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Kleine Momente

von Mathilda Grace (Autor:in)
420 Seiten
Reihe: Die Ostküsten-Reihe, Band 14

Zusammenfassung

Überarbeitete Neuauflage, Januar 2019 Eine Sammlung von insgesamt 17 Kurzgeschichten in Anlehnung an meine Ostküsten-Reihe. Meine Charaktere werden sich von Geschichte zu Geschichte abwechseln. Es gibt dabei keinen genauen Plan oder gar eine feste Storyline.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Breathe Me

 

Wenn das eigene Kind leidet, ist es für einen liebenden Vater völlig unmöglich, tatenlos danebenzustehen und zuzusehen. Mikael kann ein Lied davon singen, denn sein Sohn Kilian und dessen Mann Dale haben Probleme, die auch mit einer Entschuldigung nicht aus der Welt zu schaffen sind.

 

 

Kapitel 1

 

»Kilian würde sich nie ohne Grund eine Woche lang nicht bei uns melden. Irgendwas ist da oberfaul.«

Colin spricht aus, was ich denke, denn Kilian geht seit mittlerweile sieben Tagen weder ans Haustelefon noch an sein Handy. Ich war gestern bei ihm, aber niemand hat auf mein Klingeln hin die Tür geöffnet und ich hatte unseren Ersatzschlüssel nicht dabei. Außerdem können wir Dale nicht erreichen und seine Firma ist wegen eines Notfalls geschlossen.

So steht es zumindest auf dem Zettel, der an der Tür seines Büros hängt. Samuel hat uns das vorhin erzählt, als er in der Werkstatt auftauchte, um Devin abzuholen. Langsam machen wir uns wirklich Sorgen. Mein Anruf in New York, bei Dales Familie, brachte uns nämlich leider auch kein Stückchen weiter. Die Turners sind aus allen Wolken gefallen und haben versprochen, sich sofort nach ihrem Sohn umzuhören. Bei ihnen ist er nicht und vor allem geht es ihnen gut. Kein Notfall irgendeiner Art in der Familie, was unsere erste Überlegung war.

»Ihr solltet hinfahren und nachsehen. Nehmt Sam mit oder holt vorher euren Ersatzschlüssel fürs Haus«, sagt Devin in unser nervöses Schweigen hinein, worauf Colin und ich einen Blick tauschen.

Den Schlüssel hat er heute Morgen rausgesucht, weil wir uns zwar nicht sicher waren, ob wir hinfahren sollen, aber wenigstens auf alles vorbereitet sein wollten. Es ist im Moment nicht ganz einfach für uns. Kilian und Dale haben Probleme und Colin und ich standen schon mehr als einmal zwischen den Fronten, weshalb wir uns in den letzten Wochen zurückgehalten haben, um abzuwarten. Wir wissen nicht, was los ist, weil Kilian nicht darüber sprechen wollte und Dale bei jeder Nachfrage den harten Ex-Bullen gespielt hat. Sie sind wirklich unmöglich, was das angeht, aber was sollten wir machen, wenn sie keine Hilfe wollen?

Also haben wir uns zurückgezogen, in der Hoffnung, dass Kilian oder Dale von selbst zu uns kommen. Was sie nicht getan haben. Sture Dickschädel. Aber das liegt bei uns leider in jedem Familienzweig, daher verwundert es mich nicht sehr, dass sie das mit sich allein ausmachen wollten und daran offenbar gescheitert sind.

»Ja, ich weiß, ihr wolltet euch nicht einmischen. Aber so geht es doch nicht weiter«, führt Devin aus und sieht Colin und mich auffordernd an. »Die zwei haben einen riesigen Haufen Probleme, das wissen wir alle, und ich vermute mal, dass es letzte Woche zum Knall kam. Das würde zumindest erklären, warum ihr keinen der beiden erreicht, Dales Büro dicht und er nicht aufzufinden ist. Und kommt mir jetzt nicht damit, dass sie sich irgendwo eine Hütte gemietet haben, um allein zu sein. Wenn es so wäre, hätte Kilian Bescheid gesagt, damit ihr euch um Cupcake kümmert.«

Colin seufzt und sieht mich an, als wäre es an mir, das zu entscheiden. Was Unsinn ist, denn da gibt es nichts zu entscheiden. Devin hat recht. Wir müssen hinfahren und mit Kilian reden. Nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Ob es unserem Jungen gut geht. Beiden. Seit einer Woche Funkstille, das ist nicht normal. Kilian vergisst gerne das Essen, das Schlafen und alles Mögliche, wenn er malt, aber darum kümmert sich Dale. Zumindest hat er das, bis es anfing zwischen ihnen zu kriseln.

Ich nicke. »Lass uns fahren. Könntet ihr …?«

»Wir fahren bei Dale vorbei«, unterbricht mich Devin, der versteht, was ich möchte, und ich nicke ihm dankbar zu. Samuel braucht keinen Schlüssel, um ungesehen in Dales Büro zu kommen, aber das werde ich nicht weiter kommentieren. Hauptsache, er findet etwas. Bevorzugt Dale selbst, ansonsten werden wir die Polizei einschalten müssen, um ihn aufzutreiben.

 

Zwanzig Minuten später ist die Werkstatt geschlossen und wir unterwegs. Ich fahre, weil Colin zu nervös ist. Er trommelt die ganze Zeit wild mit den Fingern auf seinem Oberschenkel herum. Normalerweise hätte ich ihn dafür längst angemeckert, weil seine Unruhe sich langsam aber sicher auf mich überträgt, aber dann würden wir streiten und das will ich vermeiden. Er macht sich große Sorgen um Kilian und Dale. Wir alle tun das.

Es hat vor etwa sechs Monaten angefangen. Vielleicht auch früher, aber an Colins Geburtstag im vergangenen Jahr ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Obwohl Kilian und Dale sich nach außen hin nichts anmerken ließen, war da eine gewisse Distanz zwischen ihnen. Die steigerte sich in der folgenden Zeit immer mehr, bis Kilian an Weihnachten ohne Dale zum Essen zu uns kam. Angeblich musste der arbeiten. Colin und ich haben ihm nicht geglaubt, aber nichts gesagt, da Kilians Enttäuschung und Wut nicht zu übersehen war.

Der Gipfel war dann sein Geburtstag letzten Monat. Er fand nämlich nicht statt. Dieses Mal haben beide die Arbeit vorgeschoben, was fast zu einem Familienkrach geführt hätte, weil sowohl Colin als auch Adrian, der seit Weihnachten Bescheid weiß, Kilian auf den Zahn gefühlt haben. Am Ende hat er sie dafür angebrüllt und aus dem Haus geworfen. Das war für mich der Moment, wo ich Colin bat, Kilian erst mal in Ruhe zu lassen. Ihm etwas Raum und Zeit zu geben.

Einen Monat ist das her und solange Kilian sich noch sporadisch bei uns meldete, war Colin wenigstens soweit beruhigt, dass er sicher gehen konnte, unser Junge liegt nicht tot in irgendeiner Gosse. Aber eine ganze Woche völlige Funkstille, das ist eindeutig zu viel und es ist auch nicht Kilians Art. Nicht einmal, wenn er wütend auf uns ist. Eben weil er weiß, wie schnell Colin nervös wird und wir uns Sorgen machen.

»Mik? Glaubst du, dass er …?«

»Nein«, unterbreche ich Colin ruhig, denn mir ist klar, was ihm im Kopf herumgeht. »Wir wären benachrichtigt worden, wenn er einen Unfall oder etwas anderes gehabt hätte.«

»Aber ...«

»Ich denke, dass Devin recht hat.« Ich schaue zu ihm, als ich an einer roten Ampel halten muss. »Sie haben seit Monaten Probleme, Colin. Ernsthafte Probleme. Früher oder später musste es zum Krach kommen.«

Colin verzieht das Gesicht. »Er war so unglücklich an Weihnachten, Mik. Ich will nicht, dass sie streiten, sich vielleicht scheiden lassen.«

Jetzt übertreibt er. »Hey, davon ist doch gar nicht die Rede. Wir wissen nicht, was wirklich los ist. Lass uns erst mal mit Kilian reden, bevor wir anfangen den Teufel an die Wand zu malen.«

»Zu viel Arbeit ist es jedenfalls nicht«, murmelt Colin und blickt nachdenklich aus dem Fenster, während ich wieder anfahre.

Ich bin ganz froh darüber, dass er keine Antwort will, denn was diese These angeht, bin ich mir nicht so sicher, ob es nicht doch daran liegt. Wenigstens zum Teil. Dales neue Firma läuft gut, er hatte viel zu tun im letzten Jahr, und das dürfte sich kaum geändert haben. Im Gegenzug hatte Kilian drei Ausstellungen, seit die zwei verheiratet sind. Er hat sich monatelang darauf vorbereitet, wodurch sie sich manchmal tagelang nur zwischen Tür und Angel gesehen haben. Dass das für eine Beziehung nicht gut ist, weiß jeder.

Colin und ich hatten in der ersten Zeit ebenfalls mit unseren Arbeitszeiten zu kämpfen. Vor allem, bis er sich mit der Werkstatt einen Namen gemacht hatte. Es ist nie einfach, zwei Leben unter einen Hut zu bekommen, ohne dass es deswegen Ärger gibt. Davon können wir genauso ein Lied singen, wie Millionen von Paaren überall auf der Welt, und möglicherweise haben Dale und Kilian es nicht geschafft.

 

 

Kapitel 2

 

»Heeey … Wollt ihr auch was?«

Kilian hebt eine halbleere Wodkaflasche an und hält sie uns entgegen, um dann, als wir geschockt den Kopf schütteln, mit einem Schulterzucken kehrtzumachen. Er schwankt beim Gehen und muss sich im Flur mehrmals an der Wand abstützen, um nicht umzufallen. Colin und ich sehen ihm fassungslos nach, bis er im Obergeschoss ankommt und aus unserem Blickfeld verschwindet.

»Mein Gott«, murmelt Colin entsetzt. »Er ist ...«

»Völlig betrunken«, beende ich seinen Satz, als er ihn abbricht und schweigt. Wobei betrunken wohl eher das falsche Wort ist, dem Alkoholdunst nach zu urteilen, der überall in der Luft hängt. Kilian hat sich abgeschossen, wie es immer so schön heißt, und offenbar tut er das seit Tagen, denn als ich in die Küche gehe, aus der er gerade kam, wird mein Verdacht zur Gewissheit. »Himmel«, ist alles, was mir zu dem Chaos einfällt, das hier herrscht.

Colin hatte die Tür noch nicht mal aufgeschlossen, da wusste ich schon, dass es schlimm werden würde, aber mir war nicht klar, wie schlimm. Im Flur war noch alles normal, aber das Wohnzimmer sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Wir waren fassungslos, angesichts des Mülls, der Kleiderberge, und der leeren Pizza- und sonstigen Essensschachteln. Von den fünf Flaschen verschiedenen Alkohols gar nicht zu reden, denn sie waren alle leer. Die Küche toppt das Wohnzimmer allerdings um Längen.

Die Spüle ist voll mit dreckigem Geschirr, der Geruch aus dem überquellenden Mülleimer ist mit Worten nicht zu beschreiben, und was immer in diesem Topf auf dem Herd gekocht worden ist, seine Reste haben mittlerweile ein grünliches, moosförmiges Eigenleben entwickelt. Es ist ekelhaft. Und damit meine ich nicht nur den Gestank und den Schimmel. Wie kann sich Kilian so gehenlassen? Was ist zwischen Dale und ihm vorgefallen, um so etwas, wie das hier, auszulösen?

»Ach du Scheiße.« Colin tritt neben mich und verzieht angewidert das Gesicht.

»So kann man es auch ausdrücken.«

Er stößt die Luft aus und geht kopfschüttelnd an mir vorbei zum Fenster, um es zu öffnen. Gute Idee. Ich halte mich allerdings lieber an die übrigen Räume, denn diese Küche kann Kilian allein aufräumen, sobald er wieder in der Lage dazu ist.

Colin kommt zu mir ins Wohnzimmer. »Schaust du bitte nach ihm? Ich räume hier unten das Nötigste weg.«

»Colin ...«

»Ja, ich weiß, aber wir können den Müll nicht einfach so liegenlassen, sonst zieht er Ungeziefer an.« Sein Blick wird fragend. »Mik? Wo ist Cupcake?«

Das ist eine gute Frage und wir erhalten leider keine Antwort, denn unsere Rufe bleiben unbeantwortet, ihre Hundehütte im Garten ist leer und die Leine hängt auch nicht am Haken bei der Haustür. Colin wirft einen Blick die Treppe hoch.

»Ich hoffe, Dale hat sie.«

»Mist«, fluche ich leise und Colin drückt meine Hand, bevor ich mich auf den Weg nach oben mache.

Kilian ist in seinem Atelier oder das, was davon übrig ist. Herrgott, was hat er hier bloß angestellt? Der Raum ist ein Schlachtfeld. Er hat seine Zeichnungen zerstört, auf dem Boden liegen kaputte Farbtöpfe und mitten im Zimmer steht ein angekokelter Papierkorb, in dem einige Überreste von angefangenen Zeichnungen liegen, die er offensichtlich verbrannt hat. Ein offenes Feuer in seinem Haus. Ist er noch ganz bei Trost? Nein, ist er nicht. Sein glasiger Blick spricht Bände und ich erspare uns beiden einen Kommentar dazu. Er würde bei Kilian in seinem derzeitigen Zustand ohnehin nicht ankommen. Seufzend gehe ich zu ihm und setze mich neben ihn auf den Boden. Er hält mir wortlos die Flasche hin.

»Nein, danke.«

»Schön. Bleibt mehr für mich«, lallt er und genehmigt sich einen Schluck. »Wo ist Dad?«

»Unten. Räumt deine Küche auf.«

»Da wächst was Grünes in dem einen Topf«, murmelt er und ich muss mir auf die Lippe beißen, um nicht das zu sagen, was ich wirklich denke. Ich bin bei Küchen ein wenig komisch, das weiß ich, und es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber mit Kilian zu diskutieren.

»Ich weiß«, sage ich deshalb unverbindlich, woraufhin er den Kopf an meine Schulter lehnt.

»Die Milch ist auch sauer.«

Wenn er jetzt anfängt, mir den vergammelten Inhalt seines Kühlschranks aufzuzählen, ertränke ich ihn in der Kloschüssel. »Gut zu wissen.«

»Ich glaub', die Kartoffeln sind schlecht.«

»Kilian!«

Er seufzt. »Die Pizza ist alle und der Alkohol auch.«

»Und was ist mit der Flasche in deiner Hand?«, frage ich, um ihn vom Thema Lebensmittel wegzubekommen, was funktioniert.

»Ist die letzte.« Kilian trinkt wieder einen Schluck und seufzt im Anschluss, bevor er hickst und mir die Flasche in die Hand drückt. »Dale ist weg.«

Ja, das haben Colin und ich uns gedacht. Was derzeit noch fehlt, ist ein Grund. »Warum?«

»Ich hab' ihn rausgeworfen.«

Kilian hat Dale rausgeworfen? Ihre Eheprobleme sind größer, als wir dachten. »Was ist passiert?«

»Wir haben gestritten. Er ist ein Arschloch.«

Darauf sage ich nichts, sondern schüttle den Kopf, als Kilian die Flasche zurückhaben will.

»Du gönnst mir auch nie was«, mault er mich an, aber das wird an meiner Meinung nichts ändern. Er hat soviel Alkohol in sich, dass es für die nächsten Monate reicht.

»Du hast genug, Kilian.«

»Pfft.«

»Warum ist Dale ein Arschloch?«

»Er hat mit einem anderen Kerl gefickt.«

Ich habe mit so Einigem gerechnet, aber nicht damit. Mein fassungsloser Blick lässt Kilian schnauben, bevor er sich umständlich auf die Füße kämpft und in Richtung Tür wankt.

»Kilian?«

»Mir ist schlecht.«

Das verwundert mich überhaupt nicht, bei der Fahne, die er hat. Statt ihm zu folgen, bleibe ich auf dem Boden sitzen und lehne den Kopf nach hinten gegen die Wand, um ein paar Minuten für mich zu haben. Ich will Kilian nicht glauben, aber ich weiß, dass er nicht lügen würde. Wenn er sagt, dass Dale ihn betrogen hat, dann war es so. Aber wieso? Ich verstehe es nicht. Wirklich nicht. Sie waren überglücklich, nachdem sie geheiratet hatten und auch danach, als das ganze Chaos mit Noah und Liam passierte, haben sie fest zusammengehalten. Wie konnte es zwischen ihnen nur dermaßen schieflaufen, dass es in einem Seitensprung endet?

»So schlimm?«, fragt Colin von der Tür her und mein schiefes Grinsen lässt ihn die Augen verdrehen. »Wo ist er? Im Bad?«

»Ja«, antworte ich nickend und stehe auf, um zu ihm zur Tür zu gehen. »Und du solltest dich lieber hinsetzen.«

Colin ist sofort alarmiert. »Hat er dir erzählt, was los war?«

»Dale hat ihn betrogen.«

Colin blinzelt, dann schüttelt er den Kopf. »Nein. Das würde er nie tun. Nicht Dale.«

»Offenbar doch.«

»Aber ...« Colin gehen die Worte aus.

»Kilian hat es herausgefunden oder Dale es ihm von selbst gestanden, das weiß ich nicht. Jedenfalls hat unser Sohn seinen Ehemann aus dem Haus geworfen und was du hier siehst, ist das Ergebnis ihrer Ehekrise.«

Würgende Geräusche aus dem Badezimmer lassen uns in den Flur sehen. Ich weiß nicht, was derzeit mehr Sorgen macht. Kilians Kotzerei oder die Tatsache, dass er allein im Haus ist. Ich kenne Dale zu gut, um zu wissen, dass Kilian ihm einiges an Beleidigungen und Gemeinheiten an den Kopf geworfen haben muss, um ihn aus dem Haus zu treiben. Ich denke, es wäre das Beste, Kilian mitzunehmen und in Erfahrung zu bringen, was in den letzten Wochen passiert ist.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragt Colin beunruhigt und sieht mich an. »Wenn er die ganze Woche getrunken hat … Mik, wir können ihn unmöglich hierlassen.«

»Wir nehmen ihn mit zu uns. Er muss ausnüchtern, damit er uns sagen kann, was genau vorgefallen ist.« Ich lasse meinen Blick erneut durch Kilians Atelier wandern. »Wir warten, bis er fertig gekotzt hat, dann setzen wir ihn ins Auto. Vielleicht haben Sam und Devin in Dales Büro irgendetwas gefunden. Ich werde sie anrufen.«

Colin nickt. »Ich packe ein paar Sachen für Kilian.«

»Nein, das mache ich.« Ich lege meine Hand an seine Wange, worauf er mich ansieht. Colin hat solche Angst um Kilian, dass er sich nicht mehr zu ihm traut. »Na geh' schon.«

»Mik, ich ...«

»Nimm ihn einfach in die Arme. Was er jetzt braucht, abgesehen von etwas zu essen, einer Runde Schlaf und einer langen Dusche vorher, ist eine starke Schulter, an die er sich lehnen kann. Und dafür bist du eindeutig der bessere Ansprechpartner.«

Colin schaut mich einen Moment forschend an, dann schmunzelt er, was mir verrät, dass er mich durchschaut hat. Keiner kann das so gut, wie er, und das ist ab und zu verdammt hinderlich. Besonders, wenn wir uns streiten. Aber jetzt gerade finde ich es praktisch, denn so muss ich ihm nicht erst erklären, dass ich sauer auf Kilian bin.

»Ist es wegen der Küche?«, fragt Colin nach, was mich seufzen lässt, bevor ich den Kopf schüttle. »Hey, du bist nun mal ein penibler Küchenchef.«

Seine Worte bringen mich zum Lachen und das wollte er damit erreichen. »Mistkerl.«

»Ja, ich liebe dich auch«, neckt Colin mich und deutet einmal quer durch das Atelier. »Ich kann dich verstehen. Das hier, die Küche, das Wohnzimmer, der Alkohol …«

Mein Blick fällt ungewollt auf den Papierkorb. Kilian hätte das Haus, mit sich darin, abfackeln können, doch das spreche ich jetzt besser nicht aus. Colin würde sich nur noch mehr verrückt machen. »Ich muss mich erst ein bisschen abregen.«

Colin umarmt mich. »Ich liebe dich. Und ich finde es sehr nett von dir, dass du den Papierkorb nicht erwähnt hast.« Ich zucke ertappt zusammen und er lacht. »Es ist nicht zu übersehen. Aber ich werde besser nicht darüber nachdenken, was alles hätte passieren können.«

»Guter Plan.«

Er schaut mich an, verdreht seufzend die Augen zur Decke und löst sich dann von mir. »Frag' Sam bitte nach Cupcake. Ich mache mir Sorgen um die Kleine.«

 

 

Kapitel 3

 

Samuel geht nach dem ersten Klingeln an sein Handy und er hat gute Nachrichten. Dale ist in seinem Büro. Er hat sich dort offenbar häuslich eingerichtet und Cupcake ist bei ihm. Wohlgenährt und putzmunter. Gott sei Dank. Eine Sorge weniger, auch wenn mir der Rest von seinem Bericht gar nicht gefällt. Dale ist genauso betrunken, wie mein Sohn, aber sonst geht es ihm körperlich ganz gut. Seelisch ist er, laut Samuel, völlig am Ende und da kann er sich mit Kilian die Hand reichen.

»Wie geht's Kilian?«, will Samuel wissen, nachdem er zu Ende gesprochen hat.

»Sturzbetrunken.«

»Mist. Und jetzt?«

»Wir nehmen ihn mit zu uns, damit er ausnüchtern kann. Hat Dale mit euch geredet?«, frage ich und Samuel zögert einen Moment zu lange mit seiner Antwort. »Also ja. Wie viel wisst ihr?«

»Ich schätze genauso viel wie ihr. Sie haben sich wohl gestritten. Mehrfach und heftig. Dale hat sich vor lauter Frust deswegen die Kante gegeben und ist am nächsten Morgen mit einem Kater im Bett eines anderen Mannes aufgewacht. Er hat Kilian den Fehltritt sofort gebeichtet, was mich bei ihm auch nicht verwundert, so anständig, wie Dale eigentlich ist … Na ja, jedenfalls hat Kilian ihn daraufhin rausgeworfen?«

»Ja, das hat er«, antworte ich ihm, denn das letzte war eine Frage. »Und danach ihr Haus in eine dreckige und stinkende Müllhalde verwandelt, inklusive verbranntem Papierkorb im Atelier.«

»Ach du Scheiße.«

»Wem sagst du das«, seufze ich und erzähle ihm, was Colin und ich hier vorgefunden haben. Samuel flucht, als ich fertig bin.

»Ach ja, Dales Eltern wissen Bescheid«, erzählt er im nächsten Moment. »Sie haben im Büro angerufen, als wir gerade durch die Tür kamen. Dale hat sich geweigert, mit ihnen zu reden und ich habe ihnen versprochen, dass wir gut auf ihn aufpassen. Sie wollen so schnell wie möglich kommen, aber das kann dauern.«

»Ja, ich weiß. Sie warten auf ihr nächstes Enkelkind«, sage ich und muss grinsen, als Samuel stöhnt. Bei Amber und Finnley steht zwar kein Nachwuchs ins Haus, aber das Thema macht ihn allgemein etwas nervös. »Gewöhn' dich dran. Irgendwann wird dich deine Kleine bestimmt zum Opa machen.«

»Und ich kann es kaum erwarten, aber der Gedanke macht mich trotzdem höllisch nervös.«

Ich kann ihn verstehen, denn mich macht er auch ein wenig unruhig. Kilian und Dale haben sich von Anfang an Kinder gewünscht. Was auch immer aus diesem Plan nun wird, oder auch nicht, die Vorstellung Großvater zu werden, ist erschreckend und aufregend zugleich.

