Lade Inhalt...

Der Moment der Wahrheit - Teil 2

von Mathilda Grace (Autor:in)
350 Seiten

Zusammenfassung

Marc Tears ist todkrank und ein begeisterter Fan der Band 'Desert Sand', aber vor allem von Leadsänger Jackson Connor. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als seinen Star wenigstens einmal persönlich zu treffen. Daher zögert Janek nicht, seinem kleinen Bruder den Lebenstraum zu erfüllen, als er die Möglichkeit dazu erhält. Janek ahnt nicht, welchen Stein er damit ins Rollen bringt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


32     

 

 

 

 

Janek sah zu Rafe, der genauso entsetzt schien wie er selbst, aber das änderte nicht das Geringste an seiner auflodernden Wut. Dafür würde der Drummer büßen, schwor sich Janek, bevor er ihn mit einem rabiaten Stoß gegen die Schulter aufforderte aufzustehen und ihn vorbeizulassen, damit er sich Marc stellen konnte.

„Ich bin was?“, fragte der hohl, als sie sich gegenüberstanden.

„Mein Sohn“, antwortete Janek und verschloss sich im selben Augenblick, ohne es verhindern zu können. Es war viele Jahre her, dass er seine militärische Maske aufgesetzt hatte, aber hier und jetzt würde er ohne nicht zurechtkommen. „Du bist nicht mein Bruder, sondern mein Sohn.“

„Janek ...“, fing Rafe an, doch er ließ ihn nicht ausreden.

„Du bist jetzt besser still, Connor. Für einen Tag hast du genug angerichtet.“ Janek warf ihm einen eiskalten Blick zu und sah danach zurück zu Marc, der daraufhin einen Schritt von ihm zurückwich, so als hätte er Angst vor ihm.

„Wieso hast du mir das nicht gesagt?“, wollte Marc wissen und blickte zwischen ihm und Rafe umher. „Und wieso weiß Rafe davon?“

„Warum hätte ich es dir sagen sollen?“

„Hör' mit diesen verfickten Gegenfragen auf!“, explodierte Marc und ballte die Hände zu Fäusten. „Warum hast du es mir die ganzen Jahre verschwiegen? Oder Mum und Dad? Ich hatte Großeltern und du hast mir ...“ Marc unterbrach sich und holte tief Luft. „Ich will wissen, warum du mir nichts davon gesagt hast!“

„Hey, wieso schreit ihr mitten in der Nacht herum, wo ich endlich einmal schlafen kann?“ Jackson kam laut gähnend nach unten, in Schlafshirt und Boxershorts. „Ist irgendwas?“, fragte er misstrauisch, als niemand auf ihn reagierte.

„Ja, es ist was.“ Marcs Augen verdunkelten sich vor Wut. „Mein lieber Bruder hat mir gerade erklärt, dass er mein Vater ist und ich würde sehr gerne wissen, warum ich das erst jetzt erfahre.“

Jackson blieb der Mund offenstehen.

Janek zuckte die Schultern, was Rafe leise aufstöhnen ließ, während Marc blass wurde und Jackson ihn entsetzt anstarrte. „Weil wir gemeinsam so entschieden hatten.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“ Marc zuckte zusammen, als Jackson ihm seine Hand auf die Schulter legte. „Wieso weiß Rafe dann davon?“

„Weil er es zufällig herausgefunden hat und seither will, dass ich dir davon erzähle, was ich abgelehnt habe“, gab Janek preis.

„Warum?“

„Was hätte ich deiner Meinung nach sagen sollen, als wir uns das erste Mal trafen? 'Hey, Marc, ich bin dein Vater und nicht dein Bruder?' Du warst sechs Jahre alt, als ich den Marines den Rücken zukehrte, und bist in dem Glauben aufgewachsen, dass du ein Nesthäkchen unserer Familie bist. Mum, Dad und später auch ich, wollten, dass du eine glückliche Kindheit erlebst und die hast du bekommen. Ende der Geschichte.“

„Wie meinst du das?“, hakte Marc nach und runzelte dabei die Stirn. „Dass du später auch wolltest, dass ich glücklich bin. Wieso erst später?“ Janek sagte nichts und das war für Marc Antwort genug. Seine Augen weiteten sich begreifend. „Du wolltest mich nicht.“

„Fuck!“, kam von Jackson, bevor er sich übers Gesicht fuhr.

Janek wusste ganz genau, was ihm blühte, sobald das hier vorbei war, aber zurück konnte er nicht mehr. Dafür hatte Rafe, samt seinem Dickschädel, gesorgt. „Nein, ich wollte dich nicht.“

„Warum nicht?“ Marcs Stimme war kaum noch zu hören.

„Ich war bei deiner Geburt ein fast achtzehnjähriges, dummes und egoistisches Arschloch, das nur sich selbst gesehen hat“, antwortete Janek ehrlich und verschloss sich noch weiter vor Marcs blassem Gesicht. Erst wenn er zu Ende gesprochen hatte, konnte er sich eine Ecke suchen und zusammenbrechen. „Ich wollte Spaß haben und Partys feiern. Alkohol und Drogen inklusive. Du hast nicht in mein Leben gepasst, also habe ich dafür gesorgt, dass du wieder daraus verschwindest.“

„Was?“, fragte Marc immer entsetzter.

„Als man merkte, dass deine Mutter schwanger war, saßen wir beide wegen Diebstahl hinter Gittern. Megan hatte zu dem Zeitpunkt keine Familie mehr und wollte dich daher weggeben. Mir war das egal, aber dann ist sie bei deiner Geburt gestorben und als dein Vater sollte ich entscheiden, was mit dir passiert. Das Jugendamt nahm Kontakt zu meinen Eltern auf und kurz darauf stand ich vor der Wahl, Armee oder Gefängnis. Ich wollte nichts davon, aber dich wollte ich noch viel weniger. Am Ende entschied ich mich für das, in meinen Augen, kleinere Übel, die Marines, und schob dich zu Mum und Dad ab.“

Jackson fluchte. „Himmel, Janek, hör' auf.“

„Halt den Mund! Er hat mich gefragt, also erfährt er es auch“, fuhr Janek ihn kalt an, hielt dabei aber Marcs Blick fest. „Du warst zwei Wochen alt, als ich vor der Haustür meiner Eltern auftauchte. Ich blieb eine Stunde. Sechzig Minuten, in denen ich packte und dabei keinen einzigen Blick auf dich warf. Dann stieg ich in den Bus, der mich auf den Weg nach Parris Island brachte, wo ich meine Strafe antrat. Ich habe nicht zurückgesehen. Kein einziges Mal in den folgenden zwei Jahren.“

„Darum warst du bei den Marines?“, fragte Marc und war mittlerweile so bleich, dass er aussah, als würde er gleich umfallen. „Weil du süchtig und ein Dieb warst?“

„Ja. Und deswegen haben wir dir nichts gesagt, denn du warst für meine Eltern der Sohn, den sie sich immer gewünscht hatten. Ich hingegen war nur der Nichtsnutz, der heute tot wäre, hätte ich damals nicht deine Mutter geschwängert und mich beim Klauen erwischen lassen. Mum und Dad wollten nicht, dass du davon erfährst und mir war das recht. Du warst mir lange Zeit vollkommen egal, Marc. Ich gab dir ja nicht mal deinen Namen. Den hast du von deinen Großeltern.“

Das darauffolgende Schweigen war so drückend, dass Janek sich nur mit Mühe davon abhalten konnte einfach kehrtzumachen und zu verschwinden. Stattdessen blieb er an Ort und Stelle, denn noch war es nicht vorbei.

„Warum hat sie mich nicht abgetrieben?“

„Was?“ Janek sah Marc irritiert an.

„Meine Mutter. Warum hat sie mich nicht einfach abgetrieben?“, wiederholte Marc und sah ihn mit einem Blick an, von dem Janek eine Gänsehaut bekam, als ihm klar wurde, worauf Marc mit der Frage hinauswollte. Er schüttelte den Kopf und sein Sohn schnappte nach Luft, um einen weiteren Schritt nach hinten zu treten, wo er von Jackson in dessen Arme genommen wurde, der ihm einen tödlichen Blick zuwarf. Janek wurde übel, aber für Schamgefühl war es schon längst zu spät. Genauso wie es bei Megan für eine Abtreibung zu spät gewesen war.

„Es war zu spät“, gestand er und presste die Lippen aufeinander, als Jackson ein Geräusch machte, das nicht identifizierbar war.

In Marcs Augen stiegen Tränen auf, während er sich an Jacksons Armen festkrallte. „Sie hätte es getan, oder? Wenn ihr es früher bemerkt hättet, gäbe es mich nicht.“

Janek schluckte bittere Galle hinunter, die in seiner Kehle aufstieg, bevor er nickte. In der nächsten Sekunde riss er den linken Arm hoch und packte Marcs Hand, der sich von Jackson losgerissen hatte und auf ihn zugestürzt war, um ihn zu schlagen. Janeks andere Hand legte sich so schnell um Marcs Kehle, dass sein Sohn nur keuchen konnte. In der nächsten Sekunde war er wieder frei und Janek einige Schritte zurückgewichen, um Marc entsetzt anzusehen. Beinahe hätte er ... Nein, bloß nicht darüber nachdenken, befahl er sich und holte zitternd Luft.

„Greife niemals jemanden an, der ausgebildet wurde, sich zu verteidigen, Marc. Ich weiß, wie man Menschen tötet, ich habe es jahrelang getan, vergiss das nicht. Du hättest jedes Recht mich grün und blau zu schlagen, das ist mir bewusst, aber ich werde den Teufel tun und es dir erlauben.“

„Ich hasse dich! Fahr' zur Hölle!“ Nach den Worten wirbelte Marc herum und stürmte aus dem Bus.

Janek blickte ihm nach, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. „Da war ich schon. Die wollte mich auch nicht haben.“

„Hey, wieso seid ihr denn schon auf? Wir waren beim Bäcker und haben Frühstück mitgebracht.“ Bennett kam lächelnd in den Bus, eine Tüte in der Hand, und hinter ihm trat Julien durch die Tür, dessen Lächeln allerdings genauso schnell erstarb wie Bennetts. „Was ist hier los?“

Janek schwieg, während Jackson zu ihm sah, dann zu Rafe und wieder zu ihm, bevor er ein paar Mal ansetzte, etwas zu sagen, aber schlussendlich nur mit dem Kopf schüttelte und sich abwandte. „Kommt mit. Wir müssen Marc suchen. Ich erzähl' es euch unterwegs.“

„Zieh dich vorher an“, funkte Sam dazwischen, der an der Treppe nach oben stand und das offenbar schon eine ganze Weile, seinem Blick nach zu urteilen. „Oder willst du in deinem Schlafzeug rausgehen?“

„Wie lange stehst du da schon?“, fragte Jackson.

„Lange genug. Wir kommen mit. Marc suchen.“ Sams Blick traf seinen und Janek starrte ausdruckslos zurück. „Und du solltest dir in der Zwischenzeit eine verdammt gute Erklärung für das einfallen lassen, was du hier eben abgezogen hast.“

Janek sagte kein Wort, bis er mit Rafe alleine war und aus dem Fenster schaute, der sich entfernenden Gruppe nach, die sich rasch aufteilte. Als die Männer nicht mehr zu sehen waren, fuhr er wutentbrannt zu dem Drummer herum.

„Bist du jetzt zufrieden, du blödes Arschloch? Halt' du mir noch mal vor, wie ich mein Leben zu leben habe.“

„Falls du es genauso machen willst, wie beim letztem Mal ...“ Rafe deutete zur Tür. „Die nächste Bar ist fünf Minuten die Straße runter.“ Janek klappte die Kinnlade herunter, zu einem Widerspruch kam er aber nicht. „Was bildest du dir eigentlich ein? Du hattest nicht das Recht, diese Entscheidung über Jahre hinweg für deinen Sohn zu treffen, ebenso wenig wie Lissy das Recht hatte, mein Baby zu töten. Dein Leben war und ist nicht perfekt, na und wenn schon? Marc ist dein Kind, Herrgott noch mal. Hast du auch nur ein einziges Mal darüber nachgedacht, was du ihm mit dieser Lüge eigentlich antust? Marc hat geglaubt, dass seine Eltern tot sind, dabei ist sein Vater die ganze Zeit bei ihm. Natürlich wird er wütend auf dich sein, aber du bist und bleibst sein Vater, Janek. Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich darum beneide, dass du ihn hast?“

„Ich wollte nicht ...“

„Halt die Klappe!“, schrie Rafe ihn urplötzlich an und Janek verstummte. „Ich weiß, was du wolltest. Und ich weiß, dass ich seit Lissy einen Knacks weg habe, aber ich würde alles darum geben, um in deiner Position zu sein, was Marc angeht. Doch anstatt das zu begreifen, hast du mich ständig bekämpft, beschimpft, dich betrunken und am Ende sogar Jackson gegen mich ausgespielt. Meinen eigenen Bruder. Bist du eigentlich noch zu retten? Ja, ich bin zu weit gegangen, indem ich dich bedrängt habe, das weiß ich, aber warum, verflucht noch mal, hast du das getan? Warum, Janek?“

„Weil ich dich verletzen wollte, genauso wie du mich verletzt hast!“ Janek konnte sich nicht zurückhalten. „Weil du mich in eine Ecke gedrängt hast, als ich dir von Leary erzählte und ich dir das heimzahlen wollte. Weil du ständig mit dem Kopf durch die Wand willst. Egal, wie oft ich 'nein' sage, du hörst trotzdem nicht auf. Dir ist doch vollkommen egal, wie es mir dabei geht.“

„Das ist nicht wahr!“ Rafe war außer sich.

„Und ob das wahr ist!“, fuhr Janek ihn an und ballte hilflos die Hände zu Fäusten. „Ich bin jahrelang allein klargekommen. Ich hatte überhaupt keine andere Wahl, als mich immer nur auf mich selbst zu verlassen, weil ich sonst draufgegangen wäre. Marc und mir ging es gut, so wie es war. Er sollte nicht wissen, dass seine Mutter eine Schlampe war und sein Vater ein Junkie und Dieb. Und dann kommst du und machst alles kaputt. Du bedrängt mich ständig, schleichst dich in unser Leben, in meine Gedanken und du ... du ... Ich habe panische Angst dich noch mehr zu lieben, als ich es sowieso schon tue, weil du mich früher oder später alleinlassen wirst, genau wie alle anderen es getan haben.“ Janek holte zitternd Luft und wich Rafes Blick aus, der mit jedem Wort von ihm fassungsloser geworden war. „Wie Marc es tun wird.“

Eine Weile passierte nichts, dann stieß Rafe hörbar die Luft aus und im nächsten Moment fand sich Janek in dessen Armen wieder. „Ich lasse dich nicht allein und du solltest vor Marc nicht so über seine Mutter reden. Wäre sie nicht gestorben, hättest du deinen Sohn vielleicht nie kennengelernt.“

Janek erwiderte seine Umarmung. „Es tut mir so leid, Rafe.“

„Mir tut es auch leid. Du ahnst nicht, wie sehr.“ Rafe strich ihm beruhigend über den Rücken. „Ich liebe dich. Ich weiß nicht, wie lange schon. Irgendwann wusste ich es einfach. Und deinen Sohn liebe ich genauso. Ich weiß, dass ich dir wehgetan habe, aber ich schwöre, ich wollte nicht, dass er es so herausfindet.“

Das änderte jetzt zwar auch nichts mehr, aber Janek glaubte ihm. „Du denkst trotzdem, dass es richtig ist.“

„Ja“, sagte Rafe ehrlich. „Obwohl ich dich für die Art und Weise, wie du es ihm gesagt hast, am liebsten an die nächste Wand klatschen würde. Was hast du dir bloß dabei gedacht?“

„Rafe ...“

„Ja, ja, ja ...“, überging Rafe seinen Einwand, als hätte er nichts gesagt. „Ich bin weder blind noch dämlich, aber ich befürchte, damit hast du dir keinen Gefallen getan. Marc wird dir das heimzahlen.“

Janek seufzte. „Da ist er nicht der Einzige.“

„Wir kriegen das wieder hin. Du bist keine achtzehn mehr, Marc wird das verstehen. Dein Leben ist heute ein anderes und wer das nicht einsehen will, der hat Pech gehabt. Und ich bleibe bei dir, Sturkopf.“

Das 'Warum' lag Janek bereits auf den Lippen, aber diesmal schaffte er es still zu bleiben.

