Lade Inhalt...

Enemy, be mine

Verhängnisvolle Gefühle

von Samira Wood (Autor:in) Alina Jipp (Autor:in)
288 Seiten
Reihe: Enemy, Band 1

Zusammenfassung

Keyla ist die jüngste Tochter eines Mafiabosses, doch als der sie verheiraten will, ergreift sie die Flucht und läuft ausgerechnet Antonio in die Arme, dem Sohn des größten Feindes ihres Vaters. Er will sie für sich, ohne zu ahnen, wer sie ist und dass er sie töten soll. Zwei Menschen, die nicht nur gegen die Regeln ihrer Väter kämpfen, sondern um ihr Leben, treffen sich durch Zufall und kommen nicht mehr voneinander los. Antonio und Keyla wollen nicht wie Romeo und Julia enden. Sie wollen leben und ihren eigenen Weg gehen, doch um das zu schaffen, müssen sie kämpfen. Richtig und Falsch. Gut und Böse. Die Grenzen verwischen. Eine verbotene Liebe im Mafia Milieu.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Samira Wood

 

Enemy, be mine

Verhängnisvolle Gefühle

 

Kapitel 1

Keyla

Genervt pustete ich mir eine Strähne meines Haars aus der Stirn und rannte regelrecht in mein Zimmer. Ich liebte meinen Dad ja eigentlich die meiste Zeit noch – früher war er mein Held gewesen, aber da war ich mir seiner Schwächen noch nicht so bewusst wie heute. Allerdings trieb er mich jetzt auch einmal mehr zur totalen Weißglut. Wann würde er endlich einsehen, dass ich erwachsen war? Morgen feierte ich meinen neunzehnten Geburtstags und nicht den neunten, er konnte mir echt nicht untersagen, mit meinen Freundinnen auszugehen und zu feiern.

Doch genau das tat er, wie fast immer verbot er es einfach. Angeblich weil es zu gefährlich war. Ich schnaufte frustriert. Immer war alles zu gefährlich und wenn er könnte, würde er mich in einem Glaskasten halten, damit mir ja niemand zu nahe kam. Was für ein Schwachsinn, nirgendwo war ich in größerer Gefahr, als hier zu Hause. Immerhin lebte ich im Haus von einem der gemeingefährlichsten Männer der Vereinigten Staaten, obwohl er nach außen hin den seriösen Geschäftsmann spielte. Mich täuschte er schon lange nicht mehr. Ich wusste genau, womit er sein Geld verdiente und auch, wie schnell man sich ihn zum Feind machen konnte. Seit Jahren hatte ich meine Augen und Ohren überall, ohne dass er begriff, wie viel ich inzwischen über ihn und seine Organisation wusste.

Angeblich wollte er mich nur beschützen. Das war immer seine Ausrede für alles. Ich durfte bereits früher außerhalb der teuren Privatschule das Haus kaum verlassen und wenn doch, dann immer in Begleitung von mehreren Bodyguards. Nun saß ich fast völlig daheim fest. Langsam hatte ich echt keinen Bock mehr, das artige Töchterchen zu spielen. Zumal ich gar nicht so brav war, wie er dachte. Nur würde das mein Vater nie erfahren, dafür sorgte ich. Solange ich alles tat, was er sich wünschte, konnte ich hier im Luxus leben, aber ich hatte wirklich keine Lust, das Schicksal meiner großen Schwester zu teilen. Ein goldener Käfig war besser als einer aus Stahl, auch wenn es immer noch ein Käfig blieb.

Andere würden mich wahrscheinlich um mein Zuhause beneiden. Ich lebte in einer riesigen Villa, hatte drei Zimmer, ein eigenes Bad, Zugang zu vier verschiedenen Pools, einen Kinoraum, einen Privatstall mit herrlichen Pferden, die ich in der eigenen Reithalle ritt … Doch ich würde gern auf alles verzichten, wenn ich dadurch meine Freiheit bekommen könnte. Bloß das würde mein Vater nicht zulassen. Er erlaubte mir ja nicht einmal an einer der großen Universitäten studieren, sondern musste ein Fernstudium absolvieren. Mein Vater kontrollierte jeden Schritt meines Lebens. Am liebsten würde ich mich offen gegen ihn auflehnen, allerdings traute ich mich letztendlich einfach nicht. Ab und zu schaffte ich es zwar, für eine sehr kurze Zeit auszubrechen, jedoch nur so, dass er es ja nicht mitbekam. Seit ich den Highschoolabschluss hatte, wurde das allerdings immer schwerer, vorher durfte ich wenigstens zur Schule gehen, aber jetzt saß ich fast die ganze Zeit hier im Haus fest. Ich hatte es so satt, bloß was sollte ich tun?

Niemand legte sich mit Juan Rodriguez an, auch nicht seine Familie. Meine Mutter Rosanna hatte es gewagt, als meine Schwester Emma sich in den Stallburschen verliebte. Sie hatte sich dafür ausgesprochen, die Liebenden nicht zu trennen und mein Vater rächte sich hierfür. Sechs Monate lang war Mom angeblich auf einer Weltreise gewesen, doch daran glaubte ich keine Minute. Seit sie wieder da war, sah ich sie kaum. Sie durfte ihr Schlafzimmer nicht verlassen und ich durfte dort nicht hinein. Was er genau mit ihr tat, wollte ich gar nicht so genau wissen. Und Emma? Sie hatte eine pompöse Hochzeit mit Dads rechter Hand gefeiert und seitdem hatte ich sie gar nicht mehr zu sehen bekommen. Achtzehn Monate ohne ein einziges Lebenszeichen von ihr. Dabei war Raûl noch immer ständig hier im Haus, obwohl er nicht mehr in seinem Zimmer schlief, wie vor der Hochzeit so oft.

Ich warf mich auf mein Bett und griff frustriert nach meinem Handy, um meine beste Freundin Maria anzurufen und mich bei ihr auszuheulen. Ein Wunder, dass mein Vater mir das nicht auch längst weggenommen hatte. So blieb ich immerhin in Kontakt mit meinen Freundinnen. Ab und zu durfte ich ja tatsächlich mal zu ihnen. Allerdings wurden diese Treffen in letzter Zeit immer seltener.

»Hey Keyla, wann soll ich bei dir aufschlagen, damit wir uns fertigmachen können? Ich habe das perfekte Kleid für dich, jeder Kerl wird sich sofort in dich verlieben.« Wie so oft plapperte sie gleich ohne Punkt und Komma los, ohne mich zu Wort kommen zu lassen. Manchmal machte mich das wahnsinnig, aber meistens wartete ich nur, bis sie fertig erzählt hatte. Sie war halt so und als ihre beste Freundin, musste ich sie so nehmen. Außerdem hatte sie es mit mir bestimmt auch nicht immer einfach und sie war eine der wenigen, die sich nicht von den Sicherheitsvorkehrungen hier im Haus abschrecken ließ und mich besuchen kam. »Keyla? Du sagst ja gar nichts.« Nun war ich wohl so in Gedanken gewesen, dass ich ihre Sprechpause verpasst hatte.

»Sorry, Süße. Ich bin heute ein bisschen unaufmerksam.«

»Was ist los? Sag nicht, dein Vater ruiniert uns die Party und du darfst wieder nur mit Bodyguards raus.« Ihre Stimme klang schon jetzt sauer, wie würde es erst werden, wenn sie die Wahrheit erfuhr? Irgendwann würde er es auch noch schaffen, meine letzten Freunde zu vertreiben.

»Nein, keine Bodyguards, die sind auch unnötig, ich darf nämlich gar nicht feiern gehen.« Frustriert ballte ich meine freie Hand zu einer Faust und schlug mehrmals auf mein Kissen ein.

»Was? Das meinst du jetzt aber nicht so, wie du es sagst, oder?« Als würde ich darüber Witze machen. Seit Wochen freute ich mich auf diesen Abend und das auch meinem Vater immer wieder gesagt. Vor dem heutigen Abend hatte er eigentlich nie irgendwas gegen unsere Pläne gehabt. Doch nun gab es angeblich eine neue Gefahr, wegen der ich im Haus bleiben sollte.

»Nein, leider nicht. Du musst allein mit Vivian ausgehen. Trinkt einen für mich mit.« Vivian war meine andere beste Freundin. Ihr Vater war ein Geschäftsfreund von meinem oder so etwas ähnliches. Mit der Mafia hatte er wohl nichts zu tun, oder er wusch das Geld. Genauen Einblick in die Geschäfte kriegte ich ja kaum, zumindest nicht offiziell. Ich bekam nur hier und da einiges mit. Aber so hatten Maria und ich uns kennengelernt. Es war ein langweiliges Geschäftsessen vor sechs Jahren gewesen, bei dem wir beide anwesend sein mussten. Auf Anhieb hatten wir uns super verstanden und seitdem trafen wir uns immer wieder. Sie war zwar erst siebzehn, aber im Gegensatz zu mir hatte sie sehr viele Freiheiten. Zweimal hatte ich bei ihr die Nacht verbringen dürfen und das waren die bisher aufregendsten Nächte meines Lebens gewesen.

