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Cheetah Manor - Das Erbe

von Melissa David (Autor:in)
308 Seiten
Reihe: Cheetah Manor, Band 1

Zusammenfassung

"Jede Frau hat ihren Preis. Ich werde deinen herausfinden und dafür sorgen, dass du Cheetah Manor so schnell wie möglich wieder verlässt.“

Sarahs Leben bricht zusammen, als ihr Bruder Alex und ihr Ehemann Brain Morgan ums Leben kommen. Kurz darauf steht ein Anwalt aus Louisiana vor ihrer Tür, der ihr eine Verzichtserklärung für ihr Erbe unter die Nase hält.
Um ihr Haus in München halten zu können, will Sarah das Erbe antreten und fliegt nach Louisiana. Dort erwartet sie nicht nur eine bezaubernde Baumwollplantage im Südstaatenstil, sondern auch Darren, Brains Bruder, der alles daransetzt, sie wieder loszuwerden.
Als sie einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur kommt, wird ihr von unerwarteter Seite Hilfe angeboten. Wird Sarah auf das Angebot eingehen oder ist es besser, Cheetah Manor für immer zu verlassen?
Eine packende Gestaltwandlergeschichte vor der Kulisse einer Südstaatenplantage.

Jedes Buch ist in sich abgeschlossen.

Die abgeschlossene Reihe im Überblick
Cheetah Manor - Das Erbe (Band 1)
Cheetah Manor - Das Geheimnis des Panthers (Band 2)
Cheetah Manor - Der Schwur der Indianerin (Band 3)

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Impressum



E-Book

1. Auflage März 2017

210-346-01

Melissa David

c/o Papyrus Autoren-Club 

Pettenkoferstr. 16-18 

10247 Berlin 

Blog: www.mel-david.de 

E-Mail: melissa@mel-david.de 



Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

www.juliane-schneeweiss.de

Bildmaterial:

© Depositphotos.com

© Shutterstock.com



Lektorat, Korrektorat: Lektorat Bücherseele, Natalie Röllig

www.lektorat-buecherseele.de 




Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form bedürfen der Einwilligung der Autorin.

Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Klappentext


"Jede Frau hat ihren Preis. Ich werde deinen herausfinden und dafür sorgen, dass du Cheetah Manor so schnell wie möglich wieder verlässt.“


Sarahs Leben bricht zusammen, als ihr Bruder Alex und ihr Ehemann Brain Morgan ums Leben kommen. Kurz darauf steht ein Anwalt aus Louisiana vor ihrer Tür, der ihr eine Verzichtserklärung für ihr Erbe unter die Nase hält.

Um ihr Haus in München halten zu können, will Sarah das Erbe antreten und fliegt nach Louisiana. Dort erwartet sie nicht nur eine bezaubernde Baumwollplantage im Südstaatenstil, sondern auch Darren, Brains Bruder, der alles daransetzt, sie wieder loszuwerden.

Als sie einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur kommt, wird ihr von unerwarteter Seite Hilfe angeboten. Wird Sarah auf das Angebot eingehen oder ist es besser, Cheetah Manor für immer zu verlassen?


Eine packende Gestaltwandlergeschichte vor der Kulisse einer Südstaatenplantage.

Cheetah Manor



Das Erbe

Band 1


von

Melissa David

Prolog


„Er hat was?“ Völlig entgeistert starrte Darren Morgan seinen Anwalt, Vertrauten und besten Freund an.

„Brain war verheiratet.“ Ethans Stimme klang ruhig, aber Darren nahm das leichte Beben darin wahr. „Eine Deutsche.“

„Das ist nicht möglich.“

„Wie es scheint, schon.“

Darren schüttelte ungläubig den Kopf. Sein Bruder hatte sich nie groß für das andere Geschlecht interessiert, aber er musste zugeben, dass ihr letztes Treffen schon ein paar Jahre her war. „Was ist das für eine Frau?“

Ethan blätterte in den Unterlagen, die er mitgebracht hatte. „Dr. Sarah Beck. Sie arbeitet in der Notaufnahme in München. Klinikum Schwabing. Im selben Krankenhaus war dein Bruder als Facharzt tätig.“

Darren hob eine Augenbraue. Immer noch war ihm völlig unbegreiflich, wie es Brain gelungen war, seinen Aufenthaltsort so lange zu verschleiern. Dass er seit Jahren in Deutschland lebte, war ihm bekannt, denn schließlich floss regelmäßig Geld dorthin. Von Brains Medizinstudium wusste er ebenfalls, auch wenn er sich seinen Bruder nicht als praktizierenden Arzt vorstellen konnte. Aber heiraten? Brain war kein Familienmensch, er war immer ein Außenseiter gewesen. Nun sollte er tatsächlich der Erste von ihnen sein, der den Bund fürs Leben geschlossen hatte. Was mochte das für eine Frau sein, der es gelungen war, seinem Bruder Ketten anzulegen?

„Kann man das Erbe anfechten?“

Ethan schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich vermute, damit werden wir sowohl vor den deutschen als auch vor den amerikanischen Gerichten kaum eine Chance haben.“

Darren presste die Lippen fest zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Das durfte einfach nicht wahr sein.

„Ich werde die Frau aufsuchen, der zwanzig Prozent meiner Plantage gehören sollen. Unsere Familie hat zu hart für Cheetah Manor gearbeitet, als dass ich tatenlos zusehe, wie ein deutsches Modepüppchen alles kaputtmacht.“ Darren erhob sich und umrundete seinen Schreibtisch. Mit langen Schritten durchquerte er den Raum, bis Ethan ihm den Weg zur Tür versperrte.

„Du kannst unmöglich weg! Die Erntezeit hat begonnen. Cheetah Manor und das Dorf brauchen dich.“

Darren funkelte seinen Freund zornig an. Ihm fiel jedoch keine Erwiderung ein, denn er musste sich eingestehen, dass Ethan recht hatte.

„Ich werde nach Deutschland fliegen“, verkündete sein Freund in diesem Moment. „Als dein Anwalt kann ich dich problemlos in allen Belangen vertreten.“

Darren nickte verhalten. Es missfiel ihm, Ethan ziehen zu lassen, aber er wusste, dass sein Platz in dieser schweren Zeit hier war – auf Cheetah Manor. Er konnte Ethan vorbehaltlos vertrauen.

„Geh und finde heraus, was für eine Frau das ist und wie viel sie für ihre Anteile an der Plantage verlangt. Ich möchte nicht, dass auch nur ein Prozent in fremde Hände fällt. Wir sind ein Familienunternehmen und das werden wir bleiben.“

„Ich werde mein Möglichstes tun, auch wenn ich nicht glaube, dass sie eine Verzichtserklärung unterschreiben wird“, versprach Ethan.

Mit einem Kopfnicken entließ Darren seinen Freund, tigerte zurück zum Schreibtisch und ließ sich in den Sessel fallen. Für einen Whiskey war es noch zu früh. Er musste gleich los auf die Felder und dafür brauchte er einen klaren Kopf. Die Erntezeit war immer stressig, und auch wenn er es nicht mehr nötig hatte, selbst Hand anzulegen, schaute er doch regelmäßig vorbei.

Die Unruhe, die ihn ergriffen hatte, ließ sich einfach nicht abschütteln. Sie hatten Brain gefunden? Darren schloss für einen Moment die Augen und ließ das Gefühl des Verlusts in sich zu, ehe er es sorgfältig im hintersten Winkel seines Selbst verbarg. Er konnte es sich nicht leisten, um Brain zu trauern, er musste dafür sorgen, dass diese Frau seine Familie nicht ruinierte. Und er musste die Leute im Dorf beschwichtigen.

Darren erhob sich, warf noch einen bedauernden Blick auf den Schrank, in dem sich der Whiskey befand, und griff nach seinem Hut, ehe er sich auf den Weg zu den Feldern machte.

Kapitel 1


Das Wochenende war stressig gewesen. Sarah hatte in der Notaufnahme Dienst und dabei keine ruhige Minute gehabt. Aber das war gut so. Die Arbeit lenkte sie wenigstens ab, und so redete sie sich ein, dass alles wie immer war. Ihr graute davor, in das stille Haus zurückzukehren und zu wissen, dass Alex tot war. Noch immer konnte sie es nicht fassen. Seit sie denken konnte, war er immer da gewesen. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatten sie zumindest einander gehabt. Sie hatten es immer geschafft – irgendwie. Ihr Bruder hatte als Rettungssanitäter gearbeitet und dadurch nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Ausbildung finanziert. Dann trat Brain in Alex’ Leben. Sarah mochte den blonden jungen Arzt auf Anhieb. Er kam genau zur richtigen Zeit, griff ihnen finanziell unter die Arme und bezahlte das dringend benötigte Dach. So war es selbstverständlich, dass Brain zu ihnen zog. Sarah bewohnte zwei Zimmer im oberen Stockwerk, Alex und Brain im Erdgeschoss. Küche, Ess- und Wohnbereich teilten sie sich. Ohnehin hatten sie viel gemeinsam gemacht.

Sarah parkte das Auto und stieg aus. Mechanisch holte sie die Einkäufe aus dem Kofferraum und angelte nach dem Schlüssel. Es war still, als sie das Haus betrat. Und doch wirkte es so, als würden Alex und Brain jeden Moment zurückkehren. Sarah musste sich einfach nur vorstellen, dass sie im Krankenhaus waren oder auf einem ihrer vielen Streifzüge in den Bergen. Eine leise Stimme redete ihr ein, dass sie sich den Trugbildern hingeben konnte, doch sie wusste es besser. Routiniert räumte sie die Einkäufe in den Kühlschrank. Es fühlte sich noch immer unwirklich an zu wissen, dass sie hier nun allein wohnte. In der Ferne ertönte das Martinshorn eines Krankenwagens und ihr gefiel die Vorstellung, dass Alex dort mitfuhr.

Da sie keine Lust hatte zu kochen und es ihr ohnehin an Appetit fehlte, griff sie nach einem Joghurt und setzte sich aufs Sofa. Hier fühlte sie sich Alex näher als oben in ihren Zimmern. Die Leere und Einsamkeit erdrückten sie. Sarah hielt die Stille einfach nicht mehr aus. Kurzerhand schaltete sie den Fernseher ein und zappte sich durch das spätnachmittägliche Programm.

Das Klingeln an der Tür schreckte sie auf. Verwundert schaltete Sarah den Fernseher stumm, um nachzuschauen, wer dort war.

„Ja, bitte?“, meldete sie sich über die Türsprechanlage.

„Mrs. Beck? Mein Name ist Ethan Washington aus Louisiana.“ Der Südstaatenakzent, den sie bei Brain so gemocht hatte, war nicht zu überhören.

War er ein Bekannter von Brain? Ein Freund? Familie? Sarah schluckte. „Brain ist nicht da“, erklärte sie heiser. Sie wusste nicht, wie sie dem Mann sagen sollte, dass Brain nie wieder zurückkommen würde.

„Das weiß ich. Ich bin wegen Ihnen gekommen.“

„Wegen mir?“, fragte sie verwundert.

„Sie sind doch Sarah Beck, die Ehefrau von Brain Morgan?“

Sie seufzte. „Ja“, gab sie schließlich Auskunft. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sarah mochte es nicht, wenn man von ihr als Brains Ehefrau sprach. Das war sie schließlich nur auf dem Papier gewesen. Vor drei Jahren, nach Brains Ausbildung zum Facharzt, hätte er wieder zurück in die Staaten gehen müssen. Er wollte das nicht, obwohl Alex sogar mitgegangen wäre. Sarah hätte es nicht ertragen, ihren Bruder zu verlieren, und so kam die Idee auf, dass sie und Brain heirateten. Einen homosexuellen Lebenspartner hätte Brains konservative Familie nicht gutgeheißen, eine angehende Ärztin dagegen schien akzeptabel. Es war keine große Sache gewesen. Sie gingen zum Standesamt, unterschrieben die Urkunde und besuchten anschließend ein nobles Restaurant. Sarah hatte sich entschieden, ihren Namen zu behalten, und so änderte sich nichts – außer dass sie in eine andere Steuerklasse fiel und beim Ausfüllen von Formularen verheiratet angeben musste. Hin und wieder legte Brain ihr einige Papiere zum Unterschreiben vor, was sie, ohne zu lesen, tat. Brain und Alex hatten sich um die finanziellen Belange gekümmert, während sich Sarah voll und ganz auf ihr zweites Staatsexamen konzentriert hatte, das sie dann auch mit Bravour bestanden hatte.

„Mrs. Beck, wäre es vielleicht möglich, dass Sie mich kurz hineinbitten?“, holte sie die Stimme des Fremden zurück in die Gegenwart.

„Natürlich“, murmelte Sarah und drückte den Summer.

Sie war neugierig, wer den Weg aus Louisiana auf sich genommen hatte, um mit ihr zu sprechen. Von Brains Familie hatte sie bisher niemanden kennengelernt. Brain war ohnehin sehr schweigsam gewesen, wenn es um sein Leben in den Staaten ging.

Erstaunt sah sie den Mann an, der nun vor ihr stand. Ethan Washington war Afroamerikaner, die Haut so dunkel wie Schokolade. Seine Augen und die helleren Lippen stachen hervor. Er war groß, überragte sie locker um einen Kopf. Sein Alter konnte sie schwer schätzen, aber viel älter als Ende dreißig konnte er nicht sein. Er trug einen perfekt sitzenden Anzug und kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu.

Sarah musste sich zwingen, nicht zurückzuweichen.

„Ethan Washington, Anwalt der Familie Morgan“, stellte er sich mit einem festen Händedruck vor.

Sarah glaubte für einen Moment, ihr Herz würde stehen bleiben. Warum schickte Brains Familie einen Anwalt? Sie hatte nichts getan und wollte auch nichts von ihnen.

„Bitte folgen Sie mir“, bat sie und drehte sich schnell um, damit er ihre Unsicherheit nicht bemerkte. Sie deutete auf den Esstisch, an dem Brain, Alex und sie so oft zusammen gegessen hatten. „Bitte.“ Sie machte eine einladende Handbewegung Richtung Tisch und eilte dann zum Fernseher hinüber, um diesen auszuschalten. Den angefangenen Joghurt stellte sie auf den Küchentresen.

Mit zwei Gläsern und einer Wasserkaraffe ging sie zum Tisch und setzte sich.

„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte sie angespannt. Noch immer konnte sie sich nicht erklären, was dieser Anwalt von ihr wollte. Brain hatte ziemlich viel Geld in die Renovierung dieses Hauses gesteckt. Wollte Brains Familie das Geld zurückfordern?