Rafe lachte leise. „Beißt du dir gerade auf die Zunge, um es nicht laut zu sagen?“

Janek schnaubte. „Ich bemühe mich, okay?“

„Ich weiß. Willst du ein Gewehr, Scharfschütze? Nur für alle Fälle.“

„Einer deiner Drumsticks müsste ausreichen, danke.“ Janek grinste, als Rafe lachte, bevor er eine Hand in sein Haar schob und sanft daran zog, bis sie sich anschauten. „Was ist?“, fragte Janek leise, denn Rafes Blick ging ihm durch und durch.

„Ich will dich küssen, Janek.“

Seine Augen weiteten sich. „Was?“

Rafe lächelte. „Du hast mich schon verstanden.“

„Aber ...“ Janek brach verlegen ab. Jetzt seinen One-Night-Stand mit Jackson ins Spiel zu bringen, war keine gute Idee.

Rafe schien das allerdings anders zu sehen. „Glaub' ja nicht, dass ich mich von dir fernhalte, weil du Sex mit meinem Bruder hattest.“

Janek wurde unwillkürlich rot. „Stört es dich wirklich nicht?“

„Du weißt genau, dass ich stinksauer auf euch war.“ Rafe gluckste, als er daraufhin das Gesicht verzog. Dann hob er mit der Hand sein Kinn an. „Allerdings kann ich sehr gut zwischen 'einfach Sex' und 'weit mehr als das' unterscheiden. Oder hast du vor noch mal mit Jackson ins Bett zu steigen?“

„Gott bewahre“, murmelte Janek sofort und stöhnte entsetzt auf, als Rafe in schallendes Gelächter ausbrach. „Das habe ich nicht gesagt. Schwöre, dass du das für dich behältst.“

„Wieso? War er so Scheiße?“

„Rafe!“ Statt einer Antwort, grinste der nur zufrieden, was Janek aus einem unerfindlichen Grund ärgerte. „Ich habe aber nicht vor, deswegen gleich mit dir ins Bett zu steigen, wie du es gerade so schön ausgedrückt hast.“

„Gut.“

„Gut?“ Jetzt war Janek total verwirrt.

Rafe nickte. „Zwischen 'Sex' und 'Liebe' besteht auch im Bett ein Unterschied. Einen, den ich dir zeigen werde, sobald du mich lässt. Aber bis dahin gebe ich mich gern' mit ein, zwei oder hundert Küssen zufrieden.“

Janek musste sich mühsam davon abhalten, ihn nach den Worten mit offenem Mund anzustarren. Wieso war ihm dieser Kerl nicht vor sechzehn Jahren über den Weg gelaufen? Warum hatte er sich nicht einen Freund wie Rafe gesucht, statt Drogen zu verticken, zu nehmen und am Ende mit Megan ins Bett zu steigen? Wieso? Warum? Weshalb? Dazu gab es nichts mehr zu sagen, weil seine Vergangenheit nun einmal nicht zu ändern war.

„Was mache ich bloß mit dir?“, murmelte er, mehr zu sich selbst, und vergaß dabei, dass er nicht allein war.

„Mich küssen wäre ein Anfang“, meinte Rafe trocken und Janek grinste schief. „Oder weißt du nicht mehr wie das geht?“

„Du bist so ein ...“

Rafes Lippen erstickten jedes weitere Wort im Keim und Janek reagierte darauf, indem er die Hände in Rafes Nacken schob, um ihn festzuhalten, bevor er den Kuss erwiderte. Und wo Jackson stürmisch gewesen war, war Rafe das komplette Gegenteil. Janek seufzte leise, als der Drummer ihn an sich zog und mit der Zunge über seine Lippen strich – um Einlass bittend, ihn nicht fordernd. Janek gab ihm was er wollte und öffnete seine Lippen, was Rafe seufzen ließ, bevor er der Einladung folgte, und Janek gab auf, sich darüber Gedanken zu machen, was nach ihrem Kuss sein würde. Hier und jetzt gab es nur Rafe, der sein Bestes tat, um ihn alles andere vergessen zu lassen.

„Müssen sie nicht atmen?“

Janek blinzelte, als ihm auffiel, dass er irgendwann seine Augen geschlossen haben musste. Er löste sich sehr unwillig von Rafe, der das mit einem Murren quittierte, danach aber an ihm vorbei sah, worauf Janek über seine Schulter schaute.

Die Gruppe war vollzählig zurück. Marc sah verheult und immer noch blass aus, aber auch sichtbar wütend, was Janek nicht kümmerte. Im Moment war er einfach froh, dass sein Sohn unverletzt neben Jackson stand, der Rafe anfunkelte. Der Rest ihrer Truppe schaute sie mit einer Mischung aus Ärger, Freude und Ratlosigkeit an. Das Schweigen schien allerdings niemand zuerst brechen zu wollen. Vielleicht sollte er es ja tun. Janek wusste nur nicht was er sagen sollte, darum beließ er es dabei, seine Hände aus Rafes Nacken zu lösen und sich umzudrehen.

Zwei Hände legten sich über seinen Bauch und Janek war anfangs irritiert, bis er begriff, dass Rafe ihn nicht alleinlassen wollte. Der Drummer würde bei ihm bleiben, wie er es gesagt hatte.

„Tja“, meinte Julien auf einmal und grinste lässig. „Es hat ganz schön lange gedauert, bis du das Brett vor dem Kopf abgenommen hast, Janek. Meinen Glückwunsch. Wann wird geheiratet?“

Wollte Julien ihn verkohlen? Janek runzelte die Stirn und war mit dem Gedanken offenbar nicht allein, denn Bennett sah seinen Freund an, als hätte der nicht mehr alle Tassen im Schrank. Er kam jedoch nicht dazu, das auszusprechen, denn plötzlich räusperte sich Sam.

„Und? Hast du eine Erklärung für uns, Janek?“

„Sam ...“, fing Rafe warnend an.

„Ist mir scheißegal, was du dazu sagen willst!“, fuhr Jackson seinem Bruder rabiat über den Mund. „Ich will eine Erklärung für das alles. Und zwar sofort!“

„Hut ab“, mischte sich auf einmal Tom ein, wofür er von mehreren Seiten verdutzt angestarrt wurde. „Was?“, fragte er ungerührt. „Wie oft landen ungewollte Babys in der Mülltonne oder werden einfach abgeschoben? Marc jedoch hatte und hat ein gutes Zuhause, obwohl er das im Moment vermutlich anders sieht.“ Tom sah zu Marc, der daraufhin betreten den Blick senkte. „Ja, es ist nicht perfekt gelaufen, das ist mir klar, aber Janek hat in den vergangenen Jahren sein Bestes gegeben und daher sage ich 'Hut ab.' Was nichts daran ändert, dass ich von ihm gerne die restliche Geschichte hören würde, allein schon um des lieben Friedens Willen. Die Tour läuft noch fast drei Wochen, das scheinen einige von uns ...“, Tom warf Jackson und Bennett tadelnde Blicke zu, „... momentan zu vergessen.“

„Gut gesagt“, gab Sam zu und zeigte auf die Sitzecke. „Wer ist mit Küchendienst dran? Wir können genauso gut beim Frühstück reden.“

 

Was sie auch taten. Beziehungsweise Janek tat es und erzählte den Männern und Marc all das, was Rafe bereits wusste. In der ersten halben Stunde fragte er sich noch, wozu das gut sein sollte, denn zumindest Jackson und Bennett, bei dem er wirklich nicht damit gerechnet hatte, schienen sich ihre Meinungen bereits gebildet zu haben. Aber je mehr er davon erzählte, dass seine Eltern damals alles getan hatten, dass er einfach ein rebellisches Kind gewesen war, das niemand hatte bremsen können, bis es zu spät gewesen war, umso mehr schien nach und nach ein Umdenken stattzufinden.

Als er bei seiner Alkohol- und Drogensucht ankam, änderte sich Jacksons Blick von Wut in Verstehen. Janek war klar warum, immerhin hatten sie, was das anging, so einiges gemeinsam. Selbst Bennett hörte irgendwann auf verärgert aus dem Seitenfenster zu starren, sondern schaute ihn an, während Janek weitersprach. Erzählte, wie es dazu gekommen war, dass Marc von seinen Eltern großgezogen worden war, während er seine Strafe bei den Marines abgesessen hatte und dabei geblieben war, weil er dort etwas gefunden hatte, das seine Eltern ihm aus Gründen, die er bis heute nicht verstand, nie hatten geben können – ein zufriedenes Leben.

„Warum warst du so?“, fragte Gibson, als alles gesagt war. „Ich meine, es muss dafür doch einen Grund oder irgendeinen Auslöser gegeben haben.“

„Falls du ihn findest, sag' mir Bescheid.“ Janek zuckte mit den Schultern, als Gibson ihn erstaunt ansah. „Ich weiß es nicht. Ich habe so oft darüber nachgedacht, ohne Erfolg. Ich wurde nicht geschlagen, vernachlässigt oder missbraucht, und was es noch alles gibt, das Kinder im Allgemeinen austicken lässt. Ich war von klein auf völlig daneben. Es gab natürlich jede Menge Diagnosen von ratlosen Kinderärzten, aber das war auch alles.“

„Und was war mit Mum und Dad?“ Marc sah ihn an, immer noch wütend und zugleich hochgradig enttäuscht, was Janek ihm nicht verübeln konnte.

„Sie haben alles versucht und mich nie aufgegeben.“

„Hast du sie aufgegeben?“

Jackson wollte etwas sagen, aber Janek hielt ihn mit einem Blick davon ab. „Ja, eine Zeitlang. Als ich wegging, um Party zu machen. Für mich war das mein zukünftiges Leben und langweilige Spießer, wie meine Eltern, hatten darin keinen Platz. Ich war damit zufrieden, bis ...“ Janek brach ab.

„... ich auf der Bildfläche erschien“, beendete Marc seinen Satz.

„Ja. Ohne dich wäre ich heute vermutlich tot.“

Marc verschränkte die Arme vor der Brust. „Willst du in dieses Leben zurück?“

„Als ich nach Hause kam, habe ich mehrmals darüber nachgedacht, das gebe ich zu.“ Das war eine harmlose Untertreibung, aber mehr würde er hier, zwischen den Jungs, nicht dazu sagen. Wenn überhaupt, würde er nur Marc und Rafe davon erzählen, niemandem sonst. „Es war nicht leicht, von meinem komplett geregelten Leben bei den Marines, wieder in das Leben eines Zivilisten zu finden.“

„Gehst du dahin zurück, wenn ich tot bin?“

Janek ließ sich seine Irritation nach der Frage nicht anmerken. Worauf wollte sein Sohn hinaus? „Ich weiß es nicht.“ Marc schaute an ihm vorbei und da wusste Janek, dass etwas im Busch war. Er entschied sich, Nägel mit Köpfen zu machen. „Worauf willst du mit deinen Fragen eigentlich hinaus?“

Der Blick, den Marc ihm daraufhin zuwarf, ließ Janek auf seinem Platz erstarren. „Du brauchst nicht länger den Aufpasser für mich zu spielen. Geh' wieder zurück zu den Marines.“

„Marc ...“, murmelte Jackson hörbar überrascht, doch der schüttelte trotzig den Kopf.

„Sterben kann ich auch alleine. Dazu brauche ich keinen Vater, der mich eh nie gewollt hat.“

33     

 

 

 

 

Niemand sagte etwas, als Marc am Nachmittag im Hotel nicht mit Janek im gleichen Zimmer übernachten wollte, worauf Jackson ihn in seines mitnahm. Genauso wenig wurde kommentiert, dass Marc beim Abendessen nicht an ihren gemeinsamen Tisch kam, sondern sich abseits hinsetzte. Als Marc dieses Spielchen am nächsten Morgen beim Frühstück wiederholte, einen geplanten Ausflug sausen ließ und weiter bei Jackson übernachtete, sagte ebenfalls niemand etwas. Aber nicht, weil keiner es wollte, sondern da Janek die Jungs darum gebeten hatte, auch wenn Rafe Marc mittlerweile anschaute, als würde ihm bald der Kragen platzen.

Marc wollte Raum für sich, das zeigte er sehr deutlich und Janek würde ihm diesen Raum so lange lassen, wie sein Sohn ihn brauchte. Dass Marc mit ihm reden würde, hatte er nach der Eröffnung nicht mal erwartet, aber die eisige Ablehnung, die Marc ihm seither entgegenbrachte, tat weh.

Umso erstaunter war Janek, als er Marc am dritten Morgen, neben Jackson, an ihrem gemeinsamen Tisch beim Frühstück vorfand. Doch irgendwie sah es nicht so aus, als säße sein Sohn freiwillig dort. Vermutlich hatte Jackson seine Finger im Spiel, der seinen fragenden nur mit einem unschuldigen Blick beantwortete, was für ihn Antwort genug war. Er hatte Marc an den Tisch genötigt, na super. Janek sagte nichts dazu, weil er keinen Streit anfangen wollte, aber offenbar war Jackson der Meinung, dass ein gepflegter Streit an der Zeit war, denn er hatte nichts Besseres zu tun, als Marc in der folgenden halben Stunde ständig auf das Thema anzusprechen und mit jeder weiteren Frage wurde sein Sohn wütender, bis er Jackson schließlich anblaffte.

„Halt' doch endlich die Klappe. Was soll diese Scheiße eigentlich?“

„Was diese Scheiße soll?“ Jacksons Augen verengten sich bedrohlich. „Du solltest ganz dringend mal darüber nachdenken, wie du hier mit mir redest, Marc. Dass du sauer auf Janek bist, kann ich gut verstehen, aber dieses Verhalten ist einfach nur noch kindisch.“

Marc tippte sich vielsagend gegen die Stirn. „Du tickst doch nicht ganz sauber. Ich bin kindisch, weil ich nicht begeistert 'Hurra' rufe, dass mein eigener Vater lieber als Stricher unterwegs war, statt ...?“

„Jetzt reicht es!“, zischte Rafe, worauf es abrupt still am Tisch wurde. „Hör' sofort auf, dich wie ein bockiges Kleinkind aufzuführen, Marc! Und für das, was du eben gesagt hast, wirst du dich auf der Stelle bei deinem Vater entschuldigen, haben wir uns verstanden?“

„Ich soll bitteschön was?“ Marc schaute Rafe beleidigt an. „Er hat doch ...“

„Alles getan, damit du eine glückliche Kindheit hast, Marc!“, unterbrach Rafe ihn unwirsch. „Kein Mensch ist fehlerfrei, auch dein Vater nicht, aber ihn als Stricher zu titulieren ist das Allerletzte. Ganz davon zu schweigen, dass er keiner ist und auch niemals war. Bevor du Janek beleidigst, frag' dich erst mal, wie du gelebt hast, was er alles für dich getan hat und wie sehr er zurückgesteckt hat, damit es dir gut geht.“

„Er wollte mich nicht. Für ihn war ich bloß ein Ding, das nicht in sein kleines, schmutziges Leben aus Drogen, Suff und Sex passte!“, schrie Marc und sprang auf. Rafe ebenfalls und hielt ihn am Arm fest, bevor Marc aus dem Hotelrestaurant laufen konnte. „Lass mich los, du Arsch, du tust mir weh!“

Bennett griff zu, bevor Janek aufstehen und sich auf Rafe stürzen konnte, weil niemand seinem Kind wehtat, nicht einmal Rafe. Er wollte Bennett gerade anschreien, als Jackson über den Tisch langte und ihm eine Hand auf den Unterarm legte.