»Sollen wir Dale mit zu uns nehmen?«

Das wäre wohl das Beste, aber ich kann das nicht aus der Ferne für Dale entscheiden. »Was denkst du? Ihr seid bei ihm, wie sieht er aus?«

»Scheiße, aber er hat sich unter Kontrolle.«

»Dann fragt ihn vorher. Wenn er will, nehmt ihn mit, wenn nicht, lasst ihn da. So wissen wir wenigstens, wo er zu finden ist. Wärst du bereit, die kommenden Tage nach ihm zu sehen?«

»Natürlich. Ich gebe euch Bescheid.«

 

»Dann habe ich mir eben die Kante gegeben, na und? Ich bin erwachsen und kann soviel saufen, wie ich will!«

»Ja, du bist erwachsen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich schweigend dabei zusehe, wie mein Sohn zum Alkoholiker wird!«

»Was willst du denn dagegen machen?«, fragt Kilian hämisch und ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht ins Badezimmer zu stürmen und ihm zu sagen, was ich von seinem Verhalten halte. »Mich einsperren? Oder lieber irgendwo anketten?«

»Kilian!«

»Hau' endlich ab, Dad! Ich kann alleine duschen und ich brauche auch keinen Babysitter. Wie ich Mik kenne, entsorgt er gerade sämtlichen Alkohol, damit ich ja nicht in Versuchung komme.«

Das habe ich tatsächlich getan und es verärgert mich unheimlich, wie abfällig Kilian die Tatsache ausspricht, da wir das nur tun, um ihm zu helfen, weil wir uns nun einmal Sorgen um unseren Sohn machen. Ich weiß, dass man mit Betrunkenen lieber nicht streiten soll, weil sie entweder die Wahrheit sagen oder zwischen boshaft und weinerlich hin und her schwanken. Erlebt habe ich alles schon, aber mit dieser Art von Gehässigkeit kann ich am wenigsten umgehen. Konnte ich noch nie.

»Ja, das tut er, und du solltest dich mal fragen, wieso er das macht. Aber dazu müsstest du das Ding auf deinen Schultern zum Denken benutzen, sofern du noch weißt, wie das geht«, hält Colin ihm vor und stürmt im nächsten Moment an mir vorbei und die Treppe runter. Ich warte kurz, bevor ich zur Badezimmertür und damit in Kilians Blickfeld trete, der, als er mich entdeckt, mir sofort den Rücken zuwendet.

»Du wirst dich bei ihm dafür entschuldigen, sobald du wieder nüchtern bist.«

Kilian gibt keine Widerworte. Er sagt gar nichts dazu, sondern beginnt schweigend sich auszuziehen, damit er duschen gehen kann. Ich will eben die Tür zuziehen und ihm ein wenig Privatsphäre gönnen, als mir die heilende Prellung auf seinem Rücken auffällt.

»Woher hast du die Verletzung?«

Er zuckt zusammen, sagt aber nichts.

»Antworte!«

»Dale.«

Ich atme tief durch, um Ruhe zu bewahren. »Kilian? Ich glaube dir, dass er dich betrogen hat, aber ich glaube nicht, dass Dale dich geschlagen hat.«

»Hat er auch nicht«, gibt Kilian leise zu. »Ich habe ihn angegriffen. Er hat sich nur verteidigt und dabei bin ich gegen den Türgriff vom Kühlschrank gestolpert.«

 

»Unser Sohn hat seinen eigenen Mann geschlagen?«

Colin sieht mich fassungslos an, während ich das Salz nehme, um die Suppe nachzuwürzen. Mein Nicken reicht ihm als Antwort und den folgenden Fluch ignoriere ich, weil es auch nichts daran ändert, was geschehen ist. Wir sind keine Freunde von Gewalt und dass es ausgerechnet Kilian ist, der dazu greift, schockiert uns beide.

Deswegen habe ich vor zwanzig Minuten mein Heil in der Flucht gesucht und Kilian im Bad alleingelassen, um zu kochen. Er wird etwas Vernünftiges zu essen brauchen und mich beruhigt es, Kartoffeln zu schälen, eine Brühe anzusetzen oder Gemüse kleinzuschneiden. Ich bin Koch aus Leidenschaft, auch wenn meine Familie mich heute noch mit Begeisterung neckt, sobald ich in ihren Küchen werkle und dabei jedes Mal einen gefühlten Herzinfarkt bekomme. Adrian und David lagern die Kartoffeln leider immer noch im Kühlschrank.

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.« Colin seufzt und lehnt sich gegen die Arbeitsfläche. »Mik? Ich mache mir Vorwürfe.«

»Colin ...«

»Ja, ich weiß, aber ich tue es trotzdem«, unterbricht er mich und lächelt verlegen. »Vielleicht hätten wir … keine Ahnung. Irgendetwas tun sollen.«

»Und was?«, will ich wissen, weil mir klar ist, welche Gedanken Colin jetzt wälzt, ich kenne ihn lange genug. »Er hat Adrian und dich aus dem Haus geworfen, schon vergessen?«

Colin verschränkt die Arme vor der Brust und runzelt grüblerisch die Stirn. »Ich verstehe nicht, wie es so weit kommen konnte. Ich begreife es einfach nicht.«

»Wir werden ihn fragen. Aber nicht heute. Das Essen ist gleich fertig. Willst du den Tisch decken oder …?«

Ich überlasse ihm die Entscheidung und Colin wählt, wie ich es mir erhofft habe, denn er verlässt die Küche, um Kilian zu holen. Ich decke derweil den Tisch für uns, doch als sie zehn Minuten später immer noch nicht hier sind, stelle ich seufzend den Topf in den Backofen, bevor ich Colin folge. Ich ahne, wo ich meine Männer finde und meine Vermutung erweist sich als richtig.

Colin sieht mich hilflos an, als ich angezogen zu ihm und Kilian in die Dusche steige und mich an die andere Seite unseres Sohnes setze, der beide Knie an den Körper gezogen hat und weint. Ich habe darauf gewartet, ehrlich gesagt. Kein Mensch kann dauerhaft wütend bleiben, da ist Kilian keine Ausnahme. Allerdings ist dieser Anblick für mich fast noch schlimmer, als seine Sauferei. Ich will nicht, dass er traurig und unglücklich ist. Genauso wenig will ich, dass er trinkt. Egal, was Dale getan hat oder was der Auslöser dafür war, ich kann es nicht ertragen, wenn mein Sohn weint.

»Los, hoch mit dir!«, fordere ich daher und stehe auf, um das Wasser abzudrehen. »Abtrocknen, anziehen und dann kommst du runter in die Küche.«

»Ich hab' keinen Hunger.«

»Ist mir egal. Wir backen jetzt.«

»Backen?« Kilian schaut mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, während Colin gegen sein aufsteigendes Lachen ankämpft. Er ahnt, was ich gerade vorhabe und hoffentlich funktioniert es.

»Ja, backen. Ein extra dicker Schokoladenkuchen mit Schokoladenglasur und dazu Kakao. Genau wie damals, als du dich in Catherine verknallt hattest.«

»Dad!«

Colin und ich sehen uns an und lachen los, was unser Sohn gar nicht lustig findet, so finster, wie er uns ansieht und dann auch noch empört schnaubt. Die Sache ist ihm heute noch peinlich, denn als Siebzehnjähriger, mit jeder Menge Hormonen und ständig frisch verliebt, war es ein harter Schlag für sein Ego, als Catherine ihm nach einer Woche, in der er hartnäckig versuchte, sie zu einem Date zu überreden, gestand, dass er zwar ganz niedlich wäre, aber leider keine Brüste habe.

»Wir könnten auch Pizza machen und Cola trinken, bis dir schlecht wird. So wie bei ...«

»Sag' es nicht«, fährt er mir über den Mund und sieht stöhnend zur Decke, als wir ihn angrinsen. »Na schön, ja, dann backen wir eben. Aber die Cola will ich trotzdem.«

»Zu Schokoladenkuchen?«

»Nein, nur so, weil ich Lust darauf habe. Und ich will die Teigschüssel für mich haben.«

»Wir könnten teilen«, schlägt Colin vor und steht auf, um dann Kilian die Hand zu reichen, der sie nimmt und sich hochziehen lässt.

»Nein, können wir nicht«, erklärt unser Sohn danach stoisch und geht zum Regal mit den großen Badetüchern, um sich in eins einzuwickeln. »Dad?«, fragt er, mit dem Rücken zu uns, und Colin stupst mich kurz an, damit ich weiter mit Kilian rede.

»Ja?«

»Hat er Cupcake mitgenommen?«

»Ja.«

»Geht's ihr gut?«

»Ja. Sam wird die nächsten Tage nach beiden sehen.«

Kilian zuckt merklich zusammen, als ich von Cupcake und auch von Dale rede, und verlässt danach fluchtartig das Bad. Ich blicke zu Colin, der ratlos mit den Schultern zuckt und zugleich den Kopf schüttelt, bevor er anfängt, sich aus den nassen Sachen zu schälen.

Das war es dann wohl mit dem Backplan.

 

 

Kapitel 4

 

»Ich will aber nicht mit dir reden!«

Ich atme tief durch, als die Tür lautstark hinter Kilian ins Schloss fällt. Drei Wochen. Einundzwanzig verfluchte Tage geht das jetzt schon so und ich bin es leid. Er ist fast einen Monat bei uns und wir wissen immer noch nicht, was eigentlich passiert ist. Kilian weigert sich, darüber zu reden und mit Dale ist es das Gleiche. Ich war sechsmal bei ihm, Colin fünfmal. Ohne Erfolg. Er sagt nur, dass es seine Schuld ist und dass Kilian ihn hasst.

Sie suhlen sich beide in ihrem Selbstmitleid und mich nervt dieses Verhalten mittlerweile unheimlich. Gestern habe ich mich dabei ertappt, wie ich den leeren Müllsack anstarrte und mich fragte, ob es etwas bringt, die zwei in einen Sack zu stopfen und draufzuhauen. Und Colin hielt letztens die Pfanne beim Abwasch etwas zu fest, als dass es Zufall gewesen wäre. Wir sind schlichtweg von Kilian und der ganzen Situation genervt.

Vielleicht wäre es leichter, wenn wir wüssten, was bei ihnen genau passiert ist. Dale betrügt Kilian doch nicht aus purer Langeweile. Ich will endlich wissen, warum er sich betrunken hat und anschließend mit einem fremden Typ in die Kiste gesprungen ist.

»Vielleicht sollten wir noch warten.«

»Auf was? Dass er erneut aus dem Haus schleicht, um sich zuzuschütten, so wie letzte Woche?«, blaffe ich Colin an und als er zusammenzuckt, tut mir mein Ausbruch sofort leid. »Entschuldige.«

Colin tritt neben mich und nimmt meine Hand. »Er geht mir genauso auf die Nerven, Mik. Aber wir können ihn doch nicht zwingen, mit uns zu reden.«

Bevor ich antworten kann, geht oben Musik an. Laute Rockmusik, die Kilian als Teenager gerne gehört hat, um uns nach einem Streit eins reinzuwürgen. Doch wenn er glaubt, dass ich mir das gefallen lasse, kennt mein Sohn mich nicht so gut, wie er denkt.

»Jetzt reicht es!«

Ich bin so schnell nach oben und in Kilians Zimmer gestürmt, dass er mich verdattert ansieht, als ich mich neben seinem Bett aufbaue, in dem er liegt, und nach der Fernbedienung für die Musikanlage greife, die hier noch steht. Wir haben es nicht über uns gebracht, seine alten Sachen wegzuräumen. Ein Klick und auf einmal herrscht Stille. Ich greife nach dem Buch, das er in der Hand hält. Kilian schnappt entsetzt nach Luft und versucht, es mir wieder wegzunehmen, aber da habe ich bereits erkannt, was er sich angesehen hat. Es ist das Fotoalbum von seiner zweiten Hochzeit mit Dale, die wir ganz familiär bei uns im Garten gefeiert haben.

»Willst du euch aufgeben, Kilian?«, frage ich eisig und deute auf ein Foto, das Dale und ihn zeigt, wie sie in die Kamera lächeln, sichtlich glücklich. »Ist es das? Willst du alles hinwerfen, nur weil es mal schwierig ist?«

»Schwierig?«, äfft Kilian mich nach und schnaubt, als ich ihn auffordernd ansehe, bevor er die Beine aus dem Bett schwingt und aufsteht. »Dale hat mit einem anderen Kerl gefickt!«

»Und warum?«, frage ich trocken, was ihn noch mehr auf die Palme treibt.

»Ach so, jetzt bin ich Schuld daran, oder was?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe dich gefragt, aus welchem Grund er es getan hat. Oder willst du mir etwa weismachen, dass dein Ehemann aus purer Langeweile fremdgegangen ist?«

»Das geht dich überhaupt nichts an!«, brüllt Kilian los und macht kehrt. Kurz darauf knallt die Badezimmertür so heftig zu, dass die Bilder an der Wand wackeln.

Mein Blick fällt auf Colin, der in der offenen Tür steht und zwischen Sorge auf Kilian und Empörung auf mich schwankt. Ich kann verstehen, dass er sauer ist, aber wir können Kilian nicht andauernd mit Samthandschuhen anfassen. Er muss sich endlich damit auseinandersetzen, dass an einer Trennung zwei Personen Anteil haben. Ich will damit nicht ausdrücken, dass ich ihm die Schuld an Dales Seitensprung gebe, doch ihn trifft eine Mitschuld, sonst wäre es nie dazu gekommen.

»Mik? Sag' mir, was du denkst«, bittet mich Colin und ich sehe auf das Album in meiner Hand.

»Ich glaube, dass der Alltag sie aufgefressen hat«, sage ich leise und runzle misstrauisch die Stirn, als Colin sich nach meinen Worten auf die Unterlippe beißt. »Was hast du?«

»Dale hat seinen Ehering geküsst, als ich letztes Mal ins Büro kam. Er hat mich nicht sofort bemerkt, weil er weinte, aber er hat Cupcake erzählt, dass er alles dafür tun würde, um die Zeit zurückdrehen zu können und es besser zu machen.«

Das ist ein eindeutiger Beweis für mich, dass ich recht haben könnte. Aber ich frage mich, warum Colin mir das nicht erzählt hat. »Wieso hast du nichts gesagt?«

»Damit du ihn noch mehr bedrängst, als jetzt schon?« Colin schüttelt resigniert den Kopf, als ich etwas sagen will. »Mik, unser Sohn reagiert genauso wie ich, wenn er in eine Ecke gedrängt wird, und wo das hinführt, wissen wir beide ja wohl am besten. Am Ende warst du weg und ich musste bis nach Australien fliegen, um dich zu finden und zurückzubekommen. Ich will aber nicht, dass Kilian oder Dale aus unserem Leben verschwinden, weil du sie nicht in Ruhe lässt. Kannst du das nicht verstehen?«

Colin wendet sich hastig ab und lässt mich allein. Ich bin zu überrascht von seinen Worten, um ihm zu folgen. Was ich tun müsste, um mich zu entschuldigen. Dass er Angst um unsere Jungs hat, wusste ich, aber mir war nicht klar, dass er glaubt, ich würde Kilian oder Dale zu heftig bedrängen. Verdammter Mist. Ich muss mit ihm reden. Sofort.

Ich komme allerdings nicht dazu, denn ausgerechnet jetzt fängt mein Handy an zu klingeln. Es ist Adrian, was meine erste Überlegung, den Anruf zu ignorieren, in Luft auflöst. Einen Anruf von ihm kann man nicht einfach auf später verschieben oder ganz ignorieren. Wenn ich eines in den vergangenen Jahren gelernt habe, dann das. Tief seufzend setze ich mich auf die oberste Treppenstufe und nehme ab.

»Wie sieht es aus?«, fragt Adrian umgehend.

»Meine Männer sind sauer auf mich.«

»Beide?«, hakt er irritiert nach und gluckst, als ich die Frage bejahe. »Was hast du angestellt?«

»Ich habe Kilian einige unangenehme Fragen gestellt und Colin hat es gehört.«

Adrian seufzt resigniert. »Das war nur eine Frage der Zeit, wie ich es dir bereits vor zwei Wochen gesagt habe. Deine Vermutung stimmt also?«

»Kilian hat sie zumindest nicht widerlegt. Dazu hat er auch gar keine Zeit, weil er nur noch damit beschäftigt ist, mich anzuschreien und mir zu erklären, dass es mich nichts angeht. Ich glaube, er wollte es nicht sehen. Keine Ahnung, ob Dale etwas bemerkt hat. Sie hätten auf jeden Fall früher miteinander reden müssen, dann wäre es nie so weit gekommen.«

»Vielleicht«, schränkt Adrian ein und ich muss ihm da leider Recht geben.

»Ja, schön. Vielleicht.« Ich reibe mir die Stirn, um das leichte Pochen hinter den Schläfen wieder loszuwerden, bevor es sich in richtige Kopfschmerzen verwandelt. »Bin ich zu hart zu ihm?«

Adrian schweigt einen Augenblick. »Möglicherweise, aber irgendwer muss es ihm sagen. Er kann nicht ewig im Selbstmitleid baden oder die ganze Schuld auf Dales Schultern abwälzen. Ja, der Seitensprung war das letzte, doch den Weg dahin sind sie gemeinsam gegangen, und das sollte Kilian eigentlich wissen.«

»Er will es nicht hören.«

»Und genau darum muss es ihm jemand sagen. Colin kann es nicht, das wissen wir doch beide.«

»Also werde ich weiter der Arsch vom Dienst sein.«

»Mik ...«

»Ja, ich weiß, aber es fühlt sich nicht gerade super an, okay? Du hast ihre Blicke nicht gesehen.«

»Das muss ich nicht, ich kann sie mir vorstellen. Rede mit Colin und lass Kilian heute in Ruhe. Es ist wichtiger, dass ihr beide nicht auch noch anfangt zu streiten. Kilian kann warten, Colin nicht.«

Ich werde Adrians Rat annehmen, da er nicht von der Hand zu weisen ist. Falls Colin und ich uns wegen Kilian in die Haare bekommen, wird die Situation hier im Haus noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist. »Ich ruf' dich wieder an.«

»Wehe, wenn nicht«, droht er und entlockt mir damit unwillkürlich ein Grinsen. Es fällt in sich zusammen, als ich Colin unten an der Treppe entdecke. »Gib ihn mir.«

»Woher …?«

»Dein tiefes Einatmen war nicht zu überhören«, sagt Adrian, worauf ich verdutzt blinzle, weil ich das gar nicht registriert habe. »Mik, lass mich mit ihm reden.«

Ich halte Colin mein Handy hin, der die Treppe hoch kommt und sich neben mich setzt, aber ich brauche jetzt ein paar Minuten für mich. Deshalb stehe ich auf, lächle ihm kurz zu, damit er sich keine Sorgen macht, und gehe runter in die Küche. Ich hätte jetzt wirklich nichts gegen einen Drink oder besser gleich einen Doppelten. Aber da das keine gute Idee ist, solange Kilian sich benimmt wie ein bockiger Teenager, wird Kaffee reichen müssen.

Ich sitze schon an der zweiten Tasse, als Colin sich zu mir gesellt. Er nimmt mir die Tasse aus der Hand, gönnt sich einen Schluck und sieht mich dann verlegen an.

»Ich bin nicht sauer auf dich, Mik. Ich bin einfach nur frustriert, weil … weil ...« Er seufzt und fährt sich dabei durch die Haare. »Die ganze Situation frustriert mich.«

»Mich auch. Mit jedem Tag mehr.«

Wir schweigen für eine Weile, bis Colin meine Hand nimmt und unsere Finger miteinander verschränkt. Ich liebe diese Geste und ich liebe es, wenn er mich berührt. Was in letzter Zeit viel zu selten vorkam. Die Streitereien zwischen Kilian und Dale sind auch an uns nicht spurlos vorübergezogen. Es fragt sich jetzt nur, wie lange das so weitergehen wird. Oder ehrlicher gesagt, wie lange wir es noch aushalten. Ich, für meinen Teil, habe gestrichen die Nase voll.

»Colin, wir müssen etwas tun.«

»Dale?«, fragt er und zeigt mir damit wieder einmal, wie gut er mich kennt.

»Ja«, antworte ich und schaue zu ihm. »Bei unserem Trottel von Sohn erreichen wir nichts, aber vielleicht bei Dale. Einer von ihnen muss endlich den Anfang machen und wir wissen beide, dass Kilian es nicht tun wird.«

»Er ist kein Trottel«, murmelt Colin und grinst, als ich die Augen verdrehe. »Na schön, ja, im Moment ist er ein Trottel. Ein sehr unglücklicher.«

»Und darum fahre ich jetzt zu Dale, um ihm den Kopf zu waschen. Er war schon immer der Vernünftigere von beiden, das kann ich bestimmt irgendwie nutzen.«

 

 

Kapitel 5

 

»Hallo Dale.«

Er wird blass, als er meine Stimme hört, aber er setzt sich auf und bietet mir mit einem Wink seiner Hand den Bürostuhl als Sitzplatz an. Ich ignoriere das Angebot und setze mich direkt neben Dale auf die Couch, während ich mich umsehe. Es sieht recht ordentlich aus, offenbar hat er vor Kurzem aufgeräumt.

»Wo ist Cupcake?«, frage ich, als mir aufgeht, was hier fehlt. »Und die wichtigste Frage, wie geht’s dir?«

»Hat Sam heute noch keinen Bericht erstattet?«

»Doch, ich frage aber dich, nicht ihn.«

»Es geht so«, murmelt er und klingt irgendwie nervös. »Sam hat Cupcake heute Morgen mitgenommen. Meinte, sie bräuchte mehr Auslauf und frische Luft.«

»Davon hat er mir gar nichts erzählt«, sage ich und als Reaktion darauf, weicht Dale meinem Blick aus, was ein Schuldeingeständnis für mich ist. »Hast du dich mit ihm angelegt?«

»Ein bisschen vielleicht«, gibt er leise zu und schaut mich zögernd von der Seite her an.

»Aha?«

Dale zuckt mit den Schultern und zieht die Decke um sich, während er ein Stück von mir abrückt. Ich sehe ihn unverwandt an, was Dale mit jeder Sekunde unruhiger macht und schließlich verliert er die Nerven.

»Na schön, wir haben gestritten, und am Ende hat er mir die Leviten gelesen.«

Was immer Samuel zu ihm gesagt hat, muss Eindruck hinterlassen haben, denn Dale ist nüchtern, wie mir erst in dem Moment auffällt. Er sieht nicht gut aus, hat wohl eine Weile nichts mehr gegessen. Und eine Dusche kann er auch vertragen, aber mein Schwiegersohn ist wirklich nüchtern. Das muss ich unbedingt nutzen. Wenn Kilian schon nicht aus dem Loch herauszubekommen ist, in das er sich nach der Trennung geflüchtet hat, schaffe ich es vielleicht, Dale wieder hochzuziehen.

»Erzähl' es mir.«

»Ich glaube nicht, dass ...«

»Dale!«

Er zuckt zusammen und räuspert sich. »Es war meine Schuld.«

»Mag schon sein, aber das ist es nicht, was ich von dir  wissen will«, kontere ich, worauf Dale den Kopf hängen lässt und anfängt, mit einem Zipfel der Decke zu spielen. »Soll ich fragen und du antwortest?« Ein Nicken ist seine einzige Antwort. Gut, wenn er es so will, tue ich ihm den Gefallen. »Okay … Kilian war verletzt, als wir ihn holten. Er sagte, er hat dich geschlagen und du hast dich gegen ihn verteidigen müssen. Stimmt das?«

Dale nickt.

»Ging es dabei um deinen Seitensprung?«

Er nickt erneut und bestätigt damit Kilians Worte, an denen ich zwar nie gezweifelt habe, aber trotzdem hoffte, dass es ein Missverständnis war. Die Hoffnung hat Dale soeben zerschlagen und ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll. Einen Fehltritt dieser Art hätte ich von ihm niemals erwartet.

»Wie lange habt ihr euch schon gestritten? Wann fing es an, schiefzulaufen?«

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortet er nach einiger Zeit und zieht ein Bein auf die Couch, um seine Arme auf dem Knie abzulegen. »Ein paar Wochen.«

»Ihr habt schon im letzten Jahr Probleme gehabt, das ist uns allen aufgefallen.«

»Das war nicht so schlimm, wir waren eben gestresst und mussten beide viel arbeiten.«

»Und habt nicht darüber geredet, oder?«

»Nein«, murmelt Dale und sieht mich an. »Hat er euch gesagt, dass ich … also … ich ...«

»Ich weiß, dass du betrunken mit einem anderen Kerl in der Kiste gelandet bist, falls du darauf anspielst.«

Dale hat den Anstand rot zu werden. »Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ehrlich gesagt. Das soll keine Entschuldigung sein, aber ich weiß einfach nicht, wie ich in Millers Bett gelandet bin.«

Bei mir schrillen sämtliche Alarmglocken, was ich mir nicht erklären kann. Miller? Der Name kommt mir vage bekannt vor, aber ich weiß auf die Schnelle nicht, wo ich ihn einordnen soll. Kenne ich ihn? Sollte ich ihn kennen?

»Miller«, sage ich mehr zu mir selbst und Dale runzelt die Stirn. Doch bevor er etwas sagen kann, fällt bei mir der Groschen. »Moment mal, wir reden hier nicht gerade von Miller Jenkins, oder?«, will ich wissen und sehe Dale fassungslos an, der sichtlich schluckt, bevor er nickt.

