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Kleine Einblicke

von Mathilda Grace (Autor:in)
520 Seiten
Reihe: Die Ostküsten-Reihe, Band 13

Zusammenfassung

Eine Sammlung von 25 Kurzgeschichten in Anlehnung an meine Ostküsten-Reihe. Meine Charaktere werden sich von Geschichte zu Geschichte abwechseln. Es gibt dabei keinen genauen Plan oder gar eine feste Storyline. Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis der Druckversion: Seite 5 => Willkommen im Leben (Rachel) Seite 10 => Ich liebe dich (Connor) Seite 19 => Es gibt für alles ein erstes Mal (Tristan) Seite 31 => Am Anfang steht das Wort (Connor) Seite 43 => Tanz mit dem Teufel (Daniel) Seite 56 => Geister der Nacht, haltet Wacht (Daniel) Seite 65 => Schlafende Schönheit (Adrian) Seite 79 => Leben und leben lassen (Nick)

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Willkommen im Leben

 

Rachel Bennett ist eine Vollblutmutter und hat ihre Familie gern um sich. Besonders an Weihnachten. Und ganz besonders dann, wenn ihre Familie um ein Mitglied reicher geworden ist.

 

 

»Der Junge macht sich.«

Rachel lächelte und würzte dabei den Weihnachtsbraten nach, der im Ofen vor sich hin brutzelte, bevor sie aufstand, Will amüsiert ansah und fragte, »Meinst du Daniel oder Connor?«

Will lachte leise und trat hinter sie, um ihr einen Kuss auf den Nacken zu geben und sie dann zu umarmen. Das machte er jetzt seit über vierzig Jahren so und sie liebte es immer noch. Will Bennett, der Mann ihrer Träume. So wie in diesen romantischen Romanen, die Rachel zu gerne las und aus denen sie die Namen ihrer drei Kinder hatte. Und dieses Weihnachten hatten sie zusätzlich zu den eigenen Kindern noch einen möglichen Schwiegersohn hinzubekommen. Endlich. Rachel hatte schon befürchtet, dass Connor sich vielleicht nie von dieser furchtbaren Beziehung zu seinem Banker erholen würde. Aber nun gab es Daniel Hanson in seinem Leben. Diesen verschüchterten, jungen Mann, der eine noch sehr viel schlimmere Vergangenheit zu verarbeiten hatte, als ihr zweitältester Sohn.

»Ich meine Daniel. Aber unser Bursche macht sich genauso gut. Es wird den Beiden guttun, einander zu haben«, meinte Will und warf einen neugierigen Blick in einen der Töpfe, der auf dem Herd stand und in dem Reis köchelte. »Woher haben unsere Jungs bloß diesen neumodischen Geschmack? Reis. Tze. Es geht doch nichts über ein paar frisch gekochte Kartoffeln.« Rachel lachte leise und öffnete einen weiteren Topf, in dem Wills geliebte Kartoffeln kochten. »Du bist so gut zu mir.«

»Ich weiß«, neckte Rachel ihren Mann und horchte auf, als lautes Gelächter aus dem Wohnzimmer zu ihnen in die Küche drang. »Was hat Tristan jetzt wieder gemacht?«

Will lachte leise. »Ich sage nur ein Wort: Mistelzweig.«

Rachel seufzte kopfschüttelnd. »Irgendwann bekommt er von Daniel dafür eins hinter die Ohren.« Sie runzelte die Stirn und sah Will an. »Wird er damit klarkommen?«

Will sah sie fragend an. »Mit der Vorstrafe und dem ganzen Hickhack, der dazugehört?« Rachel nickte und darauf zwinkerte er ihr zu. »Nick hilft ihm dabei und wir helfen auch. Das machen wir schließlich schon, seit unsere Jungs geboren sind.«

»Will? Er ist nicht unser Junge.« Will lächelte nur und gab ihr damit die Antwort, die Rachel sich von ihm erhofft hatte. »Sag' es ihm noch nicht. Wir sollten ihn nicht erschrecken.« Erneut war aus dem Wohnzimmer schallendes Gelächter zu hören. »Ich glaube, diese Mistelzweigsache wird ihn noch eine ganze Weile beschäftigen.«

»Nicht nur ihn«, meinte Will amüsiert. »Connor läuft seit Tagen mit einem dermaßen gedankenlosen Grinsen durch die Gegend, dass er bald einen Laternenpfahl mitnimmt.«

»William«, tadelte Rachel halbherzig, weil sie gleichzeitig mit ihm lachen musste. »Ärgere unseren Sohn nicht. Er ist schließlich verliebt. Ich hatte schon Angst, er würde sich nie mehr trauen.«

»Ich auch«, gab Will zu und seufzte. »Dieser Banker hat ihm sehr wehgetan, aber ich denke, Daniel wird die Risse kitten, die Connor noch in seinem Herzen hat.« Will runzelte die Stirn. »Rachel? Wann sind unsere Kinder eigentlich groß geworden?«

»Das frage ich mich auch andauernd«, antwortete sie seufzend und musste schmunzeln, als Will abwinkte, weil sie ganz genau wusste, was jetzt gleich kam. Und ihr Mann enttäuschte sie auch nicht.

»Für mich werden sie immer kleine Jungs bleiben.« Will rieb sich die Hände. »Jetzt müssen wir noch Tristan unter die Haube bringen und dann...«

Rachel schüttelte äußerst energisch den Kopf und warf ihm dabei einen warnenden Blick zu. »Er braucht deine Einmischung nicht.«

»Habe ich mich je eingemischt?«, tat Will unschuldig und grinste sie jungenhaft an, was Rachel erneut und tief seufzen ließ, bevor sie sagte,

»William, du mischt dich immer ein. Das hast du bei Daniel auch getan.«

»Das war rein ärztlicher Natur«, hielt er wie erwartet dagegen, aber Rachel wollte nicht, dass er sich bei Tristan einmischte. Ihr Ältesten würde hoffentlich selbst einen Weg finden, um zu tun, was er längst hätte tun müssen, aber so wie Connor bei Daniel gezögert hatte, zögerte Tristan nun bei... Sie schob den Gedanken beiseite und sah Will finster an.

»Und das war auch dein Glück, sonst hättest du Connor nicht so schnell davon überzeugen können, dir Daniel vorzustellen. Charlie hat recht, du bist ein Kuppler und ich will nicht, dass du Tristan damit in eine Ecke drängst. Er ist nicht so wie wir damals waren, er braucht noch Zeit.«

»Zeit... pah!«, machte Will und verdrehte die Augen zur Decke. »Wenn unser Ältester sich weiter soviel Zeit lässt, kneift er ihm im Altersheim später vielleicht mal in den Hintern, aber mehr auch nicht.«

Rachel musste sich ein Lachen verkneifen. »William!«

»Ja, mein geliebtes Weib?«, fragte der mit einem frechen Grinsen zurück, was Rachel nun doch lachen ließ. Er war wirklich unmöglich und deswegen liebte sie ihn ja auch so sehr.

»Hallo.«

Sie sahen gemeinsam zur Tür, wo Daniel stand und sie vorsichtig anlächelte. Rachel lächelte zurück. »Hallo Daniel. Ärgert Tristan dich schon wieder?«

Dass Daniel, statt einfach zu nicken, genervt die Augen Richtung Decke verdrehte, ließ Rachel innerlich freudig eine Hand nach oben reißen. So schüchtern Daniel oft noch war, er taute auf. Nach und nach, immer Schritt für Schritt, und es war wundervoll, ihm dabei zuzusehen. Mitzuerleben wie aus diesem völlig verängstigten Mann langsam wieder der Mensch wurde, der er früher einmal gewesen sein musste.

»Er braucht ganz dringend ein Hobby«, murmelte Daniel mit einem Kopfschütteln und runzelte im nächsten Moment fragend die Stirn. »Störe ich euch?«

»Nein«, antwortete Rachel und schüttelte Wills Hände ab, der das mit einem breiten Grinsen quittierte, bevor er sich wortlos an den Küchentisch setzte, um einen Blick in die Tageszeitung zu werfen. »Magst du mir helfen?«, fragte Rachel an Daniel gewandt, der schon zu überlegen schien, wie er wieder gehen konnte, ohne unhöflich zu wirken. Im Umgang mit Menschen war er noch sehr vorsichtig und das verstand Rachel gut. Aber vielleicht würde ihn die Überraschung im Kühlschrank ein wenig aufheitern. »Meine Männer sind zwar allesamt ganz tolle Burschen, aber ich sage dir, verlasse dich niemals auf ihr Urteil, wenn es ums Vorkosten geht.«

Daniel sah sie verblüfft an. »Vorkosten?«

Rachel grinste verschmitzt und deutete auf den Kühlschrank. »Ein Vogel hat mir gezwitschert, dass du eine Naschkatze bist.«

Für einen kurzen Moment zögerte Daniel, dann siegte die Neugier und er warf einen Blick in den Kühlschrank, wo sie schon am frühen Morgen auf einem Tablett acht Schälchen Pudding hingestellt hatte, die eigentlich für den Nachtisch gedacht waren. Aber Rachel hatte bewusst acht Portionen gekocht, obwohl sie zum Essen nur sieben Personen sein würden. Sein genießerisches Seufzen ließ sie äußerst zufrieden zu Will schauen, der zufrieden lächelte.

»Wieso acht?«, stellte Daniel da aber auch schon die Frage, mit der sie gerechnet hatte. »Kommt noch jemand zum Essen?«

Rachel sah Unruhe und Nervosität in seinen Augen aufblitzen, als er sie ansah, und schüttelte den Kopf. »Das hätten wir dir gesagt, Daniel. Das achte Schälchen war übrig, also falls du rein zufällig Hunger hast...« Sie ließ den Satz unbeendet und lächelte nur, als Daniel mit einem zweiten Seufzen zurück in den Kühlschrank sah, bevor er fragte,

»Für mich?«

»Ja, für dich. Und lass ihn dir nicht von Tristan klauen.«

Rachel lachte, als Daniel sie kurz dankbar angrinste und bereits im nächsten Moment samt Pudding aus der Küche verschwunden war. Es dauerte keine zehn Sekunden bis...

»Mum?«, empörte sich Tristan lautstark. »Wieso kriegt Daniel den Nachtisch vor dem Essen?«

»Weil er, im Gegensatz zu dir, ein netter Junge ist«, neckte sie ihren Ältesten, was der natürlich wie erwartet mit einem Schnauben kommentierte. Connor, Daniel und Nick lachten im Wohnzimmer los, genauso wie Will und sie selbst, bevor Rachel sich wieder dem Herd zuwandte, um nach den Kartoffeln und dem Reis zu sehen. Als sich Wills Hände kurz darauf wieder um ihren Bauch herum schmuggelten, lächelte sie und lehnte sich gegen ihren Mann. »Er ist ein toller Junge. Und er wird hier glücklich werden, das spüre ich.«

 

 

Ich liebe dich

 

Connor ist enttäuscht, denn Daniel hat ihm wochenlang etwas sehr Wichtiges verschwiegen. Er verlässt ihn und ihr gemeinsames Haus, um spazieren zu gehen und in aller Ruhe darüber nachzudenken, ohne auch nur im Ansatz zu erahnen, was er damit auslöst.

 

 

»Ich wusste einfach nicht, wie ich es dir sagen soll. Connor, es tut mir leid.«

Connor schüttelte den Kopf und ließ Daniel in der Küche stehen. Er wollte nur noch hier raus. Raus aus dem Haus. Ihrem Haus. Ihrem gemeinsamen Leben. Einem Leben, um das sie gekämpft hatten, dass sie sich langsam und stetig aufgebaut hatten, und immer noch am weiterbauen waren. Einem Leben, dass sie seit Monaten miteinander teilten. An guten genauso wie an weniger guten Tagen. Und dazu gehörte für Connor auch, dass man sich gegenseitig die Wahrheit sagte. Immer. Ob diese Wahrheit nun bequem war oder nicht. Da gab es keine Ausnahmen, besonders nicht für ihn, weil er nun einmal die Gewissheit brauchte, dass Daniel immer ehrlich zu ihm war. Sie hatten beide zuviel durchgemacht, als dass er das Risiko eingehen wollte, etwas ungesagt zu lassen und Daniel damit ungewollt zu verletzen.

Und Connor hatte bis eben gedacht, dass das für sie beide galt. Aber scheinbar tat es das nicht. Warum hatte Daniel geschwiegen? Warum hatte er ihm nichts davon erzählt, beziehungsweise, warum hatte er es erst getan, als es gar nicht mehr anders ging? Warum nicht freiwillig und vor allem früher? Was war nur schiefgelaufen, dass sie sich einander nicht mehr alles sagen konnten? Hatte er irgendetwas getan, dass Daniel an ihm zweifeln ließ? Wenn ja, was? Und warum sprach der dann nicht mit ihm darüber? Connor verstand es einfach nicht. Was hatte er nur falsch gemacht?

Sein Handy klingelte, aber er ignorierte es. Er wollte jetzt mit niemandem reden. Er wollte nachdenken. Ob es wirklich an Daniels neuem Job lag? Aber wieso? Meine Güte, es war doch bloß ein Job. Was hatte Daniel nur von ihm erwartet oder befürchtet? Wovor hatte er Angst? Etwa, dass er ihn verlassen könnte, weil er zufällig den gleichen Beruf hatte wie sein Ex-Freund? Connor schnaubte. Daniel sollte ihn eigentlich besser kennen. Er sollte wissen, dass Connor sich viel mehr darüber freute, dass er einen Job gefunden hatte, der ihm auch Spaß machte, denn Daniel wollte wieder ein normales, geregeltes Leben führen. Ein neuer Job war da nur ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Wie hätte Connor sich da nicht für ihn freuen können?

»Verdammt, Dan!«, schimpfte er vor sich hin und ignorierte die verdutzten Blicke der Passanten, an denen er gerade vorbeilief.

Connor wusste nicht mal genau wo er gerade war, aber das war ihm egal. Es wurde langsam dunkel, der Himmel war voller dicker Wolken und passend zu seiner getrübten Laune würde es wohl bald anfangen zu regnen. Ihm war bewusst, dass Daniel sich Sorgen machen würde, wenn er zu lange wegblieb oder in den Regen geriet, aber er wollte und musste sich jetzt erst mal beruhigen, bevor er nach Hause ging. Wie er das anstellen sollte, war Connor aber auch nicht ganz klar. Er war nicht wütend auf Daniel. Aber er war enttäuscht. Enttäuscht und verletzt über dessen Schweigen.

Dabei war es ihm vollkommen egal, dass Daniel bald in einer Bank arbeiten würde. Es war ihm auch egal, dass der denselben Beruf wie sein Ex hatte. Es war ihm sogar scheißegal, dass Daniel andauernd vergaß, die Haustür hinter sich richtig zuzumachen – er war in der Beziehung eben ein Schussel, was machte das schon? Es störte ihn auch nicht, dass Daniel sich andauernd seine T-Shirts klaute, um in ihnen zu schlafen – im Gegenteil, Connor liebte es, dass er das tat, obwohl Daniel seine Sachen viel zu groß waren. Und es war ihm ebenfalls egal, dass Daniel ab und zu noch vor ihm zusammenzuckte, wenn er ihn nicht kommen hörte – das würde sich mit der Zeit geben und wenn sie eines hatten, dann Zeit.

Aber Connor war nicht scheißegal, dass Daniel ihm seinen neuen Job wochenlang vorenthalten hatte. Nicht nur für einige Tage, die er mit Sicherheit gebraucht hätte, um die richtigen Worte zu finden, bevor er ihm davon erzählte. Das hätte Connor verstanden. Daniel musste vor einer Entscheidung eben immer erst alle Seiten genauer beleuchten und darüber nachdenken. So hatte Connor ihn kennengelernt und so liebte er ihn auch. Aber dass Daniel bereits seit Wochen einen Job in der Tasche und ihm das vermutlich weiter verschwiegen hätte, wenn er nicht den Brief von der Bank gefunden hätte... nein, das war ihm nicht egal. Ganz und gar nicht.

Sein Handy fing erneut an zu klingeln. Connor verdrehte genervt die Augen, bevor er den Anrufer wegdrückte, ohne einen Blick aufs Display zu werfen, nur hielt den das nicht davon ab, ihn weiter zu nerven. In den nächsten paar Minuten klingelte sein Handy wieder und wieder und wieder. Das konnte auf gar keinen Fall Daniel sein, so etwas würde der niemals machen. Connor knurrte und ließ sich schließlich auf einer Bank am Wegrand nieder, bevor er sein Handy aus der Hosentasche zog, um nachzusehen, wer da so penetrant war.

Tristan.

»Hast du nichts Besseres zu tun, als mir mit deinen Daueranrufen auf den Keks zu gehen?«, fragte er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten, was seinen Bruder leise fluchen ließ, bevor er verbal zurückschoss.

»Nein, ich habe nichts Besseres zu tun, als meinem Blödmann von Bruder hinterher zu telefonieren, weil mein zukünftiger Schwager mich mit Schluckauf, heulend und einem Nervenzusammenbruch nahe anruft, weil du ihn verlassen hast. Was, zum Teufel, ist bei euch los?«

Wie bitte? Verlassen. Aber er hatte doch gar nicht... Connor sah auf sein Handy, ob er sich das Gespräch auch nicht nur einbildete, denn der Gedanke war ihm gerade gekommen, und hielt es sich dann kopfschüttelnd wieder ans Ohr. »Dan hat bei dir angerufen?«

Tristan schnaubte. »Ja, hat er, weil du ihn ja immer weggedrückt hast... hättest du jetzt vielleicht mal die Güte, mir zu erklären, was los ist?«

»Ich habe ihn nicht verlassen und du...« Weiter kam er nicht.

»Wieso erzählt er mir das dann?«, fuhr Tristan ihm ins Wort und Connor verkniff sich einen saftigen Fluch.

»Bin ich Hellseher? Ich habe nicht...«

»Was hast du angestellt? Du musst etwas angestellt haben, sonst hätte er nicht so geweint.«

»Würdest du mal damit aufhören, dich wie eine Glucke aufzuführen und mich ausre...«

»Ich glucke, wann ich will und du...«

»Lass mich doch endlich mal ausreden, verdammt!«, schrie Connor erbost ins Handy, als Tristan ihm wieder ins Wort fuhr, und danach war endlich Ruhe. »Ich habe einen Brief gefunden.«

»Was für ein Brief?«, hakte Tristan nach und am liebsten hätte er seinen Bruder dafür durchs Telefon gezogen.

»Tristan!«

»Schon gut, red weiter.«

»Er hat einen Job gefunden. In der Bank. Schon vor Wochen. Heute war ein Brief in der Post, wann er nächste Woche anfangen soll und so weiter. Dan hat ihn gelesen und in der Küche liegenlassen, weil Zeke wieder einen Vogel ins Haus gejagt hatte, du kennst ihn ja... Ich wollte nicht reinsehen, ihm den Brief nur bringen, aber...« Connor seufzte leise. »Er hat mir nichts davon erzählt, Tris. Er weiß es schon seit Wochen und erzählt mir nichts davon.«

»Du warst enttäuscht, oder?«, fragte Tristan leise und besorgt. »Nicht wegen dem Job, sondern weil er nichts gesagt hat.«

»Hm«, machte Connor zustimmend.

»Was hat Dan zu dir gesagt, als du ihn gefragt hast?«

»Dass er nicht wusste, wie er es mir sagen sollte«, antwortete Connor und rieb sich die Augen.

»Wegen deinem Ex?«

»Schätze schon.«

»Hast du ihn gefragt?«

Connor lehnte sich auf der Bank zurück und seufzte. »Nein, ich bin gegangen. Spazieren, aber mehr auch nicht. Ich habe nicht vor, ihn zu verlassen. Keine Ahnung, wie er darauf kommt.«

»Wie meinst du das, du bist gegangen?«, fragte Tristan verblüfft und wollte es scheinbar nicht glauben. »Augenblick mal... Connor, sag' mir jetzt nicht, du hast ihn einfach alleine zu Hause sitzen lassen und bist abgehauen.«

Wie bitte? Connor schnaubte. »Das stimmt doch gar nicht. Ich bin nicht abgehauen. Ich wollte nur...«

»Spazieren gehen... ja ja.« Tristan stöhnte frustriert auf. »Du bist ein Idiot, Connor, ehrlich mal. Hast du ihm das gesagt, bevor du weg bist? Nein. Natürlich denkt Daniel jetzt das Schlimmste. Er ist unser vorsichtiger und ängstlicher Daniel, schon vergessen? Er traut sich wochenlang nicht, es dir zu sagen, weil er Angst hatte, dass du wegen dem Job sauer auf ihn bist und deine erste Reaktion ist, sofort das Haus zu verlassen? Denk mal darüber nach, wie das auf ihn gewirkt haben muss! Du hast ihm all seine Ängste damit nur bestätigt, obwohl du es gar nicht so gemeint hast. Aber woher soll er das denn wissen?«

»Oh mein Gott«, murmelte Connor entsetzt, als er begriff, worauf Tristan hinauswollte und was er vorher in seiner Enttäuschung gar nicht gesehen hatte. »Verdammt!«

»Eben«, meinte Tristan daraufhin tadelnd und Connor konnte fast vor sich sehen, wie sein Bruder gerade den Kopf schüttelte. »Sieh zu, dass du nach Hause kommst, bevor er irgendwas Dummes anstellt, okay? Und ruf' mich an, sobald ihr euch wieder liebt habt, ja?«

»Danke, Tris«, was alles, was ihm dazu einfiel.

»Dank mir später und jetzt geh' endlich.«

 

Connor schloss die Haustür auf, da fielen gerade die ersten Regentropfen vom Himmel, was Zeke, der ihm bellend entgegenkam, wieder einmal faszinierend genug fand, um sich an ihm vorbei aus der Haustür zu drängeln. Mit einem amüsierten Schmunzeln ließ er den frechen Racker einfach laufen. Das Gartentor war zu, auf die Straße würde er somit nicht kommen und das war das Wichtigste für ihn. Zeke wurde in diesem Haus sowieso mindestens ein Mal in der Woche aus irgendwelchen Gründen trocken gerieben oder in der Wanne blitzblank geschrubbt. Schlammlöcher fand der Racker nämlich immer noch ganz toll.

»Connor?«, fragte Daniel auf einmal leise und Connor drehte sich zu ihm hin.

Daniel stand mit verunsichertem Blick einige Schritte entfernt, hatte die Hände nervös in die Hosentaschen geschoben und schien am liebsten davonlaufen zu wollen. Connor verfluchte sich umgehend selbst, weil er solch ein Dummkopf gewesen war und nicht begriffen hatte, was sein Weggang bei Daniel auslösen würde. Er musste sich sofort entschuldigen und erklären, warum er gegangen war, bevor Daniel noch unsicherer wurde, obwohl das kaum mehr möglich schien.

»Ich...« Weiter kam er nicht.

»Es tut mir leid, Connor. Ich hatte einfach Angst, dass du genau so reagierst, wie du auch reagiert hast und ich wusste nicht, wie ich dir sagen sollte, dass ich da arbeite und ich...«

»Dan«, unterbrach er Daniels Redefluss mit einem Lächeln. »Mir tut es leid... Ich hätte nicht ohne Erklärung aus dem Haus gehen sollen und ich bin auch nicht sauer wegen des Jobs, okay?«

»Oh.« Daniel blinzelte. »Aber...«

»Ich war einfach nur enttäuscht und verletzt, weil du mir nichts davon erzählt hast«, erklärte Connor genauer. »Dan, es ist nur ein Job. Nicht mehr. Glaubst du wirklich, ich vergleiche dich deswegen mit...« Er stockte kurz, um dann nachgebend die Luft auszustoßen. »Patrick. Er heißt Patrick. Und nur weil er auch Banker ist, genau wie du, heißt das doch nicht, dass ich euch deswegen automatisch miteinander vergleiche. Ich habe ihn geliebt, ja, aber Patrick ist meine Vergangenheit. Du bist meine Gegenwart, Dan, nicht er. Daran ändert auch dein neuer Job in der Bank nichts.«

»Nur deine Gegenwart?«, fragte Daniel schüchtern, nachdem er ihn eine Weile angesehen und sich dabei sichtlich entspannt hatte, was Connor grinsen ließ, bevor er den Kopf schüttelte und die wenigen Meter überbrückte, die sie voneinander trennten, um Daniel an sich zu ziehen.

»Nein, nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft. Unsere Zukunft. Ich liebe dich, Dan. Nicht deinen Job oder deinen Namen und auch nicht dein Bankkonto. Ich liebe dich. Das ganze Paket.«

»An meinem Bankkonto gibt’s auch nichts zu lieben, so leergefegt wie das ist«, konterte Daniel so trocken, wie nur er es konnte und Connor prustete los, bevor er sagte,

»Du bist unmöglich.« Zu einem Konter kam Daniel nicht, als Zeke just in dem Augenblick zustimmend bellte und dabei an ihnen vorbei die Treppe hoch rannte – eine Spur von Laub, Feuchtigkeit und Erde hinter sich herziehend. Connor verdrehte tief seufzend die Augen. »Wieso kommt mir dieser Anblick nur so bekannt vor?«

Daniel löste sich von ihm, eindeutig zwischen Lachen und Fluchen hin und her schwankend, brachte am Ende aber nur ein unterdrücktes Kichern zustande, bevor er kopfschüttelnd zur Haustür ging, diese schloss und ihn dann grinsend ansah. »Du bist dran.«

»Wie meinst...?« Connor brach ab, als es ihm wieder einfiel. Sie hatten gewettet, ob Zeke es in dieser Woche noch ein drittes Mal schaffen würde, verdreckt ins Haus zu gelangen und er hatte gerade eindeutig verloren. Ergo, er musste Zeke putzen. »Ich ertränke ihn in der Wanne.«

»Einspruch«, sagte Daniel in Nicks typischem Anwaltstonfall, was sie erst mal lachen ließ.

»Ich färbe ihn rosa als Strafe«, schlug Connor als Nächstes vor, was auch nicht auf Gegenliebe stieß, Daniels Kopfschütteln nach zu urteilen. »Dann lass mich ihm wenigstens einen Zopf mit einer rosa Schleife einflechten.« Daniel lachte, schüttelte aber trotzdem den Kopf. »Du gönnst mir auch gar nichts.«

»Ich könnte mich vielleicht überreden lassen, mit dir zu baden«, schlug Daniel vor und Connor schmunzelte.

»Bevor oder nachdem ich die Wanne nach der Putzaktion wegen Zeke wieder saubergemacht habe?«

»Connor!«

Connor lachte schallend los, schnappte sich Daniel und küsste ihn, bevor er ihm frech zuzwinkerte und sagte, »Ich bade Zeke und kümmere mich um die Wanne, inklusive Schaumbad, und du sorgst für etwas zu Essen und zu Trinken. Wir müssen schließlich feiern.«

Daniel sah ihn ratlos an. »Feiern?«

Connor lächelte. »Wer von uns hat einen neuen Job, hm?« Daniel wurde umgehend rot, was ihn zu einem weiteren Kuss verleitete, den er erst wieder löste, als Daniel genießerisch seufzend die Arme um ihn legte. »Lass uns baden und feiern.«

»Okay«, hauchte Daniel und Connor verkniff sich ein Schmunzeln, weil die leichte Röte auf Daniels Wangen Bände sprach. Er war und würde wohl immer ein wenig schüchtern bleiben, aber das störte ihn nicht im Mindesten. »Rufen wir Tristan vor dem Bad an oder danach, um Entwarnung zu geben?«

Connor lachte leise. »Mir hat er gesagt, ich soll mich melden, sobald wir uns wieder lieb haben.«

»Dito«, meinte Daniel grinsend und schnaubte dann. »Außerdem hat er noch gedroht, dass er mir im Schlaf die Haare grün färbt, wenn wir das nicht wieder hinkriegen.«

»Grün?« Connor grinste. »Na ja, besser als pink wäre es in jedem Fall gewesen, aber... Aua!«

Daniel hatte ihm tadelnd in die Seite geboxt. »Das geschieht dir Recht. Also? Wann rufen wir ihn nun an?«

Gute Frage. Connor überlegte und dabei kam ihm ein Gedanke. »Wie wäre es mit mittendrin? Immerhin schulden wir meinem lieben Bruder noch eine saftige Retourkutsche.« Daniel sah ihn fragend an. »Der Kinoabend mit Nick, die Schnecke im Popcorn und die Erdbeerkondome auf meiner Motorhaube. Du erinnerst dich?«

Daniel kicherte. »Ach stimmt, da war ja noch was.«

Connor knurrte gespielt. »Ja, ich weiß, du und Nick, ihr fandet das äußerst komisch.«

»Ich hätte ein Bild von deinem Gesicht machen sollen, als du auf einmal die Schnecke in der Hand hattest.« Daniel prustete los, als er stöhnend die Augen verdrehte, um danach grinsend zu verkünden, »Ich liebe dich, Connor Bennett. Und das, obwohl dein Bruder nicht ganz dicht ist und unser Hund wahrscheinlich gerade unser Bett vom Kopf- bis Fußende total einsaut.«

»Ja, wohl wahr«, gluckste Connor, im nächsten Augenblick zuckte er genauso zusammen wie Daniel, dann starrten sie sich erst mal an. »Was hast du gerade gesagt?«, fragte er schließlich, weil er nicht sicher war, ob er sich das eben nur eingebildet hatte, oder...

