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Zeitgenossen - Suche nach den Ur-Vampiren (Bd. 4)

von Hope Cavendish (Autor:in)
226 Seiten
Reihe: Zeitgenossen, Band 4

Zusammenfassung

Die Suche nach den Ur-Vampiren führt Gemma und ihre Freunde zunächst zu dem weisen, aber rätselhaften Zervan Behruz und später auf eine abenteuerliche Reise quer durch die Wüste. Dabei begegnen sie einer undurchsichtigen Artgenossin, die sich ihnen anschließen möchte. Ist sie womöglich eine Feindin? In Babylon werden die Freunde schließlich mit den mystischen Ursprüngen ihrer Vampirherkunft konfrontiert. Erst Jahre später, nachdem verheerende Katastrophen und ein grausamer Krieg ein neues Zeitalter eingeleitet haben, erhalten sie eine Ahnung davon, wie sehr sich ihr Leben dadurch verändert hat. Wie groß ist die Macht der Ur-Vampire wirklich? "Suche nach den Ur-Vampiren" ist der vierte Band der historischen Vampirromanserie "Zeitgenossen". Im Mittelpunkt der Serie steht die Vampirin Gemma, die im Laufe der Jahrhunderte erfährt, was es bedeutet, unsterblich zu sein. Sie wird zur Zeitzeugin vieler historischer Ereignisse, erlebt Kriege, Entdeckungen und Revolutionen, begegnet der Liebe, dem Kampf und dem Tod. Ihre Freunde stehen ihr dabei oft zur Seite, doch ihren Weg muss Gemma letztendlich selbst finden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsangabe: Suche nach den Ur-Vampiren

 

Die Suche nach den Ur-Vampiren führt Gemma und ihre Freunde zunächst zu dem weisen, aber rätselhaften Zervan Behruz und später auf eine abenteuerliche Reise quer durch die Wüste. Dabei begegnen sie einer undurchsichtigen Artgenossin, die sich ihnen anschließen möchte. Ist sie womöglich eine Feindin?

In Babylon werden die Freunde schließlich mit den mystischen Ursprüngen ihrer Vampirherkunft konfrontiert. Erst Jahre später, nachdem verheerende Katastrophen und ein grausamer Krieg ein neues Zeitalter eingeleitet haben, erhalten sie eine Ahnung davon, wie sehr sich ihr Leben dadurch verändert hat. Wie groß ist die Macht der Ur-Vampire wirklich?

 

Suche nach den Ur-Vampiren ist der vierte Band der historischen Vampirromanserie Zeitgenossen. Im Mittelpunkt der Serie steht die Vampirin Gemma, die im Laufe der Jahrhunderte erfährt, was es bedeutet, unsterblich zu sein. Sie wird zur Zeitzeugin vieler historischer Ereignisse, erlebt Kriege, Entdeckungen und Revolutionen, begegnet der Liebe, dem Kampf und dem Tod. Ihre Freunde stehen ihr dabei oft zur Seite, doch ihren Weg muss Gemma letztendlich selbst finden.

 

Prolog

 

Irgendwann erreichen wir alle einmal ein Alter, in dem wir uns bestimmte Fragen stellen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens zum Beispiel oder nach dem Ursprung von allem. Da ich ein Vampir war, gab es da schon zweierlei Ursprünge, um die ich mir Gedanken machen konnte. Meine menschliche Abstammung, über die ich als uneheliche Tochter eines englischen Earls und als Adoptivtochter eines Apothekerpaares leidlich informiert war. Was die Herkunft der Menschheit an sich anbelangte, so war ich natürlich mit der Evolutionstheorie vertraut. Aber da gab es ja auch noch meine vampirische Abstammung. Zwar kannte ich Giles, meinen direkten Erschaffer, der sich später als meine große Liebe herausgestellt hat und mit dem ich eine langwährende Beziehung mit vielen Hochs und auch einigen Tiefs führte.

Doch es mussten erst ein paar Jahrhunderte vergehen, bis ich mir Gedanken darum machte, welchen gemeinsamen Ursprung wir Vampire als Spezies wohl haben mochten. Ein paar Jahrhunderte! Für ein Menschenleben eine unerreichbare Zeitspanne, für einen unsterblichen Vampir hingegen nicht. Viel zu oft vergaß ich diesen Umstand und ging mit meiner Zeit allzu leichtfertig um. Wenn einer meiner menschlichen Freunde starb, wurde ich dann wieder schmerzlich daran erinnert.

Da verwundert es wohl kaum, dass viele Vampire eher Einzelgänger waren oder wir uns lieber Freunde unter unseren Artgenossen suchten. Hierzu zählten bei mir neben Giles auch meine älteste Freundin Maddy mit ihrem Lebensgefährten Miguel sowie Francisco und der Gestaltwandler Fergus. Wir hatten gemeinsam schon so manches Abenteuer erlebt und gegen mächtige Gegner gekämpft, wie beispielsweise die Sybarites, eine skrupellose Vampirsekte, oder die Ritter des Dan. Die Sybarites hatten einst eine sehr machtvolle Waffe besessen, die Mort-Vivants. Mort-Vivants waren Vampire, die erst nach ihrem menschlichen Tod verwandelt wurden und ihr Biss war für jeden Vampir tödlich. Sie selbst waren jedoch gegen jeden Biss oder jede Waffe immun und zudem ihrem Erschaffer bedingungslos ergeben – und genau das machte sie so gefährlich. Dank eines glücklichen Zufalls waren meine Freunde und ich gleichwohl eines Tages an das Geheimnis der Mort-Vivant-Erschaffung gelangt und dies hatte uns geholfen, die Bedrohung durch die Sybarites vorerst einzudämmen.

Die Ritter des Dan hingegen waren fanatische Vampirjäger, die alle Vampire für Ausgeburten der Hölle hielten und unwiderruflich entschlossen waren, uns alle zu vernichten. Sie wussten dabei leider genau, wie sie vorgehen mussten, denn sie benutzten Silberwaffen und Silbermunition. Silber hemmte unsere Selbstheilungskräfte, weshalb Waffen aus diesem Material für uns sehr gefährlich und manchmal sogar tödlich sein konnten. Trotzdem hatten wir uns erst kürzlich in New Orleans auf einen Pakt mit den Rittern des Dan eingelassen und ihnen versprochen, gemeinsam mit ihnen die Sybarites zu bekämpfen. Wir hatten uns dazu entschieden, weil wir durch die Vampirjäger erstmalig von der Existenz der vier Ur-Vampire erfahren hatten. Allem Anschein nach war unsere gesamte Spezies aus diesen vier Ur-Vampiren hervorgegangen und wir hatten Grund zu der Annahme gehabt, dass die Ritter uns mehr darüber berichten konnten.

Leider hatte sich später herausgestellt, dass Letzteres nicht stimmte, und die Informationen der Ritter mehr auf fanatischen Lehren denn auf realen Erfahrungsberichten ihrer Vorgänger beruhten. Gleichwohl hatten wir zwei Anhaltspunkte erhalten, die uns bei der Suche nach unseren Ursprüngen weiterhelfen konnten. Der eine war die antike Stadt Babylon, in der die Ur-Vampire erstmalig in Erscheinung getreten sein sollten. Der andere bestand in der Information, dass Giles’ Erschaffer Zervan Behruz, ein alter persischer Vampir, uns womöglich mehr über die Ur-Vampire erzählen konnte, da es hieß, dass er selbst von einem von ihnen verwandelt worden sein soll.

Nachdem es uns gelungen war herauszufinden, dass Behruz sich derzeit in Sofia als Berater am Hofe des bulgarischen Fürsten aufhielt, hatten wir ihn kontaktiert und er hatte uns prompt zu sich eingeladen, um uns unsere Fragen zu beantworten. Damit war die Möglichkeit, doch etwas über unserer aller Ursprung zu erfahren, plötzlich wieder näher gerückt und wir hatten uns sofort auf den Weg gemacht.

Denn inzwischen hatten wir Blut geleckt.

 

Ein weiser Mann

 

Vier Tage nachdem wir Zervan Behruz’ Einladung erhalten hatten, nahmen wir den nächstbesten Transatlantikdampfer, der uns nach Europa brachte, das französische Passagierschiff La Lorraine, das nach Le Havre fuhr. Von dort aus ging es mit dem Zug weiter nach Paris, wo wir uns im Hotel Le Meurice einmieteten, um unsere weitere Reise zu planen. Wir buchten telegraphisch eine Unterkunft im Grand Hotel Sofia und reservierten uns drei Schlafwagenabteile im Orient-Express, der vom Pariser Bahnhof Gare de l’Est über Wien, Belgrad, Budapest und Sofia bis nach Konstantinopel fuhr.

Der Luxuszug war unter anderem für seine hervorragende Küche bekannt, doch da sich unser Speiseplan erheblich von dem der anderen Reisenden unterschied, wollten wir vor der Abfahrt lieber noch jagen gehen, um während der Reise nicht Durst leiden zu müssen. Der Pariser Stadtwald Forêt du Rouvre hatte uns gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch eine reichhaltige Palette an Wild zur Verfügung gestellt. Doch jetzt schrieben wir das Jahr 1903, der Wald gehörte mittlerweile zum Parkgebiet des Bois de Boulogne und beherbergte kaum noch eine nennenswerte Anzahl an Tieren. Darum unternahmen wir einen nächtlichen Jagd-Ausflug in den nur 31 Meilen entfernten Wald von Fontainebleau, der nach wie vor einen beträchtlichen Wildbestand vorwies.

Dieser Ort hatte einstmals in Maddys und meinem Leben eine besondere Rolle gespielt. Deshalb nutzten wir die Gelegenheit, noch kurz den elefantenförmigen Sandsteinfelsen aufzusuchen, an dem wir seinerzeit die Asche von Maddys verstorbenem Mann Alexandre verstreut hatten. Anschließend statteten wir auch dem nahegelegenen Gut Larchant einen heimlichen Besuch ab, das mit Hilfe einer von mir eingerichteten Stiftung nach wie vor als Heim für Waisenkinder geführt wurde. Selbstverständlich schliefen die Kinder bereits, doch ein Blick durch die Fenster ermöglichte es uns dennoch, uns zu überzeugen, dass es ihnen an nichts zu fehlen schien.

 

Am Pariser Ostbahnhof Gare de l’Est herrschte am nächsten Morgen ein reges Treiben. Und da wir ein wenig spät dran waren, hatte selbst der architekturinteressierte Fergus kaum einen Blick für den klassizistischen Bau und sein beeindruckendes Glasdach über der Haupthalle übrig. Der Orient-Express stand bereits am Gleis. Die Waggons bestanden aus edlem Teakholz – was angesichts der unterschiedlichen Klimaregionen, die der Zug durchfuhr, gut durchdacht war – und waren gemäß ihrer jeweiligen Funktion mit massiven Messinglettern als Speise-, Schlaf- oder Gepäckwagen beschriftet. Viele der Reisenden verabschiedeten sich noch von ihren Angehörigen, während die Kofferträger ihre Koffer in den Gepäckwagen luden.

Die Reisegesellschaft sah überaus exquisit aus. Einige sehr mondän gekleidete Damen waren darunter sowie etliche Gentlemen, deren elegantes, aber unauffälliges Äußeres sie als Geschäftsreisende auswies. Ein paar der Herren trugen einen Fes, andere waren anhand ihrer prunkvollen Kaftane und Turbane unschwer als orientalische Würdenträger auf der Heimreise zu erkennen. Schließlich ertönte ein lauter Pfeifton der Dampflokomotive und wir beeilten uns, unsere Abteile aufzusuchen.

Die Schlafwagen waren äußerst luxuriös eingerichtet. Alle Wände hatten eine Mahagonitäfelung und waren mit wertvollen Intarsien dekoriert. Die Abteile bestanden je aus zwei weich gepolsterten und mit edlem Seidenbrokat bezogenen Sitzbänken, die sich in der Nacht zu bequemen Betten umbauen ließen, sowie einer angrenzenden kleinen Toilettenkabine mit Waschschrank und eleganten Messingarmaturen. Über den Sitzbänken befanden sich Gepäcknetze aus Messing für das Handgepäck und zwischen den Bänken konnte auf der Fensterseite ein Mahagonitisch ausgeklappt werden. Illuminiert wurde das Abteil am Abend durch einen kleinen Kronleuchter aus Bleikristall sowie durch Gaslampen an den Wandpaneelen. In jedem Schlafwagen standen drei Schlafwagenschaffner zur Verfügung, die sich zu jeder erdenklichen Zeit um das Wohl der Fahrgäste kümmerten.