»Bitte sag' mir jetzt nicht, dass du den Mann kennst, mit dem ich ...« Er bricht ab und stöhnt peinlich berührt auf, als ich schnaube. »Oh Gott, auch das noch.«

»Philadelphia ist ein Dorf, wusstest du das nicht? Und Miller Jenkins ist ein Arschloch!« Dale verzieht gequält das Gesicht und vergräbt es dann zwischen den Händen, worauf ich mit einem wüsten Fluch mein Handy aus der Tasche ziehe, um Adrian anzurufen. Jenkins, ich dachte, der sitzt im Knast. Da gehört er nämlich hin. »Kannst du rausfinden, seit wann Miller Jenkins nicht mehr in einer Zelle vermodert?«, falle ich mit der Tür ins Haus, als der Anwalt abhebt.

»Jenkins?« Adrian überlegt kurz, doch dann flucht er laut und reichlich vulgär. »Sag' mir nicht, er ist Schuld an der ganzen Scheiße zwischen Kilian und Dale.«

»Er ist der Kerl, mit dem Dale im Bett aufgewacht ist, und ich verwette mein letztes Hemd, dass Jenkins Dale irgendwelche Drogen untergejubelt hat. Genau wie er es bei Amber, Kilian und den Zwillingen versucht hat.«

Als ich auflege, hat Adrian mir versprochen, sofort bei ein paar alten Freunden nachzuhaken und sich wieder zu melden, sobald er mehr weiß. Mittlerweile hat auch Dale eins und eins zusammengezählt und verstanden, dass er reingelegt worden ist. Wahrscheinlich bei seiner letzten Sauftour von Jenkins unter Drogen gesetzt wurde, ohne es zu bemerken.

»Was mache ich denn jetzt?«, fragt er hilflos.

»Mitkommen«, antworte ich und stehe auf, um Dale eine Hand zu reichen. »Du musst mit Kilian reden.« Mich wundert nicht, dass er den Kopf schüttelt, aber ihn jetzt hierzulassen und nach Hause zu fahren, kommt für mich nicht infrage. »Hat man dir das bei der DEA beigebracht? Einfach aufgeben und alles hinwerfen, wenn es Probleme gibt? Ist das etwa dein Plan? Deine Vorstellung von, 'In guten wie in schlechten Zeiten'?«

»Kilian will mich nicht mehr.«

»Mein Sohn liebt dich!«

»Ich habe ihn betrogen, Mik. Das kann ich nie wieder rückgängig machen, geschweige denn durch irgendetwas entschuldigen. Ganz egal, ob ich besoffen oder high oder beides war. Selbst wenn Jenkins mich reingelegt hat, das ändert gar nichts.«

»Es ändert alles, Dale«, widerspreche ich ihm wütend. »An einem Betrug sind immer zwei Menschen schuld. Es ändert vielleicht nichts daran, dass du ihn betrogen hast, aber du solltest ja wohl am besten wissen, was Menschen unter Drogeneinfluss alles anstellen können. Noch dazu, wo du dich nicht mal erinnern kannst. Wenn mein Sohn das nicht zu deinen Gunsten auslegt, ist er ein Idiot.«

»Jetzt hör' aber auf. Du redest hier von Kilian.«

»Der im letzten Jahr mehrere Ausstellungen hatte. Er ist mit schuld an eurer Krise, und das weiß er auch.«

Dale schnaubt und schüttelt den Kopf. »Geh' einfach. Kümmere dich um ihn und lass mich in Ruhe.«

»Damit du hier weiter in deinem Selbstmitleid baden kannst? Träum' weiter.«

»Hau endlich ab!«

Dale sieht einen Moment lang aus, als würde er von der Couch aufspringen und mich niederschlagen wollen. Aber er beherrscht sich. Zumindest noch. Ich werde ihn schon dazu kriegen, die Fassung zu verlieren.

»Nein.«

»Scheiße, verdammt noch mal!«, flucht er und da setzt in mir etwas aus. Ich packe ihn so schnell am Kragen von seinem T-Shirt, dass Dale vor Überraschung der Mund offenstehen bleibt.

»Ich werde nicht abhauen, weil du genauso jemanden brauchst, wie Kilian. Um ihn kümmert sich Colin, daher bin ich hier. Bei dir. Und ich werde dableiben und dir so lange in dein schlechtes Gewissen reden, bis du endlich den Arsch hochkriegst. Deine Eltern sind nämlich beide der Meinung, dass du das ab und zu brauchst.«

»Das haben sie gesagt?«, fragt Dale kleinlaut.

»Das und noch einiges mehr, was du mit Sicherheit nicht hören willst.«

Dale zittert und setzt ein paar Mal an, etwas zu sagen, aber er schweigt. Dafür sprechen seine Augen eine recht deutliche Sprache.

»Na los. Schlag' mich. Ich sehe dir an, dass du genau das tun willst, aber das wird auch nichts ändern. Du und ich, Dale, wir sitzen im selben Boot. Nur das ich meines bereits vor Jahren in Australien verlassen habe, als Colin mir folgte und um mich kämpfte. Und jetzt bist du dran. Also schieb' deinen versoffenen Arsch unter die Dusche und danach kommst du mit zu uns, damit du um Kilian kämpfen kannst.«

»Ich will nicht«, trotzt er wie ein Kleinkind und bringt mich damit zum Lachen.

»Doch, du willst. Und wie du willst, Dale. Weil du ihn liebst und vermisst und weil dir sein Rauswurf das Herz gebrochen hat, deswegen.« Ich halte ihn fest, als er sich von mir zurückziehen will. »Nein, Dale! Du hast Scheiße gebaut, als du ihn betrogen hast. Ja, er hat das Recht auf dich sauer zu sein. Er hatte auch das Recht dich aus dem Haus zu werfen. Aber jetzt bist du dran, denn er ist nicht der einzige mit Rechten. Also rede mit Kilian. Zwing' ihn dazu, wenn nötig. Schafft diesen Mist aus der Welt.«

»Wieso kommt er nicht her und redet mit mir?«

»Weil er dazu im Moment nicht in der Lage ist. Weil er ein Sturkopf und Volltrottel ist. Weil du, im Gegensatz zu ihm, Argumenten noch zugänglich bist. Er liebt dich und du liebst ihn. Rette eure Ehe, Dale. Mach' den ersten Schritt, denn Kilian kann es nicht. Und er ist auch nicht derjenige, der seinen Schwanz nicht in der Hose lassen konnte.«

Dale zuckt getroffen zusammen. »Das wird er mir nie verzeihen.«

Bitte kein weiterer Ausflug ins Selbstmitleid, ich kann es wirklich nicht mehr hören. »Solange du hier rumliegst und heulst, vermutlich nicht. Und bevor du es sagst, nein, du kannst nicht hierbleiben und weiter heulen.«

»Wieso nicht?«, fragt er bockig und ich stöhne genervt auf, bevor ich ihn in die Polster der Couch drücke.

»Weil du Kilian liebst, Dale. Schlicht und ergreifend. Und darum kommst du jetzt mit. Ich weiß, dass du Angst hast, aber das ist mir egal. Oder willst du wirklich alles hinwerfen und lieber abwarten, bis du irgendwann eure Scheidungspapiere im Briefkasten findest?«

 

 

Kapitel 6

 

Vier Stunden später kommt er aus dem Badezimmer und sieht mich fragend an. Ich begutachte Dales Aufzug und bin zufrieden. Er hat sich in Schale geworfen, trägt ein schwarzes Hemd zur schwarzen Stoffhose, nachdem wir die letzten drei Stunden damit zubrachten, das Haus einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Und das war nicht einfach.

Dale musste sich wirklich beherrschen, als er sah, was Kilian in seinem Atelier angerichtet hat. Die Küche, das Wohnzimmer, der ganze Dreck, all das hat er mit einem eher beiläufigen Schulterzucken kommentiert, aber dass Kilian sogar seine Zeichnungen zerstört hat, das hat ihn seelisch schwer getroffen. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn soweit hatte, dass er sie wegwirft, denn zu retten war keine einzige. Aber er hat es geschafft und anschließend mit mir das Wohnzimmer aufgeräumt.

Die Küche bleibt allerdings, wie sie ist. Kilian soll nur nicht auf die Idee kommen, dass wir ihm alles hinterher räumen. Und dieses Schlachtfeld hat er zu verantworten, nicht Dale.

»Du siehst gut aus«, sage ich ehrlich und schmunzle, als er erleichtert seufzt. »Willst du noch was mitnehmen? Ein paar Sachen für dich? Du schläfst nämlich den Rest der Woche bei uns.«

»Äh ...«

Ich schüttle den Kopf und Dale verstummte. »Das ist mit Colin bereits abgesprochen. Ich habe ihn angerufen, als du duschen warst. Ob Kilian das gefällt oder nicht, du bleibst bei uns. Und jetzt Abmarsch.«

Wir sind eben aus der Haustür raus, als mein Handy zu klingeln anfängt. Adrian ruft an. Ich gehe ran, doch zu Wort komme ich nicht.

»Jenkins sitzt wieder in einer Zelle. Er hat zugegeben, dass er Dale mit Drogen betäubt und in sein Bett gepackt hat. Den angeblichen Seitensprung gab es gar nicht.«

Mir bleibt der Mund offenstehen und Adrian lacht.

»Ja, ich war auch völlig von den Socken, aber ehrlich gesagt, ich bin froh darüber. Es war übrigens genau, wie du vermutet hattest. Jenkins hatte ein Treffen mit einem seiner Kunden und ist rein zufällig über Kilian und Dale gestolpert. Sie haben sich offenbar auf dem Parkplatz eines Einkaufscenters gestritten und als Jenkins unseren Jungen erkannte, hat er beschlossen, ihm und Dale eins reinzuwürgen. Den Rest kannst du dir selbst denken.«

»Er ist Dale gefolgt, hat ihm die Drogen untergejubelt und das war's dann.«

»Bingo.«

»Oh Mann«, seufze ich und weiß nicht, ob ich lachen oder Dale lieber einen dicken Kuss geben soll, der mich sprachlos ansieht. »Danke, Adrian.«

»Nicht dafür«, wehrt er trocken ab. »Schaff' Dale nach Hause, damit dieses Drama endlich ein Ende hat.«

Adrian legt auf und ich verbringe die folgenden zehn Minuten damit, Dale zu erklären, was ich eben erfahren habe. Sein Gesichtsausdruck schwankt von Freude, über Angst, bis hin zu purer Erleichterung, und am Ende habe ich meinen lachenden Schwiegersohn im Arm, der mich festhält, als hinge sein Leben davon ab.

»Danke, danke, danke … Mik, ich ...«

Ich streiche ihm beruhigend über den Rücken, als er am ganzen Körper zu zittern anfängt. Ich schätze, seine Nerven sind gerade am Limit angelangt. »Ich weiß, Dale, ich weiß. Wir reden später. Das kann alles warten. Kilian ist jetzt wichtiger. Lass uns fahren, damit du ihm sagen kannst, dass du ihn nicht hintergangen hast und dass du ihn liebst.«

Im Auto fängt Dale an, nervös mit seinen Fingern zu spielen, so wie mein lieber Ehemann es auch macht, und als ich den Wagen schließlich in der Einfahrt abstelle, ist er ein nervliches Wrack. Ich habe ihn bisher nur ein Mal so gesehen, in der Nacht, als Kilian entführt worden war. Mich wundert auch nicht sonderlich, dass Dale im Auto sitzenbleibt, als ich aussteige, ins Haus gehe und Colin ins Bild setze. Er starrt mich zuerst völlig fassungslos an, aber dann lacht er und küsst mich, bevor er kehrtmacht und aus dem Haus stürmt. Grinsend sehe ich ihm nach, bis mir auffällt, dass es wieder mal an mir hängenbleibt, unseren sturen Sohn aus seinem Zimmer zu locken. Das zahle ich Colin irgendwann heim.

Allerdings ist Kilian schneller, denn bevor ich auch nur einen Fuß auf die Treppe setzen kann, kommt er von oben heruntergestürmt und rennt fast in mich hinein. Er hat sein Handy in der Hand, was mir alles verrät. Dieser Anwalt ist noch mal mein Tod.

»Wieso hast du ihn mitgebracht?«

»Wie viel hat Adrian dir erzählt?«

»Woher …?« Kilian bricht ab und sieht kurz auf sein Handy, bevor sein Blick erneut mich trifft. »Dann stimmt es wirklich?«

»Warum hätte er lügen sollen?«

»Keine Ahnung. Um mir eins reinzuwürgen?«

Ruhig bleiben, ermahne ich mich selbst. Das ist kein guter Zeitpunkt, um mit Kilian einen Streit darüber vom Zaun zu brechen, dass Adrian ihm nichts Böses, sondern einfach nur helfen wollte. »Dein Onkel liebt dich, Kilian, und wenn du mal aufhören würdest, mit Scheuklappen vor den Augen herumzulaufen, wüsstest du, dass wir uns Sorgen machen und helfen wollen. Dale hat nichts getan. Er hat dich nicht betrogen.«

»Als ob es nur darum ginge«, murrt er.

»Herrgott, Kilian!« Ich atme tief durch. »Ich weiß sehr wohl, dass es nicht nur darum geht, und genau deswegen habe ich ihn mitgebracht. Damit ihr endlich miteinander redet. Denn offensichtlich habt ihr das schon seit vielen Monaten nicht mehr getan, sonst wäre es vermutlich nie dazu gekommen, dass Dale lieber saufen geht, anstatt an deiner Seite zu bleiben. Korrigiere mich ruhig, wenn ich mich irre, mein Sohn. Deine Argumente sollten jedoch lieber stichhaltig sein, denn ich habe gestrichen die Nase voll davon, dass du dich seit Wochen aufführst wie ein bockiges Kleinkind!«

Das sitzt, denn Kilian starrt mich überrascht an, sagt aber nichts mehr. Colin räuspert sich hinter mir und weil mein Gefühl sagt, dass er nicht allein reingekommen ist, trete ich zur Seite, um alles im Blick zu haben. Dale steht neben ihm und hat für mich nicht mal einen Blick übrig. Er ist komplett auf Kilian fixiert, dem es ähnlich geht.

Ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Die beiden sind so verliebt ineinander, das es wunderschön anzusehen ist, trotz der Probleme, die sie derzeit haben. Ich schaue zu Colin, der lächelt und hinter Dales Rücken entlang zu mir kommt. Er will den Blickkontakt zwischen unseren Jungs genauso wenig stören, wie ich.

»Kilian, ich ...« Dale stockt und überlegt. »Ich will mit dir reden.«

»Wozu?«

»Weil wir dringend reden müssen, das weißt du.«

Ich kann Kilian ansehen, dass er nachgeben will, sich aber, aus mir unerfindlichen Gründen, nicht traut. »Und was dann? Ich habe keine Lust, mich wieder zu streiten.«

Dale schüttelt den Kopf. »Ich möchte nur reden, nicht streiten. Bitte, gib uns eine Chance.«

»Du hast uns doch schon längst aufgegeben, Dale. Du bist gegangen, falls dir das entgangen sein sollte.«

»Ja, weil du mich rausgeworfen hast, Kilian. Hätte ich dich mit Handschellen an einen Stuhl fesseln sollen, um dir klarzumachen, dass ich dich liebe?«

»Ja!«, schreit Kilian unerwartet und Dale zuckt heftig zusammen, denn damit er nicht gerechnet. Ich ebenfalls nicht, um ehrlich zu sein. »Genau das hättest du tun sollen. Aber du bist ja lieber abgehauen und hast mich alleingelassen. So wie damals, in dieser blöden Kiste, als ich fast verreckt wäre.«

Colin erstarrt neben mir und auch ich muss kämpfen, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich Kilians Worte schockieren. Er wirft gerade seine Entführung mit Dales und seinen Eheproblemen zusammen und ich bezweifle, dass er das mit Absicht getan hat. Dazu sieht er viel zu geschockt aus. Ich sehe zu Colin und er denkt dasselbe wie ich, sein Gesichtsausdruck ist deutlich zu lesen. Das war reiner Zufall, der nicht von ungefähr kam. Offenbar beschäftigt ihn diese Sache immer noch, und das weit mehr, als Dale und wir gedacht haben.

»Oh Gott«, flüstert Kilian plötzlich entsetzt und sieht Dale entschuldigend an. Er hat Tränen in den Augen und ich nehme instinktiv Colins Hand, um zu verhindern, dass er sich einmischt. »Das war nicht so gemeint. Es tut mir leid … ich … ich ...«

»Kilian ...«, murmelt Dale und streckt die Hand aus, doch bevor er ihn erreichen kann, bricht Kilian in Tränen aus und rennt durch den Flur ins Wohnzimmer und von dort in unseren Garten. Dale steht einen Augenblick wie erstarrt da, dann kommt Leben in ihn. »Kilian, warte!«

»Nicht.« Ich greife Colins Hand fester. »Lass Dale das machen.«

»Aber ...«

»Ich weiß, und wir werden darüber mit ihm sprechen, aber nicht jetzt.«

»Ich dachte, er hätte das verarbeitet«, murmelt Colin besorgt.

»Ich auch. Scheinbar haben wir uns geirrt. Und glaub' mir, Dale wird den Satz nicht so schnell vergessen. Wenn jemand unseren Sohn aus seinem Schneckenhaus holen kann, dann er.«

»Mik ...« Colin bricht ab und schluckt sichtlich. »Ich will doch nur helfen.«

»Das will ich auch, nur sind wir zwei derzeit nicht die richtigen dafür, und das weißt du.«

»Wieso bist du immer so vernünftig?«

»Weil du es gerade nicht sein kannst, Superdad.«

Colin grinst kurz und seufzt anschließend, während er seinen Kopf an meine Schulter lehnt. Ich streichle ihm durchs Haar, weil ihn das beruhigen wird. Und mir selbst hilft es auch, denn ich würde nichts lieber tun, als rausgehen und dabei sein, wenn Dale und Kilian reden. Was sie scheinbar tun, denn noch ist keiner von ihnen wieder zurück ins Haus gestürzt, also hoffe ich einfach auf das Beste.

»Wie wär's mit Kaffee, während wir warten?«, werde ich gefragt und nicke, als Colin den Kopf hebt und mich anschaut. Er kommt nicht ohne einen langen Kuss von mir weg und ich sehe ihm lächelnd nach, bis er in der Küche verschwindet.

Kaffee ist eine gute Idee. Ich schätze, unsere Jungs werden später auch einen brauchen. Mir wäre ja einer mit Schuss am liebsten, aber ich kann mir Colins Blick jetzt schon vorstellen, wenn ich ihm das vorschlage. Wie ich ihn kenne, wird er die nächsten Monate ganz genau hingucken, was Kilian, Dale und Alkohol betrifft.

Ich hoffe, sie schaffen es, denn ich will und kann mir einfach nicht vorstellen, dass die zwei aufgeben und sich scheiden lassen. Ganz besonders jetzt, wo feststeht, dass Dale nichts getan hat. Ich liebe ihn wie meinen eigenen Sohn und ich will, dass sie einen Weg finden, um ihre Eheprobleme in den Griff zu bekommen. Ich kann das nicht fordern, das weiß ich, aber ich wünsche es mir. Sie lieben sich und solange sie das tun, müssen sie kämpfen.

Ich würde Colin auch nicht aufgeben. Wahrscheinlich würde ich ihm eine reinhauen, sollte er auch nur auf die Idee kommen, einen Seitensprung in Betracht zu ziehen, aber ich würde ihn nicht kampflos aufgeben.

Wieso ist es draußen eigentlich so ruhig? Mein Blick wandert Richtung Wohnzimmer. Sie müssen im hinteren Teil vom Garten sein, weil ich sie nicht hören kann, was ich gern würde, ich gebe es zu. Wenn sie sich wenigstens streiten würden. Das wäre mit Sicherheit laut genug, um zu lauschen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und schiebe dabei meine Hände in die Hosentaschen. Colin habe ich davon abgehalten mitzuhören, also ist es nur gerecht, wenn ich es ebenfalls nicht tue. Vor allem, damit er sich nicht über mich lustig machen kann. Ich schaue erneut in Richtung Küche. Von Colin ist nichts zu sehen, ich könnte doch wenigstens einen kleinen Blick riskieren.

Bevor ich mich zurückhalten kann, habe ich schon die offenstehende Terrassentür erreicht und schaue hinaus. Kilian und Dale stehen sich vor meinem Kräutergarten gegenüber. Beiden ist ihre Verunsicherung darüber, wie es jetzt weitergehen soll, deutlich anzusehen.

»Mik, hast du …?«

»Psst!«, zische ich, bevor ich Colin hektisch an meine Seite winke und in den Garten deute. Kilians Schultern heben sich sichtbar, als Dale nach seiner Hand greift und über seine Finger streichelt. Mehrmals. Doch mein Sohn zögert merklich und schüttelt den Kopf, als Dale etwas zu ihm sagt.

Er ist so ein Sturkopf manchmal, das hat er von Colin, aber ich hoffe und bete, dass Dale sturer ist. Sie gehören zusammen und ich weiß, dass Kilian seinen Ehemann genauso sehr liebt, wie der ihn. Wäre es nicht so, würde er ihm nicht erlauben, ihn zu berühren und die Stirn an seine zu legen. Dale reibt mit der Nasenspitze neckend über Kilians und sagt erneut etwas zu ihm, woraufhin Kilian abrupt die Augen öffnet und Dale anschaut.

Ihre Blicke halten sich aneinander fest, während Dale vorsichtig die Hände an Kilians Wangen legt und für uns unhörbar zu reden anfängt. Allein sein Gesichtsausdruck verrät mir, wie ernst Dale seine Worte sind und ich hoffe und bete, dass er die richtigen findet.

Und dann küssen sie sich auf eine Art und Weise, die mein eigenes Herz schneller schlagen lässt, da ich selbst von hier erkennen kann, wie sehr sie einander brauchen. Colin atmet hörbar neben mir ein, sagt aber nichts, und so sehen wir schweigend zu, wie Kilian Dales Berührung erwidert. Eine Hand an dessen Wange legt und dann von sich aus einen weiteren Kuss beginnt.

Er ist so sanft und behutsam, so vorsichtig, als wäre es der erste Kuss zwischen ihnen und auf gewisse Weise ist er das auch.

»Glaubst du, sie schaffen es?« Colin umarmt mich und lehnt sich an meinen Rücken. »Ich lege beide übers Knie, wenn sie nicht … Uhm.«

Ich muss unwillkürlich grinsen, denn Dale hat seine Hände an Kilians Hosenbund gelegt, während der gerade anfängt, ihm das Hemd hochzuschieben. Ich schätze, der Garten verwandelt sich gleich in eine verbotene Zone.

»Äh ...«

»Schluck' es runter«, flüstere ich Colin zu, als Dale den Reißverschluss von Kilians Kapuzenshirt öffnet und es ihm dann langsam von den Schultern schiebt. »Denk' an etwas anderes«, schlage ich vor und wende den Blick ab, als Kilians Finger sich an Dales Gürtel legen. »Wir gehen jetzt und lassen sie ihre Ehe retten.«

»Mit Sex?«

»Es ist ein Anfang.« Ich drehe Colins Gesicht zu mir, als er selbiges verzieht. Ich kann mir denken, was unser Sohn draußen gerade tut, mehr visuelle Details brauche ich nicht. »Sie werden reden und es schaffen, da bin ich mir sicher. Und wir beide werden sie nicht dabei stören.«

»Aber das ist unser Garten.«

»Es ist warm genug, dass sie sich nichts einfangen.«

»Mik!«

»Nein!« Ich halte Colin davon ab, erneut zu ihnen zu sehen, zwinge ihn stattdessen meinen Blick zu erwidern. »Sie sind alt genug. Komm mit. Wir fahren zu Devin und Sam.«

»Aber ...«

»Nein!« Ich muss mir das Lachen verkneifen. Colin ist unmöglich in seiner Gluckerei und gleichzeitig würde ich ihn am liebsten dafür küssen. »Wir holen Cupcake ab.«

»Wir könnten doch ...«

»Hier warten, bis sie fertig sind? Auf gar keinen Fall. Wir haben Kilian einmal beim Sex überrascht, das reicht mir fürs ganze Leben.«

»Mik!«

Ich lache los.