»Ich liebe dich.«

Nein, er hatte es sich definitiv nicht eingebildet. Connor blieb der Mund offenstehen. Wie lange hatte er darauf gewartet? Wie sehr hatte er die letzten Monate gehofft, dass Daniel es ihm irgendwann sagen würde. Dass er wirklich bereit sein würde, es auszusprechen. Und jetzt tat er es. Einfach so. Hier. Nach einer albernen Debatte über Schnecken, Kondome und... Zeke bellte.

»Oh, verdammt. Er ist wirklich im Schlafzimmer.«

Daniel machte Anstalten, sich von ihm zu lösen, was Connor damit verhinderte, indem er Daniel erneut an sich zog und ihn küsste, bis der wieder seufzte und sich so eng an ihn schmiegte, dass kein Blatt mehr zwischen sie gepasst hätte. Was kümmerten ihn Kondome, Schnecken, Tristan und ihr dreckiger Hund im Schlafzimmer, wenn er stattdessen den Mann küssen konnte, den er über alles liebte und der ihm gerade gesagt hatte, dass er es ebenfalls tat.

»Ich liebe dich auch«, murmelte Connor an Daniels Lippen, worauf der überglücklich lächelte und ihn, statt etwas zu sagen, einfach wieder küsste.

 

 

Es gibt für alles ein erstes Mal

 

Ein Dinner bei Kerzenschein, eine Rose für Nick, und ein Anzug für sich selbst. Tristan hat an alles gedacht, um diesen Abend für sie beide perfekt zu machen.

 

 

Tristan hatte alles organisiert. Das romantische Essen, mit den dazugehörigen Kerzen auf dem Tisch, die einzelne blutrote Rose auf Nicks Teller, und natürlich auch seine Kleidung. Ein Anzug. Er zog unbehaglich am Kragen. Am liebsten hätte er sich wieder in Jeans und Shirt geworfen, aber dieser Anlass war zu besonders dafür und für Nick tat er beinahe alles. Sogar einen Anzug anziehen. Nicht, dass er noch nie im Leben einen getragen hatte, aber diese Dinger machten ihn jedes Mal nervös, obwohl Tristan wusste, dass ihm der schwarze Anzug perfekt stand. Er war Schauspieler und hatte genug Kostüme getragen, um zu wissen, worin er gut aussah. Und ein Anzug gehörte dazu. Was aber nichts daran änderte, dass die Krawatte ihn langsam aber sicher erstickte.

»Wo bleibst du nur?«, fragte er leise und sah auf die Uhr an der Küchenwand. Nick war überfällig. Zwei Stunden mittlerweile, und langsam machte Tristan sich Sorgen. Dass Nick länger arbeiten musste kam öfters vor, aber allgemein sagte er dann Bescheid, und gerade heute hätte er nie damit gerechnet. Sie hatten schließlich etwas Wichtiges vor.  

Doch wenn Nick nicht bald kam, konnten sie den Abend streichen. Und mit ihm auch sein erstes Mal. Tristan seufzte, fuhr sich durch die Haare und seufzte erneut. Sein erstes Mal mit Nick. Himmel. Schon der Gedanke daran sorgte bei ihm für ein Flattern im Magen. Tristan hatte keine Angst davor, im Gegenteil. Er wollte es tun. So sehr, dass es ihm körperlich schon fast wehtat, auch nur daran zu denken. Nick hielt ihn schließlich seit Wochen hin, weil er der Meinung war, dass er zu ungeduldig war. Zu ungeduldig, von wegen. Tristan musste lachen, als er sich daran erinnerte, wie verdattert Nick ihn gestern zuerst angesehen hatte, als er ihm gesagt hatte, dass es heute passieren musste, sonst würde er über ihn herfallen. Nicks Überraschung hatte allerdings nicht lange angehalten.

 

»Du willst also über mich herfallen?«, fragte Nick nach einer Weile süffisant grinsend und setzte sich über seinen Schoß, als er nickte. »Gut, dann ist es wohl wirklich an der Zeit, dass ich dich hemmungslos vernasche. Aber jetzt will ich erst mal etwas Anderes von dir. Etwas zum lecken und knabbern und kosten.«

Tristan kam nicht zu einem Widerspruch, als Nick sich abrupt an ihm hinunter schob, um dann das zu tun, was er andauernd tat, ohne dabei den letzten Schritt zu tun. Stattdessen trieb Nick ihn mit seinen Händen und Lippen zum dritten Mal in dieser Nacht förmlich in den Wahnsinn, um danach, als Tristan noch völlig atemlos nach Luft rang, seelenruhig zu verkünden,

»Was hältst du von einem Dinner? Mit Kerzenschein und allem, was dazu gehört? Wir könnten in Ruhe etwas essen, uns dabei die ganze Zeit anschmachten und dann...« Nicks Blick verhakte sich liebevoll mit seinem. »...werde ich dich lieben. Die ganze Nacht lang.«

 

Tristan seufzte, weil sein verräterischer Körper allein bei der Erinnerung an ihr Gespräch reagierte, als wäre er ein Teen-ager vor seinem ersten Sex. Aber irgendwie war er das ja auch. Immerhin war es Nick, an den gerade dachte, und Nick würde der erste Mann sein, mit dem er schlief. Falls der heute noch mal nach Hause kam. Dabei hatte er sich so darauf gefreut, es endlich zu tun. Vor allem wenn er daran dachte, wie ausführlich Nick allein beim Vorspiel war. Er hatte nie gedacht, dass man sich solange nur mithilfe von Mund und Händen beschäftigen konnte.

Vor allem der Mund. Nick konnte Dinge mit seinem Mund anstellen. Bei keiner Frau hatte er es so intensiv erlebt, wie wenn Nick sich über ihn hermachte. Tristan lief rot an bei der Erinnerung daran, als Nick ihn vor ein paar Wochen im Theater mit dem Mund verwöhnt hatte. Einfach so. Sie waren an dem Abend nicht einmal verabredet gewesen. Nick war nach der Vorstellung plötzlich hinter der Bühne aufgetaucht, da war er gerade auf dem Weg unter die Dusche gewesen, hatte ihn ohne ein Wort der Erklärung mit dem Rücken gegen die Flurwand gepresst und war danach vor ihm auf die Knie gegangen.

 

»Bist du verrückt?«, fragte er und schaute hektisch beide Seiten des Gangs entlang. »Wenn jetzt jemand kommt...«

Nick lachte leise und sah verrucht zu ihm auf. »Wenn hier jemand kommt, dann du. Aber falls es dich beruhigt, ich beeile mich.«

Tristan schnaubte. »Du beeilst dich nie.«

»Willst du dich etwa darüber beschweren?«, fragte Nick frech und zog ihm im nächsten Moment die Samthose nach unten.

Und während Tristan sich noch fragte, wie Nick es so schnell geschafft hatte, die nervigen Schnüre zu lösen, für die er selbst jedes Mal ewig brauchte, hatte der längst Nägel mit Köpfen gemacht und ihn mit seinen warmen, weichen Lippen fest umschlossen, worauf Tristan dann auch wieder einfiel, dass er unter dieser Hose nackt war. Aber da war es für einen erneuten Einspruch bereits zu spät.

 

Tristan räusperte sich. Wenn er so weitermachte, würde er einen frischen Anzug brauchen. Vielleicht sollte er kalt duschen. So was half gelegentlich. Nur würde er sich danach wieder in diesen Anzug hüllen müssen und das musste echt nicht sein. Wie schaffte Nick es nur, sich jeden Morgen freiwillig in Hose, Hemd, Krawatte und sehr oft auch noch in eine Weste zu zwängen. Gegen das Jackett hatte er nichts, aber der restliche Kram ging ihm von Minute zu Minute mehr auf die Nerven. Dabei sah Nick toll aus in seinen Anzügen. Tristan seufzte leise. Nick sah sogar so umwerfend in Anzügen aus, dass er beinahe täglich das dringende Bedürfnis verspürte, ihn frühmorgens nach der Dusche sofort wieder auszuziehen.

Ein paar Mal hatte er das auch schon getan. Mit dem Ergebnis, dass Nick jedes Mal zu spät in seine Kanzlei gekommen war und sich abends dafür an ihm gerächt hatte. Tristan grinste in sich hinein. Das war glattweg ein Grund, es bei nächster Gelegenheit mal wieder zu tun. Immerhin hatte Nick ihn nach dem letzten Mal gleich in der Küche vernascht. Aber wie. Er stöhnte wimmernd auf und sein Körper zuckte wie von selbst, als er sich daran erinnerte, wie heftig ihr Geknutsche gewesen war und wie überrumpelt er sich gefühlt hatte, als Nick ihn auf den Küchentisch gedrängt hatte. Aber nicht, um zu tun, was er sonst immer tat, nämlich ihn mit dem Mund zu verwöhnen bis er kam, sondern stattdessen...

 

Tristan zuckte erschrocken zusammen, als er begriff, dass das an seiner Kehrseite Nicks Zunge war. »Nick, was...?«

»Scht«, murmelte der nur und hielt ihn fest. »Genieß es einfach, Tris.«

Als wenn er eine andere Wahl gehabt hätte. Nick würde ihn nicht vom Tisch herunterlassen, das zeigte sein bestimmender Griff ihm deutlich. Aber schon im nächsten Moment wollte Tristan nicht mehr weg. Heiß und feucht, war sein erster Gedanke. Verführerisch, wild und hemmungslos, sein zweiter. Und dann stöhnte er nur noch, als Nick mit seiner Zunge wieder und wieder über den zuckenden Muskel glitt, bis er schließlich sogar in ihn eindrang.

Tristan presste seine Hacken auf die Tischplatte und bäumte sich Nick entgegen, weil er mehr wollte, auch wenn er gleichzeitig gar nicht wusste, wo er mit diesen ganzen überschäumenden Gefühlen hin sollte, die gerade auf ihn einstürmten. Das war so... Er fand kein Wort dafür. Tristan wusste nur, dass er davon kommen würde, wenn Nick nicht aufhörte, ihn auf diese intime Art zu reizen. Und der hatte offensichtlich nichts dergleichen vor.

»Nicky...«, stöhnte er, beide Hände an die Seiten des Tisches gekrallt, um irgendwie Halt zu finden.

»Komm für mich!«

 

Tristan holte tief Luft. Schluss jetzt. Nick war nicht zu finden und er frönte hier unanständigen Erinnerungen. Sein Blick wanderte zum x-ten Male auf die Uhr, dann griff er nach dem Telefon, um es noch mal in der Kanzlei und auf Nicks Handy zu versuchen. Ohne Erfolg. Nick war nirgends zu erreichen. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Tristan schauderte unwillkürlich, als er sich dabei an Nicks Autounfall vor drei Wochen erinnerte, denn der saß ihm immer noch in den Knochen, dabei hatte Nick keinen Kratzer abbekommen, als dieser Trottel bei rot über die Ampel gefahren und ihm in die Seite gekracht war.

Trotzdem war Tristan erst mal tausend Tode gestorben, als Linda, Nicks Sekretärin, ihn angerufen hatte, um es ihm zu erzählen. Und kein Schwein hatte ihm später im Krankenhaus etwas sagen wollen, weil er mit Nick zwar eine Beziehung haben durfte, aber im Notfall keinerlei Rechte hatte, Entscheidungen für Nick zu treffen. Ein Missstand, den sie mittlerweile längst mit notariell beglaubigten Verfügungen behoben hatten.

»Verdammt, wo steckst du denn nur?«, fragte er in die Stille der Küche hinein, sah erneut auf die Uhr und blies im nächsten Moment die Kerzen aus. Es war fast elf Uhr abends. Er würde keine Sekunde länger hier herum sitzen und Däumchen drehen. Die Polizei anrufen, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben, konnte er sich sparen, daher wollte Tristan erst mal in der Kanzlei vorbeifahren und danach, für den Fall der Fälle, die umliegenden Krankenhäuser ansteuern.

 

Um zwei Uhr morgens schloss Tristan, das Handy am Ohr, um Connor aus dem Bett zu klingeln, die Wohnungstür auf. Er hatte keine Spur gefunden. Weder in der Kanzlei, noch in den umliegenden Kliniken. Nick war wie vom Erdboden verschluckt. Er hatte alle Ecken, die er kannte, abgefahren, ohne etwas zu entdecken. Kein Wagen mit Panne am Straßenrand, kein rauchendes Wrack nach einem Unfall. Niemand, auf den Nicks Beschreibung passte, war in den Notaufnahmen in der näheren Umgebung eingeliefert worden, und auch einen Toten hatte es nicht gegeben. Tristan hatte sogar bei Adrian nachgefragt, der ihm versprochen hatte, sich bei der Polizei ein bisschen umzuhören und sich sofort zu melden, wenn er etwas herausfand.

»Weißt du eigentlich wie spät es ist?«, maulte Connor ihn an und im Hintergrund konnte er Daniel murmeln hören. Normalerweise hätte Tristan die zwei geneckt, aber dafür hatte er gerade zuviel Angst um Nick.

»Nick ist weg«, sagte er und schob sich dabei die Schuhe von den Füßen, um sie einfach in die Ecke zu kicken.

»Wie weg?«, hakte Connor nach.

Tristan knöpfte den Mantel auf. »Wir waren heute zum Abendessen verabredet, aber er ist nicht nach Hause gekommen. An sein Handy geht er auch nicht, er ist einfach nirgendwo aufzufinden. Weder im Krankenhaus, noch in einer Leichenhalle. Ich habe alles abgesucht und überall herum gefragt, ob ihn jemand gesehen hat. Ich habe vor ein paar Minuten sogar bei Adrian angerufen, der sich bei den Cops umhören will. Connor, ich...«

Weiter kam Tristan nicht, als plötzlich das Flurlicht anging und er, nach dem ersten Blinzeln, fassungslos auf Nick schaute, der in der Küchentür stand und ihn mit einem sichtlich verlegenen Lächeln ansah. Was zum...?

»Was ist los?«, fragte Connor und riss ihn aus seiner Starre.

»Hat sich erledigt, er ist hier«, murmelte er und Connor stöhnte erleichtert auf.

»Gott sei Dank. Ruf' morgen an. Ich will wissen, was los war.«

Sein kleiner Bruder legte auf, bevor er noch etwas sagen konnte und Tristan war ihm dankbar dafür, denn er konnte sich im Moment nicht entscheiden, ob er Nick erleichtert um den Hals fallen, oder ihn lieber anschreien sollte, weil der einfach so dastand. Tristan entschied sich dafür beides zu tun, daher warf er die Wohnungstür hinter sich zu, den Autoschlüssel auf die Kommode und hing seinen Mantel an die Garderobe, bevor er zu Nick hinüberging, ihn fest am Kragen seines Jacketts packte und erst mal herrisch küsste, um ihn danach wutentbrannt gegen den Türrahmen zu pressen.

»Ich bin fast gestorben vor Angst. Wo, zum Teufel, warst du?«

Nick grinste schief. »In der Drogerie.«

Wie bitte? Tristan stutzte. »Wieso?«

Statt einer Antwort zog Nick aus seiner Hosentasche eine Packung Kondome und hielt sie ihm unter die Nase. »Deswegen. Und ich komme so spät, weil die beim Gerichtsgebäude wegen Krankheit geschlossen ist und ich erst mal eine andere finden musste. Dabei habe ich mich verfahren, dann war der Tank leer und ich musste zu Fuß weiter, um Benzin zu holen. Und der Akku vom Handy ist auch alle, sonst hätte ich dich längst angerufen. Ich bin erst seit knapp dreißig Minuten hier. Es tut mir leid.«

Tristan wollte nicht lachen. Wirklich nicht. Aber dieser Blick, mit dem Nick ihn ansah, resigniert und genervt zugleich, er konnte nicht anders und lachte schallend los. All das für Kondome? Nicht zu fassen. Ein halbes Drama und hundert graue Haar mehr, nur wegen einer dämlichen Packung Kondome. Ob er Nick verraten konnte, dass er beim Einkauf für das Abendessen selbst eine Packung mitgebracht hatte, weil er auch nicht sicher gewesen war, ob sie noch welche da hatten? Nein, besser nicht. Es war schon peinlich genug, nicht zu wissen, ob man Kondome zu Hause hatte oder nicht. Früher wäre ihm so etwas nicht passiert. Aber früher hatte er auch keine feste Beziehung mit Nick gehabt.

»Das ist nicht lustig«, murrte Nick halbherzig und seufzte, weil er ihn daraufhin amüsiert ansah. »Na ja, irgendwie schon, aber ich kann trotzdem nicht mehr darüber lachen. Ich wollte ja schon immer mal nachts durch die Stadt spazieren, aber ganz bestimmt nicht, um Benzin zu holen, weil ich vergessen habe zu tanken.«

Tristan verkniff sich ein weiteres Lachen. »Wir können das Essen warmmachen. Alles halb so wild«, sagte er stattdessen und lehnte sich gegen Nick, um ihm beruhigend durch die Haare zu streicheln, woraufhin Nick ihn in die Arme nahm. »Geht es dir gut, Nicky? Also mal abgesehen von deinen etwas angegriffenen Nerven?«

»Ja. Und du?«, fragte Nick zurück und klang auf einmal irgendwie merkwürdig. Tristan nickte, statt zu antworten, und wollte gerade nachfragen, was los war, doch Nick war schneller. »Tristan? Dieser Anzug...« Sein Freund holte tief Luft und da ahnte er, was gleich kam. »Wieso hast du...? Ich meine, du magst keine Anzüge.«

Tristan versteckte sein zufriedenes Lächeln an Nicks Schulter. Er hatte gehofft, dass Nick den Anzug bemerken und vor allem auch kommentieren würde. »Ich wollte gut aussehen für dich«, meinte er schlicht, obwohl das nur die halbe Wahrheit war. Aber Nick wusste auch ohne Erklärung, dass er ihn mit dem Anzug heißmachen wollte, und Nicks schneller Reaktion nach zu urteilen, hatte Tristan sein Ziel erreicht. »Gefalle ich dir so?«

Nick ächzte gequält. »Du könntest einen Kartoffelsack tragen und ich würde trotzdem bei jeder sich bietenden Gelegenheit über dich herfallen. Und das weißt du ganz genau, Bennett.«

»Okay, das merke ich mir fürs nächste... Nick!« Tristan lachte, als der ihm plötzlich die Kondome in die Hand drückte und ihn dann hochhob. Um Halt zu finden, schlang er seine Beine um Nicks Hüfte und seine Arme um dessen Nacken. »Hast du denn keinen Hunger nach deiner Irrfahrt?«, fragte er, obwohl er am liebsten geschnurrt hätte. Wenn Nick jedes Mal so auf ihn reagierte, sobald er einen Anzug trug, würde er sich mehr von den Dingern anschaffen müssen.

»Ich habe Hunger, ja...« Nick stieß die Tür ihres Schlafzimmers auf, setzte ihn auf dem Bett ab und sah ihn an. »Auf dich. Seit Stunden kann ich an nichts anderes mehr denken, als daran, was wir heute Nacht tun wollten, und dann kommst du in diesem Aufzug durch die Tür...« Nick sah ihn begehrlich an. »Ich will dich, Tris. Und ich will dich jetzt. Hast du was dagegen?«

Statt einer Antwort hob Tristan die Hand, in der er die Packung Kondome hielt, und nahm eins aus der Packung, um diese danach auf den Nachttisch zu werfen, bevor er sagte, »Ausziehen, Kendall! Ich will dich nackt.«

Und als hätte Tristan mit diesen zwei Sätzen irgendein geheimes Stichwort gegeben, fielen sie übereinander her. Hände griffen nach allem, was sie erreichen konnten. Zerrten an Knöpfen, Gürteln und Reißverschlüssen. Öffneten ungeduldig Krawatten und kämpften dann lachend gegen Hemden, Hosen, störrische Socken und zu eng sitzende Unterwäsche, bis sie am Ende endlich nackt und Haut an Haut waren. Doch selbst das reichte ihnen nicht aus. Münder liebkosten warme Haut, bissen sanft und gleichzeitig fordernd zu, um danach zärtlich über alle auf diese Weise malträtierten Körperstellen zu lecken. Hände streichelten, massierten und griffen zu, um überall und nirgends zu sein.

Sie konnten einfach nicht genug voneinander bekommen und irgendwann fand sich Tristan unter Nick wieder, eine Hand fest ins Laken und die andere in Nicks Schulter gekrallt, während sich sein williger Körper dessen glitschigen Fingern tief in ihm wieder und wieder entgegen schob. Er wollte mehr von diesem unglaublichen Gefühl, das ihn jedes Mal Sterne sehen ließ, sobald Nicks schlanke Finger über diesen ganz besonderen Punkt in ihm strichen. Aber es reichte einfach nicht aus. Es reichte schon seit Wochen nicht mehr aus. Er wollte mehr, viel mehr.

Tristan stöhnte frustriert. »Nick, bitte. Mach schon.«

»Tris, nicht so schnell. Es wird wehtun, wenn ich nicht...«

Tristan schüttelte energisch den Kopf und sah Nick beinahe schon flehend an. »Hör' auf, mich zu quälen. Ich weiß, was ich will, und ich will es von dir. Nur von dir.«

»Verdammt«, fluchte Nick leise, zwischen Sorge und Nachgeben hin und her schwankend und da beschloss Tristan nachzuhelfen. Er schob eine Hand zwischen Nicks Beine und griff zu, was den zischend nach Luft schnappen ließ, bevor er ihn erregt ansah.

»Schlaf mit mir«, flüsterte Tristan eindringlich und schob sich erneut und soweit er konnte, Nicks Fingern entgegen, um dann seine Muskeln anzuspannen, während er Nick mit den Fingern streichelte. Er ließ den Daumen dabei provozierend langsam über dessen feuchte Spitze gleiten, woraufhin Nicks ganzer Körper erbebte und der mit einem Stöhnen die Augen schloss. Tristan wusste genau, wie er sein Ziel erreichen konnte, er hatte schließlich genügend Zeit gehabt, Nicks Körper und dessen Reaktionen auf jegliche seiner Berührungen kennenzulernen. Es war ihm egal, dass es zuerst ungewohnt, vielleicht sogar schmerzhaft, sein würde. Er hatte genug darüber gelesen und es gab für alles ein erstes Mal im Leben. Wenn er Nick nicht gleich bekam, würde er rabiat werden. »Ich will, dass du mich liebst, Nicky. Jetzt.«

»Wie kann man nur so ungeduldig sein?«, knurrte Nick halbherzig und schaute lächelnd auf ihn hinunter, um gleichzeitig die Finger aus ihm zu ziehen.

Tristan schnaubte und ignorierte das Gefühl der Leere in sich, um Nick stattdessen liebevoll zu streicheln, während er ihm dabei zusah, wie er Kondom und Gleitgel an Ort und Stelle brachte. »Ich fessle dich ans Bett, wenn du mich noch länger warten lässt«, kam er der Frage zuvor, ob er sich wirklich sicher war, die Nick ihm gerade stellen wollte, dessen Gesichtsausdruck sprach Bände. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch«, flüsterte Nick und küsste ihn, während er sich in Position brachte.

 

»Wow«, murmelte Tristan in die Stille ihres Schlafzimmers hinein und drehte den Kopf zu Nick, der ihn lächelnd ansah. »Wann können wir das wiederholen?«

Nick lachte leise und stützte sich neben ihm auf einem Ellbogen ab, bevor er sagte, »Heute nicht mehr, das würde dir dein sexy Hintern übelnehmen«, und ihm zärtlich über die Wange strich. »War es so, wie du es dir vorgestellt hast?«

»Besser«, antwortete Tristan ehrlich, obwohl er seine Ungeduld verflucht hatte, weil es anfangs doch recht ungewohnt gewesen war. Aber Nick hatte ihm alle Zeit der Welt gelassen, um sich daran zu gewöhnen und das, was dem anfänglich seltsamen Gefühl schließlich gefolgt war, hatte das tausendfach wieder aufgewogen. »Dass es sich so anfühlen würde...« Er schüttelte ungläubig den Kopf und schaute fragend zu Nick. »War es bei deinem ersten Mal auch so... so...? Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.«

»Anfangs fühlte es sich merkwürdig an, aber dann... als ich mich daran gewöhnt hatte...« Nick lächelte. »Es war neu, heftig, und es war gleichzeitig wunderschön.« Nick zwinkerte ihm zu. »Und es wird mit jedem Mal besser.«

»Wusste Adrian eigentlich, dass du ihn liebst?«, fragte Tristan, ohne darüber nachzudenken und verfluchte sich im nächsten Moment dafür. »Tut mir leid. Ich wollte nicht...«

»Ja«, unterbrach Nick ihn leise, bevor er die Frage zurücknehmen konnte, und brachte ihn dazu, sich mit dem Rücken zu ihm auf die Seite zu legen. »Und er hat es ignoriert.«

»Warum?«, hakte Tristan ebenso leise nach und lächelte, als Nick sich an ihn schmiegte. »Klette.« Nick schnaubte in seinen Nacken. »Was denn? Stimmt doch.«

Mit Nick gemeinsam in einem Bett zu schlafen, war immer noch ein Abenteuer, denn während er aus jeder Bettdecke ein Knäuel machte, klammerte sich Nick im Schlaf an ihm fest, sodass er sich morgens oft genug erst mal aus dessen Armen freikämpfen musste. Was bereits mehr als einmal in einer wilden Kissenschlacht geendet war, die er liebte. So wie er Nick liebte. Tristan sah über seine Schulter und begegnete dessen nachdenklichem Blick.

