später ergreifen wollte, obwohl seine Noten viel zu schlecht dafür waren. Nicht Frauenarzt, wie er und seine Freunde immer wieder gerne spaßten, sondern Ingenieur. Milton liebte es, Dinge auseinanderzubauen und zu optimieren, bevor er sie wieder zusammensetzte. Wie würde er es als alter Mann verkraften, wenn er zurückblickte und feststellte, dass es auch Chancen gab, die er verpasst hatte? Er musste sich eine Vergangenheit, reich mit Erinnerungen und glücklichen Momenten schaffen, erkannte Milton mit einer Reife, die er niemals zuvor bewiesen hatte.

Aus seiner Gedankenwelt wurde er wieder in die Realität zurückkatapultiert, als das Auto in einer Kurve mit dem Heck ausbrach und mit einem heftigen Aufprall über die Bordsteinkante schlug. Es rutschte einige Meter über den Bürgersteig, ehe Milton die Kontrolle zurückgewann. Er klammerte sich am Lenkrad fest und versuchte das Muscle-Car gerade zu halten. So fest wie möglich drückte Milton seinen Fuß auf das Bremspedal und das Auto kam nach wenigen Metern zum Stehen.

Einen kurzen Moment lang blieb er regungslos sitzen, während ihm die wildesten Flüche in den Sinn kamen, und starrte auf seine Fingerknöchel am Lenkrad, die weiß hervortraten. Einatmen, ausatmen. Behutsam löste er den Klammergriff um das Lenkrad. Ihm wurde bewusst, dass er unverletzt war. Probeweise drehte er seinen Kopf hin und her, aber sein Nacken schmerzte ihn nicht, obwohl es in den vielen Actionfilmen, die er liebte, so dargestellt wurde. Selbst mit den Zehen konnte er problemlos wackeln, wie er beruhigt feststellte. Milton beschloss auszusteigen, um nachzusehen, ob die hinteren Felgen oder die Hinterachse Schaden genommen hatten, ob die Reifen und Betty, das Muscle-Car, generell in Ordnung waren.

Wenn Betty Schrott ist, werde ich mir das niemals verzeihen. Onkel Pete und Mom drehen mir den Hals um. Abwechselnd machen die mich fertig. Scheiße, arme Betty.

Der Regen, mit dem sich seine Kleidung vollsog, fiel ihm gar nicht auf. Seine Hand strich sanft über den glatten Lack des Autos. Wenn Betty eine Beule, einen Kratzer oder eine sonstige Schramme hatte, würde er ausrasten. Es war ein unglaublicher und ungewohnt erwachsener Moment gewesen, als sein Lieblingsonkel ihm vor wenigen Monaten den Schlüssel überreicht hatte. Onkel Pete war immer wie ein Vater für ihn gewesen. Sein Dad war durch eine hässliche Krankheit aus dem Leben seiner Familie gerissen worden, als Milton drei Jahre alt war.

Nach einem ausführlichen Schulterklopfen hatte Onkel Pete gesagt: »Mill, du bist jetzt ein Mann. Benimm dich dementsprechend. Und damit auch jeder den Mann in dir sieht, fährst du ab jetzt die Schüssel, an der dein Dad und ich vor Jahren schon herumgeschraubt haben. Da waren wir in deinem Alter. Ein bisschen rostig, aber fährt wie ´ne Rakete. Du sollst Betty bekommen, das hätte dein Vater auch so gewollt. Verdammte Scheiße, dass er dich nicht aufwachsen sehen konnte … Aber erwarte dir bloß nichts zum Geburtstag, wenn du achtzehn wirst!«

Seither war Betty sein ganzer Stolz. Der Neid seiner Freunde war für ihn das Tüpfelchen auf dem fantastischsten fahrbaren I, das er sich vorstellen konnte.

Mit seiner Hand fuhr Milton vom Kotflügel über die Seite des Kofferraums. In der Hocke sah er, dass die Felge leicht zerkratzt und eingedellt war. Milton ließ seine Hand locker fallen, als er feststellte, dass Betty nichts Dramatisches zugestoßen war. Es war an der Zeit, die Coolness zurückzugewinnen. Die Felge würde er irgendwie repariert bekommen. Bisher hatte er noch immer geschafft, was er sich vornahm.

Verärgert über den Regen, der ihn komplett aufgeweicht und ihm seine Haare an den Schädel geklebt hatte, strich er sich mit der Hand die Feuchtigkeit aus dem Gesicht, soweit es ihm möglich war. Milton hob schaudernd die Schultern, da ihm ein feines Rinnsal den Rücken hinabfloss, und wollte wieder in das Muscle-Car einsteigen, als er etwas entdeckte. Ein paar Meter vor ihm auf dem Gehweg lag ein undefinierbarer Haufen. Sein Herz setzte einen Schlag aus.

Habe ich …?

Er wagte es nicht, sich die Frage zu Ende zu stellen. Milton musste nachsehen gehen. Lieber wäre er wieder eingestiegen und weggefahren, aber die Ungewissheit würde an ihm nagen und wäre vielleicht schlimmer als das, was er entdeckte, wenn er sich nun einen Ruck gab. Sie würde ihre fauligen Zähne in sein Fleisch treiben, bis seine Wunden sich entzündeten und der Wahnsinn ihn befiele. Nicht wissend, was auf dem Bürgersteig gelegen hatte, wäre er nicht mehr er selbst. Es wäre so einfach, jetzt wegzufahren, aber er würde es nicht vergessen können. Milton ersehnte die Erleichterung, die gleich einsetzen würde, wenn es nur eine Katze war, die dort lag.