 

 

Babyblues

 

Das Glück seiner Kinder steht für Tristan Kendall weit oben auf der Liste der Dinge, die für ihn im Leben am wichtigsten sind. Deshalb setzt er umgehend alle Hebel in Bewegung, um herauszufinden, was passiert ist, als eines Tages Noah überraschend bei Nick und ihm auftaucht. Denn statt seiner Partner Eric und Tom, hat sein Sohn, neben einer Reisetasche, nur eine blutige Nase und einen traurigen Gesichtsausdruck dabei.

 

 

Kapitel 1

 

»Du bist unmöglich.«

»Ich weiß ja, wer es sagt«, kontert Nick grinsend und bringt mich damit prompt zum Lachen, wie so oft, wenn wir herumalbern, als wären wir noch Teenager und keine Erwachsenen, die die Fünfzig längst hinter sich gelassen haben. Aber ich werde den Teufel tun und darauf verzichten, dafür liebe ich diesen Sturkopf neben mir viel zu sehr, der gerade fluchend mit unserem Haustürschlüssel kämpft. »Mistding ... Na also, geht doch.« Er schiebt die Tür auf und stutzt. »Was ist das denn?«

Ich sehe irritiert ins Innere. Mitten im Flur liegt eine volle Reisetasche. Achtlos fallengelassen oder vielleicht sogar hingeworfen, genauso wie eine Jacke und ein Paar mitgenommen aussehender Turnschuhe, die ihr Besitzer schon vergangenes Jahr wegwerfen wollte. »Die Schuhe gehören Noah.«

»Ich weiß, aber den Rest erkenne ich nicht«, sagt Nick und ich muss ihm zustimmen, denn ich kann weder die Tasche noch diese Jacke zuordnen. Das muss allerdings nichts bedeuten. Wir haben Noah schon eine Weile nicht persönlich gesehen und jeder Mensch braucht ab und zu neue Sachen.

Dennoch tauschen wir beunruhigte Blicke, bevor wir die Wocheneinkäufe in die Küche bringen und dann den Weg ins Obergeschoss einschlagen. Oben im Flur liegen eine verdreckte Jeans, Socken und ein weißer Pullover, der mit Sicherheit schon bessere Tage gesehen hat.

»Was soll …?«

Nick bricht die Frage ab, aber ich weiß trotzdem, was ihm im Kopf herumgeht. Dazu hätte ich nicht mal auf die halb offen stehende Tür zum alten Kinderzimmer unserer Jungs sehen müssen. Unser Sohn ist hier und er ist allein gekommen. Ohne seine Männer. Kein gutes Zeichen. Wir tauschen einen zweiten Blick, doch dann hält Nick nichts mehr zurück und er schiebt die Tür auf.

Wir haben es selbst nach ihrem Auszug nicht übers Herz gebracht, das Zimmer auszuräumen und für uns zu nutzen. Noch immer hängen Poster von Schauspielern, Musikerinnen und Sportlern an den Wänden. Selbst die Bettwäsche ist dieselbe, wie damals. Es mag albern sein, aber dieses Zimmer steht immer für unsere Jungs bereit, wenn sie zu Besuch kommen, und daran wird sich auch niemals etwas ändern.

Was sich verändert hat, ist das Gesicht des Mannes, der in seinem ehemaligen Bett liegt und schläft. Noah ist älter geworden. Reifer. Er ist mittlerweile Mitte dreißig und längst nicht mehr der verschreckte kleine Junge, der er war, als er mit Liam zu uns kam. Dennoch überkommt mich bei seinem Anblick das gleiche hilflose Gefühl wie früher, denn die Spuren in seinem Gesicht sprechen eine mehr als deutliche Sprache. Noah hat geweint und er hat getrocknetes Blut unter der Nase. Oh Gott.

Nick zieht neben mir harsch die Luft ein. »Ist das …?«

»Ja«, antworte ich leise und nehme seine Hand, um ihn davon abzuhalten, zu Noah zu stürmen und ihn aus dem Schlaf zu reißen. Das wäre das Schlechteste, was er im Moment machen kann, gebe ich Nick mit einem Blick zu verstehen, den er mit widerwilligen Nicken akzeptiert, als ich streng mit dem Kopf schüttle. Noah ist hier und es geht ihm nicht gut. Aber wir werden ihn trotzdem erst mal schlafen lassen. Er braucht Zeit und ich sorge dafür, dass er sie bekommt. Damit konnten wir ihn immer am schnellsten erreichen. »Lass uns gehen.«

»Ich könnte doch ...«

»Nein«, unterbreche ich Nick resolut. »Du räumst die Einkäufe weg, ich koche Milchreis. Noah wird uns sagen, was in New York vorgefallen ist, sobald er aufwacht. Lass ihn schlafen, Nicky.«

 

Es ist längst dunkel draußen, als Noah sich endlich zu uns in die Küche gesellt. Wir haben bereits gegessen und sein Milchreis steht in der Mikrowelle. Ich deute wortlos in die entsprechende Richtung und Noah seufzt leise, als er sein Abendessen entdeckt. Normalerweise würden wir jetzt schmunzeln, aber unser Sohn hat noch kein einziges Wort gesagt und ich muss Nick nicht anschauen, um zu wissen, dass er langsam anfängt sich Sorgen zu machen. Mir geht es genauso.

Die Mikrowelle erledigt leise brummend ihre Arbeit und sie ist das einzige Geräusch im Raum, bis Noah sich einen Löffel aus der Schublade holt und dann nach einer Schere greift, um die Packung Apfelmus zu öffnen, die ich ihm schon bereitgestellt habe.

Ich tausche einen kurzen Blick mit Nick, als Noah beginnt den Apfelmus direkt aus dem Karton zu essen, weil der Milchreis noch nicht fertig ist. Wann hat er das letzte Mal etwas gegessen? Ich lasse meine Augen über seinen Körper wandern. Er ist schlank, wie immer, aber nicht zu dünn. Die Zeiten haben wir offenbar wirklich hinter uns, Gott sei Dank.

»Noah?«, fragt Nick schließlich, nachdem unser Sohn schweigend den Milchreis aus der Mikrowelle geholt und die Schüssel bis zum Rand zusätzlich mit Apfelmus voll gekippt hat, um danach im Stehen zu essen.

Das hat er seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht, denn es war immer ein Zeichen für uns, dass er lieber in Ruhe gelassen werden will. Aber wieso steht er dann noch hier in der Küche und geht nicht in sein Zimmer zurück, so wie früher? Ich räuspere mich und ziehe damit Noahs Aufmerksamkeit auf mich, das erkenne ich daran, wie er die Schultern hochzieht, als erwarte er einen Tadel. Wie der verunsicherte Junge, der er schon sehr lange nicht mehr ist. Was auch immer zwischen Tom, Eric und ihm vorgefallen ist, hat ihn ziemlich durcheinandergebracht.

»Warum hast du geblutet?«, frage ich, weil das für Nick und mich erst mal das Wichtigste ist, was wir in Erfahrung bringen müssen. Ich glaube nicht daran, dass Eric seine furchtbare Vergangenheit wieder hat aufleben lassen, aber Noah ist nun mal mein Sohn und ich muss sicher gehen.

Es dauert eine Weile, bis er sich von seinem Milchreis losreißt und mich ansieht. »Ich habe mich geprügelt.«

»Mit Eric? Wenn dieser ...«

»Nicky«, unterbreche ich ihn, bevor er unbegründete Vorwürfe aussprechen kann, denn da ist etwas in Noahs Blick, das ich nicht greifen kann, aber Eric hat mit seiner blutigen Nase nichts zu tun, dessen bin ich mir sicher.

»Nein, nicht mit Eric«, murrt Noah und sieht Nick für einen Moment verärgert an, bevor er sich wieder seinem Milchreis zuwendet. Erneut kehrt Schweigen ein, aber dieses Mal scheinen ihn unsere fragenden und besorgten Blicke zu stören, denn es hält nicht lange an. »Da war so ein Arschloch am Busbahnhof. Er hat seinen weinenden Sohn am Arm mit sich gezerrt. Ich habe ihm mehrmals gesagt, dass er es lassen soll, weil er dem Jungen wehtun würde. Der Mistkerl hat nur gelacht und gemeint, ich soll mich raushalten. Habe ich natürlich nicht getan.«

»Und dann?«, fragt Nick, als Noah nicht weiter redet, worauf unser Sohn trotzig mit den Schultern zuckt.

»Ich habe ihm eine verpasst, er schlug zurück und am Ende tauchten die Cops auf. Und bevor ihr mich weiter nervt, ich hab' Adrian angerufen, dass er mich raushaut, zufrieden?« Er stellt den restlichen Milchreis mit einem angewiderten Blick zur Seite. »Ich gehe schlafen.«

»Noah ...«

»Nein, Dad. Lass mich einfach in Ruhe, okay?«

Er ist aus der Küche geflüchtet, bevor Nick reagieren kann und ich suche dessen Blick. Mir ist klar, was er will, aber eigentlich sollten wir das nicht tun. Andererseits, ich werde diese Nacht kein Auge zutun, wenn ich nicht weiß, was los ist und die einzigen beiden Personen, die mir das sagen können, sind in New York City. Innerlich seufzend gebe ich mir einen Ruck und nicke.

»Ich rufe Tom und Eric an.«

»Gut, dann übernehme ich Adrian«, sagt Nick schlicht und ich ahne, was sich unser Superanwalt für alle Fälle gleich anhören kann. Wenn es um Noah geht, kennt Nick keinen Spaß.

 

 

Kapitel 2

 

Eine halbe Stunde später sind wir leider immer noch nicht schlauer. Adrian hat es nicht geschafft, irgendetwas von Noah in Erfahrung zu bringen, als er unseren Sohn aus der Polizeistation geholt und bei uns abgesetzt hat. Das einzig Positive an dieser Sache ist, dass die Schlägerei, dank Adrians Hilfe, für Noah ohne Folgen bleibt.

Eric war mir gegenüber am Telefon leider auch kein bisschen auskunftsfreudiger. Sie haben sich über etwas, das allen drei ziemlich wichtig ist, heftig gestritten, soviel weiß ich jetzt, aber worum es genau ging und wieso Eric und Tom nicht längst auf dem Weg zu uns sind, ist mir schleierhaft. Eric war kurz angebunden und hat mich dann auch rabiat abgebügelt, nur gesagt, dass es an Noah wäre, uns zu erklären, was passiert ist. Am Ende hat er mir noch befohlen, dass wir gefälligst gut auf Noah aufpassen sollen. Sein mürrischer Tonfall hätte mich fast zum Lachen gebracht, aber seine Worte zeigten mir auch ziemlich deutlich, dass Eric und Tom, Streit hin oder her, unseren Jungen über alles lieben.

»Und was nun?«, fragt Nick schließlich und fährt sich mit der Hand nervös durchs Haar.

»Wir warten erst mal ab«, entscheide ich und schüttle den Kopf, als Nick mich überlegend ansieht. Er möchte am liebsten sofort zu Noah gehen und unseren Sohn so lange nerven, bis er weiß, was vorgefallen ist. Das dürfte jedoch nichts bringen, wie ich Noahs Sturkopf kenne. Was das angeht, sind sie sich beide ebenbürtig. »Heute nicht mehr.«

»Tris ...«

»Ich weiß«, komme ich seinem Einwand zuvor. »Aber es ist fast Mitternacht, wir können heute ohnehin nichts mehr tun. Unser Sohn wäre nicht hergekommen, wenn er unsere Hilfe nicht wollte. Was auch immer der Grund für ihren Streit war, getrennt haben sie sich, laut Eric, nicht. Als ich ihn darauf ansprach, ging er fast an die Decke. Da steckt etwas ganz anderes dahinter. Lass uns bis morgen warten, dann reden wir mit Noah.«

 

Ich werde wach, weil auf der Treppe Schritte zu hören sind, die nicht gerade leise nach unten führen. Es dauert einen Moment, bis ich das andere Geräusch erkenne, das mich zusätzlich aus dem Schlaf gerissen hat, denn wenn in diesem Haus jemand weint, habe ich das schon immer mitbekommen, selbst im Tiefschlaf. Da bin ich übrigens nicht der Einzige.

»Verdammt«, murmelt Nick neben mir, wie erwartet, und wenig später sind wir auf dem Weg nach unten ins Wohnzimmer, aus welchem Licht in den Flur scheint.

Noah hat sich auf der Couch in eine Decke eingerollt. Beide Beine eng an den Körper gezogen und das Gesicht unter seinem Arm vergraben, liegt er da und weint leise vor sich hin. Seine Schultern zucken immer wieder und zwischendurch schluchzt er auf. Es bricht mir das Herz, ihn so zu sehen.

Nick holt hörbar Luft und ich sehe zu ihm. Er will zu Noah, traut sich aber nicht. Sein Gesichtsausdruck verrät ihn, aber ich denke, es ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn er den ersten Schritt macht. Wäre es Liam, der auf der Couch sitzt, hätte ich mich längst zu ihm gesellt. Es mag auf andere Eltern vielleicht befremdlich wirken, aber unsere Söhne haben Nick und mich vor langer Zeit unter sich aufgeteilt. Liam gehört zu mir, Noah zu Nick. So war es seit jeher und das wird sich hoffentlich nie mehr ändern.

Anfangs fand ich es irritierend und ich war manches Mal auch eifersüchtig auf Nick. Er weiß das und ihm ging es bei mir und Liam nicht anders. Doch das ist lange her. Wir haben uns damit arrangiert und deswegen stupse ich Nick jetzt auch an und deute schweigend auf Noah, als er mich fragend ansieht.

'Nun geh' schon', soll mein Blick ihm sagen und Nick versteht mich. Er überwindet die wenigen Schritte zum Sofa und geht in Höhe von Noahs Kopf in die Knie. Seine Hand findet ihren Weg auf den Arm unseres Sohnes und als hätte Noah darauf nur gewartet, hebt er selbigen von seinem Gesicht und schlingt ihn um Nicks Schultern, der ihn sofort an sich zieht.

»Ach Noah«, murmelt Nick und streicht ihm liebevoll durchs Haar. »Was ist denn nur passiert, hm?«

»Ich hab's vermasselt«, gibt Noah nach einer kleinen Ewigkeit zu und rückt näher an seinen Vater heran.

»Was hast du vermasselt?«, fragt Nick nach, bevor ich es tun kann, denn wenn unser Junge schon von sich aus zu reden anfängt, wollen wir die ganze Geschichte hören. Auch wenn sie uns vielleicht nicht gefallen wird.

»Das mit Tom und Eric.« Noah schnieft hörbar, dann sieht er kurz zu mir auf und versteckt sein Gesicht gleich darauf wieder an Nicks Schulter. »Ich bin nicht wie ihr. Ich kann das nicht.«

Wovon redet er nur? »Was denn?«, frage ich leise, als er nicht weiterspricht.

»Tom und Eric wollen ein Kind.«

Nick dreht abrupt den Kopf zu mir, in seinem Blick steht dasselbe Erstaunen, das ich gerade fühle. Sie haben sich gestritten, weil sie ein Kind großziehen wollen? Oder eher nicht wollen, wenn ich mir Noah so anschaue. Aber was das angeht, sollte ich besser sicher gehen.

»Ihr möchtet Kinder haben?«, frage ich daher leise, da Nick mich immer noch sprachlos anstarrt.

»Nein, sie wollen. Ich nicht.«

Aha, das war also der Grund des Streits und jetzt wird mir auch klar, warum Eric so sehr darauf bestanden hat, dass Noah uns davon erzählt. Ihn und Tom muss sein 'Nein' ziemlich getroffen haben, denn ich kenne meinen Sohn. Er liebt Kinder. Das hat er schon immer. Es war für mich nie eine Frage, ob er eines Tages Kinder hat, es ging nur um das 'Wann'. Und auch Tom schien mir von Anfang an der Typ von Mann zu sein, der sich eine eigene Familie wünscht. Einzig bei Eric war ich mir da nicht sicher, bis jetzt. Daher bin ich auch mehr als erstaunt, dass gerade Noah Erics und Toms Wunsch ablehnt. Dafür gibt es mit Sicherheit einen triftigen Grund und den werden Nick und ich umgehend herausfinden.

Ich weiß, ich wollte eigentlich warten und ihm etwas Zeit geben, aber das kann Noah nach der Erklärung nicht mehr von mir erwarten. Nick nickt zustimmend, als ich ihm einen fest entschlossenen Blick zuwerfe, und wendet sich danach wieder Noah zu.

»Willst du gar keine Kinder oder nur im Augenblick noch nicht?«, fragt Nick und ich runzle irritiert die Stirn, denn Noah zögert merklich, bevor er antwortet.

»Ich«, er stockt kurz, »weiß es nicht.«

Und ob er das weiß. Noah lügt oder besser gesagt, er versucht, sich um eine ehrliche Antwort zu drücken, und das werde ich ihm nicht einfach durchgehen lassen. »Das ist nicht wahr und das weißt du genauso gut wie ich.«

Er zuckt ertappt zusammen. »Dad ...«

»Sag' uns die Wahrheit«, bitte ich ihn und setze mich neben meine Männer auf die Couchlehne. »Es stand für mich nie außer Frage, dass du eines Tages selbst Kinder haben wirst und jetzt, wo die Gelegenheit da ist, willst du nichts davon wissen? Das nehme ich dir nicht ab, Noah. Was ist bei deinem Gespräch mit Tom und Eric passiert, dass du dich so sehr dagegen sträubst?«

»Pah, von wegen Gespräch«, schnaubt er und löst sich von Nick, der ihn dann solange herumschiebt, bis er sich selbst richtig hinsetzen und unseren Sohn danach wieder in seine Arme ziehen kann, der nun zwischen uns sitzt.

Ich wünschte, ich hätte einen Fotoapparat zur Hand, um den wunderschönen Anblick festzuhalten, den sie mir gerade bieten, aber um nichts in der Welt werde ich jetzt aufstehen und sie alleinlassen. Nicht nach Noahs letzten Worten.

»Wie meinst du das?«, hake ich nach und streiche ihm durchs Haar, als Noah tief Luft holt und hinterher seufzt. »Noah, sprich mit uns.«

»Sie haben mich total überrumpelt«, sagt er auf einmal und sieht wütend zu mir hoch. »Wir hatten davor nie darüber gesprochen und plötzlich heißt es, wir wollen ein Kind. Wir. Pah. Mich hat keiner gefragt. Ich war wie vor den Kopf geschlagen und habe 'Nein' gesagt. Deshalb haben wir uns gestritten. Tagelang. Immer wieder. Am Ende hatte ich die Faxen dicke und bin gegangen.« Noah schnaubt, weicht meinem Blick aus und starrt finster auf den Teppich. »Ich lasse mir doch nicht einfach so ein Kind unterjubeln.«

»Du magst Kinder, Noah«, erinnert ihn Nick, kommt damit aber leider nicht sehr weit.

»Und wenn schon?«, kontert Noah verärgert. »Deswegen muss ich noch lange keine eigenen zu Hause haben. Wie soll das überhaupt funktionieren, mit meinem Job in der Galerie und dem Club? Haben sie sich das mal überlegt? Nein. Aber mir vorwerfen, dass ich nur auf stur schalten würde. Natürlich schalte ich auf stur, wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt. Scheinbar bin ich in der Sache der Einzige, der einen klaren Kopf behält. Wir sind nicht bereit für Kinder, aber das wollten weder Tom noch Eric hören. Deppen sind sie. Alle beide.«

 

 

Kapitel 3

 

Je mehr sich Noah in seinen Ärger hineinsteigert und immer neue Gründe gegen ein Kind findet, umso stärker habe ich das Gefühl, dass das alles nur Ausreden sind. Er ist nicht zu jung, um Vater zu werden, obwohl er das behauptet. Und dass er Tom und Eric für zu alt hält, ist eine reine Trotzreaktion, denn mit Mitte Vierzig ist man nicht zu alt für Kinder. So ein Unfug. Dann bringt er die Anfälle ins Spiel, die er immer noch ab und zu hat, doch während er spricht, huscht sein Blick nervös durch den Raum und so langsam dämmert mir, was sein wirkliches Problem bei dieser Kinderfrage ist.

Ich sehe zu Nick und er verdreht die Augen Richtung Zimmerdecke, was in dem Fall auch eine Antwort ist. Er hat Noah genauso durchschaut wie ich, darum sage ich nichts, sondern beschließe, die zwei das allein ausfechten zu lassen. Vater und Sohn. Einer sturer als der andere, aber ich hoffe sehr, dass dieses Mal Nick die Nase vorn behält, sonst macht Noah womöglich noch einen Fehler, der ihn seine Beziehung zu Tom und Eric kostet.

»Noah, du redest Unsinn.«

»Wie bitte?«, fragt unser Sohn empört, weiter kommt er jedoch nicht.

»Jetzt rede ich!« Nick schiebt ihn zurück, bis sie sich ansehen können, und verschränkt dann die Arme vor der Brust. »Du bist weder zu jung noch sind Tom und Eric zu alt für Kinder. Und dass du ab und zu Anfälle hast, kann man bedenken, aber das ist kein Grund, um von Anfang an zu sagen, Kinder sind keine Option. Ihr seid zu dritt und werdet ohnehin immer wieder schief angesehen. Ob mit oder ohne Kind, macht dabei keinen Unterschied. Du hast Angst, der Aufgabe nicht gerecht zu werden, das ist der einzige Grund für das ganze Drama, Noah.«

»Aber ...«

»Kein 'aber', es ist so. Ich bin doch nicht blind und ich stand damals vor derselben Entscheidung, als es um dich und Liam ging. Nur bin ich dabei nicht weggelaufen und habe Tristan mit der Frage alleingelassen.«

Nicks ehrliche und vor allem strenge Worte schlagen ein, wie die sprichwörtliche Bombe. Noah ist wütend und er kann es nicht verbergen. Plötzlich sieht er wieder aus wie der dreizehnjährige Junge, der damals nicht ins Kino durfte, weil wir den von ihm begehrten Film für zu brutal hielten. Das hat zwar nichts daran geändert, dass er seit Jahren mit Begeisterung blutige Horrorfilme guckt, aber vor zwanzig Jahren hatten wir in der Hinsicht noch ein Wörtchen mitzureden und das haben wir ziemlich häufig getan. Genau das nimmt Noah uns gerade übel.

»Ich behaupte nicht, dass es richtig war, wie die zwei das Thema auf den Tisch gebracht haben, aber das musst du mit ihnen selbst klären, Noah. Ihr seid zu dritt, also besprecht das gefälligst auch gemeinsam. Denn wenn du wirklich keine Kinder haben wolltest ...«

»Will ich nicht«, sagt er bockig und Nick seufzt, bevor er tadelnd den Kopf schüttelt, was ich sehr gut verstehen kann. Für uns bleibt Noah immer der kleine Junge, den wir großgezogen haben, egal wie alt er ist, und wenn er Fehler macht, dann sagen wir ihm das. Ob es ihm gefällt oder nicht.

»Wenn du wirklich keine Kinder wolltest«, wiederholt Nick ruhig und schlägt ein Bein über das andere, »hättest du das in Ruhe mit deinen Männern ausdiskutiert und wärst nicht abgehauen. Du hast Kinder immer gemocht und du willst sie. Wie ich schon sagte, du hast Angst und fühlst dich schlicht und ergreifend übergangen. Sprich mit Tom und Eric. Sei ehrlich und gib ihnen vor allem die Möglichkeit, etwas dazu zu sagen, denn weglaufen ist keine Lösung. Was deine Angst angeht ... ich glaube, die hat jeder Mann, wenn er sich dazu entscheidet, ein Vater zu werden. Dein Dad und ich waren uns damals ebenso unsicher, ob wir dieser Sache gewachsen sind, und das weißt du verdammt gut.«

Dazu fällt Noah kein Widerwort ein und er ärgert sich wahnsinnig darüber. »Ich hätte zu Liam gehen sollen«, murrt er nach einer Weile angesäuert und gibt mir damit die perfekte Vorlage in die Hände, um ihn in die richtige Richtung zu schubsen.

»Sicher doch«, sage ich harmlos. »Maggie und Trevor hätten sich bestimmt über einen zusätzlichen Babysitter gefreut.«

Noah zuckt ertappt zusammen und Nick beginnt leise zu lachen. Unser Sohn liebt das kleine Mädchen der zwei und hat sie ständig auf dem Arm, sobald wir im Porter-Haus oder sonst wo, aufeinandertreffen.

»Das ist was anderes, da kann ich sie immer abgeben, wenn es mir zu viel wird.«

»Noah, es gibt unzählige Männer und Frauen, die ihre Kinder allein großziehen und denen das gelingt. Warum sollte das bei euch anders sein? Ihr könnt das. Noch dazu seid ihr zu dritt, das ist ein Vorteil, den Nick und ich mit Liam und dir nicht hatten, denk' daran.«

Noah runzelt die Stirn und lässt seinen Blick durchs Wohnzimmer schweifen. Er bleibt an den vielen Bildern über dem Kamin hängen und beißt sich seufzend auf die Unterlippe. Eine Geste, die mir jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut beschert, weil sie der von Nick so ähnlich ist, wenn sein Vater über irgendetwas nachgrübelt und kurz davor ist, eine Entscheidung zu treffen.