»Entschuldige. Ich hätte nicht fragen sollen.«

Nick küsste ihn auf die Schulter, bevor er sagte, »Adrian wusste es schon, bevor ich es wusste, und er hat es ignoriert, weil es so nicht mit uns funktioniert hätte. Ich liebe ihn, das werde ich für den Rest meines Lebens tun. Aber ich liebe ihn nicht auf die Art, wie ich dich liebe, und wie es für eine Beziehung sein sollte. Das wusste er von Anfang an. Und weil er mehr Herz hat, als er zugeben würde, hat er mich freigegeben. Deinetwegen, Tris. Damit ich um dich kämpfen konnte, nachdem ich so bescheuert war und dich fast aus meinem Leben vertrieben hätte.«

Tristan bekam eine Gänsehaut. Da war soviel Liebe in Nicks Augen und vor allem in seinen Worten, er konnte nicht anders, als ihn zu sich zu ziehen und zu küssen. »Ich liebe dich«, flüsterte er an Nicks Lippen, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. »Und ich gebe dich nie mehr her.«

»Wirklich? Nie mehr?« Nick sah ihn amüsiert an. »Selbst wenn ich graue Haare und falsche Zähne habe, und einen Krückstock brauche?«

Tristan prustete los. »Du bist echt unmöglich, Nicky.«

Der grinste ihn frech an. »Ich weiß. Und dein unmöglicher Freund fragt sich gerade, ob er dich wohl dazu überreden kann, mit ihm zu schlafen.«

Tristan war irritiert. »Aber du hast doch gerade noch gesagt...« Er brach mitten im Satz ab, als der Groschen fiel. »Oh.« Nick warf ihm ein verschmitztes Lächeln zu. »Ähm, dir ist klar, dass ich das noch nie gem...«

Weiter kam er allerdings nicht, denn Nick rutschte ein Stück zur Seite und drehte ihn dabei auf den Rücken, um sich danach einfach auf seine Hüfte zu setzen. Tristan spürte, wie er umgehend darauf reagierte und Nicks Grinsen machte ihm klar, dass der das genauso spürte und es ihm überaus gut gefiel. Kein Wunder. Sein Körper war ein Verräter, aber Tristan würde den Teufel tun und sich darüber beschweren. Jedenfalls nicht ernsthaft.

»Das ist eine unfaire Taktik«, meinte er daher und biss sich mit einem lauten Keuchen auf die Unterlippe, als Nick ein Stück tiefer rutschte und sich an ihm zu reiben begann. Tristan stöhnte auf und legte seine Hände an Nicks Seiten, um dessen Bewegungen ein wenig zu steuern. »Eine wirklich sehr, sehr unfaire Taktik.«

»Soll ich aufhören?«, wollte Nick süffisant grinsend wissen, sie beide dabei mit einer Hand umfassend, während er sich vorbeugte und mit der zweiten Hand neben seinem Kopf abstützte, um sich über die Lippen zu lecken. »Oder soll ich dich lieber küssen? Überall und nirgends, bis du an nichts Anderes mehr denken kannst, als mir den Verstand aus dem Kopf zu ficken.«

Verdammt. Er liebte es, wenn Nick so redete. Tristan legte eine Hand in dessen Nacken, um Nick zu sich runter zu ziehen, bis sie Nase an Nase waren. »Hoffentlich musst du heute nicht vor Gericht erscheinen.« Nick sah ihn neugierig an, was Tristan grinsen ließ. »Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nicht mehr vernünftig auf einem Stuhl sitzen können.«

Nicks darauffolgendes Grinsen als schmutzig zu bezeichnen, wäre eine schamlose Untertreibung gewesen. »Ach ja? Na dann zeig mal, was du kannst«, forderte Nick ihn heraus und küsste ihn, während er gleichzeitig den Druck seiner Hand langsam und stetig erhöhte, bis sie gemeinsam aufstöhnten und Tristan mit einer Hebelbewegung dafür sorgte, dass Nick unter ihm zu liegen kam.

»Dein Wunsch ist mir Befehl«, meinte er und schob sich zwischen Nicks Beine, die der auch willig für ihn spreizte. Diese Nacht der ersten Male war definitiv noch nicht vorbei.

 

 

Am Anfang steht das Wort

 

Connor weiß, dass man miteinander reden muss, um eine Beziehung lebendig zu halten. Er weiß auch, dass Daniel und er noch einiges zu lernen haben, was das betrifft. Er hat nur nicht erwartet, dass es so schwer sein würde,

den ersten Schritt zu tun.

 

 

Florida soll im Frühjahr wunderschön sein.

Nicht zu heiß, nicht zu feucht – genau das richtige Wetter für uns. Zumindest hatte ich mir das so gedacht, als ich die zwei Wochen Urlaub buchte und ihn Daniel zu seinem Geburtstag im Dezember schenkte.

Das ist jetzt einen Monat her und so wie Cumberland seit Tagen im Dauerregen und Sturm versinkt, versinkt auch Daniel immer mehr in sich selbst. Das ist der schlimmste Winter seit Jahren und zwar nicht nur wegen diesem Mistwetter. Normalerweise haben wir Schnee. Über Weihnachten lag auch welcher, aber da war ich zu sehr damit beschäftigt mir Sorgen um Daniel zu machen. Das tue ich immer noch und wenn er heute aus der Bank kommt, werde ich ihm sagen, dass ich den Urlaub storniere, damit er endlich aufhört so unglücklich auszusehen, wenn er sich unbeobachtet fühlt.

Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich habe wirklich gedacht, es wäre eine gute Idee und würde Daniel gefallen. Wir waren noch nie zusammen im Urlaub. Florida ist nicht zu weit weg von hier, aber gleichzeitig fast wie eine andere Welt. Ich habe sogar extra den Frühling ausgesucht. Im Sommer ist es in Florida viel zu heiß, als dass Daniel sich mit seinen Narben wohlfühlen könnte und genau die sind das Problem. Selbst Schuld. Ich habe nicht daran gedacht. Ich habe es nicht einmal kommen sehen. Er geniert sich nicht mehr vor mir, meinen Eltern oder den Menschen hier. Aber Cumberland ist nun mal Cumberland und nicht der Sonnenstaat Florida.

Er hat mir nicht gesagt, dass er nicht fahren will. Aber das war gar nicht nötig. Sein Gesicht hat Bände gesprochen und seither ist die Stimmung zwischen uns angespannt. Wir streiten nicht, was wohl besser wäre, denke ich, aber wir sind einfach verstummt. Ich finde keine Worte, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll oder besser, was ich sagen kann, und Daniel grübelt. Tagein, tagaus überlegt er und ein paar Mal sah es aus, als würde er das Wort ergreifen, aber er hat es nicht getan.

Stattdessen entwickelt er sich vor meinen Augen zurück zu diesem unsicheren Mann, der mir damals sauer hinterher rief, als ich beim Autofahren nicht aufgepasst und ihm eine volle Ladung Regenwasser verpasst habe. Das muss sofort aufhören. Daniel hat sich weit nach vorn entwickelt. Er ist glücklich hier. Mit mir und seinem Leben. Ich werde nicht zusehen, wie er wieder unglücklich wird, nur weil ich so ein Trampel bin. Vielleicht haben Tristan und Nick Lust auf zwei Wochen Florida. Dann würde ich um die horrenden Gebühren beim Stornieren herumkommen, außerdem haben die beiden nach ihrem total chaotischen Beziehungsstart eine Verschnaufpause verdient. Um Emma und Tasha können wir uns ja derweil kümmern.

Himmel noch mal, wie konnte mir das nur passieren? Ich habe doch immer einen so guten Draht, wenn es um Daniel geht, warum habe ich nicht daran gedacht, was so ein Urlaub für ihn bedeutet? Was es in seinen Augen heißt, mit kurzen Sommerklamotten herumzulaufen, sich vielleicht an einen Strand zu legen? Medizinisch darf er es, daran liegt es nicht. Psychisch allerdings sieht die Sache ganz anders aus. Daniel hat Angst. Vor den Blicken der Leute, vor vielleicht dummen Kommentaren, oder, und ich glaube, das wäre das Schlimmste für ihn, vor neugierigen Fragen.

Dabei hatte ich nicht einmal darüber nachgedacht an den Strand oder ins Meer zu gehen. Ich war eher auf die beiden Nationalparks und Fort Jefferson aus. Vor allem die Everglades sollen wunderschön sein. Dazu etwas Sightseeing in Miami oder Orlando und vielleicht ein Besuch im Freizeitpark. Ansonsten, einfach Urlaub und entspannen. Mehr nicht. Das hätte ich Daniel allerdings vorher sagen sollen, schätze ich, denn wie die meisten Menschen verbindet er Florida automatisch mit Sonne, Strand und Meer. Diese Einsicht kommt nur leider ein paar Wochen zu spät.

Unser Telefon klingelt und reißt mich aus meinen Schuldgefühlen.

Ich habe zwar keine Lust abzunehmen, aber es könnte ja durchaus wichtig sein. »Wer stört?« Kurzes Schweigen, dann lacht Tristan, und ich bin umgehend genervt. »Hast du nichts zu tun?«, fahre ich Tristan an, was mir sofort wieder leidtut, aber da ist es zu spät.

»Ich dachte mir schon, das was im Busch ist. Ich habe seit Tagen so ein komisches Gefühl«, kontert er ernst und der Drang, den Kopf auf die Tischplatte zu schlagen, wird fast übermächtig. Wie macht er das bloß immer?

Eigentlich sollte ich schreiben. Stattdessen sitze ich schon den ganzen Morgen in unserer Küche. Seit Daniel nach dem Frühstück zur Arbeit gegangen ist. Ich habe weder den Tisch abgeräumt, noch Zeke seinen Spaziergang gegönnt. Deswegen liegt er auch beleidigt unter dem Küchentisch. Er ist genauso sauer auf mich, wie ich es selbst bin, aber, und dabei will ich es gar nicht, ich bin auch sauer auf Daniel. Zumindest ein bisschen.

Wieso hat er kein Vertrauen zu mir, was diesen Urlaub angeht? Er weiß doch, dass ich Rücksicht auf ihn nehme. Wenigstens sollte er das wissen. Wieso redet er nicht mit mir? Er hat Angst, ist völlig unsicher und hat vermutlich jede Menge Bedenken wegen Florida, und trotzdem schweigt er. Das tut weh. Viel mehr, als ich mir hier und jetzt zugestehen will. Fällt es mir deshalb so schwer, den Schritt auf Daniel zuzugehen, mit ihm zu reden? Oder warte ich insgeheim darauf, dass er es tut? Ich bin mir absolut nicht sicher, und das gefällt mir nicht.

»Raus damit, Con!«

Ich könnte einfach auflegen und...

»Wenn du jetzt auflegst, steige ich sofort ins Auto und komme rüber.«

»Mist, verdammter!«

Tristan lacht leise, bevor er mich liebevoll, aber doch mehr als eindringlich drängt, ihm endlich zu erzählen, was los ist. Das tue ich dann auch, weil alles Andere sinnlose Zeitverschwendung wäre. Wenn Tristan einmal Lunte gerochen hat, lässt er nicht locker, bis er weiß, was passiert ist. Er fragt, hört zu, fragt nach, hört zu. Kein Verurteilen, kein in Schubladen stecken. Er hört einfach zu, macht sich seine Gedanken und spricht diese am Ende aus. Da ist er rigoros, auch wenn mir oft nicht gefällt, was er zu sagen hat. Das ändert allerdings nichts, weil ich später allgemein einsehe, dass er Recht hat.

»Und warum sagst du ihm das nicht einfach?«

»Keine Ahnung.« Ich seufze leise. »Warum tut er es nicht?«

»Das solltest du Dan fragen, nicht mich«, hält Tristan dagegen, was nicht gerade hilfreich ist.

Soweit war ich auch schon, aber ich will es nicht. Dan ist dran, den Mund aufzumachen. Ich stolpere innerlich über meinen letzten Gedanken. Gott, bin ich dämlich. Dan ist dran. Das ist Unsinn für Kinder, nicht für erwachsene Leute. Wenn das so weitergeht, fange ich noch an zu schmollen wie ein beleidigter Teenager. Wenn ich es mir recht überlege, tue ich es schon, glaube ich. Herrgott.

»Wahrscheinlich denkt er wirklich, du willst die zwei Wochen am Strand herumhängen. Stattdessen hast du vor, eine Art von Roadtrip zu machen, was auch logisch ist, weil ich bezweifle, dass Dan sich jemals wieder an einen öffentlichen Strand wagen wird. Himmel noch mal, Connor. Rede mit ihm, kleiner Bruder, mehr musst du gar nicht tun. Normalerweise kriegst du die große Klappe kaum zu und bei so etwas Wichtigem passiert das Gegenteil?«

Es ist wohl besser, wenn ich darauf nicht antworte, sonst könnte Tristan dahinterkommen, dass ich ein kleines bisschen wütend auf Daniel bin, weil der...

»Connor?«

»Hm?«, frage ich ahnungsvoll.

»Mal abgesehen von der Tatsache, dass du ein Blödmann bist, kann es außerdem sein, dass du wütend bist?«

»Ich bin wütend, weil ich ein Idiot bin«, gebe ich ihm Recht, es ist nur nicht das, was Tristan gemeint hat. Allerdings bin ich im Ablenken nicht gerade gut, was seine nächsten Worte beweisen.

»Davon rede ich nicht, Con.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, wiegle ich ab, habe aber so das Gefühl, dass Tristan sich das nicht gefallen lassen wird.

»Doch, ich glaube, das tust du. Und willst du auch wissen, warum ich das glaube?«

»Nein?«

Tristan lacht kurz. »Du weichst mir jedes Mal so plump aus, wenn du weißt, dass ich weiß, was in deinem Dickschädel los ist.«

Darauf sage ich nichts mehr, was Tristan sehr wohl Antwort genug ist, aber er hat ausreichend Taktgefühl, um es mir nicht unter die Nase zu reiben. Normalerweise neckt er mich mit solchen Dingen immer, aber so wie Tristan spürt, wenn irgendetwas im Busch ist, spürt er auch, wenn es nicht der richtige Zeitpunkt für Rumalbereien ist.

Ich bin wütend auf Daniel, so wie ich wütend auf mich bin, und ich schäme mich dafür, gerade weil ich weiß, wie unsicher Daniel ist. Es fällt ihm nun mal nicht leicht, immer ehrlich und offen zu sein. Dazu hat er aus seinem Leben zu lange ein Geheimnis gemacht. Jahrelanges Verdrängen und Angst haben, kann ein Jahr Beziehung zu mir nicht ungeschehen machen. Es wird immer Gelegenheiten geben, an denen er zögern wird, mir direkt ins Gesicht zu sagen, was los ist. Das ist mir sehr wohl klar und trotzdem bin ich genau deshalb beleidigt. Manchmal verstehe ich mich selbst nicht.

Mein Seufzen lässt Zeke aufsehen. »Ich bin so dämlich.«

»Nein, bist du nicht«, widerspricht Tristan. »Aber du wirst ewig warten müssen, wenn du denkst, Dan kommt damit von allein zu dir. Soweit ist er noch nicht. Also rede mit ihm. Sei ehrlich. Sag' ihm offen, was in dir vorgeht. Was du denkst und fühlst.«

Ja, klar, damit er sich total in sein Schneckenhaus zurückzieht und die nächsten Jahre nicht mehr herauskommt? »Damit er sich noch schlechter fühlt, als ohnehin schon?«

Tristan flucht. »Nein, du Idiot. Damit er begreift, dass du ein Mensch bist, mit denselben Gefühlen wie er. Du kannst nicht immer nur auf ihn Rücksicht nehmen, Connor. Das macht dich kaputt.«

»Aber...«

»Hat es nach deiner Vergewaltigung bei mir funktioniert?«

Ich zucke zusammen und schweige.

»Eben«, beantwortet sich Tristan daraufhin die Frage selbst. »Du liebst ihn und du bist da für ihn, das weiß Dan. Aber es darf kein Dauerzustand sein, dass du immer wie auf Eierschalen um ihn herum tänzelst. Er muss dir offen sagen, was ihm wegen Florida im Kopf herumgeht und du musst ihm offen sagen, dass es dir wehgetan hat, dass er solange geschwiegen hat, ganz einfach. Vor Problemen läuft man nicht davon, Con. Dass das nicht gutgeht, wissen wir beide nur zu gut.«

»Ich wünschte, ich könnte es.«

»Ich weiß«, erwidert Tristan sanft. »Ich habe damals auch immer gehofft, dass du, wenn ich stark genug für dich bin, es wieder auf die Füße schaffst. Aber so funktioniert das nicht. Das tut es nie, Connor. Du kannst nicht für Daniel kämpfen. Das muss er selbst tun und das wird er auch, weil er stark genug dafür ist. Du kannst ihn unterstützen und ihm helfen. Aber um das zu können, musst ihr Zwei miteinander reden. Der Rest ergibt sich von selbst.«

 

Ich habe Essen für uns gemacht, als Daniel nach Hause kommt, und mich mittlerweile wieder mit Zeke versöhnt, weil ich am Nachmittag mit ihm zwei Stunden im Wald war, um über Tristans Worte und meine eigenen Gedanken zu grübeln. Mein Bruder hat Recht. Wieder einmal. Daniel und ich müssen reden, deshalb auch das Essen, um irgendwie einen Einstieg zu finden. Außerdem mag Daniel es, wenn ich koche. Seit wir zusammenwohnen, ernähren wir uns nicht mehr nur aus Dosen oder Fertigkram, beziehungsweise wir schnorren nicht mehr ständig bei meinen Eltern. Nicht, dass es sie jemals gestört hat.

Im Gegenteil. Mum und Dad laden uns trotzdem regelmäßig ein, was Grandma Charlie sich ebenfalls nicht entgehen lässt. Ihrer Meinung nach, kann man junge hübsche Männer nicht oft genug im Haus haben. Daniel wird heute noch rot, wenn sie ihn damit ärgert. Aber da ist er nicht der Einzige. Shane und Nick fallen ebenfalls regelmäßig darauf herein. Sogar Nicks Freund, dieser eiskalte Anwalt, mit dem er in Baltimore rumhängt, hat Grandma beim ersten Mal überrascht angesehen, um dann den ganzen Abend mit ihr zu flirten. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder Adrian schlagen soll. Dieser Typ ist mir unheimlich, auch wenn ich weiß, dass er Tristan und Nick geholfen hat, sich zu finden. Ich werde ihn erst mal besser kennenlernen und mir dann ein abschließendes Urteil bilden.

Aber das hat Zeit. Heute gibt es nur Daniel, mich und die Frage, ob wir zusammen in den Urlaub fahren werden, oder eben nicht. Aber diese Frage auch zu stellen, erweist sich als schwieriger als ich gedacht habe. Daniel ist unruhig, sieht mich dauernd von der Seite her an. Er scheint etwas auf dem Herzen zu haben, aber auch nicht damit herausrücken zu können. Tja, was das angeht, sind wir schon zu zweit. Vielleicht gab es Ärger auf der Arbeit. Oder Daniel hat dasselbe vor wie ich, nämlich miteinander zu reden. Vorerst jedoch tun wir, was wir seit Wochen tun. Schweigen.

»Es tut mir leid«, ergreift Daniel beim Abwasch überraschend das Wort und sieht von dem Teller auf, den er in den Händen hält. »Wie ich mich verhalten habe.«

Im ersten Moment bin ich zu verblüfft, um zu reagieren, aber das hält nicht lange an. Er hat den ersten Schritt gemacht, jetzt bin ich dran. »Soll ich die Reise stornieren?«

Daniel schüttelt umgehend den Kopf. »Nein.«

»Willst du wirklich nach Florida? Sei bitte ehrlich, Dan«, hake ich nach, denn wir haben zu lange geschwiegen. Jetzt muss es raus. Alles, was noch gesagt werden muss.

»Doch, ich möchte schon.« Daniel sieht zurück auf den Teller und wäscht weiter ab. »Ich weiß nur nicht wie ich... was ich...«

Er verstummt und seufzt. Ich spüre seine Hilflosigkeit und die Nervosität, die er seit Wochen mit sich herumträgt. Normalerweise bin ich nicht der Typ, der andere bedrängt, aber heute bleibt mir keine andere Wahl. Wenn wir das jetzt nicht auf die Reihe kriegen, wird es beim nächsten Mal noch schwerer werden.

»Wir müssen endlich darüber reden, Dan. Sag' mir, was ich falsch gemacht habe. Sag' mir, was los ist.«

»Wieso ausgerechnet Florida?«, fragt er und sieht wieder zu mir. »Wieso nicht Kanada oder sonst wo? Nur nicht...«

Daniel hat wirklich Angst, dass ich ihn an den erstbesten Strand schleppe und traut sich nicht, mir das zu sagen. Ich kann nicht anders, als ihm den Teller aus der Hand zu nehmen und ihn einfach neben uns auf die Küchentheke zu stellen, bevor ich Daniels Hände mit dem Handtuch abtrockne, um ihn ins Wohnzimmer zu bugsieren, wo ich mich auf die Couch setze und Daniel auf meinen Schoß ziehe. Wir sehen uns an.

»Everglades, Nationalparks, vielleicht etwas Sightseeing in Miami oder Orlando.« Ich muss grinsen, als seine wunderschönen Augen sich verblüfft weiten. »Ein Abendspaziergang am Strand würde mir noch einfallen. Bei Mondschein. Nur du und ich.«

Daniel lässt seinen Kopf an meine Schulter sinken. »Es tut mir so leid, Connor.«

Jetzt bin ich derjenige, der seufzt. »Warum hast du denn nichts gesagt? Glaubst du wirklich, ich würde nicht zuhören? Vertraust du mir so wenig, dass du lieber wochenlang darüber grübelst, anstatt mir einfach zu sagen, was dir im Kopf herumgeht?«

»Das ist es nicht«, wehrt Daniel ab und steht auf. Er sieht mich an, scheint etwas sagen zu wollen, tut es aber nicht, sondern geht ein paar Schritte und fängt dann an, im Wohnzimmer auf und ab zu laufen. »Es ist nicht Florida, der Urlaub oder der Strand. Nicht nur«, fängt er plötzlich an zu erzählen und damit scheint ein Damm gebrochen zu sein. »Ja, ich war im ersten Moment wirklich entsetzt und schockiert, weil ich bei Florida automatisch an Strände, kurze Hosen, T-Shirts und so weiter denke. Und ich habe falsch reagiert, das weiß ich und dafür habe ich mich vorhin entschuldigt, nicht im Bezug auf den Urlaub. Ich möchte mit dir wegfahren, wirklich, und ich wollte dir schon an Silvester sagen, dass ich das nicht kann. Mit dir an den Strand gehen oder ins Meer. Ich wusste, du würdest das akzeptieren.«

»Das hätte ich auch, tue ich noch«, stimme ich zu und bin völlig ratlos, was es dann ist. Was macht Daniel bloß solche Angst, dass er scheinbar nicht mehr aus noch ein weiß. »Dan? Was ist los? Rede mit mir, bitte.« Ich stehe auf, gehe zu ihm und halte Daniel fest, um ihn ansehen zu können. »Sag' es mir einfach.«

»Kanada wäre trotzdem besser als Florida«, sagt Daniel daraufhin und verwirrt mich damit nur noch mehr. Was meint er?

»Was?«, frage ich ratlos.

»Da könnten wir schneller verschwinden.«

Ich verstehe kein Wort. »Verschwinden? Wohin? Dan, wovon redest du?«

Daniel senkt den Blick, macht sich abrupt von mir los und nimmt sein rastloses Hin und Her wieder auf. Langsam beschleicht mich der Verdacht, dass ich gerade irgendetwas übersehe. Etwas, das für ihn sehr viel wichtiger ist als dieser Urlaub in Florida. Daniels Reaktion ist einfach zu heftig. Er hat nicht nur Angst, wovor auch immer, Daniel hat Panik und er kämpft dagegen an. Wahrscheinlich schon seit Wochen. Was ist hier los, zum Teufel noch mal? Was sehe ich nicht, was für ihn scheinbar offensichtlich ist?

Moment mal...

Ich runzle die Stirn. Da war doch dieser Brief. Er kam nach den Feiertagen, vor Silvester. Daniel musste ihn selbst bei der Post abholen, weil irgendwas mit der Adresse nicht stimmte. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, was da war, aber das ist ja auch egal. Der Brief muss der Grund sein. Wenn Daniel mit mir an Silvester reden wollte, was er nicht getan hat, kommt nichts Anderes in Frage.

»Was stand in dem Brief?«

Daniel zuckt heftig zusammen und bleibt mit dem Rücken zu mir im Zimmer stehen. »Du erinnerst dich an den Brief?«

Deutlicher kann Daniel sich gar nicht verraten. Und ich erinnere mich jetzt wieder, dass er zurückkam, mich anlächelte und meinte, es wäre nichts, da hätte sich irgendjemand mit der Adresse vertan. Das hätte mich eigentlich stutzig machen müssen, aber zu der Zeit war meine Verunsicherung wegen Weihnachten noch viel zu groß, als dass ich nachgehakt hätte. Selbst Schuld. Mal wieder.

»Was war das für ein Brief, Dan?«

»Es war nur ein Versehen«, antwortet er und schlingt die Arme um sich. Seine Angst ist unübersehbar. »Ich hatte es fast vergessen. Als wir ein Paar wurden, habe ich Nick darum gebeten, für mich aufzupassen, wann sie aus dem Gefängnis kommen. Er sagte, er macht es und würde sich melden, wenn er was hört. Der Brief war von ihm. Ein dummer Schreibfehler. Er hat unsere richtige Adresse benutzt, aber meinen alten Namen.«

Oh mein Gott. Jetzt wird mir alles klar. Auf einmal ergibt alles einen Sinn. Auch wenn wir darüber kaum sprechen, war mir natürlich klar, dass man Daniels Peiniger eines Tages wieder auf freien Fuß setzen würde. Aber so schnell habe ich nicht damit gerechnet. Das deutsche Rechtssystem ist wirklich ein Witz. Ich kann mir ein wütendes Schnauben nicht verkneifen.

Daniel nickt. Er versteht genau, was in mir vorgeht. »Sie wurden wegen guter Führung vorzeitig entlassen.«

Seine Stimme klingt erstickt, er weint. »Dan...«

»Wegen guter Führung, das muss man sich mal vorstellen.« Daniel dreht sich zu mir und lacht und weint zugleich. »Die bringen mich fast um und was ist jetzt...? Die sind draußen. In Freiheit. Und ich habe Panik bei der Vorstellung mit dir wegzufahren, wo fremde Menschen mich sehen könnten. Vielleicht sogar einen Blick auf eine Narbe erhaschen. Was, wenn sie mich finden, Connor?«

Daniel wendet sich wieder ab, aber da bin ich längst bei ihm, umarme ihn und halte ihn fest. »Sie werden dich nicht finden, Dan. Niemals.«

»Das weißt du nicht. Niemand weiß das.«

»Du lebst jetzt in den USA. Du hast einen neuen Namen, ein neues Leben. Du bist sicher hier.«

»Ich bin vorbestraft, hast du das vergessen? Vielleicht finden sie mich so. Über meine Akten.«

Gegen die Angst kann ich nicht ankommen, wird mir klar. Aber ich weiß, wer es kann. Und ich weiß ebenfalls, dass Daniel bisher kein Wort darüber mit ihm gewechselt hat. Deswegen ziehe ich Daniel mit mir zum Telefon in die Küche, um Nick anzurufen. Er ist Anwalt, kennt sämtliche Gesetze. Er wird es ihm erklären können. Hätte es vermutlich längst getan, wenn Daniel ihn angerufen hätte. Wenn jemand meinem Freund begreiflich machen kann, dass er bei mir, bei unserer Familie, in Sicherheit ist, dann ist es Nick.

»Kendall?«

»Ich brauche deine Hilfe«, bitte ich und Nick erkennt den Ernst der Lage sofort.

»Der Brief?«

»Ja.«

»Schieß los.«

Ich erzähle ihm, was los ist. Nick hört zu und verlangt dann mit Daniel zu reden. Ich überlasse Daniel das Telefon, sehe zu, wie er anfangs weiter nervös auf und abläuft, aber nach ein paar Minuten wird er ruhiger. Daniel sagt nicht viel, hört nur zu, nickt ab und an, sieht zu mir, lächelt kurz und hört weiter zu. Ich kann nicht verstehen, was Nick ihm sagt, aber einzelne Wortfetzen bekomme ich mit, die mir seinen Tonfall verraten. Er schafft, was ich nicht so könnte, denn sobald Nick etwas wirklich Wichtiges erklärt, tut er das mit einer Engelsgeduld, um die ich ihn schon immer beneide. Er hat mit seiner Stimme die gleiche Wirkung, wie ich mit meiner Ruhe und Geduld, hat Tristan mal gesagt und ich gebe ihm Recht.