Wenn er sich wegen einer Katze so erschrocken hatte, wollte er wenigstens wissen, wessen Mistvieh er überfahren hatte. Und dem würde er am nächsten Morgen in der Schule eins aufs Maul geben, dafür würde er ausnahmsweise einmal extra pünktlich kommen. Es sei denn natürlich, es ist das geliebte Tier einer heißen Bitch. Ihr würde ich beistehen und sie über den Verlust hinwegtrösten. Haha! Sein Plan amüsierte ihn beinahe, doch der Knoten in seinem Magen würde wirklichen Humor erst zulassen, sobald er sich versichert hatte, dass auf dem Asphalt tatsächlich nur ein Tier verendet war.

Mit dem Handrücken wischte er sich nasse Haarsträhnen aus der Stirn. Seine Jeans klebten ihm unangenehm am Bein, während er einige Schritte in Richtung des merkwürdigen Objekts tat. Ein Stück entfernt blieb er stehen und kratzte sich am Kopf. Die spärliche Straßenbeleuchtung genügte, damit er nach und nach etwas begriff.

Das war keine Katze.

Dort vor ihm lag kein Tier.

Aber irgendetwas – irgendjemanden – hatte er überfahren. Umgebracht. Wegen des Zettels aus dem Glückskeks.

Wie es seine Art war, packte ihn die Wut. Was für ein gottverdammtes Scheißding liegt da vor mir auf dem Boden, fragte Milton sich, froh, dass er kein Kind umgenietet hatte. Er wäre geneigt gewesen, gegen den Kadaver zu treten, aber er musste einsehen, dass alles allein seine Schuld war.

Das Grauen umfing ihn wie die schweißnassen, fetten Arme einer unliebsamen Tante, deren Küsse man zu ertragen hatte. Musste er es womöglich von seinen Todesqualen erlösen? Nach einem schweren Seufzen setzte sich Milton erneut in Bewegung. Dem Ding, das so unwillkommen in sein Leben geplatzt war, würde er es zeigen. Seine geballten Fäuste waren bereit, zuzuschlagen und Todesqualen mit Freude zu unterbinden. Obwohl er nun direkt vor der Kreatur stand, konnte er sich keinen Reim darauf machen, was es sein sollte. Nur eins war für ihn klar: Es war tot.

Auf dem Gehweg am Straßenrand sah Milton vor sich den gedrungenen kleinen Körper, den er überfahren hatte. Blut schimmerte nicht nur auf dem Asphalt ringsherum, sondern auch auf der Leiche selbst.

Milton hob seinen Blick und ließ ihn durch die Straße schweifen. Er musste sich versichern, ob er beobachtet wurde. Der blasse Mond stand am nachtschwarzen Himmel, darunter reihten sich auf beiden Straßenseiten graue Häuser aneinander. Kein Vorhang bewegte sich, keine Haustür schloss sich. Niemand hatte ihn beobachtet. Die Vorgärten waren zu dieser Zeit wie erwartet menschenleer, erhellt durch die vielen Laternen, die die Straße säumten. Und im Scheinwerferlicht einer dieser Laternen lag wie bei einem dramatischen Ende auf der Bühne der Beweis seiner Schuld.

Milton konnte nicht erkennen, worum es sich bei dem Geschöpf handelte. Er beugte sich tiefer hinab, aber es sah noch immer tot und undefinierbar aus. Ihm war schlichtweg kein solches Tier bekannt. Zudem konnte sich Milton nicht vorstellen, dass ein Mensch so aussehen würde, selbst dann nicht, wenn man ihn angefahren – überfahren – hatte.

Grobe menschliche Züge hatte es, das war nicht zu leugnen. Eine kleine, magere Gestalt mit unproportional langen Armen und Beinen. Das Gesicht war kaum erkennbar. Schnell ließ Milton sein Augenmerk weiterwandern. Die Gliedmaßen lagen verdreht und verrenkt in einem unnatürlichen Winkel vor ihm. Die grobe Haut des Wesens sah rau und kränklich aus und nicht ein einziges Haar konnte er daran finden. Im spärlichen Licht war er sich nicht sicher, ob die Haut tatsächlich gräulich war, aber es machte den Anschein. Es war ihm genug. Mehr wollte er davon nicht sehen. Nicht hier auf der Straße, wo er erwischt werden konnte. Nicht in der Dunkelheit. Er hatte genug von diesem menschenähnlichen Geschöpf, das doch nicht wirkte, als sei es von dieser Welt.

Fuck, ist das ein Dämon? Hab ich ´nen beschissenen Dämon platt gefahren?

Milton wusste nicht, was er von dem Ganzen halten sollte, aber er war sicher, dass es für ihn Ärger bedeutete, würde man ihn hier entdecken. Mit vor Ekel hochgezogener Oberlippe schnappte er sich die Handgelenke des Wesens und hob es hoch. Der Kopf sackte schlapp nach hinten, was in Milton eine Übelkeit auslöste, die er beinahe nicht ertragen hätte. Ohne es anzusehen, aber auch ohne sich zu übergeben, trug er es zum Auto. Es wog mehr, als er geglaubt hätte, aber für Milton stellte das Gewicht des Wesens kein Problem dar. Für einen Moment legte er es noch einmal auf den Boden, um den Kofferraumdeckel zu öffnen. Im Inneren fand er noch ein paar alte Tüten, mit denen er den Boden des Kofferraums auslegte, damit er sich den Innenraum nicht zu sehr verschmutzte. Zufrieden schlug er am Ende den Kofferraumdeckel zu. Später könnte er sich noch genügend Gedanken machen, was er mit diesem Dämonending anstellen würde, wie er es loswerden konnte.

Die vor Nässe schwere Kleidung engte ihn ein. Milton fröstelte. Er wusste selbst nicht, ob das von der Tat kam, die er begangen hatte und nun vertuschte, oder vom Regen in der kühlen Nacht. Hastig stieg er ins Auto ein, drehte die Musik möglichst laut, damit sie seinen Kopf füllte, und trat das Gaspedal durch. Er schaute ein letztes Mal auf den Zettel aus dem Glückskeks.