Allein der Gedanke daran, heiterte mich schon etwas auf. Wir hatten uns aus dem Haus geschlichen und mit gefälschten Ausweisen die Clubs unsicher gemacht. Beinahe wären wir von einem der Leute meines Vaters erwischt worden, aber zum Glück waren wir ihm in letzter Minute entronnen.

»Frag doch, ob du bei mir übernachten darfst. Dann könnten wir ausgehen.« Marias Idee klang eigentlich ganz gut, wenn nicht morgen mein Geburtstag wäre, könnte sie sogar funktionieren.

»Er wird mir nie erlauben, heute Nacht woanders zu schlafen. Morgen ist schließlich mein Geburtstag. Vielleicht können wir es nachholen.« Das wäre zwar nicht dasselbe, allerdings besser als gar nichts. Maria stöhnte, gab sich aber mit meinem Versprechen zufrieden, dass ich meinen Vater fragen würde. Nach weiteren zehn Minuten, in denen sie mir mindestens ebenso oft versicherte, wie mies sie das Verhalten meines Dads fand, verabschiedeten wir uns. Auch wenn ihre Flüche über ihn mir nicht halfen, so heiterten sie mich doch zumindest etwas auf. Leider konnte man sich seine Familie nicht aussuchen, sonst hätte ich sicher nicht gerade einen Drogen- und Mafiaboss als Erzeuger genommen. Was nutzte einem all das Geld, wenn man nie frei sein durfte? Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ahnte, was mein Vater noch alles plante.

Das erfuhr ich erst am nächsten Tag beim Mittagessen anlässlich meines Geburtstags. Eigentlich hatte ich gehofft, wenigstens heute meine Mutter und Schwester sehen zu dürfen. Doch als ich das Esszimmer betrat, saßen dort an ihrer Stelle drei mir völlig fremde junge Männer. Einer war weiß, einer schien asiatische Wurzeln zu haben, einer afroamerikanische. Was sollte das denn jetzt?

»Da ist ja unsere Hauptperson. Männer, das ist mein ganzer Stolz – Keyla. Die nächste Woche einen von euch heiraten wird. Welchen werden wir im Laufe der nächsten Tage sehen.« Mir blieb der Mund offen stehen. Heiraten? Drehte er jetzt völlig durch? Ohne ein Wort zu sagen, kehrte ich auf dem Absatz um und rannte aus dem Zimmer. Bloß weg hier! Hinter mir hörte ich meinen Vater laut lachen.

Antonio

Zielen, abdrücken, zum nächsten Ziel umschwenken, zielen, abdrücken und das immer wieder, bis das Magazin endlich leer war. Ich mochte das Doppelmagazin meiner Glock 18 mit dreiunddreißig Schuss nicht so gern, gerade deshalb bestand mein Vater darauf, dass ich täglich damit trainierte. Mir gefiel das Magazin mit neunzehn Patronen zwar viel besser, aber selbst mit dem großen waren fast alle Treffer genau in der Mitte des Ziels. Jedoch war das wirklich kein Wunder, seit meinem fünften Lebensjahr drillte er mich daraufhin. Nicht nur mit Schusswaffen, sondern ebenso mit Messern und verschiedene Kampfsportarten, tägliches Kraft- und Ausdauertraining … Die perfekte Ausbildung, um später einmal die Geschäfte meines Vaters übernehmen zu können. Genauso für einen Serienmörder, auch wenn das nicht sein primäres Ziel war. Allerdings sollte ich das Geschäft schon von unten herauf lernen. Zuerst als Beobachter, doch inzwischen gehörte ich zu den besten Knipsern, die er hatte. Obwohl er das nie zugeben würde.

Enzo Esposito war nicht der Typ, der sich selbst die Finger schmutzig machte und ich bezweifelte sehr, dass er das jemals getan hatte. Nein, mein werter Herr Vater saß lieber in seinem Elfenbeinturm, der in diesem Fall ein Hochhaus mit neunzehn Stockwerken war und ließ andere die Drecksarbeit verrichten. Immerhin war er der Boss und um jemanden aus dem Weg zu räumen, musste er sich nicht selbst die Finger schmutzig machen. Da genügte ein Fingerzeig und einer seiner Handlanger sprang. Egal ob Erpressung, Folter oder Mord - es gab nichts, was nicht von seinen Leuten erledigt wurde. Dafür benötigte er meist nur ein Fingerschnipsen.

»Das reicht für heute. Ich habe einen Auftrag für dich.« Er zog einen Ordner aus einem Regal, das sich seitlich vom Schießstand befand und warf ihn mir zu. Ich schaffte es gerade noch, die Waffe wegzustecken und den Ordner zu fangen. So einen Scheiß machte er einfach zu gern, angeblich um meine Reflexe zu trainieren.

 

Keyla Rodriguez

18 Jahre alt

1,58 m zierlich

Haarfarbe: Braun

Augenfarbe: Grün

 

Ansonsten stand nur der Wohnort auf dem einzigen Zettel in der Mappe.

»Ist das alles?«, fragte ich erstaunt. Normalerweise gab es schon ein paar Informationen mehr über die Zielperson. »Und wo ist das Fotos? Ein Bericht über ihren Tagesablauf? Ich soll wohl kaum in Rodriguez Hauptquartier marschieren und seine Tochter, wie ich annehme, ausschalten.« Juan Rodriguez war der größte Widersacher meines Vaters. Ein Mafioso aus Mexiko, dessen Leute den unseren öfter in die Quere kamen. Erst letzte Woche hatten wir zwölf Leute durch seine Handlanger verloren. Ich musste bereits mehrere seiner Leute ausknipsen und hatte damit auch kein Problem, allerdings seine Tochter? Das war doch etwas völlig anderes. Zumal ich Gewalt gegen Frauen ablehnte. Na ja, nicht ganz, aber darum ging es hier nicht. Normalerweise ermordeten wir keine unschuldigen Frauen. Eher schickte mein Vater sie auf den Strich, bloß das kam mit ihr natürlich nicht infrage. Rodriguez würde wahrscheinlich jeden abschlachten, der es wagte, Hand an seine Tochter zu legen. Die Familie war den Mexikanern heilig, ebenso wie uns Italienern. Sie zu ermorden kam einer offenen Kriegserklärung gleich. Warum zum Teufel wollte er das tun?

»Ja, mehr haben wir noch nicht. Dabei habe ich bereits zwei unserer Leute darauf angesetzt. Der Auftrag wird nicht so einfach werden, da Rodriguez seine Prinzessin gut versteckt hält. Allerdings will er sie jetzt verheiraten mit einem der Söhne der Blacks, der Chinesen oder der Russen.« Nun ging mir ein Licht auf, der Kerl suchte Verbündete und das konnte mein Vater nicht zulassen. Die drei Mafia-Familien bildeten schon seit Jahren eine Allianz, ließen uns aber in Ruhe. Doch wenn der Mexikaner sich mit denen zusammen tat, dann würde das unseren Untergang einläuten.

»Und darum muss sie sterben? Warum nicht die potenziellen Ehemänner? Man könnte den Verdacht auf einen von Rodriguez Leuten lenken. Das würde schon dafür sorgen, dass diese Allianz nicht zustande kommt.«

»Antonio Esposito! Du hast einen Auftrag und den wirst du erfüllen. Seit wann diskutieren wir vorher über Einzelheiten? Sieh es als deine Feuerprobe.« Damit war das Thema für meinen Vater erledigt. Er drehte sich um und ging Richtung Kellertür. Mir blieb keine andere Wahl als ihm hinterherzuschauen und gegen meine Wut anzukämpfen. Feuerprobe. Was für ein Müll. Verdammt noch mal, ich war sein Sohn und musste meine Loyalität wirklich nicht durch einen weiteren Mord beweisen, selbst bei Neulingen reichte dafür ein Mord aus und ich war seit Monaten Auftragskiller. Bisher hatte ich noch nie eine Frau ermordet und das auch eigentlich nicht vor. Irgendwo musste man doch eine Grenze ziehen.

Manchmal würde ich zu gern meine Waffe ziehen und sie ihm an den Kopf halten. Nur damit er seinen einmal einschaltete und begriff, dass ich mehr war als bloß ein Soldat, den er herumkommandieren konnte. Es gab Tage, da hasste ich meinen Vater abgrundtief. An anderen mochte ich ihn nur nicht leiden. Allerdings durfte ich das nie im Leben offen zeigen. Denn auch mich würde er ohne mit der Wimper zu zucken aus dem Weg räumen lassen, wenn er eine Gefahr in mir sah. Für Enzo Esposito gab es einen Menschen auf der Welt, der eine Bedeutung hatte und das war er selber. Angeblich hatte er meine Mutter früher noch vor sein Wohl gestellt, doch das wusste ich ausschließlich von Hörensagen, da sie bei meiner Geburt gestorben war. Wahrscheinlich mochte er mich deshalb nicht besonders. Für ihn trug ich die Schuld an ihrem Tod. Obwohl er darüber niemals ein einziges Wort in meiner Gegenwart verlor. Es reichte ja aus, dass er es mich in jeder Minute meines Lebens spüren ließ.