Irgendwann legt Daniel auf und kommt zu mir, um sich umarmen zu lassen, was ich zu gerne tue. Er zittert etwas, aber die vorherige Panik ist aus seinen Augen verschwunden. Sehr gut, Nick, denke ich im Stillen und küsse Daniel sanft auf die linke Ohrspitze, was ihn genießerisch aufseufzen lässt und ihm gleichzeitig eine Gänsehaut beschert. Er mag das nämlich sehr.

»Danke«, flüstert Daniel schließlich.

»Besser?«, frage ich leise und er nickt.

»Nick sagt, dass meine Akte unter Verschluss ist. Das niemand an mich herankommt, ohne, dass er es merkt. Er behält sie im Auge und wird Adrian darauf ansetzen, wenn es sein muss. Ich bin sicher bei dir.« Daniel zögert kurz. »Bei euch. Das hat er versprochen.«

»Das bist du auch«, bekräftige ich seine Worte, denn ich würde niemals zulassen, dass diese abartigen Menschen ihm noch einmal zu nahe kommen. Keiner aus unserer Familie würde das. Auch wenn er es noch nicht begriffen hat, meine Familie wird Daniel beschützen und verteidigen. Mit allen Mitteln, wenn nötig.

Er drängt sich näher an mich. »Werde ich jemals keine Angst mehr vor ihnen haben?«

Eine gute Frage, aber ich kann sie ihm nicht beantworten. Daniel hat zuviel durchgemacht, vielleicht wird er nie aufhören, sich vor ihnen zu fürchten. Verstehen könnte ich es, immerhin weiß ich, wie sein Körper aussieht, was sie ihm angetan haben. Wer würde sich da nicht fürchten? Ich werde ehrlich bleiben, denn er verdient nichts Anderes als ehrliche Worte.

»Irgendwann vielleicht.«

»Hättest du nicht 'Ja' sagen können?«, murmelt Daniel, was mich leise lachen lässt.

»Netter Versuch«, necke ich ihn, weil ich weiß, dass er es nicht ernst meint.

Wir belügen einander nicht. Wir sind zwar noch recht weit davon entfernt, so eine perfekte Beziehung zu führen wie meine Eltern es tun, aber mit der Zeit wird sich das geben. Mit der Zeit werde ich lernen, nicht mehr so lange abzuwarten und Daniel wird lernen, mit seinen Problemen und Sorgen früher zu mir zu kommen. Tristan hat wie sooft auch in dieser Hinsicht Recht, denn der Rest ergibt sich wirklich von selbst.

»Ich weiß.« Daniel sieht zu mir auf. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.«

Wir stehen eine ganze Weile einfach so da, halten einander fest, geben uns gegenseitig Sicherheit, und es ist gut so. Der erste und richtige Schritt zu einer ergänzenden Partnerschaft. Ja, ich weiß, das klingt wie aus einer dieser überaus kitschigen Romanzen, aber zufällig schreibe ich nun einmal Bücher und ich hoffe, dass Daniel und ich eines Tages auch dahin kommen, wo die Traumpaare so vieler Autoren am Ende ihrer Bücher meist stehen – dem Happy End.

»Lass uns nach Miami fliegen«, sagt Daniel irgendwann leise und lächelt mich zaghaft an. »Und vielleicht, wenn abends niemand mehr da ist, können wir auch mal an einen Strand gehen.«

Ich nicke und erwidere sein Lächeln, bevor ich mich zu ihm beuge und ihn küsse. »Wir wär's mit nackt baden?«

»Connor!«

Ich pruste los.

 

 

Tanz mit dem Teufel

 

Sich mit den eigenen Dämonen und Ängsten zu konfrontieren, ist leichter gesagt als getan. Daniel weiß das und gerade deshalb will er den Versuch wagen, sich seinem schlimmsten Alptraum zu stellen.

 

 

»Bist du dir sicher?«

Daniel lächelte. Die Frage kam jetzt zum dritten Mal. Adrian war noch schlimmer als Connor, aber er konnte es verstehen. Gerade bei dem Anwalt. Und er war sich sicher. »Ja.«

Daniel war sich sogar so sicher, dass er deswegen vor drei Tagen eine heftige und sehr laute Diskussion mit Nick geführt hatte, bis der ihm am Ende wutschnaubend Adrians Telefonnummer gegeben hatte, um das hier zu tun. Nick war mittlerweile zwar nicht mehr wütend auf ihn, aber er machte sich Sorgen. Genauso wie Adrian es tat und wie auch Connor es tun würde, sobald der davon erfuhr, was Daniel seit Wochen plante. Aber er musste es einfach tun. Für sich selbst und auch für Connor. Er hatte die Schnauze voll davon, immer Angst davor zu haben und sich gleichzeitig zu fragen, ob er es könnte. Daniel wollte es genau wissen. Er wollte wissen, ob er dazu in der Lage war, wieder in ein Spielzimmer zu gehen, und Adrian war nun mal der Einzige, den er kannte, der so ein Zimmer hatte. In seinen Augen war es daher nur logisch gewesen, Adrian zu kontaktieren und ihn zu bitten, es versuchen zu dürfen.

»Was sagt Connor dazu?«, fragte Adrian weiter und riss ihn damit aus den Gedanken und zugleich auch aus der klitzekleinen Hoffnung, dass der Anwalt zusagen würde, ohne groß nachzuhaken.

Daniel schalt sich einen Idioten. Natürlich würde Adrian Quinlan nicht einfach so zusagen. Immerhin wusste er Bescheid darüber, was mit ihm passiert war. Zwar nicht bis ins Detail, aber dieser Mann war einfach zu erfahren in derartigen Dingen, um sich nicht selbst ausmalen zu können, was man ihm alles angetan hatte. Noch dazu war er Anwalt und die bekamen ja bekanntlich die abscheulichsten Dinge in ihrem Leben zu sehen. Daniel seufzte und stutzte, als Adrian im nächsten Moment leise lachte. Zum nachhaken kam er aber nicht.

»Du hast wirklich gehofft, ich sage einfach zu, oder?«

Verdammt. War er denn so durchschaubar?

»Wenn du undurchschaubar sein willst, solltest du aufhören, laut zu denken, Daniel.«

»Mist!«

Adrian lachte erneut und Daniel verzog das Gesicht. »Er weiß es noch nicht, habe ich Recht?« Schweigen war in dem Fall die bessere Antwort. »Das dachte ich mir«, meinte Adrian daraufhin und schwieg kurz. »Also gut«, sagte er dann. »Ich überlasse euch meine Wohnung für ein Wochenende. Dann habt ihr Zeit und könnt alles ganz ruhig angehen lassen. Mein Angebot gilt aber nur für dich und Connor. Du allein, darüber brauchen wir uns gar nicht zu unterhalten, Daniel. Wenn Connor dich begleitet, geht das in Ordnung. Alleine machst du es nicht.«

Daniel war auch nicht gerade erpicht darauf, das Ganze allein zu machen. Ein Problem bei der Sache war allerdings, dass er nicht im geringsten einschätzen konnte, wie Connor auf die Bitte reagieren würde, sich mit ihm Adrians Spielzimmer anzusehen. Begeistert sein würde er wohl kaum. Darum hatte er auch zuerst Nick angerufen, um dann mit Adrian zu sprechen. Daniel wollte erst mit Connor reden, wenn alles sozusagen unter Dach und Fach war, denn er befürchtete, dass seine Diskussion mit Nick und das Gespräch gerade mit Adrian, ein Kinderspiel gegenüber dem sein würde, was ihm dazu mit Connor bevorstand. Für Daniel war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass Connor sauer werden würde, sobald er erfuhr, worum es ging.

»Was mache ich nur, wenn er nein sagt?«, fragte er sich selbst und runzelte die Stirn. »Ich könnte ihn verstehen, aber...« Daniel seufzte leise. Er liebte Connor und er wollte ihn dabeihaben, aber wenn der nicht wollte, was dann? »Ich muss das einfach tun.«

»Ich zeige es dir, wenn du das möchtest.«

Wie bitte? Daniel stutzte, dann begriff er. Oh nein. So war das doch gar nicht gemeint gewesen. Es ging ihm nur um das ansehen von dem Zimmer und nicht ums ausprobieren. Soweit kam es noch. Daniel schnappte entsetzt nach Luft. Auf gar keinen Fall. Eher würde er die ganze Sache gleich wieder abblasen, als sich... Wie kam Adrian überhaupt dazu, ihn so etwas zu fragen? »Vergiss es!«

»Nur zeigen«, erklärte Adrian ihm im nächsten Moment, bevor er vollends in Panik ausbrechen konnte. »Nicht ausprobieren. Das ist ein verdammt großer Unterschied. Hast du mich verstanden? Ich rede nur vom ansehen, von nichts weiter. Das würde ich niemals von dir verlangen, Daniel. Niemals, okay?«

Adrian klang so eindringlich und vor allem ehrlich, dass Daniel sich wieder beruhigte. »Okay, okay...«, murmelte er erleichtert und atmete ein paar Male tief durch, bis ihm aufging, wie das eben auf Adrian gewirkt haben musste. »Es tut mir leid.«

»Du musst dich nicht entschuldigen«, widersprach der ihm jedoch. »Ich weiß vielleicht nicht im Detail, was man dir in so einem Raum wie meinem Spielzimmer angetan hat, aber ich weiß jetzt, nach der unmissverständlichen Reaktion hier eben, dass ich richtig vermutet habe. Ich werde dich dabei auf gar keinen Fall allein lassen, wenn Connor es nicht kann. Die Jungs würden mich eiskalt umlegen und das zu Recht.«

Daniel seufzte leise. Dagegen konnte er schlecht etwas sagen, so wie er gerade fast ausgeflippt war. Und das nur wegen einem falsch verstandenen Satz. »Entschuldige.«

»Sprich mit Connor«, bat Adrian. »Du liebst ihn, er liebt dich. Wenn er es kann, wird er dir helfen. Falls nicht... mein Angebot steht. Sag' einfach Bescheid, wenn ihr euch entschieden habt.«

»Danke«, war alles, was Daniel dazu noch einfiel.

»Gern geschehen.«

 

»Das ist nicht dein Ernst.« Connor sah ihn vollkommen verdattert an und stöhnte auf, als Daniel nickte, anstatt zu antworten. »Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Ein Spielzimmer? Nach allem, was sie...« Connor brach ab, schüttelte den Kopf und begann im Raum auf und ab zu marschieren. Er sah dabei aus wie sein Vater Will, aber Daniel hütete sich, den Gedanken auszusprechen. »Warum? Wozu soll das bitteschön gut sein? Und was sagt Adrian eigentlich dazu?«, wollte Connor missmutig wissen und warf ihm einen wütenden Blick zu, bevor er weiterlief. Immer von eine Ecke des Wohnzimmers in die andere.

Daniel seufzte innerlich. Er hatte ja geahnt, dass es nicht ganz so einfach werden würde, mit Connor über das Thema Spielzimmer zu reden, und seine Ahnung hatte ihn auch dieses Mal nicht getäuscht. Dennoch war er fest entschlossen, es zu tun. Schlimmstenfalls eben ohne Connor, aber Daniel hoffte, dass er ihn überzeugen konnte, an seiner Seite zu sein, falls er die Tür zu seiner Vergangenheit ein weiteres Mal aufstoßen konnte. Während seiner Therapie war es ihm, auch wenn das Ganze mit viel Schmerz und Tränen verbunden gewesen war, gelungen. Daniel wollte es auch dieses Mal schaffen.

»Er würde uns seine Wohnung für ein Wochenende überlassen. Aber nur, wenn du mich begleitest. Alleine darf ich es nicht.« Daniel grinste schief, obwohl ihm eigentlich eher zum Heulen zumute war. »Hat er mir verboten.«

»Kein Wunder...«, brummte Connor.

»Connor...«

Der schüttelte sichtlich verärgert den Kopf. »Nein. Erwarte bloß nicht von mir, dass ich dazu freudestrahlend 'Ja' sage.«

»Das tue ich doch gar nicht«, erwiderte Daniel ruhig, denn einen Streit wollte er deswegen nicht provozieren. Das hätte ihnen nicht geholfen und Connor war auch so schon aufgewühlt genug, was seine geballten Fäuste genauso bewiesen, wie sein auf und ablaufen, das er allerdings soeben einstellte, um Daniel stattdessen anzusehen. »Connor, es ist mir ernst damit. Das ist wichtig für mich.« Connor schnaubte, aber das hielt Daniel nicht davon ab weiterzusprechen. »Ich denke schon seit Wochen darüber nach. Das war kein spontaner Einfall, falls du das glaubst. Ich will das wirklich tun. Ich will herausfinden, ob ich Adrians Spielzimmer betreten kann, ohne dabei auszuflippen.«

»Ich will aber nicht, dass du...«

»Connor!« Daniel schüttelte rigoros den Kopf, als der ihm erneut widersprechen wollte. »Es geht nicht darum, was du willst. Es geht nur um mich. Ich weiß, dass du Angst hast, dass ich eben genau das tun werde. Ausflippen. Die habe ich auch und glaub' mir, ich mache das nicht, um den Helden zu spielen. Ich muss das einfach tun. Für mich. Ich will mich nicht den Rest meines Lebens fragen, ob ich zu feige dafür wäre. Kannst du das denn nicht verstehen? Wenigstens ein kleines bisschen?« Er trat auf Connor zu, der ihn nachdenklich ansah. Daniel strich ihm liebevoll durch die Haare. »Wenn es nicht klappt, kann ich damit leben. Aber ich muss es wenigstens ein Mal versuchen. Ich muss wissen, ob ich stark genug dafür wäre.«

»Du hast dir ein Leben aufgebaut, trotz allem, was passiert ist. Wie viel stärker willst du noch werden?«, hielt Connor dagegen und dem Argument konnte Daniel nicht einmal widersprechen, weil Connor damit schlicht und ergreifend Recht hatte. Trotzdem änderte das nichts an seinem Entschluss.

»Ich muss das tun. Und wenn du mich nicht begleiten kannst, dann akzeptiere ich das. Adrian hat angeboten, mir zu helfen.«

»Aber...«

»Nein«, unterbrach er Connor, weil Daniel wusste, was der gerade hatte sagen wollen. »Es ist überhaupt nicht dein Job. Es wäre der Job eines richtigen Therapeuten, Connor, und nicht deiner. Wenn du mitkommst, dann nur, weil du mir helfen möchtest, mich den Dämonen meiner ach so netten Vergangenheit zu stellen. Und nicht, weil wir rein zufälligerweise miteinander ins Bett steigen.«

»Dan«, empörte sich Connor und wurde leicht rot, was ihn grinsen ließ. »Das ist nicht lustig.«

»Doch, ist es«, widersprach Daniel und lachte, als Connor darauf die Augen zur Decke verdrehte. Es amüsierte ihn immer wieder aufs Neue, dass dieser Baum von Kerl rot anlief, sobald er ein bisschen anzüglich wurde. Normalerweise hätte es umgekehrt sein müssen, bei seiner Vergangenheit im Bezug auf Sex. Das war jedenfalls Daniels Meinung dazu, aber Connor schien das anders zu sehen und lief eben rot an, während er selbst mit Sex an sich kein Problem mehr hatte. Solange es Connor war, der ihn auf diese Art berührte. »Ich liebe dich und ich würde dir alles anvertrauen, sogar mein Leben. Bitte begleite mich.«

Connor seufzte nachgebend. »Wie soll ich denn wütend sein, wenn du solche Sachen zu mir sagst?« Daniel lächelte nur. »Du wirst es tun, nicht wahr? Wie sehr ich auch dagegen bin, weil ich Angst um dich habe, du wirst es tun.«

Daniel nickte. »Ja.«

 

Sie waren beide hochgradig nervös, als Daniel den Schlüssel erst eine Weile in der Hand herumdrehte, um ihn schlussendlich doch ins Schloss zu stecken. Es war sein dritter Versuch, seit sie freitags in Baltimore angekommen waren. Mittlerweile war es sonntags und in ein paar Stunden würde Adrian zurück nach Hause kommen. Entweder, er tat es jetzt oder gar nicht, das wusste Daniel. Leichter machte es das Ganze trotzdem nicht. Dabei hatte er es selbst gewollt. Wie oft hatte er in den letzten zwei Wochen, die er mit Connor, Will, Rachel und Grandma Charlie darüber debattiert, gesagt, dass er die Vergangenheit endlich hinter sich lassen wollte. Dass er diesen so wichtigen Schritt wagen wollte.

Und was war jetzt? Seit Freitagmittag waren sie hier, Connor war bei ihm, wie Daniel es sich gewünscht hatte, und trotzdem hatte er drei Versuche gebraucht, um überhaupt den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Das war doch armselig. Er war armselig. Es war doch bloß ein verdammtes Zimmer. Nicht die Hölle auf Erde, oder der Tanzsaal des Teufels. Daniel verkniff sich ein hysterisches Kichern. War es das denn wirklich? Der sprichwörtliche, 'Tanz mit dem Teufel', nur um sich selbst etwas zu beweisen? Das war ja fast noch armseliger, als weiter mit seinen Ängsten zu leben.

Dabei war es nur ein Zimmer. Vier Wände, Farbe, ein paar Möbel, eine Tür. Ein gottverdammtes Zimmer. So wie das, in dem er beinahe gestorben war. In dem man ihn gequält, gefoltert und vergewaltigt hatte. Wieder und wieder und wieder. Daniel wich, ohne es richtig zu begreifen, einen Schritt zurück, und Connor, der direkt hinter ihm stand, stoppte ihn, indem er ihn sanft umarmte und im nächsten Moment damit anfing, beruhigend über seine Arme zu streichen.

»Ich bin hier. Ich passe auf dich auf«, flüsterte Connor ihm ins Ohr und half Daniel damit ungemein, denn Connors Stimme lenkte ihn ab, sodass er sich langsam wieder beruhigen konnte.

Es dauerte einige Zeit, aber schließlich holte Daniel tief Luft und machte einen Schritt nach vorn, um den Schlüssel herumzudrehen und die Tür dieses Mal auch zu öffnen. Er gab ihr dabei einen kleinen Schubs, sodass sie von selbst weiter aufschwingen konnte. Das erste, was er erkennen konnte, war ein großes, breites Bett an der Wand direkt gegenüber. Genau so ein Bett hatte damals in jenem Zimmer gestanden, in dem er... Daniel wurde übel. Er wandte sich schluckend und kopfschüttelnd ab, um sofort wieder von Connors beschützenden Armen im Empfang genommen zu werden.

»Ich bin bei dir, Dan, und das bleibt auch so. Ein Wort von dir genügt und wir verschwinden von hier, hörst du? Alles ist gut. Ich bin da«, sprach Connor leise auf ihn ein und zog ihn eng an sich. »Dir passiert hier gar nichts, das schwöre ich dir.« Daniel legte seine Arme um Connor und drängte sich mit einem leisen Schluchzen näher an ihn, worauf Connor ihn auf die Haare küsste. »Ich liebe dich. Ganz egal, ob du das tust oder nicht. Ich liebe dich, Dan.«

Neben Connors beruhigender Stimme, war es vor allem sein Geruch, der Daniel daran hinderte, sich vollkommen in seinen Erinnerungen zu verlieren. Dieser Geruch nach Mann und Parfum und überhaupt. Es war einfach nur Connor. Sein Connor. Sein Schreiberling, neben dem die Welt untergehen konnte, wenn er an einem Buch arbeitete, ohne, dass er es merken würde. Daniel musste unwillkürlich grinsen, weil ihm plötzlich einfiel, wie nervös es Connor immer machte, wenn der beim Schreiben beobachtet wurde. Aber nur, wenn er es wusste, dass ihm jemand zusah. Wusste er es nicht, konnte Daniel ihn genüsslich betrachten, und genau das tat er auch bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit.

Daniel kam ein Gedanke. Das war verrückt, aber vielleicht würde es funktionieren. Er sah zu Connor auf. »Kannst du es mir beschreiben?«

Connor war Autor mit Leib und Seele, denn der wusste sofort, was er von ihm wollte. Nach einem weiteren Kuss, dieses Mal auf seine Nasenspitze, ließ er ihn los und trat an ihm vorbei. Daniel drehte sich erst um, als es hinter ihm hell wurde, weil Connor als erstes das Licht eingeschaltet hatte. Er schaffte es bis zur Schwelle von Adrians Spielzimmer, dann kam er keinen Schritt weiter. Daniel war wie blockiert.

»Der Raum war viel kleiner, als er gedacht hatte«, begann Connor plötzlich zu reden und lenkte ihn damit ab. »Durch das Bett wirkte er auf den ersten Blick riesig, aber als er begann sich genauer im Zimmer umzusehen, bemerkte er, wie klein es in Wirklichkeit war. Das fehlende Fenster irritierte ihn, auch wenn ihm gleichzeitig klar war, dass es in so einem Raum weder auf Mondlicht noch schicke Gardinen ankam.« Daniel war sprachlos und das sah Connor ihm an, so wie der im nächsten Moment lächelte, bevor er weitererzählte. »Er sah sich weiter um. Die Einrichtung war spärlich, aber durchaus zweckmäßig. Eine Kommode, ein großer Schrank, ein Sessel und Nachttische zu beiden Seiten des Bettes. Mehr gab es nicht an Inventar, und alles war in schwarz gehalten. Abgesehen von hellen Läufern um das Bett herum und roter Bettwäsche.«

»Kein Wunder, dass dir dein Agent jedes Buch aus der Hand reißt, sobald es fertig ist«, murmelte Daniel, ohne darüber nachzudenken, und wunderte sich, als Connor ihn daraufhin verblüfft ansah. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie gut du bist?«

Connor zuckte die Schultern und wurde leicht rot. Normalerweise hätte Daniel die Gelegenheit sofort genutzt und ihn damit geneckt, wie sie sich gegenseitig bei allem Möglichen immer neckten, aber nicht jetzt und vor allem nicht hier. Stattdessen holte er ein Mal tief Luft und machte einen Schritt nach vorn.

Nichts.

Die Welt ging weder unter, noch tat sich ein schwarzes Loch auf, um ihn zu verschlucken.

Daniel ließ keuchend die Luft entweichen, als ihm auffiel, dass er sie vor Angst angehalten hatte. Alles war in Ordnung. Wie Connor es versprochen hatte. Daniel sah zu ihm und nickte auf dessen fragenden Blick hin. Ja, es ging ihm gut. Na ja, so gut es ihm in diesem Zimmer eben gehen konnte. Aber er hatte es getan. Er stand in Adrians Spielzimmer und verspürte im Augenblick auch keinerlei Bedürfnis danach, wieder daraus flüchten zu müssen. Das musste er ausnutzen, solange er konnte, deswegen begann Daniel sich jetzt selbst umzusehen.

Adrian hatte definitiv ein Auge für Farben und Stil, denn obwohl der Raum wirklich spartanisch eingerichtet und augenscheinlich nur für einen Zweck benutzt wurde, passte alles zusammen. Sogar dieser großer Schrank, der Daniels Blick wie magisch anzog. Er ahnte, was er im Inneren finden würde, und deswegen brauchte Daniel auch eine Weile, bis er den Mut fand, die wenigen Schritte zu machen und den Schrank zu öffnen, anstatt ihn weiter anzustarren. Was Daniel dann aber vorfand, überraschte ihn.

»Was ist?«, fragte Connor besorgt, als er verdutzt zu ihm sah.

»Alles harmlos«, antwortete Daniel verdattert.

Connor runzelte irritiert die Stirn. »Was?«

»Das ganze Zeug hier drin...« Er sah zurück in den Schrank. »Ich hatte mit Peitschen, Messern, Ketten und einer Menge anderem Kram gerechnet, davon hat er nichts.«

Stattdessen lagen weiche Lederfesseln im Schrank. Neben Federn, Dildos, Vibratoren und Liebeskugeln. Nicht zu vergessen, Gleitgel und Massageöle in allen möglichen Ausführungen. Daniel hatte keine Ahnung, was er wirklich von Adrian erwartet hatte, aber das nicht. Allerdings, wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte Daniel keine Sekunde auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was Adrian für ein Typ Mann war. Er hatte nur das Spielzimmer an sich gesehen und seine eigene schlimme Vergangenheit darauf projiziert.

Und Adrian hatte es gewusst. Daniel musste unwillkürlich lachen, als ihm klar wurde, dass Nicks bester Freund mit Sicherheit genau darauf spekuliert hatte, dass er erst mal nur sich selbst und seine Panik sehen würde. Dieser gottverdammte Anwalt. Daniel schüttelte belustigt den Kopf, als Connor seine Hände ergriff und ihn fragte, was los war.

»Ich schätze, ihm ist gerade klargeworden, dass ich mich darauf verlassen habe, dass er nur an die alten Zeiten denken wird, statt den Kopf zu benutzen und sich zu sagen, dass nicht jeder Mensch, der gerne spielt, auch gleich ein Folterer und Vergewaltiger ist.« Connor zuckte genauso zusammen wie er selbst, als Adrian plötzlich im Türrahmen auftauchte, und sie amüsiert ansah. »Und das hast du doch, oder etwa nicht?«

»Du bist ein Mistkerl«, schnaubte Daniel nur halbherzig, was den Anwalt zum Lachen brachte, bevor er ins Zimmer kam. Daniel wollte ihm danken, als die Erkenntnis ihn plötzlich wie ein Schlag traf. Was Adrian gerade gesagt hatte, konnte nur eines bedeuten... »Du weißt es?«

»Nick«, antwortete Adrian ruhig und sah ihn entschuldigend an. »Sei nicht böse, Daniel, aber ich musste mehr darüber wissen. Nach deinem Anruf bin ich zu ihm gefahren. Er wollte mir zuerst nichts dazu sagen, weil er dir ein Versprechen gegeben hatte, aber es war mir einfach zu riskant, Connor und dich hier alleinzulassen, ohne genau zu wissen, was damals mit dir passiert ist. Das hat Nick am Ende auch eingesehen und mir deine Akte gegeben.«

Der kurze Anflug von Wut war verschwunden, noch bevor Adrian zu Ende erzählt hatte. Wie hätte er dem Anwalt für seine Sorge böse sein können? »Ist okay«, sagte Daniel daher und lächelte Adrian zu, was den erleichtert nicken ließ. »Mal was Anderes... wolltest du nicht eigentlich erst heute Abend wiederkommen?«

Adrian schmunzelte. »Es war kurz nach Neun, als ich aus dem Taxi gestiegen bin.«

»Oh.« Daniel war Connors Blick gefolgt, der gerade auf seine Uhr gesehen hatte.

»Ja, genau, oh.« Adrian sah zu Connor, der jetzt ebenfalls schmunzelte. »Kann ich Daniel kurz allein sprechen, Connor?«

Nach einem kurzen Blickaustausch mit ihm, verschwand Connor samt einem, »Ich hole schon mal unsere Sachen.« nach draußen.

Daniel lauschte Connors ausholenden Schritten, bis er sie nicht mehr hören konnte. Dann sah er fragend zu Adrian, der ihn wortlos anschaute. Daniel kannte diesen Blick und daher nickte er einfach, noch bevor Adrian seine Frage überhaupt aussprechen konnte. Nicht, dass es irgendetwas gebracht hätte, denn Adrians forschender Blick verwandelte sich umgehend in einen tadelnden.

»Jetzt geht es mir gut und das ist die Wahrheit. Es war nicht so leicht, wie ich es mir erhofft hatte«, sagte er daher und wich dem wissenden Gesichtsausdruck aus, den Adrian ihm daraufhin schenkte. »Guck nicht so, ich weiß mittlerweile auch, dass das naiv war.«

Adrian schwieg und brachte ihn stattdessen mit einer Hand unter dem Kinn dazu, wieder aufzusehen. Daniel wäre vor Schreck beinahe zurückgewichen, denn Adrian sah ihn an... ihm fiel kein Wort dafür ein. Ihm fiel überhaupt nichts ein. Also starrte er Adrian einfach an, bis der seine Hand von seinem Kinn nahm, um sie stattdessen mit äußerster Vorsicht auf seine Wange zu legen, als wäre er sich nicht sicher, ob Daniel zurückweichen würde.