»Wer das Leben nicht schätzt, der verdient es nicht.« (Leonardo da Vinci)

Milton zerknüllte ihn und warf ihn fluchend aus dem Fenster.

\\WDMYCLOUD\Public\01 eBooks\09 Logos und Designs\02 PIXABAY\pentagram-159046_1280.png

Sieh dich einmal genau um.

Wie viele Orte, wie viele kleine Verstecke gibt es in deinem Zuhause, an denen ich mich verbergen könnte? An denen ich mich aufhalten könnte, seitdem du zurückgekommen bist, ohne dass du es bemerkt hättest?

Stell dir vor, wie nah ich dir sein könnte.

Vielleicht bin ich ja schon da.

Genau jetzt, in diesem Moment.

Ich höre dich gehen, sogar atmen.

Ich sehe dich. Rieche dich.

Und du ahnst nicht einmal, dass ich hier bin.

Du solltest deiner Wachsamkeit keine Pause gönnen, denn genau dann schlage ich zu.

Vielleicht bin ich schon da.

Traue deinen Instinkten, nicht deiner Vernunft.

Spürst du dieses Kribbeln im Nacken?

Dann bin ich ganz nah.

Scream. Run. Die!

Survival-Tipp eines Killers


ZWEI.

Milton

»Hey Holly, hat deine Tante keine Angst vor Einbrechern? So wie das Tor hier offen steht.« Jason stieß das rechte Eisentor ein Stück weiter auf und fing es wieder, als es zu ihm zurückfederte.

»Ne. Ich war noch nicht hier, um abzusperren. Der Schlüssel liegt unter der fetten Tonkatze dort im Beet. Da bei den gelben Blumen. Danke, guter Wurf, Grace! Aber ich sperre gleich mal probeweise ab.« Holly hatte die ehrenvolle Aufgabe übernommen, nach dem Haus ihrer Tante zu sehen, die in den Urlaub gefahren war, und ließ natürlich nicht die Gelegenheit aus, dort eine kleine Party mit ihren Freunden zu feiern, zu denen auch Milton gehörte. Nachdem er in den letzten knapp vierundzwanzig Stunden, seit er den Unfall mit dem seltsamen Wesen gehabt hatte, nichts mit sich anzufangen gewusst hatte, freute er sich umso mehr auf die Ablenkung durch seine Freunde.

In den letzten Jahren war die Gruppe nach und nach zu einer Clique zusammengewachsen, deren Mitglieder teilweise vielleicht auf den ersten Blick nicht ganz zueinander passten, aber alle verstanden sich gut und waren durch einige lustige Ereignisse zusammengeschweißt. Sie ergänzten sich viel mehr, als dass sie sich voneinander unterschieden. Sie mussten sich nur Stichworte zuwerfen, die dann als gemeinsame Erinnerung und Insider-Witze fungierten. Tankstelle, Friedhof oder Gregs Kellerparty waren einige davon.

Ein wenig ruckelte Holly an der Haustür herum, bis sich der Bolzen im Türschloss bewegen ließ und sie aufsperrte. Der Sesam öffnete sich. Milton und seine Freunde jubelten übertrieben, waren trotzdem froh, endlich die Party-Location für diesen Abend in Beschlag nehmen zu können. Mit dem Lärm, den sie veranstalteten, vertrieben sie die weiße Katze, die zu ihrer Begrüßung zur Tür gekommen war. Der neugierige Blick war einem genervten Haarsträuben am Rücken gewichen, woraufhin sie sich majestätisch zurückzog. Sie verließ die Jugendlichen nicht, ohne einen abfälligen Blick mit erhobenem Näschen über die Schulter zu werfen, der besagte: Wenn ich wollte, könnte ich euch aus meinem Haus rauswerfen, Menschenvolk. Heute will ich jedoch gnädig sein.

»Ich darf nicht vergessen, Missi ihr Futter und Wasser aufzufüllen, bevor ich wieder gehe«, murmelte Holly und drückte sich die Post mit einem Arm an den Bauch, damit nichts im Schmutz landete.

Jetzt, wo das Tor versperrt war, bereute Milton es, mit seinem Auto in die Auffahrt hinein direkt vor das Haus gefahren zu sein. Er schätzte es, jederzeit aufbrechen zu können. Nicht selten hatte er das getan. Er kam und ging, wie es ihm gerade passte. Schon als Kind hatte seine Mutter öfter über sein Freiheitsbedürfnis den Kopf geschüttelt und ihn ihr Vögelchen genannt. Peinlicher ging es kaum, als wenn sie dies vor seinen damaligen Freunden getan hatte, was er ihr schnellstens abgewöhnt hatte. Als er über die Situation nachdachte, fiel Milton allerdings auf, dass er später Holly würde mit nach draußen nehmen müssen, damit sie ihm das Tor wieder öffnete. Das kam ihm gerade recht. Vielleicht würde sie dieses Mal seinem Charme erliegen. Er würde es darauf ankommen lassen.

Nachdem die Haustür hinter ihnen zugefallen war, konnte die Party beginnen.

Es dauerte nicht lange, da hatten es sich alle gemütlich gemacht. Im Nu spielte die Musik und ein paar Flaschen Schnaps und Bier standen auf dem Tisch. Sogar die Beleuchtung war leicht gedimmt und hatte ein gewisses Flair, das die Jugendlichen kaum zu schätzen wussten. Milton streckte seinen Arm aus, um sich an der Schale mit gesalzenen Erdnüssen zu bedienen. Diese Dinger machten ihn geradezu süchtig und er würde wohl erst dann zufrieden sein, wenn die Schüssel leer war. Mit dem Ellbogen stieß er versehentlich seine Bierflasche um, die er hastig wieder aufrichtete. Eine kleine Lache bildete sich auf dem Wohnzimmertisch, aber nichts davon tropfte auf den Teppich.