„Er würde Marc nie verletzen, er liebt deinen Sohn“, flüsterte der Sänger eindringlich und hielt sein Kinn mit der Hand fest, als Janek sich abwenden wollte. „Rafe hat recht. Marc muss das endlich begreifen.“

Und da wusste Janek plötzlich, was los war. Jackson hatte diesen Streit in voller Absicht provoziert, um klare Verhältnisse zu schaffen, und seinem Blick nach, steckte Bennett mit ihm unter einer Decke. Wie auch der Rest ihrer Truppe, denn als Janek sich umsah, hatten Nathan und Julien den Tisch bereits verlassen und standen an den geschlossen Türen, während Sam flüsternd auf einen Mann im Anzug einredete, vermutlich der Manager.

„Ihr habt das eingefädelt“, sagte er leise.

Bennett nickte. „Bevor wir weiterfahren, muss diese Sache vom Tisch sein, das weißt du.“

„Marc wird nicht ...“

„Wart's ab“, unterbrach Bennett ihn eindringlich.

„Was denkst du, was du im Moment tust? Glaubst du, es tut uns nicht weh zuzusehen, wie du deinen eigenen Vater behandelst?“ Rafes Stimme war so kalt, dass Janek eine Gänsehaut bekam.

„Ich war ihm egal. Er hat nur gelogen und ...“

„Alles aufgegeben für dich!“, fuhr Rafe Marc rabiat über den Mund und der wurde blass, während er ihn mit großen Augen anblickte. „Hast du auch nur die geringste Vorstellung davon, wie verletzend das ist, was du tust? Janek hat dich geliebt, nicht von Anfang an, aber heute tut er es. Er hat nichts gesagt, weil er deinen Großeltern und dir nicht das glückliche Leben nehmen wollte, das ihr geführt habt. Er hätte es dir niemals gesagt, wenn du nicht zufällig bei unserem Streit dazugekommen wärst, weil er will, dass du glücklich bist. Janek geht es immer nur um dich. Du bist ihm wichtiger, als alles andere.“

„Aber ...“, begann Marc kleinlaut.

„Ich bin noch nicht fertig“, fuhr Rafe ihm wieder ins Wort und Marc sah langsam aber sicher aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. „Ja, du darfst wütend auf ihn sein, aber du hast kein Recht ihn zu beleidigen, wie du es getan hast. Du wurdest niemals geschlagen und es hat dir auch nie an etwas gefehlt. Du konntest zur Schule gehen, hattest saubere Kleider und genug zu essen. Aber vor allem wirst du geliebt, Marc. Von deinem Vater und auch von uns. Du hast ein Leben, dank ihm. Vergiss das nicht.“ Rafe strich Marc liebevoll über die Wange. „Ich würde alles darum geben, dieselbe Chance zu haben wie du. Ich würde alles aufgeben, wenn ich dafür mein Kind leben sehen könnte.“

Die folgende Stille war ohrenbetäubend, und an den fassungslosen Blicken vom Rest der Truppe war deutlich erkennbar, dass, abgesehen von Jackson und Bennett, niemand in diesem Raum wusste, was Rafes Exfreundin getan hatte.

„Du hattest ein Kind?“, fragte Marc, nachdem das Schweigen so dick geworden war, dass man es mit einem Messer hätte schneiden können.

„Nein“, antwortete Rafe und schloss kurz die Augen, aber da war es schon zu spät. Janek hatte den Schmerz gesehen, wie auch Marc, der unwillkürlich die Arme um seine Hüften schlang, was Rafe zu helfen schien, denn er lächelte, als er die Augen wieder öffnete und Marc einen Kuss auf den Scheitel gab, bevor er sich ein Stück von ihm löste, um ihn wieder ansehen zu können. „Meine Exfreundin hat unser Baby abgetrieben, ohne mir eine Chance zu geben, mich dazu zu äußern, weil sie keine Kinder wollte. Ich fand es zufällig heraus. Danach habe ich sie verlassen.“

Marc überlegte eine Weile, warf Janek einen knappen Blick zu und sah im Anschluss wieder zu Rafe. „Janek wollte mich auch nicht.“

Rafe nickte. „Er hat trotzdem alles dafür getan, dass du ein gutes Zuhause bekommst. Dein Vater hätte dich einfach zur Adoption freigeben können, Marc, aber das hat er nicht. Warum wohl?“

Marc wich Rafes wissenden Blick verlegen aus. „Weil er mich damals schon mochte?“

„Genauso ist es. Hätte er nicht tief im Herzen etwas für dich empfunden, hätte er dich weggegeben und du wärst nie so aufgewachsen, wie du es bist.“

Janek wurde übel. Wie konnte Rafe das behaupten? Wie konnte er Marc erzählen, dass ... Oh mein Gott. Rafe log für ihn, obwohl er wusste, was Janek für ein Mistkerl gewesen war. Rafe log für ihn, weil er ihn wirklich liebte und glaubte, dass es richtig war. Janek wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.

„Wie alt wäre dein Kind heute?“, riss Marcs Frage ihn aus seinen Gedanken. Rafe hielt als Antwort sechs Finger hoch. „Das ist ja fast noch ein Baby“, murmelte Marc und überlegte kurz. „Ich bin kein Baby mehr.“

Rafe grinste. „Nein, bist du nicht.“

„Vielleicht kann ich trotzdem dein Kind sein.“

Das war zu viel. Janek wusste es im gleichen Moment, wie Marc es aussprach und noch bevor Rafe blass wurde, sich von Marc löste und aus dem Restaurant rannte.

„Fuck!“ Jackson sprang auf. Aber statt Rafe zu folgen, trat er vor Marc, der mit Tränen in den Augen zu ihm sah. „Du hast nichts falsch gemacht.“ Jackson schüttelte den Kopf, als Marc widersprechen wollte, und nahm sein Gesicht in beide Hände. „Er liebt dich und er wird dein Angebot annehmen. Aber vorher muss Rafe sich wieder einkriegen.“

Marc verstand ihn. „Weint er jetzt?“ Jackson nickte. „Das wollte ich nicht.“

„Ja, ich weiß.“ Jackson brachte ein Lächeln zustande. „Aber manchmal muss man einfach weinen, wenn man traurig ist.“

„Kann ich ...?“, begann Marc und Janek wusste, was sein Sohn wollte. Raus. Rafe nach. Was er auch wollte, aber Bennett hielt ihn fest und formte stumm die Worte, 'Lass die zwei das machen', als Janek ihn wütend ansah.

„Gleich.“ Jacksons Stimmte lenkte ihn von Bennett ab. „Marc, ich weiß, dass du sauer auf Janek bist, aber willst du ihm nicht wenigstens die Möglichkeit geben, dir seine Sichtweise zu erzählen? Damit du besser verstehst, was damals so schiefgelaufen ist.“

Marc biss sich auf die Unterlippe. „Doch.“

„Dann rede mit ihm. Es muss nicht jetzt sein, aber tu' es, okay?“, bat Jackson und lächelte zufrieden, als Marc seufzend nickte. „Na komm. Lass uns nach Rafe sehen.“

 

Janek starrte sein Handy ratlos an. Drei Mal hatte er die Nummer bereits gewählt und dann wieder aufgelegt. Was sollte er ihm auch sagen? Dass das Chaos in seinem Leben vor einer Stunde noch ein Stück größer geworden war? Salkoha würde ihm nur einen Vortrag halten, dass manche Dinge einfach Schicksal waren. Das half ihm aber leider nicht weiter. Janek schnaubte und schlug den Kragen seiner Jacke hoch, als der Wind auffrischte. Ein zugiges Hallendach war eindeutig nicht zum Nachdenken geeignet. Jedenfalls nicht bei den für Mai ungewöhnlich kalten Temperaturen. Aber wenigstens hatte er seine Ruhe.

„Wenn du dir hier draußen eine Lungenentzündung einfängst, werde ich ernsthaft sauer.“

Soviel dazu, dass er seine Ruhe hatte. Janek verkniff sich ein Seufzen. „Ist der Soundcheck schon vorbei?“

„Fast“, antwortete Julien und tauchte neben ihm auf, um über die Brüstung nach unten zu sehen. „Hast du vor einen Kopfsprung auf den Betonweg zu machen?“

Janek verdrehte die Augen. „Na sicher. Ein dreifacher Salto vorwärts mit halber Schraube ... Was soll die blöde Frage?“

„Ich wollte nur sichergehen, das ist schließlich mein Job“, konterte Julien achselzuckend und grinste ihn an.

„Julien ...“ Janek seufzte. „Wenn ich mich umbringen wollte, bloß weil gerade alles den Bach runter geht, hätte ich es längst getan. Ich kenne genug Mittel und Wege, das müsste dir klar sein.“

„Ist es auch“, nickte der. „Deswegen bin ich hier oben und nicht Rafe, den Bennett gerade mit einem Vorwand von dir fernhält.“

„Ich bin nicht selbstmordgefährdet.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, wobei Janek sich wunderte, dass seine Hände nicht zitterten. „Früher war ich es, ja, aber heute ... nein. Marc ist wichtiger als alles andere.“

Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber die ganze konnte er Julien nicht erzählen. Der würde ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, erwürgen. Oder ihn eigenhändig vom Dach werfen, nachdem Rafe ihn erwürgt hatte. Was der mit Sicherheit tat, sobald er erfuhr, was Janek vorhin getan hatte. Aber vorher würde Rafe ihn anschreien und einen Vollidioten schimpfen. Andererseits war das kaum etwas Neues, in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich sowieso in einem fort stritten. Und dass Janek vor einer Stunde Learys Angebot angenommen hatte, würde Rafe früher oder später ohnehin erfahren, und danach war er fällig. Janek konnte den Anfang vom Ende genauso gut gleich hinter sich bringen, entschied er und straffte die Schultern.

„Ich habe Learys Angebot angenommen.“

Im selben Tempo, wie das lässige Grinsen aus Juliens Gesicht verschwand, verdunkelten sich dessen Augen vor Wut. „Du hast was?“

„Learys Angebot angenommen“, wiederholte er und trat einen Schritt zurück, als Julien sich von der Brüstung weg und ihm zuwandte. „Anfang kommenden Jahres kehre ich zu den Marines zurück.“

„Wie bitte?“

Juliens Stimme klang zu leise und viel zu ruhig. Janek war instinktiv auf der Hut und versuchte gleichzeitig, sich zurückzuhalten. Es funktionierte nicht, denn Juliens immer wütender werdender Blick ärgerte ihn. „Ich habe mich dafür entschieden, weil ich Sicherheit brauche.“

„Sicherheit?“, äffte Julien ihn abfällig nach und dann explodierte er. „Bist du völlig bescheuert? Was für eine Sicherheit sollen dir die Marines bitte geben? Außer der, in irgendeinem versifften Land abgeknallt zu werden?“

Janek sah rot. „Das Risiko getötet zu werden, gehört in diesem Job dazu. Du bist Bodyguard und müsstest das wissen.“

„Fang' ja nicht wieder auf diese herablassende Art an. Oder hast du schon vergessen, was Marc dazu sagte?“

„Leck mich!“, fluchte Janek daraufhin und sah Julien finster an. „Das ist meine Sache. Wenn ich entscheide, zu den Marines zurückzugehen, dann gehe ich. Basta!“

„Und was ist mit Rafe?“, fragte Julien aufgebracht. „Er liebt dich, verdammt noch mal!“

„Ich ...“ Janek unterbrach sich und wich Juliens Blick aus. „Das geht ihn nichts an. Es ist mein Leben.“

„Verflixte Scheiße! Wann wirst du endlich anfangen, anderen Menschen zu vertrauen? Du stößt Rafe vor den Kopf, weil du Schiss hast, wieder in alte Gewohnheiten zu verfallen und abzustürzen? Hast du mal überlegt, wie es ihm damit geht? Du denkst immer nur an dich selbst. Wie kannst du so egoistisch sein?“

„Ich brauche irgendetwas, an dem ich mich festhalten kann, wenn das Jahr vorbei ist, und es ist mir scheißegal, ob du das verstehen kannst oder nicht.“ Janek spürte, wie er die Nerven verlor, konnte sich aber nicht stoppen. „Marc stirbt und danach stehe ich vor dem Nichts. Ich musste das tun und ich wollte es auch. Wenn er tot ist, muss ich hier weg, sonst drehe ich durch, und der einzige Ort, an den ich gehen kann und bei dem ich weiß, dass er mir helfen wird, ist der Stützpunkt. Ich muss das tun!“

„Nein, das musst du nicht“, hielt Julien dagegen. „Du redest es dir ein, weil du panische Angst davor hast, dass ein anderer Weg, als der, den du kennst, keinen Erfolg hat. Wie lange willst du dir dein Leben noch von deiner Angst bestimmen lassen, Janek?“

„Du verstehst es einfach nicht“, murmelte Janek und wandte Julien den Rücken zu, um sich mit zitternden Händen an der Brüstung abzustützen.

„Wie sollte ich auch“, konterte der eisig. „Du verstehst es doch selbst nicht. Angriff oder Flucht, etwas anderes gibt es für dich nicht, sobald du Angst hast. Hauptsache, dein Dickschädel gewinnt den Kampf gegen die Mauer, ganz gleich, wer dabei auf der Strecke bleibt.“

„Das ist nicht wahr.“

„Und ob das wahr ist.“ Julien war bösartig in seiner Offenheit. „Mach' nur so weiter, Janek, dann wirst du am Ende des Jahres dein Ziel erreicht haben und ganz allein dastehen. Aber du solltest eines dabei nicht vergessen, dass du selbst daran Schuld bist.“

„Julien, hör' auf.“

Janek schloss gequält die Augen. Vielleicht war der dreifache Salto mit halber Schraube doch keine schlechte Idee, denn Julien war ein Zuckerschlecken im Gegensatz zu dem, was ihm jetzt mit Rafe bevorstand.

„Vielleicht bringst du ihn ja zur Vernunft“, schimpfte Julien und kurz darauf knallte die Tür zum Treppenhaus lautstark zu.

Rafe schwieg einige Zeit, bis er seufzte. „Du lässt auch nichts aus, oder? Irgendwie scheinst du etwas gegen: 'In Frieden leben' zu haben, so gerne wie du streitest, wenn dir etwas nicht in den Kram passt.“

Janek schwieg. Was hätte er dazu auch sagen sollen? Dass er recht hatte, wusste Rafe selbst, außerdem war er bereits wütend genug, da musste er den Drummer nicht noch zusätzlich reizen. Obwohl, er klang nicht sonderlich verärgert. Es schien ihm eher, als hätte Rafe mit seiner Entscheidung für die Armee gerechnet. Kannte er ihn tatsächlich so gut? Janek lief ein nervöser Schauder über den Rücken.

„Wann packst du denn die Sachen, um zurück in den Krieg zu ziehen? Gleich nach Marcs Beerdigung? Oder wartest du, bis die Blumen verwelkt sind? Ich würde das gerne wissen, um vorausplanen zu können, für wie lange ich mich um das Grab unseres Sohnes kümmern werde.“

Rafe und Marc hatten sich also ausgesprochen und es war gekommen, wie Jackson im Restaurant vorausgesagt hatte. Darüber hätte er sich freuen sollen, aber offenbar hatte Rafe sein gesamtes Gespräch mit Julien gehört und das würde ihm das Genick brechen. Soviel zum Thema, 'Ablenkung durch Bennett'. Janeks Fingerknöchel waren weiß vor Anstrengung, so sehr krallte er sich mittlerweile am Geländer fest, um irgendwie die Fassung zu wahren.