Verglichen mit meiner Europareise Mitte des 18. Jahrhunderts war das Reisen mittlerweile unglaublich komfortabel geworden. Seinerzeit war ich noch in schlecht gefederten Kutschen unterwegs gewesen, heutzutage reisten wir in einem Luxushotel auf Schienen, das uns mit 32 Meilen in der Stunde voranbeförderte.

Der Speisewagen – den wir, um nicht allzu sehr aufzufallen, gelegentlich aufsuchten – war nicht minder erlesen eingerichtet. Die Tische waren mit weißem Damast, edlem Silberbesteck und Kristallgläsern gedeckt und die lederbezogenen Stühle trugen auf den Rückenlehnen verzierte Initialen der Eisenbahngesellschaft Wagons-Lits. Neben der Tatsache, dass uns menschliche Speisen nicht sonderlich mundeten, war das Silberbesteck noch ein weiterer Grund, uns den Speisewagen eher unbeliebt zu machen. Zwar führte das Silber bei uns nur in Wunden zu brennenden Schmerzen und blockierte dort obendrein unsere Selbstheilungskräfte. Doch an der äußeren Haut fühlte es sich dennoch sehr unangenehm an, weswegen Maddy und ich froh waren, dass die derzeitige Mode es vornehmen Damen vorschrieb, in der Öffentlichkeit Glacéhandschuhe zu tragen. Giles, Francisco, Fergus und Miguel hingegen versuchten, die unerquickliche Berührung mit dem kostbaren Besteck ebenso stoisch zu ignorieren wie den für uns unliebsamen Geschmack des Menüs.

So exklusiv das Ambiente der einzelnen Waggons auch war, so genossen wir dadurch nicht minder die Reise durch fünf verschiedene europäische Länder. Viele eindrucksvolle Landschaften zogen am Fenster vorbei, und wenn wir nicht solch ein wichtiges Ziel gehabt hätten, hätte ich gerne den einen oder anderen Zwischenhalt für einen längeren Stadtbummel genutzt.

 

Zweieinhalb Tage später erreichten wir schließlich den Hauptbahnhof von Sofia, wo uns Zervan Behruz schon erwartete, um uns zu unserem Hotel zu geleiten. Ich war nicht ganz sicher, wie ich mir den Mann vorgestellt hatte, der Giles einst in einen Vampir verwandelt hatte. Doch erschien mir seine äußere Erscheinung sogleich auf seltsame Weise vertraut. Behruz war mindestens einen Kopf kleiner als Giles und trug einen flachen Turban sowie einen edlen, aber dennoch schlichten Kaftan. Sein olivbraunes Gesicht war durch einige markante Falten, kräftige, graumelierte Augenbrauen und einen ebensolchen Schnurrbart geprägt und strahlte eine freundliche Ruhe aus. Er begrüßte jeden Einzelnen von uns mit einem Händedruck und einem herzlichen Lächeln und es kam sicherlich nicht nur mir so vor, als ob seine großen, schwarzbrauen Augen dabei sofort mein Innerstes erfassten.

Als Behruz’ Blick auf den Opalring fiel, den Giles mir geschenkt hatte, vertiefte sich sein Lächeln. »Ein wunderschöner Ring. Mit einer großen Kraft.«

Ich runzelte die Stirn. Konnte er ahnen, welche Bedeutung der Ring für mich hatte, da er mit Giles’ Versprechen verknüpft war? »Giles hat ihn mir geschenkt«, erklärte ich daraufhin.

Behruz dreht sich zu Giles um. »Ich hätte mir denken können, dass dieser Ring eines Tages in deine Hände fällt«, sagte er rätselhaft. Giles und ich wechselten einen erstaunten Blick.

Behruz hatte einige Kutschen organisiert, die uns und unser Gepäck direkt zum Grand Hotel Sofia brachten, damit wir uns zunächst einmal frisch machen konnten. Während der Fahrt bekamen wir bereits einen kurzen Eindruck von der Hauptstadt des bulgarischen Fürstentums und Behruz erklärte uns, dass dieser einst osmanisch geprägte Ort sich immer mehr nach westlichem Vorbild orientierte, etliche neoklassizistische und barocke Gebäude verdrängten offenbar zunehmend die orientalische Architektur. Der Verkehr hingegen schien noch nicht ganz so modern zu sein, denn obwohl unsere Kutschen einmal einer kreuzenden Straßenbahn Vorfahrt gewähren mussten, konnten wir auf den Straßen jedoch noch kein Automobil entdecken.

 

Im Grand Hotel Sofia bezogen wir zunächst unsere feudal eingerichteten Zimmerfluchten und machten uns ein wenig frisch.

»Hast du Behruz’ Bemerkung über den Opalring von dir verstanden?«, fragte ich Giles währenddessen. »Ich hatte angenommen, dass du den Ring bei einem Juwelier anfertigen lassen hattest, aber Behruz schien den Ring zu kennen.«

Giles kam aus dem Bad und sah mich nachdenklich an. »Der Ring befand sich schon sehr lange in meinem Besitz, aber ich habe keine Ahnung, woher Zervan ihn kennen sollte. Als ich 1196 Damaskus verließ und nach England zurückkehrte, konnte ich mich am Hofe Richard Löwenherz’ ja nicht mehr blicken lassen. Immerhin gab es genügend Zeugen, die mich auf dem Schlachtfeld von Arsuf hatten fallen sehen. Dennoch stattete ich Eleonore von Aquitanien, Richards Mutter, einen Besuch ab. Ich hatte immer ein freundschaftliches Verhältnis zu ihr gehabt, sie war diejenige gewesen, die mich seinerzeit gebeten hatte, Richard auf dem Kreuzzug zu unterstützen. Und ich war überzeugt davon, dass sie nicht davor erschrecken würde, dass ich immer noch – oder besser gesagt: wieder – lebte. Und so war es dann auch. Sie schenkte mir den Opalring zum Dank für meine Treue zu ihrem Sohn.«

»Und weißt du, woher sie ihn hatte?«, fragte ich.

»Sie sagte, sie hätte ihn von einem früheren Liebhaber und ich sollte ihn der Frau schenken, in der ich meine Seelengefährtin gefunden hatte. Ich vermute, Geoffrey Plantagenet, der Graf von Anjou war jener Liebhaber, denn die Gerüchte, dass die beiden eine leidenschaftliche Affäre gehabt haben sollen, hatten damals nie so recht verstummen wollen.«

»Das erklärt aber nicht, woher Behruz den Ring kennen könnte«, stellte ich grübelnd fest.

»Nein«, bestätigte Giles schulterzuckend. »Allerdings gehört es zu Zervans herausragenden Talenten, einen immer wieder mit seinem Wissen über die erstaunlichsten Dinge zu verblüffen. Vielleicht können wir ihn ja bei Gelegenheit mal danach fragen.«

Wenig später brach auch schon die Nacht herein und Behruz führte uns in das nahegelegene Witoscha-Gebirge, damit wir dort auf die Jagd gehen konnten. In den Wäldern des Gebirges fanden wir Rothirsche und Rehe ebenso wie Wildschweine, Braunbären und Wölfe vor, so dass wir unseren Durst auf das vortrefflichste stillen konnten. Zervan wartete unterdessen geduldig in einer Lichtung auf uns und ich bemerkte, dass er selbst überhaupt keine Anstalten gemacht hatte, ein Wildtier zu erbeuten.

»Sind Sie denn gar nicht durstig?«, fragte ich ihn.

»Ich habe meinen Durst bereits vorhin an meiner Dienerin gestillt«, antwortete er freundlich.

Daraufhin sah ich ihn ein wenig skeptisch an und er lächelte nachsichtig. »Du fragst dich sicher, ob ich keine Skrupel habe, von Menschen zu trinken. Doch ich kann dir versichern, dass ich dies nur bei denjenigen tue, die sich mir freiwillig zur Verfügung stellen. Keiner von ihnen unterlag je einem Zwang und keiner von ihnen wurde jemals dabei gefährdet.«

»Aber dafür müssen Sie diesen Menschen offenbaren, was Sie sind«, gab ich zu bedenken.

»Das stimmt«, erklärte Zervan schlicht, «doch diejenigen, die ich zu meinen Spendern erwähle, vertrauen mir ebenso wie ich ihnen.«

Ich betrachtete das ruhige und dennoch auch irgendwie rätselhafte Gesicht des alten Mannes vor mir und ahnte, dass er vermutlich großes Geschick darin besaß, Vertrauen aufzubauen.

 

Am nächsten Morgen lud Zervan uns in den Fürstenpalast ein, wo er im zweiten Stock des Westflügels einige Räume zu seiner Verfügung hatte. Seine Position am Fürstenhof war anscheinend nicht unbedeutend, denn er gab uns eine persönliche Führung durch das ganze Gebäude, ohne dass einer der wachhabenden Offiziere sich daran störte. Der Palast war komplett im Second Empire Stil gehalten, eine architektonische Stilrichtung, die – wie Fergus uns erklärte – sich an den Schlössern des französischen Kaisers Napoleon III. orientierte. In der ersten Etage lagen die Gemächer und Büros des Fürsten und der Fürstin. Über die große Freitreppe in der zentralen Säulenhalle gelangte man in den zweiten Stock, wo sich dann der Thronsaal, mehrere Ballsäle, ein weitläufiges Speisezimmer sowie weitere Büros befanden.

Zervans Räume unterschieden sich deutlich von der barocken Pracht der übrigen Zimmer. Wenngleich auch sie mit erlesenen Möbeln und Materialien eingerichtet waren, so wiesen die schweren Vorhänge, Teppiche und gemütlichen Sitzkissen doch unverkennbar auf die orientalische Herkunft ihres Besitzers hin. Zervan bat uns, Platz zu nehmen, und wies einen Diener an, dafür zu sorgen, dass wir in den nächsten Stunden ungestört blieben. Angesichts der behaglichen Umgebung fiel es uns nicht schwer, Zervans Aufforderung Folge zu leisten, uns wie zuhause zu fühlen.

»Du scheinst hier im Palast einen gewissen Einfluss zu haben«, stellte Giles sogleich mit einem leichten Schmunzeln fest. »Aber das war ja damals am Hofe Sultan Saladins auch schon nicht anders.«

»Am Anfang hat mich Fürst Ferdinand nur geduldet, weil er wusste, dass ich im Auftrag der Hohen Pforte ein Auge auf ihn haben sollte«, berichtete Zervan lächelnd. Die Hohe Pforte war eine Umschreibung für den Sultanspalast in Konstantinopel, also den Sitz der osmanischen Regierung, und es wunderte mich etwas, dass Behruz sich für deren Interessen einspannen ließ. Doch als er fortfuhr, begriff ich, dass offensichtlich eher das Gegenteil der Fall war.

»Bulgarien ist dem Osmanischen Reich bis heute tributpflichtig, doch der Fürst wäre natürlich lieber unabhängig, weshalb er auch eine Annäherung an das Russische Reich sucht, in der Hoffnung, vom Zaren unterstützt zu werden«, erklärte Zervan. »Die Hohe Pforte wünscht, dass ich diese Bestrebungen des Fürsten unterbinde, doch ich denke, jedes Volk und jedes Wesen sollte seinen eigenen Weg gehen dürfen. Daher helfe ich ihm, herauszufinden, welches der richtige Weg für ihn ist.«

Giles lächelte. »Wenn ich mich recht entsinne, bist du ebenso verfahren, als ich seinerzeit dein Schützling war. Wie schaffst du es nur, dir über so viele Jahnhunderte hinweg treu zu bleiben?«

»Nichts in der Welt ist schwierig, es sind nur unsere Gedanken, welche den Dingen diesen Anschein geben«, antwortete Behruz.