»Ich muss telefonieren«, spricht er dann aus, worauf ich innerlich gehofft habe, und lässt uns allein.

»Gott sei Dank«, seufzt Nick, als Noah außer Hörweite ist, rückt näher und lehnt den Kopf an meine Seite. »Ich hatte schon Angst, ich muss Eric persönlich anrufen und ihm sagen, dass er seinen mürrischen Arsch herbewegen soll. Mein Ruf wäre für immer ruiniert gewesen.«

Ich muss unwillkürlich lachen. Eric und er, es ist und bleibt eine unendliche Geschichte. Anfangs sind sie sich aufgrund ihrer Liebe zu Noah gegenseitig an die Gurgel gesprungen, heute sticheln sie aus reinem Vergnügen aufeinander herum. Manchmal frage ich mich, ob sie uns damit in den Wahnsinn treiben wollen. Ihren Spaß haben sie dabei jedenfalls, vor allem, wenn wir uns wieder einmal darüber aufregen.

»Ich habe Angst, okay?«

Noahs Stimme lässt uns aufmerken und kurz darauf läuft unser Sohn an der offenen Wohnzimmertür vorbei.

»Warum? … Na weil ihr das einfach so in den Raum gestellt habt … Pfft, als ob ihr zugehört hättet. Ihr wart so begeistert und ich will nicht … Nein, das stimmt nicht, ich wollte keine Kinder.«

Er redet Klartext, das ist gut. So wissen Tom und Eric woran sie sind. Hoffentlich hilft es und hoffentlich haben wir die beiden oder wenigstens einen von ihnen bald hier vor der Tür, denn ich bezweifle, dass Noah ein Telefonat genug ist. Es wäre auch nicht richtig. Sie haben sich alle nicht mit Ruhm bekleckert und das sollten sie dringend von Angesicht zu Angesicht aus der Welt schaffen.

»Vergangenheitsform … Ja … Ja, ich meine das ernst … Ich war sauer, weil ihr mich völlig übergangen habt … Ja, genau so habe ich mich gefühlt, Eric. Ich meine, ich komme spätabends aus der Galerie nach Hause und ihr überfallt mich mit Katalogen, Leihmutterschaft und weiß der Geier was noch, da hatte ich noch nicht mal meine Schuhe ausgezogen … Ich habe die Nerven verloren und ich dachte, dass wir … Natürlich will ich Kinder … Ja, mit euch beiden. Mit wem denn sonst? … Die Tür? Wieso soll ich denn die Tür aufmachen? … Was soll das heißen, du kannst mich hören? … Fuck!«

Bei mir fällt der Groschen im selben Moment, wie bei Noah und ich ziehe Nick beim Aufstehen von der Couch hinter mir her. Wir kommen gerade rechtzeitig im Flur an, um zu sehen, wie Noah das Handy auf die Kommode wirft, die Haustür aufreißt und sich an Erics Hals wirft, der draußen steht und ihn so heftig umarmt, dass unser Sohn leise aufstöhnt.

»Nicht so doll, du Brutalo.«

»Entschuldige«, murmelt Eric und nickt uns zu, bevor er das Gesicht an Noahs Schulter vergräbt und tief Luft holt. »Tom passt auf den Club auf. Ich soll dir sagen, dass es egal ist, wie du dich entscheidest. Wir lieben dich und es war falsch, wie wir die Sache angegangen sind. Es tut uns leid.«

Noah seufzt erleichtert. »Mir auch. Bitte entschuldige. Ich wollte nicht … ich wusste nur nicht … ich … hmpf.«

Eric unterbricht Noahs Stottern mit einem Kuss und tut damit genau das Richtige. Dass es nicht lange dabei bleibt, darüber könnte man streiten und Nick hat genau das vor, so wie er den Griff um meine Finger auf einmal verstärkt. Obwohl Noah erwachsen und seit mehreren Jahren in dieser Dreiecksbeziehung ist, kann sein Vater bei so direkten Liebesbezeugungen nicht aus seiner Haut und fängt an zu glucken. Nicht, dass ich bei Liam anders wäre, aber das lassen wir jetzt doch mal dezent unter den Tisch fallen.

»Ihr solltet alles Weitere sicherheitshalber nach oben verlegen. Die Sonne geht bald auf und ich denke, unsere Nachbarn wären nicht so begeistert, wenn ihr ihnen eine Piepshow auf unserer Veranda bietet«, merke ich an und Eric hat genug Geistesgegenwart, um Noah hochzuheben und einzutreten, bevor er die Tür mit einem Tritt hinter ihnen zuwirft.

Wenig später stehe ich mit Nick allein im Flur herum und kann mir das Lachen kaum verkneifen, denn mein lieber Mann ist zwischen Empörung und Belustigung hin- und hergerissen.

»Lass uns frühstücken gehen«, schlage ich vor, bevor wir mehr von Noah und Eric hören, als ich hören will. Es gibt Dinge im Leben unserer Söhne, die wir als Väter nun wirklich nicht wissen müssen.

»Es ist fünf Uhr morgens.«

»Dann fahren wir zu Adrian und David und laden uns dort zum Frühstück ein.«

»Aber ...«

»Nein.«

»Aber ...«

»Nicky.«

»Wieso hast du ihm erlaubt, erwachsen zu werden? Er ist zu jung für ... Ich meine, Eric ist zu alt für ihn.«

Ich pruste los.

»Das ist nicht lustig.«

»Wir gehen jetzt. Eric ist nicht zu alt für Noah und der ist auch nicht zu jung für Sex. Nick, hör' auf zu glucken.«

»Ich glucke nicht.«

»Und wie.«

»Als ob du bei Liam anders wärst.«

»Der ist aber nicht hier und wälzt sich im Augenblick stöhnend durch die Laken.«

Nick sieht mich entsetzt an. »Hast du gerade wirklich gesagt, dass Noah … Tristan!«

Er ist so süß, wenn er gluckt. Aber das werde ich ihm lieber niemals sagen. Unsere Jungs würden ihres Lebens nicht mehr froh, wenn ich es täte und Nick damit einen Freifahrtschein einräumen würde. »Abmarsch«, erkläre ich stattdessen und schiebe ihn Richtung Treppe. Wir sollten uns wenigstens etwas anziehen, bevor wir gehen. »Und halt' dir besser die Ohren zu.«

»Oh Gott.«

 

 

Kapitel 4

 

1 Jahr später

 

Der Kleine hält seinen Zeigefinger fest umklammert und ich kann mir ein Grinsen kaum verkneifen, so staunend und zugleich ängstlich sieht Noah auf seinen Sohn hinunter, der mittlerweile drei Wochen alt und noch immer ohne Namen ist, da Eric, Tom und Noah keinen finden, der für sie perfekt genug ist.

Der kleine Mann hat alles, was er haben soll. Finger, Zehen, eine große Nase und eine ziemliche Schmolllippe. Schreien kann er wohl auch ganz gut, sagt Noah, sofern er nicht gerade damit beschäftigt ist, die blauen Augen des Kleinen anzuschmachten, von denen ich denke, dass sich ihre Farbe schon bald etwas verändern wird. Meiner Meinung nach, kann Eric diese Vaterschaft schon jetzt nicht mehr leugnen, dazu kommt der Junge zu sehr nach ihm.

Ich gestehe, ich war überrascht, als Noah uns letztes Jahr anrief und erzählte, für welchen Weg sie sich wegen des Kindes entschieden hätten. Drei mögliche Väter, drei Samenspenden und drei befruchtete Eizellen. Am Ende sollte das Schicksal darüber entscheiden und das hat es getan, denn dieser Junge ist eindeutig Erics Sohn.

Nick war anfangs nicht sehr begeistert davon, was ich verstehen kann. Es hätten ja schließlich Drillinge werden können. Ich weiß nicht, ob es das in dieser Konstellation schon mal gab, aber medizinisch unmöglich war es nicht.

Ich denke, es ist gut, wie es kam. Ein Kind ist für den Anfang genug für sie und falls Noah und seine Männer das wollen, können sie ihrem Junior irgendwann einen Bruder oder eine Schwester besorgen. Besorgen, wie das klingt. Ich muss grinsen und sehe auf, als Tom plötzlich mit Adrian in den Garten kommt und schnaubt.

»Alexander? Das kommt gar nicht infrage, dann kürzt Eric das später mit Xander ab.«

Ah, die Namensfrage ist wieder aktuell und langsam werden sie sich entscheiden müssen. Ich will lieber nicht wissen, wie sie den Kleinen ohne Namen aus der Klinik bekommen haben. Wahrscheinlich hat Noah Adrian mit ins Boot geholt. Krankenhäuser haben schließlich einige Vorschriften, was derartige Dinge angeht, aber wie schon gesagt, ich will es nicht wissen. Die Namensdebatte ist da viel interessanter.

»Bitte?«, empört sich Eric und wird ignoriert.

»Das fehlt noch, dass mein Sohn heißt, wie dieser Typ mit den Muskeln.« Tom runzelt überlegend die Stirn. »Na dieser Schauspieler aus den Actionfilmen. Der mit den schnellen Autos.«

»Vin Diesel«, hilft Noah aus und Tom nickt, bevor er wieder zu Adrian sieht. »Schlag' was anderes vor.«

Adrian grinst breit. »Wie heiße ich?«

»Vergiss es«, antwortet Tom, mit finsterem Blick, und unser aller Superanwalt fängt an zu lachen.

»Ben«, ist seine nächste Idee.

»Langweilig«, schmettert Tom ab und Adrian verdreht die Augen gen Himmel.

»Max«, schlägt er vor, aber das gefällt Noah nicht, so wie er stöhnt und den beiden im nächsten Moment einen Vogel zeigt. »Wieso nicht?«, will Adrian wissen.

»Er ist doch kein Hund.«

»Seit wann ist Maximilian ein Hundename?«

»Max ist einer«, kontert Noah unwillig und schaut auf seinen Sohn hinunter. »So wird er nicht heißen, basta.«

»Evan?«, fragt David, der auf der Gartenliege neben meiner sitzt und sich köstlich amüsiert.

»Wie dieser gruselige Seal? Kommt nicht infrage.«

»Bomer ist nicht gruselig«, widerspricht Adrian prompt und seufzt, als Tom ihn angrinst. »Frecher Kerl … David wäre ein schöner Name.«

»Schleimer.«

»Nicholas«, sagt Eric auf einmal leise und sorgt damit umgehend für Stille. Mein Blick wandert zu Noah, der seinen Mann sprachlos ansieht, und dann weiter zu Nick, der am Grill steht und sich jetzt zu uns umgedreht hat. Sein überraschter Blick ist eindeutig. Mit dem Vorschlag hat er nicht gerechnet.

Ich auch nicht, um ehrlich zu sein, aber Eric hat mich in den letzten Jahren schon des Öfteren überrascht, und zwar im Positiven. Er ist der richtige Partner für Noah. Ich war mir dessen nie so sicher wie jetzt, wo sich Noahs und Erics Blicke treffen und ihre tiefe Liebe zueinander so sehr zu sehen ist, dass ich aufstehe und zu Nick gehe, um ihn zu umarmen. Er seufzt leise und schmiegt sich an mich.

»Gefällt mir«, murmelt Noah schließlich und hebt den Kopf, um zu Tom zu sehen, der ihn anlächelt. »Ja?«, fragt er und beginnt glücklich zu lächeln, als Tom nickt. Dann sieht er zurück auf das Baby in seinen Armen. Der Kleine hat die Augen geöffnet, fällt mir überrascht auf. »Na du? Was hältst du davon, Nicholas Thomas Burrows?«

Nick erschauert vor mir und selbst mich befällt eine Gänsehaut. Er ist nicht der Zweitname meines Enkels, sondern der Nachname, den Noah das erste Mal in der Art laut ausspricht. Es ist offiziell nicht möglich, aber der Wunsch, seine Männer richtig zu heiraten, ist da. Schon lange, das weiß ich, aber mir war bis jetzt nicht klar, wie stark er in Noah verwurzelt ist.

Mein Blick findet Nicks und sein Lächeln ist Antwort genug. Sie können nicht vor dem Gesetz heiraten, aber vor uns. Ihrer Familie. Vor den Menschen, die sie lieben, denen sie etwas bedeuten. Also werden wir dafür sorgen, dass sie es tun können, und zwar so schnell wie möglich.

 

 

Kapitel 5

 

Adrian hat gelacht, uns für verrückt erklärt und dann zum Telefon gegriffen, um uns dabei zu helfen, so schnell es geht, eine Hochzeit auf die Beine zu stellen. Privat. Im kleinen Rahmen bei uns im Garten. Sobald das Wetter es zulässt, dass wir draußen feiern können.

Es ist daher schon Mai, als wir Adrians Geburtstag als Ausrede nutzen, um Noah, Tom und Eric für ein langes Wochenende zu uns einzuladen. Sie wissen von nichts, als sie am Freitag vor unserer Tür stehen. Ich habe Milchreis gekocht, was für mehrfaches Grinsen sorgt, als Noah sich freudig auf den Topf stürzt. Ich wusste schon, wieso ich für den Rest von uns Pizza gemacht habe.

Die familiäre Ruhe mit Nicholas, den Tom nach dem Essen einfach auf Nicks Brust gelegt hat, der sich seither nicht traut, auch nur mit einem Daumen zu wackeln, hält allerdings nicht lange an. Noah hat seit ein paar Minuten diesen 'Ich weiß, ihr habt etwas angestellt, ich weiß nur noch nicht was'-Blick, den er langsam zwischen Nick und mir umherwandern lässt. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis er …

»Okay, was habt ihr angestellt?«

Habe ich es nicht gesagt? Ich muss schmunzeln und verrate mich damit natürlich, denn Noah fixiert mich mit seinen graublauen Augen, die Adrians so ähnlich sind, dass ich mich früher ein paar Mal gefragt habe, wie das ohne Blutsverwandtschaft möglich ist.

»Nichts. Wieso?«, schreckt Nick aus seinem nervösen Beäugen von Nicholas auf und sieht hoch.

Noah gluckst. »Damit hast du dich erst recht verraten, Dad. Also? Was ist hier im Busch?«

Nick sieht fragend zu mir, ich zucke grinsend mit den Schultern, was Tom und Eric einen amüsierten Blick mit Noah tauschen lässt. Sie haben ja recht, also wozu noch warten. Falls sie nicht wollen, können sie ja wieder nach New York zurückfahren. Ich bezweifle allerdings, dass es dazu kommen wird. Diese Hochzeit wird stattfinden, und zwar morgen, dessen bin ich mir sicher.

»Wir haben eine Überraschung für euch«, erkläre ich daher und werde danach von allen drei angesehen. »Der Geburtstag von Adrian war ein Vorwand.«

Jetzt tauschen sie irritierte Blicke untereinander, bis sich Noah räuspert und wieder zu mir sieht. »Okay, red' weiter.«

»Wenn ihr wollt, könnt ihr morgen heiraten.«

Schweigen.

Alle drei starren mich an, und das in einer Form, dass ich am liebsten ein Foto von ihnen machen würde, weil sie so albern und zugleich völlig verdattert aussehen.

Eric fängt sich zuerst. »Hä?«

Oder auch nicht. Ich muss grinsen. »Eine Hochzeit. Ihr drei. Morgen. Bei uns im Garten. Nur unsere Familie ist eingeladen. Und ein Priester, den Adrian aufgetrieben hat. Liam hat euch Ringe besorgt und wir haben ein paar Anzüge, und alles, was ihr sonst noch brauchen könntet, zurücklegen lassen. Morgen früh ist Anprobe. Aber nur, wenn ihr wollt. Falls nicht, ist das auch okay, dann sagen wir es ab.«

Sie blinzeln. Alle drei auf einmal. Irgendwie gruselig, aber ich muss trotzdem lachen.

»Äh ...«

»Oh ...«

»Uhm ...«

Noah, Tom und Eric, in der Reihenfolge. Da muss sogar Nick lachen, wodurch er nur leider unseren Enkel aus dem Schlaf reißt, der augenblicklich losbrüllt.

»Oh Gott, was habe ich gemacht?«, fragt Nick entsetzt, während Noah grinsend aufsteht und klein Nicholas auf den Arm nimmt.

»Nichts. Aber langsam müsste er Hunger haben und vor allem eine nasse Windel. Kommt ihr mit?«, fragt er, an seine Männer gewandt, und kurz darauf sind die drei mit ihrem Sohn aus dem Wohnzimmer verschwunden.

Ich setze mich zu Nick auf das Sofa, der mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck zur Tür sieht. »Denkst du, sie sagen es ab?«

»Nein.«

Nick schaut mich an. »Du bist dir sicher, oder?«

»Bin ich das nicht immer?«

 

Ich behalte recht. Auch wenn es mitten in der Nacht ist, als Noah plötzlich in unser Schlafzimmer platzt, sich zwischen uns aufs Bett wirft und uns erklärt, dass wir ja wohl irre sind, ihm eine Hochzeit zu schenken. Grinsend schalte ich die Nachttischlampe ein, blinzle etwas wegen der plötzlichen Helligkeit und setze mich dann auf. Nick gähnt und tut es mir gleich, bevor er Noah am Arm packt und ihn zu sich zieht.

»Hey«, beschwert sich Noah, lacht aber gleichzeitig.

»Weißt du, wie spät es ist?«, fragt Nick gespielt tadelnd und wuschelt Noahs durchs Haar. »Ich brauche meinen Schönheitsschlaf.«

»Wieso? Weil du jetzt ein Opa bist?«

»Komm du mal in mein Alter, junger Mann.«

»Das kann ja noch dauern«, stichelt Noah und kichert, als Nick ihn in die Seite piekst, wo er kitzlig ist. »Lass den Quatsch. Dad, sag' was.«

»Ich halte mich raus«, wehre ich belustigt ab und sehe beiden lieber zu, wie sie sich kabbeln, als wären sie zwei kleine Jungs.

»Verräter«, nörgelt Noah und schnaubt, als Nick ihm einen Kuss auf die Stirn gibt, bevor er leise sagt, »Gern geschehen.«

Noahs Grinsen verblasst, stattdessen schüttelt er mit ungläubigem Blick den Kopf. »Ihr seid echt verrückt.«

»Werdet ihr heute heiraten?«, fragt Nick nach.

»Natürlich werden wir heiraten«, antwortet Noah, wie ich erwartet habe, und rückt zu seinem Vater auf, damit er ihn umarmen kann. »Aber ihr seid trotzdem irre. Auch wenn ich euch liebe, das musste mal gesagt werden.«

»Wir lieben dich auch«, erklärt Nick amüsiert und ich lege mich neben die zwei, worauf Noah sich zu mir dreht und mich dann ebenfalls umarmt.

»Danke.«

Ich will gar nicht wissen, woher er schon wieder weiß, dass es meine Idee war. »Ich liebe dich, Noah.«

»Ich dich auch, Dad.«

 

 

Kapitel 6

 

»Du siehst wirklich gut aus.«

Noah sieht durch den Spiegel zu mir und grinst kurz, bevor er sich wieder seiner Krawatte widmet. Sie ist, wie alles an ihm, schwarz. Er trägt wirklich komplett schwarz heute. Kein weißes Hemd oder irgendein Accessoire, das sich farblich abhebt. Nein, es musste schwarz sein. Keine Ahnung, warum, aber es steht ihm und er ist, womit ich ehrlich gesagt nicht gerechnet hätte, die Ruhe selbst.

»Wie geht’s Eric?«, fragt er und entlockt mir damit ein heiteres Lachen, denn von dem komme ich gerade. Nick ist bei ihm geblieben, um den armen Kerl zu beruhigen.

Erics Nerven liegen seit heute Morgen vollkommen blank und das will bei dem Mann schon etwas heißen. Er wird es überleben, schätze ich, und solange er später sein Ja-Wort herausbekommt, dürfte alles glattgehen. Wenn nicht, nun, darüber denke ich lieber nicht nach. Tom und Noah werden schon dafür sorgen, dass Eric 'Ja' zu ihnen sagt, sonst kann er sich mit Sicherheit frisch machen, wie es immer so schön heißt.

Tom hingegen ist eine Mischung zwischen: mal ruhig und mal aufgeregt. David und Adrian kümmern sich um ihn und aktuell zockt unser Mister FBI ihn beim Pokern ab. Eine merkwürdige Art, jemanden zu beruhigen, aber solange es funktioniert, bitte. Außerdem ist das ohnehin die einzige Gelegenheit für Adrian, ein Spiel gegen Tom zu gewinnen, denn mein zukünftiger Schwiegersohn ist im Pokern besser als Mikael.

»Ich frage mich übrigens immer noch, wo Adrian den Priester aufgetrieben hat.«

Lachend trete ich hinter Noah und streiche ihm einen Fussel vom Jackett. »Wahrscheinlich schuldet der Mann ihm irgendeinen Gefallen.«

»Das würde mich nicht wundern«, stimmt mein Sohn mir zu und grinst mich durch den Spiegel frech an. »Na? Was meinst du? Bin ich sexy genug, dass meine Männer heute Nacht über mich herfallen werden?«

»Noah!«

Er prustet los und lehnt sich gegen mich, worauf ich die Arme um ihn schließe. Solche Momente sind bei uns selten und ich genieße sie daher umso mehr. Er ist und bleibt Nicks Sohn, während Liam zu mir gehört, der im Übrigen genauso nervös ist wie Eric. Er hat die Eheringe besorgt, ohne irgendeine Vorgabe dazu. Das heißt, weder Noah noch seine Männer wissen, wie sie aussehen.

»Falls euch die Ringe nicht gefallen sollten, zeigt es ja nicht. Liam bekommt einen Herzinfarkt.«

Noah gluckst. »Keine Sorge, sie gefallen uns. Jake hat mir vorgestern ein Foto geschickt. Aber das verrate ich Liam natürlich nicht.«

»Du bist ein böser Bruder.«

»Ich weiß«, kontert er amüsiert und atmet tief durch, bevor er sich selbst zunickt und danach zu mir umdreht. »Also dann, lass uns gehen. Ich habe zwei Traumkerle zu heiraten.«

 

»Meine Fresse«, keucht Tom zwanzig Minuten später, während Eric Noah sprachlos anstarrt.

Ich schätze, sich komplett in schwarz zu kleiden, war die richtige Idee. Mein Sohn grinst jedenfalls sehr breit, weil er sich seiner Wirkung natürlich bewusst ist. Nicht, dass Tom in Blau und Eric in Grau schlechter aussehen würden. Die drei sind schon ein verrücktes Trio, aber sie gehören zusammen und wenn sie eben nicht wie typische Paare heiraten wollen, dann soll es so sein.

Nicks Finger verschränken sich mit meinen, unsere Blicke finden sich. Er lächelt, ist glücklich, und er denkt eindeutig an unsere Hochzeitsnacht, so wie er auf einmal verschmitzt grinst.

»Ganz schlechter Zeitpunkt«, murmle ich, was mir ein freches Zwinkern und einen Kuss beschert, der mich fast zum Stöhnen bringt und Liam und Noah kichern lässt.

»Über knutschende Opas wird nicht gelacht«, erklärt Adrian im nächsten Moment belustigt und sorgt damit erst mal für lautes Gelächter.

Der Priester wartet geduldig lächelnd ab, bis wir uns wieder beruhigt haben, und beginnt seine Zeremonie.

Ich bekomme nicht viel mit, um ehrlich zu sein. Noah tauscht selbst gesprochene Gelöbnisse mit seinen beiden Männern aus, Liams Ringe sind perfekt und beim ersten Kuss der drei, ist es mit der Ruhe in unserer Familie endgültig vorbei. Alles lacht, jubelt und klatscht, und am Ende wird das Trio von einem zum anderen gezogen, um herzlich umarmt und mit Glückwünschen überhäuft zu werden.

Schließlich finde ich mich an einem der vielen Tische wieder, die wir im Garten aufgestellt haben, damit jeder sitzen kann, wo er mag. Nicholas liegt selig schlafend auf mir, eingewickelt in seine dunkelblaue Babydecke. Er ist so klein und leicht, dass ich mich kaum traue, mich zu bewegen. Nick ging es gestern genauso und jetzt verstehe ich auch warum.