„Du wartest wirklich darauf, dass ich dir sage, 'Fahr' zur Hölle', damit du dich in deinem völlig verdrehten Denken auch noch bestätigt fühlen kannst.“ Rafe lachte kurz und hart auf, im nächsten Moment waren seine Hände auf Janeks und lösten seine Finger vom Geländer, bevor Rafe ihn mit dem Rücken an seine Brust zog. „Ich muss dich enttäuschen, denn diesen Gefallen werde ich dir nicht tun, Janek. Um mich loszuwerden, musst du dir schon mehr einfallen lassen.“

„Was denn?“, fragte Janek und boxte Rafe gegen den Arm, worauf der ihn nur noch fester an sich zog. „Was muss ich tun, um dich loszuwerden? Was?“

„Nur eines“, flüsterte Rafe an seinem Ohr. „Sieh mir in die Augen und sag' mir, dass du mich nicht liebst.“

Und das konnte Janek nicht, was sie beide wussten. Er versuchte heftiger sich von Rafe loszureißen und gab abrupt auf, als ihm klar wurde, dass Rafe ihn mit Absicht so festhielt. Er würde ihn ernsthaft verletzen müssen, um von ihm wegzukommen, und diese Grenze würde Janek auf gar keinen Fall überschreiten.

„Du bist ein Mistkerl“, murmelte er und wusste nicht, ob er beleidigt sein oder Rafe auf den Fuß treten sollte, weil dessen Reaktion ein hörbar zufriedenes Lachen war. „Blödmann.“

„Gönn' uns doch ein bisschen Ruhe. Wir werden noch genügend Gelegenheiten finden, um uns in die Haare zu kriegen, aber in den nächsten Tagen und Wochen hätte ich gerne etwas Frieden.“

Janek fing an zu schmollen, so albern und kindisch er sich dabei auch vorkam. „Das ist unfair.“

„Was? Dass du streiten willst, ich dir aber jeden Wind dafür aus den Segeln nehme?“

„Ja.“ Janek stöhnte, als Rafe wiederholt lachte. „In solchen Momenten wünschte ich, ich würde dich nicht so sehr mögen, Rafe Connor.“

„Nur mögen?“, fragte der leise nach, bevor er mit den Lippen überraschend über seinen Nacken schmuste, was Janek eine Gänsehaut bescherte. „Komm schon, sag' es.“

„Was?“, tat Janek unwissend, kam aber nicht damit durch.

„Magst du mich oder magst du mich etwas mehr?“

„Ich mag dich“, gab Janek zu, was Rafe wie erwartet nicht genug war, denn seine weichen Lippen fanden die empfindliche Stelle hinter seinem rechten Ohr zielgenau. Janek knickten fast die Beine weg.

„Wie sehr?“, wollte Rafe wissen und Janek hielt zwei Finger hoch, deutete zwischen ihnen einen Abstand von etwa einem halben Zentimeter an. „Mehr nicht?“, tat der Drummer enttäuscht, bevor er sich seinem linken Ohr zuwandte, was Janek dazu zwang, sich an ihm festzukrallen. Rafe lachte. „Willst du nicht noch mal darüber nachdenken?“

„Du bist hinterhältig“, murmelte er und versuchte an etwas Langweiliges zu denken.

„Ich weiß. Deswegen liebst du mich ja.“

„Eingebildet bist du auch, nur fürs Protokoll ... Rafe!“ Dessen freie Hand hatte sich, von Janek unbemerkt, in gefährliches Gebiet geschoben. „Das ist nicht der richtige Ort, um ... du weißt schon.“

Rafe küsste ihn auf den Hals. „Liebst du mich?“

„Das weißt du doch“, murmelte Janek und wand sich unter den flinken Fingern des Drummers. „Himmel, hör' auf damit.“

„Weil du es bist“, gab Rafe nach und drehte ihn zu sich herum. Janek hatte das Gefühl in den grünbraunen Augen zu versinken, während Rafe das Gesicht langsam zu ihm beugte. „Sag' es mir. Nur ein Mal ... pro Tag.“

Janek musste unwillkürlich grinsen. „Du bist gierig.“

„Auch das weiß ich.“ Ihre Lippen berührten sich fast. „Sag's mir.“

„Ja, ich liebe dich.“

Rafes Lippen erstickten Janeks Aufstöhnen, doch das Begehren in seinen umwerfenden Augen konnte er nicht verbergen. Der Drummer wollte mit ihm schlafen und Janek war ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass er es ebenso wollte.

34     

 

 

 

 

Rafe hob die Hand, um an die Tür des Hotelzimmers zu klopfen, in dem sich Marc befand. Janek hielt ihn im letzten Moment davon ab und schüttelte den Kopf, was ihm einen tadelnden Blick einbrachte. Trotzdem hielt er Rafes Finger fest und der wehrte sich nicht gegen seinen Griff, sondern schien abwarten zu wollen, was er als nächstes tat. Und genau das war das Problem, denn Janek wusste es nicht. Natürlich war ihm klar, dass er diese Sache mit Marc aus der Welt schaffen musste, aber er hatte schlicht Angst davor.

„Was soll ich ihm denn sagen?“

„Die Wahrheit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ Rafe lächelte aufmunternd und löste Janeks verkrampfte Finger von seiner Hand. „Komm schon. Marc wird dich schon nicht auffressen.“

„Bist du dir sicher? Vielleicht warte ich doch lieber bis morgen.“

„Klar, so etwas bespricht sich bestimmt ganz super im Tourbus, wo in jeder Ecke Lauscher sitzen.“

Janek verdrehte die Augen zur Decke. „Pfft.“

Rafe lachte leise. „Schluss mit der Feigheit, Tears. Du sprichst jetzt mit unserem Sohn, ich spiele mein Konzert und danach lade ich meine zwei Männer zum Essen ein, falls ihr euch bis dahin nicht umgebracht habt.“

„Rafe!“

Dessen Antwort war ein lautes, heiteres Lachen, dann klopfte er an die Tür, bevor Janek den nächsten Versuch starten konnte, ihn davon abzuhalten und sich irgendwie noch ein bisschen Zeit zu erkaufen. Diese Connors waren dermaßen lästig, wenn sie unter einer Decke steckten, es war nicht zum Aushalten.

Jackson hatte nämlich, in Absprache mit Rafe, Nägel mit Köpfen gemacht und Marc aus seinem Hotelzimmer geworfen, damit der sich mit seinem Vater aussprach. Nicht die feine englische Art, aber da Marc nicht auf das Konzert gehen würde, weil er Kopfschmerzen hatte und Jackson ihm deswegen schlichtweg verboten hatte, ihnen heute zuzusehen, war die Gelegenheit günstig.

Erstaunlich genug, dass Marc überhaupt von sich aus mit den Kopfschmerzen herausgerückt war, aber darüber wollte Janek nicht weiter nachdenken. Er war nur froh, dass sein Sohn es getan hatte, auch wenn Jacksons erste Reaktion eine halbe Panikattacke gewesen war.

„Die Tür ist offen“, rief Marc von drinnen.

Janek sah sich unwillkürlich nach einem Fluchtweg um und zog ertappt den Kopf ein, als Rafe tadelnd mit der Zunge schnalzte. „Tut mir leid.“

Der Drummer schob die Tür auf. „Na geh' schon.“

Janek seufzte und straffte danach die Schultern, um sich seinem Sohn zu stellen. Rafes leises, „Janek?“ hielt ihn zurück. „Hm?“, fragte er und drehte sich zu ihm. Im nächsten Moment hatte Rafe ihn gegen die Wand neben der Tür gedrängt und küsste ihn. Aber wie. Janek kam erst wieder zu sich, als Rafe längst von ihm abgelassen hatte und einen Schritt zurückgetreten war. Sein Blick war so eindringlich, dass Janek tief Luft holen musste, bevor er fähig war, etwas zu sagen. „Danke ... Wow.“

Rafe grinste ihn zufrieden an. „Wir sehen uns später.“

„Äh ... okay“, brachte er heraus, da war Rafe längst im Fahrstuhl verschwunden. Janek blinzelte, um dabei den Kopf zu schütteln. „Mann, kann der Kerl küssen.“

„Hey.“

Janek fuhr herum. Marc stand in der Tür und sah ihn mit einem schiefen Grinsen an. „Selber hey“, wiederholte er und brachte ein Lächeln zustande. „Ähm ... meinst du, wir kriegen es hin, miteinander zu reden?“

„Ich schätze, Jackson und Rafe bringen uns um, wenn wir es nicht tun“, antwortete Marc und seufzte. „Jackson sagte was von Dummköpfen und Idioten, bevor er mich aus dem Zimmer warf.“

„Rafe war ähnlich freundlich“, murmelte Janek und deutete auf die offene Tür in Marcs Rücken. „Darf ich?“

„Ja, klar“, nickte sein Sohn und ging vor.

Janek folgte ihm, schloss die Tür und atmete einmal tief durch, bevor er zu Marc in den Wohnraum ging, der es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte und ihm entgegensah. Janek nahm den zweiten Sessel in Beschlag und danach schwiegen sie sich an. Marc schien genauso wenig zu wissen was er sagen sollte, wie Janek selbst.

„Deine Wange sieht echt bunt aus“, ergriff Marc nach einer Weile das Wort. „Tut es noch weh?“

„Nein“, antwortete Janek. Die Schwellung war kaum mehr fühlbar, es heilte gut ab. Andere Dinge schmerzten dafür umso mehr. Was hatte Rafe zu ihm gesagt? Dass er einfach bei der Wahrheit bleiben sollte. Genau das würde Janek jetzt tun. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Ich auch nicht“, gab Marc zu und sah kurz aus dem Fenster. „Das ist alles ganz merkwürdig, seit du ... Na ja, seit ich es weiß.“

Janek sah zu Boden. „Es tut mir leid.“

„Wieso hast du mir das so erzählt?“, fragte Marc auf einmal leise. „Du warst so ... fies ... als wärst du jemand ganz anderes. Bist du früher auch so gemein gewesen?“

„Ja“, gestand Janek und sah wieder zu Marc. „Ich war jahrelang so gemein. Für mich war das normal, es war mein Leben.“

„Du hasst mich, oder?“

Janek klappte die Kinnlade herunter, dann schüttelte er entschieden den Kopf. „Ich hasse dich nicht. Denk' das bitte nicht. Das habe ich niemals getan, Marc. Du warst mir bei deiner Geburt egal, ja, aber hassen ... Nein!“

„Wieso dann das alles?“, fragte Marc unverständlich und sah ihn verletzt an. „Wieso wolltest du mir wehtun? Und behaupte ja nicht, dass du es nicht wolltest. Ich bin nicht blöd.“

Nein, blöd war sein Sohn mit Sicherheit nicht. Janek wusste vor Scham nicht wohin. Rafe hatte recht und er würde seinen Rat befolgen und weiter ehrlich sein. „Ich habe mich zu Tode geschämt, Marc. Ich tue es heute noch. Das soll keine Entschuldigung für mein Verhalten sein. Es ist einfach so. Manchmal wünschte ich, ich könnte Mum und Dad die Schuld daran geben, doch das geht nicht. Sie haben immer versucht zu helfen, aber ich wollte keine Hilfe. Ich weiß nicht, warum ich früher so ... so ... mir fällt kein Wort dafür ein. Durchgedreht vielleicht? Ja, ich glaube, ich war durchgedreht. Die Marines haben das geändert und anfangs war ich stolz auf mich, dass ich den Entzug geschafft hatte.“ Er wich Marcs neugierigem Blick aus. „Das hielt leider nicht lange an, nachdem ich die Armee verlassen hatte.“

„Warum nicht?“

Janek lächelte zynisch. „Erzähl' irgendwem, du wärst Alkoholiker und Junkie gewesen. Ganz egal, wie lange es her ist, niemand gibt dir einen Job, dein Leumund ist auf ewig im Arsch und jeder, der davon erfährt, schaut dich merkwürdig an. Sogar Mum und Dad haben es getan und ich kann es ihnen nicht mal verübeln. Ich war ein Wrack, als sie mich das letzte Mal gesehen hatten. Ein Trinker, ein Junkie, vollkommen kaputt. Sie hatten immer Angst, ich würde rückfällig werden. Vor allem in der ersten Zeit, als ich von der Armee nach Hause gekommen war und keine Arbeit fand.“

„Was ist mit dir bei den Marines passiert?“

„Ich war im Krieg und habe Dinge gesehen ...“ Janek brach ab und schüttelte den Kopf. „Ich war jahrelang in Therapie deswegen. Weil ich nicht mehr schlafen konnte und ständig Albträume hatte. Es war so schwer, das vor dir zu verheimlichen, aber es musste sein. Wie hätten wir dir denn erklären sollen, was mit mir nicht stimmt? Du warst glücklich und ich glaubte, ich hätte kein Recht, dir das wegzunehmen, indem ich dir die Wahrheit sage. Ich meine, wer war ich denn schon? Ja, ich hatte den Entzug durchgestanden und bei den Marines Karriere gemacht, aber davon, ein guter Vater zu sein, war ich weit entfernt. Ich war feige, Rafe hat schon recht.“

„Mir ist das nie aufgefallen“, murmelte Marc entsetzt. „Ich war so dumm.“

Janek sah seinen Sohn an und schüttelte den Kopf. „Denk das nicht. Woher hättest du etwas ahnen sollen? Wir haben das immer vor dir versteckt. Es war besser für dich und auch für mich. Ich hatte genug Probleme, mit meinem normalen Leben klarzukommen. Und bevor du danach fragst, ja, ich wäre wieder abgestürzt, wenn Dad eines Tages nicht zu mir gesagt hätte, dass ich meinen Lebenslauf einfach fälschen soll.“

„Das hat er gesagt?“ Marc machte große Augen.

„Ja“, nickte Janek und lächelte verlegen. „Und es hat funktioniert, denn knappe drei Wochen später fand ich den Job in der Agentur.“

Marc erwiderte sein Lächeln, wandte den Blick aber gleich darauf wieder ab, sichtlich beschämt. „Was ich zu dir gesagt habe, dass du zurückgehen sollst ...“ Sein Sohn wurde rot. „Das habe ich nicht so gemeint.“

Janek stand auf, weil ihm von seiner angespannten Haltung der Rücken wehtat. Er hatte nicht mal gemerkt, wie sehr er sich verkrampft hatte. „Weißt du, ich habe zu Rafe gesagt, dass es mir egal ist, ob du mich Dad oder großer Bruder nennst, solange du bei mir bist und das stimmt. Ich verlange nichts von dir, ich möchte, dass du das weißt, Marc. Ich wollte nicht, dass du auf so eine Art und Weise davon erfährst, dass du mein Sohn bist. Sei ruhig wütend auf mich, ich habe es verdient, aber nichts, was du mir je an den Kopf geworfen hast oder werfen wirst, kann so schlimm sein wie der Gedanke, dass du bald nicht mehr da bist. Ich ...“ Janek schluckte. „Marc, wärst du sauer, wenn ich wirklich wieder zu den Marines zurückgehe?“

Marc sah ihn verblüfft an. „Jetzt?“

Janek verfluchte sich selbst, als ihm bewusst wurde, wie das für seinen Sohn geklungen haben musste. „Nein, nicht sofort. Erst wenn ...“ Janek brach entsetzt ab. War er denn völlig bescheuert? „Ich ... es ... Mist.“

„Ist schon okay“, kam ihm Marc zu Hilfe und lächelte zaghaft. „Wenn ich tot bin, ich weiß.“

Janek seufzte leise und ließ die Schultern hängen. „Es tut mir leid, ich hätte das nicht sagen sollen.“

„Doch“, widersprach Marc und erhob sich ebenfalls, um sich vor ihn zu stellen. „Wir müssen darüber reden, was ist, wenn ich gestorben bin. Bennett läuft davor weg, Jackson versucht es und schafft es nicht, Tom verdrängt das Ganze, genau wie Gibson. Der einzige, der immer ein Ohr für mich hat, ist Rafe. Sam und Julien hören auch zu, aber es ist sehr schwer für sie. Ich kann doch nichts dafür, dass ich sterbe. Ich wünschte, ich würde es nicht, aber ich schätze, auf eine spontane Wunderheilung sollte ich mich lieber nicht verlassen.“

Marc nahm seine rechte Hand und begann mit seinen Fingern zu spielen. Janek konnte nur mit großer Mühe verhindern, dass er in Tränen ausbrach, denn genau das hatte Marc nach seiner Geburt getan, obwohl es damals nur ein Reflex gewesen war. Aber die Erinnerung daran war auf einmal so präsent, dass es wehtat.