Giles lachte auf. »Mit deinen rätselhaften Weisheiten hast du mir schon damals so manches Mal Kopfzerbrechen bereitet.«

»Wenn man so lange lebt wie wir, bekommen die Dinge eine andere Bedeutung«, erwiderte Zervan lächelnd. Er blickte in die Runde. »Ihr alle habt dies inzwischen festgestellt. Ihr habt immer noch Wünsche, Ziele und Träume, doch ihr geht anders damit um als ein sterbliches Wesen. Das ist nur natürlich. Und euer nächstes Ziel ist es, etwas über euren Ursprung zu erfahren.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte ich unverwandt. Giles hatte mich ja bereits auf Zervans erstaunliche Intuition hingewiesen, aber dennoch war ich überrascht, dass er unsere Absichten so genau durchschaute.

»Möchte nicht jedes Wesen seine Wurzeln kennen?«, entgegnete Zervan freundlich. »Irgendwann kommt jeder in seinem Leben mal an einen Punkt, an dem er mehr über seine Herkunft zu erfahren begehrt. Und da ihr nun hier bei mir seid, werdet ihr wohl herausgefunden haben, dass ich euch in dieser Hinsicht weiterhelfen kann.«

»Also ist es wahr?«, hakte Giles nach. »Du wurdest von einem Ur-Vampir erschaffen?«

Zervan nickte. »Sie hieß Gula. Und sie war eine der ersten unserer Art.«

Ich beugte mich gespannt vor. »Es gab vier von ihnen, nicht wahr? Vier Ur-Vampire.«

Zervan schaute mich amüsiert an. »Oh, es gibt sie noch, mein Kind.«

Verblüfft wechselte ich einen Blick mit meinen Freunden. Doch ehe jemand von uns etwas sagen konnte, meldete Zervan sich wieder zu Wort. »Ich verstehe, dass ihr sehr viele Fragen habt, meine Freunde. Doch zuerst gestattet einem alten Mann, auch seine Neugierde zu befriedigen. Ihr wisst also bereits von den vier Ur-Vampiren, wie ihr sie nennt. Von wem habt ihr davon erfahren?«

»Von den Rittern des Dan«, antwortete Giles knapp.

Zervan nickte verstehend. »Ach ja, die Ritter.«

»Du kennst den Orden?«, fragte Giles. »Die Ritter erzählten uns, dass einer von ihnen, Dagilu, sich 1328 dein Vertrauen erschlichen hätte.«

Behruz blickte bedauernd drein. »Dagilu war ein verirrtes Geschöpf. Als er in meine Dienste kam, war ich Berater am Hof des Bey von Mentesche. Ich ahnte schnell, dass er zu den Rittern des Dan gehörte. Er war zu bestrebt, mir zu gefallen, und wirkte dennoch völlig gefangen in seinen Vorstellungen. Ich war den Vampirjägern schon einige Jahrhunderte zuvor begegnet. Fanatische Männer, denen es als schlimmste Sünde galt, jemals ihren Glauben zu hinterfragen. Ich behielt Dagilu gleichwohl in meinen Diensten, weil ich spürte, dass mir der junge Mann trotz seines eingeredeten Hasses gegenüber Vampiren in gewisser Weise zugetan war. Womöglich hätte ich seine zwiespältigen Gefühle nutzen können, um ihm zu zeigen, dass wir nicht notwendigerweise die Höllengeschöpfe waren, für die er uns hielt. Ich sah, dass Dagilu hin- und hergerissen war zwischen seinem Glauben und seiner Freundschaft zu mir, und offenbarte mich ihm, um ihm seine Entscheidung zu erleichtern. Und wie es schien, berichtete er seinem Orden davon. So gelangte also die Information über meine eigene Verwandlung irgendwann zu dem Mann, den ich selbst verwandelt hatte.« Zervan warf Giles einen väterlichen Blick zu.

»Warum hattest du mir eigentlich nie von deiner Verwandlung erzählt?«, fragte dieser daraufhin.

»Ich hatte dich alles gelehrt, was du wissen musstest, um mit deinem neuen Dasein umzugehen. Aber du wärst damals noch nicht bereit gewesen, dich mit den Ursprüngen unserer Art auseinanderzusetzen.«

»Aber jetzt bin ich es«, stellte Giles fest und sein Tonfall verriet, dass diese Erkenntnis ihm selbst gerade erst richtig bewusst wurde.

Zervan sah uns alle nacheinander aufmerksam an. »Ihr alle seid es. Dagilu jedoch war zu schwach gewesen, um mit diesem Wissen umzugehen. Er verfiel eines Tages einer intriganten Dienerin, die ihn abwechselnd lockte und zurückwies. Er war wie von Sinnen vor Verlangen nach ihr und überwarf sich darüber anscheinend auch mit seinem Orden. Schließlich bat er mich, ihn zu verwandeln, um die Dienerin bezwingen zu können. Als ich ablehnte, griff er mich wieder und wieder an. Ich wehrte ihn nur ab, doch dabei stürzte er plötzlich in sein eigenes Messer und erlag kurz darauf seiner Verletzung.«

»Also hat tatsächlich einmal deine Intuition bei jemandem versagt«, bemerkte Giles überrascht.

»Ich wusste, dass Dagilu zerrissen von zu vielen Sehnsüchten und Einflüssen gewesen war«, erklärte Zervan bedauernd, »doch ich hatte ihm eine Chance geben wollen. Aber nun möchte ich gerne eure Fragen beantworten.« Er lächelte uns freundlich an.

»Sie sagten, Sie seien von einem Wesen namens Gula erschaffen worden«, begann ich daraufhin zögernd. »Woher wussten Sie, was sie war? Dass sie die erste unserer Art war? Und wie waren die näheren Umstände Ihrer Verwandlung?«

Zervan lehnte sich in die Kissen zurück und blickte in die Ferne. »Es war im 25. Regierungsjahr des Achämeniden-Königs Kyros II. – also nach der heutigen Zeitrechnung im Jahre 534 vor Christus – und ich arbeitete damals als Sternendeuter und Berater für den babylonischen Statthalter Gubaru II. Eines Nachts wachte ich in meinen Gemächern auf, weil ein heißer Windhauch über mein Gesicht strich. Ich öffnete die Augen und sah eine junge Frau an meinem Bett stehen. Sie schien das Mondlicht auf sich lenken zu können, denn ich konnte sie trotz der Dunkelheit gut erkennen. Ihr volles Haar hat einen blauschwarzen Glanz und reichte bis zu ihren Hüften. Ich konnte ihr Gesicht klar und hell über mir sehen, doch seltsamerweise fühlte ich mich außerstande, es näher zu beschreiben. In dem Moment wusste ich, dass ich kein menschliches Wesen vor mir hatte.«

»Sie können sie nicht beschreiben?«, hakte Francisco interessiert nach.

Zervan lächelte entschuldigend. »Ihr werdet verstehen, was ich meine, wenn ihr ihr selbst begegnet.«

Er schien sehr zuversichtlich zu sein, dass wir Gula irgendwann begegnen würden, was mich veranlasste, abermals einen überraschten Blick mit meinen Freunden zu wechseln.

»Die junge Frau sah, dass ich nicht vor ihr erschrak, und quittierte dies mit einem anerkennenden Lächeln«, fuhr Zervan fort. »Dann stellte sie sich vor. ›Ich bin Gula‹, sagte sie, ›und ich bin hier, um dir eine wichtige Aufgabe zu übertragen. Deinem Herrn Gubaru droht große Gefahr und es liegt an dir, ihn zu beschützen.‹

›Aber ich bin ein alter Mann‹, wandte ich ein. ›Wie kann ich Gubaru da von Nutzen sein?‹

›Hast du Angst vor dem Tod?‹, fragte Gula da.

›Nein‹, antwortete ich. ›Ich bin nun 64 Jahre alt, und wenn meine Zeit kommt, werde ich bereit sein.‹

›Aber deine Zeit wird nicht kommen‹, verkündete Gula daraufhin.

Zu diesem Zeitpunkt verstand ich den Sinn ihrer Worte noch nicht, doch ich ahnte, dass sie recht hatte. Sodann erklärte mir Gula, dass sie eine der vier ersten Etemmu-Qebrus war, also eine der vier Ur-Vampire. Die anderen drei hießen Dagan, Apason und Nergal. Dem zwieträchtigen Nergal missfiel die Eroberung des babylonischen Reiches durch die Perser unter Kyros II., daher suchte er auch dessen Statthalter zu vernichten. Wenn ich es zuließe, dass Gula mich verwandelte, würde sie mir die Macht verleihen, Gubaru vor Nergals Schergen zu beschützen. Also ließ ich es zu«, erklärte Zervan schlicht.

»Aber hatten Sie denn keine Angst?«, rief ich verwundert. »Oder wussten Sie überhaupt, was Ur-Vampire sind? Wie hatten Sie sie doch gleich genannt?«

»Etemmu-Qebrus«, wiederholte Zervan amüsiert. »Etemmu ist die Bezeichnung für eine Totenseele im babylonischen Glauben und ein Etemmu-Qebru ist die Totenseele, die unter den Lebenden wandelt. Und nein, ich hatte keine Angst. Ich wusste, dass Gulas Anliegen gut und richtig war.«

»Aber haben Sie von Gula nicht mehr erfahren wollen? Zum Beispiel, woher die Etemmu-Qebrus kamen beziehungsweise, wie sie entstanden sind?«

Zervan zuckte mit den Achseln. »Mir genügte, was ich bereits über den babylonischen Totenglauben wusste. Danach konnte es mehrere Gründe dafür geben, dass ein Mensch nach seinem Tod in einen Etemmu verwandelt wurde. Dazu gehörte unter anderem ein gewaltsamer oder unzeitiger Tod, der Tod durch Ertrinken oder Verhungern, der Tod während der Schwangerschaft oder wenn ein Toter nicht mit den üblichen babylonischen Ritualen bestattet worden war.«

»Den Begriff Etemmu haben auch die Ritter des Dan verwendet«, meldete sich jetzt Maddy zu Wort. »Doch ihnen zufolge sind die Etemmu rachsüchtige Totengeister, die entstanden sind, weil sie zu Lebzeiten die Lehre des Propheten Daniel verhöhnt hätten. Und zu Vampiren wurden sie dann angeblich durch den Bund mit Unterweltdämonen.«

Zervan ließ ein leises Lachen hören. »Soweit ich weiß, hat der Prophet Daniel während der Herrschaft Nebukadnezars II. gelebt, also in etwa von 605 bis 562 vor Christus. In babylonischen Schriften ist aber bereits zu Lebzeiten von König Hammurapi I. von Etemmus die Rede, also schon über 1000 Jahre zuvor. Zudem werden Etemmus nicht die Fähigkeiten zugeschrieben, die Gula mir verliehen hat. Fähigkeiten, die wir alle besitzen, meine Freunde. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass bei der Entstehung von Etemmu-Qebrus noch andere Mächte mit im Spiel gewesen sein müssen.«

»Und Sie wollten nicht wissen, was für Mächte dies waren?«, fragte ich ungläubig.

»Das beste Wissen ist das, was du kennst, wenn du es brauchst«, antwortete Zervan ruhig.

Unzufrieden sah ich ihn an. Dieser weise alte Vampir war einst Giles’ Erschaffer und Lehrer gewesen und er schien so viel zu wissen und zu verstehen. Wie war das möglich, wenn er doch so wenig wissbegierig war? Noch während ich nachdachte, was ich sagen könnte, ohne mir meine Enttäuschung darüber anmerken zu lassen, dass er uns nicht mehr über den Ursprung aller Vampire verraten konnte, verzog sich Zervans Gesicht zu einem erheiterten Schmunzeln und er breitete beschwichtigend die Arme aus.