»Also soll ich jetzt loslaufen, das Haus der Rodriguez stürmen und ein mir unbekanntes Mädchen erschießen?« Mein Vater stöhnte genervt auf.

»Nein, du Volltrottel. Aber du musst ja wissen, was auf dich zukommt. Und vielleicht machst du dir einfach mal Gedanken, wie du an die benötigten Informationen kommst. Ich kann doch nicht dein ganzes Leben lang für dich denken.« Am liebsten hätte ich laut gelacht. Er war echt ein Arschloch.

»Ergo darf ich mir ein Team zusammenstellen, um die Infos zu besorgen?« Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass er da nicht zustimmte. Trotzdem traf mich seine sofortige Ablehnung hart.

»Nein, darum habe ich mich schon gekümmert. Du bist noch nicht soweit, MEINE Leute zu befehligen.« In mir brodelte es, doch ich sagte lieber kein Wort mehr, da ich es sonst garantiert schaffte, eine Explosion zu provozieren und das konnte ich mir einfach nicht erlauben.

Zum Glück verließ er jetzt den Keller, während ich noch den Schießstand aufräumte; die leeren Hülsen mussten entsorgt werden, die Magazine wieder aufgefüllt. Als ich damit fertig war, ging ich nach oben, durch die Geheimtür und die riesige Eingangshalle. Diese trennte das Haus sozusagen in den privaten und den beruflichen Teil. Unten im Keller lagen neben dem Schießstand noch der Kerker, wo mein Vater wirklich drei Zellen und einen Verhörraum hatte, in dem er auch Menschen folterte. Daneben gab es eine große Küche, einen Raum, in dem Treffen stattfanden und einige Büro- und Lagerräume. Hier oben kam dann die Etage, in der die offiziellen Geschäftsräume lagen, denn öffentlich führte mein Vater ja nur eine Import- und Exportfirma. Obwohl ich bezweifelte, dass die Behörden noch dran glaubten. In den oberen Etagen lagen die Privaträume. Die meines Vaters im Penthouse und meine darunter. Dass ich zusätzlich noch eine Zweizimmerwohnung in der Stadt unterhielt, wusste mein Vater nicht und ich hatte auch nicht vor, ihn davon in Kenntnis zu setzen. Selbst wenn er sich einbildete, die absolute Kontrolle über mein Leben zu haben, war das seine Sache, denn die hatte er schon lange nicht mehr.

Jetzt fuhr ich allerdings schnell hoch in meinen regulären Wohnbereich und warf die Tür hinter mir zu. Gregor, der Butler meines Vaters kam die Treppe hinunter, die die beiden Wohnungen verband. Er war der Einzige, der diese nutze.

»Brauchen Sie mich heute noch, Master Antonio?«, fragte er mit unbewegter Mine, zwinkerte mir aber unauffällig zu. Er war mein engster Vertrauter hier im Haus, das durfte mein Vater niemals erfahren, denn er verlangte völlige Loyalität von seinen Untergebenen und Gregor deckte mich des Öfteren vor ihm.

»Nein, Danke. Ich werde gleich noch ausgehen.« Was im Grunde genommen nur eine Ausrede sein sollte, gefiel mir immer besser. Warum eigentlich nicht? Ein Besuch in meinem Lieblingsclub, um irgendeine Tussi aufzureißen, wäre jetzt genau das richtige, um auf andere Gedanken zu kommen.

Kapitel 2

Keyla

Ohne groß darüber nachzudenken, was ich jetzt tun sollte, lief ich nicht in mein Zimmer, wie mein Vater zweifellos erwartete, sondern zu der versteckten Tür im Flur, die meinen Fluchtweg sicherte. Da das Haus bereits fast zweihundert Jahre alt war, wurde diese damals garantiert für das Personal eingebaut, damit die Dienstboten sich frei im Haus bewegen konnte, ohne die Herrschaften zu stören. Heute war es sozusagen mein ganz persönlicher Geheimgang. Durch einen Zufall hatte ich die Tür hinter der eingebauten Garderobe im ersten Stock vor ein paar Jahren gefunden. Das Personal nutzte die geheimen Gänge schon lange nicht mehr und glücklicherweise hatte ich es bisher auch immer vermieden, jemanden davon zu erzählen. Hier gab es zwar kein elektrisches Licht und auch keine Fenster, doch wozu hatte ich ein Handy mit Taschenlampenfunktion?

Am liebsten wäre ich durch die Gänge gerannt. Bloß fürchtete ich mich davor, irgendjemand durch ein Geräusch auf mich aufmerksam zu machen oder so viel Staub aufzuwirbeln, dass ich davon husten musste. Also schlich ich durch den Gang und die beiden Treppen hinunter, die in einen ungenutzten Kellerraum führten. Von hier aus musste es früher einen Zugang zum Vorratskeller gegeben haben. Allerdings war dieser inzwischen zugemauert, genau wie der Durchgang zur Küche im Erdgeschoss, aber mir konnte das gerade recht sein. Der Keller verfügte über ein Fenster, das zum Garten hinauf führte.

Praktischerweise lag es zudem noch direkt hinter einem Busch versteckt, sodass ich ungesehen hinaus oder auch wieder hinein kam. Gut verborgen durch ein paar herunterhängende Zweige, dennoch nicht zu sehr zugewachsen, als dass ich jetzt Probleme hätte, darunter zu sitzen, um zuerst die Lage auf der Straße abzuschätzen. In der Dämmerung liefen glücklicherweise nicht mehr so viele Leute draußen herum und im Moment konnte ich auch keinen von Dads Männern sehen. Daher beeilte ich mich, den seit Jahren geübten Weg, immer außerhalb der Kameras entlang zu schleichen. Immer wenn ich es gar nicht mehr im goldenen Käfig ausgehalten hatte, war ich so für ein paar Augenblicke ausgebrochen und im nahen Park spazieren gegangen. Das machte den Kopf frei. Heute war der Park allerdings nicht mein Ziel und ich würde mit Sicherheit auch nicht schnell zurück ins Haus gehen.

Obwohl die Temperatur knapp über zwanzig Grad lag, überzog eine Gänsehaut meine Arme. Vielleicht beging ich hier gerade einen riesigen Fehler, so völlig ohne Gepäck, Papiere und auch nur einen Cent Geld in der Tasche wegzulaufen. Bloß was sollte ich sonst tun? Mit jeder Sekunde, die ich gezögert hätte, wäre die Chance abzuhauen noch weiter geschrumpft. Also lief ich erst einmal in Richtung der City. In einer Menschenmenge konnte ich leichter untertauchen, als auf den fast leeren Straßen hier im Viertel.

Die meisten Menschen begingen ja den Fehler, sich einen einsamen Ort zum Verstecken auszusuchen, doch den würde ich nicht begehen. Genauso wenig, wie ich eine meiner Freundinnen oder meine Schwester aufsuchen durfte – Okay, bei letzter wusste ich ja sowieso nicht, wo sie sich aufhielt. Alle drei würden mir zwar garantiert versuchen zu helfen, doch dort würde man mich auch zuerst suchen. Immer das Gegenteil von dem tun, was einem zuerst in den Sinn kam. Das hatte ich mal irgendwo gelesen und mir gemerkt und bisher funktionierte das ja ganz gut. Zumindest konnte ich bis jetzt keinen der mir bekannten Männer meines Vaters ausmachen. Deshalb entledigte ich mich meines Handys, damit das auch so blieb. Mein Vater hatte unter Garantie die Möglichkeit, es zu orten.

Richtig aufatmen konnte ich allerdings erst einige Stunden später, als ich vor einem Club der Italiener ankam. Inzwischen war es dunkel geworden und hier fühlte ich mich etwas sicherer, denn die Männer meines Vaters würden mich hier wohl kaum suchen. Täten sie es trotzdem, war der Ärger vorprogrammiert und würde mich hoffentlich rechtzeitig warnen, damit ich in der Menge untertauchen konnte. Obwohl mein Vater immer versucht hatte, mich aus allem herauszuhalten, hatte ich tatsächlich im Laufe der Jahre mehr mitbekommen, als er wollte. Und gerade solche Informationen, wie die Reviergrenzen, interessierten mich schon immer brennend. Mein Vater würde mich zwar niemals in seine Geschäfte einweihen, doch ich sah gar nicht ein, mich aus politischen Gründen verkaufen zu lassen. Eher brachte ich ihn mit meinem Wissen zu Fall.

Meistens wurde ich von den Türstehern nach vorne geholt und sofort hereingelassen, wenn ich mit meinen Freundinnen unterwegs war. Ausgerechnet heute dachten die gar nicht daran. Wahrscheinlich weil mein Outfit – Jeans und Shirt – einfach viel zu langweilig war. Immerhin hatte es einen Vorteil, hier in der Schlange zu stehen. Da ich bereits mehrfach von Typen ›versehentlich‹ angerempelt wurde, konnte ich zweien unbemerkt die Geldbörsen abnehmen. Zwar gab es keine Gelegenheit, unauffällig einen Blick hinein zu werfen, aber dafür wurde der Diebstahl bisher auch nicht bemerkt. Trotzdem sollte ich zusehen, langsam von hier zu verschwinden, bevor sich das noch änderte. Ich überlegte gerade, ob ich es irgendwie aufpeppen könnte ohne Hilfsmittel, als mich einer der Türsteher an der Schulter packte und zur Seite nahm.