„Du hast so viele Orte auf der Welt gesehen, die ich niemals kennenlernen werde. Als ich noch klein war, hat Mum ... Oma ... mir immer Geschichten über die Länder erzählt, in denen du warst. Über die Menschen und wie sie leben. Ich habe davon geträumt, eines Tages dorthin zu fahren und mir alles genau anzuschauen.“ Marc sah auf, direkt in sein Gesicht. „Ich beneide dich darum und ich wünschte, ich könnte diesen verfickten Krebs jemand anderem aufdrücken, damit ich nicht sterben muss.“

„Marc ...“ Janek verstummte, als sein Sohn den Kopf schüttelte und sich dann abrupt von ihm abwandte, um ins Badezimmer zu verschwinden.

„Mist“, fluchte er wenig später von dort.

Janek war sofort alarmiert. „Alles klar bei dir?“

„Ich habe Nasenbluten. War wohl ein bisschen zu viel Aufregung in letzter Zeit“, kam zurück.

Ein bisschen? Das war die Untertreibung des Tages. Auf einmal schepperte es im Badezimmer, danach folgte ein Poltern, und noch bevor er Marc stöhnen hörte, hatte Janek bereits das halbe Zimmer durchquert. Kurz darauf hockte er neben seinem zitternden Sohn im Badezimmer auf dem Boden und hielt Marc fest, während der hustend und keuchend nach Atem rang.

 

Ein Klopfen an der Hotelzimmertür ließ Janek einige Zeit später zur Tür sehen. Auch Marc hob den Kopf, um gleich darauf zu husten und dabei heftig nach Luft zu ringen. Janek hatte seinen Sohn mittlerweile in ihr Bett getragen, damit er bequem liegen konnte. Geholfen hatte es leider nicht, denn Marcs Anfall schien eher schlimmer zu werden, als abzuklingen. Lange konnte er nicht mehr warten. Janek sah auf die Uhr. Das Konzert war zu Ende, also standen die Jungs vor der Tür. Auch das noch.

„Will nicht, dass sie mich so sehen“, wimmerte Marc und schloss gequält die Augen. „Tut so weh.“

„Ich weiß“, flüsterte Janek und ignorierte das erneute Klopfen. „Marc, du musst langsamer atmen, sonst rufe ich den Notarzt, ob dir das gefällt oder nicht. Langsamer, wie du es gelernt hast. Erinnerst du dich?“

Marcs Versuch endete in einem neuen Hustenanfall. Es war schon der dritte, seit er zusammengebrochen war, und genauso lange sträubte er sich dagegen, dass Janek bei der Rezeption anrief und einen Arzt herbestellte. Die Hände auf Marcs Brustkorb gepresst, um den Druck so konstant wie nur möglich zu halten, hielt er seinen Sohn auf dem Bett und ignorierte das dritte Klopfen und Rafes darauffolgende Frage, ob bei ihnen alles in Ordnung war. Dann fing sein Handy an zu klingeln.

„Verdammt!“, fluchte Janek. „Marc, ich lasse dich los. Nur ganz kurz, ja?“

„Okay“, keuchte Marc und krallte ihm die Fingernägel in den Unterarm, als Janek zum Nachttisch langte und sich das Handy griff. 'Jackson ruft an' leuchtete ihm vom Display entgegen.

„Jetzt nicht!“, fuhr er den Sänger an. „Lasst euch die Zweitkarte von ...“ 'der Rezeption geben', hatte er noch sagen wollen, aber Marcs erneuter Hustenanfall war so heftig, dass er das Telefon einfach aufs Bett warf, um zu verhindern, dass sein Sohn sich vollständig verkrampfte und dadurch im schlimmsten Fall erstickte. „Langsamer, Marc!“, befahl Janek scharf und im nächsten Moment ging hinter ihm die Tür auf. „Raus!“

„Janek, braucht ihr ...?“

Marc verspannte sich sofort und seine Atmung wurde noch unregelmäßiger, als sie sowieso schon war. Janek verlor die Nerven. „Bist du taub, Jackson Connor? Raus hier, verdammt noch mal!“, schrie er, ohne von seinem Sohn abzulassen und das saß, denn die Tür wurde wieder geschlossen. „Marc, du tust jetzt genau, was ich dir sage, sonst verbringst du die nächsten Tage im Krankenhaus, und wenn ich dich eigenhändig an das Bett fesseln muss, haben wir uns verstanden?“ Marc nickte, mit Tränen in den Augen. „Gut, hör' mir zu ...“

35     

 

 

 

 

Janek stieg vorsichtig aus dem Bett und zog die Decke höher, um Marc warmzuhalten. Dann sah er auf die Uhr. Es war beinahe Mitternacht. Der Anfall hatte im Ganzen mehrere Stunden gedauert. Das war viel zu lange und gar nicht gut. Es war sogar ziemlich schlecht. Janek kannte Marcs Diagnose zu gut, um keine Angst zu haben. Seine Hände zitterten von der anhaltenden Belastung so stark, dass er vier Versuche brauchte, um die Tür zu öffnen und in den Wohnraum zu gehen, wo Rafe, Jackson, Bennett und Julien auf ihn warteten.

Sie bemerkten sein Eintreten gar nicht, was Janek normalerweise zum Lachen gebracht hätte, aber dafür fühlte er sich zu elend. Jackson saß im Schneidersitz auf der Couch und knabberte an den Fingernägeln, während Bennett neben Julien am Fenster stand, und sich ständig durch die Haare fuhr. Julien trat von einem Bein aufs andere. Einzig Rafe schien etwas ruhiger zu sein, er saß neben Jackson auf der Couch und hatte den Kopf in beide Hände gestützt.

„Hey“, murmelte Janek.

Alle Männer sahen gleichzeitig auf oder drehten sich herum und starrten ihn an. Rafe fing sich zuerst.

„Wie geht’s ihm?“

Gute Frage. Janek hatte leider keine Antwort darauf. Das würde erst der folgende Morgen und Marcs Zustand zeigen. Daher zuckte er nur hilflos mit den Schultern und trat zum Couchtisch, auf dem eine Wasserflasche stand. „Darf ich?“

„Sicher.“ Jackson nickte. „Ist meine. Bedien' dich.“

„Danke.“ Janek nahm einen Schluck und dann noch einen, bevor er sich mit der Flasche in der Hand einfach auf den Teppich sinken ließ. Er war fix und fertig.

„Janek ...?“, fragte Rafe besorgt.

Er fühlte die warme Hand des Drummers auf seiner Schulter, schüttelte aber den Kopf, um ihn an weiteren Worten zu hindern. „Geht gleich wieder“, murmelte er und versuchte gleichzeitig das Zittern zu unterdrücken, welches sich seiner bemächtigen wollte.

Er musste jetzt Ruhe bewahren, obwohl Janek nicht die geringste Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte. Falls Marc den Rest der Nacht durchschlief, ging es ihm morgen früh möglicherweise wieder gut genug, um wie geplant weiterzumachen. Wenn nicht, stand definitiv ein Besuch im nächsten Krankenhaus auf dem Plan. Janek setzte die Flasche erneut an seine Lippen, als ihm auffiel, wie durstig er eigentlich war.

Nach einer Weile hatte er sich endlich soweit im Griff, dass er sich umsetzen und mit dem Rücken an die Couch lehnen konnte. Die Beine anziehend, stellte Janek die nun leere Flasche beiseite und legte beide Unterarme auf seinen Knien ab, bevor er aufblickte, in äußerst besorgt dreinschauende Gesichter.

„Marc ist eingeschlafen“, sagte er und sah zu Jackson. „Tut mir leid, dass ich dich angebrüllt habe, aber er will nicht, dass ihn jemand so erlebt. Es regt ihn immer noch mehr auf und in dem Zustand, in dem er vorhin war, ist das gefährlich.“

„Es wird sich auf Dauer kaum vermeiden lassen, dass einer von uns Marc sieht, wenn er ...“ Bennett brach ab und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als Janek ihn ansah. Dann wandte er den Blick ab.

„Wenn wir bleiben, dann nicht“, stimmte Janek ihm zu und überging die Tatsache, dass Bennett absolut nicht damit zurechtkam, dass Marc todkrank war. Sein Blick fand Jacksons, der eben zu sprechen ansetzte. „Sag' es nicht“, bat er. „Es steht nicht zur Debatte, dass der Trip für mich und Marc vorbei ist, wenn sich sein Zustand bis morgen früh nicht deutlich verbessert hat.“

„Janek ...“

„Nein! Er baut immer schneller ab, sein Anfall heute beweist das. Wir können es nicht länger ignorieren. Marc wird sterben, akzeptiert das endlich.“

Janek wusste, dass er zu laut sprach und seine Worte ein einziger Vorwurf waren, den keiner der vier verdient hatte, aber er konnte nicht anders. Morgen würde er sich dafür entschuldigen, was und vor allem, wie er es gesagt hatte, aber jetzt wollte er nur noch, dass die Männer das Zimmer räumten, damit er sich auf die Couch legen, das Licht ausschalten und für den Rest dieser Nacht in die Dunkelheit starren konnte.

„So wie du es akzeptieren kannst?“, zischte Julien auf einmal, was Janek zusammenzucken ließ. Julien bekam als Antwort von Bennett umgehend einen Ellbogen in die Rippen. „Lass den Quatsch.“

„Hör' auf, dich wie ein Zwölfjähriger zu benehmen“, zischte Bennett, woraufhin sich Juliens Blick bedenklich verdüsterte.

„Das musst du gerade sagen.“

„Schluss jetzt!“, fuhr Rafe dazwischen und stand auf. „Seid ihr beide noch zu retten? Herumzustreiten, obwohl Marc nebenan liegt?“ Er hielt Janek seine Hand hin, der sie schweigend nahm und sich auf die Beine ziehen ließ. „Es wäre besser, wenn ihr jetzt geht.“

„Du wirfst uns raus?“, fragte Jackson überrascht und Rafe nickte, sah dabei jedoch Julien und Bennett an.

„Streiten könnt ihr woanders und du ...“

„Ich schlafe bei Marc“, unterbrach ihn Jackson und wischte jeden Einspruch mit einer Handbewegung zur Seite, während er aufstand. „Nimm Janek mit zu dir. Ich passe auf Marc auf.“

Janek konnte sich nicht entscheiden, ob er loslachen, Jackson, Bennett und Julien anschreien oder einfach das Zimmer verlassen sollte. „Werde ich dazu vielleicht auch mal gefragt?“ Im nächsten Moment schaute er verblüfft zu Rafe. „Was meinst du mit 'Nein'?“

„Janek, du siehst aus wie eine lebende Leiche, und ich weiß genau, was du den Rest der Nacht tun wirst, wenn ich nicht dafür sorge, dass du schläfst“, antwortete Rafe trocken und sah zu Julien und Bennett. „Was ihr macht, ist mir ehrlich gesagt egal, aber ihr verschwindet jetzt aus diesem Zimmer. Marc braucht Ruhe, keinen Freund, der vor lauter Angst um ihn beinahe stirbt. Und was dich angeht ...“ Rafes tadelnder Blick fiel auf Julien. „Ich habe keine Ahnung, was dich so gegen Janek aufbringt, aber entweder, du legst die Karten offen auf den Tisch oder du schluckst es runter.“

Julien schien etwas sagen zu wollen, entschied sich aber dagegen und murmelte stattdessen ein paar Worte zu Bennett, die mit Sicherheit keine Nettigkeit waren, so finster wie der ihn ansah, bevor Julien aus dem Zimmer eilte. Janek war heilfroh, dass er trotz seiner Wut genug Geistesgegenwart besaß, um die Tür leise zu schließen.

„Was hat Julien gesagt?“, wollte er wissen, doch statt einer Antwort schüttelte Bennett schweigend den Kopf. „Sag' schon. Ich weiß, dass er wütend auf mich ist.“

Bennett seufzte. „Er ist nicht wütend auf dich. Na ja, ein bisschen schon, du weißt, warum. Aber nicht er muss das akzeptieren, sondern Rafe. Julien ist stinksauer auf dich, weil er schon einmal jemanden durch eine Kugel verloren hat. Er hat Angst, schlicht und ergreifend.“

„Bennett, ich gehe nicht in den Feldeinsatz. Ich ...“

„Hältst du mich für so naiv, Janek?“, unterbrach der ihn mit finsterem Blick. „Julien weiß so einiges über die Armee, genauso wie Sam. Ein Ausbilder für Waffen zu sein, bedeutet nicht, dass du den Rest deines Lebens auf dem Stützpunkt sitzt. Verkauf' mich nicht für dämlich.“

Janek holte erst mal Luft, um Ruhe zu bewahren, weil er Bennett sonst angeschrien hätte. „Ich will dich weder für dämlich verkaufen noch halte ich dich für naiv, aber wenn ich sage, dass ich nicht in den Feldeinsatz gehe, dann ist das so. Und wenn du jetzt noch ein Wort sagst, springe ich dir an die Gurgel“, fuhr Janek den Gitarristen an, als der widersprechen wollte. „Ich bin nicht so blöd, freiwillig in die Hölle zurückzugehen, die mir jahrelange Albträume beschert hat. Ich werde junge Scharfschützen ausbilden, nicht mehr. Das war die Bedingung an Leary, und erst als er sich einverstanden erklärte, nahm ich sein Angebot an.“

„Warum hast du uns das denn nicht gesagt?“, wollte Jackson wissen und trat zu Bennett, dessen verblüffter Blick Janek kurz zum Lachen reizte.

„Wann denn?“, fragte er dann allerdings verärgert. „Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir in den letzten Tagen andere Dinge zu klären.“ Er winkte ab, als Jackson noch etwas sagen wollte, und sah zu Rafe. „Können wir bitte gehen? Ich brauche eine Dusche, ein Bett und eine Flasche Whisky.“ Rafe schwieg, was Janek seufzen ließ. „Okay, ich lasse den Whisky weg.“

„Dein Glück“, murmelte der Drummer und drückte liebevoll seine Hand. „Na komm, ab ins Bett mit dir. Wir reden morgen weiter.“

Letzteres war an Jackson und Bennett gerichtet, die schweigend nickten, was Rafe Antwort genug war, denn er zog ihn sanft, aber bestimmt Richtung Tür, was Janek nur recht war. Das Einzige was er heute noch wollte, war eine Bettdecke, die er sich über den Kopf ziehen konnte, um die Welt für die nächsten Stunden aus seinem Leben auszusperren.