„Nein, danke“, sagte der Anwalt, holte einige Schriftstücke aus seiner Aktentasche und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus.

„Zuerst möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen über den Verlust Ihres Mannes.“

Abwesend nickte Sarah. Sie hatte Brain nicht geliebt, er war ein Freund gewesen und es tat weh, dass er nicht mehr da war. Die Leere, die ihr Bruder in ihrem Herzen hinterlassen hatte, war ein viel tieferer Schmerz.

„Danke“, murmelte sie und hoffte, ihre Unsicherheit kaschieren zu können.

„Darf ich Sie bitten, mir einen Ausweis zu zeigen, damit ich sicher sein kann, dass Sie wirklich Brains Witwe sind?“

Das alles hörte sich so fremd an, so vollkommen absurd.

„Ich bin nicht sicher, ob das nötig ist …“, murmelte Sarah, holte tief Luft und unterbrach sich dann. Was, wenn er wirklich Geld von ihr zurückforderte? Natürlich hatte sie in den letzten zwei Jahren eine kleine Menge an Erspartem zur Seite legen können, aber das würde kaum genügen, um das zu begleichen, was Brain in das Haus gesteckt hatte.

„Ich bestehe darauf, Mrs. Beck.“

Sarah presste die Lippen aufeinander, erhob sich und holte aus ihrem Geldbeutel die Ausweiskarte.

„Ich weiß nicht genau, was Sie von mir wollen. Ich hatte nie Kontakt zu Brains Familie. Wenn Sie möchten, packe ich Ihnen gerne Brains persönliche Sachen zusammen und Sie können sie mitnehmen.“ Es war ein letzter verzweifelter Versuch, den Anwalt möglichst schnell loszuwerden.

Ethan Washington sah sie einen Augenblick verwundert an. Dann verschloss sich seine Miene. „Ich bin ein langjähriger Freund der Familie. Ich habe Brain länger gekannt als Sie.“ Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit.

Sarahs Hals zog sich zusammen, als sie an den Moment dachte, als zwei Polizeibeamte vor der Tür gestanden und um Einlass gebeten hatten. Sie wusste sofort, dass etwas geschehen war. Als sie ihr dann von dem Tod ihres Bruders und Brains erzählten, geriet Sarahs Welt vollkommen aus den Fugen. Sie war hart im Nehmen und durch ihre Arbeit in der Notaufnahme viel gewohnt. Doch die Bilder der zerschmetterten Körper der beiden Männer hatten sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Unter Tränen hatte sie Alex’ und Brains Identität bestätigt.

„Für die Familie ist es schlimm genug, dass er ums Leben kam. Keiner von ihnen hat Interesse daran, Sie näher kennenzulernen.“

Seine Worte versetzten ihr einen Stich. Auch sie wollte Brains Familie nicht sehen, aber es so ungeschönt gesagt zu bekommen, tat trotzdem weh.

„Wir können das Ganze ziemlich flott hinter uns bringen. Ich brauche nur eine Unterschrift, dass Sie auf das Erbe, das Ihnen als Witwe zusteht, verzichten.“

„Ich will kein Erbe“, stieß sie wütend hervor. Was bildete sich dieser Anwalt eigentlich ein? „Wenn ich Ihnen diesen Wisch unterschreibe, verschwinden Sie und Brains Familie für immer aus meinem Leben?“

„Selbstverständlich.“

Sarah griff nach dem Kugelschreiber, den ihr der Anwalt reichte. Er blätterte eines der Dokumente auf und hielt es ihr hin. Sie setzte den Stift an und zögerte. Was war mit ihrem Elternhaus? Das Einzige, was ihre Mutter ihr hinterlassen hatte?

„Was geschieht mit diesem Haus hier?“, wollte Sarah wissen.

„Wie meinen Sie das?“

„Es gehört seit Jahren meiner Familie. Brain hat die letzten Reparaturen finanziert. Ich möchte es nicht verlieren. Es ist alles, was von meiner Familie geblieben ist.“

„Ich denke, das dürfte kein Problem sein“, erklärte ihr der Anwalt. „Ich kenne natürlich die Rechtslage hier in Deutschland nicht, kann Ihnen aber versichern, dass die Familie Morgan keinen Anspruch auf dieses Grundstück geltend machen würde.“

Sarah legte den Stift zur Seite, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie denken? Es tut mir leid, aber das ist mir zu wenig.“

Der Anwalt seufzte, zog die Papiere zu sich heran und machte eine handschriftliche Notiz.

„Sehen Sie, ich habe es ergänzt.“ Er schob ihr das Dokument zu.

Unsicher betrachtete Sarah den handschriftlichen Abschnitt. War dieser tatsächlich rechtskräftig? Sie konnte es sich nicht leisten, das Haus zu verlieren. Eine Mietwohnung in Krankenhausnähe überstieg ihre finanziellen Mittel. Davon abgesehen hingen so viele Erinnerungen an diesem Haus.

„Ich werde einen deutschen Anwalt hinzuziehen“, sagte sie entschieden.

Ihr Gegenüber kniff die Augen zusammen und musterte sie. „Selbstverständlich“, murmelte er. Das Lächeln auf seinen Lippen war nicht echt, als er ihr zunickte. „Das ist natürlich Ihr gutes Recht.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie ihr. „Hinten steht die Telefonnummer meines Hotels. Sie können mich dort zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen. Am Freitag werde ich zurückfliegen. Es wäre gut, wenn ich bis dahin die Unterlagen hätte.“

Sarah starrte auf die Visitenkarte.

Der Anwalt erhob sich und Sarah machte Anstalten, es ihm gleichzutun. „Machen Sie sich keine Umstände. Ich finde allein hinaus.“

Die Tür fiel ins Schloss, und Sarah war wieder allein. Noch immer saß sie da und konnte den Blick nicht von der Visitenkarte wenden. Es musste aufhören. Wieso konnte sie nicht einfach nur die Augen öffnen und aufwachen? Sie wollte, dass Alex und Brain zurückkamen. Tränen liefen ihr über die Wangen und sie erkannte nur noch verschwommen die Umrisse der Karte. Zorn ergriff sie. Wut auf Alex, der einfach gegangen war und sie vollkommen allein zurückgelassen hatte. Warum war das Leben so grausam zu ihr? Warum nur hatten die beiden abstürzen müssen? Sie waren so oft in den Bergen unterwegs gewesen, hatten sich in der Wildnis ausgekannt.

Mit dem Ärmel wischte sie sich über die tränennassen Augen und schniefte noch ein paarmal, ehe sie sich zusammenriss. Entschlossen griff sie zum Telefon und rief ihre Freundin Emily an, die als Assistentin der Geschäftsleitung im Klinikum tätig war.

„Sarah, schön, dass du dich meldest“, begrüßte die Freundin sie.

„Emily.“ Sarah seufzte. „Ich brauche deine Hilfe. Kannst du mir einen guten Anwalt empfehlen?“

„Einen Anwalt?“, wiederholte ihre Freundin erschrocken.

„Nach dem Tod von Brain und Alex muss ich ein paar Dinge klären“, gab Sarah vage Auskunft. Dass sie mit Brain verheiratet war, war kein Geheimnis. Wie ihre seltsame Ehe jedoch zustande gekommen war, wussten nur wenige. Emily war eine davon.

„Natürlich.“ Blätterrascheln war am anderen Ende der Leitung zu hören. „Ich schicke dir die Kontaktdaten der Kanzlei, mit der das Klinikum zusammenarbeitet. Die haben für alle Bereiche eine Fachabteilung.“

„Vielen Dank, Emily.“

„Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?“

Sarah blickte sich in der leeren Wohnung um. Das Herz wurde ihr schwer. „Nein, vermutlich nicht. Mit dem Rest muss ich allein klarkommen.“

„Du weißt, wenn ich etwas für dich tun kann …“ Emily musste den Satz nicht vollenden.

„Ja, danke. Bis die Tage.“

„Bis bald.“

Sarah legte auf, wartete nicht, bis Emily ihr die versprochenen Kontaktdaten zusandte, sondern eilte in das Nebenzimmer, das Alex und Brain als Büro genutzt hatten. Die Ordner waren fein säuberlich beschriftet, und Sarah zog jene, die ihr wichtig erschienen, heraus. Sie setzte sich an den Schreibtisch und begann sie durchzublättern.

Sarah begriff nur die Hälfte von dem, was dort stand. Nach drei Stunden gab sie entnervt auf. Wenn sie die Zahlen richtig deutete, konnte sie sich dieses Haus in München absolut nicht leisten. Bisher hatte Brain immer eine großzügige Summe beigesteuert, und wenn diese wegfiel, musste sie das Haus verkaufen.

Frustriert klappte sie den Ordner zu und ging zurück in den Wohnbereich. Die Papiere für ihre Verzichtserklärung lagen noch immer auf dem Tisch, daneben ihr Handy. Entschlossen griff sie danach. Sie hoffte inständig, dass ihr der von Emily empfohlene Anwalt helfen konnte, das Chaos zu sortieren. Sie musste dieses Haus behalten und hoffte, dass der Anwalt ihr sagen konnte, wie.

Kapitel 2


Nach einer turbulenten Schicht in der Notaufnahme – es hatte einen schweren Verkehrsunfall gegeben und Sarah hatte verzweifelt drei Stunden um das Leben eines Kindes gekämpft und schließlich verloren – hatte sie sich auf den Weg zur Anwaltskanzlei Krieger und Partner gemacht. Eine tüchtige Assistentin hatte sie zu Herrn Reichwald geführt, einem älteren Herrn mit schütterem Haupthaar und einer dicken Hornbrille.

„Bitte nehmen Sie Platz, Frau Beck. Möchten Sie etwas trinken?“

Sie schüttelte den Kopf und brannte darauf, endlich zu erfahren, wie es um ihr Haus stand. Schon vor zwei Tagen hatte sie sämtliche Unterlagen, die sie gefunden hatte, hergebracht.

„Gut, dann fangen wir an.“ Herr Reichwald ordnete die Stifte auf dem Schreibtisch, blickte Sarah an und begann dann zu erzählen. „Auf Ihren Wunsch hin habe ich alles überprüfen lassen. Es ist tatsächlich so, dass eine größere Hypothek auf dem Haus liegt, die in den letzten Jahren ausnahmslos Ihr Mann abbezahlt hat.“

Sarah war erstaunt. Woher hatte Brain so viel Geld? Klar, als Facharzt verdiente er deutlich mehr als sie, aber …

„Ich habe ein wenig recherchiert“, unterbrach Herr Reichwald ihre Gedanken. „Die Familie Morgan besitzt in der Nähe von New Orleans eine riesige Baumwollplantage. Ihr Mann gehörte einer der größten Baumwolldynastien in den Südstaaten an.“

Sarahs Augen wurden groß. Mit so etwas hatte sie absolut nicht gerechnet.

Der Anwalt reichte ihr eine Mappe. Neugierig öffnete Sarah diese und erstarrte, als Brain sie von einem Foto anblickte. Er mochte etwas jünger sein, die Haare kürzer als zuletzt, aber eindeutig Brain. Eine Verwechslung war ausgeschlossen. Sie überflog die erste Seite. Brain Samuel Morgan war in Louisiana geboren. Sein Vater, Wayne Morgan, war 2005 bei dem großen Hurrikan in New Orleans ums Leben gekommen. Brains Mutter Moira und sein ältester Bruder wohnten auf Cheetah Manor, während sein anderer Bruder in Cheetahville und seine Schwester in New Orleans lebte. Der Familie gehörte eine riesige Baumwollplantage mit angeschlossener Weberei, die sehr begehrte Bio-Baumwollstoffe herstellte.

„Hat Ihr Mann ein Testament verfasst?“, wollte der Anwalt wissen.

Sarah blickte flüchtig zu ihm auf. „Nicht dass ich wüsste.“ Sie blätterte in der Mappe. Eine Liste mit den Schulen, die Brain besucht hatte, sowie den Stationen seiner Ausbildung fiel ihr in die Hände. Auf der nächsten Seite fand sie Kontoauszüge. Regelmäßig hatte Brain aus Louisiana Geld bezogen. Was sie jedoch erschreckte, war die Höhe der Summe.

„Wie ich den Unterlagen entnehmen konnte, haben Sie keine Kinder. Laut deutschem Recht würde das Erbe zwischen Ihnen, Ihrer Schwiegermutter und den Geschwistern Ihres Mannes aufgeteilt werden. Da Ihr Mann allerdings Amerikaner ist, kann ich Sie nur an einen Kollegen aus Louisiana verweisen. Fest steht allerdings, dass Sie etwas bekommen werden.“

Verständnislos blickte Sarah ihn an. „Was soll ich erben?“

Herr Reichwald lächelte milde. „Sie, Frau Beck, bekommen den Jackpot, wenn man es so formulieren kann.“

Sarahs Herz schlug schneller.

„Soweit ich mir einen Überblick verschaffen konnte, gehört Ihnen mit Antreten des Erbes ein Teil der Baumwollplantage sowie der Weberei und ein nicht zu verachtender Anteil an Fonds und diversen Bankkonten. Wie aus den Papieren ersichtlich, erhielt Ihr Mann einen regelmäßigen Betrag, der zukünftig zu Ihrer Verfügung steht.“

Sarah schnappte nach Luft und suchte eilig das Blatt, auf dem die Zahlungen aufgelistet waren.

„Mein Gott“, murmelte sie benommen. Das konnte doch unmöglich Realität sein. Was sollte sie mit so viel Geld anfangen? Wie hatte Brain ihr das alles verschweigen können? Hatte Alex davon gewusst?

„Was ist mit meinem Haus?“

„Nun“, begann Herr Reichwald zögernd. „Wenn Sie das Erbe antreten, können Sie die Kredite problemlos ablösen.“

„Und wenn ich es ablehne?“, hakte Sarah nach.

Der Anwalt blickte sie direkt an. „Davon möchte ich Ihnen ausdrücklich abraten. Der Nachlass steht Ihnen zu. Und …“ Er schaute sie eindringlich durch seine dicke Hornbrille an. „… wenn Sie es ausschlagen, werden Sie Ihr Haus nicht halten können.“

Ein dicker Kloß bildete sich in ihrer Kehle, erschwerte ihr das Schlucken.

„Was würden Sie mir empfehlen?“, fragte Sarah beinahe flüsternd.