»Mädchen, du musst nach Hause gehen. Wir lassen heute niemanden unter einundzwanzig rein. Spar dir die Zeit.« Verdammte Scheiße! Sonst sahen die das auch nicht so eng. Einer der Gründe, wieso ich es heute hier versuchte. Betteln würde keinen Erfolg bringen, da war ich mir sicher und meine Ausweise – sowohl der echte, wie der gefälscht – lagen natürlich in meinem Zimmer. Vielleicht war meine Idee, hier untertauchen zu wollen, doch nicht so gut gewesen.

»Kann man denn da gar nichts machen? Ich könnte dir auch einen blasen, wenn du mich dafür reinlässt«, flüsterte ich ihm zu. Er schaute wirklich gut aus und ich mochte Blowjobs. Warum also nicht alles auf eine Karte setzen. Leider lachte der Typ nur. Scheiße! Dann musste ich mein Glück wohl in einem anderen Club versuchen. Einen Augenblick lang verließ mich der Mut und ich musste mit den Tränen kämpfen. Dabei war ich normalerweise echt keine Heulsuse. Der Tag war einfach eine Katastrophe und würde wohl auch in einer enden. Ob ich lieber wieder nach Hause gehen sollte, um mich den Wünschen meines Vaters zu beugen? Ich rief mich selbst zur Ordnung, bevor ich mich in diese Gedanken hineinsteigern konnte. Aufgeben war keine Option. Außerdem lag nur zwei Straßen weiter noch ein Club, der den Italienern gehörte und vielleicht schaffte ich es unterwegs, unauffällig meine Beute zu checken und mich etwas aufbrezeln. Make-up! Hah, warum hatte ich eigentlich nicht einer der unzähligen Tussis die Clutch geklaut? Doch das konnte ich ja jetzt nachholen.

Antonio

Ein paar Anrufe und schon war alles geklärt. Jessy und Danny, meine beiden besten Freunde, würden mich im Club treffen. Daher duschte ich schnell, zog mich um und machte mich dann in meinem Schmuckstück auf den Weg dorthin. Oh man, ich liebte dieses Auto, auch oder gerade, weil mein Vater fast ausgerastet war, als ich ihn mir von meinem ersten selbst verdienten Geld kaufte. Ein alter Dodge Charger – ein echter Klassiker – doch von so was hatte er keine Ahnung. Für ihn war mein Wagen, den ich mit meinen Kumpels zusammen eigenhändig aufgemotzt hatte, ein Schrotthaufen. Bloß darüber wollte ich heute nicht nachdenken. Richtig machen konnte ich seiner Meinung nach sowieso nichts, also konnte ich auch gleich machen, was ich wollte. Und das tat ich bereits seit Jahren, meistens allerdings so unauffällig, dass er nichts davon bemerkte.

Wie immer parkte ich mein Auto auf einem Parkplatz gleich neben dem Club, griff nach meiner Lederjacke und stieg aus, um direkt zum Eingang zu gehen. Da ich hier VIP war, musste ich natürlich nie warten und schritt deshalb einfach an der Warteschlange vorbei, die sich schon gebildet hatte. Als mein Blick aber auf ein Mädchen fiel, das so gar nicht hierher zu passen schien, bremste ich ab. Die Kleine war mit Sicherheit noch keine einundzwanzig und völlig unpassend angezogen. So würde sie garantiert nicht hineinkommen. Ungeachtet der Tatsache, dass meine Freunde warteten, blieb ich nun etwas weiter hinten in der Schlange stehen und beobachtete sie. Alles in mir schrie: MEINS! Auch wenn das absoluter Mist war. Sie war ein Mensch und konnte mir nicht gehören. Obwohl. Warum eigentlich nicht? Ich verdrängte die Bedenken in den hintersten Winkel meines Gehirns. Mein Vater handelte doch ebenfalls ab und zu mit Sexsklavinnen und schickte Mädchen auf den Strich. Wobei ich keins von beiden mit ihr vorhatte. Ich wollte sie einfach nur für mich.

In meinem Kopf ratterte es und die Bilder, die er mir zeigte, sorgten dafür, dass es eng in meiner Hose wurde. Die Kleine nackt und mit verbundenen Augen, wie sie mit demütig gesenktem Kopf vor mir kniete und auf meine Befehle wartete. Ja! Das hätte etwas. Dennoch konnte ich das ja nicht wirklich tun. Oder?

Plötzlich wurde ich aufmerksam, ein Typ rempelte sie an, um sie zu betatschen. Zuerst wollte ich ihr sofort zur Hilfe eilen, doch dann zog sie ihm geschickt die Geldbörse aus der Tasche und stecke sie von ihm unbemerkt ein. Wären meine Augen nicht die gesamte Zeit auf ihr gewesen, hätte ich das wahrscheinlich genauso wenig mitbekommen, wie ihr ahnungsloses Opfer. Ganz schön raffiniert, die Kleine. Unauffällig drängelte sie ein Stück weiter nach vorn und wenig später wiederholte sich das Spiel. Erst wurde sie angerempelt, stahl dem Typen das Portemonnaie und rückte wieder vor. Inzwischen folgte ich ihr weiterhin und stand nun fast hinter ihr.

Gerade als ich sie ansprechen wollte, winkte einer der Türsteher sie heraus, ging ein paar Schritte mit ihr zur Seite. Ich folgte ihr verstohlen. Glücklicherweise bemerkte keiner der beiden, dass ich sie beobachtete. Er erklärte ihr, dass sie keinerlei Chancen hatte, in den Club zu kommen und sie reagierte darauf völlig anders als erwartet. Statt zu gehen oder zu betteln, bot sie ihm allen Ernstes einen Blowjob an. Wie konnte sie es nur wagen? Sie hatte zwar sehr leise gesprochen, aber da ich direkt hinter ihr stand, verstand ich doch jedes Wort. In mir kochte die Wut hoch. Sie gehörte mir und der Typ sollte seine schmierigen Pfoten von ihr lassen. Und wenn er das Angebot annahm, konnte ich für nichts garantieren.

Zu seinem und gleichzeitig auch zu ihrem Glück, lehnte der Türsteher ihr Angebot ab und sie schlich mit gesenktem Kopf davon. So gefiel sie mir, schön demütig. Leider hielt diese Haltung nicht lange an. Schon einen Augenblick später straffte sie ihre Schultern und ging entschlossen weg. Ich folgte ihr mit etwas Abstand, ohne an meine Kumpels zu denken, die ganz gewiss bereits auf mich warteten. Ziemlich zielstrebig setzte sie sich in Richtung Norden in Gang. Meinte sie etwa, im Dark hätte sie bessere Chancen als hier im Voice? Das Voice war mein Stammclub, es gehörte meinem Onkel. Das Dark befand sich dagegen im Besitz meines Vaters und ich wusste genau, was dort alles ablief. Neben Drogen und Prostitution gab es im Keller des Clubs einen geheimen BDSM-Bereich. Ab und zu nutzte ich eines der Spielzimmer dort, aber die freiwilligen Mitglieder waren mir zu langweilig geworden. Wenn man gerade so richtig Spaß hatte, nutzten die ihr scheiß Saveword und man sollte sofort aufhören. Das war nicht meine Welt. Ich entschied lieber selbst, wann mein Gegenüber genug hatte. Grenzen dehnen und überschreiten. Das gefiel mir besser, obwohl ich niemanden ernsthaft verletzen wollte. Zumindest nicht beim Sex.

Fast hätte ich die Kleine aus den Augen verloren, denn statt zum Dark lief sie abrupt auf die Schlange vor einer Bar, die auf dem Weg lag, zu. Was wollte sie nur da drin? Die ließen erst recht keine Minderjährigen hinein.

Das schien sie aber nicht zu interessieren, sie stellte sich hinten an, während ich auf der anderen Straßenseite Posten bezog, um sie unauffällig weiter zu beobachten. Aus heiterem Himmel stolperte die Kleine und fiel gegen zwei Frauen, die vor ihr standen. Das ging alles so schnell, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, wie es dazu kam. Die Folgen musste ich mir nun allerdings unmittelbar mit ansehen, denn die eine der Frauen rastete regelrecht aus. Sie schrie und tobte herum, sodass ich bereits überlegte einzugreifen. Doch genau in diesem Moment setzte mein Mädchen – ja, so fühlte es sich jetzt schon an – sich in Bewegung. Sie lief einige Schritte davon, schrie die Frau an, was sie für eine dämliche Kuh wäre und rannte weg. Scheiße! Wo wollte sie nur auf einmal so schnell hin? Nichts wie hinterher, auch wenn sie mich sicher entdecken würde, sobald ich hinter ihr herrannte. Aber das war mir absolut egal. Ich musste einfach verhindern, dass ich sie aus den Augen verlor.