 

Rafe hatte allerdings andere Pläne, stellte Janek kurz darauf fest. Der Drummer hielt ihn weder davon ab, eine heiße Dusche zu nehmen noch sagte er etwas dazu, dass Janek sich, in Ermangelung frischer Kleidung, bei Rafes Sachen bediente. In einer Shorts und mit einem T-Shirt gekleidet, legte sich Janek zu Rafe ins Bett, der daraufhin nichts Besseres zu tun hatte, als ihn zu beobachten. Und das ging Janek sehr schnell auf die Nerven, was von Rafe mit Sicherheit beabsichtigt war. Was ging diesem Mann nur wieder im Kopf herum? Dachte er über Marc nach? Die Band? Über ihn? Darüber, dass er zu den Marines zurückgehen wollte? Möglich war alles, doch Janek tippte insgeheim auf Letzteres.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, die vermutlich keine fünf Minuten gedauert hatte, hielt Janek es nicht mehr aus. „Sag was!“ Rafe warf ihm einen verblüfften Blick zu, der ihn stöhnen ließ. „Tu' nicht so. Du bist sauer, oder?“

„Was?“, fragte Rafe und schien jetzt komplett irritiert. „Wovon redest du? Warum sollte ich sauer sein?“

„Warum wohl? Du hast bisher nicht viel dazu gesagt, dass ich zu den Marines zurückgehe.“

„Und wieso sollte ich das tun? Wenn ich mich richtig entsinne, hast du Julien ziemlich deutlich erklärt, dass es mich nichts angeht, weil es dein Leben wäre.“

Janek zog sich die Bettdecke bis zum Hals hoch und schwieg beschämt. Das hatte er verdient und er verstand auch, dass Rafe ihm seine Worte vorwarf. Dennoch kam ein Rückzug für ihn nicht infrage. Die Sicherheit, die ihm der Stützpunkt geben konnte, würde selbst dann noch da sein, wenn Rafe ihn hinter sich ließ. Wobei er diesen Gedanken lieber nicht laut aussprach, das hätte ihm der Drummer mit Sicherheit übelgenommen. Aber vielleicht lag er ja auch falsch und Rafe blieb bei ihm.

„Könntest du es? So ein Leben führen, meine ich?“, fragte Janek nach einer Weile, weil ihn das Ganze nicht losließ.

„Ich weiß es nicht.“

„Wenigstens bist du ehrlich.“

Rafe seufzte. „Janek, ich weiß es nicht, weil ich so ein Leben noch nie zuvor geführt habe. Allerdings werde ich den Teufel tun und dich deswegen aufgeben. Wenn Marc tot ist und du auf diesen Stützpunkt zurückgehst, werden wir schnell herausfinden, ob wir damit umgehen können oder nicht.“

„Und falls nicht?“

„Dann setzen wir uns zusammen und finden für uns einen Weg, um es möglich zu machen“, antwortete Rafe entschlossen. „Janek, ich gebe uns nicht wegen so etwas auf. Wie oft werde ich dir das sagen müssen, bis du mir glaubst?“

„Keine Ahnung.“ Janek hätte sich für seine Feigheit am liebsten geschlagen, aber er konnte nichts gegen die Stimme in seinem Inneren tun, die ihm immer wieder aufs Neue zuflüsterte, dass Rafe eines Tages doch gehen würde, wie alle anderen zuvor. „Ich bin eben verkorkst.“

„Du bist nicht verkorkst, du hast einfach Angst“, hielt der Drummer dagegen und stupste ihm gegen die Nase. „Ich fände es übrigens sehr nett von dir, wenn du endlich damit aufhören würdest, ein Loch in meine Bettdecke zu starren, sondern stattdessen mich ansiehst.“ Statt einer Antwort, vergrub Janek sein Gesicht im Kopfkissen und brachte Rafe damit zum Lachen. „Hey, du hast so schöne Augen. Zeig sie mir. Na los, du Feigling. Sieh mich an.“

„Ich will aber nicht“, nuschelte Janek ins Kissen, was Rafe natürlich nicht davon abhielt, ihm mit den Fingern spielerisch über den Nacken zu fahren. „Lass das.“

„Bist du kitzlig?“

„Nein.“

„Warum glaube ich dir das nur nicht?“, konterte Rafe amüsiert und Janek murrte einen Fluch. „Sieh mich an, sonst finde ich heraus, ob du wirklich 'nicht' kitzlig bist.“

„Das ist Erpressung.“

„Verklag' mich.“

Janek schnaubte und hob danach den Kopf, um Rafe schmollend die Zunge herauszustrecken. Das kümmerte den jedoch nicht, seinem folgenden, zufriedenen Lächeln nach zu urteilen. „Ich kann dich gerade überhaupt nicht leiden, Rafe Connor.“

„Jetzt machst du mich aber ganz traurig.“ Passend zu seinen Worten, schob Rafe die Unterlippe so weit nach vorne, dass es schon wieder albern aussah. Janek konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ha! Du magst mich ja doch.“ Rafe gluckste, als Janek die Augen verdrehte, um ihn danach samt der Bettdecke halb auf sich zu ziehen. „Gib auf und erzähl mir davon.“

Janek sah ihn fragend an. „Was soll ich dir erzählen?“

„Ich bin nicht so blöd, freiwillig in die Hölle zurückzugehen, die mir jahrelange Albträume beschert hat“, wiederholte Rafe, was er vorhin zu Bennett gesagt hatte und hielt sein Kinn fest, als Janek Rafes prüfendem Blick ausweichen wollte. „Erzähl' mir von deiner Hölle.“

„Dafür reicht eine Nacht nicht aus.“

„Dann erzähl' mir, wann du angefangen hast, an dem zu zweifeln, was du tust.“

Woher wusste dieser dickköpfige Drummer das jetzt schon wieder? Janek ließ sein Gesicht mit einem tiefen Stöhnen auf Rafes Brust sinken, als der sein Kinn losließ. Manchmal war dieser Musiker ihm wirklich unheimlich, doch andererseits, so ungern Janek sich das eingestand, hatte es ihm geholfen, mit Rafe über Dinge zu reden, die sonst niemand wusste.

Er legte einen Arm über Rafes muskulösen Bauch und überlegte. Janek war hin- und hergerissen. Sollte er dem Drummer von damals erzählen oder war es besser, wenn er sich in eine neue Ausrede flüchtete? Wobei das kaum eine Option war, falls Rafe sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn zum Reden zu bringen. Da konnte er auch gleich die weiße Fahne hissen.

Janek atmete tief ein. Dabei stieg ihm Rafes Duft in die Nase, was ziemlich ablenkend war, denn der Drummer roch verdammt gut. Nach seinem Parfum und dieser Mischung aus Rafe selbst und dem leichten Hauch von Nikotin, der ihn kaum noch störte. Janek hätte am liebsten das Gesicht in Rafes Halsbeuge vergraben und mit seiner Zunge eine Kostprobe genommen. Stattdessen begann er zu reden.

36     

 

 

 

 

„Die Armee ist nicht so furchtbar wie ihr Ruf. Leider bleibt den Menschen in den allermeisten Fällen nur das Schlechte in Erinnerung, davon schließe ich mich nicht einmal aus. Irgendwie denke ich immer zuerst an all die Einsätze, die schiefgelaufen sind, statt an jene, wo wir wirklich helfen und etwas tun konnten.“

„Janek, komm' auf den Punkt.“

„Idiot“, murrte er halbherzig, was ihm einen Stupser auf die Nase einbrachte. Aber Rafe hatte recht. Er redete um den heißen Brei herum. „Wir hatten einen Einsatz im Bereich humanitäre Ersthilfe“, sagte Janek und war froh, dass Rafe nicht nach weiteren Details fragte. „Es lief alles gut und wir waren schon auf dem Rückweg, als Rebellen das Dorf überfielen, welches wir eben verlassen hatten.“

Ein Dorf mit Kindern, Frauen und alten Männern, die so glücklich über ihre Hilfe gewesen waren. Janek hielt es liegend nicht länger aus, löste sich von Rafe und setzte sich in einen Schneidersitz, um sich eng in die Bettdecke einzuwickeln, weil er plötzlich heftig fror.

„Wir hielten Rücksprache mit unserer Einsatzleitung, bekamen aber keine Freigabe, um den Leuten ein zweites Mal zu helfen. Zu gefährlich, hieß es. Zurückgefahren sind wir dennoch.“ Janek lächelte zynisch. „Wir hätten es lassen sollen. Zwei aus unserer Truppe nahmen danach ihren Hut.“

Janek sah sich suchend um. Sein Mund war plötzlich so trocken. Neben Rafe stand eine Flasche Wasser auf dem Nachttisch und er beugte sich über ihn, um sie zu nehmen und mehrere Schlucke zu trinken. Sich so etwas Zeit zu verschaffen, obwohl er das nie offen zugegeben hätte. Rafe wusste es wohl trotzdem. Irgendwie kannte ihn dieser Drummer entschieden zu gut, aber das war eine Erkenntnis, die Janek nicht zum ersten Mal hatte und mittlerweile schockierte sie ihn nicht mehr ganz so stark, wie zu Anfang.

„Was hast du dort gesehen?“, fragte Rafe mitfühlend, nachdem Janek die Flasche neben dem Bett auf den Boden gestellt hatte.

„Siehst du dir keine Nachrichten an, Rafe?“, fragte er verbittert. „Du weißt doch genau, was ich in diesem Dorf gesehen habe.“

„Hör' auf, mir ständig auszuweichen. Rede mit mir, Janek, und sieh endlich ein, dass du mit diesem Irrsinn nicht länger allein bist.“

Das war so typisch Rafe. Es war wirklich zum aus der Haut fahren. Janek sah den Drummer finster an, sparte sich aber jeden Widerspruch, als er den entschlossenen Ausdruck in Rafes Augen sah. „Sie haben das Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Männer, Frauen, Alte, Kinder – niemand wurde verschont, es blieb kein Stein auf dem Anderen.“ Er schüttelte den Kopf, als Rafe eine Hand nach ihm ausstreckte, und wandte danach den Blick ab. „Und wir saßen einfach da und sahen zu. Wir hatten die Ausrüstung, Waffen und Munition ohne Ende, und wir hatten das nötige Können. Wir hätten diese Schweine fertigmachen können. Stattdessen sahen wir tatenlos zu. Drei Stunden und vierundzwanzig Minuten. So lange hat es gedauert. Nachdem die Rebellen abgezogen waren, sind wir ins Dorf gegangen, um nach Überlebenden zu suchen, die es nicht gab, die Leichen zu zählen und dann alles in Brand zu stecken, um zu verhindern, dass Tiere sich über die Toten hermachten.“ Janek wurde übel. „Weißt du, wie beißend brennende Menschen stinken? Man kann das nicht beschreiben, aber dieser Geruch ist abartig und vor allem hartnäckig. Du bekommst ihn nicht mehr aus der Nase. Er hängt wie Kaugummi in den Haaren, auf deiner Haut und überall in der Kleidung. Wir haben alle unsere Sachen verbrannt, als wir zurück auf dem Stützpunkt waren.“

„Es hat nicht geholfen, oder?“, fragte Rafe leise.

„Nein.“ Janek schlug die Bettdecke zurück. „Ich roch es wochenlang. Nachts träumte ich davon, um mir die Seele aus dem Leib zu kotzen, sobald ich aufwachte. Wie gesagt, zwei meiner Kameraden haben dem Druck nicht standgehalten und sind gegangen. Ich bin geblieben.“

„Lass los, Janek“, murmelte der Drummer auf einmal. Janek sah ihn irritiert an und wäre fast rückwärts aus dem Bett gefallen, soviel Verständnis, Sorge und Liebe stand in dessen Augen. „Du bist weiß wie eine Wand und du zitterst. Ich schätze, wenn ich mir jetzt eine Zigarette anzünden würde ...“

Das war zu viel. Allein die Vorstellung des Geruchs brachte ihn zum Würgen. Kurz darauf fand sich Janek, wie unzählige Male zuvor in seinem Leben, auf seinen Knien vor einer Toilette wieder, um sich zu übergeben, als gäbe es kein Morgen. Gott sei Dank folgte Rafe ihm nicht, dann wäre er ausgeflippt. Irgendwann, nachdem sein Magen aufgehört hatte zu revoltieren, stand er auf und trat vor das Waschbecken. Ein prüfender Blick in den Spiegel ließ ihn innerlich aufstöhnen. Er sah aus wie sprichwörtlich ausgekotzt.

Janek nahm sich die Zeit, um zur Ruhe zu kommen, putzte sich die Zähne, trank einige Schlucke Wasser aus der Leitung und stieg danach erneut unter die Dusche, weil er es für sich brauchte. Das warme Wasser war eine Wohltat. Er ließ es einige Zeit einfach über sich laufen, um sich danach in aller Ruhe abzutrocknen, bevor er in den Wohnraum hinüberging, aus dem Stimmen zu hören waren.

Der Fernseher lief und erklärte somit die Stimmen. Janek sah sich um, konnte Rafe aber nicht entdecken. Sein Blick fiel auf die Kerzen, die zu beiden Seiten des Fernsehers standen und die einzige Lichtquelle waren. Was hatte der Drummer vor und wo war er überhaupt?

„Hilf mir mal bitte.“ Rafe kam aus dem Schlafzimmer, mehrere Kissen und Decken auf den Armen.

„Was soll das werden?“, fragte Janek verdutzt.

„Ablenkung nach Connor-Art.“ Rafe grinste breit und drückte ihm die Kissen und Decken in die Hände, um danach einen Sessel zu verschieben und den Couchtisch etwas beiseite zu räumen, bevor er ihm seine Last wieder abnahm und mit selbiger eine Kuschelecke direkt vor der Couch einrichtete, mit Blick auf den Fernseher. „So, jetzt fehlt nur noch ...“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. „Ah, perfekt.“

Janek sah schweigend zu, wie Rafe dem Mann vom Zimmerservice ein Tablett abnahm, auf dem zwei Tassen standen, aus denen es nach Schokolade roch. Er drückte die Tür mit der Hüfte ins Schloss und ging an ihm vorbei auf die Kuschelecke zu, wo er zuerst das Tablett auf den Couchtisch stellte und es sich anschließend vor dem Sofa gemütlich machte.

„Komödie oder Horror?“, wollte Rafe wissen und sah ihn über die Schulter hinweg fragend an.

Eine Filmnacht? Jetzt? Janek wollte Rafe im ersten Moment fragen, ob der noch ganz dicht war, im nächsten begriff er, was der Drummer vorhatte, und vor allem wie sehr er diese Ablenkung brauchte. „Komödie.“ Rafe warf ihm einen so überraschten Blick zu, dass Janek darüber grinsen musste. „Was?“

„Du siehst dir Komödien an?“

„Sicher“, antwortete Janek und ging zu Rafe, um nach der Decke zu greifen, die der ihm hinhielt, und diese um seine Schultern zu legen, bevor er sich neben ihn setzte. „Welche hast du im Angebot?“

„Äh, um ehrlich zu sein ...“

Janek lachte leise. „Also Horror. Okay.“

Rafe reichte ihm eine Tasse. „Vorsicht, heiß. Und ich hätte 'The Ring' im Angebot.“

„Danke.“ Janek nahm die Tasse an. „Und bitte nicht diesen Film... Marc liebt ihn. Ich kenne den mittlerweile in- und auswendig. 'Nightmare on Elm Street'?“

Rafe verzog das Gesicht, während er die andere Tasse nahm und sich mit dem Rücken an die Couch lehnte. „Da könnten wir ja gleich 'Chucky' gucken. Nein, danke. 'Der Exorzist'?“

„Hallo? Freddy Krüger ist ein Klassiker“, beschwerte sich Janek, bekam aber nur ein Lachen zur Antwort, was ihn seufzen ließ, bevor er sich ebenfalls zurücklehnte und einen Schluck Kakao trank. Die Wärme tat gut und der süßliche Geschmack auf der Zunge ließ ihn genießerisch seufzen. „Du bist ein Filmbanause, aber den Exorzisten kannst du vergessen. Dann lieber 'Eden Lake'.“

Rafe überlegte kurz. „Okay, der kommt in die engere Auswahl. Was hältst du von 'Scream'?“

„Welchen Teil?“

„Den ersten natürlich, was denkst du denn?“

„Einverstanden.“ Janek war zufrieden. „Damit hätten wir Nummer zwei. Einer noch. 'Der weiße Hai'.“

„Oh nein, bitte keine Riesenfische“, wehrte Rafe mit entsetzten Blick ab und prustete los, als Janek die Augen verdrehte. „Ein Klassiker, ja, ich weiß. Aber ich kann bei dem mittlerweile jeden Satz mitreden. Nehmen wir doch lieber 'Freitag, der 13.'“

Janek verzog, inklusive einem schaudernden „Uähh“, das Gesicht. „Vergiss es. Der Film mag ein Klassiker sein, trotzdem ist er total dämlich. Wie wäre: 'Der Fluch von Darkness Falls'?“

Rafe runzelte die Stirn. „Der Name sagt mir zwar was, aber ich weiß nicht wohin damit.“

Janek trank einen Schluck Kakao, um sein Grinsen zu verstecken. „Eine wirklich böse Zahnfee macht Jagd auf kleine Kinder und große Jungs.“

„Soll das irgendeine Anspielung werden?“, fragte Rafe und bedachte ihn mit einem lauernden Blick.