„Zerreißen Sie diese Dokumente.“ Er deutete auf die Papiere, die sie von Ethan Washington bekommen hatte. „Um das Erbe anzunehmen, müssen Sie nach Louisiana fliegen. Ein Erbgericht wird über den Nachlass Ihres Mannes entscheiden. Aber ich sehe keinen Grund, warum man Ihnen das, was Ihnen zusteht, verweigern sollte. Ich habe für Sie die Adresse eines guten Anwalts in New Orleans, der sich um Ihre Belange kümmern wird.“

Sarah nahm ein Blatt mit der Anschrift und der Telefonnummer des Anwalts entgegen. „Ich bin gerade etwas überfordert“, gestand sie.

„Das verstehe ich sehr gut.“ Herr Reichwald zwinkerte ihr väterlich zu. „Gehen Sie erst mal nach Hause und denken Sie in Ruhe über alles nach. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie die richtige Entscheidung treffen werden.“

„Was passiert mit dem Erbe, wenn ich es ablehne?“, wollte Sarah wissen.

Verblüfft, dass sie so etwas überhaupt in Erwägung zog, schüttelte Herr Reichwald den Kopf. „Es wird in gleichen Teilen an die restliche Familie gehen: an die Mutter Ihres Mannes und seine Geschwister. Aber Sie spielen doch nicht ernsthaft mit diesem Gedanken?“

Sarah zuckte mit den Schultern. Das alles wuchs ihr über den Kopf. Sie wusste überhaupt nichts mehr. Was sollte sie mit einer Baumwollplantage in Louisiana? Davon hatte sie absolut keine Ahnung. Zum Schluss wurde noch von ihr erwartet, dass sie dort hinziehen und die Plantage bewirtschaften sollte. Ein absoluter Albtraum für Sarah. Sie liebte ihr Leben hier in Deutschland und ihren Job im Krankenhaus. Sie wollte nach ihrer Assistenzzeit noch ihren Facharzt machen. Außerdem plagte sie ihr schlechtes Gewissen. Wäre sie nicht nur auf dem Papier Brains Ehefrau gewesen, stünde ihr das Geld zu. Aber sie war mit Brain nie zusammen gewesen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, jetzt, nach seinem Tod, diesen Platz einzunehmen.

„Ich möchte Sie nur noch einmal darauf hinweisen, dass die Hypothek auf Ihrem Haus ziemlich hoch ist, und ich bezweifle, dass Sie die Abschlagszahlungen mit Ihrem Gehalt allein bewältigen können. Die Lebenshaltungskosten – und das brauche ich Ihnen als gebürtige Münchnerin nicht zu sagen – sind bei uns relativ hoch.“

Sarah wollte fort. Sie musste erst in Ruhe über alles nachdenken. „Vielen Dank für Ihre Mühe.“ Sie stand auf und streckte dem Anwalt die Hand entgegen. „Ich danke Ihnen für die Auskünfte und brauche etwas Zeit, um mir alles durch den Kopf gehen zu lassen.“

Herr Reichwald verabschiedete sich steif und bot bei Rückfragen erneut seine Hilfe an. Dann rief er seine Assistentin, die sie hinausbegleitete.

In Sarahs Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Sie hatte Angst, das Haus zu verlieren. Es fühlte sich aber auch nicht richtig an, sich als Brains Frau auszugeben. Es war, als betröge sie damit ihren Bruder. Wie mochte Brains Familie sein? Warum hatte er jeglichen Kontakt zu ihnen abgebrochen? Wenn sie beschloss, nach Louisiana zu reisen, würde die Familie sie willkommen heißen?

Wenn sie jedoch ehrlich zu sich war, hatte sie bereits eine Entscheidung getroffen.

Kapitel 3


Es war Donnerstagnachmittag, als Sarah bei Ethan Washington anrief und um ein Treffen bat. Sie verabredeten sich für den frühen Abend in der Lobby seines Hotels. Der Anwalt hatte darauf bestanden, sie zum Essen einzuladen. Sarah blieb nichts anderes übrig, als zuzustimmen.

Endlos lange hatte sie vor ihrem Kleiderschrank gestanden, hin und her überlegt, was das richtige Outfit für so ein geschäftliches Essen war, um sich schließlich für ihre Nadelstreifenhose und eine rote Bluse zu entscheiden. Für den Fall, dass sie draußen sitzen würden und es ihr zu kalt würde, legte sie sich vorsorglich ihren Blazer über den Arm.

Mit der Straßenbahn fuhr sie in die Nähe des Hotels und legte die restlichen zwei Blocks zu Fuß zurück. Sie hätte sich auch ein Taxi rufen können mit dem Geld, das sie verdiente, konnte sie sich diesen Luxus ab und an leisten, aber es widerstrebte ihr.

Unsicher betrat sie die Lobby, kassierte einen neugierigen Blick vom Portier, den sie geflissentlich ignorierte. Suchend blickte sie sich um, entdeckte den hochgewachsenen Anwalt aber nirgends. Sie ging zögernd zu einer etwas abseits liegenden Sitzgruppe, von der aus man sowohl die Aufzüge als auch die Treppe im Auge behalten konnte. An der Rezeption war eine junge Frau mit einer älteren Dame beschäftigt, die aufgeregt auf sie einredete. Ihr Kollege stand daneben, hörte geduldig zu, nickte immer wieder und setzte dann zu einer Antwort an, die Sarah nicht verstand, da sie zu weit weg war. Eine Bewegung auf der Treppe erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war Ethan Washington, der mit federleichten Schritten die Stufen hinunterkam und mit einem Lächeln direkt auf sie zusteuerte. Hastig ergriff Sarah ihre Tasche und stand auf, um dem Anwalt entgegenzutreten.

„Mrs. Beck.“ Er strahlte sie an, nahm ihre Hand und schüttelte diese.

„Mr. Washington.“

Der Anwalt hakte sie bei sich unter. „Kommen Sie mit!“ Er führte sie in den hinteren Bereich des Hotels, in dem sich das Restaurant befand. „Das Essen hier ist wirklich vorzüglich.“ Sein Deutsch war grammatikalisch perfekt, aber von einem deutlichen Südstaatenakzent geprägt.

Am Eingangsbereich stand ein Kellner bereit, der dem Anwalt freundlich zunickte, sich zwei Speisekarten griff und auf sie zutrat.

„Mr. Washington. Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Tag verbracht. Darf ich Sie und Ihre Begleitung zu Ihrem Tisch bringen?“

Er bedachte Sarah mit einem höflichen Kopfnicken, wartete auf Ethan Washingtons Einverständnis und ging ihnen voran zu einem etwas abgelegenen Tisch.

Ethan rückte Sarah den Stuhl zurecht und sie nahm dankend Platz.

Als er ihr gegenübersaß und der Kellner jedem eine Speisekarte gereicht hatte, hielt Sarah es einfach nicht mehr aus. Sie hatte sich alles genau überlegt, ihre Rede mehrfach vor dem Spiegel geprobt. Doch nun war alles wie weggeblasen. „Mr. Ethan … äh … Mr. Washington“, stotterte sie verlegen und lief rot an.

Amüsiert blickte der Anwalt auf.

„Ich … wir müssen reden“, stammelte sie und versuchte vergeblich, sich an die einstudierten Worte zu erinnern.

„Mrs. Beck.“ Er ergriff über dem Tisch ihre Hand, und Sarah zuckte zurück. Unbeirrt hielt er trotzdem ihre Hand fest, während er ihr tief in die Augen sah. „Wir werden zuerst in Ruhe essen, und dann können Sie mir alles erzählen, was Sie möchten. Ich bin ein guter Zuhörer.“ Er strahlte ungeheuer viel Ruhe und Gelassenheit aus, was sich durch die Berührung auf sie zu übertragen schien. In seinen Augen lag Freundlichkeit, und doch vertraute Sarah ihm nicht.

Sie nickte und zog schüchtern die Hand zurück. Noch immer mit feuerrotem Kopf versteckte sie sich hinter der Speisekarte und studierte diese konzentriert.

Schließlich entschied sie sich für Fisch. Ethan Washington hatte ebenfalls gewählt. Der Kellner kam zurück, schenkte ihnen Wasser ein und erkundigte sich nach der Bestellung.

„Können Sie uns dazu einen guten Wein empfehlen?“, fragte der Anwalt.

„Ihnen würde ich einen Mouton Cadet empfehlen, einen exzellenten Rotwein, und der Dame einen hellen Riesling.“

„Nein danke“, winkte Sarah eilig ab. „Ich bleibe bei Wasser.“

Nachdem sich der Kellner zurückgezogen hatte, sah Ethan sie herausfordernd an.

„Keinen Wein? Nicht einmal zum Essen?“

„Ich trinke nicht“, sagte sie kurz angebunden und gab sich größte Mühe, ihre Serviette auf dem Schoß zu drapieren.

„Sind Sie in anderen Umständen?“

Sarah riss die Augen auf, starrte den Anwalt entsetzt an. „Nein!“, rief sie etwas zu laut und mäßigte ihre Stimme. „Das bin ich sicher nicht. Ich mag keinen Wein. Mir schmeckt Alkohol nicht.“

Ethan Washington murmelte ein „Verstehe“ und richtete die Aufmerksamkeit auf den Kellner, der ihm eine kleine Menge des Bordeaux zum Probieren einschenkte. Er nahm einen Schluck, nickte und wartete darauf, dass der Kellner das Glas füllte und wieder ging.

„Sie arbeiten als Ärztin?“, erkundigte sich Mr. Washington beiläufig.

„Das müsste doch in Ihren Unterlagen stehen“, sagte Sarah spitz. „Ich gehe davon aus, dass Sie alles Wissenswerte über mich zusammengetragen haben.“

Der Anwalt lächelte sie an und in seinen Augen lag etwas, das sie nicht einordnen konnte. „Ich würde Sie gerne kennenlernen. Die Frau, die Brain geheiratet hat, nicht die Frau, die in den Unterlagen steht.“

Sarah senkte den Blick. Sie konnte den Mann ihr gegenüber nicht ansehen. Er hatte Brain gekannt, war seiner Aussage nach sogar ein Freund gewesen. Sie hatte versprochen, die Wahrheit für sich zu behalten.

Glücklicherweise kam in diesem Augenblick das Essen. Ethan Washington wünschte ihr einen guten Appetit, sie ihm ebenfalls und griff nach dem Besteck. Endlich war sie beschäftigt. Der Fisch schmeckte köstlich. Mit jedem Bissen nahm ihre Unruhe zu. Die Mahlzeit neigte sich dem Ende und nun gab es keine Ausflüchte mehr. Sie musste dem Anwalt gestehen, dass sie vorhatte, das Erbe anzutreten.

Der Kellner kam zum Abtragen und erkundigte sich, ob er einen Nachtisch oder Espresso bringen dürfe, was sowohl Sarah als auch Mr. Washington ablehnten.

Sie griff nach dem Wasserglas, nahm einen Schluck und ließ sich Zeit, es zurückzustellen. Mr. Washington hatte die Hände auf dem Tisch verschränkt und sah sie abwartend an.

„Sie wollten mit mir sprechen, Mrs. Beck. Ich denke, jetzt ist der richtige Moment dafür gekommen.“

Sarah räusperte sich. Ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Sie griff erneut nach dem Wasserglas und nahm einen großen Schluck.

„Ich habe einen Anwalt konsultiert“, schoss es aus ihr heraus. Sie ärgerte sich im nächsten Augenblick darüber. So hatte sie nicht anfangen wollen. Dabei hatte sie sich doch einen perfekten Einstieg überlegt, um Mr. Washington langsam und diplomatisch auf das vorzubereiten, was sie ihm mitteilen wollte. In ihrem Kopf herrschte vollkommene Leere und sie konnte sich einfach nicht daran erinnern, was sie hatte sagen wollen.

„Sie sprachen davon, dass Sie das vorhatten.“ Noch immer schien Ethan Washington die Ruhe in Person zu sein. „Lassen Sie mich raten, er hat Ihnen empfohlen, das Erbe anzutreten.“

Sarahs Augen weiteten sich, als sie ihn ansah. „Woher wissen Sie das?“

Ein schelmisches Grinsen legte sich um seinen Mund. „Weil ich Ihnen als meine Mandantin nichts anderes empfohlen hätte.“

Sarah schluckte.

„Wie haben Sie sich entschieden, Mrs. Beck?“

Die Frage stand zwischen ihnen. Sarah fühlte sich außerstande, sie in irgendeiner Form diplomatisch zu beantworten, und so sagte sie einfach das, was ihr in den Sinn kam. „Herr Reichwald hat mir die Kontaktdaten eines Anwalts in New Orleans gegeben. Ich werde dorthin fliegen und mir alles in Ruhe vor Ort ansehen. Aber …“ Sie blickte Hilfe suchend auf ihre Serviette, deren Rand ihre nervösen Finger in Einzelteile gezupft hatten. „… ich bin durchaus gewillt, das Erbe anzutreten.“ Jetzt war es raus. Sie wartete auf den Blitz, der sie ereilen würde, nachdem sie es nun das erste Mal laut ausgesprochen hatte. Aber nichts geschah.

Nachdenklich sah Ethan Washington sie an. „Sie haben keine Ahnung, worauf Sie sich da einlassen, Mrs. Beck. Aber ich bewundere Ihren Mut und ich wünsche Ihnen wirklich nur das Beste.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Ich kann verstehen, warum Brain Sie geheiratet hat“, sagte er leiser.

Die Röte schoss ihr in die Wangen. Nicht weil sie sich geschmeichelt, sondern weil sie sich ertappt fühlte.

„Wie schnell können Sie Ihre Angelegenheiten regeln?“

„Ich habe bis Mittwoch frei und hatte geplant, mich anschließend beurlauben zu lassen, um die Reise anzutreten. Allerdings weiß ich nicht, wie schnell ich einen Flug bekomme.“

„Fliegen Sie morgen mit mir.“

Sarah war sprachlos. Es dauerte einige Sekunden, bis sie den Kopf schütteln konnte. „Ich weiß doch überhaupt nicht, wo ich in New Orleans unterkommen soll.“

Das Lächeln des Anwalts wurde breiter. „Nicht New Orleans“, sagte er geheimnisvoll. „Cheetah Manor.“

Vollkommen perplex blickte Sarah ihn an. Sie kannte diesen Namen, hatte ihn in den Unterlagen gelesen, die sie von Herrn Reichwald bekommen hatte. Cheetah Manor war die Plantage, von der ihr bald ein Fünftel gehören sollte.

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, stotterte sie.