»Behaupte nie wieder, dass du naiv bist. Allein, dass du hier in diesem Zimmer mit mir stehst, obwohl der Raum und auch ich, wegen meiner Vorlieben, der Inbegriff dessen sind, wovor du und auch andere Menschen sich am meisten fürchten, beweist das Gegenteil. Ich habe gehofft, dass du es schaffst.« Adrian lächelte ihn an. »Nick hat von Anfang an gesagt, wenn das einer kann, dann du. Und er hatte Recht. Du bist stärker, als du glaubst. Lass dir von keinem etwas anderes einreden, hast du verstanden, Daniel?«

 

Als Daniel fünf Stunden später, nach einer langen Dusche, wieder ins Schlafzimmer kam, lag ein flaches, mittelgroßes Paket auf seiner Bettseite, das vorhin noch nicht dagewesen war, und von Connor war nichts mehr zu sehen. Nanu? Der hatte doch bereits im Bett gelegen, als er duschen gegangen war. Was ja auch kein Wunder war, immerhin hatten sie ein nervenaufreibendes Wochenende und die nächtliche Rückfahrt nach Cumberland hinter sich.

»Connor?«, rief er nach draußen in den Flur und wunderte sich im nächsten Moment darüber, dass nicht einmal Zeke reagierte, bis ihm wieder einfiel, dass sie den übers Wochenende bei Connors Eltern, Rachel und Will, einquartiert hatten. Er lauschte nach unten, aber es war nichts zu hören. Weder aus der Küche, noch dem Wohnzimmer. Wo steckte Connor bloß? »Komisch«, murmelte Daniel und sah zurück auf das Paket.

Vielleicht war es ja gar nicht für ihn. Aber wieso lag es dann auf seiner Bettseite? Daniel biss sich auf die Unterlippe. Er war so was von neugierig, das gehörte verboten. Mit einem frustrierten Schnauben rubbelte sich er seine Haare trocken, warf das Handtuch über einen Stuhl und ignorierte das Paket, während er sich frische Shorts und ein Shirt überzog. Schließlich stand er unschlüssig vor dem Bett und sah wieder auf das Paket, das ihn auszulachen schien. Wieso war er auch so neugierig? Er sollte das Paket nehmen und auf den Nachttisch legen, um zu warten, bis Connor wiederkam, damit er ihn fragen konnte, was es damit auf sich hatte.

Stattdessen nahm er das Paket in die Hand, um es wenigstens kurz zu schütteln. Nichts. Kein Klappern oder sonst etwas, das ihm auch nur den kleinsten Hinweis auf den Inhalt verraten hätte. Aber es war leicht. Leichter als ein Buch zum Beispiel, doch dafür war der Karton auch zu groß. Was war das bloß? Und wo war Connor?

Daniel wollte sich gerade umdrehen, um ihn suchen zu gehen, weil er endlich wissen wollte, was in diesem verflixten Paket war, als er ein Räuspern hinter sich hörte. Er fuhr herum. Connor stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und lächelte ihn liebevoll an.

»Mach es auf.«

Daniel sah wieder auf das Paket. »Was ist da drin?«

»Mach es auf, dann weißt du es«, antwortete Connor amüsiert, was ihn nur wieder schnauben ließ. Connor wusste, wie neugierig er bei solchen Dingen war und neckte ihn jetzt natürlich damit.

»Du bist mir keine Hilfe«, beschwerte sich Daniel, wohl wissend, dass er Connor damit nicht im Mindesten beeindrucken würde.

»Und du bist viel zu neugierig, um noch ewig mit mir darüber zu diskutieren«, stichelte der dann auch wie erwartet und lachte, als Daniel ihm dafür die Zunge herausstreckte. »Mach' es auf, Dan. Es ist schließlich für dich.«

Daniel gab nach und zerrte die Schnur beiseite, die um das Paket geschlungen war. Nachdem er den Deckel abgenommen hatte, erwartete ihn durchsichtiges Packpapier, das er vorsichtig zur Seite schob, weil irgendetwas weiches und Weißes darunter lag. Daniel blieb der Mund offenstehen, als er erkannte, was es war. Aber das konnte gar nicht sein. Vollkommen unmöglich. Mareike war in Deutschland und wusste nicht mal, dass er noch lebte. Woher auch? Moment mal... Er sah auf, direkt in Connors Augen, die ihm mehr sagten, als tausend Worte es gekonnt hätten.

»Mareike hat ihn für dich gemacht«, bestätigte Connor ihm leise, was er seit eben ohnehin schon wusste.

»Wieso?« Wieso hatte Connor das getan? Wieso hatte er Kontakt zu seiner Schwester aufgenommen?

»Aus demselben Grund, aus dem du in dieses Spielzimmer wolltest. Ich musste es einfach versuchen. Ich musste wissen, ob sie wieder mehr für dich sein kann, als nur eine Erinnerung.«

Woher hatte Connor das nur gewusst? Daniel hatte mit keinem Wort erwähnt, dass er sich in letzter Zeit immer mal wieder an Mareike erinnert hatte. Dass ihm vor kurzer Zeit aufgefallen war, dass er sie vermisste. Daniel wollte nicht aus Cumberland oder von Connor weg, aber vielleicht war ein Besuch möglich. Vielleicht konnten Mareike und er wieder zu Geschwistern werden.

»Was hat sie gesagt?«, fragte er verunsichert und wich Connors Blick aus, um stattdessen über die weiche Wolle des Pullovers zu streichen. »Hat sie nach mir gefragt?«

»Sie war überrascht.« Connor stockte kurz. »Schockiert trifft es eher. Aber als ich ihr versichert habe, dass du wirklich am Leben bist, hat sie geweint.«

Daniels Hand fing an zu zittern. »Hat sie sonst noch was gesagt?«

»Ich bat sie, dir einen neuen Pullover zu stricken. Und ich habe ihr erzählt, was damals passiert ist... Nicht alles«, schob Connor nach, als er entsetzt nach Luft schnappte. »Nur das Nötigste. Sie hat wieder geweint. Und sie hat mich etwas gefragt, als sie sich beruhigt hatte.«

»Was?«, wollte Daniel wissen, als Connor nicht weitersprach.

»Ob sie dir an deinem Geburtstag Willkommen wäre.«

Ja! Natürlich. Dezember war allerdings erst in drei Monaten. Daniel seufzte innerlich. »Was hast du geantwortet?«

»Dass ich das nicht weiß«, antwortete Connor ehrlich und Daniel hörte, wie er auf ihn zukam. »Danach habe ich sie gefragt, ob sie nicht stattdessen zu meinem Geburtstag nächste Woche kommen will?« Er hielt die Luft an, als Connor eine Hand über seine mittlerweile heftig zitternden Finger legte und diese miteinander verschränkte. »Sie hat zugesagt.«

Daniel brach in Tränen aus.

 

 

Geister der Nacht, haltet Wacht!

 

Jeder, der Horrorfilme kennt, weiß, dass man sich nicht abends und ganz allein auf einer dunklen Straße herumtreibt. Schon gar nicht, wenn man dabei auch noch zu Fuß unterwegs ist, weil der Wagen eine Panne und das Handy komischerweise keinen Empfang hat.

 

 

'Wieso ausgerechnet heute?', fragte sich Daniel zum hundertsten Mal und schob seine Hände tiefer in die Manteltaschen, wo er neben seinem nutzlosen Handy und dem Hausschlüssel noch den Wagenschlüssel fühlen konnte, der genauso nutzlos war. Wieso hatte er auch diese verdammte Abkürzung fahren müssen, um noch rechtzeitig da zu sein? Und warum in Dreiteufelsnamen hatte ausgerechnet in diesem dunklen Waldstück der Motor verrecken müssen? Und als wäre das nicht schon genug, hatte er hier draußen keinen Handyempfang und konnte Connor noch nicht mal Bescheid geben, dass er zu seiner Geburtstagsparty später kommen würde.

»Wieso bin ich nicht gleich mit Will mitgefahren, als der vorhin die letzten Partysachen besorgt hat?«, fluchte er vor sich hin und stapfte wütend die dunkle Straße entlang. »Aber nein, ich wollte unbedingt noch die Abrechnungen in der Bank fertigmachen, die genauso gut bis nächste Woche hätten warten können.«

Nur wegen seiner eigenen Sturheit, musste er nun den Rest zu Fuß nach Cumberland laufen. Spätabends und auf einer Waldstraße, auf der um die Uhrzeit kein Mensch mehr unterwegs war, der ihn hätte mitnehmen können. Daniel verfluchte sich im Stillen selbst. Dabei hatte sein Chef ihm sogar angeboten, wegen der Geburtstagsparty für Connor früher Feierabend zu machen. Nächstes Mal würde er das Angebot annehmen, soviel stand fest.

»Falls mich nicht ein Bär frisst, dann gibt es kein nächstes Mal«, murmelte Daniel vor sich hin und zog seinen Mantel enger um sich. Der eisige Wind wurde langsam unangenehm und ließ ihn immer stärker frieren.

Er wünschte sich Connor an seine Seite, damit er sich an ihn lehnen konnte, um sich zu wärmen, und dann gemeinsam mit ihm das letzte Stück durch den Wald zu gehen. Es war unheimlich hier draußen. Die Bäume warfen merkwürdige Schatten und die blattlosen, laut knarzenden Äste trugen auch nicht gerade zu seiner Beruhigung bei. Seufzend zog Daniel sein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf den Display. Immer noch nichts. Wozu hatte er sich von Connor eigentlich überreden lassen, sich so ein Teil anzuschaffen? Jetzt, wo er es gebraucht hätte, hatte er keinen Empfang.

Murrend steckte Daniel das Handy wieder in die Tasche und ging weiter, um kurz darauf zu stutzen. Der Wind war weg. Komplett weg. Das war jetzt wirklich gruselig. Er zuckte zusammen, als es einige Meter rechts von ihm im Unterholz knackte und blieb mitten auf der Straße stehen, um zu lauschen, ob da etwas war oder nicht. Aber zu hören war nichts mehr. Daniel wollte schon weitergehen, als urplötzlich ein heftiger Windstoß in seinen hochgeschlagenen Mantelkragen fuhr und es sich für einen Moment anfühlte, als hätte ihm jemand gegen den Nacken gehaucht. Er bekam eine dicke Gänsehaut und drehte sich langsam einmal um die eigene Achse. Nichts. Daniel atmete tief ein und schüttelte dann den Kopf.

»Komm schon, Dan, mach' dich jetzt nicht verrückt. Hier ist kein Mensch«, sprach er sich Mut zu und setzte sich wieder in Bewegung. In der Ferne konnte er schon erste Lichter sehen. Ein paar Minuten noch, dann war er hier raus.

Allerdings konnten ein paar Minuten zu einer halben Ewigkeit werden, wenn man sich die Umgebung plötzlich genauer ansah, so wie Daniel es dann tat. Und wieso wurde es eigentlich von Sekunde zu Sekunde um gefühlte zehn Grad kälter? Der Wind hatte überall um ihn herum Laub auf die Straße geweht, das tagsüber bestimmt in den herrlichsten Rot-, Gelb-, und Brauntönen leuchtete. Aber hier und jetzt war es einfach nur eine dicke schwarze Schicht, die ihm das Laufen erschwerte, weil es heute Nachmittag geregnet hatte. Daniel sah sich immer wieder misstrauisch um und als dann auch noch Nebel quer über die Straße zu wabern begann, beschleunigte er instinktiv seine Schritte.

Dicke Wolken zogen über den Himmel und verdeckten immer wieder den Mond. Daniel kam sich langsam vor wie an Halloween. Er hasste Halloween. Aber im Moment wären ihm sogar Halloweenlaternen lieber gewesen, als diese Dunkelheit um ihn herum, denn obwohl die Straße asphaltiert war, gab es keine Laternen. Jedenfalls keine, die noch funktioniert hätten. Connor hatte ihm mal erzählt, dass die Kinder sie immer als Zielscheiben benutzt und die Stadt es irgendwann aufgegeben hatte, die Lampen zu reparieren. Bei einer Hauptstraße hätte diese Art von Geldsparerei Ärger gegeben, aber so kümmerte es keinen.

Abgesehen von ihm selbst gerade. Daniel schauderte, als der Wind wieder auffrischte. Überall knarrten Äste, die Bäume ächzten wegen der starken Böen und warfen dabei die bizarrsten Schatten auf den Boden und überall um ihn herum. 'Bloß weg hier', dachte Daniel und ging schneller. 'Gespenstische Stille kann man nicht überhören', hatte er mal in einem von Connors Büchern gelesen und dessen Worte bekamen gerade eine ziemliche Bedeutung, denn es war, abgesehen vom Wind, totenstill um ihn herum - bis die Schritte begannen.

Daniel blieb stehen und lauschte angestrengt. Es waren schritte, ganz eindeutig. Er konnte sie trotz des Windes hören. Es raschelte und knisterte immer wieder. So als würde jemand durch Laub gehen, erkannte er und drehte sich um, in der Erwartung, vielleicht einen Spaziergänger zu entdecken oder einen Jäger, denn die waren oft in den Wäldern um Cumberland unterwegs, doch die Straße war verwaist. Außer feuchtem Laub und dem Nebel, der mittlerweile bis zu seinen Knöcheln hoch waberte, war nichts zu sehen. Daniel drehte sich kopfschüttelnd wieder nach vorn, um endlich aus dem Waldstück herauszukommen. Nichts gegen Halloween und Gruselgeschichten, aber das ging jetzt doch etwas zu weit. Ihm kam ein Gedanke, der ihn erneut die Stirn runzeln ließ. Was, wenn das ein dummer Scherz war? Nick oder Tristan traute er so etwas durchaus zu. Daniel starrte wütend in den Wald.

»Jungs, wenn das ein Scherz sein soll, lasst es!«, erklärte er in die Dunkelheit und verschränkte die Arme vor der Brust. Wieder raschelte es und das bestätigte ihm seinen Verdacht. Da steckten doch garantiert Nick und Tristan dahinter. Connor würde so etwas mit ihm nie machen. »Ihr kommt da sofort raus, sonst werde ich...«

Der Rest seiner Drohung blieb unausgesprochen, als Daniel plötzlich Pferde wiehern hörte. Dazu kamen beständig quietschende Kutschräder, der Knall einer Peitsche und donnerndes Hufgetrappel. Er sah wieder nach vorn und im nächsten Moment fielen ihm die Arme kraftlos an den Seiten herab. Durch den Nebel hindurch bahnte sich ein Vierspänner mit schwarzen Rappen, die eine große altertümliche Kutsche zogen, den Weg direkt auf ihn zu. Eine leuchtende Laterne seitlich an der Kutsche schwankte mit den Bewegungen der kräftigen Tiere mit und vorne auf dem Kutschbock saß ein Mann in schwarz – ohne Kopf.

Daniel blieb der Mund offen stehen. Der Kutscher hatte keinen Kopf. Er schloss die Augen, schüttelte seinen eigenen Kopf und schaute wieder nach vorn. Doch das Bild hatte sich nicht verändert. Das da vor ihm hatte wirklich keinen Kopf, und die Kutsche, die er oder es oder was auch immer antrieb, kam schnell näher. Daniel wich zur Seite aus. Was immer das hier werden sollte, er fand es nicht im Geringsten lustig. Das konnte doch nur ein dummer Scherz sein. Ja, genau. So musste es sein. Ein dummer Scherz. Der ganz sicher nicht für ihn bestimmt war. Daniels Hoffnung zerschlug sich allerdings, als der Kutscher sein Gefährt ein paar Meter vor ihm zum Stehen brachte.

Sein Herz schlug rasend schnell und langsam regte sich bei ihm das dumpfe Gefühl, dass das Ganze hier vielleicht doch kein dummer Streich war. Und auch keine versteckte Kamera oder eine alberne Inszenierung von Nick und Tristan, um ihm Angst einzujagen. Selbst wenn, ihr Ziel erreicht hatten sie schon, denn dieser Kutscher war echt. Daniel konnte das Leder seiner Kleidung riechen. Das Öl, mit dem der Docht in der Laterne zum brennen gebracht wurde, das Holz der Kutsche. Angst kroch seinen Nacken hinauf und legte sich wie ein zweiter Mantel um ihn, während er langsam zurückwich. Der Kutscher ohne Kopf sah in seine Richtung. Wie das möglich war, konnte Daniel nicht sagen, aber er war sich sicher, dass dieses Ding genau wusste, wo er war und was er gerade tat.

Plötzlich bewegte eine leichte Windböe sein Haar und es dauerte mehrere Sekunden bis Daniel bemerkte, dass der Wind nach Mandeln roch. Er runzelte die Stirn. Seit wann roch Wind nach Mandeln? Sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, als Daniel aufging, dass nicht der Wind sein Haar bewegt hatte, sondern jemand oder etwas, das direkt hinter ihm war und dessen Atem er gerochen hatte. 'Mein Gott', dachte er entsetzt und erstarrte, als er eine zärtliche Berührung an seiner Hüfte fühlte. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Die Berührung wurde stärker und Daniel senkte ganz langsam den Blick. Eine Hand, die in einem Handschuh steckte, hatte sich auf seinen Mantel gelegt und fing in der Sekunde damit an, ihn zurückzuziehen.

Daniel wollte schreien, aber es kam kein einziger Ton über seine Lippen. Und zu allem Schrecken öffnete sich dann auch noch die Tür der Kutsche. Ein Schatten tauchte aus dem Inneren auf und wandte sich ihm zu. 'Er hat kein Gesicht', dachte Daniel völlig entsetzt, als der Schatten die Stufen herunterstieg, mit langsamen Schritten in seine Richtung kam und eine Hand nach ihm ausstreckte. Daniel wusste nicht, was das war, das da vor ihm war, aber ein Mensch war es ganz sicher nicht. Es war einfach nur schwarz und kalt. Ja, so konnte er diese Gestalt am besten beschreiben, denn von ihr ging eine unnatürliche Kälte aus.

Es trug einen langen Mantel mit Kapuze, Handschuhe und kniehohe Stiefel, die stark glänzten, so als wären sie sehr lange geputzt worden, um perfekt zu sein. Was war das für ein verrücktes Spiel? Hätte Tristan so eine neue Theaterrolle gespielt, Daniel hätte ihm sofort einen Preis für die beste Hauptrolle in die Hände gedrückt. Übelkeit stieg in ihm auf und überlagerte seine Angst und Furcht, während zu der ersten Hand an seiner Seite eine zweite hinzukam, die sich um seinen Oberarm legte. Der Zug nach hinten wurde immer stärker, aber vor allem wurde er schmerzhaft. Vermutlich würde er blaue Flecken davontragen, so fest zogen die Hände an ihm.

Dem Schatten gefiel das nicht, denn der Wind frischte plötzlich auf. Daniel hatte keine Ahnung, woher er das wusste, aber ihm war klar, dass es die Schuld von diesem Ding war. Es kam näher und er wich zurück, stolperte mehr als dass er ging, denn der Unbekannte oder was immer da hinter ihm war, zog ihn weg, tiefer in den Wald hinein. Daniel wagte es nicht zurückzuschauen, aus Angst dort noch Schlimmeres zu entdecken, als diese Kutsche mit dem gesichtslosen Schatten und dem Kutscher ohne Kopf.

»Komm!«

Es war keine Bitte, das wusste Daniel. Die Stimme dieses Dings war so kalt und gefühllos, dass er zu zittern begann. Tief in sich hatte er bis eben noch gehofft, dass er, sollte eine der Gestalten etwas sagen, die Stimme von Nick oder Tristan erkennen würde, die ihn eben doch nur veralberten, aber diese Stimme hatte er noch nie im Leben gehört. Was immer dieses Ding war, er wollte nur noch weg davon und begann schneller zurückzuweichen. Zu schnell, denn die Person hinter ihm, der die Hände gehörten, besaß auch einen Körper, gegen den Daniel im nächsten Moment prallte. Er war groß, muskulös und vor allem warm.

Connor?

»Lass ihn!«, zischte das Ding ohne Gesicht, bevor er nachfragen konnte, und schien noch bedrohlicher zu werden, während er einen Schritt vor den nächsten setzte. »Er gehört mir!«

»Nein, tut er nicht.«

Daniel schnappte nach Luft und drehte den Kopf zurück, um in das angespannte Gesicht eines Mannes zu blicken. Blaue Augen, er hatte wunderschöne hellblaue Augen, genau wie Connor. Wenn sie nur nicht so traurig aussehen würden. Seine Haut war hell, beinahe weiß, und der Mann lächelte ihn aufmunternd an, als wolle er sagen, 'fürchte dich nicht.' Aber Daniel hatte Angst. Auch als der unbekannte Mann seinen Griff im nächsten Moment beschützend um ihn legte und ihn eng an sich zog. Daniel konnte seinen Herzschlag hören. Es war total verrückt, was hier gerade geschah. Der Mann war so warm und diese Wärme übertrug sich auf ihn, was eine Erleichterung war.

»Gib ihn mir!«

Daniels Kopf ruckte erschrocken wieder nach vorn und im gleichen Moment spürte er, wie der Mann hinter ihm den Kopf schüttelte und sich in Bewegung setzte, ihn dabei weiter mit sich zurückziehend. »Was wollt ihr von mir?«, schaffte er es dann endlich eine Frage zu formulieren.

»Fürchte dich nicht, er bekommt dich nicht«, flüsterte der Mann hinter ihm, während der Schatten vor ihnen wütend knurrte. »Nur wenn du freiwillig gehst, kann er dich mitnehmen.«

»Schweig!«, donnerte das Ding daraufhin und machte einen Satz in ihre Richtung, was Daniel erschrocken aufschreien ließ, weil mit der Nähe dieses gesichtslosen Schattens auch dessen eisige Kälte in seinen Körper kroch. Er presste die Lippen zusammen, als das Ding eine Hand hob und über seine Wange strich. Die Berührung war so zärtlich, liebevoll und beschützend... trotzdem wusste Daniel, dass es nicht echt war. Dass man ihn nur zu täuschen versuchte. Ob dieses Wissen wirklich von ihm selbst kam oder von dem Mann hinter ihm, war Daniel egal. 'Tot', ging ihm im nächsten Moment durch den Kopf. 'Du bist tot, wenn du mit ihm gehst.'

»Bleib bei mir«, flüsterte der Unbekannte ihm leise ins Ohr. »Er ist ein Monster ohne Seele und das will er ändern... mit Hilfe der Liebe, die du in dir trägst.«

Daniel erstarrte und dachte unwillkürlich an Connor. Sein Mann. Sein Geliebter. Sein Freund. Sein Beschützer. Oh nein. Niemand und nichts würde ihm die Liebe zu Connor wegnehmen. Wut loderte in ihm auf und überlagerte seine Furcht. »Fahr zur Hölle!«

Der Schatten schien zu wachsen und seine Berührung wurde kälter. Daniel verzog angewidert das Gesicht, als das Ding noch näher kam. »Ich könnte dir alles schenken... alles...«, schmeichelte es leise und Daniel seufzte ungewollt, als sein Körper zu prickeln begann. Was passierte mit ihm? Er verstand es nicht, aber es fühlte sich wirklich gut an. Es ließ die feinen Härchen an seinem Körper sich aufrichten, als würden verführerische Hände über seine nackte Haut wandern, um ihm zu geben, was immer er begehrte.

»Bleib hier, Daniel«, wisperte der Mann hinter ihm. »Lass dich nicht verführen. Was soll aus Connor werden?«

Connor. Allein sein Name mit der Stimme des Unbekannten reichte aus, um Daniel in die Wirklichkeit zurückzuholen. Er hob eine Hand und stieß die des Schattens von sich, ohne zu wissen, woher er den Mut dafür nahm. Aber das war auch nicht wichtig, denn es wirkte augenblicklich. Das Ding kreischte laut und holte weit aus. Daniel schloss entsetzt die Augen, den heftigen Schlag erwartend, der mit Sicherheit gleich kommen würde.

Es geschah nichts. Stattdessen wurde es totenstill um ihn herum.

Daniel brauchte eine Weile, bis er sich traute, die Augen zu öffnen, und darauf schien die Nacht nur gewartet zu haben. Die Kutsche war weg, genau wie dieser Schatten und sein Kutscher ohne Kopf. Auch der Wind wurde mit jeder Sekunde schwächer und die Wolken gaben endlich den Mond frei, während der Nebel zwischen die Bäume im Wald verschwand, bis die Straße gänzlich davon frei war. Daniel holte erleichtert Luft. 'Keine Abkürzungen durch Waldstücke mehr. Ganz besonders nicht nachts', beschloss er und lachte leise, während er sich mit der Hand übers Gesicht fuhr. Ihm fiel erst ein paar Sekunden später auf, dass zwei weitere Hände um seinen Bauch geschlungen waren und ihn liebevoll hielten. Und da spürte er auch wieder den warmen Körper hinter sich. Er hatte ihn ganz vergessen.

Daniel drehte den Kopf nach hinten. »Danke.« Ein Lächeln war die einzige Antwort, die der Mann ihm gab. »Wer bist du?«

»Jeremy«, antwortete der Unbekannte und löste seine Umarmung, um stattdessen eine Hand an seine Wange zu legen und mit dem Daumen zärtlich über seine Haut zu streicheln, bevor er anfing, sich vor Daniels Augen aufzulösen. »Pass auf dich auf.«

Daniel blinzelte und wollte nach Jeremy greifen, doch da war der schon fort und er stand allein im Wald. Er hob eine Hand, um zu prüfen, ob da wirklich nichts mehr war, aber sein Griff ging ins Leere. Daniel schauderte, weil ihm nur eine Erklärung einfiel, für das, was er eben erlebt hatte, aber die war verrückt. Jeremy konnte kein Geist gewesen sein. Oder etwa doch? Er drehte sich kopfschüttelnd um, um zur Straße zurückzugehen und endlich hier wegzukommen.

»Hast du wirklich geglaubt, dass es so einfach wäre?«, fragte es plötzlich eiskalt neben ihm, dann packte eine behandschuhte Hand ihn fest im Nacken. Daniel begann zu schreien.

 

»Dan!«

Er fuhr zusammen, schlug die Augen auf und entdeckte Connor halb neben, halb über sich. Im Bett. Wieso lag er im Bett? Er war doch eben noch im Wald gewesen. Und dieses Ding... Bevor Daniel etwas sagen konnte, wurde die Tür aufgerissen und Tristan und Nick kamen ins Zimmer gerannt. Letzterer mit einem Schürhaken bewaffnet.

»Was ist? Wir haben Daniel schreien gehört«, wollte Tristan mit vor Schreck geweiteten Augen wissen und sah sich hektisch um.

»Ich glaube, er hat nur geträumt«, antwortete Connor und sah ihn beunruhigt an. »Alles wieder okay?«

Geträumt? Er hatte bloß geträumt? Daniel stöhnte auf und fuhr sich kopfschüttelnd mit beiden Händen übers Gesicht, wobei sein Blick dann irgendwie auf den Nachttisch fiel, auf dem Connors Manuskript lag. 'Geister der Nacht, haltet Wacht!' Die noch unfertige Gruselgeschichte mit lauter Geistern in dunklen Wäldern, in die er gestern als Allererster hatte reinlesen dürfen. Himmel noch eins.

»Du und deine doofe Gruselstory«, murmelte er und sah Connor an.

»Was?«, fragte der verdutzt, aber schon im nächsten Moment fiel der Groschen und Connor fing an zu grinsen. »Moment mal... Hast du etwa davon geträumt?«

Daniel seufzte. »Eine dunkle Straße, ein Wald mit bösen Geistern und ein Hauptcharakter namens Jeremy... Und ja nicht zu vergessen, der kopflose Reiter.«

Tristan gluckste und ließ sich am Kopfende aufs Bett sinken. »Du schreibst eine Horrorgeschichte?«

Connor nickte. »Ich muss doch mal gucken, ob ich es besser kann, als Stephen King.«

»So wie Dan gekreischt hat, kannst du es besser«, meinte Nick und sah dann auf den Schürhaken in seiner Hand. Ihm schien erst jetzt so richtig bewusst zu werden, was er da festhielt. »Tris? Will ich wissen, wieso der in deinem Zimmer neben der Tür stand?«

Tristan lächelte unschuldig. »Nö.«

Kurzes Schweigen, dann lachten alle los.