„Wenn du dir den Schuh anziehen willst, bitte sehr.“

Janek wusste nicht, wo die verspielte Laune plötzlich herkam, aber die Gelegenheit, Rafe etwas zu necken, war einfach zu günstig. Er konnte sich nicht dagegen wehren, dazu machte das Ganze zu viel Spaß. Und so wie Rafe ihn gerade ansah, mit diesen zuckenden Mundwinkeln, dem gespielt drohenden Blick und einer Tasse Kakao in der Hand - es fehlte bloß noch ein breiter Kakaobart auf der Oberlippe. Die Vorstellung brachte Janek zum Lachen.

„Du lachst mich aus? Na warte.“ Rafe streckte sich, um die Tasse auf den Couchtisch zu stellen, bevor er ihm seine stibitzte und sie ebenso in Sicherheit brachte. „Das schreit nach Rache.“

Rafe griff nach seiner Decke und Janek, immer noch damit beschäftigt zu lachen, ließ sich widerstandslos auf Rafes Schoß ziehen. Ein Fehler, denn der Drummer sah nicht nur so aus, als wäre er kräftig, er war es, und nur wenige Minuten später standen ihm vor Lachen Tränen in den Augen, weil Rafe, trotz Decke, unbarmherzig alle Stellen an seinem Körper fand, wo Janek kitzlig war. Jede Forderung, ihn loszulassen, prallte an Rafe ab, und irgendwann war es Janek vollkommen egal, dass er um Gnade flehte, die Rafe ihm nach einer gefühlten Ewigkeit dann auch endlich gewährte.

Heftig nach Luft ringend lag er auf dem Rücken vor Rafe, als der seine Kitzelattacke einstellte und sich auf die Fersen hockte. „Von wegen nicht kitzlig. Gibst du auf, Tears?“

„Ausnahmsweise.“ Janek versuchte sich aufzusetzen, ohne Rafe dabei zu treten. Er runzelte die Stirn, als seine Finger dabei über ein längliches Stück Plastik glitten. Janek griff danach, um zu stutzen, denn in seiner Hand lag eine Dreierpackung Kondome, die nicht ihm gehörte. „Ich schätze, das sind deine.“

Rafe schob beide Hände in die Taschen seiner Hose, zog ein Päckchen Gleitgel hervor und nickte. „Scheint so. Danke.“

Janek wusste nicht, ob er darüber lachen oder Rafe eine runterhauen sollte. Er entschied sich für die Flucht nach vorne. „Ein kluger Mann sorgt vor, wohl wahr.“

Rafe grinste ihn an. „Ein kluger Mann könnte dem anderen klugen Mann viel Spaß wünschen.“

Wollte Rafe ihn verarschen? Janeks Blick verfinsterte sich. „Du kannst Sex haben mit wem du willst, wir sind nicht verheiratet. Aber glaub' ja nicht, dass ich dir dabei viel Vergnügen wünsche.“

Rafe begann schallend zu lachen und es dauerte ein paar Sekunden, bis Janek aufging, dass er gerade wie ein eifersüchtiger Liebhaber reagiert hatte. Dieser verflixte Mistkerl hatte ihn in eine Falle gelockt und Janek war prompt darauf hereingefallen. Er kam jedoch nicht dazu, Rafe deswegen die Meinung zu sagen, denn während der noch lachte, dämmerte Janek langsam, in welcher Lage er sich befand.

Unverfänglich war etwas Anderes, dachte er nervös und versuchte dabei die Beine links und rechts von Rafes Oberschenkeln wegzuziehen, damit er sich vernünftig hinsetzen konnte, statt weiter wie auf einem Präsentierteller vor Rafe zu liegen.

„Zu spät.“

„Was?“, fragte Janek irritiert und schluckte, als er sah, dass Rafe seinen Blick ausführlich über ihn wandern ließ. Der Drummer war sich seiner Position offenbar sehr deutlich bewusst, genauso wie Janek klar war, dass er außer einer geliehenen Shorts und einem Shirt  von Rafe nichts trug. „Rafe, hör' auf damit!“

„Warum sollte ich?“, hielt der leise dagegen. „Du bist verdammt sexy und ich sehe dich gerne an. Außerdem muss ich gestehen, dass ich deine momentane Position äußerst anregend finde.“

Janek räusperte sich, dann sah er Rafe böse an. „Was soll daran bitte anregend sein? Du sitzt zwischen meinen Beinen.“

„Eben.“

Himmel, konnte er nicht damit aufhören? „Rafe, lass das!“

„Ich mache doch gar nichts“, konterte Rafe mit einem frechen Grinsen, doch dann wurde sein Blick ernst. „Ich sitze hier ganz brav, obwohl ich mich am liebsten über dich beugen und dich verführen würde.“

Dazu fiel Janek nichts ein und Rafe schien das erhofft oder damit gerechnet zu haben, denn er stützte sich mit beiden Händen auf den Oberschenkeln ab und streifte dabei wie zufällig Janeks linkes Bein, was ihn stockend einatmen ließ.

„War das gerade eine Aufforderung?“, fragte Rafe und schaute ihn forschend an, als Janek den Kopf schüttelte. „Warum nicht?“

Ja, warum eigentlich nicht? Es war ohnehin nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie im Bett landen würden, und das sanfte Lächeln in Rafes Gesicht bewies Janek, dass der genauso dachte. Dieser sture Kerl war wirklich unmöglich. Soviel zum Thema Ablenkung durch einen Filmabend. Es hatte perfekt funktioniert. Allein Rafes Art vor ihm zu sitzen und abzuwarten, bis Janek sich für ihn entschied, als bliebe ihm gar keine andere Wahl; er hätte den Drummer für diese Selbstsicherheit schlagen können. Andererseits war es vielleicht ganz gut so, denn von sich aus hätte Janek wahrscheinlich nie den ersten Schritt gewagt. Das hieß aber nicht, dass er Rafe gänzlich die Kontrolle überlassen würde.

„Drei Kondome für eine Nacht?“, fragte er und bekam ein Nicken als Antwort, das ihn herausfordernd grinsen ließ. „Das musst du mir erst mal beweisen.“

Rafe nahm wortlos die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Dann beugte er sich vor, um sich mit seinen Händen links und rechts von Janeks Schultern abzustützen. „Ist das eine Herausforderung?“

Janek sah ihn überheblich an. „Willst du kneifen?“

„Wovon träumst du nachts?“

„Das willst du nicht wissen“, konterte er und musste sich ein Lachen verkneifen, als Rafe einen interessierten Blick aufsetzte, bevor er das Gewicht auf die Unterarme verlagerte, bis sich ihre Münder fast berührten. Janek konnte ein Stöhnen gerade noch unterdrücken. Obwohl Rafe schwieg, war klar, was er wissen wollte. „Ich könnte mich vielleicht überreden lassen, dir davon zu erzählen“, flüsterte er und kämpfte gegen ein Seufzen an, als heißer Atem seine Lippen streifte.

„Und was müsste ich dafür tun?“

Janek hätte Rafe am liebsten geküsst, aber er tat es nicht. „Aufhören zu reden. Oder ist dein Mund nur dafür da?“ Statt zu antworten, rieb sich Rafe aufreizend an ihm und da konnte er ein Keuchen nicht zurückhalten, was den Drummer triumphierend grinsen ließ. „Mistkerl.“

„Ich liebe es, wenn du mir Schimpfwörter an den Kopf wirfst“, murmelte Rafe und überbrückte den letzten Abstand zwischen ihnen, um Janek zu küssen, doch der musste an seinen Lippen lachen. „Hey, das ist nicht sehr erregend, beim Küssen ausgelacht zu werden.“

„Du kratzt“, meinte Janek amüsiert und Rafe hob den Kopf, löste sich dabei ein Stück von ihm, was er nutzte, um mit den Fingern über den Dreitagebart zu fahren, der Rafes Gesicht zierte. „Das sieht sexy aus, aber mehr auch nicht.“

„Glaub' mir, du wirst ihn noch zu schätzen wissen.“

Janek lief ein Schauer über den Rücken. „Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?“

Rafe antwortete nicht, sondern schob stattdessen eine Hand zwischen ihre Körper, was Janek hörbar einatmen ließ. Es schien ihm, als würden Rafes Finger durch den Stoff des T-Shirts ein Loch in seine Haut brennen, so heiß fühlten sie sich an. Janek hielt die Luft an, als Rafe sich aufsetzte und, ohne den Blick von ihm zu nehmen, sein T-Shirt ganz langsam nach oben schob.

Ihre Blicke trennten sich erst, als Rafe ihm das Shirt über den Kopf schob und gleichzeitig seine Lippen auf eine Brustwarze legte. Janek, der noch mit den Ärmeln des T-Shirts kämpfte, stöhnte auf, als Rafe ihn biss und gleich darauf mit den rauen Haaren seines Barts über die malträtierte Brustwarze strich. Es war rau und piekste, doch gleichzeitig erregte es ihn unheimlich.

Janek sagte nichts, als Rafe zu ihm hochschaute, ihm ein verdorbenes Grinsen schenkte, und danach langsam und bedächtig, so als wäre er etwas sehr Kostbares, mit den Händen seine Seiten hochwanderte, bis zu seinen Schultern, wo er stoppte und ihn wieder ansah. Als kein Widerspruch kam, ließ Rafe die Finger weiter über seine Arme streicheln. Der Blick, den der Drummer ihm dabei zuwarf, machte Janek klar, dass, wenn er Rafe jetzt nicht aufhielt, er heute Nacht nicht viel zu sagen haben würde.

Seine beginnende Gänsehaut war mit Sicherheit nicht zu übersehen und Rafe würde auch das Zittern fühlen, das jetzt durch seinen ganzen Körper ging. Er hatte keine Schmerzen, im Gegenteil. Rafe war sanft und zärtlich, aber gleichzeitig so bestimmend, dass es Janek verunsicherte. Er war nicht sonderlich erfahren oder gut darin, sich die Zügel aus der Hand nehmen zu lassen und Rafe wollte genau das tun.

„Vertrau' mir“, murmelte der Drummer, als hätte er seine Gedanken gelesen, und verschränkte ihre Finger miteinander. „Ich liebe dich und ich will dich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr.“

Janek löste schweigend die Finger aus Rafes Griff und legte eine Hand in dessen Nacken, um ihn zu sich runter zu ziehen, bis sich ihre Lippen fast berührten. „Na dann zeig' mal was du kannst, Connor. Drei Kondome, schon vergessen?“

37     

 

 

 

 

Rafe lachte leise, ließ sich aber nicht lange bitten. Als hätte Janek mit seinen Worten einen Startschuss erteilt, übernahm Rafe das Kommando und brachte ihn mit sanftem Druck seiner Hände dazu, sich wieder auf die Decke zu legen. Janek konnte nichts anderes tun, als die Finger in die weiche Decke zu krallen und Rafe gewähren zu lassen, beziehungsweise seinen Mund, der sich jetzt zielsicher einen Weg über seinen Oberkörper suchte, wobei er sich unendlich viel Zeit ließ.

Rafe hielt nicht inne und ließ sich auch nicht beirren. Janek seufzte, als er mit der Zunge zum x-ten Mal über sein Schlüsselbein strich, danach seine Brustwarzen mit den Lippen umschloss, bevor er sich auf den Weg nach unten machte. Er konnte sich nicht erinnern, wann man ihm zuletzt mit so einer Zärtlichkeit und Ausdauer zu Leibe gerückt war. Janek bog sich Rafe entgegen, was der ausnutzte und eine Hand in seinen Rücken legte, um ihn in dieser Position zu halten.

Mit seiner freien Hand streichelte Rafe neckend über Janeks Rippenbögen, folgte dem vorgezeichneten Weg mit seinen Lippen. Janek zog unwillkürlich den Bauch ein, als Rafes Zunge dort ankam, und brachte ihn damit zum Lachen, bevor er mit der Fingerspitze solange um seinen Bauchnabel kreiste, ihn neckte und reizte, bis Janek die angehaltene Luft mit einem lauten Keuchen aus seinen Lungen entweichen ließ.

„Schon besser“, flüsterte Rafe und schob sich an ihm hinab, um danach mit der Zunge seinen Bauchnabel zu erkunden.

Rafes Hände lagen an seinen Seiten und hielten ihn ruhig, was erregend war, Janek aber auch etwas unruhig machte. Er stöhnte leise, als ein warmer Mund den Bund der Shorts streifte, und schloss die Augen, um sie gleich darauf wieder zu öffnen, als ihm aufging, dass er Rafe die ganze Zeit noch nicht berührt hatte. Er löste seine Finger aus der Decke und hob die Arme, um die muskulösen Schultern seines Drummers zu berühren. Seine Finger krallten sich in dessen feste Haut, als Rafe genau den Moment wählte, um die Shorts etwas herunterzuziehen und seinen Mund auf die empfindliche Haut oberhalb seines Schambereichs zu legen. Janek wusste nicht, ob er sich näher an ihn drängen oder ausweichen sollte. Der Drummer nahm ihm die Entscheidung ab, denn er zog die Shorts noch etwas tiefer und legte sein Glied frei.

Janek schnappte erschreckt nach Luft, als Rafe seine raue Wange an ihm rieb und ihn anschließend tief in den Mund nahm, um an ihm zu saugen. Allerdings nur dieses eine Mal, bevor er sich wieder seinem Körper zuwandte und seine Erektion schlichtweg ignorierte. Stattdessen überhäufte Rafe ihn mit Küssen, knabberte an ihm und schien jedes Stückchen Haut mit seiner Zunge kosten zu wollen. So sehr Janek es genoss, es dauerte nicht lange, bis er die Beherrschung verlor.

„Verdammt, Rafe, worauf wartest du?“

Dessen Antwort war ein Lächeln und dann war er auf einmal über ihm und küsste ihn. Hart und heftig, so wie Janek es irgendwie erwartet und insgeheim auch gehofft hatte. Er ging darauf ein, duellierte sich mit Rafes Zunge und verlor doch immer weiter an Boden. Der Drummer war wie eine Urgewalt, die gerade über ihn hereinbrach, und obwohl Janek den Gedanken selbst albern fand, fiel ihm keine andere Beschreibung ein.

Rafe verpasste ihm schließlich einen sanften Kuss auf die Nase, bevor er sich erneut daran machte, mit seinen Händen und seinem heißen Mund einen Weg nach unten einzuschlagen. Ohne etwas zu sagen, nahm Rafe wenig später seine Hände, um sie über Janeks Kopf in die Decke zu drücken. Er erstarrte und sah zu Rafe, dessen Griff sich sofort lockerte, als sich ihre Blicke trafen.

Janek wollte ihm sagen, dass alles in Ordnung war, dass es einfach ungewohnt war, Rafe die Kontrolle zu überlassen, brachte aber kein einziges Wort heraus. Sein Drummer verstand ihn trotzdem, denn er beugte sich mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihm und ließ seine Handgelenke los.

„Vertrau' mir“, bat Rafe liebevoll und küsste ihn.

„Okay.“

Rafes Lächeln vertiefte sich, dann deutete er auf seine Hände. „Lass sie dort, wenn es geht.“

Janek nickte, zum Zeichen seines Einverständnisses, was ihm von Rafe einen erneuten Kuss einbrachte, bevor der mit den Fingerspitzen über seinen Bauch fuhr, bis zu seinen Oberschenkeln und zurück. Janek verkrallte seine Finger in der Decke, um Halt zu finden, und biss sich auf die Lippen. Am liebsten wäre er vor dem eindringlichem Blick geflüchtet, den Rafe ihm schenkte, aber dessen bittendes Kopfschütteln, das Janek klar machte, dass der Drummer ganz genau wusste, was in ihm vorging, hielt ihn davon ab.