»Meine Freunde, ich verstehe, dass ihr noch mehr erfahren wollt«, sagte er. »Darum möchte ich euch einen Vorschlag unterbreiten: Wir reisen gemeinsam nach Babylon, um Gula dort zu suchen. Sie wird euch alle eure Fragen beantworten.«

Wir blickten ihn skeptisch an und Fergus sprach schließlich aus, was fraglos uns allen durch den Kopf ging: »Bei allem Respekt, alter Freund, von Babylon existieren seit Jahrhunderten nur noch Ruinen. Warum glauben Sie, dass wir dort etwas finden könnten? Oder nehmen Sie gar an, dass sich Gula nach wie vor dort aufhält? Und woher wissen Sie überhaupt, dass die Ur-Vampire immer noch leben?«

»Es gibt nichts, das einen Etemmu-Qebru verletzen oder töten kann. Kein Feuer, kein Silber kein Mort-Vivant-Biss. Nichts«, entgegnete Zervan schmunzelnd. Dann fügte er ernst hinzu: »Gula hat mir in jenen Tagen versprochen, mir die ganze Geschichte der Etemmu-Qebrus zu erzählen, wann immer ich danach verlangen würde. Sie sagte mir, dass ich sie finden würde, wenn dieser Moment gekommen sei. Darum werden wir sie finden. An dem Ort, an dem alles begann. In Babylon.«

Ich sah Zervan an und wusste, dass er recht hatte. Obgleich mir unbegreiflich war, woher diese Gewissheit kam.

 

Am Abend sprachen wir in unserer Hotelsuite über Zervans Bericht. »Wir werden das tun, nicht wahr?«, fragte Francisco. »Wir reisen nach Babylon?«

»Ja, so sieht es wohl aus«, erwiderte Fergus fröhlich. »Aber ich habe keine Ahnung warum. Dort gibt es nur noch Sand und Steine.«

Miguel legt den Kopf schief und sah Fergus nachdenklich an. »Doch, du weißt warum. Zervan hat dich ebenso überzeugt wie uns alle.«

Fergus zuckte hilflos grinsend mit den Schultern. »Das stimmt, aber ich weiß nicht, womit. Womöglich hat er uns hypnotisiert.«

»Zervan hat eine suggestive Gabe«, bestätigte Giles daraufhin mit einem nachdenklichen Lächeln, »aber er würde sie nie nutzen, um jemanden zu täuschen.«

»Was hätte er denn in diesem Fall auch davon?«, pflichtete Miguel ihm bei.

»Den Aussagen der Ritter des Dan zufolge befindet sich das antike Babylon in der Nähe der heutigen Stadt Al-Hillah in der osmanischen Provinz Bagdad. Wir können ja morgen überprüfen, inwieweit das stimmt und ob wir geeignetes Kartenmaterial für solch eine Reise finden«, schlug ich vor.

»Zervan hat damals in Babylon gelebt. Und als ich bei ihm lebte, wurde oft deutlich, welch große Kenntnis er über weite Regionen des nördlichen Arabiens besitzt«, überlegte Giles. »Das qualifiziert ihn möglicherweise recht gut als Reiseführer. Doch da wir nicht wissen, wie aktuell sein Wissensstand über die Region ist, schadet es sicherlich nicht, wenn wir uns trotzdem kundig machen. Bis Konstantinopel können wir zumindest schon mal bequem mit dem Orient-Express weitereisen.«

»So oder so wird es jedoch eine längere Reise werden«, überlegte Maddy. »Wir werden wahrscheinlich wenig Gelegenheit zum Jagen finden, am allerwenigsten in der Syrischen Wüste, durch die uns ein großer Abschnitt der Reise führen wird. Wenn wir einen gewissen Vorrat an Tierblut mitnehmen könnten, könnte dies unser Vorankommen deutlich vereinfachen.«

»Aber wie willst du das Blut aufbewahren?«, fragte ich. »Sobald es dem tierischen Kreislauf entnommen wurde, gerinnt es doch sehr schnell.«

»Genau aus dem Grund beschäftige ich mich in meiner Forschung unter anderem schon länger mit Möglichkeiten, die Blutgerinnung zu hemmen«, bekräftigte Maddy. »Es wäre ein elementarer Schritt, um Blut außerhalb eines menschlichen oder tierischen Organismus haltbar zu machen. Ich habe bereits herausfinden können, dass der Zusatz von Zitronensäure die Gerinnung von Blut aufhalten kann. Allerdings ist die Mixtur in Bezug auf Geschmack und Haltbarkeit noch nicht ganz zufriedenstellend. Wenn ihr mir aber noch ein paar Tage Zeit geben würdet, könnte ich möglicherweise eine Lösung finden.«

Wir alle stimmten darin überein, dass es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht ankommen würde, zumal solch eine lange Reise ohnehin sorgfältig vorbereitet sein wollte. Darum beschlossen wir, dass Giles und ich in den nächsten Tagen in Erfahrung bringen sollten, wie wir nach Babylon kamen, während Miguel Maddy dabei half, ein kleines Labor einzurichten, um ihre Forschung hinsichtlich der Konservierung von Blut fortzuführen. Francisco und Fergus wollten sich derweil um die nötige Ausrüstung sowie die Besorgung von Feldflaschen für den Transport unserer Blutvorräte kümmern.

 

Anderthalb Wochen später war es schließlich so weit. Maddy hatte durch die Neutralisation von Natronlauge mit Zitronensäure Natriumcitrat gewinnen können, ein Stoff, der sich – wie sie herausfand – hervorragend dazu eignete, die Gerinnung von Blut zu unterbinden. Darum waren wir abermals im Witoscha-Gebirge auf die Jagd gegangen, um uns dort mit einer ausreichenden Menge an Blut zu versorgen, die uns helfen würde, die längere Reise ohne Durst zu überstehen.

Giles und ich hatten in einem örtlichen Reisebüro Zugfahrkarten für uns alle sowie erforderliches Kartenmaterial besorgt und gemeinsam mit Zervan den genauen Verlauf unserer Reise besprochen.

Zunächst ging es, wie Giles schon angekündigt hatte, von Sofia mit dem Orient-Express bis nach Konstantinopel. Dort hatten wir zwei Tage Aufenthalt, die wir dazu nutzten, uns in der faszinierenden Stadt am Bosporus ein wenig umzuschauen. Konstantinopel war die Hauptstadt des immer noch riesigen Osmanischen Reiches und westliche wie orientalische Einflüsse verbanden sich in ihr zu einer reizvollen Mixtur. Prachtvolle Moscheen, luxuriöse Paläste, moderne Bürogebäude und Hotels, labyrinthartige Basare und Geschäftsviertel – Konstantinopel bot eine Vielfalt an Eindrücken für alle Sinne. Zu zwei verschiedenen Kontinenten gehörig, bestand die Stadt aus einem europäischen und einem asiatischen Teil, getrennt durch den Bosporus, eine Meerenge, die das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verband.

Viel zu schnell verging die Zeit in dieser interessanten Metropole und wir mussten mit einem Boot den Bosporus überqueren, um auf die asiatische Seite der Stadt zu gelangen, da sich dort auch der Bahnhof befand, von dem aus wir mit der Anatolischen Eisenbahn bis zur Endstation Konya fuhren. Auch in diesem Zug hatten wir wieder komfortable Schlafwagenabteile gebucht, so dass wir die 18-stündige Fahrt recht rasch hinter uns brachten. Was den Zug als Transportmittel anbelangte, so war unsere Fahrt in Konya zunächst einmal zu Ende. Zwar hatte in Konya vor einigen Monaten der Bau einer Eisenbahnstrecke begonnen, die eines Tages bis nach Bagdad führen sollte, doch da bislang nicht ein einziger Teilabschnitt jener Strecke fertiggestellt worden war, mussten wir uns nun für die weitere Reise ein anderes Verkehrsmittel suchen.

Dieses fanden wir in Form mehrerer Kutschen, die uns aus der Hochebene Konyas hinunter an die Mittelmeerküste und dort schließlich zur Hafenstadt Mersin brachten. Zwar wären wir dank unserer Vampirgeschwindigkeit zu Fuß womöglich schneller vorangekommen, doch wollten wir lieber unauffällig reisen und konnten zudem in den Kutschen unser Gepäck und die Feldflaschen mit den Blutvorräten einfacher transportieren. Die Entfernung nach Mersin betrug gut 226 Meilen und wir hatten die Stadt als Zwischenziel ausgewählt, weil wir beabsichtigten, vom dortigen Hafen mit dem Boot nach Tripoli in der osmanischen Provinz Beirut überzusetzen. Alternativ hätten wir sonst von Konya aus über Land bis in die Provinz Bagdad reisen müssen, was unter anderem bedeutet hätte, das riesige Taurusgebirge zu überqueren. Doch dort lag immer noch Schnee, was eine Passüberquerung schwierig bis unmöglich machte. Daher zogen wir es vor, von Tripoli aus den alten Karawanenstraßen Richtung Bagdad zu folgen.

Die Strecke von Konya an die Mittelmeerküste hinunter war nicht sonderlich gut ausgebaut und unsere Kutschen rumpelten teilweise stark, doch wir widerstanden dem Versuch, stattdessen auszusteigen und lieber zu rennen. Auch wenn die Gegend nicht sehr dicht besiedelt war, so gab es vereinzelt doch immer wieder Bauernhöfe und Feldarbeiter und Letztere hätten unsere Fortbewegungsart sicherlich seltsam gefunden. Entlang des Weges erblickten wir viele eigentümlich geformte Hügel, deren scharfer Geruch zeitweilig bis zu uns vordrang. Zervan erklärte uns, dass dies getrockneter Kuhmist war, den die Einheimischen dieser Region in den oft strengen Wintern zum Heizen verwenden.

Später kamen wir in gebirgigeres Gelände und die herbstliche Witterung gab uns schon einen kleinen Vorgeschmack auf die von Zervan erwähnten Winter. Auf dem Sertavul-Pass überquerten wir dann ein Stück des Taurusgebirges und genossen den Blick auf teilweise schroffe Felsformationen. Bald darauf kamen wir endlich in der Küstenebene an, und nachdem wir unsere Pferde gewechselt hatten, ging es in nordöstlicher Richtung immer am Meer entlang bis nach Mersin.

Dieser Abschnitt unserer Reise kam uns fast wie ein Ausflug in die Vergangenheit vor, da wir nicht nur an zahlreichen bezaubernden Meeresbuchten vorbeikamen, sondern auch an vielen spätrömischen Ruinen, wie beispielsweise antiken Theatern, Thermen und Aquädukten. In einer Bucht erweckte eine vorgelagerte Zitadelle vor allem Fergus’ Aufmerksamkeit. Zervan erzählte uns daraufhin, dass jene byzantinische Festung Mädchenburg genannt wurde, weil einer Legende zufolge eine Prinzessin von ihrem Vater dorthin verbannt worden war, nachdem man ihr den Tod durch einen Schlangenbiss prophezeit hatte. Der Prinzessin hatte es dessen ungeachtet an nichts fehlen sollen und so hatte sie jeden Tag Körbe mit frischem Obst auf die Festungsinsel geliefert bekommen. In einem jener Körbe war jedoch eines Tages eine Schlange mit in die Festung gebracht worden, so dass sich die verhängnisvolle Prophezeiung dann doch erfüllt hatte.

 

Am nächsten Tag erreichten wir Mersin, wo Zervan, Giles und Francisco sofort in den Hafen gingen, um sich nach einem Schiff in Richtung Tripoli zu erkundigen. Maddy und Miguel zogen los, um ein paar Zitronen zu besorgen. Und Fergus und ich mieteten derweil ein paar Zimmer in einer Hafenschenke, damit Maddy dort in Ruhe neues Natriumcitrat erzeugen konnte, das wir anschließend nutzten, um aus dem Blut einiger im Hinterland erbeuteter Hirsche und Rehe weitere Blutkonserven herzustellen. Zwar hatten wir unsere Vorräte bislang kaum dezimiert, doch von nun an würde uns unsere Reise durch weniger fruchtbare Gefilde führen, so dass es nicht schaden konnte, sie noch einmal aufzustocken.