 

 

Schlafende Schönheit

 

David liegt nach seinem schweren Unfall im Koma und Adrian ist mit den Nerven am Ende. Aber statt einzusehen, dass er eine Pause braucht, schaltet er auf stur, bis es nicht mehr geht... Daraufhin beschließt Nick, dass es an der Zeit ist, Mister Quinlan die Augen zu öffnen.

 

 

Warten. Immer nur warten. Seit Wochen schon.

Adrian hasste Krankenhäuser. Und das nicht nur wegen dem Geruch von Tod und Putzmitteln, der in jeder Ritze zu hängen schien. Er hasste Krankenhäuser vor allem, weil in ihnen andauernd Menschen starben.

Und dieses hier hasste er ganz besonders, weil keine fünf Meter von ihm entfernt gerade David starb. Mal wieder. Es war schon sein dritter Herzstillstand und der... Adrian stutzte, aber ihm wollte partout nicht einfallen, wie oft Davids Kreislauf in den letzten paar Wochen zusammengebrochen war. Er wusste allerdings, dass sein eigener Kreislauf Davids bald folgen würde, wenn er noch lange so weitermachte. Was er tun würde, wenn David wirklich starb, darüber wollte Adrian aber lieber nicht nachdenken.

Jedenfalls nicht mehr. Er hatte es die ersten Tage ständig getan und war darüber beinahe verrückt geworden. Wieso David? Und wieso war dieser Mistkerl Delongis im Knast nicht einfach von irgendwem umgebracht worden, wie viele andere Häftlinge? Wieso saß dieses verdammte Schwein im Moment quicklebendig in Einzelhaft, während er vor lauter Angst um David tausend Tode starb? Nun ja, das mit der Einzelhaft hatte Delongis ihm zu verdanken. Wobei 'verdanken' als Beschreibung nicht ganz zutraf, aber Adrian scherte sich nicht die Bohne um diese Anzeige wegen Körperverletzung, die Delongis' Anwalt ihm angedroht hatte, nachdem er auf das Schwein losgegangen war.

Sollten sie ihn doch dafür anklagen. Adrian würde seine derzeit mehr als angeschlagene Psyche mit ins Spiel bringen und die Strafe zahlen, die man ihm dafür dann aufbrummte. Er kannte jedes noch so kleine Schlupfloch im System. Kein Geschworener würde ihn schuldig sprechen und selbst wenn... sollte David sterben hatte er mehr als einen Grund, in den Knast zu gehen, denn dann würde er...

Der Arzt kam aus Davids Zimmer und unterbrach seine mörderischen Gedanken, was auch besser war, denn Nicks Blick war deutlich, was das betraf, weshalb er dann auch lieber den Arzt fixierte. Der sah ihn an, seufzte leise auf, und nickte im Anschluss daran. Gott sei Dank. David lebte. Zumindest im Moment noch.

»Und?«, hakte Tristan nach, der ihm gegenüber an der Wand lehnte und nervös mit seinem Handy herumspielte.

»Er ist wieder da.« Der Arzt lächelte schmal. »So einfach lasse ich keinen meiner Patienten sterben, obwohl er ein verdammt sturer Bock ist, was das angeht.«

Ärzte. Die waren doch alle nicht ganz normal. David erlitt einen Herzstillstand nach dem anderen und dieser Kerl bewunderte das in gewisser Weise sogar noch. Adrian verkniff sich den Kommentar, der ihm dazu auf der Zunge lag. »Kann ich...?«

»Nein!«, fuhr der Arzt ihn an, bevor er aufspringen konnte, weil er wieder in Davids Zimmer zurück wollte. »Wir werden die nächsten Stunden einige Untersuchungen machen. Ich muss herausfinden, warum sein Kreislauf ständig so verrückt spielt. Fahren Sie endlich nach Hause, Mister Quinlan. Nehmen Sie eine Dusche und gehen schlafen. Wir rufen sofort an, sobald sich etwas ändert. Das habe ich Ihnen doch schon oft genug gesagt.«

Ja, das hatte der Arzt wirklich. Alle hatten das getan. Trotzdem würde er nicht länger von Davids Seite weichen, als es unbedingt notwendig war. Adrian schüttelte den Kopf und lehnte sich auf dem Besucherstuhl zurück. »Ich warte.«

Davids Arzt sah aus, als wollte er noch etwas sagen, stattdessen warf er ihm einen verärgerten Blick zu und wandte sich danach Will Bennett zu, Tristans Vater, der vor ein paar Tagen urplötzlich im Krankenhaus aufgetaucht war, um nach ihm zu sehen. Nicht nach David, dabei war der halbtot. Nein, Will war seinetwegen gekommen und immer noch da, obwohl er Tristan dazu bereits ein paar saftige Takte erzählt hatte. Nicht, dass der irgendwie beeindruckt gewesen war. Ganz im Gegenteil. Statt seinen Vater zurück nach Cumberland zu schicken, hatte Tristan ihm den Kopf gewaschen. Ihm. Das musste man sich mal geben. Dieser Strumpfhosen tragende Schauspieler vom Theater hatte ihn einen Dummkopf und dämlichen Dickschädel genannt und ihm schlussendlich sogar, weil Adrian ihn als blödes Arschloch beschimpft hatte, eine gescheuert.

Adrian war so verdattert über die Ohrfeige gewesen, dass er bis heute nicht darauf reagiert hatte. Er runzelte die Stirn. Welcher Tag war eigentlich? Weihnachten war jedenfalls noch nicht vorbei, denn die Dekoration in den Krankenhausfluren leuchtete und glitzerte die ganze Zeit um ihn herum, als würde sie ihn auslachen wollen. Aber wenigstens ging ihm das Zeug nicht auf die Nerven, so wie Will, Nick, Tristan und Dominic es machten. Es fehlten nur noch Daniel und Connor, aber dann wäre er ausgeflippt.

Adrian konnte schon Nicks und Tristans ständige Bemutterung kaum noch ertragen, und er war heilfroh, dass Dominic sich in der Sache genauso zurückhielt wie Will bisher. Allerdings hatte er bereits seit einiger Zeit so ein ungutes Gefühl, dass das nicht mehr lange so bleiben würde, denn Will Bennett war Arzt und er war ein Vater. Außerdem steckte er entschieden zu oft den Kopf mit Davids Ärzten zusammen. Kurz darauf löste sich Will mit einem knappen Nicken von eben jenem Arzt, tauschte kurze Blicke mit Nick und Tristan, und kam danach direkt auf ihn zu. Oha. Irgendetwas war hier im Busch, Adrian wusste es, und er wusste ebenfalls, dass ihm nicht gefallen würde, was Tristans Vater ihm offensichtlich zu sagen hatte.

»Wir fahren dich nach Hause«, sagte Will dann auch schlicht, als er bei ihm angekommen war, was Adrian innerlich frustriert stöhnen ließ. Darum ging es den Dreien also und das konnten sie vergessen. Er würde den Teufel tun, David hier im Krankenhaus alleinzulassen.

»Du musst endlich mal wieder schlafen«, setzte Tristan hinzu und das machte ihn erst recht widerspenstig. Adrian schwieg. Er wollte weder gehen, noch wollte er schlafen.

»Außerdem brauchst du dringend eine Dusche«, schob Nick nach, so als eine Art krönenden Abschluss. Adrian schnaubte. Als ob es hier auffiel, dass er schon seit Tagen keine Dusche mehr gesehen hatte. Es roch doch eh überall nach Tod und Desinfektion. Und die Duschen für die Krankenhausmitarbeiter waren nun wirklich nur für Notfälle zu gebrauchen. Adrian hielt sich eigentlich nicht für einen Notfall, aber das war scheinbar Ansichtssache.

»Und etwas zu essen«, mischte sich Will wieder ein und riss ihn aus seinen Gedanken.

Er sollte etwas essen? Nie im Leben. Allein der Gedanke an Essen verursachte bei ihm Übelkeit, daher war Adrians einziger Kommentar dann auch ein schlichtes, »Nein!«

»Adrian?« Will hockte sich vor ihn und kommentierte seinen bösen Blick mit einem milden Lächeln. »Ich habe vier Jungs. Zwei eigene und zwei in die Familie aufgenommene. Und nicht zu vergessen, ein Mädchen, dass komplett nach ihrer sturen Mutter kommt. Glaubst du ernsthaft, dass du mich mit deinem finsteren Blick in irgendeiner Weise beeindrucken kannst?

Wieso wunderte ihn diese Ansprache nicht? Tristan hatte genau so einen Tonfall benutzt. Nur konnte er Will schlecht als 'Arschloch' betiteln, um ihn loszuwerden. Adrian wich Wills forschendem Blick aus. »Lass mich in Ruhe.«

»Kann ich nicht, ich bin Arzt und Vater«, wehrte Will natürlich wie erwartet ab und brachte Adrian damit nur weiter auf die Palme.

»Nicht meiner.«

»Das ändert nichts daran, dass du im Moment einen brauchst«, kam ruhig zurück und Adrian presste die Lippen zusammen, um jeglichen Kommentar für sich zu behalten. »Adrian? Du kannst freiwillig mit uns kommen, oder wir schleifen dich an deinen ungewaschenen Haaren hier raus, aber du gehst. Das 'Wie' ist deine Entscheidung.«

»Ich bleibe bei David«, murrte Adrian und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.

»Nein, tust du nicht.«

Redete er seit Neustem chinesisch? Was wollten sie schon machen? Die Cops rufen, damit die ihn verhafteten? Adrian holte tief Luft und bedachte Will mit einem mörderischen Blick. »Du kannst mich nicht zwingen.«

Tristans Vater seufzte leise, als hätte er gehofft, dass er doch noch Einsicht zeigen würde, bevor er aufstand. »Das haben Davids Ärzte bereits erledigt. Du hast hier ab sofort Hausverbot, Adrian, und deswegen gehen wir. Und zwar jetzt.«

Moment mal... Wie bitte? »Was habe ich?«

Wills mitfühlender Blick gab ihm den Rest. »Hausverbot. Wenn ich es aus ärztlicher Sicht für unbedenklich erachte, kannst du wieder herkommen. Keinen Tag vorher.«

Deswegen hatten Nick und Tristan dessen Vater hergeholt. Adrian klappte die Kinnlade runter. Um ihn zur Seite zu schaffen. Ihn von David wegzubringen und fernzuhalten. Wieso? Er sah fassungslos von Will zu Nick. Den Mann, von dem er nie erwartet hatte, dass er ihm in den Rücken fallen würde. »Das könnt ihr nicht machen. Ihr könnt mich nicht einfach von ihm wegholen. Dazu habt ihr kein Recht. Was habe ich dir getan, dass du mir das antust? Was, Nick?«

Nick sah ihn einen Moment lang total baff an, im nächsten hing Adrian in der Luft und rang nach selbiger, weil Nick ihn vom Stuhl gezerrt und mit dem Rücken daneben gegen die Wand gestoßen hatte. »Du kleiner Wichser. Was glaubst du eigentlich, was du...«

Tristans tadelndes, »Nick!« unterbrach den mitten im Satz. »Soll er ersticken? Lass ihn sofort wieder los.«

Das tat Nick dann auch und Adrian musste erst mal ordentlich nach Luft schnappen. Nick hatte einen starken Griff, wenn er wollte und so wie sich sein Hals gerade anfühlte, konnte er von Glück reden, dass Nick ihn nicht erwürgt hatte. Adrian verstand nur Bahnhof und das machte ihn noch wütender, als er zuvor bereits gewesen war. Wieso wollten sie ihn unbedingt von David fernhalten? Wieso?

»Mein Freund liegt da drin, verkabelt und in Verbände eingepackt bis zum geht nicht mehr, an unzählige, piepende Maschinen gehängt, damit er nicht abkratzt.« Adrian sah Nick an. »Warum hast du ihn her geschleppt?« Er deutete verärgert auf Will. »Und warum wollt ihr mich von Trey fernhalten? Ich werde den Teufel tun und mich von euch einfach so herumkommandieren lassen, nur weil...« Adrian brach verdutzt ab, als der Flur sich auf einmal um ihn herum zu drehen begann.

»Verdammt! Nick, halt ihn fest!«

Adrian hörte Wills besorgte Stimme und im nächsten Moment spürte er eine Hand an seinem Arm und weitere in seinem Rücken, die ihn stützten, aber noch bevor er nachfragen konnte, was eigentlich los war, wurde ihm schwarz vor Augen.

 

Er lag definitiv in seinem eigenen Bett, erkannte Adrian, als er wieder zu sich kam. Und irgendjemand hatte ihn scheinbar unter die Dusche gestellt, denn sein Haar war feucht und die Sachen, die er trug, rochen frisch gewaschen. Adrian warf einen genaueren Blick auf das Shirt und presste die Lippen aufeinander, als er erkannte, dass es eins von Davids war. Verdammt noch mal, wer hatte...?

»Das war meine Idee«, erklärte Nick irgendwo von der Seite und Adrian sah verblüfft in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. »Es riecht zwar nicht mehr nach ihm, aber ich denke, dass es hilfreich sein könnte.«

»Hilfreich?«, fragte Adrian verständnislos nach, weil er keine Ahnung hatte, worauf Nick hinauswollte.

»Hm«, machte der zustimmend und löste sich von der Tür, an der er bis gerade im Dunkeln gelehnt hatte, worauf Adrian auch erst mal auffiel, dass außer der Nachttischlampe neben ihm, im Schlafzimmer kein Licht brannte. »Hilfreich im Sinne von: halt dich daran fest, solange ich dich anschreie, weil du ein stures, uneinsichtiges und vollkommen verblödetes Arschloch bist.«

Adrian stöhnte frustriert auf und hatte im nächsten Moment ein Déjà-vu, nur mit dem Unterschied, dass er diesmal nicht gegen eine Wand, sondern ins Bett gepresst wurde, während Nick so wütend auf ihn hinunter sah, dass er einige Sekunden lang sogar dessen Faust in seinem Gesicht erwartete. Dann fiel ihm auf, dass zwischen der ganzen Wut noch etwas anderes in Nicks blauen Augen stand. Nackte Angst. Und zwar um ihn.

»Nick...«

Der schüttelte den Kopf. »Jetzt rede ich!«, murrte er und Adrian war zu verdutzt über den energischen Tonfall, um etwas dagegen zu sagen. »Seit Wochen habe ich mir angesehen, wie du dich immer mehr kaputtmachst, und ich mache das nicht eine Sekunde länger mit. Wir haben gehofft und gebetet, dass du von alleine wieder zu Verstand kommst, aber das hast du nicht getan. Keiner von uns will dich von David fernhalten, aber wenn du nicht selbst einsiehst, dass du zu weit gehst, müssen wir uns eben um dich kümmern, notfalls auch mit sanfter Gewalt, so wie gestern.«

»Gestern?«, fragte Adrian verdutzt dazwischen und Nick verdrehte seufzend die Augen zur Decke, bevor er nickte und von ihm abließ, um sich stattdessen einfach neben ihn zu legen.

»Dein völlig vernachlässigter Körper hat gestern im Krankenhaus die Notbremse gezogen, du blöder Hund. Kannst oder willst du nicht begreifen, dass Will Recht hat? Du musst essen, trinken und wieder regelmäßig schlafen.« Nick sah ihn sehr eindringlich an. »Aber vor allem musst du endlich einsehen, dass du David nicht hilfst, wenn du es ihm nachmachst und in einem Bett im Krankenhaus landest.«

»Ich will doch nur bei ihm sein«, murmelte Adrian und wich Nicks forschendem Blick aus, worauf der seufzte.

»Das kannst du auch. In einigen Tagen wieder. Aber solange wirst du dich einzig und allein um dich kümmern, Adrian.«

Da konnte er sich ja gleich vom Dach stürzen. Hier allein herum zu sitzen und Däumchen zu drehen, war in Adrians Augen noch viel schlimmer, als im Krankenhaus neben Davids Bett zu sitzen und bei jeder Veränderung im Piepen der Maschinen nervös zusammenzuzucken. Wenn er hierblieb, würde er nur über alles nachdenken und sich mit der Zeit eine schlimme Vorstellung nach der anderen ausdenken, was Davids Zustand betraf. Oh nein, das war keine allzu gute Idee.

»Und was soll ich deiner Meinung nach hier bitteschön die ganze Zeit über machen?« Er warf Nick einen finsteren Blick zu. »Lesen? Fernsehen? Während David in diesem Bett liegt und...«

»Hörst du mir eigentlich zu, wenn ich mit dir rede?«, unterbrach Nick ihn mitten im Satz. »Es war nie die Rede davon, dass du hier alleine bleibst und dich vor den Fernseher hocken sollst oder eine Furche nach der anderen in den Boden läufst.« Nick seufzte, als er beleidigt die Lippen zusammenpresste. »Wir kümmern uns um dich und einer von uns wird immer bei David sein. Im Moment ist es Dominic, weil Will und Tris einkaufen sind. Du hast nämlich nur noch sehr merkwürdige Kulturen in deinem Kühlschrank, die kein Mensch essen kann.« Nick grinste frech, als er sich verlegen räusperte. »Deine schlafende Schönheit wird nie allein sein, auch wenn du nicht bei ihm bist, das schwöre ich.«

»Schlafende Schönheit?« Adrian sah Nick irritiert an.

»Das ist er doch für dich, oder etwa nicht?«

Oh oh. Nick wollte mit ihm offensichtlich über seine Gefühle für David reden. Da diskutierte er doch lieber über diese merkwürdigen Kulturen in seinem Kühlschrank. Adrian schüttelte den Kopf, statt auf die Frage zu antworten, und wandte Nick den Rücken zu, worauf der seufzte und ihm ein Mal durch die Haare strich. Er ignorierte Nicks gemurmeltes, »Sturkopf« genauso wie dessen hörbar amüsierten Hinweis, dass er sich mal wieder die Haare schneiden musste. Gegen das Grinsen konnte Adrian allerdings nichts unternehmen, als Nick es natürlich nicht lassen konnte und ihn an den Haaren zupfte, mit dem dazu passenden Kommentar.

Er schnaubte. »Ich bin kein Mädchen.«

»Aber bald. Dann kann ich dir niedliche, rosa Schleifchen in die Haare flechten«, stichelte Nick wie erwartet weiter auf ihm herum.

»Wag' es ja nicht«, grummelte Adrian, unfähig es sein zu lassen, obwohl er ganz genau wusste, dass Nick ihn aus der Reserve locken wollte. »Und hör' endlich auf damit. Ich brauche keine Ratschläge, wie ich...«

»Connor wollte sich umbringen.«

Wie bitte? Adrian drehte sich entsetzt zu Nick. »Wie meinst du das? Wo ist er? Was ist mit...?«

Nicks Finger auf seinen Lippen unterbrach ihn. »Nicht jetzt. Vor ein paar Jahren«, sprach Nick weiter und Adrian wusste im ersten Augenblick nicht, ob er ihm dafür eine reinziehen oder einfach nur erleichtert sein sollte. Wie konnte Nick ihn so erschrecken? Bevor er sich entscheiden konnte, redete Nick jedoch schon weiter. »Das war nach seiner Vergewaltigung. Über die er anfangs genauso wenig reden wollte, wie du über David oder den Tod deiner Eltern. Oder was der Grund dafür ist, dass du seit Jahren lieber eine Affäre nach der anderen hast, als dich...«

Adrian blendete Nicks Stimme aus, als er begriff, was das gerade werden sollte. Warum es hier wirklich ging. Nick wollte nicht nur über seine Gefühle für David reden, er wollte reinen Tisch machen. Über alles. David. Ihre gemeinsame Zeit. Seine Vergangenheit. Das gesamte Paket sozusagen. Dafür würden ein paar Stunden allerdings nicht reichen. Nicht mal im Ansatz. Sie würden mehr Zeit brauchen, um die letzten Jahre zu sortieren. Tage... eher Wochen. Aber warum gerade jetzt? Warum war Nick das auf einmal so wichtig? Vielleicht wegen Tristan? Oder weil es nun David in seinem Leben gab? Adrian wusste es nicht, aber vielleicht hatte Nick Recht. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, dass sie reinen Tisch machten.

»Ich war Siebzehn, als der Anwalt meiner Eltern eines vormittags in meiner Schule auftauchte«, unterbrach er Nick daher mitten im Satz, obwohl er nicht wusste, wovon der überhaupt gesprochen hatte und wartete, bis Nick ihn verblüfft ansah. »Er ließ mich aus dem Unterricht holen und sagte mir vor der Tür, dass meine Eltern beim Absturz eines Flugzeugs gestorben waren. Danach drehte er sich um und ging. Ließ mich einfach da im Flur stehen und ging.« Adrian lächelte traurig, als Nick der Mund offenstehen blieb, und der ihn völlig fassungslos ansah. »Er stand unter Schock. Genauso wie ich danach. Ich weiß nicht, wie ich ihre Beerdigung und die nächsten Jahre überstanden habe, aber mit einundzwanzig erbte ich die Firma und gab die Führung für Geld ab. Statt das Geschäft zu führen, war ich plötzlich Multimillionär und entschied mich ein paar Wochen später, Karriere zu machen und Oberstaatsanwalt zu werden. Und ich wurde Oberstaatsanwalt. Es gab nie ein Zögern oder Innehalten. Ich habe immer bekommen, was ich wollte. Immer. Bis du kamst.«

»Was meinst du damit?«, fragte Nick, als er nichts mehr sagte.

»Du warst der Erste, der sich mir in den Weg stellte. Der wagte, mir ins Gesicht zu lügen. Der beständig seinen Dickschädel an mir ausgetestet hat. Ich war einerseits fasziniert, aber andererseits auch völlig irritiert von dir«, gestand Adrian ein, was er bislang noch nie so direkt in Worte gefasst hatte. Jedenfalls nicht Nick gegenüber. David wusste so einiges aus seinem Leben, aber der war nun mal sein Trey, seine schlafende Schönheit, und nicht Nick. »Du hast mich mit deinem Sturkopf wahnsinnig gemacht.«

»Davon habe ich nichts bemerkt.«

Nick betrachtete ihn gedankenverloren und Adrian lachte leise. »Wie auch? Du hattest genug mit dir selbst zu tun. Und ich war ein Meister darin, mir nichts anmerken zu lassen. Trotzdem konnte ich nicht die Finger von dir lassen und als ich endlich begriff, warum du mich dermaßen irritiert hast, war es zu spät und du hattest dir längst einen Teil meines Herzens unter den Nagel gerissen.«

»Adrian...«, murmelte Nick und rutschte unbehaglich auf dem Bett herum, was ihn grinsen ließ.

»Ja ja«, neckte er ihn. »Erst über den ganzen Gefühlskram reden wollen und jetzt das Loch im Boden suchen.«

»Du bist ein Idiot«, murrte Nick und boxte ihm tadelnd gegen die Schulter, als er wieder lachte. »Das ist überhaupt nicht lustig.« Nick brachte sich mit einem Schnauben über ihn. »Ich war bis über beide Ohren in dich verknallt, du Blödmann!«

»Glaubst du, das weiß ich nicht?«, konterte Adrian in derselben Lautstärke und hebelte Nick von sich herunter, um sich seinerseits auf ihn zu setzen. »Ich hatte auch damals schon Augen im Kopf. Und ich habe es ignoriert. Mit Absicht. Du weißt, warum.« Nick seufzte nur. »Eben. Trotzdem konnte ich einfach nicht anders, als auf dich aufzupassen und mich um dich zu kümmern, sobald du mich gebraucht hast. Ich liebe dich anders als Trey, aber ich liebe dich, und das wird sich auch nie ändern.«

»Oh man.« Nick schloss die Augen.

»Schockiert über soviel Ehrlichkeit?«, wollte Adrian wissen und legte sich wieder hin.

»Ein bisschen«, kam nach einer Weile die ehrliche Antwort, dann drehte Nick sich auf die Seite und schaute ihn an. Direkt, offen und mit einem Lächeln auf den Lippen. »Danke. Einfach für alles.«

»Gern geschehen.«

»Lass uns später weiterreden, ja?«, bat Nick daraufhin und stieg aus dem Bett, um davorstehend auf ihn hinunter zu sehen. »Schlaf jetzt!«

Adrian grinste frech. »Ja, Dad.«

Nick lachte leise. »Du kannst so eine Nervensäge sein, Quinlan.«

»Schließ' nicht immer von dir auf andere, Kendall«, konterte er, was Nick schnauben ließ.

»Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?«

»Natürlich.«

»Adrian!«

»Was denn?«, tat er unschuldig und lachte los, als Nick ihm samt einem frustrierten Stöhnen das Kopfkissen wegzog, um es ihm danach um die Ohren zu hauen, was Adrian sich natürlich nicht gefallen ließ und kurz darauf waren sie wie zwei kleine Kinder in eine Kissenschlacht vertieft. »Du hast es genossen, oder?«, fragte er, als sie schließlich nebeneinander im Bett lagen, beide nach Luft ringend und von Federn umgeben, denn eins der Kissen hatte ihrer albernen Balgerei nicht standgehalten.

»Was meinst du?«, wollte Nick wissen und Adrian schmunzelte.

»Vor nicht allzu langer Zeit war ich an deiner Stelle und habe dir wegen Tristan die Leviten gelesen, schon vergessen?«

Nick lachte leise, bevor er sich über ihn beugte und sagte, »Ja, ich habe es genossen, für dich das Gleiche zu tun, was du damals für mich getan hast.« Adrian lächelte. »Du warst immer mehr für mich, als 'nur' mein bester Freund, großer Bruder und Liebhaber, und ich möchte, dass das so bleibt.«

»Einverstanden.«

 

David war immer noch so blass, so hilflos, so... leblos. Es fiel Adrian von Tag zu Tage schwerer, den Anblick zu ertragen, aber er konnte sich auch nicht von seiner schlafenden Schönheit, wie Nick David so passend genannt hatte, fernhalten. Er musste einfach bei ihm sein, solange seine unnachgiebigen Aufpasser ihn ließen. Seit einer Woche durfte er mittlerweile wieder neben Davids Bett sitzen und Adrian würde alles dafür tun, dass das auch so blieb.

Gestern Abend hatte er Cameron kennengelernt, Davids zukünftigen Physiotherapeuten, und wenn der immer so lebhaft war, wie er sich ihm vorgestellt hatte, würde David bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Bett springen, um dem blondgelockten Kerl, dessen Mund nie stillzustehen schien, zu entkommen. Adrian grinste bei der äußerst amüsanten Vorstellung und seufzte im nächsten Moment. Wenn David doch nur endlich aufwachen würde. Denn das musste er tun, um aus dem Bett springen zu können, und nachdem, was er mittlerweile über die schweren Verletzungen wusste, die David erlitten hatte, würde der vorerst nicht einmal laufen können, geschweige denn springen.

»Wann lässt du mich wieder in deine Augen sehen?«, flüsterte er leise und nahm Davids kühle Hand in seine. »Ich will dir doch noch soviel sagen, dir soviel zeigen. Was soll denn aus Minero werden, wenn du stirbst? Und aus diesen Sturköpfen da draußen im Flur, die mir das Leben schwermachen. Und du musst mir außerdem noch Shannon vorstellen, schon vergessen? Dein Musiker macht mich mindestens um einen Kopf kürzer, wenn ich dich nicht heil hier herausbringe. Gib nicht auf, hörst du? Nimm mir nicht die Chance, dir zu sagen, dass ich dich liebe.«

Adrian bemerkte den leichten Druck um seine Hand herum im ersten Moment gar nicht, aber als ihm dann bewusst wurde, dass er es sich nicht einbildete, sondern dass David wirklich auf ihn reagiert und vielleicht sogar seine Worte gerade gehört hatte, hielt ihn nichts mehr auf seinem Stuhl. Er ignorierte das Klappen der Tür, als just in dem Moment jemand ins Zimmer kam. Es war Nick. Adrian erkannte ihn an seinen Schritten, während er sich vorbeugte.