»Jetzt weiß ich wieder, warum ich lieber ältere Kinder wollte … Na ja, nachdem mir dann mal klar geworden ist, wie sehr ich sie will.« Nick schmunzelt und nimmt den Stuhl neben meinem in Beschlag. Stirnrunzelnd sieht er auf unseren Enkel. »War Isabell auch so klein?«

»Ja, war sie«, antwortet Adrian, bevor ich es kann, und gesellt sich an meine andere Seite, um einen Blick in das kleine Gesicht zu werfen. Er grinst, als ihm auffällt, dass Nicholas gerade mein Hemd vollsabbert. »Eric wird diese Vaterschaft nie leugnen können und du brauchst gleich ein frisches Hemd, Opa.«

Ich verdrehe nur die Augen und beide fangen leise an zu lachen. Opa Tristan. Das klingt toll und Adrian liebt es, uns damit aufzuziehen. Ich nehme es ihm nicht übel. Wir haben es bei ihm nicht anders gemacht, als Isabell Mutter wurde.

»Wo sind eigentlich unsere Frischangetrauten?«, fragt Nick plötzlich und sieht sich suchend um. Adrian gluckst und lenkt damit unsere Aufmerksamkeit auf sich. »Raus mit der Sprache«, fordert Nick, als unser Superanwalt im nächsten Moment breit grinst.

»Im Haus.«

»Das Haus ist groß.«

»Und hat ein derzeit gut genutztes Kinderzimmer.«

Meine freie Hand ergreift Nicks Arm, da ist er schon halb vom Stuhl hoch. »Das wirst du schön bleiben lassen, mein lieber Ehemann.«

»Aber es ist noch helllichter Tag.«

»Muss ich dich etwa wirklich daran erinnern, wie wir unsere Hochzeitsnacht verbracht haben? Oder sollte ich lieber sagen, den Tag danach?«

»Das war was anderes«, nörgelt er und ich muss mich beherrschen, nicht loszulachen, weil ich den Junior auf meiner Brust nicht wecken will.

Nick wird sich nie ändern, was unsere Jungs angeht. Er kann nicht anders, er muss glucken. Da können Liam und Noah erwachsen sein so viel sie wollen. An sich hätte ich nicht einmal etwas dagegen, sie ein wenig zu ärgern, aber wir haben ihnen schon ihre Hochzeitssuite im Hotel umgestaltet, wo sie heute übernachten, um Privatsphäre zu haben. Daher gönne ich ihnen das schnelle Abenteuer im Haus.

»Los, komm mit. Wir trinken jetzt einen alkoholfreien Cocktail auf deine Schwiegersöhne«, beschließt Adrian, nachdem ich ihm einen auffordernden Blick zugeworfen habe. Ich kann hier gerade nicht weg, also hat er sich um Nick zu kümmern und ihn davon abzuhalten, ins Haus zu stürmen und Noah in Verlegenheit zu bringen. Oder eher sich selbst, denn ich kann mir Erics Reaktion nur zu gut vorstellen, sollte Nick die drei jetzt stören.

 

»Es ist eine Ewigkeit her, dass Nathan so klein war«, sagt Samuel kurz darauf und setzt sich zu mir, um einen amüsierten Blick auf Nicholas zu werfen. »Und er hatte eine hübschere Nase.«

Ich erwidere Samuels Grinsen und bedanke mich, als er mir ein Glas Saft reicht. »Lass das nicht Eric hören. Er ist eigen, wenn es um die Perfektion seines Sohnes geht.«

»Im Augenblick ist er wohl vollauf damit beschäftigt, sich um die Perfektion deines Sohnes zu kümmern.«

»Weiß das mittlerweile jeder?«, frage ich belustigt und Samuel zwinkert mir zu, was auch eine Antwort ist.

In dieser Familie bleibt nichts geheim und dass Noah seine Hochzeitsnacht vorgezogen hat und sie in seinem ehemaligen Kinderzimmer abhält, darf er sich garantiert die nächsten Jahre anhören. Tja, selbst Schuld. Ich sehe auf meine wertvolle Fracht hinunter, als Nicholas sich zu regen beginnt. Er ballt eine kleine Hand zur Faust, gähnt dann ungeniert und schlägt anschließend die Augen auf, um Samuel direkt anzuschauen.

»Meine Güte, er hat Erics Augen.«

»Ich weiß.« Ich nehme Nicholas auf einen Arm, damit er mich sehen kann. »Hey, kleiner Mann. Hast du ausgeschlafen?«

Samuel lacht, denn die Antwort meines Enkels ist ein weiteres Gähnen. »Wenn das mal kein Statement ist.«

An meinem Arm wird es auf einmal feucht, was mich seufzend die Augen verdrehen lässt. Irgendwie habe ich darauf gewartet, angepinkelt zu werden. Das hat Nicholas nämlich schon mit Nick und jedem seiner Väter gemacht. Aber musste es ausgerechnet heute sein?

Samuel fängt an zu grinsen. »Dein Gesichtsausdruck … ist es das, was ich denke?«

»Ja, leider.«

Er prustet los und klopft mir auf die Schulter. »Nimm es wie ein Vater, Pardon Opa. Da müssen wir alle durch. Kannst du Windeln wechseln?«

»Nicht die Spur.«

»Dann lernst du es jetzt. Ich zeig's dir. Es sei denn, du willst deinen Sohn und deine Schwiegersöhne bei ihren Unanständigkeiten stören?«

»Ich bin doch nicht verrückt. Das letzte Mal hat mir gereicht.« Ich habe es kaum ausgesprochen, da wird mir klar, dass das ein Fehler gewesen ist, denn Samuel sieht mich einen Moment verdattert an, dann fängt er an zu grinsen. »Vergiss es. Ich erzähle dir keine Details.«

»Jetzt sei nicht so«, nörgelt er prompt und folgt mir, als ich aufstehe und ins Haus gehe. »Das sind wichtige Ereignisse, die wir für die Nachwelt festhalten müs... Oh. Hi, Devin.«

»Versuchst du gerade Tristan auszuhorchen?«

Samuel tut unschuldig. »Uhm … nein?«

Leise lachend gehe ich ins Badezimmer, wo Nicholas' Babytasche steht, um mich darum zu kümmern, dass der kleine Mann eine frische Windel bekommt. Vor weiteren Fragen dürfte ich ab jetzt sicher sein, denn wenn jemand Samuel im Griff hat, dann ist es Devin.

»Brrrr«, macht Nicholas, als ich ihn auf die Kommode lege, die wir extra angeschafft haben, damit wir ihn nicht immer auf dem Boden wickeln müssen. Er brabbelt leise vor sich hin, während ich ihm einen trockenen Hintern beschere.

Mir fällt fast das Babypuder aus der Hand, als ich den Strampler endlich wieder geschlossen habe und Nicholas ins Gesicht sehe. Er lacht. Das hat er noch nie gemacht. Ich wusste gar nicht, dass er schon lächeln kann.

»Du hättest wenigstens bis heute Abend wart… Ups. Hi, Dad.« Noah steht plötzlich in der Tür, hinter sich Eric und Tom. Sein betont unschuldiger Blick weicht einem besorgten Gesichtsausdruck. »Was ist denn los? Du guckst so komisch.«

»Er hat mich angelacht.«

Die drei tauschen einen Blick, dann machen Eric und Tom kehrt, während Noah zu mir kommt und auf seinen Sohn hinuntersieht, der mittlerweile an seinem Daumen nuckelt. Grinsend streicht er Nicholas über den weichen Haarflaum und sieht dann zu mir.

»Du heulst.«

»Tue ich nicht.« Tue ich wohl, und wir grinsen uns an, bevor Noah mir eine Träne von der Wange streicht. Sein Blick verrät ihn. »Wie lange lacht er schon?«

»Seit einer Woche. Es sollte eine Überraschung sein.«

»Die ist dir gelungen.«

»Ich weiß.«

»Noah?«

»Hm?«

»Du bist nackt.«

»Ach so?«

»Du solltest dir etwas anziehen, bevor du wieder nach draußen gehst. Oder willst du etwa so mit deinem alten Vater tanzen?«

»Dads Blick wäre unbezahlbar, wetten?«

»Noah!«

 

 

Epilog

 

»Wenn ich mich richtig erinnere, war dieser Milchreis für Nicholas gedacht.«

»Dadada«, kräht mein Enkel, als sein Name fällt und Noah sieht uns unschuldig an, während der kleine Löffel mit Milchreis in seinem Mund verschwindet. Nick lacht und schüttelt den Kopf, bevor er sich zu den beiden setzt und Noah die Schüssel wegnimmt, um dafür zu sorgen, dass der kleine Mann etwas zu essen bekommt.

»Er mag keinen Milchreis«, sagt Noah breit grinsend und erntet dafür ein belustigtes Schnauben.

»Wie soll er auch? Du isst ihm ja immer alles weg und bestichst ihn dann mit ekligem Möhrenbrei.«

»Nico mag Möhrenbrei, nicht wahr, du Frechdachs?«, fragt Noah seinen Sohn und kitzelt ihn unter dem Kinn, worauf der Junior loslacht und versucht, die Hand seines Vaters zu fangen.

»Wo hast du denn deine Männer gelassen?«, will ich wissen und Noah deutet in Richtung Garten. Er lächelt, also ist alles okay, aber irgendetwas scheint trotzdem im Busch zu sein. Unser Sohn lacht, als ihm mein fragender Blick auffällt.

»Sie sind fix und alle. Nico hat sie die letzten Nächte auf Trab gehalten. Er zahnt.«

Das erklärt, warum Tom und Eric völlig übermüdet wirkten, als die vier heute Mittag überraschend bei uns vor der Tür standen. Da waren Nick und ich gerade auf dem Weg zum Einkaufen. Wir haben uns deshalb nur die Klinke in die Hand gegeben und sind los, während Tom mir noch hinterherrief, ob es in Ordnung wäre, wenn er Milchreis für Nicholas kocht. Das ist mittlerweile zwei Stunden her und so wie Noah gerade grinst, hatten seine Männer in der letzten Zeit nicht viel zu lachen.

»Oha. Schlimm?«

Nick hält mit dem Füttern inne, aber Noah winkt ab. »Es geht. Der Kinderarzt ist zufrieden und wir haben uns mit gefühlten tausend Kauringen eingedeckt. Die magst du, nicht wahr, kleiner Mann?«

Er greift sich Nicholas' Hand und pustet in die Handinnenfläche. Das findet mein Enkel toll und kreischt begeistert los. Ich lasse meine Männer alleine, um einen Blick nach draußen zu werfen.

Im Garten angekommen, kann ich mir nur mit Mühe das Lachen verkneifen. Eric und Tom liegen zusammen auf einer Gartenliege und schnarchen vor sich hin. Man sieht ihnen an, dass sie die vergangenen Nächte kaum geschlafen haben. Ein Bild für die Götter, denke ich, und gehe wieder ins Haus, um die Kamera zu holen.

Davon muss ein Bild ins Familienalbum, auch wenn Eric mir mit Hölle und Verdammnis drohen wird, sobald er es herausfindet. Ich werde mich einfach hinter Noah verstecken, dem tut er nichts.

»Ihr habt … im Ernst?«

Nicks ungläubige und zugleich verwunderte Stimme lässt mich im Flur innehalten. Ich schleiche zur Tür und Noah grinst, als er mich entdeckt, sagt aber nichts. Sein Blick bleibt auf Nick gerichtet, während er nickt.

»Aber … aber … Findet ihr das nicht etwas früh?«

»Wenn sie geboren werden, ist Nico ein Jahr alt. Wir wollen nicht, dass sie zu weit auseinander sind, rein vom Alter her.«

»Sekunde … Sie? Mehrzahl?«

»Es sind Zwillinge.«

»Ach du Scheiße.«

Noah prustet los und ich wende mich lächelnd ab, um endlich die Kamera zu holen. Ich weiß seit einer Woche Bescheid, als Noah mich überglücklich anrief, weil er die gute Neuigkeit nicht länger für sich behalten konnte. Als er mich bat, nichts zu sagen, damit er es Nick persönlich erzählen kann, habe ich sofort zugestimmt.

Ob mein lieber Ehemann wohl vom Stuhl fällt, wenn er erfährt, dass es Mädchen sind und Noah ihr leiblicher Vater ist?

 

 

Herzschlag mit Sahne

 

Nicholas Burrows ist 16 Jahre alt und der beste Freund seines jüngeren Bruders, als Trace ihm das erste Mal begegnet. Nicht in der Lage die grünblauen Augen zu vergessen, ist Trace dennoch ziemlich erstaunt darüber, ihren Besitzer sechs Jahre später sturzbetrunken in einer Schwulenbar wiederzusehen.

 

 

Prolog

 

»Oh … sorry.«

Trace schaute erstaunt auf den dunklen Lockenkopf hinunter, mit dem er gerade im Flur zusammengestoßen war, und erstarrte, nachdem sein Gegenüber den Kopf gehoben hatte, um ihn anzusehen.

Wow, war sein erster Gedanke, als er in ein Paar großer, grünblauer Augen blickte, die ihn neugierig musterten. Sie waren von dichten, langen Wimpern umrahmt und gingen in eine Nase über, die eindeutig zu groß für dieses Gesicht war. Trace lachte innerlich, weil sie dem Jungen irgendwie ein freches Aussehen verlieh. Zudem passte sie zu den roten, vollen Lippen, die sich jetzt zu einem verlegenen Grinsen verzogen. Er hätte diesen sexy Mund gerne geküsst.

»Du bist Trace, oder? Jared hat mir schon eine Menge von dir erzählt. Ich bin Nico … äh, Nicholas Burrows.«

Ah, das war der beste Freund seines kleinen Bruders. Seines 16jährigen Bruders und damit war der Junge für ihn tabu. Trace hatte weder Lust wegen Missbrauch im Knast zu landen, was bei 11 Jahren Altersunterschied mit Sicherheit passieren würde, noch wollte er es sich total mit Jared verscherzen, indem er mit dessen Freund ins Bett ging. Er stand zwar auf junge Kerle, aber der Kleine hier saß ja noch mit einem Bein im Kinderzimmer.

»Nico, wo …? Ach, hier bist du. Hi, Trace. Wir wollen gleich ins Kino. Ich dachte, du bist schon weg.«

»Gerade auf dem Weg«, antwortete er und konnte sich nicht von den grünblauen Augen losreißen.

»Zu diesem Freak?«, fragte Jared abfällig und Trace sah stirnrunzelnd zu seinem Bruder.

»Carl ist Tätowierer, kein Freak.«

»Ja, ja«, winkte Jared ab und zog Nicholas am Arm hinter sich her. Trace folgte ihnen nach unten und warf dabei einen prüfenden Blick auf den Arsch des Kleinen, von dem, dank einer zu weiten Hose, leider kaum etwas zu sehen war. Seufzend zog er seine Jacke über, konnte die Jungs in der Küche allerdings deutlich reden hören.

»Dein Bruder sieht krass aus«, sagte Nicholas gerade. »Ich ha-be noch nie so viele Tattoos auf einmal gesehen. Sind die Piercings echt?«

Jared kicherte albern. »Ja. Er hat sogar eins vorn am Schwanz. Er ist auch ein Freak.«

»Am Schwanz? Igitt. Ist ja eklig.«

»Ich hab's gesehen, als er unter der Dusche stand. Ich glaube, er macht sich diese Dinger bloß, um Dad zu ärgern. Vor allem die Tattoos.«

»Meine Väter haben auch welche. Ich mag sie nicht.«

»Echt nicht?«, wunderte sich Jared und damit war er nicht allein, denn Trace hielt überrascht darin inne, sich die Schuhe anzuziehen.

»Eins vielleicht, aber dein Bruder ist … hm.«

»Ein Freak, sag' ich doch. Außerdem ist er alt. Schon 27. Mum sagt, er zieht bald aus, heiratet und kriegt dann Kinder und so ein Scheiß. Abartig.«

Trace verdrehte die Augen und grinste, während er sich wieder seinen Stiefeln widmete, die er sich wirklich nur gekauft hatte, um seinen spießigen Vater zu ärgern. Seine Tattoos und Piercings hatten allerdings nichts mit irgendeiner Form von Rebellion zu tun. Sie gefielen ihm einfach. Auch wenn es ein angenehmer Nebeneffekt war, dass seine Eltern jedes Mal nach Luft schnappten, wenn er mit einem neuen Tattoo nach Hause kam. Trace holte seine Autoschlüssel aus der Jackentasche und zog dabei die Haustür auf.

Vielleicht sollte er seiner Mutter den Gefallen tun und ausziehen. Dann hätte er endlich etwas Privatsphäre. Auf Enkelkinder und eine Schwiegertochter würde sie jedoch bis in alle Ewigkeit warten können. Trace dachte an die grünblauen Augen von Jareds süßem Freund und verzog die Lippen zu einem genießerischen Grinsen. Ob sich der Kleine wohl für Männer begeistern konnte?

Es war garantiert keine schlechte Idee, wenn er sich, so in fünf oder sechs Jahren, ein wenig Zeit für Nicholas Burrows nahm und es herausfand.

 

 

Kapitel 1

 

Trace brauchte eine Weile, bis er endlich begriff, was ihn an dem jungen Kerl vorne an der Bar so irritierte. Er kannte ihn. Das war Nicholas Burrows. Der beste Freund seines jüngeren Bruders Jared. Der mit den grünblauen Wahnsinnsaugen und einer zu großen Nase, die derzeit eindeutig zu tief in einem Whiskyglas steckte. Der Junge war betrunken.

Stockbesoffen, traf es eher, entschied Trace, nachdem er an die Bar getreten war und Nicholas einfach das Glas aus der Hand genommen hatte. Bevor er etwas zu ihm sagen konnte, trat ein Mann an Nicholas' freie Seite, bei dessen Anblick in Trace alle Alarmglocken schrillten. Sie musterten sich schweigend und als der Kerl nicht gehen wollte, lehnte sich Trace seitlich auf die Theke.

»Wir können gerne draußen mit den Fäusten klären, dass er zu mir gehört, aber davon würde ich dir abraten.«

»Hey«, beschwerte sich Nicholas lallend und blinzelte zu ihm hoch. »Das isch mein Whischky und isch gehöre dir nischt.«

»Du hast genug, Nicholas.«

»Pfft, wasch geht disch das an?«

Nicholas drehte sich zu seinem Verehrer herum und grinste, worauf Trace dem Mann einen warnenden Blick zuwarf. Der andere Kerl sah auf Nicholas, dann zurück zu ihm und nickte, bevor er ohne ein Wort kehrtmachte. Kluge Entscheidung, dachte Trace, und war gleichzeitig erleichtert, dass er sich nicht prügeln musste. Auch wenn er es ohne schlechtes Gewissen getan hätte, um Nicholas daran zu hindern, mit diesem Typ zu verschwinden.

»Wir gehen jetzt«, sagte er und Nicholas drehte sich langsam wieder zu ihm um. Er schwankte dabei ziemlich und Trace fragte sich, wie viel er schon getrunken hatte, um diesen Zustand zu erreichen, aber vor allem, warum er es getan hatte. »Ich bringe dich nach Hause.«

»Will nischt. Wer bischt du überhaupt?«

»Trace.«

»Komischer Name«, murmelte Nicholas und streckte die Hand nach seinem Glas aus. Trace schob es über den Tresen, bis es außer Reichweite war. »Arsch. Ich will ...«

»Nach Hause«, fuhr Trace ihm ins Wort und half ihm vom Barhocker. »Ich fahre dich.«

»Ich will aber nischt.«

»Ist mir egal. Jared bringt mich um, wenn ich seinen besten Freund hier versumpfen lasse.«

»Jar... oh, du bist Trasch, sein Bruder«, kam Nicholas eine Erleuchtung und grinste ihn so strahlend an, dass Trace ihm sogar die abartige Fahne verzieh, die ihm aus Nicholas' Mund entgegenwehte.

Sechs Jahre Abstand hatten nichts an seinem Faible für diese grünblauen Augen geändert, von dem Trace bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem Nicholas im Flur in ihn hineingelaufen war, nicht mal etwas geahnt hatte. Er wusste immer noch nicht, ob er Nicholas dafür auf ewig verfluchen oder ihn lieber küssen sollte. Eines war ihm allerdings klar, sein Wunsch, Jareds besten Freund ins Bett zu zerren, dürfte nach heute Nacht noch stärker werden, als er es sowieso schon war.

»Erstaunlich, dass du mich noch erkennst. Wir haben uns schließlich sechs Jahre nicht gesehen.«

»Hassu noch mehr Tattoos gekriegt?«

Trace lachte leise und griff Nicholas unter die Arme, während er ihn aus der Bar zu seinem Wagen brachte. Es wurde echt Zeit, dass der Kleine nach Hause und ins Bett kam. Normalerweise hätte er ihn einfach mit in sein Bett genommen, was das betraf, war er in den letzten Jahren nun wirklich kein Kostverächter gewesen.

Aber soweit er von Jared wusste, war es nicht ganz ungefährlich, sich an jemanden heranzumachen, der drei Väter hatte, was, abgesehen von Nicholas' Alter, mit ein Grund gewesen war, warum er sich die letzten Jahre von dem Jungen ferngehalten hatte. Außerdem wollte er ihn, aus irgendeinem ihm unerfindlichen Grund, auch nicht auf diese Art in sein Schlafzimmer bekommen.

»Du kannst sie dir morgen genau ansehen«, bot Trace an und schnallte Nicholas an, denn er bezweifelte, dass der das in seinem Zustand selbst hinbekam.

»Escht?«

»Echt.«

»Wow, isch mag disch … glaub' isch.«

»Danke«, konterte Trace amüsiert und ließ Nicholas weiterreden, während er einstieg, den Motor anließ und den Weg zum Hause der Burrows einschlug. Er war erst einmal in seinem Leben dorthin gefahren, um Jared von der Party zu Nicholas' 17. Geburtstag abzuholen. Danach war er zur Armee gegangen, um Nicholas Burrows, samt seiner grünblauen Augen zu vergessen.

Es war ihm nicht gelungen.

 

»Du hast drei Väter?«, fragte Trace eine halbe Stunde später, obwohl er die Antwort natürlich längst kannte, doch Nicholas hatte auf der Rückfahrt ununterbrochen von seiner Familie erzählt und so betrunken, wie der Kleine war, fand Trace das Ganze ausgesprochen lustig.

»Ja. Drei.« Nicholas kicherte und versuchte dabei den Schlüssel ins Türschloss zu bekommen. »Mann, wiescho hat diesche beschisschene Tür zwei Schlüs... schüss... na Löcher?«

Trace lachte und nahm Nicholas den Schlüssel ab, um für ihn aufzuschließen. »Du bist wirklich stockbesoffen. Deine Väter springen wahrscheinlich im Dreieck, wenn sie dich so sehen.«

»Escht?«, wunderte sich Nicholas und kicherte gleich darauf wieder los. »Isch will ein Foto davon.«

»Oh Mann«, murmelte Trace belustigt und griff nach Nicholas' Arm. »Na komm, ich bringe dich noch ins Bett, bevor du in der Badewanne übernachtest.«

»Jaaa … schlafen.«

»Wo ist dein Zimmer?«

Plötzlich ging im Flur Licht an und Trace blinzelte in die ihn blendende Helligkeit. Dann erstarrte er, denn der Mann, der gerade die Treppe herunterkam, schien über ihren Anblick nicht sonderlich erfreut zu sein. Welcher von Nicholas' Väter das auch war, jetzt gab es Ärger.

»Nicholas Thomas Burrows!«

»Oh Scheiße«, stöhnte Nicholas und Trace griff zu, als er zu schwanken begann. »Mir ist schlecht.«

»Badezimmer?«, fragte er und zog Nicholas den Flur entlang, als dessen Vater auf eine Tür deutete. Sie kamen gerade rechtzeitig dort an und Trace verzog das Gesicht, als Nicholas zu würgen begann.

»Was ist denn …? Oh Gott, Nico.« Ein anderer Mann kam in das kleine Badezimmer, schaute ihn kurz an und hockte sich dann hinter Nicholas. »Ich bin Noah, einer von Nicos Vätern. Das ist Eric.«

Trace sah zur Tür und stutzte. Blaugrüne Augen. Das konnte kein Zufall sein. Nicht diese Farbmischung. »Sie sind Nicholas' Vater.«

Eric Burrows sagte nichts, aber sein Gesicht zeigte für einen Augenblick den Ausdruck ehrlichen Erstaunens, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Trace war insgeheim, und ohne es zu wollen, davon beeindruckt. Dieser Mann hatte eine wirklich beneidenswerte Selbstbeherrschung und er würde ihm eiskalt den Hals umdrehen, wenn er Nicholas zu nah auf die Pelle rückte. Nicht, dass ihn das abhalten konnte.