Zervan, Giles und Francisco hatten herausgefunden, dass in drei Tagen ein Frachtschiff nach Tripoli übersetzte, und den Kapitän mittels eines fürstlichen Entgelts dazu bewegen können, uns als Passagiere mitzunehmen. Wie Zervan uns erklärte, hätten wir auch nach Beirut fahren und von dort aus über Damaskus nach Al-Hillah reisen können. Doch wenn wir die etwas längere nördliche Route von Tripoli über Palmyra nahmen, würden wir nur ein kleineres Stück der Wüste durchqueren müssen und konnten den Rest der Strecke am Fluss Euphrat entlang reisen. Das hätte den enormen Vorteil, dass wir uns in den dortigen fruchtbaren Ebenen an Wildtieren stärken könnten und nicht weiter auf unsere Blutkonserven angewiesen wären.

 

Tripoli war eine sehr alte Stadt, die bereits im 9. Jahrhundert vor Christus von Phöniziern als Handelsstützpunkt am Mittelmeer gegründet worden war. Wie Zervan uns berichtete, hatte er im 17. Jahrhundert dort einige Jahre lang als Dolmetscher und Handelsberater gearbeitet und kannte sich daher in Tripoli recht gut aus.

Die Altstadt war von vielen Moscheen, Karawansereien und einem großen Souk geprägt, in den Zervan uns führte, um die Ausrüstung für unsere weitere Reise zu kaufen. Souks waren in arabischen Städten traditionelle Handelsviertel beziehungsweise Basare mit einer Vielzahl an Gassen, in denen die Geschäfte und Stände verschiedener Händler gemeinsam mit Werkstätten diverser Handwerker thematisch gruppiert waren. So schien der Souk von Tripoli aus einem nicht enden wollenden Gewirr verschachtelter Gänge zu bestehen, das dennoch nach einer bestimmten Logik aufgebaut war. Im Zentrum des Souks befanden sich beispielsweise die Juweliere und Goldschmiede, daran angrenzend die Läden der Tuchhändler und Schneider sowie Weber, Teppichhändler und Schuster. Die Geschäfte wurden offenbar nur selten in den Läden, sondern zumeist draußen auf dem Gang unter lautem Debattieren und Feilschen abgeschlossen, so dass wir uns an engeren Stellen an einigen Kunden und Händlern vorbeischieben mussten. Maddy und ich ernteten dabei ob unserer westlichen Kleidung desöfteren neugierige Blicke, was uns die Notwenigkeit vor Augen führte, uns im Rahmen unserer Einkäufe möglichst bald auch unauffälligere Gewänder zu besorgen.

Die Trachten der einheimischen Frauen schrieben zwar einen Schleier vor, waren letztendlich aufgrund eines fehlenden Korsetts aber deutlich bequemer als unsere europäische Kleidung. Darum besorgten Maddy und ich uns bei einem Tuchhändler zunächst einmal eine traditionelle Tracht, bestehend aus einer weiten, langen Hose und dem Entari, einer Robe mit langen Ärmeln. Darüber wurde ein Kaftan sowie ein Umhang getragen und als Kopfbedeckung und Schleier ein Hejab. Wir behielten die Trachten sogleich an, um bei unseren weiteren Besorgungen kein Aufsehen mehr zu erregen.

Auch Giles, Fergus, Francisco und Miguel statteten sich ähnlich aus, wenngleich sie als Kopfbedeckung natürlich einen Turban und keinen Hejab wählten. Zudem deckten wir alle uns für die weitere Reise mit den typischen Reitkostümen der Beduinen ein. Denn obgleich ein Großteil unseres Weges uns durch die Wüste führen würde, traf man auf den alten Karawanenstraßen dennoch gelegentlich auch Nomaden und andere Reisende an. Frauen waren unter ihnen ein eher seltener Anblick, darum würde es sich für Maddy und mich einmal mehr empfehlen, in Männerkleidung zu reisen. Ein Sortiment an diversen Tüchern, die uns vor Sonne und Sand schützen sollten, komplettierte unseren Einkauf beim Tuchhändler.

Bei einem Kräuterhändler erstand Maddy etwas Sesamöl und Sheabutter, um daraus mit Pulvern aus Zinkoxid und Titandioxid, die sie zu diesem Zweck auf Reisen immer dabei hatte, eine Paste zum Schutz gegen die Sonne für uns alle herzustellen.

Zervan hatte uns empfohlen, die Wüstendurchquerung auf dieselbe Weise durchzuführen, wie es auch die Nomaden seit Hunderten von Jahren taten – als Karawane mit Maultieren, Eseln und Kamelen als Reit- und Lasttieren. Und mit einer entsprechenden Ausrüstung, die es uns ermöglichte, des Tags zu reisen und des Nachts zu rasten. Auf diese Art könnten wir unsere Kräfte schonen, bis wir die fruchtbaren Ebenen des Euphrat erreicht hätten. Darum besorgten wir uns unter anderem noch Zelte, Feldbetten, Decken, Klappstühle und Petroleumlampen für die nächtliche Rast. Letztere waren zwar aufgrund unseres verstärkten Sehvermögens nicht zwingend notwendig, doch mit etwas Illumination hätten wir es ein wenig behaglicher, wenn wir abends beisammen saßen.

Kompasse für die Navigation waren ein weiteres wichtiges Ausrüstungsutensil. Der Händler, der sie uns verkaufte, riet uns dringend, bei seinem Schwager zudem ein paar Gewehre zu erstehen, weil – wie er erklärte – eine gut ausgestattete Karawane bekanntermaßen durchaus mal von Räubern überfallen wurde. Da er nicht wissen konnte, dass wir auch ohne Schusswaffen recht wehrhaft waren, gaben wir vor, uns seinen Rat zu Herzen zu nehmen.

Bei einem Pferde- und Kamelhändler am Rande der Stadt deckten wir uns dann mit Maultieren, Eseln und Kamelen sowie mit Wasser und etwas Heu für deren Verpflegung ein und kauften einem Hirten ein paar seiner Schafe ab, um damit unseren eigenen Proviant an Blutkonserven zu ergänzen. Somit waren wir startklar für die Weiterreise nach Homs, der ersten Etappe unserer Route entlang der alten Karawanenstraße durch die Wüste.

 

Der knapp dreitägige Marsch nach Homs führte uns zwischen zwei Gebirgsausläufern hindurch. Ein Zwischenstopp in einem kleinen Städtchen und die Durchquerung einiger recht fruchtbarer Täler sorgten dafür, dass uns dieser Abschnitt unserer Reise noch wie ein Spaziergang vorkam.

Homs selbst hatte einen etwas verfallenen Charme. Die Glanzzeiten osmanischer Herrschaft hatte es fraglos schon hinter sich gelassen, obgleich es der Stadt aufgrund zahlreicher umliegender Baumwollplantagen wirtschaftlich recht gut ging und es noch ein paar verbliebene osmanische Bauten und eindrucksvolle Moscheen gab. Nachdem wir unsere Wasservorräte für die Tiere noch einmal aufgestockt hatten, zogen wir weiter. Als wir die Stadtmauern von Homs hinter uns gelassen hatten, passierten wir noch ein paar Dörfer entlang der Straße, die Bäume wurden jedoch bereits kleiner, die gesamte Vegetation zunehmend karger. Sobald wir außer Sichtweite der letzten Siedlungen waren, legten wir unsere Beduinentrachten an, denn vor uns begann nun die Wüste.

Die Strecke nach Palmyra betrug in etwa 95 Meilen, doch die Straße, die uns aus Homs hinaus geführt hatte, endete bereits nach einer halben Meile. Danach lagen nur noch Sand und Steine vor uns, die von verschiedenen ausgetretenen Pfaden geteilt wurden. Wir wollten die Kompasse zu Rate ziehen, doch Zervan gab uns zu verstehen, dass er den Weg kannte, und schritt mit seinem Maultier voran. Ihm folgten die Kamele, die unsere Lasten trugen, und dann wir mit unseren Maultieren und Eseln. Vereinzelt säumten noch trockene Gräser und Sträucher den Pfad und Zervan warnte uns, auf Treibsandfelder zu achten.

Eine fast irreale Stille umgab uns. Wir alle waren schon in entlegenen Regionen der Welt gewesen, doch hatte sich die Natur immer belebter präsentiert als hier, stets hatte man den Klang irgendwelcher Vögel oder anderer Tiere vernehmen können. Hier in der Wüste hingegen drang kein Geräusch an unsere Ohren – abgesehen vom gelegentlichen Schnauben der Kamele und dem Wiehern der Maultiere. Diese Stille veranlasste auch uns, zu schweigen und die unwirtliche und dennoch faszinierende Atmosphäre der Wüste auf uns wirken zu lassen.

Als die Sonne sich zu senken begann, suchten wir uns einen geeigneten Platz, um die Zelte aufzubauen und sammelten ein paar verdorrte Zweige, um ein Feuer zu machen. Um das Feuer herum sitzend, genossen wir erst das Schauspiel der untergehenden Sonne in der unglaublich weiten Landschaft, bevor wir uns für ein paar Stunden der Ruhe zurückzogen.

 

Am nächsten Tag erschwerte ein leichter Sandsturm unser Vorankommen. Wir wickelten unsere Tücher fester um unsere Köpfe, damit sie Mund und Nase bedeckten, und versuchten, den Launen der Wüste zu trotzen. Gegen Mittag legte sich der Sturm endlich, machte jedoch einer quälenden Hitze Platz. Wir stärkten uns an ein paar unserer Blutkonserven und gaben den Tieren zu trinken. Der Horizont schien im Hitzeflimmern komplett zu verschwimmen. Abseits des Weges konnten wir ein paar Sandteufel beobachten. So wurden die Miniaturtornados aus Staub und Sand genannt, die sich hier bei großer Hitze schnell entwickelten.

Als wir am Abend wieder unser Zeltlager aufschlugen, erklärte Zervan uns, dass wir nun bereits die zwei Seiten der Wüste kennengelernt hatten: ihre Schönheit und ihre Unbarmherzigkeit.

»Wie kommt es, dass die Beduinen in dieser riesigen Ödnis so gut existieren können?«, fragte Francisco ihn, als wir alle im Schein der Petroleumlampen beieinander saßen.

»Sie sind ja seit unzähligen Generationen damit vertraut«, antwortete Zervan. »Sie kennen alle versteckten Brunnen und alle Weideplätze für ihre Schaf- und Ziegenherden. Und vor allem haben sie ihre unschätzbar wertvollen Kamele. Die Kamele transportieren die schwersten Lasten und – wenn es sein muss – auch Frauen, Kinder, Greise, die ganze Familie der Beduinen. Der Kamelmist dient den Beduinen zur Feuerung und die Milch der Kamele nährt ihre Kinder. Das dürrste Gestrüpp reicht Kamelen zur Nahrung und sie schaffen mehrere Tagesreisen, ohne zu trinken.«

»Ja, mir war auch schon aufgefallen, dass die Kamele kaum Durst zu haben scheinen«, stellte Maddy fest. »Es sind ganz erstaunliche Tiere. Sie ziehen mit so langen gemächlichen Schritten dahin und nutzen ihre biegsamen Hälse, um hin und wieder ein Dornengestrüpp am Wegesrand zu fressen.«

»Es heißt ja, dass es auch räuberische Beduinenstämme gäbe«, wandte Fergus sich nun wiederum an Zervan, »uns ist aber bislang keiner begegnet.« Natürlich hatte Fergus die Einsamkeit der Wüste dazu genutzt, gelegentlich seine Gerfalkengestalt anzunehmen und die noch vor uns liegende Strecke von der Luft aus zu erkunden.

»Uns wird auch weiterhin keiner jener Stämme begegnen«, versicherte Zervan ihm lächelnd. »Ich bin diese alten Karawanenstraßen seit Jahrhunderten immer mal wieder entlanggereist, ohne je einen Überfall miterlebt zu haben. So wie die Beduinen die Wüste kennen, so haben sie vermutlich auch ein Gespür dafür, welche Reisenden sie lieber nicht angreifen. Allerdings kann es geschehen, dass wir ein paar freundlich gesinnten Nomaden begegnen. Ihr werdet dann sehen, wie gastfreundlich die meisten von ihnen sind. Selbst wenn man wenig hat, teilt man es mit seinen Gästen, das ist in der Wüste selbstverständlich.«

 

Als wären Zervans Worte prophetisch gewesen, stießen wir am nächsten Tag wahrhaftig auf eine kleine Nomadenfamilie. Sie luden uns ein, unsere Zelte neben den ihrigen aufzuschlagen, und baten uns anschließend in ihr geräumiges Gemeinschaftszelt. Als wir auf den großzügig verteilten Teppichen neben ihnen Platz nahmen, schickte das Familienoberhaupt, ein kräftiger Beduine mit sonnengegerbtem Gesicht, zunächst seine Frau mit einer großen Holzschale hinaus. Zervan erklärte uns, dass sie wahrscheinlich frische Kamelmilch für uns holen sollte, ein sehr beliebtes Getränk und eine übliche Geste der Gastfreundschaft.