»Miiiltooon«, erklang ein Chor aus den Stimmen seiner Freunde.

Ihm passierte so etwas öfter. Als schusselig würde oder vielmehr wollte er sich dennoch nicht bezeichnen.

»Deine Mutter sollte dich wirklich nicht ohne ein Lätzchen aus dem Haus lassen«, kommentierte Jason.

Sein bester Kumpel Sam fügte dem hinzu: »Du bist so ein Trottel, Mann!«

Hier fühlte er sich wohl. Sein Malheur der letzten Nacht hatte er beinahe vergessen, als er mit seiner Clique zusammen war. Die Sticheleien, die er ebenso gerne einsteckte wie austeilte, zeugten von willkommener Normalität.

Die Couch im Wohnzimmer bot ihnen allen gemütlich Platz, Musik wummerte im Hintergrund. Die Stimmung war gut, wie immer, wenn die Freunde ihre Zeit miteinander verbrachten, aber nichts Besonderes war los. Es war einer wie viele zuvor gemeinsam verbrachte Abende. Ein wenig eintönig war es für Milton fast, sich immer nur zu treffen, um Bier zu trinken und perverse Witze zu reißen.

»Kommt schon, irgendwas muss uns doch einfallen. Wir sind doch keine Langweiler! Oder wollt ihr Party machen wie die Streber und Nerds? Wir sind die Coolen, wir müssen was erleben, das es in die Schülerzeitung schafft«, lamentierte Sam, dem Milton wie meistens zu einhundert Prozent zustimmte.

»Lass mich raten«, sagte Noah und kratzte sich übertrieben an seinem nicht vorhandenen Bart, »du willst zur Legende werden! In die Schulgeschichte eingehen als Sam der Saucoole.«

Mit breitem Grinsen murmelte Sam: »Legende. Hat was. Aber am Namen müssen wir noch arbeiten.«

Milton bemerkte, wie Noah und Grace einen Blick tauschten. Die beiden hatten etwas am Laufen, da waren sich alle, außer den beiden selbst, einig. Noah und Grace beharrten darauf, nur beste Freunde zu sein.

Grace öffnete gerade ihren Mund, um etwas zu sagen, als ihr Holly zuvorkam: »Leute, ich hab´s! Meine Tante hat so ein Ouija Board. So ein Brett zum Geisterbeschwören. Das wär doch lustig.«

»Eher spooky«, sagte Grace.

Adam schnaubte. »Du glaubst doch nicht an so einen Mist, oder, Holly?«

Holly verdrehte lediglich die Augen. Alle wussten, dass keiner der Freunde sich sorgen musste, die aufsteigende Cheerleaderin wäre plötzlich durch Zauberhand der Esoterik verfallen.

»Wäre mal was anderes«, stimmte Hazel ihrer besten Freundin zu. Milton konnte dieses friedvolle ›Es-sich-gegenseitig-Rechtmachen‹, das zwischen den Bitchfights der Weiber stattfand, nicht ausstehen. Sie sagten einfach nie, was klare Sache war. Bis dann alle paar Wochen der katastrophale Streit kam. Das vermeintliche achthundertste Ende der Freundschaft, bis sie sich weinend mit den Armen aneinanderklammerten.

Adam ging ebenfalls nicht auf die Glaubensfrage ein. Er rückte seine Brille zurecht und verlangte zu wissen: »Und wo hast du dieses Brett? So etwas muss man mal ausprobiert haben.«

»Was? Hast du vor, unter die Parapsychologen zu gehen?«, neckte Sam Adam. Milton war verblüfft, dass er von Parapsychologie sprach, und konnte sich selbst keinen Reim darauf machen, was das genau sein sollte. Da ihm jedoch kein bissiger Kommentar einfiel, blieb er still, verkniff sich unnötige Worte, bat aber auch nicht um eine Erklärung.

»Ne, ich bleibe meiner Astronomie vorerst treu.«

»Professor Doktor Doktor Geisterjäger Adam Stone. Der Mann, dem die Geister vertrauen. Klingt doch perfekt für dich«, witzelte Noah.

»Das Ouija Board müsste im Schrank im Flur sein. Dort hatte es meine Tante zumindest verstaut, nachdem sie es mir gezeigt hatte. Wir gehen mal nachsehen.« Holly stand auf. Hazel tat es ihr wie ein Schatten gleich.

»Geisterbeschwörung«, stellte Milton fest und stieß Sam mit seinem Ellenbogen in die Seite. »Zufrieden damit, Mann? Genug Abenteuer für heute Nacht? Wenn wir einen mörderischen Geist entfesseln, schaffen wir es bestimmt nicht nur in die Schülerzeitung, sondern auch ins Fernsehen.«

»Damit hab ich heute Abend nicht gerechnet, stimmt. Die Mädels bekommen garantiert Angst. Wird Spaß machen. Vielleicht lässt sich Holly ja doch noch von dir ›trösten‹. Wenn nicht, stelle ich mich ihr auch gerne zur Verfügung.«

»Alter, halt´s Maul.« Milton hätte Sam nie von der Abfuhr erzählen dürfen. Aber sie waren eben verdammte beste Kumpel. Lediglich von der Botschaft auf dem Glückskeks hatte er ihm nichts erzählt. Den ganzen Tag lang wollte er es erwähnen, aber irgendwie kam es ihm nicht über die Lippen. Das Ding im Kofferraum verdrängte er lieber, denn eine Lösung war ihm noch nicht eingefallen. Vielleicht würde er es nach der Party irgendwo vergraben. Womöglich konnte er es zum See vor der Stadt fahren und es darin versenken. Oder in einem Waldstück ablegen, wo wilde Tiere den Kadaver fressen und damit verschwinden lassen würden. ›Mission Wildtierfütterung‹ hätte ihm beinahe gefallen. Wobei es fraglich war, ob Tiere Dämonenfleisch verzehren würden. Am Ende würde es im Wald von besessenen Viechern wimmeln. Wenn es allerdings doch der See werden sollte, dann müsste Milton dafür sorgen, dass die Leiche nicht an die Oberfläche oder an das Ufer treiben könnte. Sich die Mühe machen, das Ding zu vergraben, wollte er eigentlich nicht. Eine Leiche loszuwerden stellte sich als komplizierter dar, als er es erwartet hätte.