Trace sah zurück zu Noah Burrows. »Nicholas sagte etwas von drei Vätern.«

Blaugraue Augen warfen ihm einen forschenden Blick zu, den er stoisch über sich ergehen ließ. »Tom arbeitet heute Nacht im Club.«

Trace nickte. »Er hat davon erzählt, dass Sie sich die Arbeit aufteilen. Finde ich gut.«

»Ist mir scheißegal, wie Sie das finden«, knurrte Eric von der Tür her. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Eric ...«

Nicholas' Vater schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust, um ihn finster anzusehen, was Trace nicht weiter kümmerte. Er hatte genug Erfahrung mit Lovern, Vorgesetzten und gereizten Kunden, um zu wissen, dass er mit seinen Piercings, den unzähligen Tattoos und den kurzgeschorenen Haaren, auf andere Menschen erst mal abschreckend wirkte. Für behütende Väter, und die zwei hier waren solche Exemplare, folgte er garantiert gleich hinter der Gruselfigur vom schwarzen Mann, den man besser erschoss, bevor er auch nur einen kleinen Finger an den geliebten Sohn legte.

Normalerweise war Trace das vollkommen egal, aber bei Nicholas' Vater ärgerte es ihn. Er trat einen Schritt auf Eric Burrows zu und streckte eine Hand aus. »Trace Mansfield. Ich habe vor, mit Ihrem Sohn zu schlafen.«

Das hatte Trace gar nicht sagen wollen, obwohl es der Wahrheit entsprach. Doch jetzt war es zu spät, um seine Worte wieder zurückzunehmen und das lag nicht nur an der harten Faust, die plötzlich in seinem Gesicht landete. Heißer Schmerz explodierte in seinem Schädel und Trace stöhnte auf, bevor er einen Schritt nach hinten stolperte und sich an die Nase griff.

»Eric! Bist du verrückt?«

»Hast du gehört, was er gesagt hat?«

»Ich bin nicht taub, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, ihn zu verprügeln. Immerhin hat er Nico nach Hause gebracht und nicht in sein Bett geschleift!«

»Das ist kein Grund, ihn nicht zu schlagen.«

»Eric, Nico ist erwachsen.«

»Na und wenn schon!«

Trace wusste nicht, ob er lachen oder einfach gehen sollte, während er den Männern ungläubig dabei zusah, wie sie stritten. Direkt neben ihrem sich übergebenden Sohn und ihm selbst, einem Fremden, der gerade anfing sein T-Shirt vollzubluten.

Plötzlich sah Eric Burrows ihn wieder an. »Raus hier! Und wagen Sie es ja nicht, noch mal herzukommen.«

»Eric! Schluss jetzt!«, zischte Nicholas' zweiter Vater und half dabei seinem Sohn auf die Beine. »Im Kühlfach in der Küche finden Sie Eis, Mansfield. Benutzen Sie es! Und irgendwo liegt auch Küchenpapier herum.«

Trace beschloss, auf Noah Burrows zu hören und trat ohne ein weiteres Wort den Rückzug an. Die Küche war nicht schwer zu finden und nachdem er seine pochende Nase versorgt hatte, entschied er, dass es nicht schaden konnte, Kaffee aufzubrühen. Nicholas' Väter würden ihn später vielleicht brauchen.

 

 

Kapitel 2

 

Trace sah auf, als Noah Burrows eine halbe Stunde später zu ihm in die Küche kam, nach einem Blick in sein Gesicht seufzte und sich zu ihm setzte, nachdem er sich einen Kaffee eingegossen hatte. Nicholas' Vater musterte ihn schweigend und als es Trace zu dumm wurde, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück, bevor er sein Gegenüber mit einem herausfordernden Blick bedachte.

»Den Blick kenne ich. Eric beherrscht ihn verdammt gut, wenn er sauer auf mich ist. Erwarten Sie bloß keine Entschuldigung, Mansfield. Wir wissen beide, dass Sie diesen Schlag verdient haben.«

Trace nickte. »Das ist auch der einzige Grund, warum ich nicht zurückgeschlagen habe.«

»Gut«, sagte Nicholas' Vater trocken, bevor er es ihm nachmachte und sich auf dem Stuhl zurücklehnte. »Was ist mit der Nase? Gebrochen?«

Trace zuckte mit den Schultern. »Ich warte noch, dass der Schmerz nachlässt, aber ich glaube nicht.«

Noah Burrows grinste kurz, um im nächsten Moment die Augen zu verdrehen. »Okay, was ist passiert? Warum hat er sich betrunken?«

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Trace ehrlich. »Er war schon völlig dicht, als ich in die Bar kam, und stand kurz davor mit einem Typen zu verschwinden, den ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, ich meine, was ich vorhin zu Ihrem Mann gesagt habe. Ich will Noah in meinem Bett, aber normalerweise bin ich etwas subtiler, wenn es um Väter geht.«

»Wenn Sie der Bruder von Jared Mansfield sind, sieht der das etwas anders.«

Trace grinste und verzog gleich darauf vor Schmerzen das Gesicht. Er würde seine Mimik in der nächsten Zeit unter Kontrolle halten müssen. »Ich habe einen gewissen Ruf, das weiß ich, und er ist auch nicht von der Hand zu weisen. Aber das geht nur Nico etwas an, nicht Sie. Und so langsam beschleicht mich das Gefühl, dass Sie Schuld oder zumindest mitschuldig an seinem Besäufnis sind.« Nicholas' Vater verzog den Mund zu einer Grimasse, was für Trace ein einziges Schuldeingeständnis war. »Zu viel väterliche Fürsorge?«

»Wahrscheinlich«, gab Burrows unwillig zu und trank einen Schluck Kaffee. »Er ist sauer, weil wir nicht wollen, dass er nach Bolivien geht.« Nicholas' Vater sah ihn an. »Nico will Kriegsberichterstatter werden.«

»Scheiße«, konterte Trace begreifend, woraufhin sein Gegenüber tief seufzend nickte. Ausgerechnet Bolivien. Das Land steckte seit sechs Jahren in einem Bürgerkrieg, der vor allem für die einfache Bevölkerung immer mehr zu einem Desaster wurde.

»Er hat sich freiwillig gemeldet. Humanitäre Hilfe für die Bevölkerung. Das macht er neben dem Studium seit Jahren und an sich fand ich das toll.«

Trace begriff, wo das Problem lag. Seine Mutter hatte es genauso toll gefunden, als er zur Armee gegangen war, um das Land zu schützen. Sie war solange stolz auf ihn und seine Uniform gewesen, bis er angeschossen worden war.

»Was ist passiert?«, fragte er leise.

»Er wurde angeschossen«, gab Nicholas' Vater ihm dann auch prompt die Antwort, die Trace erwartet hatte. »Letztes Jahr im Irak. Es war ein Schuss in den Oberarm. Ungefährlich, aber wir erfuhren erst vier Wochen später, dass ihr Hilfslager überfallen worden war. Und jetzt will er in ein Gebiet, das lebensgefährlich ist, und er lässt sich nicht … Wissen Sie über Bolivien Bescheid?«

»Ja«, antwortete Trace unverbindlich, denn er wusste vermutlich weit mehr, als der Zivilist, mit dem er gerade am Tisch saß. Obwohl er nicht mehr bei der Navy war, hatte er noch genug Verbindungen und alte Freunde, die ihn auf dem Laufenden hielten.

»Dann verstehen Sie ja wohl, warum wir nicht wollen, dass er dort hinfliegt. Wir haben uns deswegen gestritten und am Ende ging er mit den Worten, dass er erwachsen ist und wir ihm nichts verbieten können.«

»Was auch stimmt«, merkte Trace an, traf damit aber den falschen Nerv.

»Nico ist gerade mal 22 Jahre alt. Er hat doch keine Ahnung, worauf er sich da einlässt!«, fuhr Noah Burrows ihn an, doch das ließ Trace nicht gelten.

»Er beteiligt sich schon seit Jahren an Hilfseinsätzen, das haben Sie mir doch gerade erst erzählt. Wer so etwas freiwillig tut, hat mehr Ahnung, als Sie glauben.«

»Na und?«, konterte Nicholas' Vater verärgert. »Muss mir deswegen vielleicht gefallen, dass er ausgerechnet in dieses Kriegsgebiet will?«

»Habe ich das behauptet?« Trace trank seinen Kaffee aus, als Noah Burrows wütend schnaubte. »Ihr Sohn mag jung sein, aber er ist kein Idiot, sonst würde er das nicht freiwillig machen. Sie sollten besser damit aufhören, ihn wie ein kleines Kind zu behandeln. Er könnte Ihnen das sonst bald verdammt übel nehmen.«

Oha, dachte Trace, denn eine gefühlte Ewigkeit lang, bekam er für seine harten Worte einen Blick zugeworfen, der stark danach aussah, als würde der Mann überlegen, ihm hier und jetzt an die Gurgel zu gehen. Am Ende tat er es nicht, sondern seufzte schwer und sackte ein Stück auf dem Stuhl zusammen, jeder Zentimeter ein besorgter und liebender Vater. Er tat Trace fast leid, aber nur fast.

»Sie klingen, als hätten Sie das alles hinter sich.«

»Ich habe Eltern und ich war ein paar Jahre bei der Armee. Meine Mutter war solange stolz auf mich, bis ich mir eine Kugel einfing.«

»Und Ihr Vater?«

Trace zuckte mit den Schultern. »Er stört sich mehr an meinen Tattoos und Piercings. Da blieb dann offenbar keine Zeit, sich Sorgen um mich zu machen.«

Klang das zu verbittert? Ja, mit Sicherheit, aber Noah Burrows war höflich genug, seine Worte nicht weiter zu kommentieren. Stattdessen ließ er den Blick über die für ihn sichtbaren Tattoos und Piercings wandern. Da er die Art Blicke zur Genüge kannte, wartete Trace einfach ab, bis sein Gegenüber ihm wieder in die Augen sah.

»Ich gebe zu, sie sind gewöhnungsbedürftig. Aber sie müssen Ihnen gefallen, nicht mir.«

»Gute Antwort.«

»Nicht wahr?« Nicholas' Vater grinste kurz, trank den Kaffee aus und musterte ihn dann nachdenklich. »Wie alt sind Sie eigentlich?«

Trace grinste humorlos. »Zu alt, schätze ich.«

»Das heißt?«

»33«, antwortete er, worauf Burrows stutzte, bevor ein breites Lächeln über sein Gesicht huschte. Trace sah ihn neugierig an. »Was ist?«

»Ich bin 11 Jahre jünger, als meine Männer.«

Und er war 11 Jahre älter als Nicholas. Trace konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, was ihm ein Lachen und gleich darauf ein gespielt tadelndes Kopfschütteln einbrachte, das er nicht kommentierte. Er hatte sich mit seiner unüberlegten Äußerung schon Nicholas' leiblichen Vater zum Feind gemacht, das war genug.

»Sie haben also vor, mit meinem Sohn zu schlafen?«, fragte Noah Burrows schließlich und Trace war sofort auf der Hut.

»Wenn er das will«, antwortete er vorsichtig, denn auf eine weitere Faust im Gesicht konnte er gut verzichten. Doch sein Gegenüber schien mit der Antwort zufrieden, denn er nickte, um im Anschluss zu glucksen.

»Viel Spaß.«

»Viel … Wie bitte?«, hakte Trace verdattert nach und Nicholas' Vater lachte leise.

»Sagen wir so … Ich kenne meinen Sohn. Er kommt in einigen Dingen sehr nach seinem leiblichen Vater.«

»Und das bedeutet?«

»Keine Sorge, das finden Sie bald selbst heraus.«

»Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt.«

»Wer sagt denn, dass es das tun soll?«, konterte Noah Burrows belustigt und stand auf. »Sie gehen jetzt besser. Ich werde Nico morgen sagen, wer ihn heimgebracht hat. Er wird sich deswegen bedanken, dafür sorge ich. Alles Weitere hängt von Ihnen ab.«

Trace sah überrascht auf. »Was? Kein 'Verschwinden Sie hier und kommen Sie nie wieder?'«

Nicholas' Vater grinste humorlos. »Ich bin nicht Eric, aber ich könnte meine Meinung ändern, wenn Sie jetzt nicht gehen.«

»Bin schon weg«, murmelte Trace amüsiert und stand auf, um seine Tasse in den Geschirrspüler zu räumen, was ihm einen anerkennenden Blick einbrachte, bevor er ohne ein weiteres Wort das Haus verließ.

 

 

Kapitel 3

 

Drei Wochen später war Trace über die Haarspitzen hinweg frustriert. Wie konnte ein Mann allein nur so stur sein? Nicholas Burrows war wirklich am Tag nach seiner Sauftour bei ihm aufgetaucht, um sich zu bedanken, dass Trace ihn nach Hause gebracht hatte, aber seither hielt er ihn auf Abstand und wehrte jeden Versuch, ihm näher zu kommen, ihn in einen Club, zum Essen oder sonst wie einzuladen, rigoros ab.

Stattdessen hielt Jared, mit dem er seit einem Jahr in einer Zweier-WG lebte, ihn auf dem Laufenden, und dass Nicholas Burrows ihn für einen schamlosen Casanova hielt, der nur darauf aus war, bei ihm den nächsten Fick zu landen, kratzte mächtig an Trace' Ego. Dabei stimmte es im Grunde sogar. Trace war es in den letzten Jahren hauptsächlich um Sex gegangen, aber Nicholas war mehr als das. Er konnte nicht benennen, was dieses 'mehr' für ihn bedeutete, aber er wollte Nicholas nicht einfach ins Bett schleifen. Irgendetwas war an dem Sturkopf anders und genau das wollte er.

Nur wie konnte er am besten an ihn herankommen? Es stand nämlich auf gar keinen Fall zur Debatte, Jareds besten Freund über die Schulter zu werfen und einfach in sein Schlafzimmer zu verschleppen. Obwohl Trace das nach der letzten SMS von Nicholas für etwa eine Minute ernsthaft in Betracht gezogen hatte.

Ja, es war nicht höflich gewesen, Jared die Nummer von Nicholas aus dem Handy zu klauen und dafür hatte sein Bruder ihm auch schon gewaltig die Leviten gelesen, aber deshalb war er noch lange kein 'impertinentes und hinterfotziges Arschloch'. Trace wusste nicht einmal, was impertinent bedeutete. Eine nette Charaktereigenschaft war es allerdings kaum.

Kein Wunder, dass Noah Burrows ihm in jener Nacht 'Viel Spaß' gewünscht hatte. Oh, er hatte Spaß, sogar jede Menge davon, nur leider nicht auf die Art, wie Trace sich das vorgestellt hatte.

Wütend lief er weiter den Gehweg entlang, der ihn hoffentlich bald zum Ziel bringen würde. Er wusste nicht einmal so genau, was er eigentlich im Club von Nicholas' Vätern wollte, aber vielleicht hatte Noah Burrows einen Tipp für ihn, was seinen Sohn betraf. Er war verzweifelt genug, es darauf ankommen zu lassen, sich ein zweites Mal mit Eric Burrows anzulegen, der vermutlich auch da sein würde. Genau wie Tom, der dritte Vater im Bunde.

Trace schauderte einen Moment, bei dem Gedanken, sich gleich allen drei Vätern gegenüberzusehen. So etwas machte er normalerweise nicht freiwillig. Aber wie schon gesagt, er war verzweifelt und etwas Besseres fiel ihm im Moment leider nicht ein. Und wenn stimmte, was Jared ihm heute Morgen gesagt hatte, blieb ihm auch gar keine andere Wahl, denn Nicholas wollte in zwei Wochen nach Bolivien aufbrechen und dort drei Monate bleiben.

Das 'Velvet' kam in Sicht und Trace sah, dass die Tür offenstand. Ein Lieferwagen an der Straße verriet ihm, dass gerade Waren gebracht wurden. Er nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit und trat hinter zwei Männern, die Kisten trugen, einfach in den Club.

»Oh fuck«, murmelte er, als sein Blick kurz darauf auf einer Reihe von Menschen hängenblieb, die ihn verdutzt musterten und offensichtlich alle zusammengehörten. Er war mitten in ein Familientreffen geplatzt.

»Sie?« Eric Burrows löste sich aus der Gruppe. »Hatte ich mich nicht deutlich ausgedrückt?«, zischte Nicholas' Vater abfällig und Trace runzelte die Stirn.

Wieso reizte ihn dieser Mann eigentlich so sehr? Er hatte ihn seit der Nacht im Haus der Burrows nicht mehr gesehen und verspürte trotzdem das Bedürfnis, Nicholas' Vater eine reinzuhauen. Nicht, dass er es tun würde, aber es ärgerte Trace unheimlich, dass allein der Anblick des Mannes ausreichte, um ihn auf die Palme zu bringen.

»Vorsicht, Burrows. Dieses Mal schlage ich zurück«, grollte er, unfähig sich zu zügeln, was unter den übrigen Familienmitgliedern zu leisem Getuschel führte.

»Mieses Arschloch!« Nicholas' Vater blieb etwa zwei Armlängen vor ihm stehen. »Was wollen Sie hier?«

»Geht Sie das was an?«, giftete Trace mürrisch zurück und ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten.

»Das ist mein Club, also 'Ja', es geht mich etwas an.«

»Soweit ich weiß, gehört der Club zu je einem Drittel Ihnen und Ihren beiden Männern, und ich will zu Noah, nicht zu Ihnen.«

Verdammt, er hätte nicht herkommen sollen. Das war nicht gut, dass dieser Typ es so schnell schaffte, an seiner Beherrschung zu kratzen. Normalerweise gelang das nur Jared und mittlerweile auch Nicholas. Also Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Trace ahnte, was das in Bezug auf Eric Burrows hieß und es gefiel ihm gar nicht.

»Eric? Willst du uns nicht vorstellen?«

Ein älterer Mann mit Gehstock kam auf sie zu und musterte ihn interessiert, aber auch belustigt. Trace ließ sich nicht von dem harmlosen Anblick täuschen. Dieser Mann mochte alt sein, aber er hatte Augen, die alles und noch mehr gesehen hatten.

»Nein. Der Mistkerl wollte gerade gehen.«

»Er sieht mir nicht danach aus.« Mister Unbekannt trat an Erics Seite, stützte sich dann lässig auf den Stock und sah ihn offen an. »Nick Kendall. Der Schwiegervater. Und der Großvater des jungen Mannes, den Sie vor drei Wochen nach Hause gebracht haben, Mister Mansfield.«

»Woher …?«, fing Nicholas' Vater überrascht an und schnaubte entrüstet, als Nick Kendall kurz grinste. »Du hast rumgeschnüffelt? Ich fasse es nicht.«

»Was ist denn …? Ah, verstehe.« Noah Burrows schob sich durch die Familienversammlung und kam grinsend auf ihn zu. »Hi, Trace. Du bist schneller, als ich dachte.«

»Seit wann seid ihr denn per du?«, fragte Eric und war sichtlich verwundert. Trace ging es nicht anders.

»Seit jetzt«, antwortete Noah hörbar belustigt. »Also? Was willst du hier?«

Trace schnaubte. »'Viel Spaß', erinnern Sie sich? Von wegen. Viel Spaß für den Arsch. Wie, zum Teufel, haben Sie es geschafft, gegen den Dickschädel anzukommen?«

Er deutete dabei empört auf Eric, der daraufhin laut und bildhaft fluchte, während die anderen Mitglieder der Familie in schallendes Gelächter ausbrachen. Was daran so lustig war, verstand Trace zwar nicht, aber das schien der Rest der Familie anders zu sehen, denn er war sehr schnell umringt von Männern und zwei jüngeren Frauen, die sich als Nicholas' Schwestern entpuppten, von denen er insgesamt vier hatte, und die Trace bislang nur aus ein paar Erzählungen von Jared kannte.

Trace gab schnell auf, sich merken zu wollen, wer wie zu dieser riesigen Familie gehörte. Er hatte schon genug Schwierigkeiten, die Namen dem dazugehörigen Gesicht zuzuordnen. Sie waren zusammengekommen, da wieder ein Familienbarbecue anstand. Das machten sie alle paar Monate, wurde ihm erzählt, und jeder, der Zeit erübrigen konnte, kam vorbei. Dieses Mal fand es hier in New York statt, und zwar morgen.

»Sag' mal, kannst du zufällig kochen, Trace?«, fragte Noah Burrows auf einmal und alles verstummte, um ihn anzusehen.

»Ja, warum?«

»Deftig oder auch Süßkram?«

Trace verstand zwar nicht, was die Frage sollte, aber er würde das Spiel erst mal mitspielen. »Ich habe kochen gelernt, als ich von Fertigfraß die Faxen dicke hatte. Ich kann alles, wenn ich will und ein Rezept dafür habe.«

»Sehr gut.«

Nicholas' Vater begann zu grinsen und schaute gleich darauf zu Eric, der ihn finster ansah. Die beiden Männer führten ein stummes Blickduell, das Eric verlor, indem er sich fluchend abwandte und dabei sein Handy aus der Tasche zog. Trace ließ sich sein Erstaunen darüber nicht anmerken, sondern schaute fragend zu Noah, nachdem Eric einen in die Wand eingebauten Fahrstuhl betreten hatte.

»Du bist hiermit eingeladen. Morgen Mittag bei uns. Sei pünktlich und bring einen Topf Milchreis mit.«

»Milchreis?«, fragte Trace verdattert und wurde dafür von allen Seiten ausgelacht.

»Frag' nicht«, konterte Noah amüsiert und zog ihn ein Stück von den anderen weg. »Ich erkläre es dir morgen. Doch bevor du gehst, will ich, dass du noch jemanden kennenlernst.«

»Kann mir mal jemand sagen, wieso Dad mich anruft und mir sagt, das wir nicht einkaufen fah...?« Die Clubtür fiel im selben Augenblick hinter Nicholas ins Schloss, wie der verstummte. »Was will der denn hier?«

»Mist«, murmelte Noah und schüttelte kaum merklich den Kopf, als Trace ihn erstaunt ansah. Danach trat er an ihm vorbei auf seinen Sohn zu. »Er ist Gast, benimm dich also dementsprechend.«

Nicholas' folgender, überraschter Blick hielt genau so lange an, bis Eric Burrows mit einem blauäugigen Mann an seiner Seite, der dann wohl der dritte Vater Tom war, aus dem Fahrstuhl stieg. Trace seufzte innerlich tief auf, als Nicholas' Augen sich vor Wut verdunkelten.

»Was soll das hier werden? Verkuppeln wir Nico noch schnell, damit er nicht mehr nach Bolivien fliegt? Wollt ihr mich verarschen?«

»Nicholas!«, zischte Noah, erreichte damit aber nicht das Geringste.

»Spar' dir die Luft, Dad!«, fluchte Nicholas und Trace wusste instinktiv, dass er die Schuld an allem bekommen würde, obwohl er überhaupt nichts dafür konnte. »Du blödes Arschloch. Womit hast du meine Väter um den Finger gewickelt? Nein, warte. Sag's mir nicht. Es ist mir ohnehin scheißegal und um mal eines klarzustellen … Ich stehe nicht auf Hinterwäldler, die sich aufführen, wie die Axt im Walde. War das jetzt deutlich genug für dich oder muss ich es dir aufschreiben?«

Trace atmete tief durch. »Nein, das war deutlich.«

»Na super. Dann kann ich ja wieder gehen. Ich habe nämlich ein Date«, konterte Nicholas und war aus dem Club verschwunden, bevor Trace reagieren konnte.

 

 

Kapitel 4

 

Ein Date also. Na wie schön.

Trace schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln. Wo war das Loch im Boden, wenn man es brauchte? Gab es eigentlich etwas Schlimmeres, als von dem Mann, den man liebte, in voller Absicht vor dessen Familie bis auf die Knochen blamiert zu werden? Trace glaubte es nicht und er begann sich zu fragen, wozu er sich das überhaupt noch antat. Nicholas wollte ihn nicht, das hatte er eben sehr deutlich gemacht, und es gab genug willige Männer in dieser Stadt, die für eine Nacht mit ihm alles stehen- und liegenlassen würden.

Er war nicht auf jemanden angewiesen, der ihn lieber bloßstellte, als mit ihm auszugehen. Und er würde sich nicht länger für Nicholas Burrows zum Affen machen. Es reichte. Endgültig.

»Das hat er nicht von mir«, murrte Eric Burrows auf einmal und Trace presste fest die Lippen zusammen, um nicht mit dem Gedanken herauszuplatzen, der ihm dazu prompt durch den Kopf schwirrte.