Doch als die Frau kurz darauf tatsächlich mit der randvoll gefüllten Schale ins Zelt zurückkehrte, gebot der Beduine ihr Einhalt. Er musterte uns mit leicht zusammengekniffenen Augen und sagte ein paar arabische Worte zu Zervan. Zervan nickte lächelnd und antwortete ebenfalls auf Arabisch.

Dann übersetzte er für uns: »Der Mann entschuldigt sich, dass er das Gesetz der Gastfreundschaft so rüde verletzt, aber er hat das Gefühl, dass wir lieber gar keine Kamelmilch wollen. Ich habe ihm bestätigt, dass er uns richtig einschätzt und dass er sich keine Sorgen zu machen braucht.«

Ich musterte das hagere braune Gesicht des Beduinen. Einerseits war ich dankbar, dass wir die Kamelmilch nicht trinken und vortäuschen mussten, dass es für uns ein köstlicher Genuss wäre. Anderseits fragte ich mich, wie es möglich war, dass ich einmal mehr in meinem Leben einem Menschen begegnete, der offenbar erriet, was wir waren und nicht davor zurückschreckte.

Als hätte er meine Gedanken erraten, fügte Zervan zu mir gewandt hinzu: »Er weiß nicht, was wir sind. Aber er spürt, dass wir anders sind.«

»Und er will nicht mehr darüber wissen?«, fragte ich ihn.

»Nein. Es gilt als äußerst unhöflich, seine Gäste auszufragen.«

Der Beduine bedeutete indes seiner Frau, die Kamelmilch den weiter hinten im Zelt sitzenden Kindern zu geben und reichte uns stattdessen seine Wasserpfeife. Da der Mann erraten hatte, dass wir anders waren, hatte er sicherlich auch Maddy und mich trotz unserer männlichen Beduinentrachten als Frauen erkannt. Doch er ließ sich weder Erstaunen noch Unmut hierüber anmerken und schien es selbstverständlich zu nehmen, dass wir somit ebenso wie die Männer von der Pfeife rauchten. Zufrieden nickend beobachtete er, wie wir nacheinander daran zogen. Die Wasserpfeife war anscheinend mit recht starkem Tabak gefüllt, den man dem Aroma zufolge mit Honig und getrockneten Früchten vermengt hatte. Der Geschmack war gewöhnungsbedürftig, aber ertragbar, und so suchten wir guten Willen zu zeigen, da wir ja immerhin so freundlich aufgenommen waren.

Als die Nacht sich über die Wüste zu senken begann, bot der Beduine uns an, uns zum Schutz gegen die Kälte mit seinen Schaffellen zu bedecken, doch wir bedeuteten ihm, dass unsere Kleidung uns ausreichend wärmte.

Von Zervan übersetzt erzählte er uns mit kehliger Stimme, dass seine Familie schon immer in der Wüste gelebt habe. Als Viehzüchter haben sie ihre Dromedare, Schafe und Ziegen durch die Wüste zu entlegenen Weideplätze getrieben.

Ich fragte ihn, ob ihm oder seiner Frau dieses Leben nicht manchmal unbequem oder einsam erschienen ist.

Er verneinte dies. Wenn ein Beduine auf andere Mitglieder seines Stammes träfe, berichtete er, wäre dies stets eine große Freude und oft säßen sie nächtelang beisammen, um sich alte Geschichten zu erzählen. Daraufhin stand er auf, trat an den Zelteingang und wies mich an, ihm zu folgen. Er schlug das Zelttuch beiseite und deutete in den Nachthimmel. Es schien, als würden dort oben Millionen von Sternen um die Wette miteinander funkeln, zahlreicher und strahlender als ich es in meinem schon Jahrhunderte währenden Leben je irgendwo gesehen hatte.

Dieses Geschenk würde einem nur in der Wüste gemacht, erklärte der Beduine mir, und nur wer dort leben würde, käme in den Genuss vollkommener Freiheit.

Obwohl ich mich erst seit drei Tagen in der Wüste befand, begriff ich, was er meinte.

 

Eine neue Bekanntschaft

 

Am nächsten Tag wies unsere Wegstrecke eine leichte Steigung auf, insgesamt wirkte das Gelände auch etwas gebirgiger. Nachdem wir zum Abend hin eine kleine Hügelkette passiert hatten, bot sich uns im Dämmerlicht ein imposanter Anblick: Vor uns lag in einem weitläufigen Tal die Oase von Palmyra. Neben unzähligen Palmen, die der antiken Stadt ihren Namen gaben, entdeckten wir diverse fruchtbare Plantagen sowie die berühmten Ruinen aus römischer Zeit, die sich über die Landschaft erstreckten, soweit das Auge reichte.

Alten Schriften zufolge existierte Palmyra als wichtige Handelsstadt bereits zu altassyrischer und babylonischer Zeit unter dem Namen Tadmor und so hieß auch heute noch die kleine Siedlung direkt neben der antiken Stadt, in der die Menschen wohnten, die die Plantagen der Oase bewirtschafteten. In Tadmor befanden sich zudem zwei passabel ausgestattete Karawansereien, so dass wir in einer davon bequem nächtigen und hier vor Ort auf unsere Zelte verzichten konnten.

 

Als wir am nächsten Morgen die Gegend erkundeten, stellten wir fasziniert fest, wie grün und üppig uns große Teile der Ebene erschienen. Vier Tage lang waren wir gewissermaßen durch verdörrte Einöde gezogen und plötzlich präsentierte sich uns inmitten jener unendlichen Kargheit so viel fruchtbare Botanik, allein gespeist durch zwei Quellen, die bereits seit Urzeiten hier sprudelten. Der weitläufige Palmenhain war eine Abwechslung für unsere Augen und der Reichtum an Früchten in den Plantagen betörte unsere Sinne. Es gab Dattelpalmen, Oliven-, Granatapfel- und Feigenbäume, deren unterschiedlich reife Früchte teilweise einen starken Duft verströmten.

Direkt an den Palmenhain grenzten diverse römische Ruinen, durch die Zervan uns führte. Wie er uns berichtete, war Palmyra im 1. Jahrhundert nach Christus ins Römische Reich eingegliedert worden und hatte dank seiner Lage an wichtigen Handelsrouten rasch immensen Reichtum erlangt. Die Kultur Palmyras vereinte sowohl römische als auch orientalische Elemente, was sich in vielen kolossalen Bauwerken ausdrückte, wie zum Beispiel dem Baaltempel, den wir durchschritten. Baal war ein altorientalischer Wetter- und Fruchtbarkeitsgott und der ihm zu Ehren errichtete Tempel war noch in großen Teilen erhalten und wies neben römischen auch Merkmale arabischer Architektur auf, wie Fergus sofort interessiert bemerkte. Als wir durch eine der Säulenhallen des Baaltempels schlenderten, stob plötzlich ein heißer und heftiger Wind um uns herum und Zervan blickte aufmerksam zum Himmel.

»Was ist los?«, fragte Giles ihn.

»Es ist kein Zufall, dass dies hier und jetzt passiert, und ich denke, es bedeutet, dass wir auf dem richtigen Weg sind«, antwortete Zervan.

Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. »Hattest du denn Zweifel daran?«

Er lächelte mich an. »Nein, natürlich nicht.« Dann drehte er sich um, um uns weitere antike Sehenswürdigkeiten zu zeigen.

Fergus knuffte mich grinsend in die Seite. »Ein seltsamer Bursche, nicht wahr? Ich werde nicht so recht schlau aus ihm.«

Leicht resigniert erwiderte ich sein Grinsen. »Ich auch nicht. Aber Giles vertraut ihm bedingungslos, also können wir dies sicher auch.«

Wie Zervan uns berichtete, hatten die Bewohner Palmyras eines Tages versucht, sich gegen Rom aufzulehnen. Die Römer hatten den Aufstand jedoch niedergeschlagen und die Stadt hatte danach nie wieder ihre ursprüngliche Größe erlangt. Im frühen Mittelalter hatten schließlich die meisten Bewohner Palmyra verlassen.

Umso beeindruckender erschien es uns, dass bis heute noch so viele Reste der einst prachtvollen Stadt erhalten geblieben waren. Zwar waren die Gebäude verfallen und ein Großteil der Säulen zerbrochen, trotzdem ragten einige der Ruinen noch bis zu 33 Fuß hoch in den Himmel.

 

Im Anschluss führte Zervan uns durch die westliche Nekropole von Palmyra. Dies war eine antike Begräbnisstätte mit verschiedenen, teilweise bis zu fünf Stockwerke hohen Grabtürmen. Von außen sahen die Türme eher schlicht aus, doch ihre über schmale Wendeltreppen verbundenen Innenräume waren mit komplexen Ornamenten und Skulpturenschmuck verziert.

Fergus war natürlich Feuer und Flamme für diese ungewöhnlichen Grabstätten und auch Maddy interessierte sich sehr für die Bestattungsweise in den Türmen, die bis zu 300 Tote fassen konnten. Weil jedoch inzwischen die Mittagssone recht unbarmherzig vom Himmel brannte, gönnten wir uns alle erst mal im Schatten eines der Türme eine kleine Pause. Ich setzte mich auf ein Säulenfragment und griff in meinen mitgeführten Beutel, um mir eine unserer verbliebenen Blutkonserven zu Gemüte zu führen. Doch kaum hatte ich mir die Feldflasche an die Lippen gesetzt, breitete sich ein fauliger Geschmack in meinem Mund aus. Wie fast zu erwarten war, hatte selbst das von Maddy entwickelte Natriumcitrat das Blut bei den hohen Temperaturen nicht dauerhaft konservieren können und nun begann es zu verwesen.

Angewidert schleuderte ich die Feldflasche von mir, woraufhin Francisco plötzlich einen Warnruf ausstieß. »Vorsicht, Gemma!«

Ich blickte auf und sah, wie aus der Richtung, in die ich die Flasche geworfen hatte, ein großer schwarzer Skorpion mit einem mächtigen und steil aufgerichteten Stachel auf mich zugeschossen kam. Blitzschnell sprang ich beiseite und der Skorpion verschwand in einem nahen Erdloch.

Stirnrunzelnd beugte sich Zervan darüber.

»Das war ein Androctonus crassicauda, wegen seines Aussehens im Volksmund auch Dickschwanzskorpion genannt«, erklärte er nachdenklich, als er sich wieder aufrichtete. »Ihr Gift ist für Menschen tödlich und für uns immerhin noch einigermaßen schmerzhaft. Sie sind relativ aggressiv, aber ich habe noch nie erlebt, dass sie einen Artgenossen von uns angreifen.«

»Vielleicht wusste dieses Exemplar nicht, dass wir Vampire sind«, erwiderte ich trocken.

Zervan schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht«, murmelte er.

Ich fing einen Blick von Fergus auf, der mir erneut zu verstehen gab, dass er Zervan für ein wenig wunderlich hielt.

 

Nachdem wir abends entdecken mussten, dass auch unsere restlichen Blutvorräte verdorben waren, kauften wir einem Hirten aus dem Dorf ein paar seiner Ziegen ab. Zwar hatten wir in Tripolis bereits einige Schafe für unsere Verpflegung erstanden, doch die würden wir voraussichtlich noch für den weiteren Weg durch die Wüste benötigen, darum wollten wir sie vorerst nicht anrühren.