Seine Gedanken wurden von Adams Knutschgeräuschen unterbrochen. Grinsend zeigte er auf Noah und Grace, die miteinander tuschelten.

»Leute, gebt´s doch einfach zu. Ist doch nichts dabei. Noah, wenn du dir mal die Haare schneiden lässt, siehste vielleicht auch nach was aus«, stichelte Milton, froh über die Ablenkung.

»Da ist es schon!«, rief Holly, womit sie eine Retourkutsche für Milton durch Noah verhinderte, und tänzelte zurück ins Wohnzimmer. In den Händen hielt sie dabei ein Mahagoniholzbrett, das genauso gut aus der Küche hätte stammen können. Erst als es auf dem Tisch lag, konnten alle die silbern eingeprägten Buchstaben erkennen, die es von einem hochwertigen Schneidbrett unterschied.

»Sieht teuer aus«, sagte Noah. »Glaubt deine Tante an den Kram, wenn sie dafür so viel Geld ausgibt?«

Grace streckte sich, um mit abgespreiztem Zeigefinger das »A« nachzufahren. »Teuer, aber so hübsch«, kommentierte sie Noahs Aussage.

»Das ist nur vom Flohmarkt. Meine Tante ist keine Eso-Tussi oder so. Sie ist ganz cool. Kann sich ja bestimmt auch denken, dass ich hier nicht nur die Blumen gieße.«

Wortlos stellte Hazel ein gewöhnliches leeres Wasserglas auf dem Brett ab.

Holly erklärte: »Gut, dann fehlt nur noch eins. Wir brauchen Blut. In den Kreis in der Mitte müssen wir ein Pentagramm damit malen.« Ein Lachen ging durch die Runde, manche schüttelten dazu den Kopf. »Das ist mein Ernst, Leute. Sonst funktioniert es nicht.«

»Es funktioniert doch …«, widersprach Adam, wurde jedoch von Jason unterbrochen.

»Mach den Spaß einfach mit«, sagte er.

Noah nickte. »Kommt schon, ich würde es auch gerne ausprobieren.«

»Wer spendet freiwillig?«, fragte Sam.

Keiner meldete sich.

»Geht Tierblut?« Die Worte waren aus Miltons Mund herausgepurzelt, ohne dass er nachgedacht hatte. Nun konnte er sie nicht mehr zurücknehmen.

Holly schaute Milton mit gerunzelter Stirn an. »Wir werden hierfür nicht extra ein Tier umbringen. Kommt schon, Jungs. Einer von euch hat die unglaubliche Chance, genau jetzt in diesem Moment den harten Mann zu markieren. Finger her, wer sich traut.« Sie zog ein Taschenmesser aus der Hosentasche und klappte es schwungvoll auf.

Einige Späße wurden hin- und hergeworfen, doch Milton horchte nur auf das Pochen in seinem Körper. Der Kofferraum. Das tote Ding. Dämon, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Er wischte sich die Hände an seiner Jeans trocken. Wenn all das gestern geschehen war, damit sie gutes Blut hatten? Vielleicht kann ich mit Daddy in Kontakt treten, hoffte das Kind in ihm. Wenn er das erreichen wollte – und an die Möglichkeit dessen glaubte er selbst kaum – dann wäre Tierblut nicht das Richtige. Weitaus mächtiger musste das Dämonenblut in seinem Kofferraum sein. Wenn er also seinem Dad ein paar Fragen stellen wollte, dann hätte er nur eine Chance, wenn er es benutzen würde. Das letzte Quäntchen, das zu seiner Entscheidung beitrug, war das Bedürfnis, vor Holly richtigzustellen, dass er nicht vorgehabt hatte, ein Tier umzubringen, sondern lediglich vorhandenes Material zu nutzen gedachte.

»Leute«, sagte er, es nahm jedoch niemand davon Notiz. Milton räusperte sich. »Leute!«, rief er übertrieben laut.

Sam schlug ihm gegen die Schulter. »Erschreck mich doch nicht so. Was ist denn los, Mill?«

»Ich hab da eine Idee.«

»Erzähl schon!«, forderte Holly, wozu Hazel sich vorbeugte und ihn mit großen Augen anschaute.

»Gestern, da ist mir so ein Missgeschick passiert. Mir ist … also ich hab … in meinem Kofferraum liegt ein totes Tier. Ich hab die Nachbarskatze überfahren und wollte sie ihm zurückbringen. Zum Beerdigen und so.«

Während die Mädchen betroffene Mienen zeigten, grinste Jason ihn an. »Seit wann bist du denn so rührselig, Milli-Boy?«

»Halt die Klappe, Jason«, fuhr Sam ihn an. Er erhob sich. »Hast du ´ne Schüssel, Holly? Dann holen Mill und ich ein bisschen Blut rein.«

Grace schüttelte sich: »Ist das ekelhaft! Blut aus einem Kadaver. Ob da Krankheitserreger drin sind?«

»Lasst die tote Katze bloß draußen. Missi dreht sonst bestimmt am Rad!«, sagte Holly.