Kapitel 3

Keyla

Das hatte ja prima funktioniert. Die Clutch der stumpfsinnigen Kuh befand sich sicher unter meinem Shirt im Hosenbund. So nützte mir das viel zu weite Ding doch noch. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass die dumme Pute plötzlich ausflippen würde, bloß weil sie einige Knitter in ihrer Bluse fand. Beschwichtigend hob ich die Hände und entschuldigte mich sogar. Bloß interessierte sie das absolut nicht. Lieber weg hier, bevor ihr auffiel, wo ihre Clutch war. Also rannte ich in eine Seitenstraße einige Meter weiter. Die Tussi würde auf ihren Monster-High Heels sicher nicht hinterherlaufen und ich konnte mich in Ruhe in einem Hauseingang stylen, um im nächsten Club bessere Chancen zu haben.

Zumindest dachte ich das, bis ich eilige Schritte hinter mir hörte. Verdammt! Ich wurde verfolgt! Und zwar nicht von der Tussi. Da lief eindeutig jemand mit schweren Männerstiefeln hinter mir her. War das etwa einer der Männer meines Vaters? Scheiße! Scheiße! Scheiße! Wie hatten die mich nur so schnell gefunden?

Ich gab alles, was ich hatte – glücklicherweise trug ich ja keine High Heels – trotzdem kamen die Schritte immer näher. ›Schneller. Schneller! Schneller‹, betete ich mir im Rhythmus meiner Atmung selber vor. Inzwischen brannten meine Lungen bereits wie Feuer, dennoch durfte ich nicht aufgeben. Tat ich es, würde dies das Ende meiner Freiheit bedeuten. Allein der Gedanke reichte aus, um meine Schritte noch einmal zu beschleunigen. Dads Männer waren doch zum Großteil Schlägertypen. Die besaßen Muskeln, aber keine Ausdauer. Ich musste bloß länger durchhalten als der Kerl hinter mir.

Leider schien dies keiner der typischen Schläger zu sein, denn der Typ hielt nicht nur mit, sondern kam immer näher und näher. ›Nicht Aufgeben!‹, feuerte ich mich selbst gedanklich an. Doch zu spät. Eine Hand griff nach meinem Oberarm und riss mich so stark zurück, dass ich beinahe auf den Boden geknallt wäre, wenn nicht dieselbe Hand mich genau davor bewahrt hätte. Am liebsten würde ich den Kerl anschreien, dass er mich sofort loslassen sollte. Doch ich keuchte dermaßen nach Luft, dass ich keinen Ton herausbekam.

»Hab ich dich endlich. Wo wolltest du mit den geklauten Sachen so schnell hin? Wie ein Straßenkind siehst du eigentlich nicht aus. Oder bist du gerade erst von Zuhause ausgerissen?« Häh? Der wusste gar nicht, wer ich war? Vielleicht konnte ich das irgendwie zu meinem Vorteil nutzen und verhindern, dass er mich auslieferte. Denn das musste ich tun. Weder wollte ich zu meinem Vater zurück, noch zur Polizei. Da hatte er schließlich auch genug Spitzel und würde sofort erfahren, sobald ich dort auftauchte.

»Bitte, ich bin kein ausgerissener Teenager oder so. Ich bin neunzehn. Lassen Sie mich doch einfach gehen. Ich mache das auch nie wieder.« Betteln lag mir echt nicht, dennoch senkte ich jetzt lieber den Kopf und machte ein ängstliches Gesicht. Viele Männer standen auf unterwürfige Frauchen und diese Rolle konnte ich perfekt spielen.

»Leere Versprechungen, Mädchen. Nenn mir einen guten Grund, warum ich dich einfach so laufen lassen sollte.« Scheiße. Was sollte ich jetzt nur sagen? Wenn ich wüsste, wer er war, dann könnte ich ihn besser einschätzen. Vorsichtig hob ich den Kopf. Mexikaner war er schon mal nicht. Das sah ich auf den ersten Blick. Trotzdem könnte er einer der Männer meines Vaters sein, genauso gut allerdings auch ein Polizist, ein harmloser Bürger oder einer der Italiener. Immerhin befand ich mich in ihrem Viertel.

»Es gibt keinen Grund. Ja, ich habe Mist gebaut, allerdings aus purer Verzweiflung. Heute Morgen habe ich meinen Freund mit meiner Mitbewohnerin erwischt und dadurch bin ich zu spät zur Arbeit gekommen. Freund weg. Wohnung weg. Job weg und das alles an einem Tag.« Vielleicht half die Mitleidsmasche und er nahm mich mit zu sich. Dann würde er zwar sicher eine Gegenleistung von mir erwarten, aber der Kerl sah heiß aus. Viel heißer sogar als der Türsteher. Warum sollte ich also nicht das Nützliche mit etwas Angenehmen verbinden? Ich presste ein paar Krokodilstränen heraus und sah ihn mit resignierter Miene an. »Kannst du mich nicht einfach laufen lassen? Oder mir sogar einen Platz für die Nacht anbieten? Ich verspreche, auch ganz brav zu sein und so was nie wieder zu tun.«

Antonio

Beinahe musste ich laut loslachen. Eine gute Schauspielerin war die Kleine wirklich nicht. Allein wie sie ihr Gesicht verzog, um eine Träne herauszubringen, war irgendwie niedlich. Bald würde sie echte Tränen weinen und mir ihre wahren Gefühle offenbaren, dafür wollte ich nur zu gern sorgen. Je länger ich mit ihr sprach, umso genauer wurden meine Vorstellungen von dem, was ich mit ihr machen konnte. Bloß erst mal musste ich so tun, als glaubte ich ihr Theater. Später konnte ich sie dann immer noch für jede einzelne Verfehlung hart bestrafen.

»Du hast also kein Dach über dem Kopf? Und da ist dein erster Gedanke, in einen Club zu gehen?« Etwas triezen durfte ich sie ja jetzt bereits. Außerdem versuchte ich herauszufinden, ob irgendetwas an ihrer Geschichte stimmte, oder ob sie vielleicht schon vermisst wurde. Immerhin würde sie nachher verschwinden. Nicht für immer, doch zumindest solange, bis ich meine Lust an ihr verlor. Doch sie musterte zunächst einfach ihre Schuhe, statt mir sofort zu antworten. Überlegte sie, was die beste Lüge war, oder schämte sie sich tatsächlich? Noch konnte ich sie nicht einschätzen, aber das wollte ich ändern. Bald würde ich alles über sie wissen. ALLES!

»Also? Ich warte.« Ein wenig Druck hatte noch niemanden geschadet.

»Ich kann wirklich nicht wieder nach Hause und besitze im Augenblick nichts außer den Sachen, die ich am Leib trage. Deshalb bin ich ja auch so verzweifelt und habe gestohlen. So etwas mache ich sonst nie, das musst du mir glauben.« Und genau das tat ich nicht. Für eine Anfängerin hatte sie sich viel zu geschickt angestellt.

»Okay, du darfst heute mit zu mir kommen, aber nur, solange du mir versprichst, in Zukunft artig zu sein. Ansonsten muss ich dich bestrafen.« Einen Moment lang sah sie mich geschockt an. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass da irgendwo tief in ihr eine devote Ader steckte. Mein Gefühl täuschte mich da nie. Da sie nicht sofort antwortete, sah ich sie einfach bloß streng an, verschränkte die Arme vor meiner Brust und hob eine Augenbraue. Unverzüglich knickte sie ein und nickte eifrig. Ich wusste es! Allerdings ahnte sie nicht, worauf sie sich gerade einließ. Mir war es völlig egal, ob sie lange Finger machte, wenn sie nur schön brav das tat, was ich ihr sagte. Sie durfte gern ihr Feuer behalten und mir Kontra geben, solange sie das Echo vertrug.

»Komm, ich nehme dich mit zu mir nach Hause. So hast du zumindest für diese Nacht ein Dach über dem Kopf und morgen sehen wir dann weiter.« Natürlich würde ich sie nicht in das Haus meines Vaters mitnehmen. Das durfte ich nicht riskieren, doch für Nächte mit heißen Mädchen hatte ich ja meine Wohnung. Ich konnte schließlich nicht jede Frau durchleuchten, bevor ich sie abschleppte. Nicht auszudenken, wenn ich eine Polizistin ins Hauptquartier schleppte. Außerdem brauchte ich die Bude auch ab und zu, um ein bisschen Abstand von meinem Vater zu bekommen.

Schweigend liefen wir zu meinem Wagen. Nur zu gern wüsste ich, was der Kleinen im Kopf herumging, aber im Moment würde sie mir das sowieso noch nicht erzählen. Da konnte ich mir sicher sein.

»Ich bin übrigens Antonio und wie heißt du?« Sie zuckte zusammen und überlegte etwas zu lange, bevor sie antwortete.

»Ich heiße Julia.« Keine Sekunde glaubte ich ihr das, doch für den Moment wollte ich kein Wort dazu sagen.