»Doch, das hat er von dir«, widersprach Noah trocken und seufzte im Anschluss daran. »Leider, muss ich dazu sagen, denn das war gegenüber Trace nun wirklich nicht sehr höflich.«

»Höflich? Dieser Mistkerl ...«

»Ist bis über beide Ohren verliebt in deinen Sohn.«

»Er hat eine komische Art das zu zeigen.«

»Das müsste dir doch bekannt vorkommen.«

»Noah!«

»Es ist die Wahrheit und das weißt du. Nico hat sich eben unmöglich verhalten und das werden wir ihm nicht einfach so durchgehen lassen, ist das klar?«

»Aber ...«

Trace wandte sich ab, um den Club zu verlassen. Hier hatte er nichts mehr verloren. Er würde Nicholas einfach aus seinem Kopf streichen und fertig. Trace verkniff sich ein Stöhnen, als ihm klar wurde, dass das schwachsinnig war. Sein Herz würde ihm etwas husten. Na schön, dann würde er sich halt besaufen, eine Weile im Selbstmitleid baden und sich hinterher irgendeinen Fick suchen. Das hatte bislang immer funktioniert, es würde auch dieses Mal klappen. Basta.

»Trace, warten Sie!«

Er kannte diese Stimme nicht, aber sie wusste seinen Namen, deshalb blieb Trace stehen und drehte sich um. Es fiel ihm schwer, sein Erstaunen darüber zu verbergen, dass ausgerechnet Tom Burrows ihm gefolgt war. Trace wartete, bis der Mann zu ihm aufgeschlossen hatte.

»Was wollen Sie?«

Nicholas' Vater studierte einen Moment sein Gesicht, dann nickte er. »Noah hat recht. Sie lieben Nico.«

Darauf würde er nicht reagieren, entschied Trace und so schwieg er, starrte Tom Burrows einfach nur wortlos an. Es dauerte nicht lange, bis der Mann anfing belustigt zu schmunzeln.

»Ich denke, ich weiß, was Noah an dir findet. Du bist Eric sehr ähnlich und du musst mir nicht bestätigen, was du für meinen Sohn fühlst. Ich habe Augen im Kopf und dein Gesichtsausdruck im Club war eindeutig.«

Trace verschränkte die Arme vor der Brust. Er würde sich nicht einwickeln lassen. »Und?«

»Willst du wirklich aufgeben?«, fragte Nicholas' Vater daraufhin tadelnd und Trace seufzte.

»Mister Burrows ...«

»Tom.«

»Tom … Nico hat sich gerade unmissverständlich und sehr deutlich ausgedrückt. Ich denke nicht, dass ...«

»Zwanzig Jahre.«

»Was?«, fragte er irritiert.

»Es hat mehr als zwanzig Jahre gedauert, bis Eric mir das erste Mal sagte, dass er mich liebt«, antwortete Tom Burrows ruhig und blickte ihn offen an. »Er tat es schon, als wir noch nicht mal erwachsen waren, doch die Worte auszusprechen, hat er sich nie getraut. Bis Noah in unser Leben platzte. Er war hartnäckig genug, um solange auf Erics Schutzpanzer einzuschlagen, bis dieser nachgab. Er hat um uns gekämpft, weil er uns liebt, Trace, und Nico ist wie sein Vater. Derselbe Dickkopf, dieselben Augen, derselbe klare, scharfe Verstand. Falls du ihn wirklich in deinem Leben haben willst, muss dein Dickkopf stärker sein als seiner.«

»Er will mich nicht.«

Tom schüttelte den Kopf. »Eric hat mir von deinem Ruf erzählt und Nico ist kein Mann für schnellen Sex. Er stößt dich weg, weil er glaubt, dass du nur ein Abenteuer fürs Bett suchst.«

Trace schnaubte. »So ein Blödsinn. Wenn er so schlau ist wie Sie sagen, müsste er wissen, dass das nicht wahr ist. Ich laufe ihm schließlich schon seit Wochen wie ein Volltrottel hinterher.«

»Und bist dabei nicht sonderlich einfallsreich«, hielt Nicholas' Vater ihm vor und Trace sah ihn finster an, da er dem Mann leider nicht widersprechen konnte und das ärgerte ihn. »Trace, mein Sohn will einen Mann, bei dem er sich wohlfühlen kann und der ihn versteht. Davon bist du noch weit entfernt, aber das kann man ändern. Finde heraus, was ihm gefällt, was er mag. So erreichst du ihn. Nicht mit plumpen Dateeinladungen.«

Das würde Zeit brauchen, die sie kaum hatten, denn Nicholas wollte in 14 Tagen nach Bolivien aufbrechen. »Wie soll das gehen? Er fliegt in zwei Wochen.«

»Ich weiß«, sagte Tom Burrows und sah darüber nicht sehr glücklich aus. »Aber zwei Wochen sind besser als nichts. Noah hat dich eingeladen, also solltest du morgen lieber kommen. Denn wenn du jetzt aufgibst, beweist du Nico nur, dass du nicht mit dem Sturschädel klarkommst, der auf seinen Schultern sitzt. Ich weiß das, ich kenne meinen Sohn.« Nicholas' Vater wandte sich ab, um zu gehen, drehte sich aber nach drei Schritten wieder zu ihm herum. »Ach, und noch was … Versuch' es mal ein bisschen subtiler. Nico ist altmodisch.«

»Altmodisch?«

»Romantisch. Er will umworben und erobert werden. Probier' es mit Schokolade.«

»Schokolade?«, wiederholte Trace erstaunt und Tom Burrows zwinkerte ihm grinsend zu.

»Ja. Muffins, Schokolade, Eis, am besten mit Himbeeren oder Erdbeeren. Oh, und natürlich mit Sahne obendrauf. Nico ist total verrückt danach, das hat er von Noah. Je süßer, desto besser.«

 

 

Kapitel 5

 

Nick Kendall öffnete ihm die Tür, sah auf den Topf in seinen Händen und fing an zu grinsen. Trace hatte keine Ahnung, wie er dieses Grinsen werten sollte, daher sagte er nichts, was mit einem leisen, aber ehrlichen Lachen kommentiert wurde.

»Langsam verstehe ich, was Noah an dir so mag. Und sofern du willst, dass Nico etwas von deinem Milchreis probiert, wirst du ihn bewachen müssen.«

Milchreis bewachen? War das ein Witz oder wie sollte er diesen Satz verstehen? »Bewachen? Vor wem?«, fragte Trace daher irritiert nach.

»Noah«, antwortete Nicholas' Großvater amüsiert und trat zurück. »Komm rein, Trace. Schön, dass du da bist.«

Der letzte Satz war ernst gemeint, erkannte Trace an der Tonlage, und das erstaunte ihn doch etwas. Er hatte nicht damit gerechnet, um ehrlich zu sein. Vielleicht war es an der Zeit, dass er seine Meinung über diese Familie ein wenig revidierte. Das war jedoch nur möglich, indem er Tom Burrows gestrigen Ratschlag beherzigte und sie, allen voran Nicholas, besser kennenlernte.

»Es sind schon alle da. Misch' dich locker unters Volk. Wir haben weder eine Sitzordnung noch sonst was. Nur von Eric halte lieber etwas Abstand.«

»Ich gebe ihm im Notfall eins auf die Nase«, erklärte er trocken und Nick Kendall grinste belustigt. Trace fiel etwas auf. »Nanu? Heute ohne Gehstock?«

Nicholas' Großvater lachte. »Ich mag ihn, aber er wird nicht unbedingt gebraucht.«

»Nicht mehr«, widersprach ein Mann und trat auf sie zu. Er war gestern auch im 'Velvet' gewesen, aber Trace konnte sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. »Ich bin Tristan, der zweite Großvater. Hallo Trace.«

»Hey, Grandpa, hast du … Du?« Nicholas kam abrupt vor ihnen zum Stehen, als sich ihre Blicke trafen, wobei die Gummisohlen seiner Schuhe auf dem Boden hörbar quietschten. »Was willst du hier?«

»Dein Vater hat ihn eingeladen.«

»Ich dachte, das wäre nur ein blöder Witz gewesen«, grollte Nicholas, woraufhin Tristan Kendall die Arme vor der Brust verschränkte.

»Nein, Nico, das war es nicht, und ich glaube, du und ich, wir sollten uns dringend mal über die Bedeutung des Wortes Manieren unterhalten.«

»Aber ...«

»Jetzt! Derweil zeigt dein Großvater deinem Freund die Küche, damit er seinen Milchreistopf abstellen kann. Nicht wahr, Nick?«

Nick Kendall nickte amüsiert und Trace fragte sich, was er hier gerade verpasste. So langsam beschlich ihn das komische Gefühl, dass, abgesehen von Nicholas und dessen Vater Eric, ihn jeder in dieser Familie für den perfekten Partner von Nicholas hielt. Er folgte dessen Großvater in die Küche, wo bereits überall Töpfe, Platten und Schüsseln mit Essen standen. Trace stellte seinen Topf einfach auf den Herd und wandte sich zu Nick um, der ihn interessiert musterte.

»Na? Überlegst du, ob wir euch verheiraten wollen?«

»Der Gedanke ist mir gekommen«, gab Trace zu und Nicholas' Großvater gluckste, bevor er zwei Cola aus dem Kühlschrank nahm.

»Willst du auch? Ich würde ja zu gerne ein Bier zum Grillfleisch genießen, aber mein Mann legt mich übers Knie, wenn ich es wagen sollte.«

Trace runzelte die Stirn. »Hatten Sie einen Unfall?«

»Nick, nicht Sie, das gleich mal vorweg, und ja, hatte ich. Seitdem ist Tristan ein wenig übervorsichtig.« Nick winkte ab und reichte ihm dann die Coladose. »Aber jetzt lass uns über dich reden. Was hat es damit auf sich, dass Nicholas behauptet, du wärst ein Casanova und Eric Gift und Galle deinetwegen spuckt?«

Trace stöhnte und öffnete die Dose, um einen Schluck Cola zu trinken, bevor er sich neben Nicholas' Großvater an die Arbeitsplatte lehnte. »Er hat recht, ich war bislang so. Es ging immer um den Sex, mehr wollte ich nie. Aber bei ihm ist es etwas anderes. Ich weiß nur nicht, wie ich ihn davon überzeugen soll.« Er sah zu Nick. »Und warum reden wir zwei hier eigentlich darüber? Sollten Nicholas' Väter mich nicht in die Zange nehmen?«

Nick zwinkerte ihm zu. »Würden sie auch, aber Noah und Tom sind damit beschäftigt, Eric im Zaum zu halten. Außerdem mögen sie dich, weil du ihm so ähnlich bist.«

»Bin ich nicht«, murrte Trace prompt, was Nicholas' Großvater zum Lachen brachte. »Sehr lustig.«

»Wir könnten wetten.«

 Trace sparte sich eine Antwort darauf.

»Nico wird dir vermutlich den ganzen Nachmittag aus dem Weg gehen. Er kann dich nicht einschätzen und das gefällt ihm gar nicht.«

»Na super.« Trace runzelte die Stirn. »Und wie soll ich mit ihm reden, wenn er vor mir wegläuft?«

»Geduld«, mahnte Nick auf einmal sehr ernst. »Davon wirst du jede Menge brauchen, Trace, gewöhn' dich dran. Ich war live dabei, als Noah damals um Eric kämpfte und Nico ist wie sein Vater. Du musst präsent sein, damit er sich an dich gewöhnen kann und wenn das passiert ist, schlägst du zu.«

»Was?«, fragte Trace erstaunt und Nick schmunzelte, bevor er weitersprach.

»Mach' etwas, das er niemals erwarten würde, aber tu' es nur, wenn du es wirklich willst und nicht Nico zuliebe. Das würde er merken und dir übel nehmen.«

»Ihr wollt uns wirklich verkuppeln, oder?«

Nick schürzte die Lippen und grinste danach. »Sagen wir es mal so … von all den Kerlen, die er in den letzten Jahren mit nach Hause gebracht hat, bis du der einzige, der bei uns den Eindruck hinterlässt, Nicos Dickschädel ebenbürtig zu sein. Also mach' was draus.«

 

Mach' was draus.

Gut gesagt, nur leider nicht ganz einfach umzusetzen, denn Nicholas ging ihm tatsächlich den Nachmittag über gekonnt aus dem Weg.

Doch seltsamerweise störte es Trace kaum, nachdem er mit Nick gesprochen hatte. Das lag vor allem daran, dass Nicholas ihn aus der Ferne beobachtete und dessen Familie zudem nichts Besseres zu tun hatte, als ihn mit lustigen Erinnerungen und Anekdoten regelmäßig zum Lachen zu bringen. Trace fühlte sich wohl und er fühlte sich bei diesen unzähligen Menschen Willkommen. Sah man mal von Eric Burrows ab, dessen finstere Blicke sich ab und an auf ihn richteten.

Trace nahm sie hin und hielt sich von Nicholas' Vater fern und so wurde es insgesamt ein sehr lustiger Tag, bis er sich am frühen Abend auf einmal neben Nicholas am Buffet wiederfand. Er ließ sich seine Überraschung nicht anmerken, während er sein benutztes Geschirr abstellte und dabei nach etwas zu Trinken Ausschau hielt.

»Du bist verdammt hartnäckig«, murrte Nicholas und wandte sich ihm direkt zu. »Was muss ich tun, um dich wieder loszuwerden?«

»Deine Vorurteile mir gegenüber beiseitezuschieben, wäre schon mal ein guter Anfang«, antwortete Trace und stellte die Coladose zurück, die er sich genommen hatte, bevor er Nicholas' Blick erwiderte, der ihn trotzig ansah.

»Ich weiß, wer du bist.«

»Nein, das weißt du nicht«, widersprach Trace ruhig. »Du weißt nur, welchen Ruf ich habe und das hat dir ausgereicht, um mich zu verurteilen, zu beleidigen und wegzustoßen. Du hast nicht die geringste Ahnung, wer ich wirklich bin, Nicholas.«

»Schön, ich bin also ein kleiner, arroganter Mistkerl. Immer noch besser, als ein Casanova, der ...«

»Für dich Milchreis gekocht hat«, fuhr Trace ihm über den Mund und ließ sich von dessen finsterem Blick nicht aus der Ruhe bringen. Am Ende gab Nicholas nach und senkte den Kopf. »War er lecker?«, fragte Trace leise und schmunzelte, als Nicholas' Mundwinkel daraufhin leicht zuckten. Er kämpfte eindeutig gegen ein Grinsen. »Oder sollte ich lieber fragen, ob dein Vater dir überhaupt ein paar Löffel zum Kosten überlassen hat?«

Nicholas prustete los und sah auf. »Das hat Dad dir erzählt, oder?«

Trace nickte. »Und? Hast du etwas abbekommen?«

»Eine Kompottschüssel.«

»Nächstes Mal nehme ich einen größeren Topf.«

»Hm«, konterte Nicholas unverbindlich und musterte ihn in einer Mischung aus Hoffnung, aber auch deutlich sichtbarem Misstrauen. Er wusste überhaupt nicht, was er von ihm halten sollte, genauso wie Nick es ihm gesagt hatte. Trace grinste schief.

»Ich kenne meinen Ruf, Nicholas, und vor weniger als einem Monat war es auch noch so. Aber von dir will ich nicht nur Sex. Ich habe keine Erklärung dafür, ich weiß nur, dass ich dich kennenlernen möchte. Ist das wirklich so schwer zu glauben?«

Nicholas atmete tief durch. »Okay, reden wir Klartext. Du willst mich also kennenlernen und wie stellst du dir das vor? In zwei Wochen bin ich weg, das weißt du. Hast du etwa vor, drei Monate auf mich zu warten?«

Trace wollte gerade antworten, als ihm auffiel, dass es im Garten auf einmal verdächtig ruhig geworden war. Er sparte sich, etwas dazu zu sagen, dass jeder so tat, als ob er beschäftigt wäre, während sie Nicholas und ihn mit Argusaugen beobachteten. Auch auf die Gefahr hin dafür angebrüllt zu werden, griff er Nicholas' Hand, zog ihn ins Haus und schloss die Terrassentür hinter ihnen.

»Was sollte das denn bitte wer...?« Nicholas brach ab und warf einen kurzen Blick nach draußen. »Oh, sorry. Ich merke schon gar nicht mehr, wenn sie lauschen. Das machen sie ständig.«

»Wundert mich nicht«, murmelte Trace und grinste, als Nicholas ihn forschend anschaute. »Deine Familie ist ziemlich sonderbar, um es mal so zu nennen, aber ich mag sie und ich schätze, ich sollte mich daran gewöhnen, nicht wahr?«

»Heißt das …?«

»Ja, Nicholas. Ich wollte von Anfang an nicht nur Sex mit dir, obwohl ich verstehe, dass du das geglaubt hast. Du bist anders … keine Ahnung, was das für mich oder dich oder uns bedeutet, aber es ist so.«

Nicholas seufzte leise und begann vor ihm auf- und abzulaufen. »Ich weiß, dass ich in den letzten Wochen dir gegenüber nicht gerade höflich war, aber wenn Frauen sich so durch die Gegend schlafen, wie du es seit Jahren tust, nennt man sie Nut... du weißt schon. Grandpa hat … also er meinte, ich soll dir das sagen und dir eine Chance geben, aber die kriegst du nur, wenn du es ernst meinst.«

»Nicholas ...«

»Ich habe echt keinen Bock darauf, die nächste Kerbe an deinem Bettpfosten zu werden.«

»Nicholas ...«

»Und ich werde mich garantiert nicht von dir daran hindern lassen, nach Bolivien zu gehen.«

»Nicholas ...«

»Ach ja, falls ich dir zu jung bin, sag' es lieber gleich.«

Trace gluckste und hielt Nicholas am Arm fest, damit der stehenblieb und sie sich ansehen konnten. »Du bist nicht zu jung und ich will dich auch nicht von Bolivien fernhalten. Im Übrigen habe ich keine Kerben in meinem Bettpfosten, was Jared dir bestätigen kann.«

Nicholas lachte leise und Trace ließ ihn los.

»Weißt du, ich wollte dich zu Dates einladen, weil ich gehört habe, dass man das so macht, wenn man jemand mag, aber irgendwie scheinst du etwas gegen Essen oder Tanzen gehen zu haben.«

»Na ja … ich, äh ...«, stotterte Nicholas los und wurde rot, was Trace äußerst anziehend fand.

»Was hältst du von Muffins?«, fragte er, als ihm eine Idee kam, die kein Date war, ihnen aber die Möglichkeit gab, ein wenig Zeit miteinander zu verbringen. Was sein würde, sobald Nicholas nach Bolivien flog, wusste Trace zwar auch nicht, aber notfalls würde er eben drei Monate auf dessen Rückkehr warten. »Ich hätte Schokolade und Vanille im Angebot.«

Nicholas' Augen leuchteten begehrlich auf und Trace verkniff sich ein Grinsen. Gott sei Dank konnte er neben dem Kochen auch leidlich backen, das kam ihm jetzt mit Sicherheit zugute.

»Selbstgemacht?«, wollte Nicholas wissen und leckte sich über die Lippen, als Trace nickte. »Hast du Erdbeeren oder Sahne dazu?«

»Bekommst du«, versprach Trace. Er würde einkaufen gehen müssen, aber mit Nicholas allein zu sein, war ein frühes Aufstehen definitiv wert. »Morgen bei mir? Gegen Mittag? Jared ist unterwegs. Ich glaube, er hat eine neue Freundin.«

Nicholas lachte leise. »Ja, ich weiß. Und ich bringe die Erdbeeren mit.«

»Okay.«

 

 

Kapitel 6

 

»Oh je, was ist los?«, fragte Trace ahnend, nachdem er Nicholas am nächsten Tag die Tür geöffnet hatte.

»Meine Väter«, grollte der verärgert und schob sich an ihm vorbei in die Wohnung. »Ich habe Erdbeeren, Chips und Bier für später dabei. Lenk' mich bitte ab, bevor ich wieder nach Hause fahre und sie umbringe.«

»Das bekomme ich hin«, erklärte Trace betont locker, obwohl er sich insgeheim Sorgen machte, denn Nicholas' Blick flackerte zwischen Wut und Resignation hin und her. Er kannte das von sich selbst und er wusste, was am Ende daraus entstand, wenn man nicht aufpasste.

Bei ihm war es Jared gewesen, der aufgepasst hatte, nachdem Trace, gerade den gefühlten, millionsten Streit mit seinem Vater hinter sich, Hals über Kopf ausgezogen war. An jenem Abend war ihm klar geworden, dass seine Eltern ihn niemals so akzeptieren würden, wie er war. Er hatte seine Konsequenzen gezogen und war gegangen, dicht gefolgt von Jared, der damit verhindert hatte, dass Trace in ein seelisches Loch fiel.

Und so wie Nicholas im Augenblick aussah, stand er kurz davor, ebenfalls eine Entscheidung zu treffen. Nur leider die Falsche, denn die Burrows liebten ihren Sohn, auch wenn sie in ihrer Sorge um ihn offensichtlich viel zu weit gingen.

Trace beobachtete Nicholas, während sie den Teig für die Muffins zusammenrührten und dann die Erdbeeren verputzten. Als Nicholas zum fünften Mal böse zu Boden starrte und dabei gedankenverloren schnaubte, handelte Trace und nahm Nicholas die Zuckertüte aus der Hand, um zu verhindern, dass noch mehr auf den Erdbeeren landete und sie ungenießbar wurden.

»Raus damit!«, verlangte er und schüttelte den Kopf, als Nicholas ihn mürrisch ansah. »Keine Widerrede. Ich kann das ab, glaub's mir. Los, raus damit. Sonst erstickst du daran. Was war vorhin bei dir zu Hause los?«

»Du hast keine Vorstellung«, murrte Nicholas und trat von ihm weg, um aus dem Fenster zu sehen. »Dad, also Eric, will, dass ich den Club übernehme und schön mit meinem Hintern in New York bleibe. Ich bin zu jung, zu naiv und Bolivien ist viel zu gefährlich … bla bla bla. Ich kann es nicht mehr hören. Mich interessiert das 'Velvet' nicht. Das hat es nie. Außerdem hat Lara jetzt schon weit mehr Ahnung von dem ganzen Geschäftskram, als ich je haben werde. Ich will etwas verändern und das kann ich nur, indem ich zeige, was in der Welt schiefläuft. Genau das werde ich als Journalist tun und darum will ich auch nach Bolivien. Ich weiß, dass das gefährlich ist, aber es ist nun mal mein Traum, verstehst du? Doch statt mich zu unterstützen, wie sie es bei Mia machen, die auf eine Kunstschule geht, kriege ich immer wieder aufs Neue vorgehalten, dass es falsch ist, was ich will.«

»Sie lieben dich und machen sich Sorgen.«

»Na und?« Nicholas fuhr wütend zu ihm herum. »Soll ich etwa alles hinwerfen und Buchhalter werden, nur um es ihnen recht zu machen?«

Trace verkniff sich ein Lachen. »Nein. Aber du darfst nicht vergessen, dass sie deine Väter sind. Sie werden nie rational sein. Das können sie gar nicht.«

»Na vielen Dank. Ich habe dir das eigentlich erzählt, damit wir über sie herziehen können.«

»Das ist mir schon klar, aber denk' daran, ich bin älter als du und verstehe sie. Ich heiße es nicht gut, trotzdem begreife ich, warum sie so am Rad drehen. Bolivien ist nun mal ein Kriegsgebiet, vergiss das nicht. Stell' dir vor, Mia oder Lara würden dort hin wollen. Was würdest du dann machen?«

Nicholas wollte widersprechen, das sah Trace ihm an, doch er schloss seinen Mund wieder, ohne ein einziges Wort gesagt zu haben. Stattdessen starrte Nicholas ihn eine Weile finster an, um am Ende lauthals zu fluchen. Trace nickte verständnisvoll.

»Mir würde es nicht anders gehen, wäre es Jared, der das tun wollte. Und bevor du danach fragst, nein, ich bin nicht begeistert davon, dass du da runter willst. Aber ich werde den Teufel tun, es dir zu verbieten.« Trace seufzte tief auf und erstarrte kurz, als ihm etwas einfiel, das er sich unbedingt für später merken musste. Es war zu früh, um mit Nicholas darüber zu reden. »Allerdings solltest du dich lieber darauf einstellen, dass ich dir den Hintern versohle, wenn du auch nur mit einem Kratzer zurückkommst.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739442129
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Drama Ostküsten-Reihe schwul Familie Liebe Romanze

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Fantasy, Thriller und Romanzen. Weitere Informationen zu meinen Büchern, sowie aktuelle News zu kommenden Veröffentlichungen, findet ihr auf meiner Homepage.
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Titel: Kleine Momente