»Bei einer Leiche sammelt sich das Blut unten, an der tiefsten Stelle«, dozierte Adam. »Wenn ihr also die Katze umdreht und tief schneidet, dann müsste etwas Blut herauslaufen.«

»Gott, Adam, woher weißt du so einen Scheiß immer?« Die Verachtung in Jasons Stimme reichte nicht bis in seine Augen, die eindeutig Bewunderung für seinen neunmalklugen Freund ausdrückten. Schnell blinzelte er diese wieder weg.

Adam zuckte lediglich mit seinen Schultern. »Wissen lauert überall. Soll ich mitkommen, Milton?«

»Nein, Sam und ich bekommen das schon hin.«

Holly stürmte davon, ohne unnötig irgendwelche Worte zu verlieren, und kehrte wenige Augenblicke später mit einer ausgebleichten, zerkratzten Plastikschüssel zurück. Das Ding machte einen so alten Eindruck, dass man es getrost wegwerfen konnte, wenn das Blut drinnen gewesen war. »Hab die als Kind mal als Kotzschüssel benutzt, als ich während eines Besuches hier krank wurde. Müsste passen«, erklärte Holly ihren Fund.

Sam trank seine Bierflasche leer, rülpste und erhob sich, um das vermeintliche Katzenblut aus dem toten Körper zu quetschen.

Auch Milton stemmte sich auf die Beine. Eigentlich wäre er lieber alleine gegangen, damit niemand von dieser Kreatur in seinem Kofferraum erfuhr. Irgendwie war er dann doch froh, seinen besten Kumpel an der Seite zu haben, um sich dem Ding nicht alleine stellen zu müssen.

Milton hielt den Kofferraumdeckel in seinen Händen. Durch den Spalt, den der Kofferraum offen stand, strömte ihnen immerhin kein Fäulnisgestank entgegen. Aber ob Dämonen überhaupt verwesen konnten, schien Milton fraglich. Er überlegte, ob er Sam vorwarnen sollte, bevor er ihn hochwuchtete, aber ihm fielen keine Worte dafür ein, was als Nächstes käme.

Nicht erschrecken, Alter, aber da drinnen liegt ein Dämon.

Hey Sam, guck mal, was ich gefunden habe. Seltsame Katze, oder?

Das war gestern noch ´ne Katze, ich schwör´s dir!

Oder: Wenn du weitererzählst, was du gleich Erstaunliches sehen wirst, landest du genauso tot daneben.

Friedvoll dröhnte die Musik vom Haus zur Einfahrt, in der Milton geparkt hatte. Seine Arme fühlten sich so weich an, als wäre seine Kraft drinnen bei der Bierflasche geblieben, als er den Kofferraumdeckel wortlos nach oben klappte.

Er schaute Sam nicht an. Kurz blieb es, abgesehen von dem Geräusch, wie sein Freund nach Luft schnappte, still.

»Scheiße, Mill, was ist das? Das ist im Leben keine Katze! Das sieht doch ein Blinder.«

»Hör mal, gestern …«

»Alter, du hättest mich vorwarnen können. Dieses krüppelige Ding sieht aus wie – ich weiß auch nicht. Was zur Hölle ist das?«

»Hölle trifft es ganz gut.«

»Milton! Was ist das?«

»Das weiß ich doch selber nicht.«

»Was ist passiert? Sag schon«, wollte Sam wissen.

»Also, ich war doch gestern Abend mit dieser Jessi im Autokino. Die Kleine bläst gut, Alter. Danach waren wir beim Chinesen. Egal! Nachdem ich sie zu Hause abgesetzt hatte, wollte ich auch heimfahren. Aber irgendwie bin ich von der Straße abgekommen und hab mit dem Heck dieses Ding hier plattgemacht. Meiner Betty ist zum Glück nichts passiert, außer hier ein bisschen was an der Felge.« Milton deutete nebenbei auf die Schramme an der Felge.

»Mill, du überfährst das da, lädst es dann einfach ein und fährst es mit dir rum. Das ist echt krank, Mann. Echt beschissen krank!«

»Ich hab mich erschreckt, Sam, verstehst du? Ich wusste nicht, was ich machen sollte, wollte mir was überlegen. Nicht dass es dafür noch Ärger gibt. Wer weiß, vielleicht nehmen die mir das Auto oder den Führerschein weg oder beides, wenn jemand davon erfährt. Für die anderen bleibt das ´ne Scheißkatze, okay?«

Eine Weile nickte Sam nachdenklich. »Aber gottverdammt, was ist das? Das sieht so ekelhaft aus. Und das sah bestimmt schon widerlich aus, bevor du es überfahren hast.«

»Ja. Keine Ahnung.«

Sam beugte sich ein wenig vor, stütze sich dabei mit den Unterarmen an der Ladekante des Kofferraums ab. »Scheiße. So hab ich mir als Kind immer Dämonen vorgestellt. Nur ist das hier halt viel kleiner und schmächtiger.«

»Du wirst lachen, daran hab ich auch schon gedacht.«

»Mill, wenn du Dämonen platt fährst, dann hast du beim allmächtigen Macker dort oben bestimmt ´nen Stein im Brett.« Beide lachten. Milton wollte sich nicht anmerken lassen, wie nahe es ihm ging. »Geisterbeschwörung mit Dämonenblut, damit war nicht zu rechnen.«

Milton fragte leise: »Glaubst du, dass es Dämonen gibt? Dass das hier einer sein könnte?«

Sam blies ein wenig Luft durch die Lippen. »Es glauben ja verdammt viele Leute an Gott. So richtig mit voller Überzeugung. Und wenn es den gibt, warum sollte es dann nicht auch den Teufel und Dämonen geben? Himmel und Hölle. Du weißt ja, wie das ist. Die Regierung vertuscht jeden möglichen Scheiß. Warum nicht auch die Existenz von Himmel, Hölle, Gott, Satan und Dämonen.«

»Alter, ist das krass. Ich hab wahrscheinlich ´nen Dämon umgenietet.« In Milton brodelten zum ersten Mal seit der letzten Nacht Freude und Stolz auf. Wer konnte sich schon damit brüsten, einen Dämon erledigt zu haben? Ihm fiel der Zettel aus dem Glückskeks wieder ein. Ein Dämon hatte bestimmt sein Leben nicht verdient, falls man dessen Dasein überhaupt als Leben bezeichnen konnte.