Um von unserer gekauften Beute ohne Aufsehen trinken zu können, führten wir die Ziegen nachts ein Stück in die Wüste hinaus. Ihr Blut war mit dem von Wildtieren nicht zu vergleichen, doch es stillte ausreichend unseren Durst. Während wir schweigend unser Mahl genossen, gesellte sich plötzlich eine junge Araberin zu uns, die wir aufgrund ihres Geruchs sofort als Artgenossin erkannten.

Mit etwas Abstand stand sie vor uns und betrachtete uns stumm. Meine Freunde und ich unterbrachen unsere Mahlzeit und erwiderten ihren Blick fragend. Zervan sprach sie auf Arabisch an, vermutlich um zu erfahren, wer sie war und was sie wollte.

Zu meinem großen Erstaunen antwortete die Frau in fast fehlerfreiem Englisch. »Mein Name ist Sadia El-Amin. Verzeiht mir, dass ich euer Mahl störe, aber ich habe mich gefragt, warum ihr von Tieren trinkt?«

Die junge Frau trug die traditionelle Kleidung, bestehend aus weiter Hose, Kaftan und Schleier, und dank unserer verstärkten Sehkraft konnte ich trotz der Dunkelheit erkennen, dass sie in leicht angespannter Haltung dastand.

»Sicherlich bevorzugst du Menschenblut?«, fragte ich vorsichtig.

»Ich hätte es bevorzugt, zu sterben, aber das ist ja leider nicht möglich!«, brach es da aus ihr hervor. Sogleich senkte sie den Kopf und entschuldigte sich für ihren Ausbruch.

Offenbar war die Araberin nicht freiwillig in eine Vampirin verwandelt worden und litt nun unter ihrem Dasein.

Ich hielt ihr meine Ziege entgegen. »Wenn du keine Menschen verletzen möchtest, musst du dies nicht tun. Auch Tierblut nährt uns, wenngleich es ein wenig fader schmeckt.« Dass wir mit Zervan in unserer Mitte auch einen Vampir hatten, dem es stets gelang, Menschen dazu zu bringen, ihm freiwillig von ihrem Blut zu spenden, verschwieg ich in diesem Moment, denn diese Fähigkeit war sicherlich nur den wenigsten von uns gegeben.

Zögernd nahm Sadia die Ziege und legte ihre Lippen an die Wunde, die ich deren Kehle bereits zugefügt hatte. Hernach schloss sie die Augen und trank erst langsam, dann immer gieriger. Anscheinend hatte sie schon eine ganze Weile lang Durst leiden müssen.

Schließlich setzte sie die Ziege ab und sah mich dankbar an.

Auch die anderen hatten inzwischen ihr Mahl beendet und so vergruben wir gemeinsam die Tierkadaver. Francisco und Miguel hatten unterdessen ein paar trockene Zweige gesammelt und ein kleines Feuer gemacht, um das wir uns nun alle setzten.

»Du bist noch nicht lange eine von uns?«, fragte Maddy Sadia.

Die junge Araberin schüttelte den Kopf.

»Gibt es denn an diesem Ort noch andere Vampire?«, wollte Francisco daraufhin wissen. Seine Stimme klang ein wenig misstrauisch, daher sah ich zu ihm hinüber. Sein Blick wirkte seltsam hart und ich fragte mich, ob er etwas bemerkt hatte, das mir möglicherweise entgangen war. Anschließend blickte ich zu Zervan, denn er war derjenige von uns mit der besten Intuition. Doch Zervan saß nur schweigend da und sein Gesicht war so unergründlich wie eh und je.

»Nein«, beantwortete Sadia derweil Franciscos Frage. »Und ich stamme auch nicht von hier. Aber zu Hause war ich nicht mehr willkommen.«

»Wo ist denn dein Zuhause?«, fragte ich sie.

»In Deir ez-Zor. Mein Vater ist dort ein angesehener Kaufmann. Ich bin ..., ich war seine einzige Tochter und ich sollte einen Geschäftsfreund von ihm heiraten.« Sie verstummte.

»Und das wolltest du nicht?«, hakte Maddy nun nach.

Sadia sah uns schuldbewusst an. »Alles war schon arrangiert. Und da ich bereits zwanzig war, war es für mich auch höchste Zeit zu heiraten. Aber der Mann ist so alt! Er ist älter als mein Vater! Ich ging hinunter an den Euphrat. Ich gehe gern dort spazieren, irgendwie gibt der Fluss mir Frieden.«

Das konnte ich gut nachvollziehen, mir ging es an Flüssen stets ähnlich. Ich sann darüber nach, dass ich in meiner Heimat dafür gekämpft hatte, dass Frauen wählen gehen dürfen, und in Ländern wie diesem durften sie noch nicht einmal selbst entscheiden, wen sie heiraten.

»Es begann schon zu dämmern«, fuhr Sadia fort, »da sah ich am Ufer plötzlich einen ... Vampir.«

»Woher wusstest du, dass es ein Vampir war?«, unterbrach Francisco sie skeptisch.

»Ich ...«, sie stockte, »ich wusste es nicht. Erst später. Aber er war so ungewöhnlich und ich war fasziniert von ihm. Er fragte mich, ob ich mit ihm ginge. Und das tat ich.«

»Und dann verwandelte er dich?«, fragte ich.

Sie nickte. »Bald darauf verließ er mich. Er war nicht an mir interessiert gewesen. Er hatte nur mein Blut und meine Unschuld gewollt. Ich kehrte zu meiner Familie zurück, doch sie verstießen mich. Ich hatte Schande über sie gebracht. Sie hatten ja auch recht damit und sie wussten noch nicht einmal, wie sehr. Was ich bin, was wir sind, ist unnatürlich!« Sie stieß es fast zornig hervor. Sofort entschuldigte sie sich wieder und senkte den Blick. »Ich wollte euch nicht beleidigen«, murmelte sie.

Wir betrachteten sie alle nachdenklich. Offensichtlich war sie mit ihrem Dasein noch zutiefst im Unreinen und ich versuchte mich daran zu erinnern, wie ich mich damals kurz nach meiner Verwandlung gefühlt hatte. Vermutlich ähnlich.

Derweil meldete sich Zervan zu Wort. »Was tust du hier?«, fragte er mit ruhiger Stimme.

Sadia hielt den Blick immer noch gesenkt. »Als meine Familie mich verstieß, ging ich in die Wüste. Ich wollte sterben. Doch es war nicht möglich, einfach so zu sterben. Wenn mein Durst zu heiß brannte, wurde mein Überlebenswille zu mächtig und ich überfiel wahllos Reisende. Alles unschuldige Menschen. Ein Beduine schlug mir schließlich ein Geschäft vor. Wenn ich ihn verschonte und zudem ihn und seine wertvollen Handelswaren vor Räubern beschützte, dann könnte ich an den Räubern meinen Durst stillen und er würde mein Geheimnis wahren. Ich ließ mich darauf ein. Jetzt rastet er hier in der Karawanserei. Gelegentlich führt er auch Touristen umher, darum beherrscht er eure Sprache, die er auch mich lehrte. Als ich eure Anwesenheit wahrnahm, folgte ich euch hierher.« Sie sah uns neugierig an. »Ihr seid wie ich und doch seid ihr anders. Ihr kommt aus einem fernen Land und ihr trinkt von Tieren, doch ihr seid keine Touristen, nicht wahr?«

Die junge Frau tat mir leid. Sie wirkte so verirrt und ich setzte gerade an, um ihr zu erzählen, warum wir durch die Wüste zogen, da kam Zervan mir zuvor. »Nein. Wir sind einfach nur Reisende«, erklärte er freundlich. Offenbar hielt er es für ratsam, Sadia nicht allzu viel über unsere Pläne zu verraten, also schloss ich meinen Mund wieder.

»Aber habt ihr denn kein bestimmtes Ziel?«, hakte Sadia nun nach. »Vielleicht könnte ich euch führen? Ich kenne mich inzwischen sehr gut in der Wüste aus.«

»Das ist ein großzügiges Angebot«, erwiderte Zervan lächelnd, »aber wir kennen unseren Weg.«

Der Gesichtsausdruck der Araberin wurde flehend. »Bitte! Ich ..., offenbar könnt ihr existieren, ohne Bestien zu sein. Ich würde gerne von euch lernen! Ich werde euch auch nicht zur Last fallen.«

Ich warf Zervan einen stumm bittenden Blick zu. Er hatte seinerzeit selbst einem Ritter des Dan eine Chance geben wollen, warum wollte er das jetzt dieser jungen Vampirin verwehren? Sie schien so verzweifelt zu sein. Zervan blickte uns reihum an. Sodann wandte er sich wieder Sadia zu. »Ich werde dies mit meinen Freunden besprechen. Komme morgen zu uns in die Karawanserei, dort werden wir dir kundtun, wie wir entschieden haben.«

Ein Hoffnungsschimmer überzog Sadias Gesicht. Sie stand auf und murmelte ein hastiges »Danke!«, dann verschwand sie in der Dunkelheit.

 

In der Karawanserei versammelten wir uns alle in Zervans Zimmer. »Nun, meine Freunde«, fragte Zervan, »wie denkt ihr über die Sache?«

»Ich traue ihr nicht!«, stieß Francisco sofort hervor.

»Warum nicht?«, wollte ich verwundert wissen. »Sie hat um Hilfe gebeten und wir wären doch in der Lage, ihr zu helfen. Zudem verzweifelt sie an ihrer Existenz, und wenn sie sich unserer Suche nach den Ur-Vampiren anschließt, könnte ihr das ihr Dasein besser begreiflich machen.«

»Ich glaube nicht, dass diese junge Vampirin sich für ihre Ursprünge interessiert, Gemma«, äußerte sich zu meiner Verblüffung jetzt auch Giles skeptisch. »Allem Anschein nach ist ihre Verwandlung noch nicht allzu lange her und in diesem Stadium waren wir alle mehr damit beschäftigt herauszufinden, wo wir frisches Blut herbekommen.«

»Aber genau das ist es doch, was sie so verzweifeln lässt!«, beharrte ich erregt. »Sie hält sich für ein Monster und glaubt, dass es fortan auf ewig ihr Schicksal wäre, Menschen töten zu müssen. Mich hat das damals auch aus der Fassung gebracht!«

»Ich weiß, Gemma«, antwortete Giles und sah mich tröstend an. »Aber denkst du, dass diese Araberin so ist wie du?«

»Ihr denn nicht?«, fragte ich konsterniert.

»Völlig unmöglich, Gemma!«, verkündete Fergus daraufhin grinsend. »Niemand ist wie du.«

Ich zog eine Grimasse in seine Richtung und sah schließlich Maddy fragend an.

Maddy lächelte mich verständnisvoll an. »Ich glaube zwar auch nicht, dass sie so ist wie du, aber ich verstehe, dass du ihr helfen möchtest«, sagte sie.

»Aber traust du ihr auch?«, hakte ich drängend nach.

»Wir kennen sie ja kaum«, antwortete Maddy. »Ihr Auftreten ließ sie ein wenig widersprüchlich erscheinen, und ob man jemandem vertrauen kann, weiß man erst, wenn man ihn wesentlich besser kennt. Allerdings wirkte sie auf mich nicht wie eine Sybaritin, und dass sie zu den Rittern des Dan gehört, können wir wohl ebenfalls ausschließen. Also denke ich, wir sollten ihr eine Chance geben.«

Ich lächelte Maddy dankbar an und wandte mich nun Francisco zu. »Dann erklär mir doch bitte jetzt mal, weshalb du Sadia nicht traust.«

Francisco sah mich ernst an. »Ich kenne diese Vampirin ebenso wenig wie wir alle«, stellte er klar, »darum kann ich dir keine Beweise dafür liefern, warum ihr eventuell nicht zu trauen ist. Aber nenne es die Intuition eines alten Kriegers: Ich bin überzeugt davon, dass sie uns etwas verschweigt.«

Ich erwiderte seinen Blick nachdenklich. Francisco reagierte manchmal temperamentvoll, aber er war kein Phantast, somit wollte ich sein Gefühl auch nicht als lächerlich abtun.

Darum sah ich nun unwillkürlich zu Zervan hinüber, schließlich schienen dessen Instinkte die unsrigen um ein Vielfaches zu übertreffen.