„Cheetah Manor ist das Haus, in dem Brain geboren wurde. Ein Teil davon wird Ihnen gehören. Moira wird sich sehr über Ihren Besuch freuen und es mir übel nehmen, wenn ich zulasse, dass Sie sich ein Hotel in New Orleans suchen. Und Darren …“ Sein Blick schweifte einen Moment in die Ferne, heftete sich an etwas, das hinter ihr lag. „… von Darren lassen Sie sich einfach nicht einschüchtern. Es ist Erntezeit, da wird er ohnehin viel unterwegs sein.“

Sarah versuchte die Namen einzuordnen. Moira Morgan war Brains Mutter, das wusste sie, und Darren musste einer von seinen Brüdern sein. Vermutlich derjenige, der die Plantage bewirtschaftete.

„Ich weiß nicht …“ Sie schaute auf ihre Hände.

„Wovor genau fürchten Sie sich? Ich sehe eine starke und wunderschöne junge Frau vor mir, die sicher nicht kneifen wird, die Familie kennenzulernen?“

„Aber sie haben Sie geschickt. Mit einer Verzichtserklärung.“

„Darren hat mich geschickt“, korrigierte er sie.

„Wie ist Darren so?“, hakte sie vorsichtig nach.

„Er mag Dinge nicht, die er nicht kontrollieren kann. Deshalb gefallen Sie ihm nicht. Aber wenn Sie ihn einmal für sich gewonnen haben, ist er treu bis in den Tod.“

Die Worte des Anwalts berührten etwas tief in ihr. Sarah konnte nicht einmal genau sagen, warum. Sie wusste nur eins: Sie wollte nach Louisiana fliegen, wollte Cheetah Manor und Brains Familie kennenlernen.

„Wann geht der Flug?“

Ethan Washington nickte ihr anerkennend zu. „Genau so mag ich das.“

Kapitel 4


„Sie wird mich nach Cheetah Manor begleiten“, sagte Ethan.

Darren glaubte sich verhört zu haben. Er umklammerte das Telefon fester. Seine Laune war ohnehin nicht besonders gut. Auf der Plantage gab es ein paar Probleme mit der Ernte, was sie um einige Wochen zurückwarf.

„Du hast nicht gerade gesagt, dass dich diese Person nach Cheetah Manor begleiten wird, oder?“

„Doch, mein Freund, genau das.“

Darren schnaubte verächtlich.

„Sie ist eine großartige Frau und ich kann verstehen, warum sich Brain in sie verliebt hat.“

„Ethan …“, unterbrach Darren seinen Freund mit einem warnenden Unterton.

„Du wirst sie mögen.“

„Das werde ich nicht“, widersprach er entschlossen.

„Ich kenne dich gut genug, Darren Morgan, du wirst sie mögen.“

„Sie ist ein Eindringling, eine Gefahr für Cheetah Manor. Ich werde alles daransetzen, dass sie möglichst schnell wieder nach Deutschland zurückfliegt.“

„Darren“, versuchte Ethan ihn zu besänftigen. „Sie ist deine Schwägerin.“

„Nein, ich werde nicht zulassen, dass diese Person, die sich in den letzten drei Jahren keinen Deut um unsere Familie geschert hat und die vermutlich nicht einmal weiß, wie Baumwollpflanzen aussehen, auf meiner Plantage ein Mitspracherecht hat.“

„Ich kann deinen Ärger verstehen, Darren. Aber meinst du nicht, du solltest ihr eine Chance geben?“

„Eine Chance wofür?“

„Sie war mit Brain verheiratet. Denkst du nicht, sie weiß von eurem Erbe?“

Darren stieß einen verächtlichen Laut aus. Es gefiel ihm absolut nicht, wie konsequent Ethan für sie Partei ergriff. Sein Freund hatte eine Schwäche für schöne Frauen, und Darren konnte es sich nur so erklären, dass diese Sarah Ethan um den Finger gewickelt hatte. Vermutlich so, wie sie auch Brain bezirzt hatte. Er würde sich nicht von einem hübschen Gesicht und blonden Haaren blenden lassen. Das konnte er sich nicht leisten. Er war nicht nur für die Familie und Cheetah Manor verantwortlich, sondern auch für seine Leute, die im Dorf wohnten und sich darauf verließen, dass er für sie sorgte. Wie sollte er diese Plantage weiterhin so reibungslos bewirtschaften, wenn irgendwo eine verwöhnte Stadttussi saß, die ihm ständig hineinredete und von absolut nichts eine Ahnung hatte?

„Ich gehe davon aus, dass sie nicht lang genug bleiben wird, damit wir dies herausfinden.“

„Was hast du vor?“

Darren lächelte zufrieden vor sich hin. Seine Laune besserte sich ein wenig. Ja, er hatte einen Plan, aber in diesen würde er Ethan nicht einweihen.

„Wann werdet ihr eintreffen?“, fragte er stattdessen.

„Am frühen Abend.“

„Bleibst du zum Essen?“

Ethan lachte. „Sicher. Ich kann die Kleine doch nicht schon am ersten Abend mit dir allein lassen.“

„Du vergisst Mutter, und vielleicht lade ich auch Eric zu unserem netten Familientreffen ein.“

Ethan schwieg und Darren war bewusst, dass sein Freund ihm gerne den Plan ausreden wollte. Solange er jedoch nicht wusste, was er vorhatte, würde ihm dies nicht gelingen.

„Bis morgen dann“, verabschiedete sich Ethan.

Darren murmelte ebenfalls einen Abschiedsgruß und legte auf. Während er das Telefon zurück in die Station stellte, dachte er über die Frau nach, deren Anwesenheit er seinem Bruder Brain verdankte. Wie hatte sie es nur geschafft, sich in seine Familie zu drängen? Zwanzig Prozent. Dabei ging es ihm nicht um das Geld, das ihr zustand. Davon hatten er und seine Familie wahrlich genug. Es ging ihm um das Mitspracherecht, das sie haben würde. Die Plantage gehörte ihm, und er war nicht bereit, sie zu teilen. Sarah Beck zu Besuch zu haben, war riskant, aber durchaus eine interessante Vorstellung.

Wie viel mochte sie über Cheetah Manor und über ihn wissen? Wie würde sie reagieren, wenn sie ihm das erste Mal gegenübertrat? Er war gespannt darauf, und ob er es sich eingestand oder nicht, er freute sich auf die Jagd. Denn nichts anderes war sie: seine Beute.

Mit gemischten Gefühlen verließ er das Arbeitszimmer und begab sich in den kleinen Salon, in den sich seine Mutter um diese Uhrzeit gerne zurückzog. Er klopfte und trat ein.

„Darren?“, fragte sie überrascht, klappte das Buch zu, in dem sie gelesen hatte, und nahm die Brille ab. Sie saß in ihrem Lieblingssessel am Fenster, die Leselampe auf dem kleinen Beistelltisch spendete ein angenehmes, warmes Licht.

„Mutter.“ Er ging auf sie zu, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

„Was gibt es Wichtiges, dass du mich noch um diese Uhrzeit aufsuchst?“

Darren atmete tief durch. Moira Morgan kannte ihn einfach viel zu gut, als dass er etwas vor ihr verbergen konnte.

„Wir werden morgen Besuch bekommen, Mutter.“

Erstaunt blickte Moira ihren Sohn an. Es war Ewigkeiten her, seit sie das letzte Mal in Cheetah Manor Gäste empfangen hatten.

„Ich würde mich freuen, dich morgen beim Abendessen unten zu sehen“, fügte er hinzu. „Ethan ist gerade in Deutschland. Er wird morgen zurückkommen und Brains Frau mitbringen.“

Zu seiner Verwunderung lächelte ihn Moira an, griff nach seiner Hand und tätschelte sie. „Es ist gut, dass du sie nach Hause holst.“

Er glaubte sich verhört zu haben. Nach Hause? Bestimmt nicht. Er würde drei Kreuze machen, wenn er diese Frau wieder los war. „Nur um das klarzustellen, ich möchte sie ganz bestimmt nicht hier haben.“

Moira schwieg lange, und Darren rechnete nicht mehr damit, dass sie zu diesem Thema noch etwas sagte.

„Brain mochte immer sehr besonders gewesen sein, aber er hatte eine untrügliche Menschenkenntnis. Niemals hätte er eine Frau geheiratet, die ihm schaden wollte. Glaubst du wirklich, er hat sich in den letzten Jahren so sehr verändert?“

„Wir werden sehen, was meine Menschenkenntnis dazu sagt“, wich er ihr aus.

„Gib ihr eine Chance“, bat Moira.

Darren blickte an seiner Mutter vorbei und konzentrierte sich auf die hellblaue Tapete hinter ihr. „Wir werden sehen.“

Moira lächelte ihn liebevoll an, griff nach seiner Hand und tätschelte sie. „Du musst nicht immer für alles die Verantwortung übernehmen.“

Darren starrte auf die vom Alter und Leid gezeichnete, zierliche Hand, die auf seiner lag. Er liebte seine Mutter über alles und sie hatte in ihrem Leben viel durchmachen müssen. Aber was es bedeutete, auf Cheetah Manor geboren worden zu sein, das würde sie nie begreifen. Sie mochte inzwischen Jahrzehnte hier wohnen, aber aufgewachsen war sie hundertdreißig Meilen weiter westlich in Lafayette. Erst die Liebe zu seinem Vater, Wayne Morgan, hatte sie nach Cheetah Manor gebracht.

„Ich bin sehr gespannt auf sie“, gestand Moira, und etwas in seinem Magen verkrampfte sich. Er hoffte nur, dass sie und Brains Frau sich nicht sonderlich gut verstanden. Zwar wollte er ihr nicht wehtun, würde aber nicht tatenlos zusehen, wie sich dieses Modepüppchen in ihr Leben stahl, wie eine Made im Speck einnistete und es sich gut gehen ließ.

„Ich auch“, murmelte er, beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn, ehe er sich erhob.

„Wirst du heute Nacht unterwegs sein?“, erkundigte sich Moira besorgt.

„Vielleicht drehe ich noch eine Runde, zum Ausspannen und Abschalten.“

Seine Mutter lächelte gütig und wünschte ihm eine gute Nacht.

Darren verließ den Salon. Es war klar, dass er mehr als eine Runde ums Haus drehen würde. Er musste nachdenken, und das ging am besten, während er durch die ungezähmte Natur Louisianas streifte.

Kapitel 5


Je näher sie Louisiana kamen, umso nervöser wurde Sarah. Der Flug in der ersten Klasse war äußerst komfortabel gewesen, dennoch war es ihr nicht gelungen, ein Auge zuzutun. Ganz im Gegensatz zu Ethan Washington, der beinahe bis Chicago durchgeschlafen hatte. Während ihres Zwischenstopps hatte sie der Anwalt zu einem Kaffee eingeladen und ihr das Du angeboten. Bei der Gelegenheit erfuhr Sarah, dass er gebürtig aus Afrika stammte, von seinem zehnten bis fünfzehnten Lebensjahr jedoch in Deutschland gewohnt hatte, ehe es ihn nach Louisiana verschlug.

Mit Begeisterung erzählte Ethan ihr von New Orleans und Cheetah Manor, sodass Sarah sehr gespannt auf die Plantage war. Ethan war ihr gegenüber äußerst zuvorkommend. Sarah mochte ihn immer mehr. Auch wenn ab und an etwas in seinen scharfsinnigen Augen aufblitzte, das bei ihr alle Alarmglocken schrillen ließ. Dieser Mann konnte durchaus gefährlich werden, wenn er es darauf anlegte. Sie schien er jedoch nicht mehr als Bedrohung wahrzunehmen. Dass sie gedachte, das Erbe anzutreten, hatte ihm lediglich ein Lächeln entlockt.

Endlich erreichten sie New Orleans, warteten eine gefühlte Ewigkeit auf ihr Gepäck und verließen schließlich das Flughafengebäude. Hitze schlug ihnen entgegen. Ethan winkte ein Taxi heran. Ein kleinerer Mann mit Jeans, einem zerschlissenen roten T-Shirt und wettergegerbtem Gesicht stieg aus. Seine indianische Abstammung sah man an seinem bronzefarbenen Hautton. Das Haar, das unter der Baseball-Cap hervorschaute, war weiß meliert, nur der Zopf, der zu seiner Rechten bis zum Rücken hinabhing, war tiefschwarz. Er eilte auf ihr Gepäck zu und verstaute es im Kofferraum, während Ethan die Tür zum Fond öffnete und Sarah einsteigen ließ. Erleichtert stellte sie fest, dass dieses Auto eine Klimaanlage besaß. Auch wenn sich das Innere schnell erwärmte, war es deutlich kühler als auf der Straße. Ethan setzte sich neben sie und schloss die Tür.

„Wie hältst du diese Hitze nur aus?“, fragte Sarah und zog ihr Jackett aus. Sie war froh, dass sie sich für ein Top entschieden hatte. Der seidene Stoff klebte bereits überall an ihrem Körper.

„Ich bin ein Kind der Wüste“, entgegnete Ethan gut gelaunt. Im Gegensatz zu ihr schien er tatsächlich nicht zu schwitzen.

Der Taxifahrer ließ sich hinter das Lenkrad gleiten. Als er den Schlüssel umdrehte, begann die Lüftung zu surren und blies Sarah angenehm kühle Luft ins Gesicht.

„Wohin darf ich Sie fahren?“, erkundigte er sich.

„Cheetah Manor, bitte.“

Der Taxifahrer holte tief Luft und drehte sich zu ihnen um. „Ich werde diese verfluchte Plantage nicht betreten, kann Sie aber gerne an der Grenze absetzen.“

„Das ist in Ordnung“, sagte Ethan, als hätte er mit so etwas gerechnet.

Sarah warf dem Anwalt einen verzweifelten Blick zu.

„Und wie kommen wir dann nach Cheetah Manor?“, wollte Sarah auf Deutsch von Ethan wissen.

„Wir laufen den Rest. Das Gepäck lassen wir abholen.“

„Laufen?“ Sarah hatte Mühe, ihre Stimme beherrscht klingen zu lassen.

„Es ist nur etwa eine Meile.“

Sarah schnappte nach Luft. „Eine Meile?“

Um möglichst seriös zu wirken, hatte sie ein lavendelfarbenes Kostüm mit einem knielangen Rock und einem Blazer gewählt. Dazu ein einfaches weißes Top. Und natürlich Pumps, die eigentlich ganz bequem waren, aber für einen fünfzehnstündigen Flug und einen anschließenden Fußmarsch eindeutig nicht die richtige Wahl darstellten. Sie wünschte sich sehnlichst die bequemen Turnschuhe herbei, die irgendwo in ihrem Reisekoffer steckten. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, nach hinten zu klettern, den Koffer zu öffnen und nach den Schuhen zu suchen. Die Erinnerung daran, wie viele Anläufe es gebraucht hatte, um den Koffer zuzubekommen, ließ sie diesen Gedanken wieder verwerfen.