»Ich weiß nicht, ob du mich wirklich hören kannst, aber wenn du es tust, dann hör' mir jetzt gut zu«, bat er, bevor er lächelte und David ins Ohr flüsterte, »*Te amo. Te deseo. Me antojis.«

»Wirst du ihm sagen, was das heißt?«, fragte Nick leise hinter ihm und Adrian setzte sich zurück auf den Stuhl, um sich mit Blick auf David die müden Augen zu reiben. »Zeit zu gehen«, meinte Nick daraufhin, dem seine Geste natürlich nicht entgangen war.

»Ich komme gleich«, wehrte er wie üblich ab, um wenigstens noch ein paar Minuten herauszuschlagen. »Nur fünf Minuten, bitte.«

Nick würde sie ihm gewähren. Das tat er immer, seit sie letzte Woche diese Vereinbarung miteinander getroffen hatten. Aber Adrian war auch klar, dass das nur solange galt, wie er nicht versuchte, aus den fünf Minuten zehn zu machen. Nicht bei Nick. Bei Dominic schaffte er es manchmal, zehn Minuten herauszuschlagen, während Tristan ihm nicht mal die fünf gewährte. Da war er genauso eisern wie sein Vater Will. Aber Adrian hatte sich damit arrangiert, dass die Vier auf ihn aufpassten.

Nick kam schweigend zu ihm und hockte sich neben den Stuhl, auf dem er saß, um zu ihm aufzusehen. »Wirst du ihm sagen, dass du ihn liebst?«

Adrian wusste, was Nick damit eigentlich sagen wollte, auch wenn er es durch die Blume verpackt fragte. Nick machte sich Sorgen. Um David genauso wie um ihn, weil er längst begriffen hatte, wie sehr David an ihm hing und weil er natürlich wusste, wie schnell Adrian vor solchen Gefühlen bisher geflüchtet war. Aber nicht dieses Mal. Nicht bei seiner schlafenden Schönheit. David war anders. Er war etwas Besonderes. Das hatte Adrian schon bei ihrem Kennenlernen gewusst, auch wenn er etwas Zeit gebraucht hatte, um sich das auch einzugestehen.

»Es hat mir eine Heidenangst eingejagt«, murmelte er und schaute Nick an, der zufrieden lächelte, was ihm mehr sagte, als tausend Worte. »Wie lange weißt du eigentlich schon, dass ich ihn liebe?«

»Es war offensichtlich«, beantwortete Nick ihm die Frage in den gleichen Worten, wie er sie damals bei dessen Frage wegen Tristan benutzt hatte, was Adrian unwillkürlich grinsen ließ. »Genauso offensichtlich wie die Tatsache, dass David dich liebt.« Nick zwinkerte ihm zu. »Aber ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du natürlich ewig und drei Tage darüber grübeln musstest, was das für dich bedeuten könnte, darum habe ich auch nichts dazu gesagt. Bisher zumindest, denn wenn du das versaust und ihm wehtust, reiß' ich dir den Arsch auf.«

»Und wenn er mir wehtut?«, fragte Adrian leise und sprach damit das erste Mal aus, dass er genau davor Angst hatte. Zu lieben und dann verletzt zu werden. »Ich fürchte mich zu Tode, Nick.«

»Ich weiß. Aber du schaffst das. Das tust du immer. Und wenn die schlafende Schönheit dir wehtut...« Nick sah zu David. »Dann reiße ich ihm genauso den Arsch auf.« Adrian musste gegen seinen Willen lachen, worauf Nick ihn wieder amüsiert ansah und aufstand, um ihn dabei gleichzeitig vom Stuhl hochzuziehen. »Los Abmarsch. Die fünf Minuten sind um.«

Adrian seufzte nachgebend und wandte sich David zu, um ihm einen sanften Kuss auf die Stirn zu geben. »Wir sehen uns morgen, meine schlafende Schönheit.«

 

 

 

*Te amo – Ich liebe dich.

*Te deseo – Ich begehre dich.

*Me antojis – Ich sehne mich nach dir.

 

 

Leben und leben lassen

 

Nick hat in seinem Leben ja schon so einige Probleme gemeistert, aber dass er sich tatsächlich gegen eine von Vorurteilen belastete Frau stellen muss, die es mit dummen Beleidigungen geschafft hat, Tristan völlig zu verunsichern, damit hätte er niemals gerechnet.

 

 

Nick fuhr erschrocken zusammen, als Tristan überraschend in sein Büro gerannt kam und die Tür hinter sich zuwarf, noch bevor Linda, die gerade hinter ihm aufgetaucht war, eine Gelegenheit hatte, ihm zu sagen, was überhaupt los war. Er sah Tristan überlegend an. War der auf ihn sauer? Und wenn ja, warum? Nick wollte nämlich partout nichts einfallen, das er in letzter Zeit angestellt hatte. Ob ihre Hunde wieder versucht hatten, das Haus auseinanderzunehmen? Konnte aber eigentlich nicht sein, dass hätten sie doch mitbekommen.

Er sah zu den Hundedamen hinüber, die ihn durch halboffene Augen ansahen. Die Zwei hatten in der Kanzlei nicht grundlos einen Platz an seinem Büro bekommen, denn das man Hunde nicht einfach tagsüber zu Hause lassen konnte, hatten Tristan und er schmerzhaft lernen müssen. Schmerzhaft im Bezug auf ihre Geldbeutel, denn das kaputte  Mobiliar in ihrem Haus zu ersetzen, war ihnen auf Dauer einfach zu teuer geworden. Ganz zu schweigen von dem Trotzverhalten, dass die Racker mit der Zeit an den Tag gelegt hatten. Daher waren Emma und Tasha sowohl in seiner Kanzlei, als auch bei Tristan im Theater mittlerweile Dauergäste, denn sie zu Hundesittern zu geben, hatten Tristan und er einfach nicht übers Herz gebracht.

Tasha gähnte ihn an und Emma versteckte ihre Schnauze unter der Pfote, was Nick innerlich lachen ließ. Sie wussten genau, weshalb er sie im Moment ansah, das wussten die zwei Rotznasen immer, und daher sparte sich Nick jedes Wort dazu und besonders auch jedes Geräusch, denn das hätte Tristan in seiner miesen Laune vermutlich völlig missverstanden. Was war denn nur passiert?

»Diese dämliche Pute«, schimpfte Tristan in der Sekunde los, als er nachfragen wollte. »Was denkt die, wer sie ist?«

Tristan begann vor seinem Schreibtisch auf und ab zu marschieren und als Nick sah, wie Linda vorsichtig zur Tür reinschaute, Adrian im Gepäck, der mit gerunzelter Stirn auf die Szenerie blickte, die Tristan und er im Moment boten, winkte er leicht ab, um zu zeigen, dass alles in Ordnung war. Beide nickten und ließen ihn mit seinem wütenden Freund alleine, der just in der Sekunde direkt vor seinem Schreibtisch stehenblieb, die Hände in die Seiten stemmte und ihn fuchsteufelswild ansah.

»Ich könnte es ja verstehen, wenn ich sie deinetwegen verlassen hätte, aber das habe ich nicht. Wir hatten nur eine kleine, nette Affäre und das war vor... vor... ach, was weiß ich, wann das war.« Tristan wedelte mit einer Hand in der Luft herum und fing wieder an vor seinem Schreibtisch auf und abzulaufen. »Ich meine, schreie ich dich wegen deiner ehemaligen Affären an? Nein. Also was bildet dieses bescheuerte Weib sich ein, mich einen... einen...«

Tristan verstummte, sah ihn kurz an und drehte ihm danach abrupt den Rücken zu, um sich seufzend gegen den Schreibtisch zu lehnen. Aber da wusste Nick längst, was passiert war. Tristans verletzter Blick eben hatte ganze Bände gesprochen. Er kannte zwar noch keine Details, doch darauf gewartet hatte er im Stillen schon eine ganze Weile. Er ließ die Akte, an der er bis eben gearbeitet hatte, Akte sein und stand auf, um um den Schreibtisch herumzugehen, damit er Tristan ansehen konnte, der jedoch lieber den Teppich anstarrte.

Nick überlegte. Wie konnte er jetzt am Besten sagen, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen war, bis Tristan damit konfrontiert werden würde, dass eben nicht jeder Mensch der Liebe zwischen zwei Männern offen gegenüberstand. Die Welt war nun mal nicht perfekt und die Menschen in ihr waren es noch viel weniger. Und das wusste Tristan eigentlich. Theoretisch zumindest. Praktisch gesehen hatte er bislang einfach das Glück gehabt, von Menschen umgeben zu sein, denen es schlichtweg gleichgültig war, wen er liebte. Genauso wie es eigentlich sein sollte, aber nun mal nicht war. Leider. Nick seufzte innerlich.

»Wie hat sie dich genannt?«, fragte er leise. Tristan verzog das Gesicht und schwieg. »Wie, Tris?«

»Nicky...«

»Raus damit«, bat er und strich Tristan dabei durch die Haare. »Oder soll ich es dir sagen?«, setzte er nach und hätte Tristan am liebsten in die Arme genommen, um ihn für alle Zeit vor Menschen zu verstecken, die Männer wie sie für abartig oder gar Schlimmeres hielten, aber das war ein Wunschtraum und brachte rein gar nichts. »Lass mich raten... Schwanzlutscher? Arschficker? Schwuchtel? So etwas in der Art?«

Tristan nickte schweigend und sah dabei so unglücklich aus, dass Nick gar nicht anders konnte, als ihn in die Arme zu nehmen und zu küssen, bevor er sagte, »Lass sie doch.« Tristan sah ihn ungläubig an, was Nick fast zum Lachen brachte. Aber nur fast, denn dazu war diese Situation einfach zu ernst. »Du kannst es nicht jedem recht machen, Tris, und schon gar nicht Menschen wie dieser... wie heißt sie eigentlich?«

»Kathryn Matthews«, murrte Tristan und sah wieder zu Boden. »Ich schätze, ich hätte sie damals nicht so abservieren sollen.«

Aha, daher wehte also der Wind. »Sie hat sich ernsthaft für dich interessiert, oder?« Tristan nickte ein weiteres Mal, was Nick zum zweiten Mal innerlich aufseufzen ließ. »Dann kannst du es ihr noch weniger recht machen. Du hast sie verletzt und jetzt hatte sie die Chance auf eine Retourkutsche.«

»Du glaubst, das war Absicht?«, fragte Tristan verblüfft.

Nick zuckte die Schultern. »Es wäre zumindest möglich, oder etwa nicht? Und seien wir ehrlich. Wie würdest du dich fühlen, wenn ich dich für eine Frau verließe?« Tristan klappte die Kinnlade runter, was ihn nicken ließ. »Eben. Rache aus verletztem Stolz heraus, bringt pro Jahr allgemein mehr Menschen ins Grab, als es Unfälle wegen Alkohol am Steuer tun... Lass mich ausreden!«, verlangte er, als Tristan widersprechen wollte. »Ich will nicht kleinreden, was sie gesagt hat, oder es damit entschuldigen, aber direkt gefragt, was kümmert dich, was diese Kathryn über dich sagt oder denkt? Das zwischen euch ist ewig her... wie schon gesagt, lass sie doch.«

Tristan schüttelte den Kopf. »Kann ich nicht.«

Das Gegenteil hätte ihn auch gewundert. Nick sagte nichts dazu, sondern drückte Tristan stattdessen liebevoll an sich. »Glaubst du denn, mir wäre so etwas nie passiert? Oder Connor? Daniel? Adrian? Ich glaube, es gibt keinen Schwulen oder überhaupt niemanden, der ein anderes Leben führt, als sogenannte 'Normalos', der irgendwann in seinem Leben deswegen nicht dumm angemacht wird. Im Gegenteil, das passiert doch andauernd. Auf die Art wie es dir heute passiert ist, oder im schlimmsten Fall landen die Menschen im Krankenhaus, weil sie nicht zur Norm gehören und deshalb verprügelt werden.« Er suchte Tristans Blick. »Du hast soviel Glück mit deiner... unserer Familie, unseren Freunden und allgemein. Warum legst du überhaupt irgendeinen Wert auf das Wort einer Person, die schon längst nicht mehr zu deinem Leben gehört?«

Nick konnte förmlich sehen, wie es hinter Tristans Stirn heftig zu arbeiten begann und genau das hatte er erreichen wollen. Leute wie diese Kathryn, gab es wie Sand am Meer und es wurde Zeit, dass Tristan sich damit auseinandersetzte. Nur so würde er eines Tages mit einem Schulterzucken auf dämliche Kommentare reagieren, denn mehr verdienten Menschen nicht, die sich anmaßen wollten, darüber zu urteilen, wer wen zu lieben hatte oder eben nicht. Nick selbst hatte es nicht anders gelernt und wo bei ihm Adrian dagewesen war, um ihm die Augen zu öffnen, würde er für Tristan da sein und ihm helfen. Auch wenn er es einerseits schade fand, den aus seiner bislang heilen Welt herausreißen zu müssen, was Vorurteile dieser Art betraf, war es andererseits besser, dass Tristan es so lernte, dass nicht jeder nach dem Motto, 'Leben und leben lassen' lebte, als auf die harte Tour.

»Komm, lass uns was essen gehen«, schlug er vor, um die Stimmung ein wenig aufzulockern und Tristan auf andere Gedanken zu bringen.

»Und deine Arbeit?«, fragte Tristan verblüfft, weil es nicht mal drei Uhr nachmittags war und er im Normalfall nicht vor sechs oder sieben Uhr aus dem Büro kam.

Nick grinste und zuckte die Schultern. »Der Fall ist morgen auch noch da.« Dann fiel ihm ein, womit er Tristan in jedem Fall ködern konnte. »Außerdem hatte ich eh noch keine Mittagspause.«

Und wie erwartet sah Tristan ihn sofort tadelnd an. »Nick!«

»Ich hab's vergessen«, gab er sich unschuldig, obwohl Nick sehr wohl wusste, dass ihm das wieder Ärger einbringen würde, denn seit Tristan bemerkt hatte, dass er das regelmäßige Essen immer wieder vergaß, hatte er ein Auge darauf. Tristan war eben durch und durch der Sohn eines Arztes und Nick störte auch nicht, wenn Tristan in der Mittagspause mit etwas zu essen in die Kanzlei platzte. Und im Moment war ihm beinah jedes Mittel Recht, um Tristan von seiner Ex abzulenken. Selbst wenn er dafür einen Anschiss kassierte. »Also? Gehst du nun mit mir essen oder nicht?«

»Irgendwann vergisst du noch mal deinen Kopf.« Tristan schnaubte. »Ja, ich gehe mit dir essen«, erklärte er dann und sah in Richtung Tasha und Emma. Er brauchte nur zur Tür zu deuten und schon waren die Racker aufgesprungen und eilten zu selbiger. Tristan grinste ihn verschmitzt an und Nick ahnte, was gleich kam. »Warum bist du eigentlich nicht so gut erzogen?«

»Tristan!«

Der lachte schallend und streckte ihm dann frech die Zunge raus, bevor er sich abwandte, um die Leinen der Hunde von ihrem Haken an der Wand zu holen, damit sie los konnten. Nick seufzte und grinste zugleich, während er seinen Laptop ausschaltete und sich dabei das Jackett überzog, um danach Tristan zu folgen, der sein Büro längst verlassen hatte und draußen mit Adrian redete. Nick hörte nur das, »Immer weiter üben, irgendwann spurt er schon«, von Adrian, um mit einem Seufzen den Kopf zu schütteln. Wer solche Freunde hatte, der brauchte echt keine Feinde mehr.

 

Drei Tage später wusste Nick, dass sein Ablenkungsmanöver nichts bewirkt hatte. Tristan grübelte immer noch über seine Ex nach. Die erste Woche sagte er nichts. Auch die nächste schwieg Nick und sah sich das Ganze einfach nur an. Doch je mehr Tage vergingen, desto häufiger schien Tristan in der Gestik und Mimik, die die Menschen um ihn herum hatten, etwas zu suchen, was überhaupt nicht da war. Ablehnung. Am Anfang der dritten Woche sprach David ihn bei einem gemeinsamen Abendessen mit Adrian schließlich darauf an, um ihn zu fragen, wie lange er sich das Elend tatenlos ansehen wollte.

Da hatte er allerdings längst die Fühler ausgestreckt und Adrian gebeten, ein bisschen zu schnüffeln, was Kathryn Matthews anging. Wozu hatte der schließlich Verbindungen im ganzen Land? Und Adrian wurde auch ruckzuck fündig, was ihn nach dem Durchlesen der Daten, die sein bester Freund über Kathryn gesammelt hatte, dazu brachte, Tristan eines Abends im Theater abzuholen und mit ihm ein kleines Diner zu besuchen, das praktischerweise gegenüber eines Kinos lag. So schöpfte Tristan bei seiner Einladung keinerlei Verdacht, da er ihn vorher in einen Film schleppte.

Adrian hatte wie immer perfekt recherchiert, denn sie hatten im Diner gerade einen Tisch belegt, als Tristans Ex-Affäre auch schon durch die Tür trat, denn laut Adrian ging sie hier nach Feierabend regelmäßig essen. Kathryn sah fast genauso aus, wie er sie von den Fotos in Erinnerung hatte, die Adrian ebenfalls besorgt hatte. Ein  Businesskostüm, ihre brünetten Haare in einen Zopf gebunden, hatte sie das Handy in einer Hand und in der anderen eine Aktentasche. Die typische Karrierefrau, die für ihre Arbeit auf Mann und Kinder verzichtet hatte. Nick verurteilte sie deshalb nicht, das war ihre Sache, aber es ärgerte ihn, dass diese Frau tatsächlich geschafft hatte, Tristan mit ihren Vorurteilen so zu verunsichern.

Bevor er etwas sagen konnte, zuckte Tristan neben ihm zusammen. Nick schaute zu ihm und Tristans Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er am liebsten aus dem Diner geflohen wäre. Nick konnte sich gerade so davon abhalten, zu schnauben und den Kopf zu schütteln. Tristan war nie unsicher gewesen, was ihre Beziehung und überhaupt die Tatsache, dass er Männer liebte, betraf und dann kam einfach diese Frau daher und...

»Ich will ja nicht eingebildet klingen, aber dein Geschmack hat sich in letzter Zeit beträchtlich gebessert«, meinte er lässig und zugleich auch ein bisschen verärgert. Tristan sah ihn erst völlig verdattert an, aber dann begriff er und wie er begriff.

»Du verdammter Mistkerl. Wie konntest du...?«

»Tristan?«

Sie sahen zu Tristans Ex und deren Blick war... Nick konnte sich das Lachen nur mit Müh und Not verkneifen, denn Miss Spießerin war eindeutig überfordert, ihn nah bei Tristan sitzen zu sehen. Wieso wunderte ihn das eigentlich nicht? Das war so typisch für Menschen wie diese Kathryn, die normalerweise nur eine große Klappe hatten, wenn entweder kein Zeuge ihre Worte hören konnte oder wenn sie mit gleichgesinnten Spinnern im Rudel auftraten.

Zeit für Plan A, entschied Nick und dankte Adrian im Stillen für dessen Tipp, auch wenn er etwas verrückt war und Tristan ihn dafür später vermutlich umbringen würde. Aber wenn es funktionierte, und davon ging Nick aus, würde es Tristans Ärger wert sein. Nick griff nach Tristans Hand, um diese liebevoll zu drücken, worauf Tristan ihn erst mal verdutzt ansah, aber schon im nächsten Moment weiteten sich seine Augen begreifend. Er fackelte nicht länger, sondern zog seinen Freund an sich und küsste ihn. Tristan verspannte sich wie erwartet, doch Nick ließ nicht von ihm ab und dabei kam ihm wieder einmal zugute, wie gut er Tristans Körper und dessen Reaktion auf bestimmte Berührungen seinerseits mittlerweile kannte und eben das nutzte Nick voll aus, indem er Tristan zusätzlich zu seinem Mund auch mit seiner freien Hand zu streicheln begann, bis Tristan sich ihm mit einem heiseren Stöhnen entgegen schob.

»Das gibt Rache«, schimpfte Tristan halbherzig, als Nick von ihm abließ und boxte ihm dafür in den Bauch, was Nick mit einem »Uff« kommentierte, bevor er frech grinste und zu Kathryn schaute, die, genau wie er gehofft hatte, dastand und sie beide mit offenem Mund anstarrte.

»Sorry, Schätzchen, aber das ist meiner«, erklärte Nick mitsamt einem triumphierenden Grinsen, was Tristan neben ihm stöhnen ließ. Er ignorierte ihn und setzte noch süffisant hinterher, »Dir fehlt da ein entscheidendes Körperteil, um ihn zufriedenzustellen.«

Ohrenbetäubendes Schweigen legte sich über das Diner, bis eine junge, Kaugummi kauende Bedienung mit der Kaffeekanne in der Hand, die einem anderen Kunden eben hatte nachschenken wollen, zu lachen anfing. Und kurz darauf lachten so gut wie alle Gäste im Diner und die Ausnahmen, die genauso verblüfft auf Tristan und ihn starrten wie Kathryn es tat, waren ruckzuck verschwunden, während Tristans Ex-Affäre noch immer damit beschäftigt war, sich von dem Anblick zu erholen. Und das dauerte der Bedienung eindeutig zu lange.

»Du hast ihn gehört, Schätzchen, der hübsche Kerl ist vergeben. Leider, muss ich dazu noch sagen.« Die Frau grinste ihn frech an und Nick grinste zurück, worauf sie sich wieder an Kathryn wandte und fragte, »Also? Kann ich dir jetzt was bringen oder nicht?«

Statt einer Antwort rauschte Tristans Ex aus dem Diner, was Nick mit einem Augenverdrehen und einem Kopfschütteln zur Kenntnis nahm und zu Tristan sah, während sich die übrigen Gäste im Diner wieder ihrem Essen zuwandten. Nick stutzte, als ihm auffiel, dass Tristan sein Gesicht hinter den Händen vergraben hatte und seine Schultern leicht bebten. Er bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Hatte er es mit dem letzten Satz vielleicht doch zu weit getrieben?

»Tris...«, fing er leise an, um sich irgendwie zu entschuldigen, als der plötzlich die Hände wegnahm und da sah Nick, dass Tristan lachte. Er lachte so sehr, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. »Alles okay?«, fragte er und musste grinsen.

»Ja.« Tristan lehnte sich lachend gegen ihn. »Weißt du, Kendall, ich wusste schon immer, dass du einen Knall hast, aber das gerade toppt echt alles.«

»Ähm, Danke?« Tristan boxte ihm erneut in den Bauch. »Aua.«

»Du bist unmöglich«, murmelte Tristan zwischen Lachen und Luft holen und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. »Wir hätten für die Nachwelt ein Foto von ihrem Gesichtsausdruck machen sollen. Zu herrlich. Gott, ich liebe dich, du verrückter Kerl.«

»Du bist nicht sauer?«, fragte er sicherheitshalber nach und zog Tristan sanft an den Haaren, worauf der grinsend zu ihm aufsah und den Kopf schüttelte. »Wirklich nicht?«

»Wirklich nicht«, wiederholte Tristan sichtlich belustigt, bevor er mit verstellter Stimme sagte, »Dir fehlt da ein entscheidendes Körperteil, um ihn zufriedenzustellen... Das war so...« Tristan schüttelte erneut den Kopf und warf ihm einen auffordernden Blick zu. »Wir sollten nach Hause fahren, Nicky. Jetzt!«

»Und was ist mit dem Essen?«, fragte Nick überrumpelt, aber als Tristan im nächsten Moment schmutzig zu grinsen anfing, nickte er. »Okay, wir gehen. Essen wird eh überbewertet.«

»Genauso wie Schlaf und den wirst du heute Nacht nicht haben«, murmelte Tristan und sah betont unauffällig auf seine Körpermitte.

»Tris...«, mahnte Nick leise, was den allerdings nicht die Bohne kümmerte, so wie er sich gerade die Lippen leckte. Nick räusperte sich und griff seinen Mantel. »Ich bezahle schnell und dann können wir gehen.«

»Gehen?« Tristan machte ein Geräusch, das wie ein genüssliches Schnurren klang. »Muss man denn nicht erst mal kommen, um gehen zu können?«

Nick spürte wie er rot anlief und beeilte sich, aus der Sitzecke aufzustehen, um zu bezahlen, bevor Tristan noch beschloss, gleich hier und jetzt unanständig zu werden. Irgendwie hatten sie gerade die Rollen getauscht. Ach du liebe Güte. Im nächsten Augenblick grinste er, als ihm wieder einfiel, was Tristan in ihrer Nacht der ersten Male mit ihm alles angestellt hatte. Oh ja, er würde morgen garantiert nicht vernünftig auf dem Stuhl sitzen können und Adrian würde ihn auslachen, sobald er den Grund dafür erfuhr. Aber allein die Erinnerung an Tristans Anblick über sich und wie der...

»Aber aber, Herr Anwalt, doch nicht hier«, flüsterte Tristan ihm auf einmal von hinten ins Ohr und lachte leise, als er erschrocken zusammenzuckte. »Ich zahle. Hol du lieber den Wagen.«

Das musste Tristan ihm nicht zweimal sagen. Gott sei Dank hatte er mittlerweile seinen Mantel übergezogen, sonst hätte jeder Gast im Diner jetzt sehen können, was mit ihm los war.

»Nick?« Er sah fragend zu Tristan, der sich darauf zu ihm beugte und ihm ins Ohr flüsterte, »Du kannst es dir aussuchen, ob du erst zu Hause oder lieber gleich im Wagen kommen willst.«

Tristan wandte sich mit einem triumphierenden Lächeln ab, und während Nick ihm hinterher starrte, als wären Tristan eben Hörner auf der Stirn gewachsen, spürte er, wie sein Körper sich in freudiger Erwartung anspannte. Himmel, er musste hier raus. Sofort. Und noch während er zur Tür strebte, hörte er Tristans Lachen hinter sich. Sein Freund war unmöglich, wirklich komplett unmöglich – und Nick konnte es kaum noch erwarten, dass er sein Angebot draußen im Wagen in die Tat umsetzte.

 

 

Ein kurzer Moment

 

Oftmals reicht schon ein kurzer Moment, um das eigene Leben vom Himmel auf Erden in eine sprichwörtliche Hölle zu verwandeln. Doch keine Hölle hat auf Dauer bestand. Irgendwann findet jeder Alptraum sein Ende. Es fragt sich nur, ob einem dieses Ende dann auch gefällt.

 

 

Es war doch nur Nebel.

Ein dicker, undurchsichtiger Nebel, der sich plötzlich in dieser Senke auf dem Highway bildete und den Autofahrern keinerlei Chance ließ, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Nur sechs Fahrer der insgesamt vierzig involvierten Wagen bei der Massenkarambolage konnten sich aus ihren Autos retten, als am Ende ein Vierzigtonner in die Wagenschlange raste und die einzelnen Autos innerhalb von Sekunden auf die Größe von Streichholzschachteln zusammenschob.

Connor war keiner von den Glücklichen, die sich retten konnten. Er gehörte mit zu jenen fünf, die auf dem Weg in die umliegenden Krankenhaus starben. Zwölf Schwerverletzte, vier Tote und Unmengen zerstörter Autos waren das Ergebnis dieses gottverdammten Nebels, der vor nun mehr zwei Monaten mein Leben zerstört hat. Dabei hatte Connor nur Mareike vom Flughafen abholen wollen, weil ich arbeiten musste. Er war dafür dreimal gestorben. Einmal auf dem Highway und zweimal im Krankenwagen. Jetzt liegt er im Koma und kein Arzt kann mir sagen, ob er daraus jemals wieder aufwachen wird.