Janek hielt die Luft an, als Rafe sich wie in Zeitlupe vorbeugte und seinen Mund direkt über der tropfenden Spitze seiner Erektion auf seine Haut legte. Er leckte den Schweiß von seinem Körper, hauchte dann einen Kuss auf sein um Aufmerksamkeit bettelndes Glied und biss im nächsten Moment zu.

Es tat nicht wirklich weh, aber der Schreck und die Überraschung, dass Rafe es überhaupt getan hatte, ließ Janek zischend die Luft ausstoßen, während er vor ihm zurückzuckte. Rafe grinste frech zu ihm hoch und küsste entschuldigend seinen zitternden Bauch, während seine Finger neckend über die Shorts wanderten, deren Stoff dabei quälend an seinen Hoden riebt. Rafe wiederholte das Spiel mehrere Male und irgendwann hielt Janek es nicht mehr aus.

„Verdammt, Rafe, worauf wartest du? Komm endlich zum Punkt.“

Das tat der Drummer natürlich nicht, sondern lachte leise und fing danach an, sich mit den Innenseiten seiner Oberschenkel zu beschäftigen, bis seine Haut dermaßen sensibilisiert war, dass Janek bei jeder neuen Berührung von Rafe zusammenzuckte. 

„Herrgott, willst du mich in den Wahnsinn treiben oder Sex haben?“

„Beides“, konterte Rafe amüsiert und schob nebenbei die Finger von unten in seine Shorts, um ihn aufreizend zu streicheln. „Das könnte ich stundenlang machen.“

„Was? Nicht damit fertig werden mich auszuziehen?“

„Nein.“ Rafe küsste den Übergang vom Oberschenkel zum Schambereich und Janek wimmerte. „Dir zusehen, wie du vor Erregung zitterst.“

Janek biss sich heftig auf die Lippen, um nicht damit herauszuplatzen, was ihm als Antwort auf der Zunge lag. Dieser Mistkerl. Dieser verdammte, eingebildete ... Der Rest seiner Beleidigung ging in einem Keuchen unter, da Rafe nun doch zum Punkt kam. Und wie er es tat. Janek war seine Shorts so schnell los, dass er gerade mal ein Blinzeln schaffte, bevor er heiser aufstöhnte, als Rafe mit der Zunge ungeniert über die Länge seiner Erektion fuhr und danach die Hände an seine Seiten legte.

„Mehr?“, fragte Rafe und leckte sich über die Lippen, was Janek über die Maßen frustriert aufstöhnen ließ.

„Du verfluchter Arsch.“

„Ich schätze, das heißt 'ja'“, sagte Rafe grinsend und ließ seinen Worten umgehend Taten folgen, was Janeks eigentlich recht gut ausgeprägte Fähigkeit zur Kommunikation auf Keuchen und Stöhnen reduzierte, bis Rafe nach einer gefühlten Ewigkeit abrupt von ihm abließ und sich an seine Seite legte.

Janek runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass Rafe nackt war. Wann hatte er Zeit gefunden sich die eigene Shorts auszuziehen, obwohl er, beziehungsweise sein Mund, bis eben heftig mit ihm beschäftigt gewesen war? Danach fragen konnte er aber nicht, denn Rafe schien der Meinung zu sein, dass die Zeit für Gespräche nun endgültig vorbei war, so wie er ihn küsste und nebenbei eine Hand zwischen seine Beine schob, um mit seinen Fingern fortzuführen, was sein Mund begonnen hatte, nämlich ihn in den Wahnsinn treiben.

Janek krallte seine Finger in Rafes Schultern und bog sich ihm entgegen, als er mit einem glitschigen Finger in ihn eindrang, während er ihn weiter küsste. Schließlich kamen ein zweiter und dritter Finger hinzu, bevor Rafe anfing mit dem Daumen die weiche Haut seines Damms zu reizen, bis Janek fast kam.

„Rafe ...“, stöhnte er ungeduldig, als der sich von ihm zurückzog.

Dessen Antwort war ein Kuss auf seine Nasenspitze, dabei hörte er Rafe herumrascheln. Ein Reißen machte Janek klar, weshalb er von ihm abgelassen hatte, doch schon im nächsten Moment war der Drummer wieder bei, beziehungsweise über ihm, und schob sich zwischen seine Beine, um ihn mit einer Hand an seiner Hüfte eng an sich zu ziehen.

„Sieh mich an“, bat Rafe und Janek tat es, worauf der Drummer seine Zurückhaltung endgültig fallen ließ und langsam in ihn eindrang.

Es war ungewohnt und schmerzte ein wenig. Janek verzog ungewollt das Gesicht und Rafe hielt sofort inne, gab ihm die Zeit, die er brauchte. Er wusste nicht, was es war, die streichelnden Hände oder die Geduld, die Rafe an den Tag legte, aber Janek entspannte sich und spürte, wie der Drummer tiefer in ihn glitt. Sie stöhnten beide auf und der intensive Blick, mit dem Rafe ihn musterte, bescherte ihm eine Gänsehaut. Janek fielen zitternd die Augenlider zu. Er biss sich auf die Lippen und hielt sich an Rafe fest, als der anfing, sich in ihm zu bewegen. Erst langsam und zurückhaltend, dann heftiger und wilder.

Sein Körper bog sich Rafe entgegen, verlangte wortlos nach mehr und er bekam es, in Form heftiger Stöße und leidenschaftlicher Küsse, die Janek nach Luft schnappen ließen, als Rafe sich von ihm löste.

„Janek, mach' die Augen auf“, forderte Rafe. „Ich will dich ansehen, wenn du kommst.“

Janek tat es und wäre fast zurückgeschreckt. Da war soviel Liebe und Begehren in Rafes Blick, dass er sich im ersten Augenblick davon überrollt fühlte. Janek war so abgelenkt, dass ihm Rafes Hand zwischen ihren Körpern erst auffiel, als der seine Finger fest um sein Glied legte. Janek bäumte sich stöhnend unter ihm auf, was Rafe nur noch anzustacheln schien, denn sein Griff wurde fester und seine Bewegungen schneller. Gleich ...

„Rafe ...“

Der Rest ging in einem Stöhnen unter, als sein Körper sich anspannte und im nächsten Moment zuckend dem Höhepunkt ergab. Keuchend und am gesamten Körper bebend, fielen Janek die Augen zu, trotzdem spürte er, wie Rafe noch einige Male tief in ihn eindrang und dann mit seinem Namen auf den Lippen kam.

Er schloss seufzend die Arme um Rafes muskulösen Nacken, als der auf ihn sank. Janek murrte unwillig, weil Rafe sich viel zu schnell von ihm löste, um das Kondom zu entsorgen, was den Drummer leise lachen ließ, bevor er sich wieder zu ihm legte, halb auf, halb neben ihn.

„Geht es dir gut?“

„Hm“, machte Janek zustimmend.

Er wollte die Augen nicht öffnen. Auch nicht, als er Rafes Hand spürte, mit der er ihm ein paar verschwitzte Strähnen aus der Stirn schob. Diese kleine Seifenblase, in der es jetzt gerade nur sie beide gab; Janek war noch nicht bereit, sie zu verlassen und in die brutale Realität zurückzukehren.

„Ich liebe dich“, murmelte er zufrieden und lächelte, als Rafe ihn auf den Mundwinkel küsste.

„Ich liebe dich auch, Janek.“

 

Irgendetwas kitzelte ihn an der Nase. Janek rümpfte sie, nur leider half das nicht, sodass er schließlich seine Hand zu Hilfe nahm. Ohne Erfolg. Der Störenfried war sofort wieder da. Genervt seufzend, da er nun wach war, blinzelte er einige Male und sah dann verdutzt auf eine nackte Männerbrust, auf der er gelegen und offenbar geschlafen hatte. Rafe. Er schlief noch, sein Oberkörper hob und senkte sich leicht bei jedem Atemzug, was auch die Haare auf seiner Brust betraf, die ihn eben gekitzelt hatten. Grinsend hob Janek den Kopf und sah auf den Nachttisch. Der Wecker zeigte kurz vor sieben Uhr. Sie hatten noch mehr als eine Stunde Zeit, bis sie aufstehen mussten.

Janek legte sich wieder hin und schloss die Augen, während er eine bequemere Position suchte. Einschlafen würde er wohl nicht mehr, aber er konnte zumindest noch ein bisschen dösen. Im nächsten Moment zog er die Luft ein. Janek hatte Muskelkater, und zwar an ziemlich delikaten Stellen. Das war der Nachteil, wenn man die Nacht damit verbrachte, sich zuerst über eine Decke auf dem Fußboden und anschließend durchs Bett zu rollen. Er lachte innerlich über seinen Gedanken und entschied aufzustehen. Eine lange heiße Dusche würde bestimmt Abhilfe schaffen. Vorsichtig, um Rafe nicht aufzuwecken, löste er sich von ihm und ging ins Badezimmer.

Kurz darauf prasselte das Wasser über ihn und Janek entspannte sich. Er stützte sich mit einer Hand an den Fliesen ab und ließ den Kopf hängen, um das Wasser auch über seinen Nacken laufen zu lassen. Eine Wohltat. Janek seufzte genießerisch und hob den Kopf, als die Tür der Duschkabine geöffnet wurde.

„Hast du hier drin noch Platz für einen alten Mann?“, fragte Rafe und lächelte ihn an.

Er war völlig verschlafen und sah mit seinen nur halb geöffneten Augen zum Anbeißen aus. Janek schaute sich übertrieben um. „Ich sehe keinen alten Mann, nur einen total verpennten, aber der kann gerne reinkommen und mir den Rücken waschen.“

Rafe lachte, trat hinter ihn und nahm das Duschgel aus der Ablage, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Jackson hat angerufen“, sagte er und Janek erstarrte. „Es ist alles okay, keine Sorge“, schob Rafe sofort nach. „Marc ist wach und ich soll dir ausrichten, dass er dich liebt. Jackson macht mit ihm einen Spaziergang, damit er etwas frische Luft tankt. Die zwei holen uns nachher zum Frühstück ab.“

„Gott sei Dank.“ Janek hatte das Gefühl, ihm würde ein Felsbrocken vom Herzen fallen. Dabei fiel ihm etwas ein. „Das war Absicht, oder? Letzte Nacht, meine ich.“

Rafe küsste ihn sanft auf die Schulter. „Ja und nein. Ich wollte dich zum Reden bringen, das war Absicht, da hast du recht. Dabei wurde mir allerdings klar, dass du danach unbedingt Ablenkung brauchst, sonst hättest du in der Nacht kein Auge mehr zugemacht. Deswegen die Idee mit der Filmnacht.“

Janek schaute ihn über die Schulter hinweg an. „Und was sollten dann die Kondome?“

„Improvisation“, antwortete Rafe und stupste ihm auf die Nase, als er selbige rümpfte. „Ich weiß sehr wohl, wie das klingt, aber es ist die Wahrheit. Mir fielen diese Kondome erst wieder ein, als du sie mir unter die Nase gehalten hast. Ich habe keine Ahnung, wie sie zwischen die Bettdecken geraten sind. Was blieb mir also anderes übrig, als zu improvisieren?“

Janek runzelte irritiert die Stirn. Wie lange hatte er die Kondome denn schon, wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte? „Ich hoffe, das Verfallsdatum war noch nicht abgelaufen.“

Rafe warf ihm einen verdutzten Blick zu, dann begriff er und fing an zu lachen. „Die waren brandneu. Bedank' dich bei Jackson.“

„Bitte?“, fragte Janek verdattert. „Was hat denn dein Bruder damit zu tun?“

Rafe zwinkerte ihm zu. „Er war der Meinung, bevor ich, alter Mann, der ich ja nun einmal bin, noch vergesse welche zu kaufen und dann, sollten wir in den nächsten tausend Jahren, O-Ton, Jackson, jemals den Weg in ein Bett finden, ohne dastehe, übernimmt er das besser für mich.“ Daraufhin blieb Janek der Mund offenstehen. „Ja, so ging es mir auch“, meinte Rafe belustigt. „Ich war so perplex, als er vorletzte Woche mit der 3er-Packung vor meiner Koje stand, dass ich vergessen habe ihn deshalb zu verprügeln.“

Janek lachte, bis Rafes Hand tiefer glitt. „Was soll das werden?“

„Ich will dir den Rücken waschen.“

„Rafe? Ich schockiere dich wirklich nur ungern, aber das ist nicht mein Rücken“, erklärte er amüsiert.

„Tatsächlich?“ Sein Drummer tat unschuldig. „Dann habe ich bei Anatomie wohl geschlafen.“

„Vor ein paar Stunden wusstest du noch sehr gut, wo mein Rücken ist“, sagte Janek trocken und hielt seinen Kopf unter den Duschstrahl, bevor er seine Beine etwas auseinander stellte, um Rafe mehr Raum zu geben. Das nutzte der sofort aus und brachte Janek zum Stöhnen. „Das ist er übrigens auch nicht.“

„Mist. Ich dachte, da wäre er. Ich gehe ihn mal besser suchen. Nicht, dass er mir noch verloren geht“, erklärte Rafe daraufhin und Janek konnte hören, dass er hinter ihm grinste, während seine Hand bereits über seine Seite nach vorn und in tiefere Zonen wanderte.

„Rafe!“ Es war fast ein Keuchen.

„Auch nicht der Rücken? Anatomie ist echt schwer“, erklärte Rafe gespielt ernst und glitt mit seiner zweiten Hand über seine Kehrseite tiefer. Janek biss sich auf die Unterlippe. „Soll ich lieber woanders weitersuchen?“

„Nein“, wimmerte Janek, als Rafe mit zwei Fingern in ihn eindrang.

„Aber du hast gesagt, das wäre nicht dein Rücken.“

„Halt die Klappe und mach' weiter.“

„Womit?“ Der Drummer bewegte seine Finger in ihm, was Janek erneut aufstöhnen ließ. „Damit?“

Er stützte sich mit beiden Händen an den Fliesen ab, um Halt zu finden, als Rafe sich an ihn presste und mit den Fingern über seine Prostata rieb. „Rafe, bitte ...“

„Wir haben keine Kondome mehr“, murmelte der und biss ihm sanft ins Ohrläppchen.

„Dann lass dir was einfallen.“ Janek lehnte seine Stirn an die Fliesen.

„Hier? Oder Bett?“

„Rafe!“

„Stell' das Wasser ab und dreh' dich um“, befahl Rafe im nächsten Moment und Janek tat es, um dann atemlos dabei zuzusehen, wie Rafe langsam vor ihm in die Knie ging. Seine Augen hatten sich vor Erregung verdunkelt. „Du hältst dich jetzt besser irgendwo fest.“

38     

 

 

 

 

„Wenn du so damit umgehst, dass ich sterbe, sollten Janek und ich besser nach Hause fahren.“

Das waren die ersten Worte, die er und Rafe hörten, nachdem Janek die Tür geöffnet hatte, vor der Marc und Jackson standen, um sie wie versprochen zum Frühstück abzuholen. Offenbar waren beide mitten in einem Streit.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739308289
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Schwul Drama Tod Romanze

Autor

  • Mathilda Grace (Autor:in)

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im tiefsten Osten von Deutschland, lebe ich heute in einer Großstadt in NRW und arbeite als Schriftstellerin. Seit 2002 schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, bevorzugt in den Bereichen Schwule Geschichten, Drama, Romanzen und Fantasy. Weitere Informationen zu mir und meinen Büchern findet ihr auf meinem Blog.
Zurück

Titel: Der Moment der Wahrheit - Teil 2