„Warum kann er uns nicht zum Haus fahren?“

„Versuch gerne dein Glück, ihn zu überreden. Aber er ist ein Chowilawu-Indianer und wird das Gebiet der Cheetahs nicht betreten.“

Sarah suchte im Rückspiegel die Augen des Taxifahrers. Er hatte ihrer Unterhaltung auf Deutsch bestimmt nicht folgen können, musste jedoch an Sarahs Körpersprache erahnen, dass sie ganz und gar nicht davon begeistert war, zur Plantage zu laufen.

„Woher kommen Sie, Mädchen?“, wollte der Taxifahrer wissen.

„Deutschland.“

„Wenn ich Ihnen als alter Mann einen guten Rat geben darf: Halten Sie sich von diesem verfluchten Haus fern. Es wird Ihnen nichts als Kummer und Unglück bringen.“

„Ich habe nicht vor, sehr lange dort zu bleiben. Es gibt da nur ein paar Sachen, die ich regeln muss.“

Der Taxifahrer warf ihr einen vielsagenden Blick zu. „Fahren Sie mit mir nach New Orleans zurück und übernachten Sie dort in einem Hotel.“

„Danke für Ihre Besorgnis, aber ich denke, ich werde es ein paar Tage auf Cheetah Manor aushalten.“

Sarah sah Ethan fragend an, der sein Smartphone gezückt hatte und nun damit beschäftigt war, etwas darauf zu tippen.

„Die Cheetahs …“ Der Taxifahrer ließ seinen Blick kurz zu Ethan gleiten. „Er kommt auch nicht von hier.“ Es war keine Frage, eher eine Feststellung.

„Nein.“ Ethan schaute von seinem Handy auf. „Aber ich kenne die Gerüchte um Cheetah Manor und kann Ihnen versichern, dass ich das Haus schon mehrmals lebend verlassen habe.“

Sarah war nun doch etwas verunsichert.

„Welche Gerüchte?“

Vergnügt erzählte Ethan: „Cheetah Manor ist ein ganz besonderer Ort. Er lebt, er atmet und die Cheetahs werden darüber entscheiden, ob sie dich willkommen heißen oder nicht.“

„Wenn Sie einem Gepard gegenüberstehen, werden Sie an meine Worte denken“, prophezeite der Taxifahrer.

Nachdenklich legte sie den Kopf schief. „Auf Cheetah Manor gibt es Geparde? Wir sind hier in Louisiana und nicht in Südafrika.“

„Auch hier hat es einst Geparde gegeben“, sagte Ethan ernst. „Lange bevor sich die Menschen hier niedergelassen haben.“

„Und es gibt sie immer noch“, beharrte der Taxifahrer. „Nehmen Sie sich vor ihnen in Acht.“

„Das werde ich“, versprach Sarah, aber eigentlich glaubte sie nicht an so einen Hokuspokus. Viel mehr Sorgen bereitete ihr das erste Aufeinandertreffen mit Brains Familie.

Die Landschaft, die an ihnen vorbeizog, war ungewöhnlich grün; Zypressen, Eichen, Magnolien.

„Wir sind bald da“, sagte der Taxifahrer.

Sie folgten noch etwas weiter der Straße, die sich durch die grüne Landschaft schlängelte. An einer Weggabelung hielten sie an. Ethan bezahlte den Taxifahrer. Ein schief stehendes Holzschild zeigte ihnen, dass es von hier aus noch eine Meile bis Cheetah Manor war. Darunter, auf einem etwas kleineren Schild, stand Cheetahville, was etwa doppelt so weit entfernt lag.

Ethan stieg aus und half dem Taxifahrer, das Gepäck zu entladen. Die Schwüle kroch durch die geöffnete Tür herein, und Sarah hatte das Gefühl, schon wieder zu zerfließen. Sie angelte nach der Handtasche, legte sich ihren Blazer über den Arm und kletterte aus dem Taxi.

Besorgt sah sie die schmale Straße hinunter, die zur Plantage führen sollte.

Ethan stellte die Koffer zwischen die Büsche an den Wegrand.

„Was ist, wenn es gestohlen wird?“, fragte Sarah zweifelnd.

Ethan zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Das ist das Gebiet der Cheetahs. Kein Unbefugter würde dieses Land betreten. Glaub mir, unser Gepäck ist hier sicher.“

Sarah schluckte. Warum zog Ethan sie damit nur auf? Immer wieder redete sie sich ein, nicht an Flüche zu glauben. Geparde waren in Amerika ausgestorben und gewiss nicht in Louisiana anzutreffen – auch nicht auf Cheetah Manor.

„Wollen Sie es sich nicht noch einmal überlegen, Madam?“ Der Taxifahrer kramte in seiner Hosentasche.

Entschieden schüttelte Sarah den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass Sie sich völlig unnötig um mich sorgen. Schließlich habe ich einen Beschützer.“ Sie warf Ethan ein schelmisches Lächeln zu.

„Ihr schwarzer Freund wird nicht das Geringste gegen sie ausrichten können. Nehmen Sie sich in Acht.“ Er fischte ein Stück Papier aus der Tasche und drückte es Sarah in die Hand. „Wenn Sie je hier wegkommen wollen, rufen Sie an. An dieser Stelle kann ich Sie jederzeit aufgabeln.“

„Können wir los?“ Ethan trat auf sie zu und verschränkte die Arme vor der Brust.

Eilig verstaute Sarah die Visitenkarte. „Aber klar …“

Sie wusste nicht, was schlimmer war. Der Fußmarsch, der vor ihr lag, oder die Ungewissheit, wie Brains Familie auf sie reagieren würde. Sie streckte den Rücken durch und betrat den schmalen Weg, der zur Plantage führte. Es war, als träte sie durch eine Barriere. Ein erdrückender Schatten legte sich auf sie, nahm ihr die Atemluft. Der Wind frischte auf, zerrte an den mächtigen Ästen der Eichen, die ein wisperndes Geräusch von sich gaben. Die Schatten wurden von der kühlen Brise fortgetragen. Sarahs Härchen stellten sich auf.

Ethan mit seinen langen Beinen war bereits einige Meter vor ihr, drehte sich nun zu ihr um. „Alles in Ordnung?“, rief er.

Sarah schüttelte das beklemmende Gefühl ab, nickte und beeilte sich, um aufzuschließen.

Eine Zeit lang liefen sie nebeneinanderher. Ethan passte sich Sarahs Tempo an. Schließlich zeigte er zwischen die Bäume. „Dort liegt Cheetah Manor.“

Sarah konnte nichts erkennen. Gespannt hielt sie Ausschau. Aber mit dem, was sie sah, hatte sie nicht gerechnet. Es war wie in den alten Südstaatenfilmen. Eine schmale, nicht enden wollende Auffahrt erstreckte sich vor ihnen, gesäumt von riesigen, alten Eichen. Davor, auf einem steinernen Sockel, thronten auf jeder Seite zwei Geparde, eine Raubkatze grimmiger als die andere. Sie schienen Sarah wütend anzufunkeln. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme, wanderte bis zum Nacken hinauf. Wieder spürte sie das seltsame Gefühl in der Magengrube.

„Willkommen auf Cheetah Manor“, sagte Ethan und wartete, bis sich Sarah an allem sattgesehen hatte. „Jetzt ist es nicht mehr weit.“

Sarah hoffte nur, dass Ethan recht hatte. Sie war vollkommen durchgeschwitzt. Ihre Füße schmerzten ungeheuerlich und das Humpeln konnte sie nur noch mit Mühe verbergen.

„Ich sehe das Haus noch nicht“, jammerte Sarah.

„Gleich“, beruhigte Ethan sie.

Tatsächlich. Nach einer weiteren Biegung war nun endlich ein Gebäude in Sicht. Je näher sie kamen, umso mehr wurde von dem prächtigen Bauwerk enthüllt, das ganz nach Südstaatenart – mit weißen Säulen im neoklassischen Architekturstil – gebaut war. Einige Stufen führten auf eine geräumige Veranda, von der aus man das Haus betreten konnte. Bald machte Sarah Personen auf der Veranda aus. Ethan beschleunigte das Tempo.

Eine Frau, Mitte fünfzig, mit schulterlangen, leicht gelockten Haaren stand von ihrem Sessel auf. Sie trug ein schickes, beigefarbenes Kleid, und Sarah war nun froh, sich für das Kostüm entschieden zu haben – auch wenn sie nach dem Fußmarsch etwas ramponiert aussehen musste. Der Schweiß rann ihr Dekolleté hinab und sammelte sich zwischen ihren Brüsten.

Sarah zwang sich zu einem Lächeln, als ihnen die Frau über die Treppenstufen entgegenkam. Die Ähnlichkeit zu Brain war unübersehbar.

„Du bist also Sarah“, sagte sie verhalten.

Sarah ließ die Musterung schweigend über sich ergehen und hoffte, dass sie halbwegs gut abschnitt. Das Urteil war ihr sehr wichtig, auch wenn sie mit Brain keine richtige Ehe geführt hatte.

„Ich freue mich, dich kennenzulernen, Sarah.“ Ein herzliches Lächeln erschien auf dem Gesicht von Brains Mutter, ehe sie die Arme ausbreitete.

Zögernd trat Sarah näher, ließ sich von der ihr fremden Frau umarmen und auf beide Wangen küssen. „Willkommen. Ich bin Moira.“

Etwas in Sarahs Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Es war nicht richtig, dass sie hier war und so tat, als wäre sie Brains wirkliche Ehefrau. Sie musste etwas Abstand bekommen und trat zurück.

„Vielen Dank für die nette Begrüßung.“

Hinter Moira erhob sich ein dunkler Schatten, legte sich über die Terrasse sowie den Rasen und hüllte Sarah ein. Erschrocken blickte sie auf. Blaue Augen, in denen silberne Sprenkel tanzten. Sie schluckte. Der hochgewachsene Mann strotzte nur so vor Männlichkeit. Auch wenn er etwas Raues, gar Wildes, ausstrahlte, war die Ähnlichkeit zu dem sanftmütigen Brain unverkennbar. In seiner einfachen Jeans und dem karierten Hemd passte er auf den ersten Blick nicht so recht vor das herrschaftliche Haus. Mit starrer Miene sah er auf Sarah hinab. Das unverhohlene Missfallen war nicht zu übersehen. Etwas in seinen Augen jagte ihr Angst ein. Das seltsame Gefühl in ihrer Magengrube, das sie bereits gespürt hatte, als sie an den steinernen Geparden vorbeigegangen war, kam zurück.

Verlegen streifte sich Sarah eine Strähne hinter das Ohr und wandte sich suchend nach Ethan um. Der begrüßte gerade Moira mit einer festen Umarmung.

„Darren Morgan“, knurrte der dunkelhaarige Mann auf der Terrasse und lief die Stufen zu Sarah herunter.

Selbst als sie auf gleicher Ebene standen, überragte er sie noch um einen Kopf. Die Hand, die er ihr entgegenstreckte, war gepflegt, aber dennoch von Schwielen übersät. Darren Morgan war ein Mann, der mit anpackte, so viel stand fest.

„Sarah.“ War das ihre Stimme, die sich so dünn und piepsig anhörte?

Ohne mit der Wimper zu zucken, ergriff Darren ihre Hand, schüttelte sie kurz und ließ sie dann los, als hätte er sich verbrannt. Abrupt wandte er sich ab.

„Gehen wir ins Haus. Dann kann ich Jamal bitten, das Gepäck zu holen. Komm mit, Sarah. Du möchtest dich sicher erst mal frisch machen, bevor es Essen gibt.“ Mit einer einladenden Handbewegung führte Moira die etwas verdutzte Sarah an Darren vorbei ins Gebäude. Sarah konnte sich überhaupt nicht sattsehen an Cheetah Manor. Sie hatte es sich vollkommen anders vorgestellt. Alte Holzdielen, vertäfelte Decken und der Glanz eines vergangenen Jahrhunderts machten das Haus zu etwas Besonderem. Ohne dass Sarah es wollte, fühlte sie sich heimisch.

„Hier wären wir. Wenn du etwas brauchst, wird sich Mary darum kümmern“, versprach Moira und führte sie in ein geräumiges, helles Zimmer. Während ein großes Doppelbett die eine Seite des Raumes einnahm, bestand die gegenüberliegende aus großen Fenstern. Neugierig schob Sarah den Vorhang auf und blickte hinaus. Ein kleiner Balkon erstreckte sich vor dem Fenster und dahinter ein endlos weiter Garten. Grüne Büsche, Rosen, einige schattenwerfende Bäume und viel grüne Wiese. Wie wunderschön es doch war.

„Hier ist das Badezimmer. Sobald Jamal zurückkommt, lasse ich dein Gepäck bringen, dann kannst du dich noch vor dem Essen umziehen.“

„Vielen Dank“, murmelte Sarah. Moira war so nett und freundlich zu ihr, dabei hatte sie das überhaupt nicht verdient. Aber sie hatte Brain versprochen, sein Geheimnis zu wahren, und das würde sie auch tun.

„Ich werde dich jetzt allein lassen.“ Nach kurzem Zögern kam sie auf Sarah zugeeilt und umarmte sie. „Es ist wirklich schön, dich hier zu haben. Ich wünschte nur …“ Sie brach ab und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. „Aber es ist gut, dass du da bist. Wir sind eine Familie und wir haben schon immer zusammengehalten.“ Noch einmal drückte sie Sarah fest an sich und verließ das Zimmer.

Etwas verblüfft, aber dennoch gerührt von der herzlichen Art ihrer Schwiegermutter, suchte Sarah das winzige Bad auf, um sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen.

Kapitel 6


Sarah hatte sich für ein gepunktetes Sommerkleid entschieden, zu dem sie ihre flachen Ballerinas tragen konnte. Die Haare hatte sie zurückgebunden. Mary, die Haushälterin, stellte sich als eine ältere Afroamerikanerin heraus, die Sarah mütterlich bevormundete und sie anschließend in den Empfangsraum neben dem Esszimmer brachte. Ein großer, um diese Jahreszeit nicht beheizter Kamin nahm die eine Seite der Wand ein. Gegenüber führten geöffnete Glastüren auf eine großzügige Terrasse. Etwas schüchtern trat Sarah ein, wurde jedoch zeitgleich von Mary mit Nachdruck in den Raum geschoben. Moira entdeckte sie als Erste und kam mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu. Sie ergriff Sarahs Hände und drückte sie fest.