Dieser hatte wie üblich einen gelassenen Gesichtsausdruck und lächelte in die Runde. »Meine Freunde, ich sehe es wie ihr«, erklärte er sodann. »Sadias Weg liegt noch im Dunkeln, er kann sie ebenso auf die gute wie auf die böse Seite führen. Möglicherweise haben wir die Kraft, ihren Pfad zu erhellen. Mitunter erweist sich derjenige als Freund, von dem man es am wenigsten erwartet hätte.« Mit diesen Worten blickte er Francisco an.

Francisco runzelte argwöhnisch die Stirn. »Meinst du mich? Aber du selbst hast die Vampirin doch erst mal abgewiesen.«

»Ich konnte sie ja schwerlich in unsere Runde aufnehmen, ohne dies zuvor mit euch besprochen zu haben«, entgegnete Zervan freundschaftlich. »Aber vielleicht hast gerade du die Gabe, Sadias wahren Kern zu enthüllen? Jeder Knoten wird irgendwann von jemandem gelöst.«

Francisco schnaubte ablehnend.

»Nun ja, was haben wir schon zu verlieren?«, meldete sich jetzt Miguel erstmalig zu Wort. »Falls diese Sadia tatsächlich ein dunkles Geheimnis hat, wie sollte sie uns damit groß schaden können? Schließlich können wir uns unserer Haut erwehren.«

»Na gut«, antwortete Francisco, »aber ich werde sie im Auge behalten.«

 

Am nächsten Morgen suchte Sadia uns wie vereinbart auf und hatte ein kleines Bündel dabei, das offenbar ihre ganzen Habseligkeiten enthielt. Als wir ihr mitteilten, dass sie sich uns anschließen könne, erhellte sich ihr Gesicht. Es verdüsterte sich aber sogleich wieder, als sie erfuhr, dass wir beabsichtigten, in Richtung ihrer alten Heimatstadt Deir ez-Zor zu reisen. Dennoch war sie weiterhin wild entschlossen, uns zu begleiten. Ich schlug ihr vor, eine unserer Beduinentrachten anzuziehen, falls sie Sorge hätte, dass jemand sie erkennen könnte. Doch sie erklärte, ihr Schleier würde schon genügen und falls nicht, hätte sie ausreichend Möglichkeiten, sich unsichtbar zu machen.

Ihre Antwort erschien mir ein wenig rätselhaft, doch da sie sich in der Region ja gut auskannte, nahm ich an, dass sie diverse Orte kannte, an denen sie sich zur Not verbergen konnte.

Und so brachen wir abermals mit unseren Lasttieren, unserer Ausrüstung sowie unserer kleinen Schafherde als Proviant in die Wüste auf. Diesmal blieben wir von Sandstürmen vorerst verschont, und als der Tag sich dem Ende neigte, schlug Fergus vor, rasch aus der Luft nach einem geeigneten Platz für unsere Zelte Ausschau zu halten.

»Aus der Luft?« Sadia sah ihn mit großen Augen an.

»Selbstverständlich«, entgegnete Fergus launig. »Ich kann nämlich fliegen.« Er lachte über ihren skeptischen Gesichtsausdruck und rannte los. Bald war er so weit entfernt, dass er nurmehr als Silhouette gegen den Horizont zu erkennen war und wir gewahrten den vertrauten Anblick, wie selbige sich verformte und kurz darauf in den Himmel aufstieg.

»Er ist ein Gestaltwandler«, stellte Sadia tonlos fest.

»Ja, einige wenige von uns besitzen anscheinend diese faszinierende Fähigkeit«, bestätigte ich und schaute sie an, um zu sehen, ob sie sehr verblüfft war.

Doch Sadias Gesicht schien auf seltsame Weise verschlossen, ich konnte nicht ergründen, was sie gerade dachte.

Da unser letztes Mahl noch am Vorabend stattgefunden hatte, teilten wir uns abends nur gemeinsam drei Schafe und saßen anschließend noch eine Weile am Lagerfeuer. »Ernährt ihr alle euch immer nur von Tierblut?«, wollte Sadia wissen.

»Nein«, antwortete Zervan sofort. »Ich tue dies nur gelegentlich auf Reisen.«

Sadia starrte ihn an. »Also tötest du Menschen?«

»Nein«, entgegnete er, »ich finde Menschen, die mir freiwillig einen Teil ihres Blutes spenden.«

»So etwas ist unmöglich!«, stieß Sadia fast giftig hervor und ich blickte sie überrascht an.

»Nicht für mich«, erwiderte Zervan schlicht und hielt Sadias Starren mit einem sanften Lächeln stand.

Schließlich riss sie ihren Blick von ihm los und wandte sich an uns. »Und ihr?«

Francisco betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. »Wir alle haben irgendwann einmal Menschenblut getrunken. Aber jetzt tun wir dies nicht mehr«, erklärte er.

»Ihr schafft es immer, dem pulsierenden Duft von Menschenblut zu widerstehen?«, fragte sie ungläubig.

»Ja«, antwortete daraufhin Giles mit ruhiger Stimme. »Wir widerstehen, weil wir es so wollen.«

Bald darauf zogen wir alle uns in unsere Zelte zurück und ich fragte Giles nachdenklich, was er von Sadia hielt. »Was hältst du von ihr?«, antwortete er mit einer Gegenfrage, während er sich neben mich auf das Feldbett legte. »Denkst du nach wie vor, dass sie so ist wie du?«

Ich schüttelte zögernd den Kopf. »Aber ich bin immer noch überzeugt, dass sie verzweifelt ist«, bemerkte ich. »Irgendetwas quält sie. Womöglich hat sie Schlimmes durchlitten.«

»Das ist denkbar«, räumte Giles ein. »Dennoch ...«, er verstummte plötzlich.

»Was ist?«, fragte ich.

Doch Giles war bereits aufgesprungen und zum Zelteingang gestürzt. Er schlug das Zelttuch beiseite und sah wachsam nach draußen. Dann drehte er sich langsam um und legte sich wieder neben mich. »Da war irgendwas am Zelteingang.«

»Glaubst du, dass Sadia uns belauscht haben könnte?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, es war etwas Kleines am Boden.«

»Vermutlich irgendwelches Wüstengetier, vielleicht wieder so ein Skorpion.«

»Mag sein. Im Zelt möchte ich die Biester dennoch nicht haben.« Mit diesen Worten schloss er die Augen und zog mich in seine Arme.

 

Bereits am nächsten Nachmittag erreichten wir Al-Sukhnah, eine weitere Oasenstadt, die zwar nicht von solch historischer Bedeutung wie Palmyra jedoch ein wichtiger Handelsknotenpunkt in diesem Teil der Wüste war, da viele Beduinenstämme hier Halt machten.

Wir bezogen auch hier in einer Karawanserei Quartier und Sadia half uns im Hof, das Gepäck von den Kamelen zu laden. Hierbei rutschte der rechte Ärmel ihres Kaftans bis weit über ihren Ellenbogen herunter und gab den Blick auf diverse längliche Narben frei, die rötlich-hell von ihrer olivbraunen Haut abstachen. Hastig riss sie den Ärmel wieder hoch und blickte sich um. Dabei traf ihr Blick auf den von Francisco, der nur wenige Fuß von ihr entfernt stand und sie beobachtet hatte. Sie senkte den Kopf und eilte mit dem Gepäckstück an ihm vorbei ins Haus. Dass ich diesen kleinen Zwischenfall ebenfalls bemerkt hatte, hatte Sadia nicht mitbekommen, da ich etwas versetzt hinter einem der Kamele stand.

Doch Francisco hatte mich gesehen und kam nun zu mir herüber. »Diese Narben stammen nicht von Vampirbissen, also sind sie wohl kaum im Vorfeld ihrer Verwandlung entstanden«, bemerkte er grimmig.

»Möglicherweise sind sie älter, noch aus ihrer Zeit als Mensch?«

Francisco sah mich an. »Das glaube ich nicht, dazu sahen sie zu frisch aus.«

»Vielleicht resultieren die Narben aus Kampfverletzungen?«, überlegte ich. Doch ich wusste selbst, was daran nicht stimmen konnte und Francisco sprach es sogleich im nächsten Satz aus:

»Aufgrund ihrer Selbstheilungskräfte hätten normale Schnittverletzungen bei ihr aber schon komplett wieder abgeheilt sein müssen. Dass diese Narben so deutlich sichtbar sind, kann nur bedeuten, dass Silber im Spiel war. Entweder hat sie versucht, einen reichen Beduinenfürsten auszusaugen, der sich mit seinem Silberdolch gegen sie gewehrt hat – oder sie ist in der kurzen Zeit ihres Vampirdaseins bereits auf einen Feind getroffen, der weiß, wie gefährlich Silber für uns ist.«

»Du denkst, sie ist einem Ritter des Dan begegnet?«, fragte ich.

»Hast du eine andere Erklärung dafür?«

Ich schwieg.

»Ich werde sie danach fragen«, verkündete er entschlossen.

»Aber warte einen passenden Moment dafür ab!«, bat ich ihn. »Und versuche, sie nicht allzu sehr einzuschüchtern! Wir können nicht von ihr erwarten, dass sie uns vertraut, wenn wir sie unsererseits so mit Misstrauen überhäufen.«

Francisco sah mich verblüfft an. »Ich erwarte gar nichts von ihr. Nur, dass sie mir die Wahrheit sagt.«

»Bitte!«

Er seufzte resigniert und setzte ein schiefes Lächeln auf. »Na gut. Weil du es bist.«

 

Natürlich hatte ich Giles und den anderen von Franciscos und meiner Entdeckung erzählt und sie stimmten unserer Einschätzung überein, dass Sadia uns vermutlich noch einiges verschwieg.

Ich saß mit Giles am Abend in unserem Zimmer, als Francisco mit ziemlich verwirrtem Gesichtsausdruck hereinkam.

»Was ist los?«, fragte ich ihn.

Francisco setzte sich zu uns. »Ich habe eben einen Spaziergang durch den Ort gemacht, als ich am Ortsrand auf Sadia traf«, begann er langsam, während er gedankenverloren auf den Teppich starrte. »Offenbar wollte sie ein Stück in die Wüste hinaus gehen. Ich fragte sie, was das für Narben an ihrem Arm seien. Sie antwortete, sie wüsste nicht, wovon ich spreche. Daraufhin wurde ich ungehaltener und forderte sie auf, mich nicht anzulügen, schließlich wusste sie, dass ich sie heute im Hof gesehen hatte. Einer Eingebung folgend schob ich ihren linken Ärmel nach oben und fand dort ebensolche Narben vor, wie wir sie an ihrem rechten Arm bemerkt hatten. Sie sah mich bestürzt an, riss ihren Arm los und rief aus, das ginge mich nichts an und sie hätte es verdient. Ich herrschte sie an, wie so etwas denn verdient sein könne. Da brach sie plötzlich in Tränen aus. Es war kein lautes Schluchzen und auch keine Krokodilstränen, sondern nur stumme, klägliche Verzweiflung. Und ehe ich mich versah, hatte ich sie in meine Arme gezogen und begonnen, ihr tröstend über den Kopf zu streichen.«

»Oh!«, sagte ich überrascht. Im Augenwinkel sah ich, dass Giles sich anschickte zu grinsen, und versetzte ihm einen unauffälligen Tritt.

Francisco sah mich mit hilfslosem Gesichtsausdruck an. Es war offensichtlich, dass seine Gefühle ihn selbst erstaunt hatten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752124774
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Krieg Historischer Vampirroman Freundschaft Vampirroman Abenteuer Babylon Vampire unsterblich Fantasy Urban Fantasy Romance Historisch Reise

Autor

  • Hope Cavendish (Autor:in)

Hope Cavendish schreibt in verschiedenen Genres – doch egal, ob nun Vampire oder Menschen die Protagonisten in ihren Büchern sind, das Menschliche steht in ihren Geschichten im Vordergrund. In Braunschweig aufgewachsen, lebt Hope mittlerweile schon seit vielen Jahren im Ruhrgebiet und liebt es, ihre Leser mit ihren Büchern in andere Welten entführen zu dürfen.
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Titel: Zeitgenossen - Suche nach den Ur-Vampiren (Bd. 4)