Alles nur meinetwegen, weil ich arbeiten musste.

Ein Schädeltrauma, beide Beine gebrochen, vier Rippen, der linke Arm und die Schulter, eine gerissene Milz, eine verlorene Niere und unzählige Schnittwunden von den geborstenen Scheiben des Autos über den ganzen Körper verteilt. Das haben mir seine Ärzte gesagt, als sie nach zwanzig Stunden aus dem Operationssaal kamen, mit der Nachricht, dass Connor zwar lebt, aber im Koma liegt.

Und das tut er immer noch. Er liegt da in diesem Bett mit weißer Bettwäsche, umgeben von unzähligen, piepsenden Geräten, die seine Lungen mit ausreichend Sauerstoff versorgen und ihn damit am Leben halten. Ein Leben, von dem keiner weiß, ob es überhaupt noch eines ist. Die ersten Tage habe ich Connor nur angestarrt. Ich konnte einfach nicht glauben, was ich sah. Es fällt mir sogar heute noch ab und zu schwer. Connor erinnert mich so sehr an mich selbst, als ich damals nach meiner Entführung im Krankenhaus aufwachte und es ist nicht leicht, mit diesen Erinnerungen umzugehen. Es gibt Tage, da gelingt es mir nicht und ich bringe es nicht über mich, Connors Zimmer zu betreten, obwohl ich mich dafür schäme. An solchen Tagen stehe ich Stunde um Stunde vor der Scheibe, die ihn von mir trennt und sehe zu, wie die Maschinen für ihn atmen, weil er selbst es nicht kann. Vielleicht nie mehr können wird.

Seine Verletzungen sind mittlerweile gut verheilt. Die Brüche in seinen Beinen brauchen noch Zeit, aber im Großen und Ganzen geht es Connors Körper wieder gut. Wie es mit seiner Persönlichkeit und vor allem seinem Gehirn aussieht, das weiß keiner. Das Trauma ist weg, die Schwellung in seinem Kopf ebenfalls. Seine Ärzte wissen nicht, warum er weiterhin im Koma liegt und sie wissen auch nicht, ob er sich, sollte er jemals wieder aufwachen, überhaupt an etwas erinnern kann. Sie machen ständig neue Tests mit ihm, bislang ohne Erfolg. Seit zwei Monaten liegt Connor einfach so da und schläft einen Schlaf, der ihn irgendwann wohl umbringen wird.

Und alles nur meinetwegen, weil ich arbeiten musste.

Vor zwei Monaten ist meine kleine, heile Welt zusammengebrochen und seither steht sie still. Mein Leben ist ein ständiger Wechsel zwischen der Arbeit, dem Krankenhaus und Connors ehemaligem Zimmer geworden. Ich funktioniere, dafür sorgen Will und Rachel, denn bei ihnen lebe ich seither und sie kümmern sich auch um Zeke, weil mir die Kraft dafür fehlt, aber alles andere gibt es nicht mehr. Keine Spaziergänge im Mondschein, kein langer Kinoabend mit Shane, keine Treffen mit Tristan und Nick oder David und Adrian.

Aber sie sind da. Die Familie und unsere Freunde. Sie sind immer da. Wechseln sich ab. An jedem Wochenende und auch zwischendurch. Sie regen mit Mareike, die sich um Connors und mein Haus kümmert, sie reden über Connor, sofern es etwas Neues zu bereden gibt, aber vor allem reden sie in letzter Zeit über mich.

Sie machen sich Sorgen und ich weiß warum. Es gibt Anzeichen und ich war früher lange genug ein seelisches Wrack, um zu begreifen, dass ich in großen Schritten auf einen Zusammenbruch zusteuere. Will beobachtet mich regelmäßig. Wann er damit angefangen hat, ist mir entgangen, bemerkt habe ich es erst vor einigen Tagen. Ich war mir anfangs nicht einmal sicher, ob ich mir seine Blicke nicht nur einbilde, aber gestern Abend saß Nick neben Will und Rachel in der Küche am Tisch, als ich von der Arbeit kam, und da wusste ich es. Als ich Nick auf Connors Platz sitzen sah, eine Kaffeetasse in der Hand und sein mitfühlender Blick auf mich gerichtet, wurde mir klar, dass er weiß, dass ich mir die Schuld gebe.

Ich gebe mir die Schuld an Connors Unfall. An etwas, das niemand beeinflussen kann. An miesen Umständen, wie dem verdammten Nebel, und der Tatsache, dass Mareike genau an diesem Morgen hier landen und abgeholt werden musste. Mareike. Die seit zwei Monaten bei uns ist und mit der ich keine zehn Worte gesprochen habe. Meine eigene Schwester. Die sehr lange Zeit glaubte, dass ich tot bin, weil ich vor vielen Jahren aus purer Angst meine Heimat verlassen habe, um hier wieder neu anzufangen. Das habe ich auch getan. Ich habe ein neues Leben begonnen und ich habe Connor gefunden. Jenen Mann, den ich mit allem liebe, was ich bin, und von dem ich bislang dachte, dass wir zusammen alt werden würden. Kitschig, nicht? Stattdessen werde ich wohl allein alt werden. Allein. Eine Vorstellung, die so fürchterlich für mich ist, dass sie mir langsam aber sicher meine Kehle abschnürt.

Niemand hat es laut zu mir gesagt, aber ich habe Ohren und auch wenn ich derzeit völlig übermüdet bin, laut Will schon wieder viel zu dünn und überhaupt völlig fertig, kann ich immer noch hören und das gut. Ich habe gehört, als ich gerade auf dem Weg nach Hause war, wie sich zwei Krankenschwestern während einer Raucherpause draußen in strömendem Regen darüber unterhalten haben, dass die Ärzte darüber nachdenken, Connors lebenserhaltende Maschinen abzuschalten. Ihn einfach sterben zu lassen, als wäre er nur noch ein Ding. Eine Lampe mit einem Ein- und Ausschaltknopf.

Unnütz. Sinnlos. Ohne eine Funktion. So wie ich. Mein Leben ist zu einem zerstörten Etwas geworden und ich finde keinen Anfang, um es wieder zusammenzusetzen. Ich müsste mit Mareike reden, aber ich tue es nicht. Ich müsste mehr essen, aber ich schiebe es andauernd nur auf dem Teller herum. Ich müsste schlafen, stattdessen liege ich wach oder schrecke schreiend aus Alpträumen hoch, in denen ich eine rote Rose auf Connors Sarg lege. Ich bin wie eine Maschine im Automatikmodus. Ich tue, was ich tun muss, aber mehr auch nicht. Genau wie Connor, der dort in diesem weißen Bett liegt und stirbt.

»Welcher Tag ist heute?«

Welcher Tag? Wen interessiert das? Montag, glaube ich. Oder doch schon Dienstag? Wieso will Nick das wissen? Wie kommt er überhaupt in mein Zimmer? Moment, es ist Connors Zimmer. Ich bin nur Gast hier. Ob ich ihn wohl loswerde, wenn ich es ihm sage? »Dienstag«, rate ich ins Blaue hinein und wundere mich, als er mir dafür einen Schlag gegen die Schulter verpasst, der mich fast vom Bett fegt. Ich weiß nicht mal, seit wann ich hier sitze.

»Rate noch mal«, fordert Nick sehr ernst und hockt sich vor mich, um mich anzusehen. Sein Blick ist irgendwie seltsam und er macht mir Angst. Irgendetwas stimmt nicht. »Du könntest allerdings auch gleich zugeben, dass du es nicht weißt.«

Ich weiß es wirklich nicht, aber das zugeben? Kommt nicht in die Tüte. Auch wenn ich wohl nur noch ein Schatten meiner selbst bin, Stolz ist noch da. Nicht viel, aber ich habe ihn noch. Irgendwo in mir drin, in dieser Ruine, die mal mein Körper gewesen ist. Connor würde mir was erzählen, wenn er meine Gedanken hören könnte. Aber das kann er nicht. Er kann nichts mehr. Connor schläft und wird es auch für immer tun. Wenn nicht freiwillig, werden die Ärzte schon dafür sorgen und ihn mir wegnehmen. Und dann muss ich wirklich mit einer roten Rose in meiner Hand an seinem Grab stehen, um mich von ihm zu verabschieden.

Aber keine Sorge, Connor, ich lasse dich nicht lange allein. Wir sehen uns wieder, das verspreche ich dir.

»Oh nein, das wirst du nicht«, zischt Nick auf einmal und zerrt mich vom Bett. »Nur weil du in deinem Wahn aus totaler Übermüdung und Erschöpfung weiß der Kuckuck was verstanden hast, wirst du dich nicht hinstellen und einen Kopfsprung ohne Sicherungsseil von der nächsten Brücke machen. Connor würde dich dafür umbringen.«

»Klar. Und dafür hopst mein fast toter Freund mal eben schnell aus seinem Bett. Oh, pardon, aus seinem Grab.«

Die Worte sind schneller ausgesprochen, als ich nachdenken kann und sie sind weit unterhalb jeder Gürtellinie. Daher ist es für mich auch kein Wunder, dass Nick abrupt darin innehält, mich durch den Flur zu zerren und mich gegen eine Wand drängt, um mich dann sehr eindringlich anzusehen. Erstaunlich, er sieht nicht wütend aus. Es ist eher wie Resignation. Seltsam. Müsste er nicht sauer sein? Ich verstehe das alles nicht. Was hat er bloß?

»Dan, ich frage dich noch mal, welcher Tag ist heute?«

Nicht das schon wieder. Aber bitte, wenn es ihn glücklich macht. »Donnerstag?«, biete ich an und bekomme dafür erst ein ungläubiges Lachen und dann einen fassungslosen Blick geschenkt, bevor er eine Tür aufschiebt und mich weiterzieht. Ins Badezimmer. Ich frage gar nicht erst nach, was er hier will. »Na schön, dann Mittwoch.«

»Freitag, du Idiot«, korrigiert er mich und murmelt einen Fluch, den ich nicht verstehe und der mich auch nicht interessiert.

Im Endeffekt ist es doch egal, ob nun Mittwoch oder Freitag ist, oder? Na ja, sieht man mal von der Tatsache ab, dass mir irgendwie ein paar Tage abhanden gekommen sind. Ich muss wirklich reichlich neben der Spur sein und ich denke, ich sollte mal wieder schlafen. So richtig schlafen. Wenigstens zwölf Stunden oder so. Ob Will mir wohl eine Schlaftablette geben würde? Vermutlich. Immerhin ist er es, der dauernd meckert, dass ich schon mehr Ähnlichkeit mit einem Zombie habe als mit einem normalen Menschen. Aber dafür hätte er nicht Nick herholen müssen, damit der mich erst durch die Gegend ziehen und mir später einen Vortrag darüber halten kann, dass ich an Connors Unfall keine Schuld trage. Ein paar hübsche Pillen könnte Will mir auch allein geben und...

Augenblick mal. Wenn heute Freitag ist, war ich fast eine Woche nicht mehr bei Connor. »Ich muss ins Krankenhaus.«

»Später«, murrt Nick und hält mich fest.

»Aber...«

Weiter komme ich nicht, denn er funkelt mich sauer an und deutet dabei auf die Wanne. »Du gehst jetzt plantschen, weil du stinkst. Dabei wirst du die Sandwichs essen, die Rachel dir gerade macht, danach wirst du die Tabletten nehmen, die Will für dich geholt hat und dann wirst du schlafen. Solange wie es nötig ist. Connor hat gesagt, er bringt mich um, wenn ich dich aus dem Bett lasse, bevor du wieder wie ein Mensch aussiehst.«

Hä? Connor hat gesagt? Also ich traue Nick wirklich eine Menge zu, aber Gespräche mit Komapatienten dürften ein klein wenig über seinen Möglichkeiten liegen. Moment mal... Wie hat er das gemeint, dass ich in meinem Wahn aus Übermüdung sonst was verstanden habe? Kann es sein, das...? Ist es tatsächlich möglich, dass ich...? Mir zittern die Hände auf einmal so heftig, dass ich zwei Versuche brauche, um die rechte auf Nicks Schulter zu legen, der mich vor ein paar Sekunden auf den Badewannenrand bugsiert hat und gerade das Wasser aufdreht. Ich will, dass er mich ansieht und mir ins direkt Gesicht sagt, dass ich Recht habe. Dass Connor... Dass er nicht...

Ich wage es nicht einmal zu denken, soviel Angst habe ich davor, dass ich ihn vielleicht doch falsch verstanden habe. »Nick...?«

»Vorgestern«, antwortet er leise und dreht sich zu mir um, beide Hände an meine Seiten legend, was auch besser ist, weil ich sonst in die Wanne gefallen wäre.

Oh mein Gott.

»Was?« Ich klinge ganz komisch. Ist das wirklich meine Stimme?

Nick hockt sich auf die Fersen und zieht mich von der Wanne auf seinen Schoß. »Vorgestern Nacht. Tris hat ihm ein Buch von Stephen King vorgelesen und dabei mit dem Stuhl gekippelt, du kennst ihn ja. Er ist hintenüber gefallen, als Connor plötzlich meinte, dass er das Buch scheiße findet.«

Er ist wach. Er ist wirklich wach. Connor ist wach. Er ist... Er lebt und er ist wieder da. Hier. Bei mir. Mein Kopf ist auf einmal wie leergefegt. Ich kann kaum einen vernünftigen Gedanken fassen, stattdessen starre ich Nick nur stumm an und warte darauf, dass er weiter redet. Dass er irgendetwas sagt, was mir vor allem beweist, dass ich mich eben nicht verhört habe. Dass ich nicht träume oder irgendwo ohnmächtig in einer Ecke liege und eine Wahnvorstellung habe. Aber Nick sagt nichts. Kein einziges, verfluchtes Wort. Doch bevor ihn dafür anschreien kann, fängt er an zu lächeln, und da weiß ich, dass ich weder träume noch sonst etwas, denn Nick weint neben dem Lächeln. Er weint und lächelt und dann nickt er mir auch noch zu, so als würde er spüren, was mir im Kopf herumgeht und das bringt das Fass in mir zum überlaufen.

»Na endlich«, murmelt er unter Tränen, als ich genauso zu weinen anfange wie er.

Ich weiß genau, was Nick mir damit sagen will, denn er gehört zu den wenigen Menschen in meinem Leben, die sich solche Worte immer erlauben dürfen. Nick darf mir sagen, wenn ich Mist baue und dass ich seit dem Unfall nicht geweint habe, das war Mist. Aber jetzt ist alles wieder gut, beziehungsweise, es wird wieder gut werden. Connor ist wach, das Leben hat uns beide wieder, und auch wenn ich nicht weiß, ob es Absicht oder Zufall ist, dass mein Magen gerade jetzt heftig zu knurren anfängt, lachen muss ich trotzdem darüber. Genau wie Nick. Wir heulen und lachen und geben wahrscheinlich ein völlig lächerliches Bild ab, als wir irgendwann halb auf und halb nebeneinander auf dem Badewannenvorleger liegend enden. Inklusive Schluckauf, was uns nur noch mehr lachen lässt.

Bis irgendwann Rachel bei uns auftaucht, den Wasserhahn zudreht und mir dann zärtlich über den Rücken streichelt. Sie ist einfach eine Vollblutmutter und mittlerweile ist Rachel das auch für mich und, was noch viel wichtiger ist, ich liebe sie dafür. Es ist sehr lange her, dass ich zuletzt vor ihrer Berührung zurückgewichen bin und daher ist es auch jetzt kein Problem, dass sie da ist. Obwohl Nick und ich immer noch wie zwei Verrückte lachend, weinend und zugleich überglücklich auf dem Boden im Bennett'schen Badezimmer liegen, weil das Warten endlich vorbei ist. Weil die furchtbarsten zwei Monate meines Lebens soeben ein Ende gefunden haben. Darüber darf ich wie ein Irrer lachen, oder etwa nicht?

 

Ich habe es Connor erzählt. Wie Nick und ich im Badezimmer einen halben Nervenzusammenbruch hatten. Vor sechs Monaten, um genau zu sein. Und wie wir beide es erwartet hatten, hat er zuerst völlig ungläubig geguckt, dann hat er Nick und mich 'Spinner' genannt und ist in Gelächter ausgebrochen. Mit Tristan, David, Adrian, einfach der gesamten Bande. Nick und ich haben uns nur angesehen und sie lachen lassen. Besonders Connor lachen lassen, denn es ist für uns selbst heute noch ein kleines Wunder, dass er wieder lachen kann.

Übernächste Woche ist sein Unfall auf den Tag genau ein Jahr her und Connor braucht auf längeren Strecken immer noch Gehhilfen und vor allem regelmäßige Pausen, weil er weder sehr lange gehen, noch stehen kann. Aber wer so einen schweren Unfall und mehrere Wochen Koma überlebt hat, und trotzdem wieder auf seinen eigenen Beinen stehen und auch gehen kann, der hat sich seine Pausen und Krücken redlich verdient. Mit der Zeit wird sich auch die Schwäche in seinen Beinen geben, da sind sich seine Ärzte genauso sicher wie Cameron und der muss es als Physiotherapeut ja wohl wissen.

Connor spricht nicht viel über den Unfall. Er kann sich nur noch an wenige Details erinnern, aber er hat mir erzählt, dass er uns oft an seinem Bett gehört hat. Wie wir ihm vorgelesen und mit ihm erzählt haben. Er meint immer mit einem neckenden Grinsen, er sei nur deswegen aufgewacht, weil ihm meine Hand auf seiner gefehlt hätte. Oh, und natürlich, weil sein Bruder ein ziemlich schlechter Vorleser wäre. Tristan verdreht jedes Mal mit einem Seufzen die Augen, wenn das Thema darauf kommt, aber im Grunde genommen ist er genauso froh wie wir alle, dass Connor seinen Dornröschenstatus aufgegeben hat. So bezeichnet es David gerne, als eine Anspielung darauf, dass Adrian ihn nach seinem schweren Motorradunfall damals 'Schlafende Schönheit' genannt hat.

Es mag merkwürdig klingen, aber Connors Unfall hat uns alle noch enger zusammengeschweißt. Wir sehen uns so oft wir können und wenn das nicht geht, telefonieren wir eben. Mit Mareike telefoniere ich mittlerweile wöchentlich, genauso wie mit Cameron, der es sich nie nehmen lässt, nach Connors Fortschritten zu fragen. All diese ganz besonderen Menschen haben meinem Leben vor sehr langer Zeit wieder einen neuen Sinn gegeben.

Ich werde den Teufel tun, das freiwillig jemals wieder aufzugeben.

Und wer weiß, vielleicht sehe ich sie ja alle schon bald wieder. Ich muss nur endlich den Mut finden und die beiden silbernen Ringe aus der hintersten Ecke meiner Sockenschublade holen, wo sie schon seit einem Monat auf ihren Einsatz warten.

So schwer kann es doch nicht sein, Connor zu fragen, ob er mich heiraten will, oder?

 

 

Grenzlinie

 

Angebot hin oder her, es gibt Grenzen, die nur im äußersten Notfall überschritten werden dürfen. Und selbst dann sollte sich jeder vorher ganz genau überlegen, was er tut. Adrian weiß das und so verlockend dieses Angebot auch ist, das Tristan ihm aus der Not heraus macht, er weiß, dass er es nicht annehmen darf.

 

 

»Schlaf mit ihm.«

Hätte Adrian seine Kaffeetasse nicht kurz zuvor schon abgestellt gehabt, spätestens jetzt wäre sie ihm aus der Hand gefallen. Auch wenn er gewusst hatte, dass das kommen würde, konnte Tristan seine Worte unmöglich ernst meinen. Doch, das tat der, wurde Adrian nach einem prüfenden Blick in Tristans Gesicht bewusst, aber statt sich darüber zu wundern und Nicks Freund die Leviten zu lesen, wie der auf so eine dämliche Idee kommen konnte, seufzte er leise und ließ sich auf den Stuhl sinken, neben dem er bis eben gestanden hatte. In was für ein Durcheinander hatten David und er Nick und Tristan mit ihrer Hochzeit nur gestürzt?

Dabei war es durchaus verlockend. Tristans Angebot war praktisch ein Freifahrtschein für Sex mit Nick und es wäre eine glatte Lüge gewesen, wenn er behauptet hätte, dass ihn diese Vorstellung nicht reizte. Ganz im Gegenteil, sie reizte Adrian sogar sehr. Besonders weil Tristan es wirklich so meinte, wie er es gerade gesagt hatte, und weil David diesem Vorschlag sogar schon zugestimmt hatte. Sein Mann war Derjenige gewesen, der überhaupt davon angefangen hatte, seit feststand, dass Nick Hilfe brauchte. Seine Hilfe. Trotzdem. Verlockung hin oder her, Adrian würde den Teufel tun und dieses Angebot annehmen. Nichts auf der Welt war es in seinen Augen wert, David und Tristan so zu hintergehen, von Nick ganz zu schweigen.

»Du hast nicht zufällig mit Trey telefoniert? Er hat mir nämlich das Gleiche vorgeschlagen, wenn auch nicht in so direkten Worten«, sagte er nach einiger Zeit und sah Tristan an, der sich danach auf dem Stuhl, auf dem er wie ein Häufchen Elend saß, seit Adrian hier angekommen war, zurücklehnte und schweigend an ihm vorbei aus dem Fenster blickte. Das war Antwort genug für ihn. »Tristan, ist dir klar, was du mir damit anbietest?«

»Ja, das weiß ich«, kam tonlos zurück und Adrian hörte die pure Verzweiflung in jedem der vier Wörter mitschwingen. Tristan musste vollkommen am Ende sein, wenn er bereit war, so weit zu gehen, und auch wenn es Adrian leidtat, dieses Angebot musste er ablehnen.

»Meine Antwort ist nein.«

Tristan nickte und sah auf die Tischplatte. »Das dachte ich mir schon. Weißt du, noch vor ein paar Wochen hätte ich dich grün und blau geschlagen, wenn du es wirklich gewagt hättest, einen Versuch zu starten, um Nick wieder zurück in dein Bett zu holen. Ich habe eure besondere Beziehung von Anfang an akzeptiert und daran hätte auch dieses Angebot nichts geändert, aber ich kann einfach nicht länger tatenlos danebenstehen und zusehen, wie Nick von Tag zu Tag immer unglücklicher wird, weil er fürchtet, dich zu verlieren. Es ist egal, was ich zu ihm sage, er zweifelt an sich und an euch. Es kommt mir vor, als würde er in deiner Ehe mit David eine Bedrohung sehen. Das muss aufhören, Adrian. Deshalb bitte ich dich, ihm zu zeigen, dass sich zwischen euch nichts geändert hat und auch nicht ändern wird. Egal wie.«

»Tristan...«

Tristan hob die Hand und Adrian verstummte wieder. »Lass mich zu Ende reden, bitte.« Adrian seufzte, bevor er nickend seine Zustimmung gab. »Ich hätte nichts gesagt, wenn David mich nicht angerufen und mir erzählt hatte, was er gestern mit dir besprochen hat. Er ist bereit, dich zu teilen, und ich bin es ebenfalls. Dieses eine Mal, Adrian, denn ich möchte meinen Mann zurückhaben. Den Mann, den ich liebe, und der von seiner Angst und seinen Zweifeln gerade Stück für Stück aufgefressen wird. Dass es so tief geht zwischen euch, wusste ich, aber mir war nicht klar, wie sehr es Nick treffen würde, wenn du heiratest. Er kreidet dir das nicht an, aber es macht ihm Angst. Und dagegen kann außer dir niemand etwas tun, also tu etwas dagegen.«

Adrian verkniff sich ein verärgertes Schnauben. Die Idee war so absurd, wie sie verlockend war. Das hatte er gestern auch zu David gesagt, nachdem sie stundenlang darüber diskutiert hatten. Aber Tristan war verzweifelt und ein gestörtes Gefühlsleben zog verrückte Ideen nun mal magisch an, wie konnte er deswegen also wütend sein? Er war nicht einmal auf David wütend, der ihm diesen Vorschlag gemacht hatte, und mit dem war er schließlich verheiratet. Adrian seufzte innerlich tief auf. So kamen sie doch nicht weiter.

»Und du glaubst ernsthaft, wenn ich mit Nick schlafe, biegt das alles wieder gerade?«

»Ich weiß es nicht.« Tristan zuckte hilflos die Schultern. »Wenn du es mit Worten schaffst, ihm klarzumachen, dass er dich nicht an einen Ehering verliert, werde ich dir genauso die Füße küssen, als wenn du mit ihm Sex hast.« Tristan war todunglücklich, das zeigte sein folgender Blick deutlich. »Adrian, ich bin verzweifelt. Mit mir redet er nicht darüber. Ich will dir auch nicht vorschreiben, was du tun sollst, ich wollte dir damit nur sagen, dass ich sogar einverstanden bin, wenn du bis zum Äußersten gehst. Egal, was du tust, mir ist es recht, aber bitte, hilf ihm.«

Er konnte es Tristan nicht abschlagen, daher sparte sich Adrian jedes weitere Wort dazu. Er würde schon herauszufinden, was Nick an seiner Ehe so verunsicherte, dass er sogar Tristan aus seinen Gedanken ausschloss. Denn das war in Adrians Augen ein deutliches Warnzeichen dafür, dass er sich schnellstens darum kümmern musste. Nick war offenbar in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen, die er seit seiner Beziehung zu Tristan eigentlich abgelegt hatte, und das bedeutete nichts Gutes.

»Wo ist er?«, fragte er, als ihm Tristans hoffnungsvoller Blick schließlich unangenehm wurde.

»Bei Ian und lässt sich volllaufen. Ian hat mich angerufen, kurz bevor du ankamst und ich habe ihn gebeten, Nick festzuhalten, wenn es irgendwie geht. Da bisher kein weiterer Anruf kam, schätze ich, dass Nick noch bei ihm ist.«

»Moment mal. Er betrinkt sich?«, hakte Adrian nach, um sicher zu gehen, dass er sich eben nicht verhört hatte, doch als Tristan nur die Schultern zuckte, war das Maß voll. Adrian stand auf, um seine Jacke zu nehmen. »Ich kümmere mich um ihn. Aber du musst mir dafür einen Gefallen tun.«

Tristan sah ihn müde an. »Welchen?«

»Heute ist Freitag. Pack ein paar Sachen und fahr nach Hause. Zu deinen Eltern oder zu Connor und Daniel. Ich bringe dir Nick heil wieder, aber ich will dich nicht hier haben, wenn ich nachher mit ihm zurückkomme. In Ordnung?« Das darauffolgende und erleichterte Seufzen sprach Bände, die er besser unkommentiert ließ. »Tristan?« Adrian wartete, bis der ihn anschaute. »So verlockend dein Angebot auch ist, das würde ich dir und Trey niemals antun.«

Tristan zögerte kurz. »Ich könnte damit leben.«

Das war eine glatte Lüge und Tristans Augen bewiesen Adrian mehr als deutlich, dass der wusste, dass man es ihm ansehen konnte. »Du bist wirklich ein mieser Lügner.« Tristan seufzte erneut, diesmal allerdings resignierend. Adrian sparte sich den Kommentar, der ihm dazu auf den Lippen lag. Menschen hatte aus Liebe schon schlimmere Dinge getan als Jene, die ihnen etwas bedeuteten, zu belügen. »Du könntest damit auf Dauer genauso wenig leben wie ich«, erklärte er stattdessen. »Du würdest es versuchen, aber etwas zu versuchen und etwas zu können, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, und das wissen wir beide. Trey ist der Einzige von uns, der es könnte.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739424217
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juli)
Schlagworte
Drama Ostküsten-Reihe schwul Familie Liebe Romanze

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Fantasy, Thriller und Romanzen. Weitere Informationen zu meinen Büchern, sowie aktuelle News zu kommenden Veröffentlichungen, findet ihr auf meiner Homepage.
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Titel: Kleine Einblicke