„Möchtest du etwas trinken?“ Sie drehte sich suchend um. „Magst du einen Cocktail? Oder lieber etwas Härteres? Rum, Gin, Whiskey?“

Entschieden schüttelte Sarah den Kopf. „Nein danke.“

„Darren mischt einen fantastischen Planter’s Punch“, versuchte Moira sie zu überzeugen.

„Ich trinke keinen Alkohol“, erklärte Sarah.

Verwundert zog Moira eine Augenbraue hoch, und es legte sich ein wissendes Lächeln um ihren Mund. „Ich verstehe“, murmelte sie.

Nein, sie verstand nicht, dachte sich Sarah verzweifelt. Warum glaubten alle, sie sei schwanger, nur weil sie Alkohol ablehnte?

„Wann ist es denn so weit?“ Moira beugte sich verschwörerisch zu ihr.

„Überhaupt nicht“, entgegnete Sarah, und es brach ihr fast das Herz, den enttäuschten Gesichtsausdruck von Moira zu sehen. „Mir schmeckt Alkohol nicht – das hat er noch nie.“

Moira tätschelte ihr den Arm. „Schon gut“, murmelte sie, konnte die Ernüchterung jedoch nicht völlig verbergen. „Lass uns zu den anderen gehen.“ Sie führte Sarah hinaus auf die Terrasse, wo sich drei Männer angeregt unterhielten. Ethan, der ihr gegenüberstand, nickte ihr grüßend zu. Darren drehte sich um. Er betrachtete sie mit finsterer Miene. Sie schluckte. Am liebsten hätte sie kehrtgemacht und sich in ihrem Zimmer versteckt. 

„Darf ich dir Eric vorstellen?“, erklang Moiras Stimme neben ihr.

Der dritte Mann wandte sich ihr zu. Sarah musste zweimal blinzeln. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie denken, Brain stünde vor ihr. Die Ähnlichkeit war frappierend. Der einzige Unterschied zwischen den Brüdern bestand darin, dass Brain blond gewesen war, während Eric dunkelbraune Haare hatte.

„Eric!“, rief Moira begeistert. „Ich möchte dir gerne Sarah vorstellen.“

Eric trat auf sie zu. Als sie ihn ansah, bemerkte sie, dass seine Augen haselnussbraun waren und nicht blau wie Brains und Darrens.

Gut gelaunt breitete er die Arme aus und drückte Sarah an sich. „Jetzt verstehe ich, warum Brain dich vor uns versteckt hat.“

Sarah konnte nicht anders, als Eric einfach ins Herz zu schließen.

„Ich freue mich jedenfalls, dass du hier bist“, verkündete er freudestrahlend, prostete ihr zu und nahm einen Schluck von seinem bernsteinfarbenen Getränk, das verdächtig nach Whiskey aussah.

„Danke“, murmelte Sarah.

„Wie gefällt dir Louisiana?“

„So viel habe ich noch nicht gesehen“, gestand sie. „Aber Cheetah Manor ist traumhaft schön.“

„Ja, das bezauberndste Fleckchen Erde, das du finden wirst. Du musst dir die Plantage unbedingt anschauen. Die Erntezeit ist zwar die stressigste, aber auch die schönste Saison auf Cheetah Manor.“

„Wohnst du auch hier?“, fragte Sarah interessiert.

Eric legte den Kopf in den Nacken und lachte herzhaft. Er hörte sich an wie Brain. Der schmerzliche Verlust meldete sich mit einer Vehemenz, die Sarah den Atem raubte. Sie vermisste nicht nur Brain, einen guten Freund, sondern noch viel mehr ihren Bruder Alex.

„Gott bewahre, nein, ganz bestimmt nicht.“ Er stieß Darren scherzhaft in die Seite. „Ich liebe meinen Bruder sehr, aber wir beide in einem Haus, das geht nicht lange gut.“

Darren lachte nicht. Er hatte die Augen leicht zusammengekniffen und musterte Sarah.

„Darren wird dir morgen die Plantage zeigen“, verkündete Moira überschwänglich. „Nicht wahr, mein Lieber? Das tust du doch gerne.“

Seine Miene verfinsterte sich noch mehr. „Ich glaube nicht, dass sie daran Interesse hat.“

Sarah reckte das Kinn. Sie wollte sich nicht länger von diesen silber-blauen Augen einschüchtern lassen.

„Ich würde die Plantage gerne sehen“, sagte sie und war froh, dass ihre Stimme fest klang.

Er musterte sie von oben bis unten, dann schürzte er verächtlich die Lippen. „So nehme ich dich definitiv nicht mit.“

Bis gerade eben hatte sich Sarah in dem leichten Sommerkleid wohlgefühlt, nun kam sie sich völlig fehl am Platz vor.

„Darren“, ermahnte ihn Moira. „Wo sind denn deine Manieren? Sarah ist unser Gast.“

„Natürlich.“ Ein falsches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Selbstverständlich werde ich dir morgen alles zeigen.“

Es hörte sich keineswegs wie eine Einladung an, aber Sarah nickte. Jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.

„Danke“, murmelte sie und war froh, als Moira das Thema wechselte.

„Wirst du heute Nacht hierbleiben?“, fragte sie Eric.

Dieser schüttelte den Kopf. „So gerne ich mit Darren etwas umherziehen würde, fordert doch die Weberei zurzeit meine gesamte Aufmerksamkeit.“

„Probleme?“, wollte Ethan wissen.

„Nein.“ Eric schüttelte den Kopf. „Nur das Übliche. Die Chowilawus setzen wieder alles daran, unsere Geschäfte zu vereiteln, aber ich denke, ich bin ihnen einen Schritt voraus.“

„Diese …“ Darren starrte in die Ferne und ließ den Satz unvollendet. Seine Anspannung war jedoch greifbar. Wie ein lähmendes Gift legte es sich auch auf sie.

„Wenn du rechtliche Unterstützung brauchst, kannst du auf mich zählen“, bot Ethan an.

„Ich weiß.“

Sarah stand zwar dabei, fühlte sich aber aus dem Gespräch ausgeschlossen. Bereits zum zweiten Mal an diesem Tag fiel der Name Chowilawus. Zu gerne hätte sie mehr darüber gewusst. Wo lebten diese Indianer? In einem Reservat? Was verband sie mit den Morgans? Eigentlich konnte es ihr egal sein, schließlich gehörte sie nicht dazu, sie war hier lediglich Gast. Wie wohl sie sich hier auch fühlte, sie war nur geduldet.

„Lasst uns nicht weiter von Geschäften reden!“, bestimmte Darren und trank sein Whiskeyglas leer. „Gehen wir zu Tisch.“ Er bot Moira den Arm an und führte sie hinein.

Sarah starrte den beiden einen Augenblick hinterher. Doch in diesem Moment trat Eric zu ihr. „Darf ich?“, fragte er fast schüchtern, und sie legte ihre Hand in seine Armbeuge.

Ethan folgte ihnen.

Moira hatte bereits Platz genommen, während Eric sie um den Tisch herumführte und ihr den Stuhl zurechtrückte. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, setzte sich Darren an die Stirnseite. Eric nahm neben ihr Platz, Ethan setzte sich neben Moira.

Die Tafel war festlich gedeckt. Drei Gläser – ein Wasserglas, ein Rotwein- und ein Weißweinglas – standen vor ihr. Ein kleiner Teller mit einem Messer sowie drei Messer und drei Gabeln lagen vor ihr ausgebreitet. Sie schluckte. Was um alles in der Welt tat sie hier? Aß die Familie jeden Abend so opulent oder gab es zu ihrer Begrüßung ein Festmahl? Wenn sie Darren anblickte, und das musste sie unwillkürlich immer wieder, sah er nicht so aus, als scherte er sich auch nur einen Deut um ihre Anwesenheit.

Eine afroamerikanische Frau kam herein, brachte Karaffen mit Wasser und goss allen großzügig ein.

„Danke, Ivie“, sagte Darren abwesend. Er wartete, bis das Mädchen um den Tisch herumgegangen war und jedem eingeschenkt hatte.

Eine weitere Afroamerikanerin kam mit zwei Flaschen Wein, die sie beide Darren hinhielt. Er studierte die Etiketten und entschied sich schließlich für den Roten. Einer nach dem anderen ließ sich ein Glas mit einem der Weine füllen. Als schließlich Sarah an die Reihe kam, winkte sie ab.

„Möchtest du etwas anderes trinken?“, fragte Moira.

Sarah schüttelte den Kopf. Sie wollte niemandem Umstände machen.

„Du trinkst keinen Wein?“, fragte Darren, als wäre dies das Ungewöhnlichste, was er jemals erlebt hatte.

„Nein“, erklärte Sarah ruhig.

„Überhaupt keinen Alkohol?“ Es hörte sich an, als beginge sie damit ein Verbrechen.

Sarah schüttelte den Kopf.

Seine Lippen pressten sich einen Moment fest zusammen und wurden blass, ehe er in herrischem Ton befahl: „Jalia, bring einen Krug Limonade.“

Sarah begegnete Darrens unnachgiebigem Blick und sah eingeschüchtert auf den leeren Teller. Sie hasste sich dafür, dass sie sich so verunsichern ließ, und fragte sich zum wiederholten Male, was sie hier eigentlich tat. Sie drängte sich in eine Familie, die nicht ihre war, spielte allen etwas vor. Natürlich war sie neugierig auf Cheetah Manor. Der Ort war unglaublich schön, hatte etwas Magisches. Aber es war nicht ihr Zuhause. Auch wenn sie einen Teil dieser Plantage erben würde, wusste sie, dass er ihr nicht zustand und sie ihn an die Familie zurückgeben musste.

Jalia brachte eine Karaffe Limonade. Sie hatte auch ein zweites Glas für Sarah dabei und goss ihr ein. Ivie schob in der Zwischenzeit einen Essenswagen herein. Darauf standen gefüllte Brotkörbe und kleine Schälchen mit Aufstrich. Das Brot war ungewöhnlich gelb. Bei dem Anblick lief Sarah das Wasser im Mund zusammen. Sie verspürte großen Hunger. Als Eric neben ihr zugriff und sich großzügig Aufstrich auf das Brot schmierte, traute sich auch Sarah, etwas zu nehmen. Es schmeckte köstlich. Keine Ahnung, was das war, aber Sarah wollte mehr davon. Sie schob den Rest ihrer Scheibe in den Mund und musste sich zurückhalten, nicht sofort nach der nächsten zu greifen.

Sehnsüchtig sah sie dem Brot hinterher, das wieder abgetragen wurde. Aber mehr als zwei Scheiben hatte sich Sarah nicht getraut zu essen. Dem Besteck zufolge würde sie heute sicher satt werden. Sie musste nicht lange warten, da kam bereits der nächste Gang. Ein interessant garnierter Mango-Gurken-Salat mit Garnelen.

Die Unterhaltung bei Tisch lenkte Sarah ab. Ethan erzählte von seiner Reise nach Deutschland, besonders die Berge hatten ihn fasziniert.

„Man kann kaum in die Ferne sehen, sie sind immer da“, sagte Ethan.

„Liegt auf ihnen wirklich Schnee?“, wollte Moira wissen.

„Im Sommer meist nicht mehr“, gab Sarah Auskunft. „Da bestehen sie nur aus grünen Wäldern, Wiesen und Gestein.“

„Ich würde sie zu gerne einmal sehen. Ob ich sie mögen würde?“

„Brain hat die Berge geliebt. An jedem freien Tag ist er zum Wandern aufgebrochen.“ Sarah wusste nicht, warum sie das erzählte, und bereute es sofort, als sich eine bedrückende Stille über die Tafel legte.

Hühnchen mit Süßkartoffelscheiben wurde aufgetragen.

Moira tupfte sich mit der Serviette die Augen und lächelte Sarah traurig an. Sie biss auf ihre Lippe und ärgerte sich über sich selbst. Sie hatte Brains Familie nicht verletzen wollen.

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Die hügelige Landschaft im Westen und die Canyons haben Brain schon immer fasziniert. Ich freue mich, dass er die Berge kennen- und lieben lernen durfte.“

Sarah nickte Moira zu und schob sich eine Gabel mit Hühnchen in den Mund, das so weich war, dass es auf der Zunge zerfiel.

Schweigend setzten sie das Essen fort.

„Da Darren dir morgen schon die Plantage zeigt, hast du vielleicht Lust, übermorgen die Weberei anzuschauen? Was hältst du von diesem Vorschlag?“, fragte Eric.

„Stell dich eher auf nächste Woche ein“, sagte Darren bestimmt. „Wenn Sarah die Plantage wirklich erkunden will, wird sie ein paar Tage brauchen, um alles zu sehen.“

Sarahs Augen wurden groß und sie bezweifelte, dass sie eine Woche mit Darren überleben würde. Nicht, wenn er sie in Grund und Boden starrte wie heute Abend und sie die restliche Zeit vollkommen ignorierte.

„Du willst die Plantage doch richtig kennenlernen, oder?“ Es war die erste Frage, die er direkt an sie richtete.

Hastig nickte Sarah.

Ein weiterer Gang folgte mit Schweinefleisch, weißer Mousse, die nach gestampften Bohnen aussah, und grünen Bohnen.

So langsam fühlte sich Sarah satt, aber es schmeckte einfach köstlich. Mit der Sättigung kam auch die Müdigkeit. Der fehlende Schlaf machte sich bemerkbar.

„Ich sagte dir doch, du hättest auf dem Flug schlafen sollen“, sagte Ethan grinsend, als Sarah ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte.

Ihre Wangen röteten sich. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt.

„Ich werde Mary bitten, gleich den Nachtisch zu schicken.“ Moira erhob sich, und noch bevor Sarah etwas erwidern konnte, war sie verschwunden.

Kurz darauf kam Moira zurück, gefolgt von Ivie, die eilig kleine Löffel und Gabeln für die Nachspeise verteilte. Jalia fuhr den Servierwagen herein, auf dem sich fünf hübsch angerichtete Teller mit Fruchtmousse, Eis und geschnittenem Obst befanden. Ehe Sarah es sich versah, stand so ein toll dekorierter Teller vor ihrer Nase, und obwohl sie satt war, konnte sie nicht widerstehen.

Die Mousse war leicht säuerlich und kitzelte ihren Gaumen, schmeckte aber mit dem süßen Eis zusammen herrlich. Dazu das frische Obst. Bis auf den letzten Bissen aß sie den Teller leer. Sie war so voll, dass sie nun definitiv keinen Happen mehr hinunterbekam.