»Okay, Julia. Dann steig mal ein, wenn du mit zu mir kommen möchtest. Noch kannst du es dir überlegen.« Eine Chance musste ich ihr einfach geben, oder zumindest so tun als ob, denn laufen lassen würde ich sie garantiert nicht mehr. Sie gehörte mir.

»Ich habe nichts zu verlieren.« Ihre Antwort kam so gelassen; fast hätte ich laut losgelacht. Wenn sie wüsste. Ihre Freiheit würde sie noch heute verlieren. Ich konnte es kaum erwarten, ihr Gesicht zu sehen, sobald sie mein Spielzeug sah.

Kapitel 4

Keyla

Julia, was für ein bescheuerter Name. Nur weil Romeo und Julia mein liebstes Theaterstück war, musste ich mir ja nicht gleich ihren Namen zulegen, das war allerdings der Erste, der mir einfiel. Außerdem gab es Tausende von Julias. Na ja, solange ich nicht ihrem Vorbild folgte und am Ende der Geschichte ins Gras biss, war der Vorname eigentlich egal. Jeder war im Moment besser als mein eigener. Keyla hörte man nicht so häufig, aber viele Leute wussten, dass Rodriguez’ Tochter so hieß. Meist benutzte ich einfach Marias Namen, wenn ich unerkannt bleiben wollte, doch heute sagte mir ein Gefühl, dass ich sie nicht mit in die Sache hineinziehen durfte. Wahrscheinlich würde mein Vater mich bei meinen Freundinnen zuerst suchen, folglich durfte es keine Spur von ihnen zu mir geben. Während der kurzen Fahrt in Antonios Wagen schwiegen wir. Womöglich sollte ich es als Wink des Schicksals sehen, ausgerechnet bei einem Italiener oder zumindest einem Typen mit italienischen Wurzeln gelandet zu sein. So verringerte sich die Chance, dass er meinen Vater kannte oder der ihn. Die Italiener und die Mexikaner konnten sich so gar nicht ausstehen. Und das war noch untertrieben. Deshalb kam ich vielleicht auch auf Julia. Falls Antonio zur italienischen Mafia gehörte, was gut sein könnte in der Gegend, dann hätte das wirklich was von der Geschichte. Bloß dass ich weder vorhatte zu sterben noch mich zu verlieben.

»Wir sind da, willst du nicht aussteigen?« Oh. Wie konnte ich so in meine Gedanken versinken, dass ich weder bemerkt hatte, wie er angehalten, noch wie er ausgestiegen war? Jetzt stand Antonio jedenfalls vor der geöffneten Autotür und sah mich erwartungsvoll an. »Im Auto wird nicht geschlafen. Das ist mein Baby und wird geschont. Immerhin habe ich es selbst restauriert.« Er lachte und zog mich am Arm hoch, nachdem ich mich abgeschnallt hatte. »Aber meine Wohnung ist mindestens ebenso gemütlich und wenn du nicht in meinem Bett schlafen möchtest, wogegen ich nichts hätte, dann findet sich auch ein anderes Plätzchen für dich.« Er lachte nun ein wenig seltsam, bloß nahm ich an, dass er einfach etwas schüchtern war und es damit verbergen wollte.

»Ach, ich bin da wirklich nicht anspruchsvoll und penne zur Not auch auf einer Luftmatratze. Aber vielleicht überzeugst du mich ja davon, dein Bett mit dir zu teilen. Es kommt nur auf die richtigen Argumente an.« Warum sollte ich nicht das Bett mit ihm teilen? Der Typ war echt heiß mit seinen Muskeln, die ich unter dem eng anliegenden Shirt viel zu deutlich erkennen konnte. Warum trug er nichts weniger sexigeres? Außerdem entsprach er mit den dunklen Haaren und dem Dreitagebart auch noch genau meinem Beuteschema. Bevor mein Vater mich aufstöberte und dann an einen dieser Schmierlappen verhökerte, konnte ich mir ruhig noch ein klein wenig Spaß gönnen. Jungfrau war ich sowieso nicht mehr, obwohl mein Vater das meinen zukünftigen Ehemann-Anwärtern ganz bestimmt versicherte. Jedoch konnten die lange warten, bis sie mich in die Finger bekamen. Und selbst wenn mein Vater mich ausfindig machte, ein unterwürfiges Frauchen würde ich für so einen Milchbubi sicher nicht werden. Dabei sehnte ich mich innerlich manchmal sogar danach, die Kontrolle abgeben zu können, aber doch nicht an so einen Möchtegerngangster. Dann schon eher an Antonio, der hatte irgendetwas an sich, auf das ich sofort reagierte. In seiner Gegenwart fühlte ich mich sicher. Dabei kannte ich ihn gar nicht.

»Julia?« Oh Mist. Heute dachte ich echt viel zu viel nach und bekam nichts mit. Inzwischen stand ich vor einem Sofa in einem modern eingerichteten Wohnzimmer und konnte nicht einmal sagen, wie ich hierher gekommen war. Es könnte genauso gut im Erdgeschoss oder in der fünften Etage liegen. Seit wann verhielt ich mich so nachlässig? Wenn ich so weiter machte, hatte mein Vater mich wieder, bevor das Wochenende zu Ende war.

»Sorry, der Tag war lang und hart. Das muss ich erst mal alles verdauen.« Eine andere Ausrede fiel mir gerade nicht ein. Zum Glück hakte er allerdings auch nicht weiter nach, sondern bat mich nur, doch auf seinem Sofa Platz zu nehmen. Dem kam ich gerne nach.

»Möchtest du etwas trinken? Wein? Wasser? Cola? Ein Energydrink oder was Härteres?« Während er das aufzählte, überprüfte er den Inhalt eines Barfaches. »Wodka, Whiskey, Rum. Ich habe alles da, was das Herz begehrt. Ich kann dir auch was mixen.« Oh man, war er Alkoholiker, oder warum hatte er so viel im Haus? Eigentlich sah er nicht danach aus, aber man konnte ja nie wissen. Obwohl ich mir am Liebsten die Birne weggeschossen hätte, um ein kleines bisschen abschalten zu können, siegte meine Vernunft. Im Fall der Fälle müsste ich schnell verschwinden können und das ging betrunken nicht.

»Eine Cola, bitte.«

Antonio

»Kommt sofort«, versprach ich ihr. Sie versuchte also, nüchtern zu bleiben. Doch da würde ich ihr keine Chance geben. Ab jetzt gehörte sie mir. Deshalb holte ich unauffällig das Fläschchen mit K.O.-Tropfen aus der Bar und gab ein paar Tropfen in die Cola. Mir war es ganz recht, dass sie keinen Alkohol wollte. Damit war die Dosierung viel schwieriger und ich wollte sie ja nur ruhigstellen, bis ich genug Zeit für sie hatte und nicht umbringen.

»Hier.« Ich reichte ihr das Glas und sie nahm sofort arglos einen großen Schluck.

»Danke, das hab ich jetzt echt gebraucht. Ich habe gar nicht bemerkt, wie durstig ich bin.« Wieder trank sie einen großen Schluck, ohne den Geschmack zu bemerken. Jetzt musste ich bloß ein bisschen warten, bis die Wirkung sich entfaltete. Zum Glück dauerte es nicht lange. Zuerst wurde sie ruhig, dann ließ sie den Kopf hängen und schlief ein. Verdammter Mist! Das war wohl etwas zu viel gewesen. Hoffentlich musste sie sich nicht erbrechen oder bekam Atemlähmungen, beides Dinge, die vorkommen konnten. Die richtige Dosierung zu finden, war manchmal nicht so einfach. Eigentlich wollte ich doch nur etwas Spaß mit ihr, aber nicht so. Eine willenlose Puppe wollte ich sicher nicht, sondern ein wenig Zeit, um in Ruhe zu telefonieren, einiges zu klären, damit mein Verschwinden nicht sofort auffiel.

Na ja, sie atmete regelmäßig und tief, also musste ich mir wohl nicht allzu groß Sorgen machen. Vorsichtshalber trug ich sie schon einmal ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett. Von ihr kam keine Reaktion. Auch nicht, als ich sie entkleidete und im Anschluss zudeckte. So hatte ich mir den weiteren Verlauf des Abends nicht vorgestellt. Meinen Spaß konnte ich für heute wohl vergessen, jetzt musste ich hier sitzen und aufpassen. So eine verdammte Scheiße. Und dann klingelte auch noch mein Handy, obwohl ich ja eigentlich eh telefonieren sollte, störte es mich jetzt. Schon am Klingelton konnte ich erkennen, dass es mein Vater war. Da musste ich dran gehen, ob ich wollte oder nicht.

»Ja?«

»Wo zum Teufel steckst du? Du hast doch einen Auftrag von mir bekommen.« Warum musste er immer gleich so lospoltern?

»Ich denke, ich soll auf weitere Infos warten? Muss ich dafür in meinem Zimmer hocken? Wie du bemerkst, bin ich jederzeit erreichbar und im Notfall in ein paar Minuten da.« Im Moment wäre das zwar ganz mieses Timing, aber das konnte ich ihm schlecht auf die Nase binden. Sonst würde er mich erst recht sofort nach Hause beordern.