»Gut. Aber wie stellen wir das mit dem Blut an? Wie bekommen wir das in die Schüssel?«, fragte Sam.

»Adam meinte doch …«

»Ach, Adam ist ein Klugscheißer.«

Sie überlegten hin und her. Milton wurde nervös. Er befürchtete, dass die anderen heraus zu ihnen kämen, um nachzusehen, was so lange dauerte. Irgendwann überwand er sich und hob eine der Plastiktüten ein Stück an, um zu sehen, ob so etwas Blut zusammenlaufen würde, das er dann auffangen könnte. Es bildete sich jedoch keine Pfütze, wie er es sich gewünscht hätte. »Schade, alles schon angetrocknet.«

Sam schluckte. »Liegt dein Messer noch im Handschuhfach?«, erkundigte er sich mit monotoner Stimme.

»Klar.«

»Dann schneiden wir dem Dämon einen Arm ab und lassen das Blut in die Schüssel tropfen.«

»Sam, bist du irre? Bringst du das?«

»Klar«, wiederholte Sam Miltons vorherige Antwort.

Milton schaute sich das Wesen genauer an, während Sam um das Muscle-Car herumlief, um das Messer zu holen. Gestern hatte er es vermieden, allzu viele Details aufzunehmen. Er betrachtete das winzige Gesicht. Es war durch den Aufprall recht zermatscht, aber Augen, Nase und Mund hatte der Dämon wie ein Mensch, keine animalischen Züge. Die Lippen waren vielleicht auffallend schmal und das Kinn besonders spitz, ansonsten hätte es das Gesicht eines winzigen alten Mannes sein können. Seine Haut sah rau aus. Krustig, narbig. Sie musste schon vor dem Unfall so gewesen sein. An vielen Stellen war die Leiche mit Blut verschmiert. Ein schmuddeliges Stoffdreieck verhüllte sein Geschlecht, falls Dämonen so etwas hatten. Ansonsten war es nackt. Anhand dessen, was Milton trotz der gebrochenen Knochen erkennen konnte, vermutete er, dass er einen seltsam verwachsenen, langgliedrigen Körperbau hatte und wahrscheinlich in seinem Leben nicht ein einziges Mal gerade hatte stehen können. So eingefallen, wie die Augen im Schädel saßen, so spitz zeichneten sich die Rippen unter der Haut ab.

Wenn das kein Dämon ist, muss das ein Alien sein. Wobei ihm der Dämon lieber war.

Das Messer lässig in der Hand haltend, kam Sam zurück. Er drehte seinen Kopf nach links und rechts, unentschlossen, wo er anfangen sollte zu schneiden. »Halt die Schüssel bereit, damit nichts danebengeht.« Sam schnappte sich eine Dämonenhand, zog am Arm und trennte ihn mit einem kräftigen Schnitt an der Achsel vom Körper.

Hastig hielt Milton die Schüssel unter den Arm, als zähflüssig das Blut herausrann. Penibel achtete er darauf, dass die Flüssigkeit ihn nicht berührte.

Einige Sekunden später sagte Sam: »Das sollte reichen. War ja leichter als gedacht.«

Ein wenig erschütterte Milton Sams Kaltschnäuzigkeit. Er warf den Arm einfach zurück auf die Leiche und haute den Kofferraumdeckel zu.

Milton zuckte bei dem Knall, als der Kofferraumdeckel zufiel, zusammen. Nach einem letzten sorgenvollen und entschuldigenden Blick zu Betty trug er die mit Dämonenblut gefüllte Plastikschüssel hinter Sam her ins Haus hinein.

Fuck, ist das abgedreht, dachte er immer wieder.

»Wo wart ihr denn so lange? Wir wollten schon eine Suchmannschaft losschicken«, lästerte Jason wie erwartet. »Habt ihr es euch gemütlich gemacht? Traute Zweisamkeit oder so einen Quatsch?«

»Jetzt sind wir ja da und haben auch das Blut dabei. War gar nicht so einfach, das aus der toten Katze herauszubekommen. Riesenschweinerei, das kann ich euch sagen.« Sam wischte sich gestenreich die Hände an seiner Hose ab.

Holly deutete auf rosa Putzhandschuhe aus Gummi. »Damit kannst du das Pentagramm in die Mitte malen, Milton. Wir haben gedacht, da du die Katze überfahren hast, gebührt sozusagen dir die Ehre, das zu machen.«

Am liebsten hätte Milton sich geweigert. Die Vorstellung, mit dem Blut etwas auf das Brett zu malen, bescherte ihm eine Gänsehaut, die hoffentlich keiner bemerken würde. Er versuchte sich herauszuwinden, ohne wie ein Schlappschwanz dazustehen. »Ich weiß gar nicht, wie man ein Pentagramm malt. Und die Handschuhe sehen ziemlich klein aus. Ich bin nicht sauer, wenn das lieber einer von euch machen möchte. Ladies first

Du erbärmlicher Feigling, höhnte eine Stimme in seinen Gedanken. Du Loser!