„Ein wunderbares Essen“, lobte Ethan und legte seine Serviette zur Seite. „Jetzt noch ein guter Schluck von deinem herrlichen Selbstgemachten und eine Zigarre.“

Moira lachte. „Dann lasst uns in die Bibliothek gehen. Ich bitte Ivie, den Moonshine dort zu servieren.“

„Ich werde mich zurückziehen“, entschied Sarah, als sich die Männer bereits erhoben hatten, um nach nebenan zu gehen. „Der Tag war sehr anstrengend und ich möchte bald zu Bett gehen.“

„Das ist verständlich, meine Liebe“, sagte Moira einfühlsam.

Auch Ethan und Eric nickten ihr freundlich zu. Nur Darren tat mal wieder, als wäre sie überhaupt nicht hier.

Gemeinsam mit den anderen verließ Sarah das Esszimmer. An der Treppe wünschten die anderen ihr eine gute Nacht und gingen hinüber in die Bibliothek. Nur Darren war nirgends zu sehen. War er schon vorgegangen oder hatte er im Esszimmer noch etwas zu tun?

Sarah drehte sich gerade um und wollte die Treppe hinaufsteigen, als sie unsanft am Arm gepackt und gegen die hölzerne Wandverkleidung gedrückt wurde. Darren ragte über ihr auf. Seine silber-blauen Augen funkelten sie wütend an.

„Was willst du hier auf Cheetah Manor?“, zischte er.

Sarah schnappte nach Luft.

„Weißt du, diese Plantage kann sehr gefährlich für Eindringlinge sein.“

Sarah versuchte sich loszumachen und davonzulaufen, doch Darren war viel zu stark. Mit seinem Körper hielt er sie mühelos an der Holzwand fest.

Nun griff er nach ihrem Gesicht, hielt sie am Kinn fest und hob ihren Kopf an. Sarah blieb nichts anderes übrig, als Darren direkt anzublicken.

„Willst du mir etwa drohen?“, keuchte sie.

„Nein“, murmelte er und betrachtete sie mit einem unergründlichen Blick. „Jede Frau hat ihren Preis. Ich werde deinen herausfinden und dafür sorgen, dass du Cheetah Manor so schnell wie möglich wieder verlässt.“ Sein Hass schlug ihr ungefiltert entgegen.

Er lehnte sich noch etwas mehr gegen Sarah, sodass sich sein Körper noch stärker an den ihren presste. Darren Morgan war eine Naturgewalt, das wurde ihr in diesem Moment klar. Sie wollte ihn nicht zum Feind haben. Was hatte sie getan, dass er sie so behandelte?

„Ich werde nicht gehen“, entgegnete sie trotzig.

„Das werden wir sehen.“

„In New Orleans gibt es einen Anwalt, den ich aufsuchen werde, und der wird mich unterstützen, damit alles rechtens zugeht.“

„Du bist nicht gemacht für den rauen Süden. Ein Püppchen wie du wird auf einer Plantage wie dieser nicht lange überleben.“

„Ich bin kein Püppchen“, entgegnete Sarah zornig. „Ich kann durchaus mit anpacken und bin mir für nichts zu schade.“

Abrupt trat Darren zurück und Sarah verlor beinahe das Gleichgewicht.

„Das werden wir sehen“, wiederholte er seine Worte. „Morgen, um sieben Uhr, hier in der Halle. Zieh dir ordentliche Schuhe an, wir werden den ganzen Tag unterwegs sein.“ Darren wandte sich ab und war so schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Erleichtert, dass er fort war, sank Sarah auf der Treppe zu Boden und begann am ganzen Körper zu zittern. Was war das gewesen? Sie fühlte sich plötzlich unendlich ausgelaugt und erschöpft, als hätte sie zusätzlich zu einem Hundertmeterlauf noch einen Boxkampf hinter sich gebracht. Nur noch an ihr Bett denkend, zog sie sich mit letzter Kraft am Treppengeländer hoch und wankte in ihr Zimmer.

Kapitel 7


Als Darren die Bibliothek betrat, hatte Moira bereits jedem ein Gläschen ihres schwarzgebrannten Cognacs eingeschenkt. Schweigend setzte sich Darren und lauschte dem Gespräch über ein neues Abrechnungsprogramm, das Ethan seinem Bruder für die Weberei empfahl.

„Ich werde es mir überlegen“, schloss Eric die Diskussion darüber ab.

„Geht es dir gut?“, erkundigte sich Moira bei Darren.

„Ja, warum?“

Moira betrachtete ihn nachdenklich. „Du wirkst etwas abwesend.“

„Ich denke nach“, wich er seiner Mutter aus.

„Über Sarah?“, hakte Eric nach. „Sie ist einfach großartig. Ich verstehe nur nicht, warum Brain sie nicht viel früher hierhergebracht hat.“

„Ich finde, du hättest ihr gegenüber ruhig etwas freundlicher sein können“, wies Moira Darren zurecht. „Zumindest das bist du Brain schuldig.“

In aller Seelenruhe griff Darren nach einer Zigarre und zündete sich diese an. „Ich wüsste nicht, weshalb ich in Brains Schuld stehen sollte“, sagte er schließlich.

„Sie hat dir nichts getan, im Gegenteil. Sie ist die Frau, die Brain geliebt hat. Denkst du nicht, dass sie etwas anderes verdient als deine Ignoranz?“, frage Moira.

„Sie gehört nicht hierher, sie gehört nicht in unsere Familie. Ich habe keinen Schimmer, was Brain an ihr gefunden hat. Sie wird bald wieder verschwinden, von daher lohnt es sich nicht, freundlich zu ihr zu sein.“ Genüsslich zog Darren an seiner Zigarre und paffte die Rauchwolke in die Luft.

„Was sagt der Cheetah?“, fragte Ethan.

Darren zuckte mit den Schultern. „Ich bin noch unschlüssig“, gestand er. Seit sie da war, streifte der Gepard unruhig hin und her. Sein Jagdinstinkt war geweckt. Dieser war bisher nur angesprungen, wenn Cheetah Manor in Gefahr schwebte. Bisher roch Sarah nicht nach Gefahr – ganz im Gegenteil. Sie roch wie die dunkelroten Rosen im Garten. Voll und blumig und absolut süchtig machend. Sarah Beck – eine Frau, die es nicht einmal für nötig gefunden hatte, den Namen seiner Familie anzunehmen – war intelligent. Früher oder später würde sie beginnen, Fragen zu stellen, würde dem Familiengeheimnis auf die Spur kommen, ehe sie ihre Sachen packte und Cheetah Manor für immer verließ.

„Ich hoffe, du benimmst dich, wenn du ihr die Plantage zeigst“, murmelte Eric und nahm einen großen Schluck.

„Wenn dir so viel an ihr liegt, solltest du sie vielleicht herumführen“, gab Darren bissig Kontra.

„Wenn Sarah die Weberei sehen möchte, jederzeit, aber erst einmal interessiert sie sich für die Plantage. Sei einfach ein klein wenig wie sonst auch.“

Darren antwortete nicht. Er hatte keine Lust, sich mit seinem Bruder zu streiten. Es war gut, dass Eric nicht hier auf Cheetah Manor lebte. Sie beide über einen längeren Zeitraum zusammen, das ging ganz und gar nicht gut. Und egal was Eric sagte, Darren würde seinen Plan durchziehen und Sarah Beck zeigen, dass sie für das Leben auf Cheetah Manor nicht gemacht war.

Kapitel 8


Sarah war aufgeregt. Heute würde Darren ihr Cheetah Manor zeigen. Sie freute sich darauf, die Plantage kennenzulernen, aber warum musste ausgerechnet Darren sie begleiten? Nach ihrem kurzen unfreundlichen Zusammentreffen gestern Abend wollte sie ihm am liebsten aus dem Weg gehen. Obwohl sie müde gewesen war, hatte sie lange nicht schlafen können. Immer wieder gingen ihr die schroffen Worte von Darren durch den Kopf. Er hatte ihr sehr deutlich gesagt, dass sie hier nicht willkommen war. Sarah war schon versucht gewesen, ihre Tasche zu packen und den Taxifahrer anzurufen. Nur die Tatsache, dass es mitten in der Nacht war und sie sich davor fürchtete, allein die einsame Straße entlangzugehen, hielt sie davon ab, unvernünftig und überstürzt abzureisen.

Als die Sonne aufging, fühlte sie sich noch immer erschöpft. Aber das Licht der ersten Sonnenstrahlen brachte ihr die Hoffnung zurück, dass sie Darren beweisen konnte, kein Modepüppchen zu sein. Sie war es gewohnt, anzupacken, und war durchaus bereit, dazuzulernen.

Sarah öffnete die Tür zu ihrem kleinen Balkon und trat hinaus. Die unbekannten Geräusche ließen sie einen Moment zögern. Es war bereits jetzt unglaublich heiß. Trotzdem hatte sie sich für eine lange Jeans und ein einfaches T-Shirt entschieden. Das Gesicht und die Arme hatte sie großzügig mit Sonnencreme eingerieben. Mit ihrer Sonnenbrille bewaffnet ging sie hinunter in den Eingangsbereich, wo Darren bereits auf sie wartete.

Er trug ebenfalls Jeans, dazu ein dunkles Poloshirt, Sonnenbrille und einen Hut. Egal worin, Darren Morgan machte in allem eine gute Figur. Sarah schluckte ihre Unsicherheit hinunter und ging auf ihn zu.

„Fertig?“, fragte er mit seinem breiten Südstaatenakzent, den sie ungemein sexy fand.

Sie nickte.

Darren machte eine einladende Handbewegung Richtung Tür. Als Sarah an ihm vorbeiging, folgte er ihr.

Vor dem Haus parkte ein Pick-up. Als Sarah zur Beifahrertür ging, wurde ihr plötzlich etwas auf den Kopf gedrückt. Erschrocken zuckte sie zusammen und besah von unten den hässlichen gelben Strohhut, den Darren ihr aufgesetzt hatte.

„Den wirst du brauchen“, sagte er unbeirrt, ging an ihr vorbei auf die andere Seite des Wagens und stieg ein.

Sarah saß kaum, als Darren auch schon losfuhr. Sie preschten die eichengesäumte Einfahrt entlang und bogen dann nach links ab. Darren schwieg. Sarah wusste nicht, wie sie ein Gespräch beginnen sollte, so betrachtete sie die faszinierende Umgebung. Hier im Auto war es dank der Klimaanlage angenehm kühl. Die Landschaft war einfach nur schön. Durch das Wasser des Mississippis war alles grün, und auch die Hitze konnte der Landschaft kaum etwas anhaben.

„Ist es im Sommer immer so heiß?“, fragte Sarah schließlich.

„Das Wetter ist gut“, erklärte Darren. „Seit zwei Wochen hat es nicht geregnet, perfekt für die Baumwollernte. Wir hoffen, dass der Regen und die Stürme noch ein paar Wochen auf sich warten lassen.“

Sarah verstand, dass trockenes Wetter wichtig war, aber gegen etwas Regen und damit Abkühlung hätte sie wirklich nichts gehabt. Auf Stürme konnte sie getrost verzichten. Sie erinnerte sich allzu gut an die Bilder, die vor mehr als zehn Jahren um die Welt gegangen waren, als der Hurrikan Katrina über New Orleans so vernichtend gewütet hatte. Wie schlimm hatte der Wirbelsturm auf Cheetah Manor gewütet?

„Dort hinten liegt Cheetahville.“ Darren zeigte auf eine Baumgruppe, hinter der sich ein paar Dächer versteckten. „Auf dem Rückweg können wir dort vorbeifahren.“

„Gehört Cheetahville auch zur Plantage?“

„Früher.“ Darren machte keine Anstalten, ihr mehr zu erzählen. Sarah rang mit sich. Sollte sie noch einmal nachfragen? Sie war neugierig, wollte mehr über diesen wunderschönen Ort erfahren.

Ein paar Minuten später erreichten sie die ersten Baumwollfelder. Unendlich weit erstreckte sich zu beiden Seiten ein weißes Meer. Noch nie in ihrem Leben hatte Sarah eine Baumwollpflanze gesehen, und ein Baumwollfeld in diesem Ausmaß zu erleben, erfüllte sie mit Ehrfurcht.

„Die Felder hier brauchen noch ein paar Wochen, bis alle Knospen aufgesprungen sind.“

Fasziniert betrachtete Sarah die endlos langen Reihen der Baumwollpflanzen, bis diese von grünen Gewächsen abgelöst wurden.

„Was wird hier angepflanzt?“ Sarah wollte unbedingt mehr über die Plantage erfahren.

„Nichts.“ Darren winkte ab. „Der Boden braucht hin und wieder eine Auszeit, um sich zu erholen und neue Nährstoffe zu sammeln. Das Grün wird Ende des Sommers abgemäht und nächstes Jahr gibt es hier gesunde Baumwollpflanzen.“

Sarah vermied es, Darren anzusehen. Sie fühlte sich in seiner Nähe unwohl. Er machte absolut keinen Hehl daraus, dass er keinen Wert auf ihre Gesellschaft legte.

„Dort vorne wollen wir hin.“

Am Horizont zeigte sich ein weißer Streifen, der schnell größer wurde. Je näher sie dem Baumwollfeld kamen, umso mehr Einzelheiten erkannte Sarah. Etliche Autos parkten dort, riesige Lkws krochen langsam die Straße hinauf und verschwanden hinter dem Horizont. Darren bog auf einen staubigen Feldweg ab und parkte den Pick-up dort.

„Den Rest gehen wir zu Fuß“, verkündete er und stieg aus.

Sarah beeilte sich, ihm zu folgen. Hitze schlug ihr entgegen, und sie glaubte einen Moment, keine Luft zu bekommen. Sie rückte den Strohhut zurecht und trat neben Darren, der auf sie wartete. Noch ehe Sarah den Pick-up umrundet hatte, klebte das T-Shirt unangenehm an ihrem Rücken.

„Sind die Erntemaschinen kaputt?“, fragte Sarah verblüfft, als sie zwischen den Baumwollsträuchern unzählige Menschen entdeckte.