»Das Mädchen, das du aus dem Weg räumen sollst, ist weg. Spurlos aus dem Haus ihres Vaters verschwunden und er beschuldigt uns, wir hätten sie entführt. Wir lassen ihn jetzt in dem Glauben, müssen allerdings unter allen Umständen zusehen, dass er sie nicht so schnell zurückbekommt.« Mein Vater lachte fies. »Der Auftrag ist erst einmal Geschichte, als Druckmittel gegen ihn ist sie noch viel wertvoller. Wir müssen also unbedingt wissen, wie die Kleine aussieht. Meine Männer arbeiten mit Hochdruck daran, halt dich bereit.« Das hieß striktes Alkoholverbot, damit er mich immer und überall erreichen und einsetzen konnte. Wie ich das hasste. Trotzdem widersprach ich ihm nicht. Schließlich war ich nicht lebensmüde.

»Okay, ich sage den Jungs im Club ab und lege mich bald hin, damit ich ausgeruht bin, wenn dein Anruf kommt.« Vielleicht beorderte er mich so nicht zurück nach Hause. Das würde mir gerade noch fehlen. Ich konnte Julia in ihrem Zustand nicht alleine lassen. Und wirklich. Heute hatte ich echt mal Glück und er legte einfach auf. Im Grunde war es ihm ja auch völlig egal, wo ich mich aufhielt, solange ich sprang, sobald er etwas von mir wollte. Und genau das tat ich ja jedes verdammte Mal. Mir war bewusst, dass irgendwann einer von uns den anderen die Waffe an den Kopf halten würde, um dieses Spiel zu beenden. Doch noch war ich in der Organisation nicht gefestigt genug, damit sie auf mich hören würden. Zuerst musste ich mich irgendwie beweisen. Nur wie? Vielleicht konnte ich diese verschwundene Tusse ja finden und hiermit den Mexikaner unter Druck setzen. Damit würde ich mir sicher einiges Ansehen verdienen. Solange niemand wusste, wie das Gör aussah, hatte ich keine Chance, sie zu entdecken.

Da meine Kleine noch ruhig war, nutzte ich die Zeit, um den Jungs abzusagen und einiges zu organisieren. Mein Vater hatte zwar seine Männer, die seine Augen und Ohren waren, nur die hatte ich auch. Und genau diese Leute rief ich nun nach und nach an, um mehr über Keyla Rodriguez herauszufinden. Allerdings wusste wirklich keiner Genaueres über sie. Ihr Vater sperrte sie wohl immer weg. Wo konnte sie also so plötzlich sein? Ich beauftragte jeden, der mir einfiel, die Augen und Ohren offen zu halten und mir jedes noch so kleine Gerücht sofort mitzuteilen.

Wenigstens rührte Julia sich nun langsam und brachte mich dadurch auf andere Gedanken. Bisher bewegte sie sich zwar nur im Schlaf, aber ich wollte sie lieber fesseln, bevor sie richtig wach wurde. Zu diesem Zweck holte ich ein Metallhalsband, das innen gepolstert war. Schließlich wollte ich nicht, dass sie sich verletzte. Das Halsband konnte ich mit einem Vorhängeschloss sichern. Dazu brauchte ich noch eine lange Eisenkette, die ich an einem fest einbetonierten Ring in der Wand befestigte. Die Konstruktion hatte ich schon öfter benutzt – wenn auch bisher immer an freiwilligen Opfern – daher wusste ich genau, wie viel Spielraum sie damit hatte. Sie erlaubte ihr zwar, ins Bad zu gehen, um sich zu erleichtern. Auch zur Küchenecke konnte sie gelangen, um sich etwas aus dem Kühlschrank zu holen, aber die Wohnungstür lag außerhalb der Reichweite. Die Fenster waren alle mit Panzerglas ausgestattet und abgeschlossen, sodass sie keines öffnen könnte, um auf sich aufmerksam zu machen. Zudem waren sie von außen verspiegelt, sodass niemand hereinzusehen vermochte. Sehr praktisch, wenn man seine Privatsphäre wollte, oder halt jemanden unbemerkt festhalten.

Nachdem ich sie so gesichert hatte, drehte ich die Sicherungen vom Herd raus und ging systematisch meine Schränke durch. Alle Messer, aber auch andere spitze oder schwere Gegenstände, die sie gegebenenfalls als Waffe nutzen könnte, verstaute ich in der Abstellkammer, die ich abschloss. Nun konnte sie ruhig aufwachen. Ich war jedenfalls vorbereitet.

Kapitel 5

Keyla

Das erste, was ich bewusst wahrnahm, war ein höllisches Pochen in meinem Kopf. Oh man, was hatte ich gestern denn getrunken, dass es mir jetzt so schlecht ging? Ich erinnerte mich daran, dass ich abgehauen war und versucht hatte, in einen Club zu kommen, aber danach? Irgendwie schien da etwas zu fehlen. Hatte ich mich etwa so abgeschossen? Das war sonst eigentlich nicht meine Art.

Als Nächstes fiel mir der Geruch auf, das Kissen, auf dem ich lag, roch einfach falsch. So einen herben Duft gab es weder bei mir noch bei einer meiner Freundinnen. Es war nun nicht so, als würde es stinken, eher im Gegenteil, aber dem Ding haftete eindeutig ein fremder – männlicher – Geruch an.

Vorsichtig versuchte ich, meine Augen zu öffnen und das ging sogar besser als erwartet. Glücklicherweise war es noch nicht richtig hell, sondern dämmerte nur. Ich lag auf einem fremden Bett, in einer fremden Wohnung. Hoffentlich nicht mit einem fremden Kerl. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Doch als ich mich bewegte, um das zu kontrollierte, entdeckte ich etwas viel Schlimmeres als einen Unbekannten bei mir im Bett. Kaum drehte ich mich um, bemerkte ich einen leichten Zug an meinem Hals und hörte ein leises Klappern. Wie von der Tarantel gestochen richtete ich mich auf und griff dorthin.

»Scheiße!«, schrie ich laut, auch wenn das nichts nutzte. Ich konnte so doll zerren, wie ich wollte, dieses verdammte Halsband saß bombenfest und war noch dazu mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert. Wer zum Teufel tat so was? Nicht einmal meinem Vater traute ich das zu.

»Guten Morgen, Sonnenschein.« Der Typ auf dem Sofa, der mir bisher völlig entgangen war, richtete sich langsam auf. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Hatte ich ihn vielleicht gestern schon getroffen? Er musste mich betäubt haben und hierher gebracht. Das musste es sein. Anders konnte ich mir das wirklich nicht erklären. Alles, was gestern nach meiner Flucht von Zuhause passiert war, befand sich in einer Art Nebel.

»Mach mich sofort los, sonst brülle ich das komplette Haus zusammen.« Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ausprobiert, ob die Kette bis zu ihm reichte. Doch in letzter Sekunde fiel mir auf, dass ich außer diesem Stück Metall um den Hals nichts am Leib trug. Der Kerl musste mich ausgezogen und gefesselt haben und ich konnte mich an nichts erinnern. Ob er mich wohl auch noch missbraucht hatte, während ich weggetreten war? Vorsichtig horchte ich in mich hinein, aber zum Glück fühlte sich alles ganz normal an. So weit war er also nicht gegangen. Oder noch nicht?

»Schrei ruhig, Prinzessin. Hier hört dich keiner und falls doch, interessiert es niemanden. Du gehörst jetzt mir, also gewöhne dich besser gleich an den Gedanken, dann muss ich dir nicht zu sehr wehtun.« Nicht zu sehr wehtun? Der Typ hatte echt nicht mehr alle Tassen im Schrank! Und ich auch nicht, denn für einen kurzen Moment war ich fast froh über diese Entführung. Natürlich nur, weil mein Vater mich hier nicht so schnell finden würde und nicht etwa, weil der Typ richtig heiß aussah. Das wäre ja völlig abwegig.

»Was hast du mit mir vor? Willst du Lösegeld erpressen? Da wirst du kein Glück haben.« Er durfte keinesfalls erfahren, wer mein Vater war. Sonst saß ich schneller wieder im goldenen Käfig, als ich gucken konnte. Okay, auf das Leben an der Leine konnte ich auch gut verzichten. Aber vielleicht schaffte ich es, den Kerl – ich wusste nicht einmal seinen Namen – mit der Zeit dazu zu bringen, mir mehr Freiheiten zu geben. Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Ich war am Vorabend in sein Auto gestiegen. Bloß wieso?

»Ich will einfach nur dich. Geld besitze ich bereits genug. Du bist mein, Julia.« Wie kam er auf Julia? Hatte ich den Namen ihm gegenüber als Tarnung benutzt oder hatte er sich den gerade ausgedacht, um mich zu testen? Verdammt, weshalb erinnerte ich mich nicht an gestern? Und warum zum Teufel dachte ich über so etwas nach, statt mich darüber aufzuregen, dass er mich zu seinem Eigentum machen wollte? Ich war schließlich kein Haustier.