Hazel schüttelte wild den Kopf, sodass ihr Zopf hin und her peitschte. »Nein, danke. Ich mach das garantiert nicht.«

Auch Grace und Holly sahen ihn kopfschüttelnd und angewidert an. »Never«, fasste Grace die Situation für die Mädchen zusammen.

Milton blieb damit keine andere Wahl. Er stellte die Schüssel auf dem Tisch ab und griff nach dem Handschuh. Es gelang ihm problemlos, ihn überzustreifen. Ein wenig Platz hatten seine Finger sogar noch. »Wie sieht denn so ein Pentagramm aus?«, fragte er in die Runde, obwohl er es bereits wusste.

Adam ergriff eines der Post-Its und den Kugelschreiber, die auf einem Beistelltischchen neben dem Sofa lagen. In einem Zug malte er einen fünfeckigen Stern, dessen Spitze nach unten zeigte. »Das ist das Symbol des Teufels. Damit es ein bisschen lustiger wird.«

Wenn du wüsstest!

Milton tauchte seinen Zeigefinger in das zähflüssige Blut. Obwohl es ihm durchaus bewusst war, dass es nicht sein konnte, fühlte sich sein Finger unter dem Gummihandschuh feucht an. Feucht und kühl.

Der ist dicht, ermahnte er sich selbst. Mach jetzt kein Theater!

Es widerte ihn an, wie sich das Gummi an seine Haut drückte, sobald er den Finger in das Blut eintauchte. Fast fühlte es sich für Milton an, als hätte er ein Stück labbrige, tote Haut über seine Hand gestreift. Langsam zog Milton den Finger aus dem Blut heraus, hielt ihn jedoch noch über die Schüssel, um erneut die Pentagramm-Zeichnung zu betrachten. Als er sicher war, ebenfalls so einen Stern malen zu können, setzte er seinen Finger auf das Holzbrett. Mit angehaltenem Atem wartete er ab, aber nichts geschah.

Kein Stromausfall, kein Gewitter, kein Schmerz.

Nichts.

In einem Zug gelang es ihm, einen etwas krummen und unproportionierten Teufelsstern zu zeichnen. Er glich aber eindeutig dem Vorbild, das Adam angefertigt hatte. Alle waren zufrieden.

Holly quietschte. »Dann kann es jetzt ja losgehen.«

Grace drehte das Glas um, sodass es kopfüber mit dem Rand der offenen Seite auf dem Brett stand. Während Sam und Milton draußen gewesen waren, mussten die anderen im Internet gesucht haben, was sie zu sagen hatten, um die vermeintliche Geisterbeschwörung zu starten. Holly erklärte an ihn und Sam gewandt: »Wir werden gleich alle gemeinsam drei Mal ›Geisterwesen, wir rufen euch!‹ sagen. Dann müssen wir auf Zeichen achten, ob uns ein Geist erhört hat und gekommen ist.«

Beinahe hätte Milton seine Augen verdreht und den Kopf geschüttelt. Unfassbar, was seine Freunde hier aus Langeweile veranstalteten. Aber der Dämon in seinem Kofferraum war noch viel unfassbarer.

Nicht ganz, ohne Wachs zu verschütten, holten Adam und Noah einige Kerzen vom Beistelltisch neben dem Sofa, denen Milton zuvor überhaupt keine Beachtung geschenkt hatte. Niemand kommentierte die winzigen Wachströpfchen, die auf dem Teppich landeten. Lediglich Holly verzog den Mund. Seine Freunde machten ernst. In ihm wuchs die Vermutung, dass es falsch war, was sie hier trieben. Und dazu noch mit Dämonenblut! Aus Hohn und Spott, an denen er sich bisher versucht hatte festzuhalten, wurde in seinem Bauch etwas, das er nicht benennen wollte. Er wollte etwas sagen, damit sie diese Séance abbrachen, bevor sie überhaupt anfing, aber ihm fiel kein passendes Wort ein. Um Miltons Herz herum wurde es eiskalt. Dennoch blieb er stumm.

Als alle sich im Kreis um den Tisch herum niedergelassen hatten, legten sie jeweils ihren rechten Zeigefinger auf den Boden des Glases. »Geisterwesen, wir rufen euch!«, sprachen alle zusammen drei Mal im Chor den Satz, selbst Milton flüsterte die Worte mit. Er konnte es nicht verhindern, dass trotz des unguten Gefühls, das er hatte, sich der Wunsch in sein Herz schlich, sein Dad würde sich melden. Der Wunsch des kleinen Jungen in ihm, die Worte seines Daddys zu lesen, schwelte stärker in ihm, als er es jemals erwartet hätte.

Zunächst geschah nichts.

»Wir müssen eine Frage stellen«, verkündete Adam.

»Leute, denkt dran«, erinnerte Hazel in eindringlicher Stimme, »unter keinen Umständen darf einer das Glas loslassen, bevor wir die Abschlussworte gesprochen haben.« Jason zuckte ein bisschen. Milton bemerkte, dass er sich ein Lachen verkniff. Ihm selbst war gar nicht nach Lachen zumute. Belustigung enthielt das Gefühlschaos in seinem Inneren nicht. Er wünschte, dieser faule Zauber wäre bereits zu Ende.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739483344
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Party Maske Jugendliche Horror Grusel Slasher Fun Horror Splatter Dämon Killer

Autor

  • Tanja Hanika (Autor:in)

Tanja Hanika ist Autorin von Horror- und Schauerromanen. Geboren wurde sie 1988 in Speyer, studierte in Trier Germanistik und zog anschließend in die schaurig-schöne Eifel, wo sie mit Mann, Sohn und Katze lebt. Seit sie mit acht Jahren eine »Dracula«-Ausgabe für Kinder in die Hände bekam, schreibt und liebt sie Gruselgeschichten.
Zurück

Titel: Scream Run Die