Darren lächelte. Er wirkte vollkommen zufrieden und entspannt. „Das ist das Geheimnis von Cheetah Manor“, verkündete er stolz. „Seit dem 18. Jahrhundert, als mein Urururgroßvater Cheetah Manor erworben hat, wird hier per Hand geerntet. Wir bauen die Baumwolle an wie vor hundert Jahren, ohne Pestizide, ohne Chemie und ohne Maschinen, die den Boden und die Pflanzen zerstören und nur unreine Baumwolle produzieren.“

Sie erreichten das Feld. Von allen Seiten wurde Darren begrüßt. Ihr warf man neugierige Blicke zu. Soweit sie sehen konnte, waren hier nur Afroamerikaner. Männer mit Leinenhosen, hellen Hemden und Strohhüten. Frauen mit Schürzen über den Röcken und Hauben oder ebenfalls Strohhüten. Sie alle trugen riesige Umhängetaschen, in denen sie die Baumwolle sammelten. Am Rande der Felder entstanden riesige Baumwollhaufen. Männer waren damit beschäftigt, die kostbare weiße Fracht auf Lkws zu verladen und abzutransportieren. Obwohl alle hart arbeiteten, spürte Sarah eine entspannte, freudige Stimmung. Sie kam sich vor wie an einem Filmset oder tatsächlich in der Vergangenheit. Lediglich die Autos passten nicht in dieses Bild.

Darren führte sie zu einem der mannshohen Wollhaufen und griff hinein. Er zupfte die Wolle etwas auseinander und roch daran. Dann reichte er ihr die Baumwolle. Es war das erste Mal, dass Sarah das Rohprodukt in Händen hielt. Staunend betrachtete sie die federleichten Pflanzenhaare.

„Unsere Baumwolle hat lange Fasern, ist absolut weiß und trocken. Wir werden dieses Jahr eine großartige Ernte haben, von allerbester Qualität.“

Nachdenklich betrachtete Sarah die Baumwolle. Dass sie weiß und trocken war, konnte sie bestätigen. Die langen Fasern suchte sie vergebens, dafür fehlten ihr einfach die Vergleichsmöglichkeiten.

„Das ist reine Baumwolle“, erklärte ihr Darren stolz. „Würden wir die Felder mit Maschinen ernten, hätten wir viel zu viele Pflanzenreste darin. Nicht einmal die besten Rüttelmaschinen bekommen das wieder heraus. Deshalb ernten wir mit der Hand.“ Er hob den Arm und winkte einem älteren, tiefschwarzen Mann zu. „Elias, hast du zwei Säcke für uns?“

Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht des Afroamerikaners, als er eine Reihe blitzweißer Zähne entblößte. „Für dich immer, Darren.“ Er holte von einem Truck zwei Stoffknäule und warf sie Darren zu, der sie mit Leichtigkeit auffing. Langsam wickelte er die Knäule auf, und zwei große Leinentaschen, wie sie die Ernter trugen, kamen zum Vorschein.

„Log geht’s, Chiquita.“

Überrascht fing Sarah die Tasche auf und sah zu, wie Darren sich seine umhing.

Zögernd tat sie es ihm gleich und lief ihm hinterher. Er betrat das Baumwollfeld und wartete an einer reifen Pflanze auf sie.

„Es ist überhaupt nicht schwer“, erklärte er, ohne aufzublicken. „Du zupfst die Baumwolle von der geöffneten Kapsel und steckst sie in den Sack. Wenn du vorsichtig bist, bleibt das Geäst an der Pflanze. Je sorgfältiger du zupfst, umso besser wird die Qualität der Wolle.“

Sarah versuchte sich an einer Pflanze. Gewissenhaft zog sie die reife Wolle von den Kapseln. Darren war bereits zwei Pflanzen weiter, als sie mit ihrer ersten fertig war. Dabei hatte er auch noch die andere Reihe neben sich abgearbeitet. Sie versuchte nun, an Tempo zuzulegen. Die Sonne brannte unbarmherzig von oben. Sarah war durstig, doch vor Darren wollte sie sich keine Blöße geben. Tapfer zupfte sie weiter. Die Zeit verging, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass sie nur ein paar Meter geschafft hatte. Wie lange wollte Darren sie pflücken lassen? Er war bereits einige Meter vor ihr und unterhielt sich mit einer Afroamerikanerin, deren Alter sie nicht schätzen konnte. Sarah richtete ihre Aufmerksamkeit auf die nächste Baumwollpflanze und erntete das weiße Gold.

Irgendwo begann ein Mann zu singen. Ein weiterer stimmte mit ein. Der Gesang schwoll weiter an. Alle schienen das Lied zu kennen. Sarah hatte noch nie viel mit Blues anfangen können, fand die Musik immer viel zu unkoordiniert. Aber das hier gefiel ihr richtig gut. Es vermittelte eine Zusammengehörigkeit. Sie alle waren sowohl bei der Arbeit als auch im Gesang eine Einheit. Unwillkürlich wurde sie von der Musik gepackt und wippte im Takt mit. Die Arbeit ging viel leichter von der Hand und eine ungekannte Leichtigkeit erfasste sie. Die Müdigkeit, die sie zuvor ergriffen hatte, war wie weggeblasen. Lächelnd verrichtete sie ihre Arbeit, bewegte dabei den Kopf hin und her. So machte das Ernten wirklich Spaß. Die Zeit verging, und als sich Sarah umdrehte, sah sie den Beginn der Reihe, in der sie pflückte, nicht mehr. Die Musik wurde immer leiser, denn die Ernter hatten sie längst überholt und waren weitergezogen. Nur Darren war noch in ihrer Nähe. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die schweißbedeckte Stirn und wünschte sich ein Handtuch.

„Du machst dich gut.“

Überrascht blickte Sarah Darren an, dessen Leinensack prall gefüllt war, während ihrer nur zur Hälfte voll war.

„Wow!“, murmelte sie sarkastisch. „Ein Lob aus deinem Mund.“

Spöttisch hob er eine Augenbraue. „Jedem das, was ihm zusteht.“ Er drehte sich zum Horizont und deutete in die Ferne. „Du hast noch einiges vor dir.“ Damit ließ er sie stehen.

Grimmig blickte sie ihm hinterher und fing dann wieder mit dem Pflücken an. Der Durst und die Hitze waren inzwischen unerträglich. Wenn sie nicht zusammenklappen wollte, musste sie einen Schluck Wasser auftreiben.

Ihr Retter in der Not war niemand anderes als Darren, der mit einem leeren Sack und zwei Wasserflaschen zurückkam.

„Du siehst aus, als könntest du etwas zu trinken vertragen.“ Überlegener Spott schwang in seiner Stimme mit, als er ihr die Flasche in die Hand drückte.

Sarah trank gierig. Sie fühlte sich tatsächlich wie eine Verdurstende. Auch Darren trank, schraubte die halb leere Flasche wieder zu und befestigte sie in einer Schlaufe rechts am Gürtel. Geduldig wartete er, bis Sarah ihre Wasserflasche geleert hatte, und fixierte sie an einer zweiten Schlaufe zu seiner Linken.

„Wie lange pflücken wir hier noch?“, platzte es aus Sarah heraus.

Darren grinste sie schief an. „Bis du mit deiner Reihe fertig bist. Es sei denn, du möchtest nach Hause fahren.“

Entschieden schüttelte Sarah den Kopf. Sie wollte nicht klein beigeben. Darren würde es als Beweis verbuchen, dass sie für eine Plantage nichts taugte. Diese Genugtuung wollte sie ihm nicht gönnen.

„Also gut“, entgegnete sie entschlossen und fuhr fort, die Baumwolle von den Kapseln zu zupfen. Die Umhängetasche wurde immer schwerer, dennoch war kein Ende in Sicht. Als die Tasche ziemlich voll war, trat sie den Rückweg an. Am Feldrand waren einige der jüngeren Männer damit beschäftigt, die Baumwollberge auf einen der Trucks zu laden. Etwas außer Atem kam Sarah an dem Baumwollhaufen an und leerte ihre Tasche. Der Inhalt ihres Beutels verschwand in dem meterhohen Berg, als hätte sie nie etwas herangeschleppt. Leicht deprimiert machte sie sich auf den Weg zurück in die Feldmitte. Sie fand die Stelle, an der sie aufgehört hatte. Von Darren war weit und breit nichts zu sehen. Er musste hinter der Horizontlinie zupfen.

Seufzend machte sie sich wieder an die Arbeit. Das T-Shirt klebte ihr mittlerweile nicht nur am Rücken, auch unter den Armen hatten sich große Schweißflecken gebildet. Immer wieder wischte sich Sarah über die klitschnasse Stirn.

Sie suchte den Horizont ab, in der Hoffnung, das Ende des Feldes zu erspähen. Ein weiteres Mal wurde ihre Tasche voll und sie fragte sich, warum Darren nicht an ihr vorbeigekommen war. Er arbeitete weit vor ihr, doch inzwischen sah sie ihn wieder. Ab und an lief einer der Pflücker mit einer vollen Umhängetasche vorbei. Hatte ihm jemand seinen Leinensack abgenommen?

Sie schleppte ihre Tasche über das leere Feld und schüttete den Inhalt auf den nicht kleiner werdenden Baumwollhaufen.

„Hier, Mädchen!“, rief einer der Männer und warf ihr eine Flasche zu. Erleichtert fing Sarah sie auf und trank durstig. „Du schlägst dich gut für deinen ersten Tag.“

Sarah lächelte ihn an und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Sie hätte gerne den Hut abgenommen und die Flasche über sich ausgekippt.

„Danke“, murmelte sie und reichte dem Arbeiter die Flasche zurück. Sarah griff sich ihre Umhängetasche und marschierte wieder los.

„Wenn dein Sack das nächste Mal voll ist, lauf in die andere Richtung, das ist kürzer“, rief der Mann ihr hinterher und schob seinen Hut etwas weiter in den Nacken.

Sarah nickte und stapfte durch das abgeerntete Feld. Warum war sie nicht früher darauf gekommen? Natürlich war die andere Seite näher. Deshalb war auch Darren nicht mehr an ihr vorbeimarschiert. Er hatte seine Tasche auf der anderen Seite des Feldes entleert.

Wütend auf sich selbst und auf ihn, dass er sie in dieser Hitze schuften ließ, machte sie sich wieder an die Arbeit. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah sie nun endlich das andere Ende des Feldes. Auch hier türmten sich meterhohe weiße Baumwollberge, die sanken, wenn der Lkw kam und wuchsen, wenn die Ernter ihre Säcke leerten.

Leise, weil sie noch zu weit entfernt war, hörte sie die Lieder der Pflücker. Darren war nirgends mehr zu sehen. Hatte er sich etwa aus dem Staub gemacht und sie hier absichtlich allein gelassen? Sie überlegte kurz, ob sie nach ihm suchen sollte, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. Sie würde diese Reihe zu Ende machen, selbst wenn sie bis tief in die Nacht pflückte. Die Sonne stand weit über ihr, es musste bereits Mittag sein. Ihr Magen knurrte und meldete sich unbarmherzig zu Wort. Sarah arbeitete schweigend weiter, konzentrierte sich auf die Pflanzen. Deshalb erschrak sie ziemlich, als sie plötzlich gegen etwas Hartes stieß. Es war Darren, der von der anderen Seite begonnen hatte, ihre Reihe abzuernten.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich und suchte nach einer aufgebrochenen Kapsel, die noch abzuernten war.

„Kein Problem. Nachdem wir nun fertig sind, können wir nach Hause fahren.“ Er nahm Sarah die Erntetasche ab und lief zügig los.

Sarah eilte ihm hinterher. „Danke für deine Hilfe“, keuchte sie, als sie ihn eingeholt hatte.

„Es ist längst Zeit für die Mittagspause und ich habe Hunger.“

Natürlich. Wie kam sie nur zu der Annahme, dass Darren Morgan nett zu ihr war? Sie presste die Lippen fest aufeinander und stapfte hinter ihm her.

Bei den Baumwollbergen angekommen, schüttelte Darren die Säcke aus, vergewisserte sich, dass sich keine Zweigchen und Baumwolle mehr in der Tasche befanden, und rollte sie wieder zusammen. Als eine Pflückerin mit einem übervollen Beutel auf sie zukam, packte Darren mit an. Er hielt die Tasche fest, während die korpulente, aber bewegliche Afroamerikanerin sich aus dem Tragegurt befreite.

„Danke.“ Sie griff nach ihrer Wasserflasche an ihrem Gürtel und trank einen Schluck, während Darren den Leinensack entleerte.

„Du warst heute lange hier“, sagte sie in Darrens Richtung gewandt.

„Sarah möchte die Plantage kennenlernen“, antwortete Darren abwesend.

Die Afroamerikanerin drehte sich zu Sarah um, musterte sie von oben bis unten. „Und du denkst, sie ist eine geeignete Plantagenarbeiterin?“, fragte sie zweifelnd.

„Ich will nicht …“

Darren unterbrach sie schroff. „Sie wird nicht lange auf Cheetah Manor sein. Sarah kommt ursprünglich aus Deutschland.“

Als sie das erste Mal ihren Namen aus seinem Mund hörte, jagte es ihr ein Schaudern über den Rücken. Er sprach es amerikanisch aus, während sich die restliche Familie bemüht hatte, ihren Namen deutsch klingen zu lassen.

„Deutschland?“ Die Frau schnappte überrascht nach Luft. „Ein weiter Weg.“

Sie hatte den Mund bereits für eine Erwiderung geöffnet, klappte ihn jedoch zu, als sie Darrens grimmigen Blick auffing.

„Wir gehen!“, verkündete er und wies auf das Feld.

Für einen Moment schloss Sarah die Augen. Sie hatte völlig vergessen, dass der Pick-up auf der anderen Seite stand und sie noch einmal über das gesamte Feld laufen mussten. Trotz der Turnschuhe schmerzten ihre Füße, ebenso wie ihre Finger. Nachdem sie diese nun einige Minuten nicht benutzt hatte, hatte sie das Gefühl, nie wieder zugreifen zu können.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739452487
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juni)
Schlagworte
Panther Baumwolle Louisiana Fantasy Gestaltwandler Gepard Familie Liebe Plantage Cheetah Romance Urban Fantasy Liebesroman

Autor

  • Melissa David (Autor:in)

Ich schreibe Bücher, die dein Herz berühren und dich in fantastische Welten abtauchen lassen.
Melissa David wurde 1984 in einem historischen Städtchen in Bayern geboren. Lange bevor sie schrieb, hatte sie den Kopf schon voller Geschichten. Seit 2015 ist sie als Selfpublisherin unterwegs.
Der enge Kontakt zu ihren Lesern ist ihr eine Herzensangelegenheit, die sie über Facebook, ihren Blog und den zweiwöchentlichen Newsletter pflegt.
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Titel: Cheetah Manor - Das Erbe