»Und wenn du die Nase von mir voll hast, tötest du mich, Romeo? Oder gibt es schon Tierheime für abgelegte Entführungsopfer?« Wahrscheinlich war es nicht besonders klug von mir, ihn so zu provozieren, aber lieber sollte er mich aus Wut schnell töten, als langsam und qualvoll. In der Welt meines Vaters galt ein schneller Tod als Gnade. Wie ein Tiger schlich er auf mich zu und stand nun direkt vor mir. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich zurückgewichen, bloß lag ich ja bereits am äußerste Ende des Betts und konnte schlecht in der Matratze verschwinden.

»Keine Angst, ich habe nicht vor, dir irgendetwas anzutun, das du nicht ertragen kannst.« Na, das klang ja aufmunternd.

»Doch du willst mir etwas antun?« Meine Stimme zitterte viel mehr, als ich wollte. In meiner Situation war das wohl kein Wunder. Immerhin stand er inzwischen über mich gebeugt und mein einziger Schutz vor ihm war die Decke, die er mir jederzeit entreißen könnte.

»Sehr wahrscheinlich, ja. Aber keine Angst, du bist viel zu schön, um dir dauerhafte Spuren zuzufügen und im Endeffekt wirst du alles genießen, was ich dir angedeihen lassen werde.« Ich spürte seinen Atem auf meiner Wange und meinem Hals und sofort bekam ich eine Gänsehaut. Doch nicht ausschließlich aus Angst. Klar, die war auch da, allerdings irgendwie auch vor Erregung, was vollkommen hirnrissig war. Wie konnte mich diese ausweglose Situation nur erregen? Litt ich etwa jetzt schon unter dem Stockholm-Syndrom? Auf einmal meldete sich auch noch meine Blase. Konnte es einen unpassenderen Zeitpunkt dafür geben? Zuerst versuchte ich, es zu ignorieren, aber Romeos Blick machte mich immer nervöser und langsam musste ich wahrhaft dringend. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen.

»Wo sind eigentlich meine Sachen? Ich müsste auch mal ins Bad.« Meine Stimme klang viel leiser und bittender, als ich wollte. Bloß irgendwie reichte sein Blick bereits aus, dass ich ihm nachgab. Okay, zum Teil lag das wahrscheinlich auch an der ganzen Situation. Ich nackt und gefesselt und er angezogen und frei.

»Dann geh. Die Kette ist lang genug, das Badezimmer ist dort drüben.« Er zeigt mit der Hand dorthin und verzog den Mund zu einem fiesen Grinsen. »Klamotten brauchst du nicht. Ich will ja auch etwas sehen für meine Gastfreundschaft. Sei froh, dass ich dir die Decke bisher nicht weggenommen habe.«

Antonio

Ihr Gesichtsausdruck war echt zu komisch. Obwohl sie bereits nackt und mit Halsband in meinem Bett lag, schien es ihr unwahrscheinlich, dass sie unbekleidet ins Bad gehen sollte. Doch daran würde sie sich schon noch gewöhnen, denn so bald würde ich ihr keine Kleider genehmigen. Nackt konnte sie nicht so einfach auf die Straße laufen, falls sie es irgendwie schaffen sollte, sich zu befreien. Außerdem wollte ich ihren Anblick genießen, so oft ich konnte. Sie war wirklich eine Schönheit.

»Also musst du jetzt oder nicht? Ich kann dich auch ins Badezimmer tragen, oder dir problemlos die Decke wegnehmen.« Ihr Gesichtsausdruck wechselte immer wieder zwischen Entsetzen und Unglauben hin und her. Was mich noch mehr anstachelte. Als sie nach zehn Sekunden immer noch einfach so dalag, packte ich die Decke und zog sie ihr mit einer schnellen Bewegung bis zum Bauch hinunter. Bevor sie die Decke selbst umklammerte, um mir nicht alles von sich zu zeigen. Was für ein lächerlicher Versuch! Das würde ich ihr gleich austreiben.

»Loslassen.« Ich schrie nicht, denn das hatte ich nicht nötig. Sie würde schon zu spüren bekommen, was passierte, wenn sie nicht gehorchte. Irgendwie hoffte ich sogar, dass sie sich mir widersetzte. Dann machte es viel mehr Spaß, sie zu bestrafen.

»Bitte, lass mir die Decke. Ich tue auch alles, was du von mir verlangst.« Nun musste ich grinsen, denn so unterwürfig ihre Worte auch waren, der Klang ihrer Stimme sagte etwas völlig anderes.

»Nein, du hast jetzt ausnahmsweise die Wahl. Entweder gehst du nackt ins Bad und erleichterst dich, oder du liegst gleich nackt über meinen Knien und bekommst deine erste Strafe, weil du meine Geduld strapazierst.« Eine Sekunde zögerte sie, doch dann fügte sie sich und ließ die Decke los.

»Wenn ich brav mache, was du willst, lässt du mich in Ruhe?« Nun konnte ich ein Lachen nicht mehr unterdrücken. Irgendwie klang sie nicht einmal so, als ob sie das wirklich wollte. Eher herausfordernd.

»Oh, Prinzessin. In Ruhe lasse ich dich ganz bestimmt nicht, solange du schön brav bist, wirst du allerdings nicht so sehr leiden, sondern den Schmerz genießen können.« Sie sah mich mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Neugier an. Sagte aber kein Wort mehr, sondern kletterte endlich etwas umständlich aus dem Bett, weil sie versuchte, sich mit ihren Händen zu bedecken, und lief ins Bad. Für heute wollte ich ihr das mal durchgehen lassen. Im Laufe der Zeit würde sie schon noch lernen, sich niemals vor mir zu verstecken. Das hatte sie auch gar nicht nötig, denn ihr Körper schien perfekt zu sein. Nicht zu dünn – Magermodels waren noch nie mein Typ – nicht zu dick und mit einer Oberweite, die sicher wunderbar in meine Hände passen würde.

»Julia, beeil dich.« Nach einiger Zeit wurde es mir zu langweilig, nur von meinem Spielzeug zu träumen. Zumal aus dem Badezimmer keine Geräusche kamen. Was tat sie da bloß die ganze Zeit?

»Ich kann nicht.« Ihre Stimme klang ganz kläglich. »Wegen der Kette kann ich die Tür nicht richtig schließen und mit Zuhörer konnte ich noch nie. Bitte, nimm mir die Kette doch ab. Ich bin auch wirklich brav.« Das konnte sie vergessen.

»Nein, die Kette bleibt dran, ich traue dir nicht. Aber um es dir leichter zu machen, hole ich eben Frühstück. Ich bin in spätestens fünf Minuten zurück in der Wohnung. Bis dahin bist du hoffentlich fertig.« Zum Glück lag direkt auf der anderen Straßenseite ein Bäcker, bei dem es Café to Go und belegte Brötchen gab. Die Zeit würde ich ihr geben, jedoch war danach Schluss mit meiner Gutmütigkeit.

Genau vier Minuten später stand ich mit dem Frühstück wieder in der Wohnung. Doch hier hatte sich nichts geändert, an der Kette konnte ich sehen, dass sie sich noch immer im Bad befand. Was zum Teufel tat sie da?

»Julia? Komm her!«, befahl ich ihr. Bekam aber keine Reaktion. »Julia, möchtest du mich böse machen? Bisher war ich verdammt lieb zu dir. Also zwing mich nicht dazu, dich zu bestrafen.« Während ich mit ihr sprach, stellte ich meinen Einkauf auf den Tisch und pirschte mich an die Tür heran. Aus dem Badezimmer drang kein Geräusch zu mir und das versetzte mich automatisch in Alarmbereitschaft. Entkommen konnte sie nicht sein, somit versuchte sie wahrscheinlich, sich zu verbarrikadieren oder mich anzugreifen. Allerdings würde sie mit beiden keinen Erfolg haben. »Julia!«, probierte ich es ein letztes Mal. Doch wieder kam nichts. Tja Mädchen, du bist selber schuld, wenn ich dir etwas antun muss. Schnell griff ich nach der Kette und zog einmal kräftig daran. Was auch postwendend mit dem erwarteten Schrei quittiert wurde.

»Kommst du jetzt oder muss ich weiter machen?« Sie sollte ja nicht denken, dass sie damit durchkommen konnte. »Entweder kommst du sofort zu mir, oder ich hole dich. Dann wirst du jedoch richtig leiden müssen. Du hast die Wahl.« Die hatte sie natürlich nicht. Nach dieser Aktion bekam sie so oder so ihre Strafe. Da sie nicht sogleich antworte, zog ich noch einmal mit einem Rück an der Kette, bis ich es poltern hörte. Vermutlich war sie nun gegen die Kommode mit den Handtüchern gestoßen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752107210
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juli)
Schlagworte
Mafia Mafialiebesroman verbotene Liebe Feinde mafiaromance Dark Romance Liebesroman Erotik Erotischer Liebesroman

Autoren

  • Samira Wood (Autor:in)

  • Alina Jipp (Autor:in)

Samira Wood ist das Pseudonym einer Liebesromanautotrin, die ab und zu mal etwas anderes schreiben möchte.
Zurück

Titel: Enemy, be mine